Wer Rosinen picken will, muss Wein anbauen - DRK Kliniken Berlin
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1.2009<br />
das<br />
Krankenhaus<br />
Dr. Bidjan Sobhani / Prof. Dr. Thomas Kersting<br />
<strong>Wer</strong> <strong>Rosinen</strong> <strong>picken</strong> <strong>will</strong>,<br />
<strong>muss</strong> <strong>Wein</strong> <strong>anbauen</strong><br />
Portfoliomanagement im Krankenhaus<br />
Wenn Sparen nicht mehr geht<br />
und Wachstum begrenzt ist<br />
Die fi nanzielle Situation wird für Krankenhäuser von Jahr<br />
zu Jahr angespannter. Das fi nanzielle Gleichgewicht gerät<br />
trotz aller Bemühungen, Effi zienzpotenziale auszuschöpfen,<br />
ins Wanken. Der vom Rheinisch-Westfälischen Institut für<br />
Wirtschaftsforschung erstellte „Krankenhaus Rating Report<br />
2008“ 1) deutet darauf hin, dass der Anteil von Krankenhäusern<br />
mit Verlusten von 23 Prozent auf 52 Prozent in 2008 ansteigen<br />
wird. Es sind demnach in der Hälfte aller Krankenhäuser dringend<br />
Maßnahmen gefragt, die positive Auswirkungen auf das<br />
fi nanzielle Ergebnis zeigen und möglichst kurzfristig wirken.<br />
Da die Umsätze im Kerngeschäft, der stationären Behandlung<br />
von gesetzlich Versicherten, bei vorgegebenen Preisen und<br />
einer kaum ausweitbaren Leistungsmenge sehr begrenzt steigerungsfähig<br />
sind, konzentrierte man sich vornehmlich auf<br />
eine Erhöhung der Produktivität durch einen effi zienteren<br />
Ressourceneinsatz. Jedoch sind auch hier inzwischen Grenzen<br />
erreicht worden, deren Überschreiten mit Qualitätseinbußen<br />
einhergehen würde.<br />
Neben der voneinander unabhängigen Einfl ussnahme auf<br />
die ergebnisrelevanten Parameter Kosten und Umsatz besteht<br />
auch die Möglichkeit, Leistungen nach ihrem Erlös-Kosten-<br />
Verhältnis zu bewerten. Die Identifi kation von Leistungen mit<br />
hohen Deckungsbeiträgen würde die Möglichkeit eröffnen,<br />
derartige Leistungen im Leistungsportfolio eines Krankenhauses<br />
zulasten von Leistungen mit geringem Deckungsbeitrag zu<br />
konzentrieren. Ein deckungsbeitragsoptimiertes Produktportfolio<br />
wäre das Ergebnis eines derartigen Vorgehens, das sich<br />
wiederum positiv auf das Betriebsergebnis auswirken müsste.<br />
Das selektive Kontrahieren zwischen Leistungsfi nanzierern<br />
und Krankenhäusern dürfte den Bedarf nach deckungsbeitragsorientierten<br />
Produktbetrachtungen noch verstärken. Dieser<br />
Idee einer deckungsbeitragsorientierten Portfoliooptimie-<br />
Management<br />
Die Verfügbarkeit von Daten aus der Kostenträgerrechnung bietet in immer mehr Krankenhäusern die Möglichkeit,<br />
deckungsbeitragsgestützte Betrachtungen anzustellen, häufi g mit dem Ziel, das fi nanzielle Ergebnis zu optimieren.<br />
Der Einsatz von Ergebnissen der kurzfristigen Erfolgsrechnung für strategische Entscheidungen auf Produkt-Markt-<br />
Ebene birgt allerdings Risiken, die im Kontext eines Portfoliomanagements klar gesehen werden müssen. Nachfolgend<br />
werden verschiedene Aspekte von Portfoliomanagement im Krankenhaus – sowohl kurzfristig ökonomische als<br />
auch strategische – diskutiert und in einem Matrixmodell zusammengeführt.<br />
rung liegt eine Vorstellung zugrunde, die sich von dem klassischen<br />
<strong>Wer</strong>tpapierportfeuille ableitet.<br />
Produktportfolio ist nicht gleich<br />
<strong>Wer</strong>tpapierportfolio<br />
Das fi nanzwirtschaftliche Portfolio (von portare = tragen, folio<br />
