Opernmagazin Januar / Februar 2012 - Oper Frankfurt
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Sänger öfter bei Produktionen für Kinder mitzumachen – schlicht aus<br />
Angst, in der Schublade »Reicht-nur-für-Kinder« zu landen.<br />
Dabei geht es um Zukunft. Zum einen, um neue Publikums-<br />
schichten zu erschließen und Zuschauer von morgen zu gewinnen,<br />
denn die Realität ist ernüchternd. Das aktuelle Durchschnittsalter der<br />
Besucher ist um 20 Jahre älter, als es Umfragen von vor 20 Jahren<br />
ergaben. Anders formuliert: Das Publikum ist größtenteils dasselbe<br />
geblieben. Zum anderen geht es aber auch um Impulse für die künst-<br />
lerische Weiterentwicklung.<br />
Die Aufgabenstellung, wie Kinder und Jugendliche zu erreichen<br />
und zu begeistern sind, hat ganz neue, interaktive Formate und zeit-<br />
genössische Musiktheaterformen hervorgebracht und – aus der Not<br />
knapper Mittel heraus – neue Offenheit,<br />
ungewohnte Partnerschaften und kreative<br />
Lösungen. Plötzlich braucht es Stoffe und<br />
Sprache, die Kinder verstehen, die sie emoti-<br />
onal erreichen, ihre Lebensrealität spiegeln.<br />
Es braucht sinnliche Reize und Performance,<br />
die mit der ganzen Bandbreite von Schau-<br />
spiel, Musik und Tanz spielt. Es braucht päda-<br />
gogisch geschulte Dramaturgen, die wissen,<br />
wie Kinder je nach Altersgruppe wahrnehmen<br />
und rezipieren. Wie man erzählen muss, um<br />
authentisch zu sein und dieses neugierig-<br />
Die Arbeit für und<br />
mit Kinder(n) hat<br />
ein neues Genre<br />
hervorgebracht.<br />
Einen »Unruheherd<br />
und Störenfried,<br />
der ständig den<br />
gesamten Apparat<br />
infrage stellt«<br />
anita StrecKer eSSay<br />
berechtigt mitzuplanen. Neue Offenheit heißt die Herausforderung.<br />
Unter diesem Stichwort lenkt die theaterpädagogische Arbeit den<br />
Fokus auf einen weiteren wichtigen Zugang zum Musiktheater. Und<br />
das im Wortsinn: mit »Mitmach«-Formaten, die Kinder und Jugendliche<br />
auf die Bühne holen. Basierend auf der simplen Erkenntnis, dass,<br />
wer einmal selbst szenisch gearbeitet hat, auf der Bühne gespielt,<br />
gesungen oder musiziert hat, nachhaltig offen und interessiert ist, sich<br />
mit Kunst auseinander zu setzen. Die Anstrengung lohnt, eröffnet<br />
einen Reigen an Möglichkeiten, einerseits das eigene Haus zu öffnen,<br />
sich andererseits an ungewohnten Orten zu präsentieren. So plant die<br />
<strong>Oper</strong> <strong>Frankfurt</strong> für Juni <strong>2012</strong> mit ihrem Orchester und Schülern aus<br />
Bad Homburg gemeinsame Konzerte im Zoo-Gesellschaftshaus und<br />
im Kurhaus Bad Homburg. In Stuttgart führen<br />
krebskranke und gesunde Kinder ein selbst<br />
erarbeitetes Stück über Abschied und Tod auf.<br />
In Dortmund »entern« Schüler mit der zeitgenössischen<br />
Kinderoper Cinderella die große<br />
Bühne des Staatstheaters. Drei Beispiele<br />
ambitionierter Musik- und Theaterpädagogik,<br />
die in England längst Alltag ist, hohen Stellenwert<br />
genießt und entsprechend auch Sponsoren<br />
findet. Und: Theaterpädagogik richtet<br />
sich dort bewusst auch an Erwachsene. Das<br />
Royal <strong>Oper</strong>a House in London etwa beschäf-<br />
offene, aber zugleich gnadenlose Publikum<br />
tigt elf Theaterpädagogen, hat im nahen Thur-<br />
mitzunehmen und ihm zu eröffnen, was<br />
rock ein eigenes Education-Center aufgebaut<br />
