Evangelium und Glaube - Aktuelles
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<strong>Evangelium</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Glaube</strong><br />
Ausgabe 4<br />
2/2008<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008
<strong>Evangelium</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Glaube</strong><br />
Herausgeber:<br />
Novye Nivy e.V.<br />
&<br />
<strong>Evangelium</strong>s-Christen Gemeinde<br />
Gummersbach-Berstig<br />
Redaktion:<br />
Jakob Löwen<br />
Harry Dusdal<br />
Viktor Löwen<br />
Material <strong>und</strong> Leserpost<br />
richten Sie bitte an:<br />
Novye Nivy<br />
- <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong> -<br />
Postfach 210246<br />
51628 Gummersbach<br />
Germany<br />
Tel. + 49 (0) 2261 55969<br />
Fax + 49 (0) 2261 52516<br />
E-Mail:<br />
novye-nivy@web.de<br />
Wir sind für jede Spende<br />
dankbar:<br />
Novye Nivy<br />
Sparkasse<br />
Gummersbach-Bergneustadt<br />
BLZ 384 500 00<br />
Konto 241182<br />
Ehrenamtliche Mitarbeiter:<br />
Katharina Löwen<br />
Natalie Lutschinski<br />
Text: Irina Fuchs<br />
Lektorat: Brigitta Reimer<br />
Nachrichten: Daniel Löwen<br />
Layout: David Löwen<br />
Versand: Lilli & Waldemar Fritz<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
InhAlt<br />
Predigt:<br />
Christus im Zentrum<br />
Larissa, Sergej, Regina <strong>und</strong> Ilona Graf . . . . . . . . 3<br />
Buch: Das besondere <strong>Evangelium</strong><br />
Ein Jude <strong>und</strong> der Zigeuner-Baron (Kap. 3)<br />
Sagoruiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />
Zeugnis:<br />
Der Same Gottes (Kap. 6-8)<br />
Jakob Löwen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Autobiographie:<br />
dreifach verurteilt (Episode IV-VI)<br />
Joseph Bondarenko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Ratgeber: Baustelle Familie<br />
„heile“ Familie – „kranke“ Familie<br />
Beat Eisenhut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
Kindergeschichte:<br />
Li Jan <strong>und</strong> Oma Hahn (China)<br />
Lilli Fritz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
Dichtkunst:<br />
Jesu Auferstehung<br />
Fabian Reiswich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
Christliche Klassiker der Literatur:<br />
Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha<br />
Friedrich Rückert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
Nachrichten aus aller Welt. . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Nachdenkliches<br />
Ihr lieben Deutschen<br />
Dr. Martin Luther. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Titelbild: Gemeindehaus Berstig in Gummersbach
Christus im<br />
Zentrum<br />
Jesus Christus ist die zentrale Person der<br />
Geschichte. Er zieht die Aufmerksamkeit<br />
der ganzen Welt auf sich. Er war bereits<br />
vor Abraham. Er existierte, bevor alles<br />
erschaffen wurde: „Im Anfang war das<br />
Wort, <strong>und</strong> das Wort war bei Gott, <strong>und</strong> das<br />
Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei<br />
Gott. Alles wurde durch dasselbe, <strong>und</strong><br />
ohne dasselbe wurde auch nicht eines,<br />
das geworden ist“ (Johannes 1,1-3).<br />
Bereits vor seiner Geburt suchten weise<br />
Menschen den Stern von Bethlehem.<br />
Geschichtliche Quellen erzählen, dass<br />
Konfuzius – obwohl ein Heide – ausrief:<br />
„Die neue Religion kommt vom Westen,<br />
wird sich über ganz China verbreiten <strong>und</strong><br />
dringt hindurch bis an solche Orte, an<br />
denen noch nie ein Schiff geankert ist!“<br />
Platon sah das Kommen Christi voraus<br />
<strong>und</strong> berichtete: „Er wird den Anfang wiederherstellen<br />
<strong>und</strong> die Wahrheit vorbildlich<br />
ausleben!“ Sokrates, der Lehrer von Platon,<br />
erläuterte: „Wir müssen so lange warten,<br />
bis einer von Gott kommt, der uns lehren<br />
wird, wie wir vor Gott <strong>und</strong> mit den<br />
Menschen handeln <strong>und</strong> leben sollen.“<br />
Die Bibel eröffnet uns das Wesen Jesu!<br />
Große Propheten kündigten ihn an, <strong>und</strong> die<br />
Menschen warteten sehnsüchtig auf sein<br />
Kommen. Als einer aus der Wüste kam,<br />
vermuteten sie den Messias: „Als aber das<br />
Volk in Erwartung war <strong>und</strong> alle in ihren<br />
Herzen wegen Johannes überlegten, ob<br />
er nicht etwa der Christus sei“ (Lk. 3,15),<br />
muss Johannes eingreifen: „Ich bin nicht<br />
der Christus“ (Joh. 1,20). Johannes bereitete<br />
den Weg des Herrn vor.<br />
Einige kamen um Jesus anzubeten, nur<br />
Wenige brachten ihm Geschenke mit.<br />
Andere versuchten ihn umzubringen.<br />
Die Leute, die Christus hörten, staunten<br />
über seine Weisheit. Überall liefen ihm<br />
die Menschen scharenweise hinterher,<br />
denn sie hatten seine w<strong>und</strong>erbaren Werke<br />
gesehen. Die Volksmenge erlebte, wie er<br />
Kranke heilte, den Blinden das Augenlicht<br />
zurückgab <strong>und</strong> Tote auferweckte. Sie<br />
staunten als sie das alles sahen, denn niemals<br />
zuvor hatte jemand Derartiges zu<br />
Gesicht bekommen. Der Hauptmann am<br />
Kreuz, ein Zeuge von Jesu Tod, bestätigte:<br />
„Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes<br />
Sohn“ (Mk. 15,39).<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
3
Die Diener, die von den Pharisäern gesandt<br />
worden waren um Jesus festzunehmen,<br />
missachteten den Befehl mit der erstaunlichen<br />
Feststellung: „Niemals hat ein<br />
Mensch so geredet wie dieser Mensch“<br />
(Joh. 7,32.44-46). Pilatus <strong>und</strong> sogar Herodes<br />
haben bei ihm keine Schuld gef<strong>und</strong>en<br />
(Lk. 23,14-15).<br />
Jesu Wesen <strong>und</strong> seine Persönlichkeit faszinierten<br />
bedeutende Größen der Weltgeschichte.<br />
Einer von ihnen war Flavius Josephus,<br />
ein kompetenter, hebräischer Historiker,<br />
welcher sein Wissen über den Herrn<br />
Jesus schriftlich festhielt.<br />
Napoleon erläuterte: „Ich glaube, dass<br />
ich das Wesen der Menschen verstehe <strong>und</strong><br />
ich sage euch, dass die Helden der Urzeit<br />
auch Menschen waren wie ich, aber keiner<br />
von uns ist <strong>und</strong> war wie Er. Jesus Christus<br />
war mehr als ein Mensch. Alexander der<br />
Große, Caesar, Karl der Große <strong>und</strong> ich<br />
waren alle Gründer gewaltiger Imperien.<br />
Aber worauf war unser Reich gegründet?<br />
Auf Gewalt! Nur Jesus Christus baute seine<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
Herrschaft auf Liebe <strong>und</strong> bis heute gibt es<br />
Millionen von Menschen, die bereit wären,<br />
für ihn zu sterben.“<br />
Bob Ingersoll, ein ehemaliger Atheist,<br />
sagte: „Gestatten Sie mir zu erläutern,<br />
dass Reinheit, Liebe <strong>und</strong> Vergebung Jesus<br />
entsprechen <strong>und</strong> vor ihm habe ich großen<br />
Respekt <strong>und</strong> ich ehre ihn mit Freuden.“<br />
Jesus - schon als Kind ein Prophet Jesus - mit Zwölf alle überrascht<br />
Christus selbst verfasste keine Schriften.<br />
Nur ein Mal schrieb er etwas in den Sand.<br />
Doch niemand verstand, was das zu bedeuten<br />
hatte. Doch dafür ist viel über Christus<br />
geschrieben worden. Auch in Zukunft<br />
wird noch viel über Jesus verfasst werden<br />
– mehr als über irgendjemand Anderen.<br />
Die Evangelien erzählen uns nichts davon,<br />
dass er eine Schule besucht hätte, aber sie<br />
berichten uns, dass das Volk über sein Wissen<br />
staunte – trotz fehlender Ausbildung.<br />
Jesus ist <strong>und</strong> bleibt unser allwissender Lehrer!<br />
Es gibt keine höhere Idee oder tiefere<br />
Wahrheit, die der Mensch entdeckt hätte,<br />
welche nicht Dinge in sich einschließe, die
Christus schon vor langer Zeit offenbart<br />
hatte. Er selbst hat kein Haus gebaut – <strong>und</strong><br />
trotzdem existieren heutzutage Millionen<br />
von sehr gut gebauten Häusern, um den<br />
Namen Jesu Christi zu verkündigen <strong>und</strong><br />
Gott anzubeten.<br />
In vielen Staaten ist die Gesetzgebung auf<br />
das Gesetz Gottes gegründet. Die größten<br />
Menschen sind die, die es schaffen, die<br />
Prinzipien Jesu Christi in ihrem Leben so<br />
genau wie möglich umzusetzen.<br />
Jesus als Kind<br />
mit der Jesaja-Rolle<br />
Doktor Schaf, ein bekannter Wissenschaftler,<br />
sagte: „Jesus von Nazareth nahm ohne<br />
Waffen <strong>und</strong> Geld Millionen von Menschen<br />
„gefangen“, mehr als Alexander der<br />
Große, Caesar, Mohammed <strong>und</strong> Napoleon<br />
zusammen.“ Ohne irgendeine Wissenschaft<br />
zu studieren, hat er mehr Licht auf<br />
die Menschheit <strong>und</strong> Gott geworfen als alle<br />
Wissenschaftler <strong>und</strong> Philosophen zusammen.<br />
Er sprach Worte des Lebens aus,<br />
welche bisher noch von niemanden benutzt<br />
worden waren. Deren Aussagekraft ist von<br />
solch einer mächtigen Wirkung, wie sie bei<br />
keinem Poeten, Redner oder sonst einer<br />
Person auch nur ansatzweise zu finden ist.<br />
Auch wenn er selbst keine einzige Zeile<br />
niederschrieb, so gab er doch anderen<br />
durch sein Reden die Inspiration große<br />
Werke zu schaffen.<br />
In einem Stall geboren <strong>und</strong> gekreuzigt<br />
zwischen zwei Verbrechern, kontrolliert<br />
er das Geschick der ganzen Welt <strong>und</strong> baut<br />
sein geistliches Imperium auf, welches<br />
sich auf der Erdfläche immer weiter ausbreitet.<br />
Bethaus - weltweit das<br />
meistbesuchte Gebäude<br />
Seit Konfuzius wartet China<br />
auf Jesus<br />
Gottlose Nationen befinden sich im Krieg:<br />
Vergeblich verschwenden sie ihre Kräfte<br />
<strong>und</strong> verweilen in ihren Fehlern. Sie suchen<br />
die Wahrheit überall, nur nicht da, wo sie<br />
zu finden ist – bei Jesus Christus: „Ich bin<br />
der Weg, die Wahrheit <strong>und</strong> das Leben“<br />
(Joh. 14,6).<br />
Augustinus hatte Recht mit dem Ausspruch:<br />
„Unser Herz hat keine Ruhe, bis es<br />
sie in Christus findet.“ – Ja! Die Welt <strong>und</strong><br />
die Menschheit müssen zugeben: Christus<br />
ist im Zentrum!<br />
Autor unbekannt<br />
(Übersetztung: Larissa, Sergej,<br />
Regina <strong>und</strong> Ilona Graf)<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
5
Buch<br />
Das besonDere<br />
evangelium<br />
Ein Jude <strong>und</strong> der Zigeuner-Baron<br />
„Wehe euch, die ihr jetzt lacht! Denn ihr werdet jammern <strong>und</strong> weinen“ – Christus.<br />
„Wer singt, wird weinen. Wer tanzt, wird fallen!“ – Zigeunerweisheit.<br />
Während die Kollegen die Arbeitsgeräte<br />
sortieren sowie die Werkstattecke einrichten,<br />
führt der Baron den Baptisten durch<br />
sein gesamtes Anwesen (mit Ausnahme der<br />
Schatzkammern). Eine ausgiebige Besichtigung.<br />
In jedem Raum hält der Baron inne<br />
<strong>und</strong> erklärt anschaulich <strong>und</strong> ausführlich<br />
seine expliziten Wünsche: Wie die Wände<br />
zu dekorieren, welche Figuren zu gießen,<br />
welche Formen, Skulpturen <strong>und</strong> Verzierungen<br />
zu erstellen sind. Hier ist eine Wand<br />
im osmanischen Stil mit Leder auszukleiden<br />
<strong>und</strong> dort sollen Vorhänge im orientalischen<br />
Stil hängen. Der Baron hat viel Geld <strong>und</strong><br />
André verfügt über besondere Fertigkeiten:<br />
Er ist Künstler, Restaurator, Innenarchitekt.<br />
Als Marz, der Baron, den großen Wohnraum<br />
betritt, den er unbescheiden „Saal“ nennt,<br />
kommt er ins Schwärmen: „Und hier, lieber<br />
Andy, kommen die Antalanten hin, vom<br />
Boden bis zur Decke, so dass ich endlich den<br />
Eindruck gewinne, dass mein Haus nicht einstürzen<br />
kann – trotzt des vielen Reichtums!<br />
Ein erhabener Eindruck! Die Welt wird mich<br />
beneiden! Die Antalanten werden mein Haus<br />
festhalten! Ja!“<br />
Vorsichtig korrigiert André: „Baron, das<br />
heißt Atlanten!“ – „Meinetwegen Adlanden,<br />
was macht das schon?“ Der Baron mag es<br />
nicht, belehrt zu werden. André hält sich diskret<br />
zurück. Sein feines Gehör kombiniert<br />
Sprachniveau mit christlicher Nachsicht.<br />
Das Studieren unzähliger Bücher haben sei-<br />
6 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
Kapitel 3<br />
Sagoruiko<br />
nen Sprachstil über die Jahre veredelt. Die<br />
elende Mixtur vieler Sprachen quälen sein<br />
Gehör: Der Baron spricht ein Kauderwelsch<br />
aus Russisch, Ukrainisch, Romadialekt <strong>und</strong><br />
bruchstückhaft Moldauisch. Nennt man das<br />
nicht „mehrsprachiger Analphabetismus“?<br />
Immer wieder muss sich André zusammenreißen,<br />
um einem Lachanfall zu entgehen,<br />
zu komisch ist die Redensart des Zigeuners.<br />
Andererseits ist es angenehm zu beobachten,<br />
wie selbstsicher ein Mensch wirken<br />
kann, trotz eklatanter Defizite: Marz,<br />
der Baron, ist in seinen eigenen Augen der<br />
Nabel der Welt, der hellste Stern im Universum,<br />
der Reichste, der Klügste – einfach<br />
der Alleswisser, jedenfalls Besserwisser.<br />
Als Richter seiner Romalos ist er von „Gottes<br />
Gnaden“ fehlerfrei. Schließlich ist er der<br />
Fürst des Clans <strong>und</strong> Vaterfigur der gesamten<br />
Roma-Sippschaft – eben der Baron!<br />
Der Tag neigt sich <strong>und</strong> die Romalos sind in<br />
Verlegenheit. Wo sollen die Gäste übernachten?<br />
Alle überlegen, ob André als Ehrengast<br />
ein besonderes Nachtquartier erhalten soll.<br />
Seine beiden Kollegen bekommen den Seitenflügel<br />
im Hauptgebäude.<br />
„Und wo willst du schlafen, Andro? Bei<br />
deinen Kollegen oder separat?“ Der Baron<br />
wirkt fre<strong>und</strong>lich.<br />
„In einem dieser Räume, wo wir mit der<br />
Instandsetzung beginnen.“ Andrè zeigt auf<br />
das Seitengebäude.<br />
„Gott behüte! Bloß nicht! Das Gebäude<br />
steht völlig leer! Nachts darf da keiner rein!