= Blatt) ist eine Zusammenstellung von <strong>Wer</strong>tanlagen, wobei<br />
die Optimierung des Portfolios darin besteht, das Verhältnis<br />
von Ertrag, Risiko und Liquidität zu erhöhen. Der amerikanische<br />
Ökonom und Nobelpreisträger Max Harry Markowitz<br />
hat im Rahmen seiner Portfoliotheorie Berechnungsverfahren<br />
entwickelt, mithilfe derer ein optimales Anlagenportfolio gebildet<br />
wird. Allerdings ist die Übertragung von Konzepten des<br />
fi nanzwirtschaftlichen Portfoliomanagements auf das Management<br />
von Produktportfolios nur begrenzt möglich.<br />
Das Management eines Produktportfolios hat zum Ziel,<br />
mit einer Vielfalt an Produkten einen nachhaltigen Umsatzstrom<br />
zu generieren, aus dem die Gewinne erwirtschaftet werden,<br />
die zur Befriedigung der Anteilseigner und für die notwendigen<br />
Wachstums- und Entwicklungsmaßnahmen eingesetzt<br />
werden. Im Vergleich zum fi nanzwirtschaftlichen<br />
Port folio müssen dabei wesentliche Unterschiede beachtet werden.<br />
2)<br />
Ein <strong>Wer</strong>tpapierportfolio lässt sich in der Regel laufend und<br />
beliebig umschichten. Das Produktportfolio beruht jedoch auf<br />
langfristig gewachsenen Strukturen und Befähigungen. Umschichtungen<br />
können nicht beliebig schnell vorgenommen<br />
werden, da die dafür im Unternehmen erforderlichen Anpassungsprozesse<br />
Zeit beanspruchen. Im Gegensatz zum <strong>Wer</strong>tpapierportfolio<br />
haben Umschichtungen im Produktportfolio<br />
langfristige Auswirkungen, die – im Falle einer negativen Entwicklung<br />
– nicht kurzfristig wieder korrigiert werden können.<br />
Außerdem bestehen bei der Herstellung und dem Vertrieb von<br />
Produkten häufi g starke wechselseitige Abhängigkeiten. Im<br />
1
das<br />
Management Krankenhaus 1.2009<br />
Abbildung 1: Produktlebenszyklus<br />
Extremfall können zwei Produkte sogar vertriebstechnisch untrennbar<br />
miteinander verknüpft sein: Die DRG für die Entbindung<br />
und die DRG für die Versorgung des Neugeborenen dürfte<br />
man kaum als separat zu bewertende Produkte betrachten,<br />
auch wenn der Produktkatalog dies vorzugeben scheint.<br />
Das Grundkonzept des Portfoliomanagements auf der Produktebene<br />
geht davon aus, dass Produkte einen Produkt-<br />
lebenszyklus (siehe Ñ Abbildung 1) durchlaufen, der nach<br />
einer Entwicklungsphase mit dem Markteintritt beginnt. Nach<br />
einer Wachstumsphase folgt schließlich eine Phase der Rückentwicklung,<br />
die mit dem Marktaustritt endet. Jede Phase des<br />
Produktlebenszyklus ist durch einen unterschiedlich hohen<br />
Beitrag zum fi nanziellen Erfolg des Unternehmens gekennzeichnet.<br />
Dabei sind im Normalfall die frühen und späten<br />
Phasen im Lebenszyklus eines Produkts mit Kosten belastet,<br />
die durch die Erlöse dieser Phase nicht gedeckt werden können.<br />
In den mittleren Phasen hingegen werden Überschüsse<br />
generiert.<br />
Das Ziel eines Produktportfoliomanagements besteht vor<br />
diesem Hintergrund in erster Linie darin, dass eine ausgewogene<br />
Mischung von Produkten in unterschiedlichen Lebenszyklusphasen<br />
hergestellt und aufrechterhalten wird. Die strategische<br />
Herausforderung besteht demnach darin, ein Fließgleichgewicht<br />
herzustellen, in dem mit den Überschüssen der<br />
„gewinnbringenden“ Produkte der mittleren Lebensabschnitte<br />
die Verluste der Produkte in den frühen und späten Lebenszyklusphasen<br />
fi nanziert werden.<br />
Was sind geeignete Objekte<br />
