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Anfrage des Landesjugendamtes Sachsen und ... - DVJJ eV

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1 DSS-Sonnen, § 38 Rn.6;<br />

<strong>Anfrage</strong> <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>jugendamtes <strong>Sachsen</strong><br />

<strong>und</strong> Sprungbrett e.V., Hanau<br />

Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte<br />

<strong>und</strong> Jugendgerichtshilfen e.V.<br />

Übertragung der Jugendgerichtshilfe auf freie Träger<br />

1 Fragestellung<br />

1. Wer trägt nach einer Übertragung der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren<br />

auf freie Träger die Gesamtverantwortung für diese Aufgabe?<br />

2. Mit welchen Aufgaben kann der öffentliche Träger den freien Träger<br />

betrauen? Gibt es Einschränkungen?<br />

3. Welche vertraglichen Vereinbarungen sind zu beachten? Oder: Was ist bei<br />

der vertraglichen Übertragung zu beachten?<br />

4. Dürfen durch den Träger der freien Jugendhilfe auch Ehrenamtliche eingesetzt<br />

werden?<br />

5. Was ist aufgr<strong>und</strong> Einführung <strong>des</strong> § 36a SGB VIII durch das „KICK“ zu<br />

beachten?<br />

2 „Mitwirkung im Jugendstrafverfahren“ als Aufgabe der<br />

Jugendgerichtshilfe<br />

2.1 Verortung der „Jugendgerichtshilfe“<br />

§ 38 Abs.1 JGG weist die Ausübung der Jugendgerichtshilfe den Jugendämtern<br />

„im Zusammenwirken mit den Vereinigungen für Jugendhilfe“ zu. Mit<br />

der Einführung <strong>des</strong> SGB VIII durch das KJHG vom 26.6.1990 ist die Aufgabe<br />

der Jugendgerichtshilfe als „Mitwirkung der Jugendhilfe in Verfahren<br />

nach dem JGG“ gesetzlich definiert worden: 1 Sie gehört zu den „Anderen<br />

Aufgaben“ der Jugendhilfe nach § 2 Abs.3 Nr.8 SGB VIII. Die für die Jugendhilfe<br />

verbindliche Aufgabenzuweisungsnorm findet sich in § 52 SGB<br />

VIII, der seinerseits auf die §§ 38, 50 Abs.2 S.2 JGG verweist. „Jugendgerichtshilfe“<br />

steht demnach für eine von der Jugendhilfe zu erfüllende Aufgabe<br />

<strong>und</strong> nicht für eine – wo auch immer verortete – organisatorische Einheit.<br />

Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist nach § 3 Abs.3 SGB VIII der öf-<br />

H:\L Stellungnahmen\<strong>Anfrage</strong>n\JGH freie Träger.doc; ErstDat: 03.08.2005 11:54; SpDat: 19.08.2005 12:01<br />

Jochen Goerdeler<br />

19. August 2005


Schreiben vom 19.08.2005<br />

Seite 2/15<br />

fentlichen Jugendhilfe, also den Jugendämtern vorbehalten (hierzu ausführlich<br />

Kapitel 3).<br />

Für die Tätigkeit der Jugend(gerichts)hilfe bzw. für die Mitwirkung der Jugendhilfe<br />

im Jugendstrafverfahren ist daher in erster Linie das Regelwerk<br />

<strong>des</strong> SGB maßgeblich. Aus diesem Regelungssystem bestimmen sich die<br />

Gr<strong>und</strong>lagen für die Tätigkeit der Jugendgerichtshilfe. Damit ist auch die<br />

programmatische Gr<strong>und</strong>norm <strong>des</strong> § 1 SGB VIII für die im Jugendstrafverfahren<br />

mitwirkende Jugendhilfe maßgeblich, die sie darauf verpflichtet, zur<br />

Verwirklichung <strong>des</strong> Rechts eines jeden jungen Menschen auf Förderung<br />

seiner Entwicklung <strong>und</strong> Erziehung zu einer eigenverantwortlichen <strong>und</strong> gemeinschaftsfähigen<br />

Persönlichkeit beizutragen.<br />

2.2 Inhaltliche Konturen der „Jugendgerichtshilfe“<br />

Aus Sicht <strong>des</strong> Strafprozesses ist die im Jugendstrafverfahren mitwirkende<br />

Jugendhilfe ein Prozessorgan sui generis mit eigenen Rechten <strong>und</strong> Pflichten.<br />

2<br />

Die Aufgabe der Jugend(gerichts)hilfe kann in drei Stichpunkten charakterisiert<br />

werden:<br />

� Betreuung <strong>des</strong> Jugendlichen,<br />

� Beratung <strong>des</strong> Gerichts,<br />

� Überwachung von Weisungen <strong>und</strong> Auflagen.<br />

Die Betreuungsaufgabe ergibt sich aus § 52 Abs.3 SGB VIII. 3 Ihr zufolge<br />

wirkt die Jugend(gerichts)hilfe betreuend <strong>und</strong> fördernd unter Beachtung der<br />

(sozial-)pädagogischen Fachlichkeit zugunsten <strong>des</strong> betroffenen Jugendlichen<br />

oder jungen Erwachsenen. Dazu ist sie auf die Herstellung eines Vertrauensverhältnisses<br />

zu dem Jugendlichen bzw. Heranwachsenden angewiesen. 4<br />

Teil der Betreuungsaufgabe ist auch, „frühzeitig“ 5 zu prüfen, ob Jugendhilfeleistungen<br />

für den Jugendlichen/Heranwachsenden in Betracht kommen<br />

(§ 52 Abs.2 S.1 SGB VIII). Dies betrifft in erster Linie die Hilfen zur Erziehung,<br />

aber auch Angebote der Jugendsozialarbeit oder <strong>des</strong> erzieherischen<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendschutzes (§§ 13 & 14 SGB VIII). Mit der Einleitung entsprechender<br />

Hilfen zu einem möglichst frühen Verfahrensstadium wird<br />

auch das Ziel verfolgt, wo immer möglich die Voraussetzungen dafür zu<br />

schaffen, dass das Jugendstrafverfahren schnellstmöglich informell durch<br />

eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft (§ 45 Abs.2 JGG) oder – nach<br />

Anklageerhebung – durch das Gericht (§ 47 Abs.1 Nr.2 JGG) beendet werden<br />

kann <strong>und</strong> dass in schwerwiegenderen Fällen eine ggf. erforderliche Untersuchungshaft<br />

durch Maßnahmen der U-Haft-Vermeidung (§§ 71, 72 JGG)<br />

abgewendet werden können.<br />

Ein der betreuenden Tätigkeit der Jugendhilfe inhärenter Teil ist die Beratung<br />

<strong>des</strong> beschuldigten Jugendlichen/Heranwachsenden <strong>und</strong> seiner Eltern<br />

bzw. Personensorgeberechtigten. Allerdings ist es natürlich nicht Aufgabe<br />

der Jugendhilfe in rechtlichen Fragen zu beraten – dies ist dem Verteidiger<br />

vorbehalten, <strong>und</strong> die Jugendhilfe würde ihren Kompetenzbereich überschreiten,<br />

wenn sie die Rolle eines Ersatzverteidigers annehmen würde. Ge-<br />

2<br />

Brunner/Dölling, § 38 Rn.1b; Ostendorf, § 38 Rn.6;<br />

3<br />

Teilweise wird die Betreuungsaufgabe aus § 38 Abs.2 S.1 hergeleitet, Eisenberg, § 38 Rn.19.<br />

4<br />

DSS-Sonnen, § 38 Rn.11; Ostendorf, § 38 Rn.4a;<br />

5<br />

Bezugspunkt ist hier das Jugendstrafverfahren, gemeint ist also in einem frühen Verfahrensstadium.