Da hausieren böse Geister! Dieses Gebäude<br />
ist voller Dämonen! Nachts hört man entsetzliches<br />
Heulen! Der Leibhaftige klopft<br />
da mit der Hufe! Auf keinen Fall darfst du<br />
da hinein! Außerdem funktioniert das Licht<br />
nicht! Wenn der Beelzebub seine Fliegen<br />
sammelt, bleibst du lieber im Flügel bei deinen<br />
Kollegen oder sonstwo, aber nicht hier!“<br />
Man muss erwähnen, dass Zigeuner nachts<br />
das Licht nicht ausschalten, bis es wieder<br />
hell wird – aus Furcht vor den Dämonen.<br />
„Schon gut, Marz, lass mich hinein. Besorge<br />
mir eine Matratze <strong>und</strong> Bettzeug, das reicht<br />
schon.“ André nähert sich der „Teufelsbude“,<br />
wie die Romas dieses Seitengebäude<br />
nennen, <strong>und</strong> beabsichtigt gerade die Tür zu<br />
öffnen.<br />
„Bist du wahnsinnig?“ Der Baron greift ein!<br />
Er zieht Andrè zurück! Er will ihn nicht an<br />
den Teufel verlieren!<br />
Das Mitleid eines Zigeuners ist ein unstetig<br />
Ding – die Neugier meldet sich! Ein Christ<br />
in der Teufelsbude?! Die ganze Nacht!<br />
Die Dämonen heulen <strong>und</strong> der Christ, dieser<br />
Jude... Was wird er machen? Neugier<br />
<strong>und</strong> Mitleid – Marz kämpft mit sich... Ja,<br />
die Neugier ist ein seltsam Ding, das ewig<br />
lodert! Wer kann es beherrschen? Schon<br />
Adam <strong>und</strong> Eva ...<br />
Der Baron ergießt sich in Schwärmerei:<br />
„Was wird wohl mit einem Baptisten<br />
passieren, der in der Teufelsbude übernachtet?<br />
Ganz allein? Ohne Licht? Wenn<br />
er das Heulen der Dämonen hört? Und das<br />
dumpfe Stampfen der Hufe? Wenn Satan ihn<br />
packt?“ – Marz kann es einfach nicht übers<br />
Herz bringen, Andrés Bitte nicht zu gestatten.<br />
Natürlich darf André! Zu gern will der<br />
Baron wissen, was heute Nacht passiert. Er<br />
brennt vor Neugier: „Andro, einem Fre<strong>und</strong><br />
gewähre ich jede Bitte! Natürlich darfst du<br />
hier übernachten! Die Matratze ist schon<br />
unterwegs!“<br />
Federbett, Matratze, Kissen, Bezüge –<br />
der Baptist kann alles haben. Nur hineintragen<br />
will es keiner. Von den Romas traut sich<br />
niemand. Das muss Golubenko schon selbst<br />
tun.<br />
Als André die Bettwäsche in die Hände<br />
nimmt, befürchtet der Baron hygienische<br />
Bedenken beim Baptisten: „Alles ist sauber!<br />
Wirklich! Fass mal an! Die Bettwäsche<br />
ist sauber, ohne Läuse <strong>und</strong> Wanzen. Wir<br />
sind Zigeuner ohne Läuse! Wirklich! Die<br />
Läuse sind bei uns alle verhungert. Ehrlich...<br />
Jedenfalls wünsche ich dir eine geruhsame<br />
Nacht. Was auch immer geschieht, ich war<br />
dein bester Fre<strong>und</strong>!“<br />
Das verschmitzte Lächeln verrät die Vorfreude<br />
<strong>und</strong> unbändige Neugier des Barons.<br />
Er wendet sich ab <strong>und</strong> lässt André vor der<br />
„Teufelsbude“ mit der Bettwäsche allein.<br />
Das Gewissen ist beruhigt, er hat ja eine<br />
angenehme Nachtruhe gewünscht. Das<br />
Gegenteil vermutet er.<br />
Rumida, die Frau des Barons, scheint<br />
Mitleid zu haben. Immerhin ist André ein<br />
Ukrainer, ihr „Blutsbruder“: „Der Teufel<br />
wird ihn holen! Wie schade!“<br />
Golubenko nimmt das Bettzeug <strong>und</strong> geht in<br />
das Innere der „Teufelsbude“. Er tastet sich<br />
vor – kein Licht vorhanden –, bis er einen<br />
geeigneten Winkel findet. Hier macht er<br />
es sich bequem. Genau das Richtige. Völlig<br />
ungestört. Er kniet nieder <strong>und</strong> lobt Gott<br />
herzlich für die Gelegenheit, auch in diesem<br />
Arbeitsumfeld unter Zigeunern <strong>und</strong> Kollegen<br />
zurückgezogen beten zu können, wie<br />
Jesus angeordnet hatte: „Du aber, wenn du<br />
betest, geh in dein Kämmerlein <strong>und</strong> schließ<br />
deine Türe zu <strong>und</strong> bete zu deinem Vater, der<br />
im Verborgenen ist; <strong>und</strong> dein Vater, der ins<br />
Verborgene sieht, wird es dir öffentlich vergelten“<br />
(Mt. 6,6).<br />
Nun ist André wieder im Gleichgewicht.<br />
Die Seele beruhigt sich <strong>und</strong> der Geist findet<br />
Frieden in Gott, losgelöst von Welt <strong>und</strong> Alltag,<br />
im Gespräch mit Gott versunken. Ein<br />
Gebet dieser Kraft braucht eine verschlossene<br />
Tür. Voller Dankbarkeit für sich selbst<br />
<strong>und</strong> seine Familie fleht er nun für die Zigeuner<br />
– für Marz, Rumida <strong>und</strong> die Kinder; ein<br />
Gebet der Bitte für den ganzen Romalo-<br />
Clan.<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
7
Es ist auch ein Gebet des Dankes, weil die<br />
Dämonen ihm nichts anhaben können,<br />
obwohl die Hölle diesen Hof förmlich verschlingt.<br />
Es ist die Bitte um Weisheit <strong>und</strong><br />
Verstand, hier die richtigen Entscheidungen<br />
zu treffen. Das Dankgebet schließt sein<br />
Tageswerk ab. Das ist auch der Gr<strong>und</strong>, wieso<br />
André beharrlich darauf bestand, in genau<br />
diesem Gebäude sein Nachtquartier zu finden.<br />
Hier stört ihn keiner – nicht der Baron,<br />
nicht die Kollegen, nicht mal die Dämonen:<br />
Jedenfalls scheint es so! Oder? André<br />
schläft tief <strong>und</strong> fest ... Was nachts passiert,<br />
merkt er nicht.<br />
Schon vor Sonnenaufgang befindet sich der<br />
gesamte Romalo-Clan auf den Beinen. Die<br />
Neugier treibt sie! Alle treffen sich am selben<br />
Ort – vor Andrés Tür am Haupteingang<br />
der „Teufelsbude“: der Baron, seine Frau,<br />
die Kinder, die Bodyguards, die Haushaltshilfen,<br />
der gesamte Clan <strong>und</strong> wer sonst noch<br />
anwesend ist. Keiner wird vermisst. Jeder<br />
will wissen, was mit André passiert ist. Sie<br />
warten ...<br />
Keiner traut sich an der Tür zu klopfen.<br />
Vielleicht schläft André?! Der Hof füllt sich.<br />
So etwas spricht sich herum. Der Informationsfluss<br />
der Zigeuner ist erstaunlich schnell.<br />
Alle blicken zur Tür, durch die gestern der<br />
„Heilige“ ins Gebäude ging. Der Heilige!<br />
Das ist der neue Name für André. Naida,<br />
die Tochter des Barons, hat ihn so genannt.<br />
Wer will da widersprechen? Der Heilige –<br />
lebt er noch? Oder stirbt er schon? Oder ist<br />
er bereits tot? Hat die Hufe zugetreten?<br />
Ipan, der Sohn mit der Peitsche, traut sich<br />
die Treppen hinauf, bis vor die Tür! Die<br />
Peitsche presst er fest in die Hand – für alle<br />
Fälle! Man kann nie wissen, wer da gleich<br />
aus der Türe prescht. Dem Baron ist das Entsetzen<br />
ins Gesicht geschrieben! Alle fürchten<br />
sich! Auch in der Angst ist der Baron<br />
die Triebfeder seines Clans. Schon befürchten<br />
sie, Satan persönlich komme gleich aus<br />
der Tür, den Heiligen im Maul kauend. Und<br />
Ipan steht immer noch da! Bleich vor Angst,<br />
will er den Helden mimen. Immerhin ist er<br />
8 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
der Stammhalter des Barons. Das verpflichtet.<br />
Verwirrt vertauscht er die Sprachen: Er<br />
spricht nicht mehr russisch, so dass Golubenko<br />
ihn verstehen könnte, sondern in seinem<br />
Romadialekt, den nur die Zigeuner<br />
verstehen: „Onkel André! Bist du noch da?<br />
Lebst du noch?“<br />
Keine Reaktion. Die Zigeuner starren wie<br />
gebannt zur Tür. Niemand regt sich. Ipan<br />
setzt nach: „Geht es dir wirklich gut?“<br />
Stille!<br />
Plötzlich hört man Schritte! Aus der Teufelsbude!<br />
Sie werden schneller! Den Zigeunern<br />
stockt der Atem! Die Tür kracht! Jemand<br />
kommt herausgelaufen... Wer ist das? Die<br />
Zigeuner stehen da wie angewurzelt! Ist es<br />
wirklich André? Oder ein Gespenst – mit<br />
Andrés Gesicht!<br />
Als Golubenko die laute Stimme von Ipan<br />
hörte, war er aufgewacht. Das Kauderwelsch<br />
im Romadialekt statt Russisch verstand er<br />
nicht <strong>und</strong> vermutete, ein Unglück sei geschehen.<br />
Da beeilte er sich nach draußen.<br />
André reißt die Tür auf: Gaffende Blicke<br />
gleich dutzendfach! Die Münder weit aufgesperrt!<br />
Die bleichen Zigeuner werden noch<br />
bleicher. Verwirrt fragt André: „Guten Morgen?“<br />
So ein Bild am frühen Morgen kann<br />
einen irritieren! Endlich erinnert sich Andrè<br />
an gestern: Richtig, der Teufel wohne in diesem<br />
Gebäude <strong>und</strong> ich wäre heute eigentlich<br />
tot.<br />
Unglaubliche drei Minuten tuscheln die<br />
Romas miteinander, bis endlich das Haupt<br />
der Sippe – der Baron persönlich – erleichtert<br />
aufschreit: „Seht! Er lebt!“<br />
Rumida, die Frau des Barons, zweifelt:<br />
„Ich sehe, aber ... Ja, ich sehe ... Nein! Vielleicht<br />
hat er einen Pakt mit dem Teufel? Er<br />
ist der Antichrist! Nur die Hörner fehlen ...“<br />
Naida, die Sanfte, ist auch hier wieder<br />
die Klügste: „Nein, Mama, wenn er lebt,<br />
dann ist er wirklich ein heiliger Mann. Satan<br />
fürchtet ihn!“
Wenn Naida spricht, glaubt auch der Baron.<br />
Vorsichtig kommt Marz näher. Behutsam<br />
<strong>und</strong> mit unendlicher Erleichterung klopft er<br />
André auf die Schulter. Er kann es immer<br />
noch nicht fassen. Als wäre André aus den<br />
Klauen des Teufels entflohen, umgibt ihn<br />
nun eine Aura der Unantastbarkeit. Der<br />
Respekt nimmt merklich zu: „Andy, du bist<br />
ein Held <strong>und</strong> wirklich kein Feigling. Du bist<br />
kein Hasenfuß, wie ich behauptet habe. In<br />
dir pulsiert das Blut eines Meisters. Jetzt<br />
weiß ich, dass du mein Fre<strong>und</strong> bist! Komm<br />
mit, ich zeige dir meine geheimen Schätze!“<br />
Marz nimmt André am Arm <strong>und</strong> führt<br />
ihn in sein Hauptgebäude. Hier residiert<br />
der Baron. Hier hortet er sein Vermögen.<br />
Nicht jeder darf die Schatzkammern betreten.<br />
André schon. Er gilt nun als besonderer<br />
Fre<strong>und</strong> der Familie.<br />
Beim Betreten der Räume bekreuzigt sich<br />
der Baron mehrfach. So viele Ikonen. Eine<br />
größer als die andere. Da bekreuzigt man<br />
sich lieber einmal zu viel als zu wenig. Was<br />
der Baron auch fleißig tut. Die Ikonen sind<br />
eingehüllt in ukrainische Tücher im orthodoxen<br />
Stil. An Goldkettchen hängen brennende<br />
Altarlämpchen herab. Neben diesen<br />
„Gottheiten“ hängt griffbereit ein Gewehr.<br />
Die Winchester aus Amerika soll den Gottheiten<br />
wohl Schutz bringen. Die Luft ist<br />
durchsetzt mit Weihrauch <strong>und</strong> sonstigen<br />
weniger definierbaren Gerüchen. Zigeuner<br />
sind dafür bekannt, dass sie gern <strong>und</strong> oft<br />
ausgiebig wohlriechendes Aroma auf ihre<br />
Bodenteppiche sprühen.<br />
Die Zimmer trennen schwere Eisentüren,<br />
vergittert <strong>und</strong> mit Schlössern versehen.<br />
In allen Räumen hängen an der Decke<br />
überdimensionale, an dicken Ketten befestigte<br />
Kronleuchter aus Kristall, Porzellan<br />
<strong>und</strong> Gold. Der Kronleuchter im Schlafzimmer<br />
ist besonders elegant mit Rubinen <strong>und</strong><br />
anderen Edelsteinen gearbeitet. Die Fenster<br />
sind alle vergittert. Um den Eindruck eines<br />
Gefängnisses zu vermeiden, sind die Gitterstäbe<br />
mit Blattgold überzogen. An allen<br />
Fensterrahmen <strong>und</strong> Türpfosten sind Kreuzsymbole<br />
in Kerzenruß gezeichnet.<br />
Erlesene Möbel in allen Räumen – antik<br />
<strong>und</strong> handgefertigt – lassen den Reichtum<br />
eines Antiquariats erahnen. Sie stehen da<br />
ohne Geschmack, einfach nur angesammelt.<br />
André ist verblüfft! Selbst Meißener Porzellan<br />
ist hier zu finden. Schätze, die sich auf<br />
rätselhafte Weise im Versteck dieses geizigen<br />
Glücksritters verirrten. Jedes Museum wäre<br />
stolz auf diese kulturellen Schätze. In einem<br />
der vielen Räume ist eine ganze Sammlung<br />
altehrwürdiger Waffen – der besondere Stolz<br />
des Barons: „Das alles, Jude, haben fre<strong>und</strong>liche<br />
Menschen mir geschenkt. Man sagt,<br />
man habe es in Schlössern gef<strong>und</strong>en. Diese<br />
Schätze wirst du nirgends mehr finden.“<br />
„Das glaub’ ich dir aufs Wort!“<br />
„Diese Dinge zeige ich nicht jedem. Nur<br />
Personen, denen ich vertraue. Was sagst<br />
du nun: Habe ich König Salomo eingeholt?<br />
Oder muss ich noch einige Schlösser<br />
<strong>und</strong> Museen besuchen? – Ich habe Geld im<br />
Überfluss. In Goldreserven kann sich keiner<br />
mit mir messen! – Eher sterbe ich!“ Die<br />
Beschwörungsformel spricht er mit solch<br />
einer Versessenheit aus, dass er sich dabei<br />
inbrünstig bekreuzigt.<br />
Um seine Aussage zu bestätigen, kramt<br />
er Silberschatullen hervor, voll mit Juwelen.<br />
Dann erscheinen diverse in Perlenetuis<br />
gehaltene Münzsammlungen, alles in Gold:<br />
Russische Zehnrubelmünzen <strong>und</strong> amerikanische<br />
Dollar aus dem 9. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
„Siehst du, Jude, selbst Zar Nikolaus ist bei<br />
mir Zuhause!“ – Der Anblick seines Reichtums<br />
versetzt den Baron in ekstatische<br />
Zustände. Seine Augen blinzeln, der Puls<br />
erhöht sich <strong>und</strong> das Gesicht färbt sich rot:<br />
„Meins! Meins!“ Der Zigeuner definiert sich<br />
einzig <strong>und</strong> allein über seinen Reichtum.<br />
André ist bestürzt! Zum ersten Mal im<br />
Leben sieht er unermesslichen Reichtum in<br />
der Hand einer einzigen Person. Jedes dieser<br />
Schätze erzählt eine grausame Geschichte.<br />
Wie viel Blut klebt an diesem Reichtum?<br />
Wie viel kriminelle Energie steckt in diesem<br />
Baron: Schmuggel, Gewalt, Diebstahl, Mord.<br />
Ti merav tse – Beschwörungsformel<br />
russisch: червонцы<br />
3 als Prägung auf den Goldmünzen<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