der Portfoliooptimierung?<br />
Vor diesem Hintergrund betrachtet besteht die Aufgabe des<br />
Portfoliomanagements vor allem darin, in einer sich ständig<br />
verändernden Umwelt ein Produktportfolio in einen dynamischen<br />
Gleichgewichtszustand zu bringen, sodass dauerhaft<br />
ein stabiler ökonomischer Zustand erreicht wird. Die Optimierung<br />
eines Portfolios <strong>muss</strong> demnach sowohl die strategische<br />
Bedeutung der Produkte in ihrer jeweiligen Phase des<br />
Lebenszyklus als auch die direkte ökonomische Bedeutung<br />
eines Produkts, die über den Deckungsbeitrag gemessen wird,<br />
beachten. Optimierungsaktivitäten, die unter Zuhilfenahme<br />
von Deckungsbeiträgen ausschließlich auf das kurzfristige fi -<br />
nanzielle Ergebnis ausgerichtet sind, wirken eben auch nur<br />
2<br />
Umsatz<br />
Gewinn<br />
Entwicklung Einführung Wachstum Reife Sättigung Rückgang<br />
Zeit<br />
kurzfristig, schwächen jedoch die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.<br />
Da das Produkt – ob in operativ-ökonomischer oder in strategischer<br />
Hinsicht – im Mittelpunkt der Portfoliobetrachtung<br />
steht, <strong>muss</strong> es entsprechend klar defi niert sein. Bei der Verwendung<br />
des DRG-Katalogs für die Produktdefi nition wird<br />
man relativ schnell feststellen, dass die einzelnen DRG-Leistungen<br />
auf Blattebene als Objekte für Portfolioentscheidungen<br />
nicht geeignet sind. Auch die dreistelligen Basis-DRGs überschneiden<br />
sich in den für die Produkterstellung erforderlichen<br />
Ressourcen und Kompetenzen zum Teil so stark, dass sie in<br />
der Regel für Portfolioentscheidungen kaum herangezogen<br />
werden können. Es stellt sich also die Frage, welches die richtige<br />
Objektebene für Auswahlentscheidungen im Rahmen<br />
einer Portfoliooptimierung ist. Da die Hauptdiagnosekategorien<br />
(MDC) als nächsthöhere Stufe des DRG-Systems für Optimierungsentscheidungen<br />
schon zu umfassend sind, sollten<br />
für Portfoliobetrachtungen geeignete Produktgruppen gesondert<br />
defi niert werden. Die Herausforderung bei der Gruppenbildung<br />
besteht darin, bezüglich der eingesetzten Ressourcen und<br />
Kompetenzen möglichst abgrenzbare Gruppen zu bilden. Über<br />
Produkte und Leistungen, deren Erstellung in hohem Umfang<br />
auf die gleichen Ressourcen und Fähigkeiten im Unternehmen<br />
zurückgreift, kann nicht unabhängig voneinander entschieden<br />
werden. Bei Auswahlentscheidungen müssen zugleich auch<br />
die marktseitigen Interdependenzen zu anderen Produktgruppen<br />
Beachtung fi nden. Ein Beispiel: Neonatologische Leistungen<br />
mögen ressourcenseitig gut abgrenzbar sein, jedoch würde<br />
eine Entscheidung gegen die Gruppe der bestehenden neonatologischen<br />
Leistungen spürbare Auswirkungen auf die<br />
Nachfrage von geburtshilfl ichen Leistungen haben. Derartige<br />
Wechselbeziehungen zwischen defi nierten Produktgruppen<br />
müssen sorgsam untersucht werden.<br />
Die von der DRG-Research-Group an der Universität Münster<br />
entwickelten klinischen Leistungsgruppen 3) , welche die<br />
Krankenhausfälle vornehmlich nach klinischen Kriterien gruppieren,<br />
können auch für Portfoliofragen eine sinnvolle Alternative<br />
zu den DRGs darstellen. Nach unseren Erfahrungen jedoch<br />
wird man aufgrund der Individualität eines jeden Krankenhauses<br />
hinsichtlich der ressourcen- und marktseitigen<br />
Synergiepotenziale nicht umhin kommen, auf der Basis von<br />