Schreiben vom 19.08.2005<br />

Seite 3/15<br />

genstand der Beratung ist vielmehr die Lebenssituation <strong>des</strong> Jugendlichen<br />

<strong>und</strong> die Frage, wie Probleme <strong>und</strong> Schwierigkeiten überw<strong>und</strong>en werden<br />

können, sicher auch die Auseinandersetzung mit evtl. delinquenten Verhalten<br />

6<br />

<strong>und</strong> die Bewältigung <strong>des</strong> Strafverfahrens.<br />

Zur Betreuungsaufgabe gehört es auch, während <strong>des</strong> Vollzuges der Untersuchungshaft<br />

<strong>und</strong> der Jugendstrafe im Kontakt mit dem Jugendlichen oder<br />

Heranwachsenden zu bleiben sowie seine Wiedereingliederung in die<br />

Gesellschaft vorzubereiten, § 38 Abs.2 S.9 JGG.<br />

Die Mitwirkung der Jugendhilfe weist eine starke Nähe zu den Leistungen<br />

auf: denn soweit die Jugendhilfe der Betreuungsfunktion nachgeht, unterliegt<br />

ihre Tätigkeit den gleichen Strukturmerkmalen wie der Bereich der<br />

Leistungen.<br />

Die Jugendhilfe ist aber auch Beratungsorgan der Justiz, indem sie die „erzieherischen,<br />

sozialen <strong>und</strong> fürsorglichen Gesichtspunkte“ zur Geltung<br />

bringt <strong>und</strong> „zu diesem Zweck die beteiligten Behörden durch Erforschung<br />

der Persönlichkeit, der Entwicklung <strong>und</strong> der Umwelt <strong>des</strong> Beschuldigten“<br />

unterstützt sowie „sich zu den zu ergreifenden Maßnahmen äußert“ (§ 52<br />

Abs.2 SGB VIII iVm § 38 Abs.1 JGG). Ihre Erkenntnisse über die Persönlichkeit<br />

<strong>des</strong> Beschuldigten <strong>und</strong> sein soziales Umfeld gewinnt sie in erster<br />

Linie durch Gespräche mit dem Beschuldigten selbst, aber auch durch Gespräche<br />

mit seiner Familie sowie seinem sonstigen sozialen Umfeld.<br />

Auch bei Entscheidungen über den Erlass, die Aufrechterhaltung oder Außervollzugsetzung<br />

eines Haftbefehls ist die JGH zur Beratung <strong>des</strong> (Haft-)<br />

Richters berufen. Insbesondere ist es an ihr, Möglichkeiten zur U-Haft-<br />

Vermeidung (§§ 71, 72 JGG) in Erwägung zu ziehen <strong>und</strong> Gericht <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft<br />

dahingehend zu beraten. Die Jugend(gerichts)hilfe ist <strong>des</strong>halb<br />

auch von der Anordnung eines Haftbefehls, <strong>des</strong>sen Vollzug sowie der vorläufigen<br />

Festnahme eines Jugendlichen zu unterrichten (§ 72a JGG), <strong>und</strong><br />

sie ist verpflichtet, in Haftsachen beschleunigt zu berichten (§ 38 Abs.2 S. 3).<br />

Schließlich ist es der Jugend(gerichts)hilfe zugetragen, die Einhaltung bzw.<br />

Erfüllung der durch das Urteil bestimmten Weisung oder Auflage zu überwachen<br />

<strong>und</strong> dem Gericht erhebliche Verstöße gegen die Weisungen oder<br />

Auflagen mitzuteilen, wenn hierzu nicht durch das Gericht ein Bewährungshelfer<br />

bestimmt wurde. (§ 52 Abs.2 SGB VIII iVm § 38 Abs.2 S.5 & 6<br />

JGG). Schließlich kann das Gericht auch die Jugend(gerichts)hilfe bzw. einen<br />

konkreten Mitarbeiter der JGH zum Betreuungshelfer berufen (§§ 38<br />

Abs.2 S.7, 10 Abs.1 Nr.5 JGG).<br />

Es ist allgemein anerkannt, dass die Jugend(gerichts)hilfe sich in einer<br />

schwierigen Stellung befindet. 7 Sie wird zum Teil als „widersprüchlich“ bezeichnet<br />

8 <strong>und</strong> von Ostendorf als „Doppelagentin“ versinnbildlicht. 9 Der<br />

Gr<strong>und</strong> für den festgestellten Widerspruch liegt insbesondere darin, dass der<br />

Jugend(gerichts)hilfe einerseits die Rolle sozialpädagogischer Betreuung<br />

zukommt, sie andererseits die Rolle eines Hilfsorgans der Justiz im Vorver-<br />

6 Wobei die Jugendhilfe sich vor Vorverurteilungen hüten muss: das Strafverfahren dient erst der Sachverhaltsklärung.<br />

7 Ostendorf, § 38 Rn 6 mwN.<br />

8<br />

Eisenberg, § 38 Rn.37.<br />

9 Ostendorf, § 38 Rn 6.


Schreiben vom 19.08.2005<br />

Seite 4/15<br />

fahren nach § 43 JGG wahrnimmt, deren Ermittlungen in dem Sanktionsvorschlag<br />

nach § 38 Abs.2 S. 2 JGG ihren Niederschlag finden. Demnach befindet<br />

sie sich in einem Widerspruch zwischen Ermittlung <strong>und</strong> Kontrolle<br />

einerseits sowie Betreuung andererseits. 10<br />

Dementsprechend fallen die Verortungen der Jugend(gerichts)hilfe unterschiedlich<br />

aus: Teilweise wird eher ihre – im Beratungsauftrag <strong>und</strong> Überwachungsfunktion<br />

zum Ausdruck kommende – Nähe zur Justiz betont oder<br />

gefordert, 11 teilweise eher ihre Einbindung in die Jugendhilfe <strong>und</strong> die daraus<br />

abgeleitete sozialanwaltliche Stellung zugunsten <strong>des</strong> Jugendlichen/jungen<br />

Volljähringen 12 bzw. ihre sozialpädagogische, den jungen Menschen unterstützende<br />

Rolle hervorgehoben. 13 Die zuletzt genannten Ansätze werden<br />

insbesondere begründet mit der beruflichen Verortung der Jugend(gerichts)<br />

hilfe in der Sozialpädagogik, der allgemeinen Betreuungsfunktion der Jugendhilfe,<br />

den gr<strong>und</strong>sätzlichen, gerade von der Pädagogik erkannten Bedenken,<br />

auf einen jugendtypischen Kriminalitätskonflikt mit repressivem<br />

Zwang zu reagieren sowie dem Umstand, dass es dem beschuldigten Jugendlichen<br />

oft an anderweitiger Unterstützung durch Eltern, andere Verwandte<br />

<strong>und</strong> Vertraute oder durch Rechtsanwälte fehlt. 14<br />

3 Kooperation zwischen Freier <strong>und</strong> Öffentlicher Jugendhilfe<br />

Traditionell ist das Feld der Jugendhilfe in Deutschland von einer Vielzahl<br />