9
André betrachtet diese Güter mit den Augen<br />
des <strong>Evangelium</strong>s: In den silbernen Schatullen<br />
befindet sich nicht Gold, sondern Blut<br />
in großen Mengen, welches über den Rand<br />
fließt. Das wertvolle Porzellan ist gefüllt<br />
mit unzähligen Tränen von unschuldigen<br />
Opfern. Die vielen Musikinstrumente, alle<br />
kunstvoll verziert, geben nur Laute von<br />
menschlichem Schmerz wieder.<br />
André packt der Schrecken; Furcht umgibt<br />
ihn; er kann nicht nachdenken; ein Bild<br />
drängt sich auf: Der ganze Komplex riecht<br />
nach Blut. Blutsaufende Zigeuner, wild <strong>und</strong><br />
unbeherrscht, animiert von im Kreise springenden<br />
Bacchanten, tanzend um das Lagerfeuer<br />
bis in die Trance hinein; im Rhythmus<br />
kreischende Zigeuner, begleitet von Trommel<br />
<strong>und</strong> Geige …<br />
Unerwartet schreit Marz den Baptisten wieder<br />
in den Wachzustand: „Was ist los, Jude?<br />
Hat es dir die Sprache verschlagen? Sag<br />
was! Ich mag es nicht, wenn du schweigst!“<br />
Gerade in diesem Augenblick denkt André<br />
über die Unmöglichkeit nach, dieser<br />
unglücklichen Seele den wahren Reichtum<br />
in Christus nahezubringen. Hoffnungslos<br />
resigniert er: „Wie schwer werden die Reichen<br />
ins Reich Gottes eingehen! Denn es ist<br />
leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr<br />
geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes<br />
kommt (Lk. 18,24-25). Marz, dich quält<br />
eine Barriere, hart wie Granit, die dir den<br />
Weg zu Gott versperrt. Und sollte der Tag<br />
kommen, dass du wie der verlorene Sohn<br />
nach Gott suchst, wirst du zuerst all deinen<br />
Reichtum an die Armen verteilen müssen.<br />
Vielleicht wirst du dabei Tränen in<br />
den Augen haben, aber dieser Reichtum ist<br />
unehrlich erworben, er gehört dir nicht.“<br />
Das ist zuviel für den Baron. Seine Nerven<br />
platzen. Marz erwartet von André Worte<br />
der Anerkennung, wie es alle bisher getan<br />
haben, denen er erlaubt hatte, seine Reich-<br />
4 von Bacchus (Dionysos), Gott des Weines:<br />
Dämonen, die im Kreis tanzend zum Rausch animieren.<br />
0 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
tümer zu bew<strong>und</strong>ern. Statt dessen muss er<br />
sich Kritik anhören. Schon wieder! Unerhört!<br />
Nicht ehrlich erworbener Reichtum!<br />
Ein Kamel durch ein Nadelöhr!<br />
Wutentbrannt packt er André mit einer<br />
Hand, quetscht förmlich das ganze Hemd in<br />
einer Faust zusammen <strong>und</strong> zerrt ihn mit aller<br />
Wucht gegen die Kommode, die hinten an<br />
der Wand steht. Das kostbare Geschirr klirrt<br />
<strong>und</strong> André verliert sein Gleichgewicht …<br />
Der Baron explodiert: „Ich bring‘ dich um!<br />
Baptist! Wie kann man so ein hirnrissiges<br />
Zeug labern? Ich hasse dich! Ich hasse die<br />
Christen! Ihr opfert eure Kinder! Ich weiß<br />
es! Ihr Antichristen! Ich werd’s dir zeigen …<br />
Eher kommt ein Kamel … DU bist das<br />
Kamel! Weil du deinem Fre<strong>und</strong> ins Gesicht<br />
spuckst! Du rotzendes Kamel! Ich habe dir<br />
erlaubt meinen Reichtum zu sehen <strong>und</strong> habe<br />
versucht, dich als Fre<strong>und</strong> zu gewinnen! Du<br />
Rotzer!“<br />
Marz ist außer sich: „Weißt du überhaupt,<br />
wie viele Künstler sich hier beworben<br />
haben? Ich habe sie alle zum Teufel …<br />
Dir allein habe ich erlaubt, mein Haus zu<br />
betreten! Dich allein habe ich akzeptiert!<br />
D-i-c-h!!!“<br />
Der Baron ist wütend <strong>und</strong> enttäuscht: „Du<br />
glatzköpfige Judenbrut, ich weiß alles über<br />
dich, alles! Noch bevor ich dein Atelier<br />
betreten habe, habe ich alles über dich erfahren!<br />
Ja, selbst deine Essgewohnheiten kenne<br />
ich! Und du … Eher kommt ein Kamel …“<br />
Nun wird er übermütig: „Wer hat das Recht,<br />
einen Baro wie mich zu demütigen?! Wer?<br />
Niemand! Eher lasse ich mich in Tausend<br />
Stücke reißen, als dass ich meine Knie<br />
beuge <strong>und</strong> Gott anbete! Eher sterbe ich!“<br />
André beeilt sich zum Ausgang, da der Zorn<br />
des Zigeuners kein Ende findet. Während er<br />
zum Auto geht – ohne Worte <strong>und</strong> zielstrebig<br />
– bringt er sein Hemd wieder in Ordnung.<br />
5 Ti merav tse.
Das Auto ist nicht da. Die beiden Kollegen<br />
sind unterwegs, fehlende Sachen für die<br />
doch recht umfangreichen Renovierungen<br />
<strong>und</strong> Verzierungen des Gebäudekomplexes<br />
zu besorgen.<br />
Grimmig geht der Baron in sein Büro. Einsam<br />
<strong>und</strong> verlassen bleibt André draußen stehen.<br />
Etwas orientierungslos überlegt er, was<br />
zu tun sei. Er beschließt, den Auftrag des<br />
Barons möglichst schnell zu erfüllen <strong>und</strong><br />
diesen Ort für immer zu verlassen. Bis zur<br />
Wiederkehr der Kollegen beschäftigt er sich<br />
mit Details der Zeichnungen.<br />
Naida, die Tochter des Barons, hat alles<br />
gesehen. Sie ist nun bemüht, das Verhältnis<br />
zwischen ihrem Vater <strong>und</strong> ihrem „Onkel“,<br />
den sie liebgewonnen hat, wieder herzustellen.<br />
Um die hitzige Atmosphäre abzukühlen,<br />
lenkt sie Golubenko von den Zeichnungen<br />
ab: „Onkel André, darf ich Ihnen behilflich<br />
sein? Ich könnte die einfachen Dinge<br />
machen. Das würde Zeit sparen. Bestimmte<br />
Formen könnte ich modellieren. Ich habe<br />
mich schon immer dafür interessiert!“<br />
„Das freut mich, dass du an der Verschönerung<br />
deines Hauses interessiert bist. Das<br />
Gipsgießen könnte dir gefallen. Das geht<br />
recht einfach: Bis zur Hälfte füllen wir<br />
Wasser in die Gipswanne, danach schütten<br />
wir das Gipspulver hinein. Sehr gründlich<br />
mischen. Den Teig gießen wir in die<br />
gewünschten Zierformen, die wir vorher mit<br />
Öl einfetten.“<br />
„Ach, das Fett verhindert das Festkleben,<br />
richtig?“<br />
„Naida, du bist ein kluges Mädchen, zudem<br />
noch fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> hilfsbereit … Sobald<br />
die Oberfläche matt wird, entfernen wir das<br />
Überschüssige mit einem Spachtel. Sobald<br />
sich der Gips erwärmt, werden wir ihn<br />
abbinden, d.h. aus der Form nehmen. Versuch<br />
es mal, ich werde assistieren.“<br />
Naida hat noch nicht richtig angefangen,<br />
schon haben sich alle Kinder im Hof um sie<br />
geschart. Zu selten der Anblick, dass ein<br />
Zigeuner arbeitet, dazu noch ein Mädchen,<br />
auch noch die Tochter des Barons. Es dauert<br />
keine 0 Minuten <strong>und</strong> Naida hat ihre erste<br />
Form fertig – eine Rose für den großen Saalspiegel.<br />
Alle bew<strong>und</strong>ern Naida! Eine wahre<br />
Meisterin! Auch André ist stolz auf sie!<br />
Naida ist fasziniert: „Alles, was mit Rosen<br />
zu tun hat, werde ich gießen. Für das Kleben<br />
an der richtigen Position sind aber Sie<br />
zuständig, Onkel André!“<br />
Der Baron schaut aus sicherer Entfernung<br />
zu. Er ist es nicht gewohnt, allzulange<br />
schweigen zu müssen. Die Welt ist nur heile,<br />
wenn er das Sagen hat. Als Haupt der Romalos<br />
will er gefragt werden. Er wendet sich an<br />
Naida, seiner Tochter: „Nimm dem Juden<br />
die Arbeit nicht weg. Wenn er nichts zu tun<br />
hat, kriegt er auch kein Geld. In Gips suhlen<br />
ist nichts für eine Prinzessin. Lass das!<br />
Unser Clan hat andere Mittel, Geld zu verdienen.<br />
Du solltest langsam lernen, andere<br />
Rosen zu pflücken, etwa solche wie deine<br />
Mutter sie findet. Es gibt genug unvorsichtige<br />
Touristen <strong>und</strong> damit Rosen für uns alle.<br />
Das ist echte Arbeit! Ein wirkliches Handwerk!<br />
Das musst du beherrschen! Sonst<br />
wirst du noch betteln gehen …“<br />
„Vati, es ist nicht leicht, dich zu verstehen!<br />
Wie oft hast du mir versichert, dass<br />
du so viele Güter besitzt, dass selbst meine<br />
Urenkel im Wohlstand leben werden. Jetzt<br />
arbeite ich <strong>und</strong> du drohst mir, dass ich betteln<br />
müsse. Hast du nicht gesagt, dass selbst<br />
die Volksvertreter hier vor Ort keine Nobelkarossen<br />
fahren würden, sondern Schafe<br />
hüten, wenn es nicht diese verkommene<br />
Regierung in Moskau gäbe, die ihnen diese<br />
Privilegien ermöglicht? Sie könnten sich<br />
sonst als Hirten bei uns verdingen. Soviel<br />
Reichtum <strong>und</strong> Macht hast du! Warum sollte<br />
ich also irgendwann betteln müssen, Vati?“<br />
„Da hast du wieder recht, mein Herzblatt!<br />
Mach weiter …“ Der Baron liebt seine Tochter<br />
über alles.<br />
Fortsetzung folgt …<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008
Zeugnis<br />
in der<br />
glühenden Sonne<br />
In einer Kfz-Werkstatt der Sowchose in Lettland,<br />
wo ich als Kfz-Mechaniker gearbeitet<br />
habe, gab es regelmäßig Besuch vom Chef-<br />
Agronomen der Sowchose. Der Anlass war<br />
immer der gleiche – kommunistische Propaganda:<br />
– „Na, Jakob, du glaubst doch nicht etwa<br />
immer noch an Gott? Nur die Dummen glauben!“<br />
– „Was auch immer Sie sagen, Genosse Agronom,<br />
ich glaube an Gott!“<br />
– „Kein normaler Mensch tut das!“ witzelte<br />
er <strong>und</strong> verließ die Werkstatt bis zur nächsten<br />
Gelegenheit.<br />
Eines Tages kam es ganz anders:<br />
– „Und? Glaubst du immer noch?“<br />
– „Immer noch!“<br />
– „Wart’s ab! Es dauert nicht mehr lange <strong>und</strong><br />
du wirst freiwillig auf den <strong>Glaube</strong>n verzichten!“<br />
– „Ganz sicher nicht!“<br />
– „Im Zeitalter der aufgeklärten Gesellschaft<br />
glaubt niemand freiwillig an Gott! Ein wahrer<br />
Kommunist braucht keinen Gott!“<br />
– „Wieso nicht?“<br />
– „Schau mich an! So sieht Karriere aus!<br />
Meinst du etwa, ich kenne den christlichen<br />
<strong>Glaube</strong>n nicht? Ich war auch mal Pastor in<br />
einer Gemeinde, ich habe getauft, getraut <strong>und</strong><br />
auch beerdigt. Wegen meiner christlichen<br />
Überzeugung bin ich dreimal zum Spießrutenlaufen<br />
verurteilt worden. Ich bin entsetzlich<br />
verprügelt worden. Einmal stand ich vor dem<br />
Erschießungskommando. Da habe ich endlich<br />
begriffen, worauf es ankommt. Ich habe Gott<br />
verleugnet <strong>und</strong> die Erlaubnis erhalten, mich<br />
weiterbilden zu dürfen. Nach dem Hochschul-<br />
Ein Gebiet von ca. 750 km² an der Gauja, etwa<br />
die Größe Hamburgs; mit riesigem Viehbestand.<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
Kapitel 6: Der Bock zur Linken Jesu<br />
Jakob Löwen<br />
studium bin ich nun der hauptverantwortliche<br />
Agronom in dieser riesigen Sowchose von<br />
über 700 km². Das nenne ich Karriere!“<br />
Mit stolzer Brust steht er da. Sein Blick bohrt<br />
sich in mich hinein. Da höre ich tief in mir die<br />
Stimme des Heiligen Geistes. Wie Jesus verheißen<br />
hat, gibt der Heilige Geist die richtigen<br />
Worte für die passende Antwort (Lukas 12,12:<br />
„Denn der Heilige Geist wird euch in jener<br />
St<strong>und</strong>e lehren, was ihr sagen sollt“). Ich blicke<br />
dem Lästerer in die Augen <strong>und</strong> sage, was ich<br />
vom Heiligen Geist höre: „Sie, Genosse Chef-<br />
Agronom, sind ein Bock!“<br />
Da habe ich ins Schwarze getroffen: Die Schamesröte<br />
schießt ihm ins Gesicht. Die Augen<br />
weiten sich. Die Arbeitskollegen um mich<br />
herum halten den Atem an. Totenstille. Kritik<br />
in der Sowjetunion heißt nichts Gutes.<br />
Ich setze nach: „Der Herr wird Sie zur linken<br />
Seite schieben. Das ist der Platz für die Böcke.<br />
Gott hat Ihnen das Amt des Pastors anvertraut.<br />
Sie waren berechtigt, die Herde Gottes<br />
zu hüten. Aber Ihnen ist ein Fehler unterlaufen.<br />
Sie waren nicht bereit, die geheime Sünde<br />
zu bekennen <strong>und</strong> zu offenbaren, <strong>und</strong> so ist das<br />
Geheime gewachsen, immer größer <strong>und</strong> größer,<br />
bis Sie nicht mehr Herr der Lage waren.<br />
Und da ist es passiert: Sie haben die gesamte<br />
Herde in den Abgr<strong>und</strong> gestürzt, die Gemeinde<br />
dem Verderben überlassen. Die Herde hat<br />
sich aufgelöst. Von Ihnen wird Rechenschaft<br />
verlangt werden – nicht nur für Ihre eigene<br />
Seele, sondern auch für die Seelen der ganzen<br />
Gemeinde. Sie werden zur Linken stehen, verurteilt<br />
zur ewigen Verdammnis!“<br />
Die Augen des Agronoms werden feucht.<br />
Ohne Worte <strong>und</strong> mit gesenktem Haupt dreht
Der Same Gottes in der glühenden Sonne<br />
er sich traurig um <strong>und</strong> geht schweigend hinaus.<br />
Die Arbeitskollegen schauen betroffen<br />
hinterher. Das war das letzte Mal, dass ich ihn<br />
gesehen habe.<br />
Als Botschafter an Christi statt reden wir in<br />
der Vollmacht des Heiligen Geistes. Da ist der<br />
gesellschaftliche Rang unbedeutend. Auch<br />
als einfacher Kfz-Mechaniker kann ich auf<br />
die Stimme des Heiligen Geistes hören. Der<br />
Chef-Agronom ging in den Spuren des Verräters<br />
Judas. Er übte Verrat am himmlischen<br />
Bürgerrecht. Die Böcke zählen sich zur Herde<br />
<strong>und</strong> setzen sich gegen die Schafe durch. Jesus<br />
wird aber nach Matthäus die Böcke von<br />
den Schafen trennen – die Schafe zur Rechten<br />
<strong>und</strong> die Böcke zur Linken. Dann ist es mit<br />
dem Zugehörigkeitsgefühl vorbei.<br />
Matthäus 25,31-46:<br />
31 Wenn aber der Sohn des Menschen in seiner<br />
Herrlichkeit kommen wird <strong>und</strong> alle heiligen<br />
Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf<br />
dem Thron seiner Herrlichkeit,<br />
Die Kfz-Werkstatt der Sowchose<br />
Zum Geheimtreff des Kirchenrats 97 versammelten<br />
wir uns bei Christen in einem mehrstöckigen<br />
Haus in Moskau. Nicht alle waren<br />
pünktlich, da die leitenden Brüder aus allen<br />
Republiken der riesigen Sowjetunion anreisten<br />
<strong>und</strong> die Verkehrsverbindungen – außer<br />
in Moskau – sehr zu wünschen übrig ließen.<br />
Kapitel 7: Ein Koffer voller Geld!<br />
32 <strong>und</strong> vor ihm werden alle Völker versammelt<br />
werden. Und er wird sie voneinander scheiden,<br />
wie ein Hirte die Schafe von den Böcken<br />
scheidet.<br />
33 Und er wird die Schafe zu seiner Rechten<br />
stellen, die Böcke aber zu seiner Linken.<br />
34 Dann wird der König denen zu seiner Rechten<br />
sagen: Kommt her, ihr Gesegneten meines<br />
Vaters, <strong>und</strong> erbt das Reich, das euch bereitet<br />
ist seit Gr<strong>und</strong>legung der Welt!<br />
35 Denn mich hungerte, <strong>und</strong> ihr gabt mir zu<br />
essen; mich dürstete, <strong>und</strong> ihr ...<br />
41 Dann wird er auch denen zur Linken sagen:<br />
Geht hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das<br />
ewige Feuer, das dem Teufel <strong>und</strong> seinen Engeln<br />
bereitet ist!<br />
42 Denn ich bin hungrig gewesen, <strong>und</strong> ihr<br />
habt mich nicht gespeist; ich bin durstig gewesen,<br />
<strong>und</strong> ihr habt mich nicht getränkt;<br />
43 ich bin ein Fremdling gewesen, <strong>und</strong> ihr habt<br />
mich nicht beherbergt; entblößt, <strong>und</strong> ihr habt<br />
mich nicht bekleidet; krank <strong>und</strong> gefangen, <strong>und</strong><br />
ihr habt mich nicht besucht!<br />
44 Dann werden auch<br />
sie ihm antworten <strong>und</strong><br />
sagen: Herr, wann haben<br />
wir dich hungrig oder<br />
durstig oder als Fremdling<br />
oder entblößt oder<br />
krank oder gefangen<br />
gesehen <strong>und</strong> haben dir<br />
nicht gedient?<br />
45 Dann wird er ihnen<br />
antworten: Wahrlich, ich<br />
sage euch: Was ihr nicht<br />
getan habt einem dieser<br />