ICD- und OPS-Codes sowie anderer Falldaten eigene Leistungsgruppen<br />
zu defi nieren, die als Objekte der Portfolioplanung<br />
ökonomisch und strategisch zu bewerten sind.<br />
Deckungsbeitrag als Optimierungskriterium<br />
Auf der Grundlage einer zweckorientierten Objektdefi nition in<br />
Form geeigneter Produktgruppen können operativ-ökonomische<br />
Analysen – zunächst unabhängig von der strategischen<br />
Bedeutung – unter Verwendung der Deckungsbeitragsrechnung<br />
erstellt werden. Für die Beantwortung der Frage, welche<br />
Produkte in welchem Umfang zur Deckung der Fix kosten des<br />
Krankenhauses beitragen, ist es jedoch unerlässlich, eine differenzierte<br />
Engpassbetrachtung anzustellen, da die häufi g berechnete<br />
Größe „Deckungsbeitrag je Fall“ in der Regel zu
1.2009<br />
das<br />
Krankenhaus<br />
falschen Entscheidungen führt. Ein Ranking der Produkte<br />
nach dem Falldeckungsbeitrag wäre nur sinnvoll, wenn die<br />
„Fallzahl“ – zum Beispiel durch ein Fallzahlbudget – gedeckelt<br />
wäre. Im typischen Krankenhaus ist das allerdings kaum der<br />
Fall. Viel eher bildet im System der GKV-Leistungen (noch) das<br />
mit den Krankenkassen vereinbarte Casemixvolumen bzw. der<br />
Umsatz eine Engpassgröße, sodass der Deckungsbeitrag je<br />
Casemixpunkt entscheidungsrelevant wird. Bei gedeckeltem<br />
Umsatz ist ein Produkt mit einem höheren Deckungsbeitrag je<br />
Casemixpunkt zu bevorzugen. Weitere relevante Engpassfaktoren<br />
könnten zum Beispiel der Pfl egetag (Bett) oder die OP-<br />
Minute (OP-Kapazität) sein. Dieser Umstand hat zur Folge,<br />
dass zwei Krankenhäuser mit gleich hohem Deckungsbeitrag<br />
je Fall für ein und die gleiche Produktgruppe aufgrund<br />
unterschied licher Engpasssituationen im Haus trotzdem zu<br />
unterschied lichen Auswahlentscheidungen kommen.<br />
Deckungsbeitrag kritisch betrachten<br />
Der Deckungsbeitrag selbst sollte ebenfalls einer kritischen Würdigung<br />
unterzogen werden. Als Differenzbetrag zwischen Erlös und<br />
Kosten ist er mit allen Unvollkommenheiten behaftet, die der<br />
Erlös- und Kostenkalkulation zugrunde liegen. Auf der Erlösseite<br />
<strong>muss</strong> man sich nur an die jährlich wechselnden DRG-Kataloge<br />
mit Veränderungen der Produktdefi nitionen und -preise<br />
erinnern. Eigene Analysen haben gezeigt, dass Deckungsbeiträge<br />
von Fachabteilungen katalogbedingt von einem zum anderen<br />
Jahr durchaus um mehrere Hunderttausend Euro schwanken<br />
können. Auch wenn die mit dem jährlichen Katalogwechsel<br />
verbundenen Erlösverschiebungen zwischen DRG-Produkten<br />
aufgrund der zunehmenden Reife des Systems abnehmen, stellen<br />
sie noch immer ein Problem für eine deckungsbeitragsorientierte<br />
Angebotsentscheidung dar. Ebenso verhält es sich mit<br />
den für die Herstellung der Produkte kalkulierten hausindividuellen<br />
Kosten, die in die Berechnung des Deckungsbeitrags<br />
einfl ießen. Die Ergebnisse der aktuell praktizierten Kostenkalkulation<br />
im Rahmen der Kostenträgerrechnung spiegeln den<br />
Ressourcenverzehr einzelner Produkte häufi g recht undifferenziert<br />
wider. Für die meisten Anwendungsfelder (zum Beispiel<br />
Erstellung von DRG-Katalogen, die wiederum der Berechnung<br />
von Erlösen für ein umfangreiches Produktspektrum dienen)<br />
mag die Abbildungsungenauigkeit zu tolerieren sein. Für die<br />
Verwendung auf der Ebene eines Portfolioobjekts werden diese<br />
Fehlabbildungen zur Ursache für Fehlentscheidungen.<br />