<strong>und</strong> Vielfalt der Träger geprägt. Ein Großteil der Aufgaben der Jugendhilfe<br />

wird von freien Trägern erbracht. Das 1990 verabschiedete SGB VIII trägt<br />

dem in § 3 Abs.1 SGB VIII ausdrücklich Rechnung <strong>und</strong> erkennt die Vielfalt<br />

der Träger <strong>und</strong> ihre unterschiedlichen Wertorientierungen <strong>und</strong> Methoden<br />

als Faktum der Jugendhilfe an.<br />

3.1 Mitwirkung der freien Träger bei „Leistungen“ <strong>und</strong> „Anderen<br />

Aufgaben“<br />

Die Kategorien der Leistungen <strong>und</strong> der Anderen Aufgaben unterscheiden sich<br />

in Hinblick auf das Verhältnis „der Jugendhilfe“ zu ihren Klienten, den<br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen sowie deren Erziehungsberechtigten, wie auch<br />

hinsichtlich <strong>des</strong> Neben- <strong>und</strong> Miteinanders der Freien <strong>und</strong> der öffentlichen<br />

Jugendhilfe.<br />

10 Ostendorf, § 38 Rn 6; Eisenberg, § 38 Rn. 37.<br />

11<br />

Eisenberg, § 38 Rn.37.<br />

12 So ausdrücklich Ostendorf, § 38 Rn 6.<br />

Die Leistungen umfassen das Aufgabenspektrum der Jugendhilfe, in dem<br />

eindeutig der Angebotcharakter im Vordergr<strong>und</strong> steht. Dieser Tätigkeitsbereich<br />

ist dadurch gekennzeichnet, dass die Hilfen als Angebote für die<br />

Klienten erbracht werden <strong>und</strong> eine Inanspruchnahme freiwillig erfolgt. Typisch<br />

ist die normative Ausgestaltung der Hilfen in Form von Anspruchsgr<strong>und</strong>lagen,<br />

die dem Betroffenen einen Rechtsanspruch auf die Erbringung<br />

der Leistung vermitteln. Liegen die jeweiligen Voraussetzungen in der Per-<br />

13<br />

Klier/Brehmke/Zinke, Jugendhilfe in Strafverfahren – Jugendgerichtshilfe, S. 16; Diemer /Schoreit/Sonnen, § 38 Rn 32.<br />

14 Ostendorf, § 38 Rn 6.


Schreiben vom 19.08.2005<br />

Seite 5/15<br />

son <strong>des</strong> Antragstellers vor, ist die Jugendhilfe dazu verpflichtet, die<br />

entsprechende Hilfe zu erbringen. 15<br />

Die Träger der freien Jugendhilfe haben traditionell ein originäres, eigenständiges<br />

Betätigungsrecht im Bereich der Leistungen der Jugendhilfe. 16<br />

Die<br />

Aufgaben der Jugendhilfe nehmen sie als eigene Aufgaben wahr. 17<br />

Dieser Bereich ist durch gesetzliche Strukturvorgaben gekennzeichnet, die<br />

dieser eigenständigen Stellung der freien Träger Rechnung tragen: so lässt<br />

sich aus der Feststellung in § 3 Abs.2 S.1 SGB VIII, dass Leistungen von den<br />

Trägern der Freien Jungendhilfe <strong>und</strong> von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe<br />

erbracht werden, zunächst eine Gleichrangigkeit beider Säulen der Jugendhilfe<br />

ableiten. Darüber hinaus statuiert das SGB VIII ausdrücklich ein<br />

Kooperationsgebot zwischen öffentlicher <strong>und</strong> freier Jugendhilfe (§ 4 Abs.1),<br />

eine Subsidiarität der Einrichtungen, Dienste <strong>und</strong> Veranstaltungen der öffentlichen<br />

Jugendhilfe gegenüber entsprechenden Einrichtungen, Diensten<br />

<strong>und</strong> Leistungen der freien Jugendhilfe (§ 4 Abs.2) sowie ein Gebot der Förderung<br />

der freien Jugendhilfe (§ 4 Abs.3).<br />

Dagegen fassen die Anderen Aufgaben diejenigen Aufgaben <strong>und</strong> Tätigkeiten<br />

aus dem Spektrum der Jugendhilfe zusammen, bei denen der hoheitliche<br />

Charakter im Vordergr<strong>und</strong> steht <strong>und</strong> deren Erfüllung nicht zur Disposition<br />

einzelner steht. 18 Die Wahrnehmung der Anderen Aufgaben obliegt der öffentlichen<br />

Jugendhilfe. Träger der freien Jugendhilfe können mit der Wahrnehmung<br />

der in dieser Kategorie zusammengefassten Aufgaben nach § 3<br />

Abs.3 SGB VIII nur betraut werden, wenn dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt<br />

ist. Da die freie Jugendhilfe hier keine eigenen Aufgaben wahrnimmt,<br />

gelten das Kooperationsgebot <strong>und</strong> die Subsidiarität der öffentlichen<br />

Jugendhilfe (§ 4 Abs.1 <strong>und</strong> 2 SGB VIII) nicht unmittelbar. 19<br />

Auch die apodiktische Formulierung in § 38 Abs.1 JGG, wonach „die<br />

Jugendgerichtshilfe [..] von den Jugendämtern im Zusammenwirken mit<br />

den Vereinigungen der Jugendhilfe ausgeübt [wird]“, ändert an der<br />

primären Zuständigkeit der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung<br />

dieser Aufgabe nichts. § 38 Abs.1 JGG stammt noch aus der Zeit vor<br />

Einführung <strong>des</strong> SGB VIII, die sich aus dem SGB VIII als lex posterior<br />

ergebende Rechtslage ist daher verbindlich. 20<br />

15<br />

FK § 2 Rn.1f;<br />

16<br />

Ihre Tätigkeit in diesem Bereich unterliegt der Berufsfreiheit, Art.12 Abs.1 S.3 GG. In diese wird bspw. dann – rechtswidrig<br />

– eingegriffen, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Erbringung der zukünftig anfallenden Leistungen<br />

(oder einen wesentlichen Anteils daran) für ein bestimmtes Gebiet pauschal an einzelne Träger vergibt, OVG Hamburg,<br />

ZJJ 2005, 82 ff m. Anm. Münder.<br />

17<br />

WMOS.... Schellhorn, § 76 Rn.5;<br />

18<br />

FK § 2 Rn.3;<br />

19<br />

a.A. LPK-Papenheim, § 76 Rn.17 f; siehe hierzu unten 3.3;<br />

20<br />

In der Kommentarliteratur zum JGG finden sich teilweise noch widersprüchliche Aussagen, so bei Dölling, der den<br />

freien Trägern einerseits ein Recht auf Beteiligung <strong>und</strong> Mitwirkung zugesteht, andererseits aber feststellt, dass das Jugendamt<br />

nicht verpflichtet ist, einzelne Aufgaben zu übertragen (Brunner/Dölling, § 38 Rn.2). Ähnlich Eisenberg, § 38<br />

Rnn. 6 & 6a.