Geringsten, das habt ihr<br />
mir auch nicht getan!<br />
46 Und sie werden in die<br />
ewige Strafe gehen, die<br />
Gerechten aber in das<br />
ewige Leben.<br />
Ich war verantwortlich für den Koffer mit dem<br />
Geld für die Witwen, Waisen <strong>und</strong> Familien der<br />
inhaftierten Brüder. In der Ferne heulten Polizeisirenen<br />
– in einer großen Stadt wie Moskau<br />
nichts Ungewöhnliches. Schwere Schritte<br />
im Treppenhaus irritierten uns. Hartes Klopfen<br />
an der Tür – wir saßen in der Falle:<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
3
Der Same Gottes in der glühenden Sonne<br />
„Aufmachen! Polizei!“ Führte die russische<br />
Miliz eine Razzia bei Kriminellen durch, dann<br />
gingen die Beamten recht zaghaft vor. Ganz<br />
anders bei einer Razzia unter Christen. Die<br />
Miliz-Beamten wussten, dass Christen keinen<br />
Widerstand leisten, also spielten sie sich<br />
auf. Wahre Helden! So auch hier: Wir waren<br />
nur 0 Christen, aber die Miliz kam mit einem<br />
Einsatzkommando von 0 Mann, alle schwer<br />
bewaffnet. Sie führten uns in den Hof <strong>und</strong><br />
sperrten uns teilweise einzeln in ihre Fahrzeuge.<br />
Der Volksm<strong>und</strong> nannte diese Autos die<br />
„schwarzen Krähen“.<br />
Durch Schnee <strong>und</strong> Matsch fuhren sie uns nun<br />
quer durch Moskau – wie ein Triumphzug –<br />
bis zum Hauptquartier. Zum Verhör verteilten<br />
sie uns zu je Personen pro Dienstzimmer.<br />
Die zweite Person neben mir war Bruder<br />
Pawlov aus dem Gebiet Kaukasus. Wir beide<br />
wurden ins Hauptbüro geführt. Am Pult saß<br />
der Polizeimajor in Zivil.<br />
Den Koffer mit dem Geld hatte man konfisziert<br />
<strong>und</strong> ungeöffnet in die Mitte des Raumes<br />
auf den Boden gestellt. Noch wusste die Miliz<br />
nicht, dass Geld im Koffer war. Viele Familien<br />
waren ohne regelmäßige Einkünfte, weil der<br />
Ehemann bzw. Vater im Gefängnis saß (für<br />
den christlichen <strong>Glaube</strong>n gab es nicht selten<br />
Freiheitsstrafen von 0, oder gar 0 Jahren).<br />
Wir sammelten regelmäßig Geld in unseren<br />
Gemeinden <strong>und</strong> verteilten es je nach Bedarf<br />
an diese Familien. Nun stand der Koffer greifbar<br />
nahe, aber nicht mehr in meiner Gewalt.<br />
Die Existenz der Familien, die auf Hilfe angewiesen<br />
waren, war ernsthaft bedroht, ganz zu<br />
schweigen von unserer eigenen Zukunft. Wir<br />
waren gefangen. Beweise der Anklage waren<br />
schnell gef<strong>und</strong>en: Allein die Taschenbibel in<br />
Ledereinband, die bei Bruder Pawlov entdeckt<br />
worden war, genügte als Anklagepunkt. Uns<br />
drohte eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Wir<br />
legten unser gesamtes Vertrauen in den Willen<br />
des Herrn.<br />
Der Major forderte Bruder Pawlov auf, sich<br />
von mir zu distanzieren. Er solle beiseite treten,<br />
an der Wand stehen bleiben <strong>und</strong> bis auf<br />
Weiteres die Klappe halten. Dann richtete er<br />
sich im Befehlston an mich:<br />
– „Sie wissen, wer ich bin?“ Das Verhör began.<br />
– „Nein.“<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
– „Ich bin Offizier im Dienste der sowjetischen<br />
Regierung!“ Totenstille. Schweigend blickten<br />
wir uns an. Der Major setzte sich.<br />
Die Kraft des Heiligen Geistes erfüllte<br />
mich <strong>und</strong> ich fing an zu reden: „Und Sie? Wissen<br />
Sie, vor wem Sie die Ehre haben, sitzen<br />
bleiben zu dürfen?“<br />
– „Nein!“<br />
– „Wir sind Botschafter des Himmels auf<br />
Erden <strong>und</strong> sind von Gott bestimmt, in Ihrem<br />
Land den Menschen zu dienen!“<br />
Der Major stutzte! Der Heilige Geist ließ<br />
mich weiter reden: „Und denken Sie daran:<br />
Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Das sind<br />
natürlich wir!“<br />
Das Interesse des Majors war geweckt; die<br />
Diskussion began. (Interna über die Gemeinde<br />
bzw. Angelegenheiten der Untergr<strong>und</strong>kirche<br />
klammerten wir aus.) Das Gespräch konzentrierte<br />
sich auf das Thema „Gott <strong>und</strong> der Staat“.<br />
Der Major fokussierte sich auf die Fragen der<br />
göttlichen Justiz. Nach eingehendem Dialog<br />
über das Gesetz Gottes in der Schrift <strong>und</strong> in<br />
der Natur, kam der Major schließlich zur sowjetischen<br />
Realität: „Meinen Sie, wir haben eine<br />
ausreichende Gerechtigkeit in der Justiz?“<br />
– „Nein, ausdrücklich nein! Gerechtigkeit gibt<br />
es nur bei Gott!“<br />
– „Beweisen Sie es!“<br />
– „Die Verfassung in der Sowjetunion ist von<br />
der Schriftform her gut. Nicht ohne Gr<strong>und</strong><br />
präsentiert ihr das Gesetz als Errungenschaft<br />
vor der ganzen Welt, ergänzt durch Kommentare<br />
für das eigene Volk. Das Gesetz garantiert<br />
Rede- <strong>und</strong> Gewissensfreiheit, Presse- <strong>und</strong><br />
Demonstrationsfreiheit. Wie Sie wissen, gelten<br />
diese Freiheiten nicht für alle Bürger des<br />
glorreichen Kommunismus. Im realen Leben<br />
gelten sie nicht für Menschen, die an Gott<br />
glauben. Warum?“<br />
Der Major wich aus: „... <strong>und</strong> wie ist es mit Mord?<br />
Ein gerechter Gott muss Mord auf gerechte<br />
Weise ahnden. Ist Vergebung gerecht?“<br />
– „Wenn Gott vergibt, dann ist es gerecht! Gott<br />
vergibt, wenn sich der Mensch mit ihm versöhnt!<br />
Dann kann auch Mord vergeben werden!“<br />
– „Und das nennen Sie Gerechtigkeit?“<br />
– „Ja!“<br />
– „Beweisen Sie es!“<br />
– „Gut: Ein Fahrgast fährt schwarz mit dem<br />
Bus. Das Ticket kostet Kopeken. Wie ahn-
Der Same Gottes in der glühenden Sonne<br />
den Sie diesen Vorfall?“<br />
– „Fürs Schwarzfahren gibt es Rubel Bußgeld!“<br />
– „Schön! Sie multiplizieren das Ticket im<br />
Wert von Kopeken mit 0, um auf Rubel<br />
zu kommen. Ein Vergehen von Kopeken<br />
zieht also eine 0fache Strafe nach sich. Das<br />
nennen Sie gerecht?“<br />
– „Ja, natürlich! Die Strafe ist angemessen.“<br />
– „Und wenn ein Mensch einen Menschen<br />
umbringt, vielleicht sogar mehrere. Welches<br />
Strafmaß kommt da in Frage?“<br />
– „Die Höchststrafe – Tod durch Erschießen!“<br />
– „Und das nennen Sie gerecht?“<br />
– „Ganz sicher! Das ist vollkommen gerecht!“<br />
– „Ganz sicher nicht! Das Verhältnis zwischen<br />
dem Delikt <strong>und</strong> der Strafe stimmt nicht mehr!“<br />
– „Wieso nicht?“<br />
– „Fürs Schwarzfahren gibt es eine vielfache<br />
Bestrafung, nämlich 0fach, aber für<br />
Mord nur eine einfache – Erschießung! Ist<br />
das gerecht? Kann man den Tod mit dem Tod<br />
bestrafen? Und vielleicht hat der Mörder das<br />
Opfer nicht nur ermordet, sondern gequält?<br />
Und in der Regel tötet der Böse den Guten. Ist<br />
das gerecht? Die Mutter beweint ihr Kind, die<br />
Witwe ihren Mann, die Kinder bleiben ohne<br />
Vater! Ist das gerecht?“<br />
– „Das ist ärgerlich …“<br />
– „Ja, je gräulicher die Straftat, umso gnädiger<br />
das Urteil – fatal! Und was ist mit Verbrechern<br />
wie Hitler <strong>und</strong> Stalin? Welches Gericht in der<br />
Welt kann das auf gerechte Weise bestrafen?“<br />
– „Das ist wirklich ärgerlich! Man kann nichts<br />
tun!“<br />
– „Weil die Welt ungerecht ist, hat der gerechte<br />
Gott seinen Sohn gesandt, um unsere Ungerechtigkeit<br />
auf sich zu nehmen, damit wir leben<br />
können. Jesus ist das Lamm Gottes! Durch<br />
sein Blut ist jeder, der glaubt, gerechtfertigt.<br />
Ja, selbst Mörder! Der Schächer am Kreuz war<br />
ein Mörder; er glaubte <strong>und</strong> das genügte. Gott<br />
allein hat Gerechtigkeit. Für uns ist es unbegreiflich,<br />
aber Gott ist fähig, jeden angemessen<br />
zu belohnen <strong>und</strong> zu bestrafen. Das Jüngste<br />
Gericht wird es offenbaren. Gott kann auch<br />
freisprechen – durch das Blut Jesu. Freispruch<br />
ist möglich! Selbst bei Mord!“<br />
Der Major erhob sich. Er nam die Taschenbibel<br />
in Ledereinband, die er vorher hatte konfiszieren<br />
lassen, <strong>und</strong> drückte sie mit Wehmut<br />
in meine Hand: „Wie gern hätte ich selbst<br />
dieses Buch gelesen. Aber ich kann mir nirgends<br />
eine Bibel kaufen.“<br />
– „Ja, die Bibel ist sehr teuer!“<br />
– „Ich würde jeden Preis bezahlen, um eine<br />
eigene Bibel zu haben.“<br />
– „Mit „teuer“ meine ich nicht die finanziellen<br />
Kosten, sondern den Inhalt. Wir haben von<br />
Gott die frohe Botschaft kostenlos erhalten,<br />
wir geben diese frohe Botschaft auch kostenlos<br />
weiter. Der Inhalt ist zu kostbar, um ungenutzt<br />
vergeudet zu bleiben.“<br />
Pawlov stand schon neben mir <strong>und</strong> flüsterte mir<br />
ins Ohr: „Schenke sie ihm, schenke sie ihm!“<br />
– „Genosse Polizeimajor, wir schenken Ihnen<br />
dieses kostbare Buch!“<br />
Er konnte sein Glück kaum fassen. Er hielt<br />
die Bibel mit zitternden Händen. Er sprang<br />
förmlich zu seinem Pult, um die Schublade zu<br />
öffnen <strong>und</strong> das Heilige Buch behutsam hineinzulegen.<br />
Anschließend verschloss er das<br />
Pult mit einem Spezialschlüssel. Dabei zeigte<br />
er kopfnickend zum Koffer: „Könnt ihr wieder<br />
mitnehmen!“ Der Koffer blieb ungeöffnet.<br />
Welch eine Gebetserhörung für die Witwen<br />
<strong>und</strong> Waisen sowie die bedürftigen Familien!<br />
Beim Abschied reichte er mir die Hand entgegen<br />
(ein Major einem Christen!) mit der Bitte:<br />
„Jakob Davidovich, beten Sie für mich! Ich<br />
flehe Sie an!“<br />
In genau diesem Augenblick kam die<br />
Sekretärin herein, dabei knarrte die Tür <strong>und</strong><br />
ich meinte, mich verhört zu haben, also hakte<br />
ich nach: „Wie bitte, Genosse Major? Sie meinen:<br />
Nicht beten?“<br />
– „Nein, nein, im Gegenteil! Ich flehe Sie an:<br />
Bitte beten Sie für mich!“<br />
Den Major habe ich seitdem nie wieder<br />
gesehen, aber ich habe die folgenden 8 Jahre<br />
täglich für ihn gebetet. Erst danach beruhigte<br />
mich der Heilige Geist in der inneren Gewissheit,<br />
dass das Gebet erhört worden ist. Preist<br />
den Herrn!<br />
„Gehet hin in die ganze Welt <strong>und</strong> predigt<br />
das <strong>Evangelium</strong> der ganzen Schöpfung.<br />
Wer glaubt <strong>und</strong> getauft wird, wird errettet<br />
werden ...“ (Mk. 16,15-16).<br />
Davidovich = Davidssohn (in Russland übliche<br />
Anrede aus Vorname <strong>und</strong> Vatersname)<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
5
Der Same Gottes in der glühenden Sonne<br />
Der sowjetische Dichter Wladimir Majakowski<br />
schwärmte poetisch: „Meine Polizei, die<br />
passt auf mich auf!“ Na ja, schon mal wird<br />
man in Gewahrsam genommen, damit die<br />
Polizei „aufpassen“ kann. In meinem Leben<br />
erfüllte sich die Aussage des Lyrikers allerdings<br />
tatsächlich.<br />
Immer wieder, wenn ich nach Feierabend<br />
nach Hause kam <strong>und</strong> mein Auto in der Garage<br />
(im Kuhstall) abgestellt hatte, fühlte ich mich<br />
beobachtet. Als ob von oben jemand auf mich<br />
herabschaute. Der obere Teil des Stalls diente<br />
als Scheune. Hier lagerten wir das Heu für die<br />
Kuh im Winter. Ich schaute nach oben, sah<br />
aber keinen. Ein anderes Mal kam ich nach<br />
Hause <strong>und</strong> es roch nach Zigarettenqualm. Ich<br />
schöpfte keinen Verdacht. Nachts wachte ich<br />
auf <strong>und</strong> direkt vor unserem Haus sah ich drei<br />
Gestalten im gleichen Outfit – alle drei pinkelten<br />
gegen die Wand. Seltsam! Wie können drei<br />
Personen im gleichen Anzug gleichzeitig müssen?<br />
Schon mal standen alle drei mitten in der<br />
Nacht direkt vor dem Fenster <strong>und</strong> diskutierten,<br />
so dass meine Frau <strong>und</strong> ich davon aufgewacht<br />
waren.<br />
Einige Monate später (im Jahre 97 ) haben<br />
wir die Ausreisegenehmigung für die Heimkehr<br />
nach Deutschland erhalten. Wie bei uns<br />
Christen in Russland üblich, haben wir alles,<br />
was wir hatten entweder verkauft (um das<br />
Flugticket zu bezahlen) oder an bedürftige<br />
Familien verschenkt. Alles, was nicht niet-<br />
6 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
Kapitel 8: Der KGB im Heu<br />
Aufnahme vom 4. Mai 2000: Das Fenster sieht man hinter<br />
dem Auto. Am Eingang zur Scheune steht neben mir mein<br />
langjähriger Fre<strong>und</strong> Heinrich Floreck.<br />
<strong>und</strong> nagelfest war, fand einen neuen Besitzer.<br />
Auch das Heu für die Kuh war wertvoll, nicht<br />
nur die Kuh selbst. Um das Heu an Interessenten<br />
abzugeben, öffnete ich die obere Durchreiche<br />
auf der anderen Seite der Scheune, oberhalb<br />
des Stalls. Diese wurde normalerweise<br />
nur während der Heuernte genutzt. So ließ<br />
sich das Viehfutter platzsparend verstauen.<br />
Mein Staunen war nicht schlecht, als ich drei<br />
Sitzplätze im Heu entdeckte, davor eine große<br />
Schüssel voll mit Zigarettenstummeln <strong>und</strong><br />
Unmengen an leeren Wodka-Flaschen. Da<br />
wurde mir alles klar: Die KGB-Beamte hatten<br />
sich einen Schlüssel angefertigt, um über<br />
die Durchreiche in die Scheune zu gelangen.<br />
Von dort oben ließ sich das Haus <strong>und</strong> die<br />
Umgebung bestens observieren. Jeder unserer<br />
Schritte wurde beobachtet.<br />
Viele Jahre später, nach dem Zusammenbruch<br />
der UdSSR: Wir lebten bereits in Gummersbach<br />
(Deutschland) <strong>und</strong> waren nach Chisinau<br />
(Kischenew in Moldawien) auf Missionsreise<br />
eingeladen worden. Wir hatten die Ehre im<br />
Regierungshotel eine Suite zu beziehen. Die<br />
Suitenummer trug den Namen „Breschnew“.<br />
Wie man uns versicherte, habe Breschnew hier<br />
übernachtet. (Er war von 9 0 bis 9 Erster<br />
Sekretär der Partei der Moldauischen Sowjetrepublik,<br />
heute Moldova.) Nachts wache ich<br />
auf; draußen höre ich Leute reden. Ich schaue<br />
hinaus; ich sehe drei Mann mit Maschinengewehren<br />
… Am nächsten Morgen fragte ich an<br />
der Rezeption nach: „Was sind das für Leute<br />
am Fenster, alle bewaffnet?“ – „Das<br />
sind Sicherheitsbeamte zum Schutze<br />
wichtiger Gäste. VIPs wie Sie! Wir<br />
können die nächtliche Unterhaltung<br />
unterbinden lassen, wenn Sie wünschen!“<br />
– „Nein, nein, das Reden<br />
stört nicht!“<br />
Wer hätte je gedacht, dass wir von<br />
Sicherheitsbeamten bewacht statt<br />
überwacht werden würden? Wie sagte<br />
der Poet: „Meine Polizei, die passt auf<br />
mich auf!“ Mit „Polizei“ assoziieren<br />
wir zwar immer noch Überwachung<br />
<strong>und</strong> Verfolgung, aber Gott verändert<br />
Zeit <strong>und</strong> Menschen, sobald wir dem<br />
Befehl des Herrn gehorchen: „Gehet<br />
hin in alle Welt …“<br />
Fortsetzung folgt …
Autobiographie<br />
„Ich war im Gefängnis <strong>und</strong> ihr kamt zu mir“ (Mt. 25,36)<br />
Episode IV:<br />
Unbeschwerte Kindheit<br />
Meine besten Fre<strong>und</strong>e waren meine neun<br />
Geschwister: Boris, Maria, Wladimir, Nadja,<br />
Wasilij, Alexandra, Paul, Peter <strong>und</strong> Anatolij<br />
(Tolik). Die Vertrauensbasis zu den Eltern<br />
war Voraussetzung des innigen Vertrauens<br />
zu Gott. So entwickelte sich ein Hauskreis,<br />
bestehend aus Eltern <strong>und</strong> Kindern, der im<br />
intensiven Gebetsleben <strong>und</strong> Schriftforschen<br />
die Nähe Gottes fand („Nahet euch Gott, so<br />
wird er sich euch nahen“ (Jak. 4,8). Abend<br />
für Abend haben wir gemeinsam Gott angebetet,<br />
über den Sinn der Welt gerätselt <strong>und</strong><br />
unseren alltäglichen Lebenskampf erörtert.<br />
Wir hatten sogar einen eigenen Familienorchester<br />
– hauptsächlich Saiteninstrumente.<br />