Welche Konsequenzen auf den Deckungsbeitrag von DRGs<br />
oder DRG-Gruppen hätte zum Beispiel die Unterscheidung in<br />
fall- und verweildauerabhängige Kosten? Welche Defi nition<br />
wird herangezogen für die Unterscheidung in fi xe und variable<br />
Kosten? Oder wählt man lieber die Unterscheidung in Produkt-<br />
und Strukturkosten (nach Deyhle 4) )? Wie werden die Abschreibungen<br />
auf Investitionsmittel in der Kalkulation berücksichtigt?<br />
Das Kalkulationshandbuch für die DRG-Kalkulation<br />
schließt die Berücksichtigung von Abschreibungen aus. Für<br />
Portfoliobetrachtungen müssten diese jedoch, da sie einen<br />
Ressourcenverzehr bedeuten, beachtet werden. Sollte man sich<br />
dabei auf die Abschreibungen auf Investitionen aus Eigenmit-<br />
Management<br />
teln beschränken oder auch Fördermittel einbeziehen? Solange<br />
diese und viele andere Fragen noch offen sind, sollten die davon<br />
abhängigen Größen, zum Beispiel der Deckungsbeitrag<br />
eines DRG-Produkts, nur mit großer Vorsicht in Produktentscheidungen<br />
einbezogen werden (siehe auch das Beispiel<br />
Unterlieger – Oberlieger im Kasten).<br />
Der Unterlieger scheint profi tabel. Die Analyse der Kalkulationsdaten<br />
2007 von 115 000 Fällen einer eigenen Benchmarkinggruppe<br />
unter Verwendung des DRG-Katalogs 2008<br />
und einer Erlösbaserate von 2 800 € zeigt, dass die Unterlieger,<br />
die einen Anteil von 20 Prozent der Fälle ausmachen,<br />
im Durchschnitt einen um 71 € (7 Prozent) höheren<br />
Deckungsbeitrag je Casemixpunkt aufweisen als Normallieger.<br />
Langlieger hingegen, die erst oberhalb der oberen<br />
Grenzverweildauer entlassen werden (6 Prozent aller Fälle),<br />
haben einen um 785 € (– 81 Prozent) niedrigeren Deckungsbeitrag<br />
je Casemixpunkt als ein Normallieger. Dabei wurde<br />
der Deckungsbeitrag als Differenz aus Fallerlös und der<br />
Summe der Kosten der Kostenartengruppen 1–6 b (nach<br />
InEK) gebildet. Es stellt sich nun die Frage, ob dieses positive<br />
Kalkulationsergebnis der Unterlieger für Portfolioentscheidungen<br />
tauglich ist, oder ob es nicht vielmehr ein<br />
falsch positives Abbild einer Kostenrechnung darstellt, die<br />
große Kostenblöcke ausschließlich und undifferenziert über<br />
Pfl egetage verteilt und eine Unterscheidung in fallabhängige<br />
und verweildauerabhängige (noch) nicht vornimmt.<br />
Eine derartige Hypothese würde gestützt durch die drastische<br />
Unterdeckung von Oberliegern, die – neben einer<br />
möglicherweise unzureichenden Finanzierung durch Zuschläge<br />
– aufgrund der überproportionalen Belastung durch<br />
tagesbezogene Kosten stark defi zitär erscheinen.<br />
Der Deckungsbeitrag ist nicht alles<br />
Die Aufgabe des Portfoliomanagements besteht darin, einen<br />
dynamischen Produktmix aufrechtzuerhalten, der sowohl die<br />
für das kurzfristige Überleben des Unternehmens erforderlichen<br />
fi nanziellen Ressourcen sicherstellt (Deckungsbeitrag)<br />
als auch die Veränderungsdynamik des Marktes berücksichtigt,<br />
indem er zukunftsfähige Produkte aufnimmt und entwickelt.<br />
Bei der Bewertung von Produktgruppen <strong>muss</strong> neben der<br />
Bewertung der aktuellen Nachfrage auch der strategische <strong>Wer</strong>t<br />
Beachtung fi nden, indem zum Beispiel für jede einzelne Produktgruppe<br />
geprüft wird, welche Bedeutung sie voraussichtlich<br />
in der Zukunft erlangen wird. Wird die Nachfrage steigen?<br />