Schreiben vom 19.08.2005<br />

Seite 6/15<br />

3.2 Beteiligung freier Träger an der Mitwirkung der Jugendhilfe im<br />

Jugendstrafverfahren<br />

Für die Mitwirkung der Jugendhilfe im Jugendstrafverfahren ergibt sich die<br />

gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage für die Beteiligung der freien Jugendhilfe aus § 76<br />

SGB VIII. Danach kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe einen anerkannten<br />

Träger der freien Jugendhilfe an der Durchführung dieser Aufgabe<br />

beteiligen oder sie ihm zur Ausführung übertragen (Abs.1). Abs.2 dieser<br />

Vorschrift stellt ausdrücklich fest, dass die öffentliche Jugendhilfe für die Erfüllung<br />

der Aufgabe verantwortlich bleibt.<br />

Die Aufgabe also solche kann nicht übertragen werden: die Mitwirkung im<br />

Jugendstrafverfahren bleibt Aufgabe <strong>des</strong> öffentlichen Trägers. 21 Die Formulierung<br />

<strong>des</strong> Abs.1 lässt dabei sowohl eine Übertragung von Einzeltätigkeiten<br />

aus dem Gesamtumfang der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren zu, wie<br />

auch die Übertragung <strong>des</strong> gesamten Tätigkeitsspektrum „zur Ausführung“.<br />

Da die Aufgabe bei der öffentlichen Jugendhilfe verbleibt, ist damit keine<br />

Beleihung gemeint, bei der dem Beliehenen die Aufgabe als solche durch<br />

Hoheitsakt übertragen <strong>und</strong> dieser im eigenen Namen Hoheitsrechte ausübt.<br />

22 Vielmehr wird die Einbeziehung <strong>des</strong> freien Trägers durch öffentlichrechtlichen<br />

Vertrag (§§ 53 ff SGB X) begründet. 23 Es entsteht ein öffentlichrechtliches<br />

Auftragsverhältnis. 24<br />

Der freie Träger wird als Erfüllungshelfer tätig. Er genießt dabei keinen besonderen<br />

Status oder Funktionsschutz. 25<br />

Nach außen wird der freie Träger<br />

nicht im eigenen Namen, sondern für das Jugendamt tätig, das ihn beauftragt<br />

hat. 26 Dem freien Träger können nur Tätigkeiten übertragen, die als<br />

schlicht hoheitliches Handeln zu qualifizieren sind; die Befugnis zum formellen<br />

Verwaltungshandeln, insbesondere der Erlass von Verwaltungsakten,<br />

kann ihm nicht übertragen werden 27<br />

, auf das § 97 SGB X mittelbar anwendbar<br />

ist. 28<br />

Da die Beteiligung freier Träger bei Mitwirkung der Jugendhilfe im Jugendstrafverfahren<br />

eine Dauer- bzw. einen längeren Zeitraum angelegte, über<br />

Einzelfälle hinausgehende Kooperation ist <strong>und</strong> zur Erörterung recht gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />

Fragen zwingt, ist sie kein Geschäft der laufenden Verwaltung,<br />

vielmehr ist jugendamtsintern der Jugendhilfeausschuss zuständig. 29<br />

3.3 Gesetzliche Vorgaben für eine vertragliche Regelung<br />

§ 56 Schriftform<br />

§ 59 Recht zur Anpassung bei wesentlicher Änderungen der Geschäftsgr<strong>und</strong>lage,<br />

Kündigungsrecht<br />

21<br />

WMOS-Wiesner, § 76 Rn.6; Schellhorn, § 76 Rn.5;<br />

22<br />

FK § 76 Rn.2; WMOS-Wiesner, § 76 Rn.6;<br />

23 FK § 76 Rn. 3 mwN.; WMOS-Wiesner, § 76 Rn.10ff, 15; Schellhorn, § 76 Rn.8f;<br />

24 WMOS-Wiesner, § 76 Rn.15; Schellhorn, § 76 Rn.8; LPK-Papenheim, § 76 Rn.12; nach FK § 76 Rn.9 ist dies nicht zwin-<br />

gend so, vielmehr sei die Bewertung <strong>des</strong> Vertrags abhängig von der inhaltlichen Gestaltung.<br />

25<br />

WMOS-Wiesner, § 76 Rn.6;<br />

26<br />

WMOS-Wiesner, § 76 Rn.10f.<br />

27<br />

FK, § 76 Rn.2 ff; WMOS-Wiesner, § 76 Rn.12;<br />

28 WMOS, § 76 Rn.15; a.A. Schellhorn, § 76 Rn.8, der nur § 97 Abs.1, nicht aber Abs.2 mit seinem Verweis auf § 89 Abs.3<br />

bis 4, § 91 Abs.1 bis 3 <strong>und</strong> § 92 SGB X für anwendbar hält, <strong>und</strong> LPK-Papenheim, § 76 Rn.17 f;<br />

29 FK § 76 Rn.8; WMOS-Wiesner, § 76 Rn.14; LKP-Papenheim, § 76 Rn.6; OVG Münster RsDE 38, 88;


§ 61 � BGB<br />

§ 79<br />

3.4 Gestaltung der Beteiligung<br />

Schreiben vom 19.08.2005<br />

Seite 7/15<br />

Hinsichtlich der Frage, ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe einen<br />

freien Träger an seiner Aufgabe der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren<br />

beteiligen will, steht diesem ein Entschließungsermessen zu; ebenso hat er<br />

ein Auswahlermessen, welchen Träger er beauftragen will. 30 Sein Ermessen<br />

muss er – wie immer – pflichtgemäß ausüben, d.h. er darf bei seiner Entscheidung<br />

nur Erwägungen berücksichtigen, die einen sachlichen Bezug<br />

zur Fragestellung haben. Der Vorrang der freien Jugendhilfe (§ 4 Abs.2) findet<br />

– wie schon erwähnt – keine Anwendung, so dass freie Träger keinen<br />

Rechtsanspruch auf eine Beteiligung haben. Bei der Auswahl <strong>des</strong> konkreten<br />

Trägers ist der Gleichheitsgr<strong>und</strong>satz sowie der Gr<strong>und</strong>satz von der Chancengleichheit<br />

der Bewerber zu berücksichtigen. 31<br />

Ebenso hat der öffentliche Träger ein Ermessen bei der jeweiligen Binnenausgestaltung<br />

<strong>des</strong> Auftragsverhältnisses. 32 Dies betrifft insbesondere die<br />

Frage, in welchem Umfang er die zur Mitwirkung im Jugendstrafverfahren<br />

gehörenden Tätigkeiten überträgt: er kann den gesamten Tätigkeitsbereich<br />

übertragen (also praktisch ausgliedern) oder nur bestimmte Tätigkeitsbereiche.<br />

Die Beauftragung eines freien Trägers ist dabei nicht auf bestimmte –<br />

vorbereitende oder unterstützende – Tätigkeiten beschränkt, sondern kann<br />

sich auf das gesamte Tätigkeitsspektrum im Rahmen der Mitwirkung im<br />

Jugendstrafverfahren erstrecken. Insbesondere kann der Mitarbeiter <strong>des</strong><br />

freien Trägers auch den Bericht der Jugend(gerichts)hilfe erarbeiten <strong>und</strong><br />

vortragen <strong>und</strong> die Mitwirkung in der Hauptverhandlung übernehmen. 33<br />

Dies ergibt sich schon aus § 52 Abs.3 SGB VIII, in dem expressis verbis der<br />

„Mitarbeiter [..] <strong>des</strong> anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe“ erwähnt<br />

wird <strong>und</strong> fordert, dass der Mitarbeiter, der die Persönlichkeitserforschung<br />

betreibt <strong>und</strong> sich zu den zu ergreifenden Maßnahmen äußert (§ 38 Abs.2<br />

S.2 JGG), auch für die Betreuung <strong>des</strong> Jugendlichen bzw. jungen Volljährigen<br />

im übrigen zuständig sein soll.<br />

Zu berücksichtigen sind dabei die jeweiligen fachlichen Standards <strong>und</strong> gesetzlichen<br />