Die Maxime der Erziehungspflicht der Eltern<br />
bestand in der gegenseitigen Hilfsbereitschaft<br />
unter uns Geschwistern <strong>und</strong> im Gehorsam<br />
dem Herrn Jesus gegenüber.<br />
Schwere Schicksalsschläge sind im Gedächtnis<br />
unserer Familie eingraviert: Im Jahre 9 9<br />
wurden sowohl unser Gemüse- als auch der<br />
Obstgarten beschlagnahmt. Beides erklärte<br />
man zum Eigentum der Kolchose. Nun war es<br />
verboten, im eigenen Garten irgendeine Frucht<br />
zu ernten, selbst wenn das Obst von den Bäumen<br />
fiel. Die Bevölkerung im Dorf verarmte<br />
noch bevor uns der Krieg erreichte. Durch die<br />
Not gezwungen, musste Mutter in der Kolchose<br />
unseren Lebensunterhalt verdienen. Ihr<br />
blieb nichts anderes übrig als mich mitzunehmen.<br />
Die heftigen Stürme im Herbst waren für<br />
Kleinkinder lebensgefährlich. Schon bald zog<br />
ich mir eine üble Erkältung zu. Die Ärztin in<br />
unserer Ortschaft, Anna Wladimirovna, kümmerte<br />
sich gewissenhaft um das Wohlergehen<br />
der Einwohnerschaft. Als sie mich untersuchte,<br />
erschrak sie sehr: „Ich wünschte, das<br />
Joseph Bondarenko<br />
Kind würde überleben. Leider wird es sterben,<br />
bevor wir das Krankenhaus erreicht haben.<br />
Seine Luftröhre verschließt sich bereits. Es<br />
erstickt!“ Anna W. erklärte unmissverständlich:<br />
„Das Geschwür im Hals blockiert die<br />
Atemwege. Der Eiter muss raus! Wenn Sie<br />
erlauben, werde ich die Operation durchführen.<br />
Jetzt sofort! Mit meinem scharfen Fingernagel<br />
schlitze ich das Geschwür auf!“ Mutter<br />
lehnte ängstlich ab. Mein Zustand verschlimmerte<br />
sich zusehends. Die Ärztin wurde deutlicher.<br />
Mutter willigte hilflos ein. Die Medizinerin<br />
tauchte ihren Finger in Spiritus <strong>und</strong><br />
ritzte das Geschwür auf – mit dem Fingernagel!<br />
Der Eiter löste sich <strong>und</strong> ich konnte wieder<br />
frei atmen! Gott nutzte die guten Hände dieser<br />
Frau, um mich am Leben zu erhalten.<br />
Als Mitglied der Kolchose erhielt jeder einen<br />
kleinen Anteil an der gemeinsamen Nutzfläche.<br />
Uns wurde ein Teil unseres ursprünglichen<br />
Gr<strong>und</strong>stücks zugewiesen. Wir konnten<br />
wieder Obst <strong>und</strong> Gemüse anbauen – allerdings<br />
nicht in gleichem Umfang wie früher.<br />
Was wir von den Obstbäumen pflückten<br />
– Birnen, Äpfel <strong>und</strong> Pflaumen –, haben wir<br />
Kinder umgehend am nahe gelegenen Bahnhof<br />
verkauft, 00 Meter von unserem Haus<br />
entfernt. Um die Züge rechtzeitig abzufangen,<br />
die nur kurz anhielten, mussten wir uns beeilen.<br />
Durch Situationen wie diese lernten wir<br />
effizientes Zeitmanagement.<br />
Die Fahrgäste verhielten sich teilweise recht<br />
sonderbar: Sie haben den Eimer samt Inhalt<br />
mit in das Abteil genommen <strong>und</strong> wenn sich<br />
der Zug wieder in Bewegung setzte, warfen<br />
Man sammelte Früchte in Eimern, nicht in<br />
Körben.<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
7
sie den Eimer einfach aus dem Fenster, ohne<br />
zu bezahlen. Das war für uns Kinder sehr<br />
bitter. Dankbar bin ich meiner Mutter, dass<br />
sie uns in solchen Fällen nicht bestraft hat,<br />
obwohl wir ohne Geld <strong>und</strong> mit leerem Eimer<br />
nach Hause gekommen waren, sondern sie<br />
pflegte zu ermuntern: „Kinder, seid nicht traurig!<br />
Lasst uns Gott dankbar sein, dass wir den<br />
Eimer wiederhaben!“ Auch Eimer waren in<br />
der Sowjetunion Mangelware, ein Defizit.<br />
So lernten wir von Haus aus, das Böse nicht<br />
mit Bösem zu vergelten. Je mehr menschliche<br />
Ungerechtigkeit wir erlitten hatten, desto<br />
mehr suchten wir die Gerechtigkeit Gottes<br />
(„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes <strong>und</strong><br />
nach seiner Gerechtigkeit …“ Mt. 6,33). Wer<br />
von uns Kindern das meiste Geld nach Hause<br />
brachte, bekam in regelmäßigen Abständen<br />
eine Belohnung: eine Fahrradtour ins Nachbardorf<br />
oder es ging zum Angeln.<br />
Als ich älter wurde, entdeckte ich die Vorteile<br />
einer christlichen Familie: Als Pastor hatte<br />
mein Vater viel Besuch von Jung <strong>und</strong> Alt.<br />
Jeder stellte für mich eine potentielle Quelle<br />
des Wissens <strong>und</strong> Könnens dar. Das Leben ist<br />
um einiges leichter, wenn man gelernt hat,<br />
Fragen zu stellen. Also konfrontierte ich die<br />
Gäste mit allerlei Fragen.<br />
Natürlich suchte ich insbesondere die Nähe<br />
der christlichen Jugend, die regelmäßig in<br />
unserem Haus diverse Veranstaltungen durchführte.<br />
Der mächtige Nussbaum im Hof<br />
diente bei gutem Wetter als Sammelstelle.<br />
Das war der eigentliche Treffpunkt<br />
der christlichen Jugend im Dorf.<br />
Die Sommerabende waren lang <strong>und</strong> solche<br />
Treffen dauerten nicht selten bis<br />
nach Mitternacht. In bequemer R<strong>und</strong>e<br />
nutzten wir das reichhaltige Angebot:<br />
Diskussionen, Dialoge, Vorträge halten,<br />
Gedichte rezitieren, Gesang (auch Solo)<br />
<strong>und</strong> Gesellschaftsspiele. Wer vor Menschen<br />
auftreten kann, ist Ungeübten<br />
gegenüber klar im Vorteil. Die Treffen<br />
am Nussbaum waren eine Schule fürs<br />
Leben. Bereits mit 0 Jahren suchte ich<br />
intensiv den Kontakt zu Jugendlichen.<br />
Das Niveau der jungen Christen faszinierte<br />
mich – tapfer <strong>und</strong> offen sprachen<br />
8 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
dreifach verurteilt<br />
sie über Jesus Christus, auch im atheistischen<br />
Umfeld.<br />
Leider galt ich mit 0 Jahren noch als Kind<br />
<strong>und</strong> war nicht vollwertig anerkannt. Obwohl<br />
ich mich immer wieder in Diskussionen <strong>und</strong><br />
Spielen angeboten hatte, wurde ich ignoriert<br />
– ich war nicht alt genug <strong>und</strong> leider auch nicht<br />
groß genug! Das zwang mich zu der cleveren<br />
Methode der Tarnung: ich erprobte mich in den<br />
Kletterkünsten eines gewissen Zachäus aus<br />
Lukas 9 – als kleiner Mann fällt man nicht so<br />
schnell auf <strong>und</strong> auch das Verstecken im Nussbaum<br />
gelingt erstaunlich gut. So habe ich aus<br />
sicherem Versteck beobachtet <strong>und</strong> gelauscht –<br />
<strong>und</strong> schnell erfahren, wie Jugendliche ticken,<br />
was gerade aktuell ist <strong>und</strong> worauf es im Leben<br />
ankommt. Sie staunten nicht schlecht, als<br />
sie merkten, was ich alles wusste! Mein Ziel<br />
stand fest: persönliche Defizite ausgleichen<br />
<strong>und</strong> möglichst schnell erwachsen werden!<br />
In Abwesenheit der Eltern nutzen wir die<br />
Gelegenheit <strong>und</strong> imitierten die Veranstaltungen,<br />
die wir bei den Jugendlichen unter dem<br />
Nussbaum beobachtet hatten. Wir sangen,<br />
diskutierten, lachten, argumentierten, predigten<br />
<strong>und</strong> gaben Bibelverse <strong>und</strong> Gedichte<br />
zum Besten. So entwickelte sich unser christliches<br />
Selbstbewusstsein <strong>und</strong> wir waren recht<br />
bald imstande den Gottesdienst am Sonntag<br />
mitzugestalten. Das war meine Schule für die<br />
schweren Zeiten als Evangelist <strong>und</strong> auch im<br />
Gefängnis.<br />
Unsere Großfamilie 1949 (unten rechts sitze ich)
In einer Großfamilie hat man sich schnell<br />
an schweres Arbeiten gewöhnen müssen: im<br />
Gemüsegarten, im Obstgarten, im Haushalt;<br />
Brennholz aus dem Wald holen, die Kühe auf<br />
die Weide treiben, Vater helfen in der Schneiderei<br />
– arbeiten bis es dunkel wird, in der<br />
Schneiderei gar bis nach Mitternacht. Vater<br />
machte aus alten Kleidern neue Anzüge –<br />
immer wieder erstaunlich, wozu ein Mensch<br />
fähig ist, wenn er seine Arbeit liebt. Vater<br />
gewöhnte uns Fleiß an!<br />
Man muss lieben, was man tut!<br />
Der Winter in unserer Gegend war sehr streng.<br />
Der Schneesturm tobte meist aus einer Richtung<br />
(Osten) <strong>und</strong> bedeckte die Häuser teilweise<br />
bis zum Schornstein. Auf der anderen<br />
Seite des Hauses war es durch den Windschatten<br />
natürlich nicht ganz so verschneit.<br />
Die Häuser waren in der Regel nur einstöckig<br />
– ohne Keller <strong>und</strong> Dachgeschoss. Da hatte es<br />
der Schnee recht einfach, bis zum Schornstein<br />
zu gelangen. War das Haus verweht, mussten<br />
wir einen Schneetunnel graben, um überhaupt<br />
zur Straße zu gelangen.<br />
Die Wintermonate nutzte Vater für die Abhärtung<br />
seiner Kinder: Jeder lief etwa Minuten<br />
lang barfuß <strong>und</strong> nur leicht bekleidet auf<br />
dem Schnee, bis die Haut vor Kälte brannte.<br />
Der Frost hat uns richtig eingeheizt. Für uns<br />
Kinder war das ein Abenteuer, für die Eltern<br />
dagegen eine der wenigen Möglichkeiten, die<br />
Familie immun gegen Krankheit zu halten.<br />
Wieder im Haus wärmten wir uns am Ofen<br />
auf.<br />
Nach der leiblichen Übung konzentrierten<br />
wir uns auf die geistliche: Wer lesen konnte,<br />
erzählte eine Episode aus der Schrift. Jeder<br />
war bestrebt, bildlich <strong>und</strong> kindgerecht die<br />
Liebe Gottes zu den Menschen zu beschreiben.<br />
Gemeinsames Musizieren schloss den<br />
Familien-Gottesdienst ab. Unsere Instrumente<br />
waren Mandoline <strong>und</strong> Balalaika.<br />
In unserem Dorf gab es einen Teich. Im Winter<br />
nutzten wir die Eisfläche zum Schlittschuhlaufen<br />
oder Eishockeyspiel. Abends hatten<br />
wir dann einen Bärenhunger: Zu Hause<br />
dreifach verurteilt<br />
gab es warmes Abendessen – wie bei armen<br />
Leuten üblich, alles <strong>und</strong> alle aus einem Topf.<br />
Wer nicht schnell genug war, musste nehmen,<br />
was übrig blieb. Wie heißt es doch so schön:<br />
„Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss<br />
essen, was übrig bleibt“. Diese Ernährungsmethode<br />
hat mich gelehrt, schnell <strong>und</strong> flexibel<br />
zu reagieren.<br />
Die Jahreszeiten bestimmten den Ablauf des<br />
Tages <strong>und</strong> auch den auszuübenden Beruf. Wir<br />
mussten unser Überleben sichern. Im Frühling<br />
schufteten wir in der Landwirtschaft der<br />
Kolchose – Unkraut jäten. In unserer Kolchose<br />
wurden hauptsächlich Rüben <strong>und</strong> Mais<br />
angebaut. Diese Pflanzen wurden jeweils reihenweise<br />
gesät. Jede Reihe war 00 Meter<br />
lang. Zum Abend hin erschienen uns die Furchen<br />
immer länger. Der Schweiß lief uns die<br />
Stirn herunter <strong>und</strong> verklebte die Augen, aber<br />
die Tagesnorm musste erfüllt werden.<br />
Wurde die Norm erfüllt, gab es Zulagen, zwar<br />
kein Geld, aber Ausgleich in Naturprodukten:<br />
Getreide <strong>und</strong> Zucker. Wie Kinder halt sind,<br />
hatten wir abends nach der Knochenarbeit<br />
noch genug Energie für das gemeinsame Spielen,<br />
z.B. Verstecken im Wald.<br />
Vorne rechts stehe ich<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
9
Im Sommer standen wir mit dem Sonnenaufgang<br />
auf. Nach dem Frühstück haben wir<br />
mit den Kindern aus der Nachbarschaft die<br />
Kühe auf die Weide getrieben. Wir hüteten<br />
die Rinder auf dem Feld <strong>und</strong> in den Laubwäldern.<br />
Ohne Schuhe auf dem Morgentau,<br />
mussten wir uns <strong>und</strong> die Kühe in Acht nehmen:<br />
Es wimmelte von Schlangen! Und im<br />
Wald war es nicht weniger gefährlich – Banditen<br />
streiften umher! Im Wald suchten sie<br />
nach einem Versteck oder auch nach Opfern.<br />
Gott hat seinen Schutzengel über uns befohlen.<br />
In all den Jahren ist unserer Familie kein<br />
Unglück passiert!<br />
Episode V: Atheismus in der Schule<br />
Sommer 9 – Krieg! Angst <strong>und</strong> Schrecken<br />
in jedem Dorf, keine Familie ohne Opfer. Mit<br />
voller Wucht prallten zwei Systeme aufeinander,<br />
die bis an die Zähne bewaffnet, den<br />
Tod für beide Völker bedeuteten: der Nationalsozialismus<br />
der Deutschen <strong>und</strong> der Bolschewismus<br />
der Russen. Ideologien sind tödlich!<br />
Die Kriegsfront verlief im Nachbardorf.<br />
In unserem Dorf „Kapitanovka“ explodierten<br />
die Granaten. Die Menschen starben wie die<br />
Fliegen. Genossen, die vor wenigen Wochen<br />
noch über Gott lästerten <strong>und</strong> uns Christen<br />
verfolgten, versteckten sich nun ausschließlich<br />
in Kellern, wo – wie sie genau wussten –<br />
Christen anwesend waren. Immer mit derselben<br />
Begründung: „Gott ist mit den Christen.<br />
Wenn er sie rettet, sind auch wir gerettet!“<br />
Während der grausamen Kriegszeit hörten<br />
sie der Botschaft von Jesus Christus bereitwillig<br />
zu <strong>und</strong> verhielten sich respektvoll zu<br />
uns Christen, auch während der Gebete. Das<br />
änderte sich wieder nach dem Krieg.<br />
Alles geht vorbei, auch das Schlimmste.<br />
Endlich! 9 ! Der Krieg ist aus! Der Zweite<br />
Weltkrieg hinterlässt schreckliche Narben,<br />
nicht nur bei den Verlierern.<br />
September ist der Monat der Einschulung<br />
in der gesamten Sowjetunion. Ich kam in<br />
die . Klasse – mit 8 Jahren (zwei Jahre nach<br />
regulärem Beginn). Obwohl mir zwei Jahre<br />
fehlten, war ich überglücklich, endlich lesen<br />
<strong>und</strong> schreiben zu lernen. Da wir keine Schulhefte<br />
hatten, nahmen wir Fetzen der Tages-<br />
0 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
dreifach verurteilt<br />
Das Gebet wird durch Danken stark!<br />
Gegen Herbst sammelten wir Pilze, Beeren<br />
<strong>und</strong> Nüsse. Die Natur ist großartig! Im Rauschen<br />
der Bäche ein Schluck frisches Wasser<br />
genießen; auf dem Baumstumpf sitzend dem<br />
Knarren der Bäume zu lauschen oder dem<br />
heimlichen Rascheln der Blätter; am Boden<br />
den unermüdlichen Fleiß der Ameisen bew<strong>und</strong>ern<br />
– meine Kindheit ist von beeindruckenden<br />
Erlebnissen in der imposanten Schöpfung<br />
Gottes geprägt worden!<br />
zeitungen. Wir konnten uns Schuhe für jedes<br />
Kind nicht leisten, also gingen wir abwechselnd<br />
zur Schule – immer in denselben Schuhen.<br />
Um möglichst selten den Unterricht zu<br />
versäumen, liefen wir notfalls auch ohne<br />
Schuhe zur Schule. Dabei mussten wir richtig<br />
flitzen, da sonst die Füße durch den Frost am<br />
Morgen schnell blau anliefen.<br />
Die Schulzeit war der eigentliche Anfang der<br />
offenen Schikane gegen die christliche Erziehung.<br />
Uns wurde bewusst gemacht, dass wir<br />
anders sind – zweitklassig! Offene Beleidigungen,<br />
willkürliche Notensenkungen,<br />
erzwungene Abstinenz vom Unterricht – während<br />
des Unterrichts mussten wir draußen<br />
vor der Tür warten. Um uns vor der gesamten<br />
Schule zu denunzieren, hatten wir stillzustehen,<br />
während die Schulklassen zum Morgenappell<br />
antraten. Mit Hohn verspottete man<br />
uns als „St<strong>und</strong>isten“. Man drohte uns von<br />
den Eltern zu trennen. Die Lehrkräfte (alles<br />
Atheisten) sparten nicht mit Worten der Verachtung,<br />
um unseren kindlichen <strong>Glaube</strong>n an<br />
Gott lächerlich zu machen. Diese Angriffe<br />
waren um einiges aggressiver als das, was wir<br />
von der Straße her gewöhnt waren. Wir wurden<br />
systematisch deklassiert. Der „glänzenden<br />
Zukunft“ der Sowjetunion <strong>und</strong> der bürger-<br />
Mit „St<strong>und</strong>isten“ wurden Christen bezeichnet, die<br />
sich für eine „St<strong>und</strong>e” zurückzogen, um die Schrift<br />
zu erforschen (evtl. mit Gebet <strong>und</strong> Gottesdienst).<br />
Vom deutschen Wort „St<strong>und</strong>e” abgeleitet.