Welche Faktoren haben Einfl uss auf die Nachfrage? Wie werden<br />
sie die Nachfrage verändern? Welche Kompetenzen müssen<br />
ggf. im Unternehmen in diesem Zusammenhang entwickelt<br />
werden? Welche Engpasskapazitäten sind zu beachten?<br />
Intensive, auf Produktgruppen ausgerichtete strategische Analysen<br />
müssen Antworten auf diese Fragen geben. Erst dann ist<br />
es möglich, im Rahmen einer Gesamtschau Auswahlentscheidungen<br />
zugunsten oder auch zulasten einzelner Produktgruppen<br />
im Krankenhaus zu treffen.<br />
3
das<br />
Management Krankenhaus 1.2009<br />
Abbildung 2: Strategisch-ökonomische Portfoliomatrix<br />
Ñ Abbildung 2 zeigt eine Matrixdarstellung, in der die<br />
kurzfristige ökonomische Bewertung (Deckungsbeitrag je Engpassgröße)<br />
sowie die strategische Bewertung (Zukunftsaussichten)<br />
von Portfolioobjekten zusammengeführt werden. 5)<br />
Die Größe der Kreise bildet den Umsatz ab. Diese Form der<br />
Darstellung kann die Diskussion über Portfolioentscheidungen<br />
wirkungsvoll unterstützen, solange die Beteiligten sich<br />
darüber bewusst bleiben, dass es weitere Aspekte zu beachten<br />
gibt, die in einer derartigen Grafi k nicht darstellbar sind.<br />
Das Produktportfolio ist nur<br />
die halbe Wahrheit<br />
Die bisherigen Überlegungen und auch die Matrixdarstellung<br />
in Ñ Abbildung 2 beschränken sich auf die Betrachtung von<br />
am Markt etablierten Produkten oder Produktgruppen. Die<br />
Entscheidungen, die in einem derartigen Kontext getroffen<br />
werden, bestehen in der Herausnahme oder Stärkung einzel-<br />
ner Portfolioobjekte. Wie in Ñ Abbildung 2 durch den Pfeil<br />
rechts oben dargestellt, müssen jedoch auch neue Produkte<br />
den Weg in die Portfoliomatrix fi nden. Es sind diejenigen Produkte,<br />
die positive Zukunftsaussichten erwarten lassen, jedoch<br />
in ihrer „Kindheit“ mit einem negativen Deckungsbeitrag „be-<br />
lastet“ sind. Angesichts der Dynamik, die in Ñ Abbildung 2<br />
durch die Pfeile zwischen den Quadranten zum Ausdruck<br />
kommt, bedarf es neben dem Portfolio an Produkten eines<br />
„Portfolios an Experimenten“ 6) , aus dem schließlich die überlebens-<br />
und damit marktfähigen Produkte hervorgehen. Da die<br />
Zukunft nicht berechenbar und damit eine defi nitive Voraussage<br />
über die Erfolgswahrscheinlichkeit von Produktideen unmöglich<br />
ist, <strong>muss</strong> das systematische und risikofreudige Experimentieren<br />
als fester Bestandteil in das Portfoliomanagement<br />
einbezogen werden. In diesem Sinne <strong>muss</strong> man, bevor man<br />
„<strong>Rosinen</strong> <strong>picken</strong>“ kann, erst den „<strong>Wein</strong> <strong>anbauen</strong>“. Die Tat sache,<br />
dass nicht jeder Sämling keimt, wird dann als natürlich angesehen<br />
und nicht als „fehlerhafte Entscheidung“, die mit umfassenderem<br />
Wissen oder tieferem Verständnis hätte vermieden<br />
werden können. In komplexen Systemen kann man erst im<br />
Nachhinein wissen, was richtig oder falsch war. Man sollte sich<br />
4<br />
Hoch<br />
Zukunftsaussichten<br />
Niedrig<br />
Winner<br />
hoch<br />
Deckungsbeitrag<br />
Looser<br />
niedrig<br />
daher vor einer „Anmaßung von Wissen“ hüten, denn erst im<br />
Wettbewerb werden die Tatsachen entdeckt, die eine Beurteilung<br />
erlauben. 7)<br />
Bei der Bewertung von Portfolioprodukten müssen unter<br />
anderem folgende Faktoren berücksichtigt werden:<br />
n Wie hoch ist der Deckungsbeitrag (als Ausdruck der Kompetenz<br />