Theater in seiner ganzen Vielfalt ist und kann.<br />
und scheut sich nicht vor ungewöhnlichen<br />
Ein hoher Anspruch, der an den Struk-<br />
Aktionen wie ein komplettes Dorf – vom<br />
turen des Apparats <strong>Oper</strong> rüttelt. Schwierig-<br />
Kind bis zum Greis – einzuladen, eine Musikkeiten<br />
beginnen schon bei den Räumen. Die HANS-PETER FRiNGS,<br />
theaterproduktion zu erarbeiten.<br />
Architektur mit großer Bühne, Orchester- JUNGE OPER DORTMUND<br />
Die Arbeit für und mit Kinder(n) hat ein<br />
graben und Publikumssaal für tausend und<br />
neues Genre hervorgebracht. Einen »Unru-<br />
mehr Menschen, die den <strong>Oper</strong>n und dem<br />
heherd und Störenfried, der ständig den<br />
Rezeptionsverhalten des 19. Jahrhunderts entspricht, taugt nicht für gesamten Apparat in Frage stellt«, wie Hans-Peter Frings, neuer Leiter<br />
moderne Kinderproduktionen, die von Nähe, von Interaktion leben der Jungen <strong>Oper</strong> Dortmund, sagt. »Und damit einen fantastischen Ort<br />
und alle Gattungsgrenzen überschreiten. Da werden Musiker zu für Kreativität, von dem beständig Innovation und Impulse ausgehen,<br />
Darstellern auf der Bühne, werden mitunter Instrumente gebraucht, die für das gesamte Theater fruchtbar sein können.«<br />
die die klassische Orchesterbesetzung nicht hergibt, sind Tänzer Für Jens Joneleit etwa, den Komponisten der Kinderoper Schnee-<br />
und Sänger vonnöten, die wie Schauspieler agieren. Kurz: es braucht witte, wäre das überfällig. Er fordert mehr Zeitgenössisches auch auf<br />
Partner über alle Sparten und Institutionen hinweg, neue Spielorte, großen Bühnen: »Da liegt für mich der große Schwachpunkt bei den<br />
kreative Lösungen.<br />
Intendanten und <strong>Oper</strong>ndirektoren, dass sie den Kindern und Jugend-<br />
Immer mehr <strong>Oper</strong>nhäuser stellen sich der Herausforderung. lichen neue <strong>Oper</strong>n zwar erlauben, (…) aber auf ihren großen Bühnen<br />
Schubkraft entwickelt die AG Musiktheater für Kinder, unterstützt von nur auf ›Museum‹ setzen.« Ein Kinder- und Jugendprogramm mache<br />
Assitej, der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und erst Sinn, »wenn es einen Prozess entwickelt, in dem die <strong>Oper</strong>nhäuser<br />
Jugendliche, und dem Kinder- und Jugendtheaterzentrum Deutsch- ihr Repertoire endlich mal erneuern«.<br />
land, die sich 2009 in Mannheim gegründet hat. Und das Netzwerk Ein Anspruch, der der <strong>Oper</strong> <strong>Frankfurt</strong> gleichfalls am Herzen liegt, um<br />
wächst. Von Basel bis Berlin schließen sich immer mehr <strong>Oper</strong>n- und Auseinandersetzung anzustoßen und ein Publikum jenseits der klassi-<br />
Theaterhäuser an, um angesichts allseits knapper Kassen Konzepte, schen <strong>Oper</strong>ngänger anzusprechen: mit unbekannten oder modernen<br />
Erfahrungen und Produktionen auszutauschen, Projekte und Koope- <strong>Oper</strong>n, mit ungewöhnlichen Produktionen wie der Entführung aus<br />
rationen anzustoßen. Das Netzwerk fordert zudem, Theaterpäda- dem Serail in türkisch und deutsch vorige Spielzeit. 2014 / 15 folgt<br />
gogik und Musiktheater fürs junge Publikum als eigene Sparte anzu- eine Produktion für Jugendliche im Bockenheimer Depot – Herausforerkennen,<br />
mit eigenem Budget, und Angebote im Spielbetrieb gleichderung auch für Erwachsene.<br />
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