lichen Anerkennung in der Gesellschaft nicht<br />
würdig, degradierte man uns zu Feinden des<br />
Systems, zu minderwertigen Kreaturen.<br />
In den Augen der Kommunisten waren wir<br />
Verräter der atheistischen Idee. Also versuchte<br />
man uns gewaltsam in die parteikonformen<br />
Jugendverbände der Oktober-Kinder<br />
<strong>und</strong> Lenin-Pioniere/Jungpioniere zu drängen.<br />
Diese Organisationen blieben uns aber<br />
fremd. Zu keiner Zeit wurden wir Mitglieder.<br />
Zum Eintritt in den Komsomol weigerten wir<br />
uns ebenfalls. Wir schämten uns nicht, in aller<br />
Öffentlichkeit von Gott zu reden. Freimütig<br />
erzählten wir unseren Altersgenossen von<br />
Jesus <strong>und</strong> luden sie zu unseren Gottesdiensten<br />
ein. Ich hege bis heute keinen Groll im<br />
Herzen gegen diese armen Seelen, die ideologisch<br />
motiviert, uns mit dem Tode bedrohten.<br />
Furcht vor den Menschen hatte ich nicht. Im<br />
Gegenteil: Freude von Gott, der Kraft gab, die<br />
Erniedrigungen zu überwinden, ohne zu murren.<br />
Gott hat mich davor bewahrt, mich minderwertig<br />
zu fühlen.<br />
Der Schulleiter hasste uns abgr<strong>und</strong>tief. Er war<br />
ein eifriger Verfechter des Stalinismus. Unvergessen<br />
bleibt mir sein Name: Mimrick Grigorij<br />
Wasilivich. Hämisch höhnte er: „Deine<br />
Eltern sind F<strong>und</strong>amentalisten <strong>und</strong> Fanatiker.<br />
Euer Gehirn ist abgeschaltet <strong>und</strong> ganz verfinstert.<br />
Wir werden euch erleuchten! Andernfalls<br />
…“ Seine Bosheit stand ihm ins Gesicht<br />
geschrieben.<br />
Ich war ein fleißiger Schüler. Trotzdem bin<br />
ich nach einer Verordnung des Schuldirektors<br />
aus allen Veranstaltungen der<br />
Schule ausgeschlossen worden.<br />
Dazu gehörten auch die typischen<br />
Sportwettkämpfe sowie Wettbewerbe<br />
der Allgemeinbildung <strong>und</strong><br />
der Kunstfertigkeiten, die in Russland<br />
sehr beliebt waren.<br />
3 mit Lenin-Stern galt man als Lenins<br />
Enkelkind<br />
mit rotem Halstuch<br />
5 kommunistischer Jugendverband<br />
6 Kalligrafien gehörten zu den ge‑<br />
schätzten Wettbewerben in Russland.<br />
dreifach verurteilt<br />
15 Jahre<br />
Ja, meine erste Klassenlehrerin, sie war<br />
anders – Anna Lukinitschna. Mit welcher<br />
Dankbarkeit erinnere ich mich an diese Frau.<br />
Sie hatte Mitgefühl. Sie kannte die Repressalien<br />
aus eigener Erfahrung. Mitglieder ihrer<br />
Verwandtschaft waren der Säuberung Stalins<br />
zum Opfer gefallen. Anna L. behandelte<br />
die Christen mit Respekt, auch gegen die ausdrückliche<br />
Anordnung des Schuldirektors. Sie<br />
war eine ausgesprochene Bew<strong>und</strong>erin meiner<br />
Kalligrafien. 6 Hinterm Rücken des Schulleiters<br />
wurden alle meine Kunstwerke regelmäßig<br />
zum Preiswettbewerb des Landkreises<br />
(Rayon) eingeschickt. Diese Frau war feinfühlig<br />
<strong>und</strong> eine taktvolle Pädagogin. Das ungerechte<br />
Verhalten der Kollegen gegen uns<br />
Christen versuchte sie abzufedern. Die Alten<br />
pflegten zu sagen: „Die erste Lehrerin prägt<br />
den Schüler für die gesamte Schulzeit.“ Wie<br />
wahr: Anna L. prägte mich.<br />
In der sechsten Schulklasse änderte der Schuldirektor<br />
seine Taktik. Den Lehrkräften war<br />
nämlich meine außerordentliche Fähigkeit,<br />
Menschen zu delegieren, aufgefallen. Kombiniert<br />
mit organisatorischem Talent führte<br />
das zu vielfältigen Angeboten, in der Schule<br />
verantwortliche Posten zu übernehmen. Die<br />
atheistischen Lehrer unterließen es nun, meinen<br />
<strong>Glaube</strong>n zu lästern. Sie köderten mich mit<br />
politischem Einfluss in der Hoffnung, dass ich<br />
freiwillig auf den christlichen <strong>Glaube</strong>n verzichten<br />
würde, da er nichts zu bieten habe. Ich<br />
muss zugeben, dass diese Art der Versuchung<br />
um einiges raffinierter war als die Diskriminierung<br />
in aller Offenheit.<br />
Ich war nun Schülersprecher der<br />
gesamten Schule. Ich organisierte<br />
sämtliche kulturellen Ausflüge<br />
<strong>und</strong> Exkursionen; die Elternsprechtage<br />
sowie die Zusammenkünfte<br />
für Eltern mit Problemkindern.<br />
Diese Eltern waren auf ein<br />
gutes Wort von mir angewiesen.<br />
Die Schule hatte auch eine eigene<br />
Wandzeitung: „Der Einser“. Ich<br />
war Hauptredakteur. Mein Einfluss<br />
nahm stetig zu. Macht <strong>und</strong><br />
Erfolg lenkten mich ab – zur<br />
Freude des Schuldirektors.<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008
Meine Eltern waren betrübt. Immer mehr<br />
ignorierte ich ihre Mahnungen. Statt den Gottesdienst<br />
zu besuchen, fand ich mich im Kino<br />
wieder. Kreativ war ich im Erfinden neuer<br />
Ausreden, damit keiner von den „Gläubigen“<br />
erfahre, dass ich ins Kino gehe. Das Kino in<br />
der Sowjetunion war immer ideologisch angehaucht,<br />
keine neutralen Botschaften. Die atheistischen<br />
Parolen sickerten in mein Bewusstsein.<br />
Kino war „in“ <strong>und</strong> ich war mittendrin.<br />
Meine drei Schulfre<strong>und</strong>e<br />
In der achten Klasse hatten meine drei Schulfre<strong>und</strong>e<br />
(Anatolij/Anatolij/Wolodja) mich<br />
überredet, das Weihnachtsfest im Nachbardorf<br />
gemeinsam zu feiern. Russen feiern anders –<br />
nach reichlich Alkohol sucht man nach einem<br />
Anlass für die anschließende Schlägerei. Ein<br />
deutliches Indiz einer Not leidenden Seele!<br />
Diese Art Weihnachten zu feiern hat mich<br />
dermaßen abgestoßen, dass ich noch mitten in<br />
der Nacht das Weite suchte. Ich sah zu, dass<br />
ich nach Hause kam – drei Kilometer Fußmarsch<br />
durch Feld <strong>und</strong> Eis. Die Schneedecke<br />
klirrte vor Frost, in die ich stellenweise einbrach.<br />
Zu Hause angekommen, erstarrte ich vor<br />
Angst: das Haus war leer! Die Entrückung der<br />
Gemeinde hatte stattgef<strong>und</strong>en! Ich war nicht<br />
würdig, an diesem großen Ereignis teilzunehmen.<br />
Was tun? Draußen war auch niemand;<br />
kein Mensch zu sehen, kein Laut zu hören,<br />
nur die Bäume knarrten vor Frost. Ich war<br />
allein … Meine letzte Hoffnung: das Gemeindehaus.<br />
Wehe mir, die Kirche ist leer …<br />
Welch ein unbeschreibliches Glück – sie<br />
waren alle noch da! Der Chor sang! Jemand<br />
sprach die frohe Botschaft aus: „Ich verkündige<br />
euch große Freude; euch ist heute der<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
dreifach verurteilt<br />
Heiland geboren …“ Die Wiederkunft Christi<br />
hatte noch nicht stattgef<strong>und</strong>en! Jesus wartete<br />
auf mich! Mit ganzem Herzen sang ich mit:<br />
„Ehre sei Gott in der Höhe <strong>und</strong> Frieden auf<br />
Erden!“<br />
Meine Leidenschaft war die Literatur. St<strong>und</strong>enlang<br />
saß ich in der Bibliothek der Schule<br />
<strong>und</strong> verschlang förmlich alle bekannten Klassiker:<br />
A. Puschkin, N. Gogol, M. Lermontow,<br />
V. Hugo. Noch mehr faszinierten mich<br />
F. Dostojewski, N. Nekrassow <strong>und</strong> I. Turgenjew.<br />
Die authentischen Darstellungen von<br />
Dostojewski beeindruckten mich am meisten.<br />
Meine Lehrer lobten mich: „Wie gut, dass du<br />
soviel liest! Das wird die religiösen Hirngespinste<br />
für immer ausmerzen. Das Hochschulstudium<br />
wird sämtliche christliche Denkweisen,<br />
die deine fanatischen Eltern dir eingeimpft<br />
haben, eliminieren! Weiter so! Zuerst<br />
die Schule <strong>und</strong> anschließend das Studium.“<br />
Ja, ich machte weiter – <strong>und</strong> suchte wieder die<br />
Wahrheit. Die atheistischen Hoffnungen der<br />
Lehrer lösten sich in Luft auf.<br />
9 war ein schreckliches Jahr! An „Christi<br />
Himmelfahrt“ sind meine beiden Brüder Wladimir<br />
<strong>und</strong> Paul ums Leben gekommen. Beim<br />
Versuch, meinen Onkel Iwan Stepanovich<br />
aus einer gefährlichen Lage zu retten, sind<br />
alle drei ums Leben gekommen. Aber der uns<br />
liebende Gott gab uns die innere Freude auf<br />
das Wiedersehen in der Ewigkeit. Wir fanden<br />
Trost in den Worten auf dem Grabstein:<br />
„Größere Liebe hat niemand, als diese, dass<br />
jemand sein Leben hingibt für seine Fre<strong>und</strong>e“<br />
(Joh. 15,13).<br />
Aus glücklichen Zeiten: Mein großer<br />
Bruder Paul <strong>und</strong> ich (13 Jahre).