des Unternehmens, die Leistung wirtschaftlich zu erbringen)?<br />
n Welche Engpässe bestehen für das betrachtete Produkt (zum<br />
Beispiel Bett, OP, Intensivstation, Personal) und müssen in<br />
die Bewertung des Deckungsbeitrags eingehen?<br />
n Wie groß ist die Nachfrage für das Produkt bzw. bestehen<br />
Möglichkeiten, die Nachfrage zu steigern?<br />
n Wie ist die Zukunftsfähigkeit des Produkts? In welcher Phase<br />
im Produktlebenszyklus befi ndet sich das Produkt? Ist<br />
mit einer Substitution durch andere Produkte zu rechnen<br />
(zum Beispiel stationär durch ambulant)?<br />
n Welche Interdependenz besteht zu anderen Produkten?<br />
Welche Auswirkungen hätte zum Beispiel die Herausnahme<br />
aus dem Produktportfolio auf andere Produkte?<br />
Zusammenfassung<br />
Unternehmen sichern ihr dauerhaftes Überleben durch ein<br />
dynamisches Portfolio an Produkten, indem die Überschüsse<br />
der Gegenwart für den Erfolg in der Zukunft eingesetzt werden.<br />
Heute fi nanziell erfolgreiche Produkte fi nanzieren die<br />
Entwicklung zukünftig erfolgreicher Produkte. Vor diesem<br />
Hintergrund sollte in Zeiten fi nanzieller Engpässe der Verlockung<br />
widerstanden werden, die direkte ökonomische Bewertung<br />
von Produkten in Form des Deckungsbeitrags als vorrangiges<br />
Kriterium für Portfolioentscheidungen heranzuziehen.<br />
Der aufgrund einer in Deutschland inzwischen weit verbreiteten<br />
Verfügbarkeit von Kostenträgerrechnungsdaten zunehmend<br />
betrachtete Deckungsbeitrag beinhaltet zudem noch<br />
immer signifi kante, für Portfolioentscheidungen kritische Abbildungsschwächen,<br />
die explizit gemacht und vergegenwärtigt<br />
werden müssen. In Kombination mit einer strategischen Bewertung<br />
von Produkten bezogen auf ihre Zukunftsfähigkeit<br />
und unterfüttert mit einem reichhaltigen Fundus an Produktideen,<br />
die den Kreislauf von Produktgenerationen speisen,<br />
wird Portfoliomanagement zu einem zentralen Instrument des<br />
strategischen Managements und unverzichtbar für das Überleben<br />
von Krankenhäusern in einem sich ständig wandelnden<br />
Umfeld.<br />
Anmerkungen<br />
1) Augurzky, Boris, et al. (2008) Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung,<br />
„Krankenhaus Rating Report 2008: Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />
kein Widerspruch“<br />
2) Gälweiler, Aloys (2005) Strategische Unternehmensführung, Campus Verlag,<br />
Frankfurt a. M.<br />
3) Roeder, Norbert, et al. (2006) „DRG-Akzeptanz verbessern“, das Krankenhaus<br />
5/2006, Seite 390–401
1.2009<br />
das<br />
Krankenhaus<br />
4) Deyhle, Albrecht (2000), „Controller-Praxis – Führung durch Ziele, Planung,<br />
Controlling“, Band I, Verlag für Controllingwissen<br />
5) Sobhani, Bidjan (2008), „Strategisches Management – Zukunftssicherung für<br />
Krankenhaus und Gesundheitsunternehmen“, Medizinisch Wissenschaftliche<br />
Verlagsgesellschaft<br />
6) Hamel, Gary (2000), Das Revolutionäre Unternehmen – <strong>Wer</strong> Regeln bricht<br />
gewinnt, Eccon Verlag<br />
7) Hayek, Friedrich A. (1969), Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in:<br />
Freiburger Studien, Gesammelte Aufsätze<br />
Anschrift der Verfasser<br />
c/o Dr. Bidjan Sobhani, MBA, Leiter Strategie und Innovation,<br />
<strong>DRK</strong> <strong>Kliniken</strong> <strong>Berlin</strong>, Brabanter Straße 18–20, 10713 <strong>Berlin</strong>,<br />
b.sobhani@drk-kliniken-berlin.de n<br />
Management<br />
5