Vorgaben. So bestimmt bspw. § 38 Abs.2 S.4 JGG, dass die Jugendgerichtshilfe<br />

denjenigen Mitarbeiter zu der Berichterstattung in der<br />

Hauptverhandlung entsenden soll, der auch die „Nachforschung“ betrieben<br />

hat, also die Gespräche mit dem beschuldigten Jugendlichen selbst <strong>und</strong> seinem<br />

familiären <strong>und</strong> sozialen Umfeld durchgeführt hat. Diese Vorgabe <strong>des</strong><br />

JGG ist als Soll-Vorschrift formuliert <strong>und</strong> stellt daher eine verpflichtende<br />

Vorgabe dar, von der nur in besonderen begründeten Ausnahmefällen abgesehen<br />

werden kann. Auch der fachliche Gr<strong>und</strong>satz der Betreuungskontinuität<br />

spricht dafür, nicht für jeden abgrenzbaren Tätigkeitsbereich unterschiedliche<br />

Mitarbeiter oder Träger zu verpflichten.<br />

Bei der Ausgestaltung <strong>des</strong> Auftragsverhältnisses muss der öffentliche Träger<br />

zudem seiner Aufgabenverantwortlichkeit gerecht werden. Er hat also den<br />

30 FK § 76 Rn.6; WMOS-Wiesner, § 76 Rn.14; Schellhorn, § 76 Rn.6;<br />

31 FK § 76 Rn.6;<br />

32<br />

WMOS-Wiesner, § 76 Rn.13;<br />

33 WMOS-Wiesner, § 76 Rn.19;


34 LPK-Papenheim, § 4 Rn.1<br />

Schreiben vom 19.08.2005<br />

Seite 8/15<br />

freien Träger auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben <strong>und</strong> fachlichen<br />

Standards zu verpflichten, <strong>und</strong> er muss sich wirksame Instrumente der Überprüfung<br />

vorbehalten.<br />

Umstritten ist, wie eng das Jugendamt, den freien Träger kontrollieren <strong>und</strong><br />

an inhaltliche Vorgaben binden kann. Normativ schlägt sich diese Diskussion<br />

in den Fragen nieder, ob das Kooperationsgebot nach § 4 Abs.1 SGB VIII<br />

<strong>und</strong> der Verweis <strong>des</strong> § 97 Abs.2 SGB X anwendbar sind.<br />

§ 4 Abs.1 SGB VIII verpflichtet den Träger der öffentlichen Jugendhilfe darauf,<br />

mit der freien Jugendhilfe zum Wohle junger Menschen <strong>und</strong> ihrer Familien<br />

partnerschaftlich zusammen zu arbeiten (S.1) <strong>und</strong> dabei seine Selbständigkeit<br />

in der Bestimmung seiner Zielsetzung, der Art <strong>und</strong> Weise der<br />

Aufgabendurchführung <strong>und</strong> seiner organisatorischen Struktur zu achten<br />

(S.2).<br />

§ 97 SGG X regelt die Zusammenarbeit der Leistungsträger mit Dritten bei<br />

der Erfüllung ihrer Aufgaben. Leistungsträger sind in diesem Fall die Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe. Unstrittig ist § 97 Abs.1 SGB X anwendbar,<br />

nachdem der zu beauftragende Dritte die Gewähr bieten muss, dass die<br />

Aufgabe sachgerecht erbracht <strong>und</strong> die Rechte <strong>und</strong> Interesse <strong>des</strong> Betroffenen<br />

gewahrt werden. Umstritten ist hingegen der Verweis in Abs.2. Abs.2 enthält<br />

eine partielle Verweisung auf Regelungen der Zusammenarbeit von<br />

Leistungsträgern, nach der qua Gesetz<br />

� der beauftragte freie Träger die erforderlichen Mitteilungen zu machen<br />

hat, auf Verlangen Auskunft zu geben hat <strong>und</strong> nach der Ausführung<br />

Rechenschaft ablegen muss (§ 89 Abs.3 iVm § 97 Abs.2 SGB X)<br />

� das Jugendamt jederzeit berechtigt ist, die Ausführung zu prüfen (§<br />

89 Abs.4 iVm § 97 Abs.2 SGB X)<br />

� das Jugendamt berechtigt ist, den freien Träger an seine Auffassung<br />

zu binden (§ 89 Abs.5 iVm § 97 Abs.2 SGB X).<br />

� das Jugendamt zur Erstattung für Sach- <strong>und</strong> Dienstleistungen sowie<br />

mit der Ausführung verb<strong>und</strong>ene Kosten verpflichtet ist (§ 91 Abs.1 bis<br />

3 iVm § 97 Abs.2 SGB X)<br />

� Kündigungen zur Unzeit unzulässig <strong>und</strong> sofortige Kündigungen aus<br />

wichtigem Gr<strong>und</strong> zulässig sind (§ 92 iVm § 97 Abs.2 SGB X).<br />

Die gleichzeitige Anwendung von § 4 Abs.1 SGB VIII <strong>und</strong> § 97 Abs.2 SGB X<br />

passt erkennbar nicht zusammen, da die Verweisung <strong>des</strong> § 97 Abs.2 SGB X<br />

dem öffentlichen Träger eine starke Position bei der Vertragsgestaltung zuschreibt,<br />

insbesondere was die inhaltlichen Vorgaben über Art <strong>und</strong> Weise<br />

der Auftragsdurchführung angeht. Sie ermöglicht dem öffentlichen Träger<br />

eine enge Führung <strong>und</strong> Überwachung bei der Durchführung. Die Verweisung<br />

geht damit insgesamt von einem Über-Unterordnungs-Verhältnis zwischen<br />

öffentlichem Träger <strong>und</strong> freien Träger aus.<br />

Das Kooperationsgebot setzt hingegen genau gegenteilige Akzente. Mit<br />

„partnerschaftlicher Zusammenarbeit“ ist eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe<br />

gemeint. 34 Die Achtung der Selbstständigkeit bei der Zielbestim-


35 LPK-Papennheim,§ 76 Rn.17;<br />

36 LPK-Papennheim,§ 76 Rn.17 f;<br />

37 Schellhorn, § 76 Rn.8;<br />

38<br />

so auch Wiesner, § 76 Rn.15;<br />

39 WMOS-Wiesner, § 76 Rn.21;<br />

Schreiben vom 19.08.2005<br />

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mung <strong>und</strong> der Durchführung verlangt vom öffentlichen Träger, die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Haltung <strong>des</strong> Trägers (bspw. eine starke christlich f<strong>und</strong>ierte Haltung)<br />

zu akzeptieren (soweit sie nicht im Widerspruch zu den Zielen der<br />

Verfassung steht), ebenso wie die Anwendung bestimmter Methoden (bspw.<br />

AAT, Erlebnispädagogik).<br />

Papenheim begründet seine Ansicht mit dem Hinweis, dass es auch bei einer<br />

Beteiligung freier Träger an der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren<br />

ganz überwiegend nicht um hoheitliche Aufgaben, sondern um die Erbringung<br />

von Leistungen in Form von pädagogischer Betreuung, um Beratungen<br />

<strong>und</strong> um Begutachtungen gehe. 35<br />

Daher seien auch im Bereich der Mitwirkung<br />

im Verfahren nach dem JGG die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>des</strong> Zusammenwirkens<br />

von freier <strong>und</strong> öffentlicher Jugendhilfe aus dem Bereich der Leistungen<br />

heranzuziehen. 36<br />

Schellhorn sieht die Anwendbarkeit von § 97 Abs.2<br />

SGB X zudem durch § 17 Abs.3 S.4 SGB I ausdrücklich ausgeschlossen. 37<br />

All dem ist entgegen zu halten, dass es hier um die Erfüllung anderer Aufgaben,<br />

nicht um Leistungen der Jugendhilfe geht. 38 Zwar ist es richtig, dass<br />

ein großer Anteil der tatsächlich zu erbringenden Tätigkeiten Leistungscharakter<br />

haben. Das widerspricht aber nicht der Tatsache, dass gerade bei der<br />

Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren der hoheitliche Charakter im<br />