dreifach verurteilt<br />
Episode VI: Ich habe Jesus gesehen!<br />
Ein anderer Onkel, Andreas Nikiforovich,<br />
war ein glühender Stalinist. Nichts hasste er<br />
mehr als die Christen. Er war Oberster in der<br />
Kolchose, man nannte ihn „Brigadier“ – Chef<br />
der Brigade. Auch war er zwischenmenschlich<br />
jähzornig <strong>und</strong> äußerst penetrant. Er verschonte<br />
niemanden. Auf die Christen in seiner<br />
Verwandtschaft hatte er es besonders abgesehen.<br />
Es gab Ärger <strong>und</strong> Schikane bei geringsten<br />
Vergehen, z.B. wenn sich eine der Kühe<br />
im Weizen- oder Zuckerrübenfeld verirrte.<br />
Wir Kinder waren nicht immer imstande, auf<br />
das Verhalten der Kühe <strong>und</strong> Rinder unmittelbar<br />
zu reagieren.<br />
Seine Frau, Tante Helene, war nicht weniger<br />
grausam. Sie war ihm völlig ebenbürtig.<br />
Tanzen <strong>und</strong> Alkohol waren ihre Leidenschaft.<br />
Beim Zechen in geselliger R<strong>und</strong>e<br />
übertrumpfte sie die Männer bei Weitem.<br />
Offen lästerte sie über Menschen, die an Gott<br />
glaubten. Für unsere Familie hatte sie nur Verachtung<br />
<strong>und</strong> Verleumdung übrig – mein Vater<br />
bekam es besonders zu spüren.<br />
Von jeher plante sie die Christen im Dorf zu<br />
vernichten. Eines Abends sah sie, wie sich<br />
Christen im Haus von Neumitgliedern der<br />
St<strong>und</strong>isten versammelten. Das war die Gelegenheit!<br />
Sie näherte sich dem Haus. Die meisten<br />
Personen kannte sie aus der Nachbarschaft.<br />
Da sie einen Gr<strong>und</strong> zur Anklage suchte, ging<br />
sie einfach in den Gottesdienst hinein.<br />
Das schlichte Verhalten der Gemeindemitglieder,<br />
das intensive Gebet <strong>und</strong> der herzliche<br />
Gesang bewirkten in ihr einen Sinneswandel.<br />
Die innige Liebe der Christen zueinander<br />
beeindruckte sie sehr – „Daran werden alle<br />
erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn<br />
ihr Liebe untereinander habt“ (Joh. 13,35).<br />
Als sie das Lied hörte:<br />
„Kehre um, mein Kind, kehr‘ um,<br />
dein Vater wartet vor der Tür!<br />
Fern von ihm quält dich die Sünde,<br />
nur in Jesus gibt es Ruh!“ 6<br />
sank sie in sich zusammen. Der Heilige Geist<br />
nutzte die Kurzpredigt <strong>und</strong> das gemeinsame<br />
Singen, um in ihr zu wirken. Das hartherzige<br />
Gemüt weichte auf. Nach vielen Jahren konnte<br />
sie das erste Mal wieder weinen.<br />
6 Приди, сын заблудший, к Отцу; ведь вдали от<br />
Отца тьма греха без конца.<br />
Als Gemeindeleiter erinnerte mein Vater an<br />
die Worte Jesu: „Wenn jemand mich liebt, so<br />
wird er mein Wort befolgen, <strong>und</strong> mein Vater<br />
wird ihn lieben, <strong>und</strong> wir werden zu ihm kommen<br />
<strong>und</strong> Wohnung bei ihm machen“ (Joh.<br />
14,23). Dann sangen wir unser Schlusslied:<br />
„Komm, komm!<br />
Wer dürstet, der komme<br />
<strong>und</strong> trinke umsonst!<br />
Mit sanfter Stimme<br />
ruft Jesus dir zu:<br />
„Komm, Sünder, komm …“ 7<br />
Helene ging auf die Knie, schluchzend wiederholte<br />
sie immer wieder: „Sei mir gnädig!<br />
Vater, Vater … Sei mir gnädig! Vergib mir …“<br />
Und Gott kam in ihr Herz <strong>und</strong> schenkte ihr<br />
die Neugeburt in Christus. So hatte der Herr<br />
ihre bösen Absichten umgewandelt <strong>und</strong> sie<br />
mit Liebe erfüllt.<br />
Nun sprach sie freimütig über Gott,<br />
sowohl in der Familie als auch im Dorf. Ihr<br />
Mann Andreas ergrimmte sehr. Bis zur Weißglut<br />
gereizt bedrohte er sie mit dem Tode: „Ist<br />
dir klar, was du mir angetan hast? Du blamierst<br />
mich vor allen Leuten. Im ganzen Dorf<br />
hast du mich lächerlich gemacht! Das werde<br />
ich nicht dulden! Ich verbiete dir, die Versammlungen<br />
zu besuchen, sonst … Du kennst<br />
mich <strong>und</strong> weißt, was es heißt, wenn ich zornig<br />
bin! Ich werde dich umbringen!“ Helene<br />
reagierte friedfertig: „Liebling, bin ich jetzt<br />
weniger wert als vorher? Endlich entdecke ich<br />
den Sinn für Ehe <strong>und</strong> Familie! Meine Liebe zu<br />
dir <strong>und</strong> den Kindern beginnt sich zu entfalten.<br />
Das kommt dir zugute!“<br />
Andreas lehnte jeglichen Kompromiss ab.<br />
Alles Christliche sei gr<strong>und</strong>sätzlich schädlich!<br />
Nun war meine Tante geächtet im eigenen<br />
Haus. Nach der Devise von Paulus „Überwinde<br />
das Böse mit Guten“ (Röm. 12,21) ließ<br />
sie seine Attacken ins Leere laufen. Das reizte<br />
ihn zusätzlich.<br />
Im Verborgenen begann die Kraft Gottes<br />
zu wirken: Mit Gebet <strong>und</strong> Fasten flehte Helene<br />
zu Gott um die Rettung ihres Mannes; die<br />
gesamte Gemeinde unterstützte sie im Gebet.<br />
Es nahte der Tag der Wassertaufe. Helene<br />
weihte ihren Mann ein, dass die Taufe ein<br />
B<strong>und</strong> mit Gott bedeute. Andreas explodierte:<br />
7 Приди, приди! Всякий, кто жаждет, приди!<br />
Нежно, с любовью Иисус призывает,<br />
Грешник, не медли, приди!<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
3
„Ich werde nicht zulassen, dass du wieder zu<br />
den „St<strong>und</strong>isten“ gehst! Der Tag, an dem du<br />
wieder den Gottesdienst besuchst, ist dein<br />
letzter! Ich bringe dich um, dich <strong>und</strong> deinen<br />
„Popen“ Daniel! Du hast wohl einen<br />
Hirnriss! Ich werde dich erschießen <strong>und</strong><br />
die Sekte schließen!“ Die Bosheit im Herzen<br />
von Andreas nahm gefährliche Züge an:<br />
Eines Abends, als die Christen <strong>und</strong> seine Frau<br />
Helene im Gebet vertieft waren, fand er den<br />
Versammlungsort <strong>und</strong> schlich sich mit einem<br />
Kanister Petroleum unbemerkt an die Holzhütte<br />
heran. Während er die Flüssigkeit an die<br />
Außenwände goß, wurde er von zwei Dorfbewohnern<br />
überrascht, die „zufällig“ an dem<br />
Haus vorbeikamen. Zu zweit vereitelten sie<br />
diesen schrecklichen Anschlag.<br />
Mein Vater suchte einen Ausweg: „Helene,<br />
vielleicht ist es Gottes Wille, dass du dich erst<br />
im nächsten Jahr taufen lässt. Vielleicht soll<br />
sich dein Mann beruhigen?“ – „Nein, Daniel,<br />
mein Entschluss steht fest. Ich will einen<br />
B<strong>und</strong> mit Gott durch die Taufe, selbst wenn es<br />
mich mein Leben kostet. Das ist ja der Wille<br />
Gottes, dass wir Menschen einen B<strong>und</strong> mit<br />
ihm schließen. In Gott leben wir mit <strong>Glaube</strong>n,<br />
Gerechtigkeit <strong>und</strong> Wahrheit – das will ich<br />
auch!“ Helene hatte ihre Entscheidung bereits<br />
gefällt. Trotz der offenen Gewaltandrohung<br />
ließ sie sich taufen.<br />
Früh am Sonntag, am Tage der Taufe,<br />
fuhren Helene <strong>und</strong> andere Christen mit der<br />
Bahn zur Nachbargemeinde ( 0 km entfernt),<br />
wo die Feier stattfand. Nach Hause kam sie<br />
erst um Uhr nachts. Sorgenvoll näherte sie<br />
sich ihrem Haus – Mord statt Schutz erwartete<br />
sie. Die Tür war nicht abgeschlossen. Sie<br />
ging hinein. Auf dem Tisch lag ein Gewehr.<br />
Es war Vollmond, Licht einzuschalten war<br />
nicht nötig.<br />
„Andreas …“ flüsterte sie. Niemand rührte<br />
sich. Sie öffnete die Tür zum Schlafzimmer.<br />
Andreas lag auf dem Bett. Sie hörte ihn<br />
atmen. „Warum schläft er? Oder schläft er<br />
nicht?“ Helene legte sich zu Bett. Und wartete.<br />
Sie konnte nicht einschlafen: „Es komme, was<br />
kommt. Ich bin bereit für Jesus zu sterben!“<br />
Während sie für ihr neues Leben in Christus<br />
dankte, schlief sie ein.<br />
Plötzlich sprang Andreas auf! „Er lebt! Er<br />
lebt! Helene …“ Er war ganz aufgeregt: „Gott<br />
lebt! Gott lebt! Helene, bete für mich! Bitte,<br />
bete …“ – Helene schreckte aus dem Schlaf:<br />
„Was … Bitte? Beten …“ Fassungslos erzählte<br />
Andreas, was er soeben gesehen hatte.<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
dreifach verurteilt<br />
Helene konnte es kaum fassen. Sie knieten<br />
nieder <strong>und</strong> Andreas bat Gott um die Vergebung<br />
seiner Sünden.<br />
Nach dem Gebet erzählte Andreas, was<br />
vorgefallen war: Die ganze Zeit hatte er den<br />
Schlafenden simuliert. In Wirklichkeit stand<br />
sein Entschluss fest, Helene zu töten <strong>und</strong><br />
anschließend Selbstmord zu begehen. In dieser<br />
Absicht lag er auf dem Bett <strong>und</strong> wartete.<br />
Er wartete, bis seine Frau nach Hause kam; er<br />
wartete, bis sie ins Zimmer kam <strong>und</strong> er wartete,<br />
bis sie einschlief. Das war der Zeitpunkt!<br />
Er war gerade dabei aufzustehen, um sein<br />
Gewehr zu nehmen.<br />
In diesem Augenblick wurde es sehr hell<br />
im Zimmer! Ein Licht, das ihm völlig unbekannt<br />
war! Aus dem Lichte heraus hörte er die<br />
Stimme Jesu: „Andreas, warum verfolgst du<br />
mich?“ Die Herrlichkeit Christi <strong>und</strong> das persönliche<br />
Erscheinen des Herrn veränderten<br />
ihn augenblicklich! Er sprang auf in der völligen<br />
Gewissheit, dass Gott lebt!<br />
Früh am Morgen lief Andreas zu seiner Nachbarin<br />
<strong>und</strong> klopfte am Fenster: „Maria, Maria,<br />
mach auf! Es gibt Gott, ich habe Jesus gesehen!“<br />
Die Nachbarin hielt es für eine Provokation<br />
<strong>und</strong> weigerte sich. Als sie Helene<br />
neben Andreas bemerkte, öffnete sie die Tür.<br />
Nun beteten sie zu dritt <strong>und</strong> Andreas verherrlichte<br />
Gott.<br />
Schließlich kam Andreas auch die km<br />
zu uns gelaufen. Mein Vater arbeitete neben<br />
dem Eingang. Als er Andreas laufen sah,<br />
bekam er es mit der Angst zu tun: „Entweder<br />
ist ein Unglück geschehen oder Andreas will<br />
uns töten, wie er des Öfteren gedroht hatte.“<br />
Bereits von Weitem konnte Andreas seine<br />
Freude kaum verbergen! Unter Tränen rief er:<br />
„Daniel, Daniel, es gibt einen Gott! Daniel,<br />
vergib mir! Es gibt einen Gott! Ich habe Jesus<br />
gesehen! Lass uns beten!“<br />
Beide liefen ins Haus. Mutter stand verängstigt<br />
am Herd. Fassungslos knieten alle<br />
drei nieder <strong>und</strong> dankten Gott für dieses überaus<br />
erstaunliche W<strong>und</strong>er. Eigentlich sollten<br />
zwei Menschen diese Nacht sterben, doch<br />
Jesus hat durch sein Erscheinen einen Atheisten<br />
verändert, für dessen Umkehr Christen<br />
intensiv beteten. Andreas war schon bald mit<br />
großem Eifer im Dienst für den Herrn dabei.<br />
„Werft nun eure Zuversicht nicht weg, die<br />
eine große Belohnung hat“ (Hebr. 10,35).<br />
Fortsetzung folgt …
Ratgeber<br />
Baustelle<br />
Familie Beat<br />
Eisenhut<br />
Teil 2: „heile“ Familie, „kranke“ Familie;<br />
was sind die Kennzeichen?<br />
Jeder hat den tiefen Wunsch, eine „ges<strong>und</strong>e“ Familie zu haben. Wir mögen Krankheit<br />
nicht; ob nun am Körper, in einer Beziehung oder in unserem Familiensystem.<br />
Ist unser Körper mit Krankheit behaftet, reagiert er unterschiedlich, z.B. mit Fieber,<br />
Schmerzen, Unwohlsein, Ausschlag, Durchfall usw. An diesen Kennzeichen sehen wir<br />
deutlich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dann liegt es an uns zu reagieren.<br />
In unseren Familien sind die Kennzeichen nicht so sichtbar eingebaut, treten jedoch<br />
Missstände offen zu Tage, ist es schon fast zu spät, um noch entscheidend eingreifen<br />
zu können. Von daher muss die Devise heißen: Früherkennung <strong>und</strong> Vorbeugung. Manche<br />
Krankheiten in unseren Familiensystemen sind wie ein Krebsgeschwür, verborgen,<br />
leise, unerkannt <strong>und</strong> unaufhaltsam breitet es sich aus.<br />
Wir wollen uns nun einige Kennzeichen oder Erkennungsmerkmale von diesem Geschwür<br />
ansehen:<br />
1. Sich gegenseitig nicht annehmen.<br />
Da hat man sich so sehr einen Jungen oder ein Mädchen gewünscht <strong>und</strong> der Wunsch<br />
ist nicht in Erfüllung gegangen. Nun sind Probleme vorhanden, das Kind anzunehmen<br />
<strong>und</strong> es uneingeschränkt zu lieben. Die Kinder spüren es, wenn wir sie nicht so annehmen<br />
wie sie sind.<br />
Manchmal sind auch Schwierigkeiten vorhanden, das Kind von seiner Art her so anzunehmen<br />
wie es ist. Da ist zum Beispiel ein Vater, der sehr hart im Nehmen ist, immer<br />
musste er sich durchkämpfen <strong>und</strong> für Gefühle <strong>und</strong> Empfindungen hat er wenig übrig.<br />
Ach was hat er sich gefreut, als ihm ein Sohn geschenkt wurde, doch mit der Zeit stellt<br />
er fest, dass sein Sohn von der Art her so ganz anders gelagert ist, als er selbst. Der<br />
Sohn ist ein „Muttersöhnchen“, weint gleich, kann nichts einstecken, ist sehr ängstlich<br />
<strong>und</strong> rennt immer gleich zur Mama. Gerade in solch einer Situation ist die Annahme<br />
von Seiten der Eltern besonders wichtig.<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
5
Baustelle Familie – „heile“ Familie, „kranke“ Familie<br />
Solch ein Vater muss lernen, von sich wegzukommen, zu akzeptieren, dass sein Sohn<br />
von der Art her anders ist <strong>und</strong> auch diese so ganz andere Art, sehr wohl viele positive<br />
Züge hat. In Röm. 15,7 lesen wir, wir sollen einander annehmen. Wenn dies für die<br />
geistliche Familie gilt, wie viel mehr dann auch für die irdische.<br />
2. Ein weiterer Krankheitsherd ist, dass eine gestörte Kommunikation<br />
praktiziert wird.<br />
Es wird nicht offen geredet, Probleme werden unter den Teppich gekehrt oder bagatellisiert.<br />
Eisiges Schweigen wird oft als Strafe verhängt. Für Kinder ist das sehr schlimm,<br />
vor allen Dingen, wenn sich dies über Tage hinzieht. In solchen Familien wird oft die<br />
nonverbale (Gestik <strong>und</strong> Mimik) Kommunikation praktiziert. Dass man da manches<br />
missverstehen <strong>und</strong> falsch interpretieren kann, liegt auf der Hand. Dies führt dann wiederum<br />
zu neuen Problemen.<br />
3. Wenn wir einen einseitigen Erziehungsstil pflegen, ist das ein weiterer<br />
Krankheitsherd.<br />
Da wird auf der einen Seite die Strenge betont, jedes Vergehen wird hart geahndet <strong>und</strong><br />
die Beziehung von den Kindern zu den Eltern wird bestimmt vom Einhalten der Regeln,<br />
welche reichlich aufgestellt wurden.<br />
Auf der anderen Seite haben wir den gegensätzlichen Erziehungsstil, der sich in einer<br />
Laisser-faire - Haltung äußert. Hier wird die „Liebe“ betont, es gibt kaum Regeln, das<br />
Verhalten des Kindes wird immer entschuldigt, es ist eben noch klein, es geht ihm nicht<br />
gut oder es steckt eben gerade in einer bestimmten Phase.<br />
Beide Stile sind für eine ges<strong>und</strong>e Entwicklung wichtig, jedoch für sich alleine praktiziert<br />
enden sie im seelischen Chaos. Angesagt ist hier eine Ausgewogenheit zwischen<br />
diesen beiden Extremen zu praktizieren. Hier dürfen wir von Gott, unserem Vater lernen.<br />
Er geht mit den Menschenkindern in Liebe <strong>und</strong> Wahrheit, in Barmherzigkeit <strong>und</strong><br />
Strenge um.<br />
In der Bibel finden wir immer wieder, dass Liebe <strong>und</strong> Wahrheit zusammen genannt<br />