Vordergr<strong>und</strong> steht. Durch den Hintergr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Strafverfahrens werden Beratungen<br />

<strong>und</strong> Hilfen in einem faktischen Zwangskontext erbracht: sie werden<br />

nicht in dem Maße (wenn überhaupt) auf Gr<strong>und</strong> einer freien Willensentscheidung<br />

in Anspruch genommen, sondern vor dem Hintergr<strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Strafverfahrens <strong>und</strong> den drohenden Sanktionen. Besonders deutlich wird<br />

dies, wenn der Jugendliche durch Weisung verpflichtet wird, bestimmte<br />

Leistungen der Jugendhilfe anzunehmen. Das Kooperationsgebot muss aber<br />

im Kontext mit dem Wunsch- <strong>und</strong> Wahlrecht (§ 5 SGB VIII) <strong>und</strong> dem<br />

Gr<strong>und</strong>satz der freiwilligen Inanspruchnahme gesehen werden. Zudem haben<br />

viele Tätigkeiten, die vordergründig leistungsähnlich erscheinen einen<br />

Doppelcharakter: ein Gespräch, dass den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden<br />

auch darüber berät, wie er mit seiner gegenwärtige Situation einschließlich<br />

der Strafverfolgung umgehen kann, wird unvermeidlich auch der „Erforschung<br />

der Persönlichkeit“ dienen <strong>und</strong> in die „Beratung der beteiligten<br />

Behörden“ (gemeint sind Polizei, Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> Gericht) einmünden.<br />

All dies spricht dafür, dass der öffentliche Träger die oben beschriebene<br />

starke Stellung hat <strong>und</strong> § 97 Abs.2 SGB X anwendbar ist.<br />

Dabei ist nicht erforderlich, dass er in jedem Einzelfall die Einhaltung der<br />

Vorgaben kontrolliert. 39 Er muss sich aber insgesamt strukturell in einen<br />

Stand versetzen, der es ihm erlaubt, seiner Verantwortlichkeit gerecht zu<br />

werden <strong>und</strong> diese auch ausüben zu können, wenn sich Missstände zeigen.<br />

Dazu kann er u.a. vertraglich Berichtspflichten vorsehen, sich Betriebsprüfungen<br />

vorbehalten <strong>und</strong> durchführen, stichprobenartige Kontrollen durchführen,<br />

Leitlinien für die Fallbearbeitung festschreiben <strong>und</strong> ein Weisungs-


Schreiben vom 19.08.2005<br />

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recht auch im Einzelfall vorsehen etc. Der freie Träger ist verpflichtet, dem<br />

öffentlichen Träger die erforderlichen Mitteilungen zu machen <strong>und</strong> auf Verlangen<br />

Auskunft zu erteilen (§ 89 Abs.3 iVm § 97 Abs.2 SGB X). Der öffentliche<br />

Träger kann jederzeit die Ausführung <strong>des</strong> Auftrages prüfen. (§ 89<br />

Abs.4 iVm § 97 Abs.2 SGB X).<br />

Durch die Beteiligung eines freien Trägers darf dem Betroffenen keine Einbuße<br />

an Rechten entstehen. Verpflichtungen, denen der öffentliche Träger<br />

sonst unterliegt, wird er an den einbezogenen freien Träger weitergeben<br />

müssen. Exemplarisch sei hier auf das Datenschutzrecht hingewiesen.<br />

(§§ 61 Abs. ff SGB VIII) 40<br />

. Soweit sich gesetzliche Vorgaben an den öffentlichen<br />

Träger richten, muss er sie im Rahmen der Vertragsgestaltung umsetzen<br />

<strong>und</strong> sicherstellen, dass diesen auch durch den freien Träger genüge getan<br />

wird.<br />

Über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben hinaus kann der öffentliche<br />

Träger den freien Träger zum Beispiel durch Leitlinien auch darauf verpflichten,<br />

die Tätigkeit in einer bestimmten Art <strong>und</strong> Weise durchführen, eine<br />

bestimmte Methodik anzuwenden oder zu bestimmten Fragestellungen<br />

der Ansicht <strong>des</strong> öffentlichen Trägers zu folgen (vgl. § 89 Abs.5 iVm § 97<br />

Abs.2 SGB X).<br />

3.5 Die Auswahl <strong>des</strong> freien Trägers<br />

Auch hinsichtlich der Auswahl <strong>des</strong> konkreten freien Trägers steht dem Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe ein Auswahlermessen zu, soweit die Anforderungen,<br />

die sich aus dem SGB VIII an den freien Träger stellen, erfüllt<br />

sind. Der Auftragnehmer, also der Träger der freien Jugendhilfe, muss die<br />

Gewähr für eine sachgerechte, die Rechte <strong>und</strong> Interessen <strong>des</strong> Betroffenen<br />

(Jugendlichen) wahrende Erfüllung der Aufgabe bieten (§ 97 Abs.1 SGB X)<br />

<strong>und</strong> ein nach § 75 SGB VIII anerkannter Träger der Jugendhilfe sein (§ 76<br />

SGB VIII).<br />

Voraussetzung für eine Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe ist<br />

demnach,<br />

1. dass der Träger schon auf dem Gebiet der Jugendhilfe tätig ist,<br />

2. dass er gemeinnützige Ziele verfolgt,<br />

3. eine ausreichende personelle <strong>und</strong> fachliche Ausstattung sowie<br />

4. die Übereinstimmung mit den Zielen <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>gesetzes.<br />

Zuständigkeiten <strong>und</strong> Verfahren für die Anerkennung regeln sich nach Lan<strong>des</strong>recht.<br />

Einen Rechtsanspruch auf Anerkennung hat nur, wer schon min<strong>des</strong>tens<br />

drei Jahre auf dem Gebiet der Jugendhilfe tätig ist (§ 75 Abs.2<br />

SGB VIII). 41<br />

Privilegiert sind die Kirchen <strong>und</strong> öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften<br />

sowie die „auf Bun<strong>des</strong>ebene zusammengeschlossenen<br />

Verbände der freien Wohlfahrtspflege“: sie sind nach § 75 Abs.3 SGB VIII<br />

unmittelbar gesetzlich anerkannte Träger der freien Jugendhilfe. Dieser Status<br />

muss ihnen also nicht erst verliehen werden. Der Gesetzgeber hat dabei<br />

einen bestimmten Kreis an Verbänden vor Augen gehabt, die auf Gr<strong>und</strong> ihrer<br />

fachlichen Qualifikation <strong>und</strong> Tradition die Gewähr für eine sachgerechte<br />

40<br />

vgl. bspw. Goerdeler, Schutz von JGH-Sozialdaten innerhalb <strong>des</strong> Jugendamtes, www.dvjj.de � Aus der Praxis<br />

41<br />

siehe zur Anerkennung die „Gr<strong>und</strong>sätze für die Anerkennung von Trägern der freien Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII<br />

der Arbeitsgemeinschaft der obersten Lan<strong>des</strong>behörden vom 14.4.1994, abgedruckt in WMOS, Anhang § 75;


Schreiben vom 19.08.2005<br />

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Erfüllung der Aufgaben bieten. Die gesetzliche Anerkennung bezieht sich<br />

nur auf Verbände, die auf Bun<strong>des</strong>ebene zusammengeschlossen sind, nicht<br />

auf Träger, die nur auf örtlicher oder Lan<strong>des</strong>ebene tätig sind oder auf die regionalen<br />

Mitgliedsverbände oder -träger der Spitzenverbände auf Bun<strong>des</strong>ebene.<br />

42 Dieses Privileg kommt daher nur der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutschen<br />

Caritas-Verband, dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband,<br />

dem Deutschen Roten Kreuz, dem Diakonischen Werk <strong>und</strong> der Zentralwohlfahrtsstelle<br />

der Juden in Deutschland zugute. 43<br />

3.6 Personal, Einbeziehung Ehrenamtlicher<br />

Die schon geschilderten Rahmenbedingungen haben zur Folge, dass der<br />

freie Träger, der an der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren beteiligt werden<br />

soll, auch für die notwendigen personellen Ressourcen zu sorgen hat.<br />

Dies gilt insbesondere auch, was die fachliche Qualifikation <strong>und</strong> persönliche<br />

Eignung angeht. 44<br />

Auch bei einer Übertragung von Tätigkeitsbereichen aus dem Bereich der<br />

Mitwirkung im Jugendstrafverfahren auf einen freien Träger bleibt der Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe an das Fachkräftegebot nach § 72 SGB VIII<br />

geb<strong>und</strong>en. Nach § 72 Abs.1 SGB VIII sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe<br />

hauptamtlich nur Fachkräfte beschäftigen (S.1). Soweit dies eine<br />

Aufgabe erforderlich macht, sind zu ihrer Erfüllung nur Fachkräfte oder sogar<br />

Fachkräfte mit Zusatzausbildung einzusetzen (S.2). Wenn erforderlich<br />

sollen mehrere Fachkräfte unterschiedlicher Fachrichtungen zusammenarbeiten.<br />

Dies bindet zunächst unmittelbar den Träger der öffentlichen Jugendhilfe.<br />

Er muss durch eine entsprechende vertragliche Gestaltung sicherstellen,<br />

dass diesen Anforderungen auch bei einer Beteiligung freier<br />

Träger genüge getan ist. Der freie Träger muss also verpflichtet werden, entsprechen<strong>des</strong><br />

Personal bereit zu halten <strong>und</strong>, wo erforderlich, auch mit anderen<br />

Fachkräften <strong>des</strong> öffentlichen Trägers oder anderer involvierter Träger zu<br />

kooperieren. 45<br />

Soweit konkrete bei der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren<br />

zu bearbeitende Fälle so komplex, schwerwiegend, potenziell folgenschwer<br />

oder aus anderen Gründen schwierig sind, dass nach § 72 S.2 SGB VIII eine<br />

Fachkraft oder eine Fachkraft mit Zusatzausbildung mit diesen betraut werden<br />

muss, ist dies auch bei der Erledigung durch einen freien Träger zu<br />

gewährleisten.<br />

Welchen konkreten Anforderungen an das Personal <strong>des</strong> freien Trägers zu<br />

richten ist, hängt vom Umfang <strong>und</strong> der Art <strong>und</strong> Weise seiner Beteiligung<br />

ab. Die Anforderungen reduzieren sich bspw. naturgemäß, wenn der freie<br />

Träger nur einen relativ unproblematischen, eng eingegrenzten Teilbereich<br />

nach Zuweisung durch das Jugendamt übernehmen soll. Entscheidend ist<br />

das Gesamtbild, dass sich für die Mitwirkung der Jugendhilfe im Jugendstrafverfahren<br />

ergibt.<br />

Die Vorgabe <strong>des</strong> § 72 SGB VIII verlangt nicht, das für alle Einzeltätigkeiten<br />

Fachkräfte einzusetzen sind. Für abgegrenzte Teilbereiche <strong>und</strong> unter entsprechender<br />

Anleitung <strong>und</strong> Beaufsichtigung nach ausreichender vorheriger<br />

Einweisung <strong>und</strong> Schulung kann auch geeignetes Personal eingesetzt wer-<br />

42 WMOS-Wiesner, § 75 Rn.18;<br />

43 WMOS-Wiesner, § 75 Rn.18; siehe auch Begründung <strong>des</strong> Regierungsentwurf zum KJHG, BT-Drs. 11/15948 S.99;<br />

44<br />

WMOS-Wiesner, § 76 Rn.20;<br />

45 WMOS-Wiesner, § 72 Rn.15;


Schreiben vom 19.08.2005<br />

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den, das keine Fachkraft im Sinne <strong>des</strong> § 72 Abs.1 SGB VIII ist. Auch der<br />

Einsatz von Ehrenamtlichen ist in diesem Tätigkeitsfeld der Jugendhilfe in<br />

abgegrenzten Teilbereichen nicht ausgeschlossen. Jedoch liegen die Hürden<br />

wegen <strong>des</strong> besonderen strafrechtlichen Kontextes, dem Stigmatisierungspotenzial<br />

<strong>des</strong> Strafverfahrens <strong>und</strong> der u.U. sehr einschneidenden Folgen <strong>des</strong><br />

Verfahrens hier besonders hoch.<br />

Vorstellbar ist beispielsweise, dass in einfachen Fällen (bei Ersttätern ohne<br />

besondere Problematik, Vergehen mit geringem Schaden, einfacher Sachverhalt)<br />

ehrenamtliche Mitarbeiter für Erstgespräche <strong>und</strong> ggf. die Eruierung<br />

von Ausgleichsmaßnahmen, Schadenswiedergutmachung usw. eingesetzt<br />

werden. In jedem Fall ist Aufsicht der Mitarbeiter durch eine Fachkraft sicherzustellen,<br />

die auch im Einzelfall die Entscheidung zu treffen haben<br />

wird, ob sich der jeweilige Fall für die Arbeit mit ehrenamtlichen Mitarbeitern<br />

eignet. Auch eine f<strong>und</strong>ierte Schulung, Einweisung in die Tätigkeit <strong>und</strong><br />

Begleitung ist sicherzustellen. Auszuschließen ist die Arbeit mit Ehrenamtlichen<br />

<strong>des</strong>wegen u.a. in allen Fällen, in den Untersuchungshaft angeordnet<br />

wurde, in denen Jugendstrafe droht oder die schon beim Jugendschöffengericht<br />

angeklagt werden.<br />

Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe (KICK) 46 verlangt<br />

nun auch, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe keine Personen<br />

beschäftigt, die wegen Verletzung der Fürsorge- <strong>und</strong> Erziehungspflicht, Sexualstraftaten<br />

oder Misshandlung Schutzbefohlener vorbestraft sind (§ 72a<br />

SGB VIII n.F.), da bei ihnen die persönliche Eignung nicht gegeben sei.<br />

Auch hierfür bleibt der öffentliche Träger bei einer Beauftragung von freien<br />

Trägern in der Verantwortung <strong>und</strong> muss die Einhaltung vertraglich umsetzen.<br />

Durch entsprechende Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen<br />

<strong>und</strong> Diensten sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sicherstellen,<br />

dass dies auch dort Beachtung findet.<br />

3.7 Abschluss, Kündigung, Vergütung<br />

Der Vertrag muss schriftlich geschlossen werden, § 56 SGB X.<br />

Der Vertrag kann § 91 Abs. 1 iVm § 97 Abs.2 SGB X von beiden Seiten gekündigt<br />

werden. Eine gr<strong>und</strong>legende Änderung der Vertragsgr<strong>und</strong>lage ist<br />

nicht erforderlich (insofern geht § 91 Abs.1 dem § 59 Abs.1 S.1 als lex specialis<br />

vor). Jedoch besteht das Recht nach § 59 Abs.1 SGB X, Vertragsanpassungen<br />

zu verlangen, wenn sich die Verhältnisse gr<strong>und</strong>legend geändert haben. Eine<br />

Kündigung darf – außer aus wichtigem Gr<strong>und</strong> – nur mit ausreichender Frist<br />

oder zu einem Zeitpunkt erfolgen, der es einerseits dem Jugendamt ermöglicht<br />

anderweitig für die Erledigung der Aufgabe Vorsorge zu treffen, <strong>und</strong><br />

dem beauftragten Träger erlaubt, sich auf den Wegfall <strong>des</strong> Auftrags angemessen<br />

einzustellen § 92 Abs.1 S.2&3. Die Kündigung muss schriftlich erfolgen<br />

<strong>und</strong> soll begründet werden, § 59 Abs.2 SGB X.<br />

Nach § 91 Abs.1 <strong>und</strong> 2 iVm § 97 Abs.2 SGB X ist der Auftraggeber zur Erstattung<br />

der Sach- <strong>und</strong> Dienstleistungen „in Geld“ sowie der mit der Durch-<br />

46<br />

BR-Drs. 444/05, vom Bun<strong>des</strong>rat beschlossen am 8. Juli 2005, noch nicht im Bun<strong>des</strong>gesetzblatt verkündet (Stand: 18.<br />

August 2005).


Schreiben vom 19.08.2005<br />

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führung <strong>des</strong> Auftrages verb<strong>und</strong>enen Kosten verpflichtet. 47<br />

Der Einsatz von<br />

Eigenmitteln kann hier – anders als bei einer Tätigkeit der freien Träger im<br />

Bereich der Leistungen, die ihre eigene Aufgaben sind – nicht verlangt werden.<br />

48<br />

Die §§ 77 ff SGB VIII sind nicht unmittelbar anwendbar, da sie sich<br />

auf die Erbringung von Leistungen im leistungsrechtlichen Dreiecksverhältnis<br />

beziehen. 49<br />

4 Änderungen durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe (KICK)<br />

Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe haben<br />

sich u.a. folgende Änderungen gegeben, die bei einer Beteiligung von freien<br />

Trägern an der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren relevant sind:<br />

1. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss sicherstellen, dass er keine<br />

Personen beschäftigt oder vermittelt, die wegen Verletzung der Fürsorge<strong>und</strong><br />

Erziehungspflicht, Sexualstraftaten oder Misshandlung Schutzbefohlener<br />

vorbestraft sind, § 72a SGB VIII n.F. (s.o.).<br />

2. Durch das KICK wurde der Auftrag <strong>des</strong> Jugendamtes bei Kin<strong>des</strong>wohlgefährdungen<br />

präzisiert (§ 8a SGB VIII n.F.). Nach § 8a Abs.1 n.F. soll das<br />

Jugendamt demnach, wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>wohles vorliegen, unter Beteiligung mehrer Fachkräfte das Gefährdungsrisiko<br />

abschätzen. Das betroffene Kind bzw. der betroffene<br />

Jugendliche sowie die Erziehungsberechtigten sind – soweit dies einen<br />

Schutz nicht in Frage stellt – dabei einzubeziehen. Liegt eine Gefährdung<br />

vor, soll das Jugendamt geeignete Hilfen anbieten oder – wenn erforderlich<br />

– das Familiengericht anrufen (Abs.3).<br />

Nach § 8a Abs.2 n.F. muss der öffentliche Träger durch Vereinbarungen mit<br />

den Trägern <strong>und</strong> Einrichtungen, die Leistungen der Jugendhilfe erbringen,<br />

sicherstellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag entsprechend wahrnehmen.<br />

Bei der Einschätzung <strong>des</strong> Gefährdungsrisiko ist eine insoweit erfahrene<br />

Fachkraft heranzuziehen.<br />

Für den Bereich der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren ist unmittelbar<br />

Abs.1 einschlägig, da der beauftragte freie Träger im Bereich der Anderen<br />

Aufgaben als unselbständiger Erfüllungsgehilfe <strong>des</strong> Jugendamtes agiert. Das<br />

Jugendamt muss also durch die strukturelle Gestaltung der Beteiligung <strong>des</strong><br />

freien Trägers <strong>und</strong> durch eine klare Regelung der Verantwortlichkeiten sicherstellen,<br />

das Anzeichen für eine bestehende Gefährdung <strong>des</strong> Wohls <strong>des</strong><br />

Kin<strong>des</strong> oder <strong>des</strong> Jugendlichen nicht übergangen, sondern entsprechend <strong>des</strong><br />

Schutzauftrages bewertet werden, <strong>und</strong> dass die relevanten Informationen<br />

jugendamtsintern an die zuständigen Stellen weitergegeben werden.<br />

3. Das KICK hat nun noch einmal ausdrücklich festgehalten, dass der öffentliche<br />

Träger die Kosten für Hilfen gr<strong>und</strong>sätzlich nur dann trägt, wenn sie<br />

47<br />

Im übrigen ergibt sich eine Pflicht zur angemessenen Erstattung der gemachten Aufwendungen auch aus den Vorschriften<br />

der §§ 670, 675 BGB iVm § 61 SGB X;<br />

48 LPK-Papenheim, § 76 Rn.19;<br />

49 Allerdings handelt es sich bei den Leistungen, zu deren Annahme der verurteilte Jugendliche oder Heranwachsende<br />

verpflichtet wurde (bspw. Sozialer Trainingskurs bzw. Soziale Gruppenst<strong>und</strong>en), um Leistungen, die dem freien Träger<br />

nach den §§ 77 ff SGB VIII erstattet werden.


Schreiben vom 19.08.2005<br />

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auf der Gr<strong>und</strong>lage seiner Entscheidung nach Maßgabe <strong>des</strong> Hilfeplans erbracht<br />

wird (Steuerungsverantwortung, § 36a Abs.1 SGB VIII n.F.). Dies gilt<br />

auch für Hilfen, zu deren Annahme ein Jugendlicher oder junger Volljähriger<br />

durch ein Urteil eines Jugendgerichts verpflichtet wird.<br />

4. Das KICK enthält einige Änderungen im Bereich <strong>des</strong> Datenschutzes. Der<br />

für den Bereich der Jugend(gerichts)hilfe wichtigste ist, dass der Verweis auf<br />

das Datenschutzregime <strong>des</strong> JGG in § 61 Abs.3 SGB VIII gestrichen wurden.<br />

Dieser Verweis hatte zu einigen Diskussionen <strong>und</strong> Rätseln geführt. Die überwiegende<br />

Meinung hat darin einen Verweis ins Leere, da das JGG keine<br />

datenschutzrechtlichen Befugnisnormen für die Jugend(gerichts)hilfe enthalte.<br />

Durch die Streichung ist nun der ursprüngliche Rechtszustand wieder<br />

hergestellt, nachdem das Datenschutzregime <strong>des</strong> SGB VIII auch auf die<br />

Mitwirkung im Jugendstrafverfahren anzuwenden ist.<br />

Dabei wurde nun auch die Erhebung von Sozialdaten bei Dritten ohne Mitwirkung<br />

<strong>des</strong> Betroffen erlaubt, soweit eine Erhebung beim Betroffenen<br />

nicht möglich ist <strong>und</strong> die Erhebung bei Dritten zur Erfüllung der Aufgabe<br />

notwendig ist, § 62 Abs.3 Nr.2 lit.c SGB VIII n.F.<br />

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