werden. Nach Eph. 4,15 sollen wir die Wahrheit festhalten in Liebe <strong>und</strong> in 1. Kor. 13,6<br />
freut sich die Liebe mit der Wahrheit. Beide sind unzertrennlich miteinander verb<strong>und</strong>en.<br />
Da, wo das eine auf Kosten des anderen gelebt wird, entsteht ein Krankheitsherd.<br />
4. Der nächste Krankheitsherd nennt sich „übertriebene Fürsorge“ oder<br />
„sich selbst überlassen“.<br />
Der Motor für die übertriebene Fürsorge ist die Ängstlichkeit der Eltern. Solche Eltern<br />
neigen dazu, überall Gefahren zu sehen <strong>und</strong> sind ständig hinter ihren Kindern her, um<br />
sie zu beschützen. Das andere Extrem ist, dass man seine Kinder aus Bequemlichkeit<br />
sich selbst überlässt. Man setzt sich nicht mit den Kindern auseinander, weil man seine<br />
Ruhe haben möchte.<br />
5. Eiserne Selbstbeherrschung oder sich „gehen lassen“ weist auf einen<br />
Krankheitsherd hin.<br />
Auf der einen Seite dürfen keine Gefühle gezeigt werden, man „frisst“ alles in sich hinein<br />
<strong>und</strong> über Gefühle wird nicht gesprochen. Auf der anderen Seite reagiert man dauernd<br />
mit Gefühlsausbrüchen <strong>und</strong> terrorisiert auf diesem Weg den Rest der Familie.<br />
Auch hier müssen wir sagen, dass beides vom Übel ist <strong>und</strong> das Richtige irgendwo in<br />
der Mitte liegt.<br />
6 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008
Baustelle Familie – „heile“ Familie, „kranke“ Familie<br />
6. Familiäre Verstrickungen zeigen uns auch einen weiteren Krankheitsherd an.<br />
Was sind familiäre Verstrickungen? Wenn ein Elternteil sein Kind zu seinem Vertrauten<br />
macht. Das Kind soll nun Elternersatz oder ein Stück weit Partnerersatz sein. Solches<br />
tritt auf, wenn Eltern sich nicht mehr verstehen oder auch bei Alleinerziehenden<br />
ist dies ein großes Problem. Insbesondere, wenn die Mutter allein erziehend ist <strong>und</strong> einen<br />
Sohn hat oder der Vater als Alleinerziehender eine Tochter großzieht, ist die Gefahr<br />
der familiären Verstrickung sehr groß. Hier kann uns die Joseph-Geschichte im alten<br />
Testament als Illustration dienen. Jakob hat Joseph zu seinem Vertrauten gemacht<br />
(1. Mose 37,2-4), behandelte ihn als etwas ganz besonderes, denn er war der erstgeborene<br />
Sohn seiner geliebten Rahel, für die er bereit war vierzehn Jahre zu dienen <strong>und</strong><br />
er meinte es wären vierzehn Tage (1. Mose 29,20-30). Diese Sonderstellung im Hause<br />
des Vaters Jakob brachte ihm Neid, Eifersucht, Missgunst <strong>und</strong> Hass (1. Mose 37,11+20)<br />
von Seiten seiner Brüder ein. Generell ist es für die Entwicklung eines Kindes schädlich,<br />
wenn man nicht Kind sein kann <strong>und</strong> die Aufgaben eines Erwachsenen übernehmen<br />
muss, dazu kommen noch die Schwierigkeiten untereinander.<br />
7. Ein von Angst beherrschtes Familienleben ist ebenfalls ein Krankheitsherd.<br />
Da ist die Angst der Eltern: „Was denken die anderen von uns?“ Die Angst der Kinder vor<br />
den Eltern, die Angst vor der Meinung des anderen <strong>und</strong> die Angst etwas falsch zu machen.<br />
Angst will immer kontrollieren! Wo Kontrolle verloren geht, kommt Angst auf. Hier hilft<br />
nur eines, nämlich die Liebe Gottes, denn sie treibt nach 1. Joh. 4,18 die Angst aus.<br />
Wir haben einige Kennzeichen oder Krankheitsherde betrachtet, wobei es derer noch<br />
mehr gibt.<br />
- bedrückendes Familienleben;<br />
- vorgetäuschte Rollenspiele;<br />
- zerstörende Familienregeln;<br />
- emotionaler Missbrauch; körperlicher Missbrauch; sexueller Missbrauch usw.<br />
Nun können wir nicht sagen, dass wir eine „kranke“ Familie haben, wenn ein Bereich<br />
nicht intakt ist. Es müssen schon mehrere Bereiche zusammen kommen, erst dann<br />
können <strong>und</strong> dürfen wir von einer „kranken“ Familie sprechen.<br />
Was können wir ganz praktisch tun?<br />
• den oder die Krankheitsherde erkennen<br />
• zugeben, dass es diese Herde in unserer Familie gibt<br />
• offen mit dem Ehepartner darüber sprechen<br />
• sich thematisch mit dem Krankheitsherd beschäftigen<br />
• konkrete praktische Schritte überlegen, was gegen das Übel getan werden kann<br />
• mit anderen Eltern das Gespräch suchen<br />
• eventuell eine außenstehende Person hinzuziehen<br />
• nicht gleich aufgeben – Rückschläge gelassen hinnehmen<br />
• sind mehrere Herde vorhanden, dann einen nach dem anderen bewältigen<br />
• mit Gott über das Problem reden; um Vergebung <strong>und</strong> um Hilfe bitten<br />
Wir haben durch die Neugeburt alles bekommen (2. Petr. 1,3), um ein Leben zu führen,<br />
mit dem Jesus Christus geehrt wird. Wir haben als Christen die besten Voraussetzungen,<br />
um Familie so zu leben, wie es Gott gefällt.<br />
Er, unser liebender Vater, segne uns bei dieser wichtigen Aufgabe.<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
7
Hallo Kinder!<br />
Wer von euch war schon mal in China? Bestimmt die Wenigsten von euch, oder?<br />
Aber ihr habt bestimmt schon viel darüber gehört, denn in China finden dieses<br />
Jahr die Olympischen Spiele statt. Viele Länder schicken ihre besten Sportler<br />
zum Wettkampf nach China. Außerdem ist China das drittgrößte Land der Erde.<br />
Dort leben ca. 1,3 Milliarden Menschen. Ganz schön viele, stimmt‘s? Wenn man<br />
das auf die gesamte Bevölkerung der Welt ausrechnet, wäre jeder fünfte Mensch<br />
ein Chinese.<br />
Jesus ist unser bester Fre<strong>und</strong><br />
Jesus liebt uns sehr<br />
8 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
Eure Lilli<br />
Lilli Fritz<br />
In China gibt es Menschen, die sehr reich sind <strong>und</strong> in großen Städten <strong>und</strong> Häusern (statt Hütten)<br />
wohnen. Da leben aber auch viele sehr arme Menschen. Sie leben meistens in kleinen Dörfern,<br />
in kleinen zerfallenen Hütten, ohne Strom <strong>und</strong> fließendes Wasser. Viele können weder schreiben<br />
noch lesen.<br />
Li Jan war ein Mädchen von 7 Jahren, das mit ihrer Oma Hahn in so einem<br />
armen <strong>und</strong> verlassenen Dorf lebte. Sie waren sehr arm, denn Li Jan war noch zu<br />
klein, um zu arbeiten <strong>und</strong> Oma Hahn zu alt. So lebten sie von den Dingen, die sie<br />
von ihren Nachbarn bekamen.<br />
Doch Li Jan hatte Glück, denn sie durfte die Missionsschule besuchen. Dort durfte<br />
sie schreiben <strong>und</strong> lesen lernen – <strong>und</strong> bekam jeden Tag ein leckeres Mittagessen. Darüber war<br />
sie sehr froh. Doch es war nicht nur das Mittagessen, es waren auch die schönen Geschichten,<br />
die sie jeden Tag hörte. Li Jan könnte den ganzen Tag zuhören. Die Geschichten handelten<br />
von einem Mann, den sie „Jesus“ nannten. Jesus war der gute Hirte, ihr Beschützer <strong>und</strong> ihr<br />
allerbester Fre<strong>und</strong>, der sie über alles liebte! So bat sie Jesus in ihr Herz zu kommen. Li Jan war<br />
sehr glücklich. Voller Freude <strong>und</strong> Begeisterung lief sie zu ihrer Oma <strong>und</strong> erzählte ihr davon.<br />
Doch Oma Hahn wurde sehr böse, denn in ihrem Herzen hatte Jesus keinen Platz. Sie verbot<br />
Li Jan den Namen „Jesus“ je wieder auszusprechen. In China werden Menschen, die Jesus<br />
lieben, verachtet <strong>und</strong> manchmal sogar von der Polizei verfolgt. Li Jan war sehr traurig, aber<br />
sie konnte Jesus nicht vergessen, denn er hat so viel für sie getan. So betete sie heimlich zu Jesus<br />
<strong>und</strong> besonders für ihre Oma.<br />
Wie jeden Tag kam Li Jan auch heute am späten Nachmittag von der Schule nach Hause. Oma<br />
Hahn begegnete ihr begeistert an der Tür: „Schau, was ich hier habe, eine Tapete für unser<br />
Zimmer. Sind das nicht schöne Tapeten, mit verschiedenen Mustern <strong>und</strong> Zeichen. Jetzt machen<br />
wir es uns ganz gemütlich.“ Sie übergab Li Jan den Stapel Papier. Diese nahm den Stapel,<br />
blätterte darin <strong>und</strong> wäre vor Freude fast in die Luft gesprungen. Denn sie hielt das fast komplette<br />
Neue Testament in den Händen. „Danke, lieber Gott!“ flüsterte sie. „Oma Hahn!“, sagte Li<br />
Jan: “Diese Tapete ist eine ganz besondere. Denn es ist eine sprechende Tapete. Sie hat eine<br />
besondere Nachricht für uns.“ – „Eine Nachricht?“ staunte Oma Hahn: „Das musst du mir<br />
genauer erklären. Kannst du sie entschlüsseln, Li Jan?“ – „Ja Oma, ich kann sie entschlüsseln!<br />
Und ich kann dir jeden Tag eine Nachricht vorlesen.“<br />
Voller Begeisterung machten sich die zwei ans<br />
Tapezieren. Danach las Li Jan jeden Abend Oma Hahn<br />
eine Geschichte aus der Tapeten-Bibel vor. Oma Hahn<br />
konnte den Abend kaum erwarten. Denn auch sie<br />
gewann Jesus lieb <strong>und</strong> nahm ihn in ihr Herz auf. Li Jans<br />
Gebet wurde erhört!<br />
Johannes 3,16
Jesu Auferstehung<br />
Dichtkunst<br />
Der Frühling ist ein Bote;<br />
er bringt uns keine Not,<br />
weil Jesus für uns am Kreuz gestorben,<br />
hat uns mit seinem Blut erworben.<br />
Er blieb nicht im Tod,<br />
sondern: Gott erhob<br />
ihn zum Herrscher der Welt.<br />
Er ist für uns ein großer Held!<br />
Bringt die frohe Botschaft in die Welt,<br />
fordert dafür kein Geld,<br />
denn Jesus hat es auch ohne gemacht!<br />
Er hat sie sehr gern gebracht!<br />
Fabian Reiswich (10 Jahre)<br />
© 2008 Wiehl<br />
Jeder darf seine Kunst hier vorstellen! Bitte Passfoto, Name <strong>und</strong> Werk<br />
(Bilder, Gedicht, Musik, etc.) an die Redaktion senden (per Post oder E-Mail).<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
9
Christliche<br />
Klassiker<br />
Er ist in Bethlehem geboren,<br />
der uns das Leben hat gebracht,<br />
<strong>und</strong> Golgatha hat er erkoren,<br />
durchs Kreuz zu brechen Todes Macht.<br />
Ich fuhr vom abendlichen Strande<br />
hinaus, hindurch die Morgenlande;<br />
<strong>und</strong> Größeres ich nirgend sah<br />
als Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
Wie sind die sieben W<strong>und</strong>erwerke<br />
der alten Welt dahingerafft,<br />
wie ist der Trotz der ird’schen Stärke<br />
erlegen vor der Himmelskraft!<br />
Ich sah sie, wo ich mochte wallen,<br />
in ihre Trümmer hingefallen<br />
<strong>und</strong> stehn in stiller Gloria<br />
nur Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
Weg ihr ägypt’schen Pyramiden!<br />
In denen nur die Finsternis<br />
des Grabes, nicht des Todes Frieden<br />
zu bauen sich der Mensch befliss.<br />
Ihr Sphinx’ in kolossalen Größen,<br />
ihr konntet nicht der Erde lösen<br />
des Lebens Rätsel, wie’s geschah<br />
durch Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
Erdparadies am Roknabade,<br />
Flur aller Rosen von Schiras!<br />
Und am gewürzten Meergestade<br />
du Palmengarten Indias!<br />
Ich seh’ auf euren lichten Fluren<br />
noch gehn den Tod mit dunklen Spuren:<br />
Blick auf! Euch kommt das Leben da<br />
von Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
Du Kaaba, schwarzer Stein der Wüste,<br />
an den der Fuß der halben Welt<br />
sich jetzt noch stößt, steh’ nur <strong>und</strong> brüste<br />
dich, matt von deinem Mond erhellt!<br />
Der Mond wird vor der Sonn’ erbleichen,<br />
<strong>und</strong> dich zerschmettern wird das Zeichen<br />
des Helden, dem Viktoria<br />
ruft Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
Friedrich Rückert (1788-1866; deutscher Dichter <strong>und</strong> Übersetzer; Begründer der deutschen Orientalistik; galt<br />
seinerzeit als der bedeutendste Lyriker deutscher Sprache; in: Werke, Band 2, Leipzig <strong>und</strong> Wien, 1897, S.20-22.<br />
30 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha<br />
O der du in der Hirten Krippe<br />
als Kind geboren wolltest sein,<br />
<strong>und</strong>, leidend Pein am Kreuzgerippe,<br />
von uns genommen hast die Pein!<br />
Die Krippe dünkt dem Stolze niedrig,<br />
es ist das Kreuz dem Hochmut widrig;<br />
du aber bist der Demut nah’<br />
in Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
Die Kön’ge kamen anzubeten<br />
den Hirtenstern, das Opferlamm,<br />
<strong>und</strong> Völker haben angetreten<br />
die Pilgerfahrt zum Kreuzesstamm.<br />
Es ging in Kampfes Ungewitter<br />
die Welt, doch nicht das Kreuz in Splitter,<br />
als Ost <strong>und</strong> West sich kämpfen sah<br />
um Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
O lass uns nicht mit Lanzenknechten,<br />
lasst mit dem Geist uns ziehn ins Feld,<br />
lasst uns das heil’ge Land erfechten,<br />
wie Christus sich erfocht die Welt!<br />
Lichtstrahlen lasst nach allen Seiten<br />
hinaus als wie Apostel schreiten,<br />
bis alle Welt ihr Licht empfan’<br />
Aus Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
Mit Pilgerstab <strong>und</strong> Muschelhute<br />
nach Osten zog ich weit hinaus;<br />
die Botschaft bring’ ich euch, die gute,<br />
von meiner Pilgerfahrt nach Haus:<br />
O zieht nicht aus mit Hut <strong>und</strong> Stabe<br />
nach Gottes Wieg’ <strong>und</strong> Gottes Grabe!<br />
Kehrt ein in euch <strong>und</strong> findet da<br />
SEIN Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.<br />
O Herz, was hilft es, dass du knieest<br />
an seiner Wieg’ im fremden Land?<br />
Was hilft es, dass du staunend siehest<br />
das Grab, aus dem er längst erstand?<br />
Dass er in dir geboren werde<br />
<strong>und</strong> dass du sterbest dieser Erde,<br />
<strong>und</strong> lebest ihm, nur dieses ja<br />
ist Bethlehem <strong>und</strong> Golgatha.
Nordkoreanische Studenten nach Bibellesen verhaftet<br />
In Nordkorea wurden Studenten verhaftet, nachdem sie eine christliche DVD angesehen<br />
<strong>und</strong> in der Bibel gelesen hatten. Das Material wurde aus China nach Nordkorea geschmuggelt.<br />
Ein Bekannter der verhafteten Studenten flüchtete daraufhin nach China <strong>und</strong> berichtete<br />
dort den Vorfall der Hilfsaktion Märtyrerkirche. Die Situation der Inhaftierten sei sehr<br />
schlimm, so der Entkommene. In Nordkorea sind Schätzungen zufolge 00.000 politisch Verfolgte<br />
in Arbeitslagern interniert, darunter wohl etwa 0.000 bis 70.000 Christen.<br />
Hilfsaktion Märtyrerkirche / idea<br />
Katholiken respektieren Luther<br />
Der Rom-Korrespondent Richard Owen berichtet in der Zeitung „The Times“, dass<br />
enge Kreise um Papst Benedikt XVI an die Rehabilitierung Luthers denken. Luther habe<br />
nicht versucht, die Christenheit zu spalten, sondern korrupte Praktiken in der Kirche zu<br />
bekämpfen. Privat meine auch der Papst, daß Luther kein Irrlehrer war. Der Präsident des<br />
Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Walter Kasper, sagt über<br />
Luther: „Wir können viel von Luther lernen, angefangen mit der Bedeutung, die er dem Wort<br />
Gottes zumaß.“<br />
TimesOnline, 06. März 2008<br />
Christliche Großveranstaltung in Südamerika erfolgreich<br />
In Buenos Aires, Argentinien, nahmen Mitte März an zwei Tagen jeweils 00.000<br />
Menschen an einer christlichen Veranstaltung, dem „Festival des Lebens“, teil. Es war die<br />
bisher größte christliche Veranstaltung in Südamerika. Der Redner Luis Palau traf vorher mit<br />
der argentinischen Staatspräsidentin <strong>und</strong> wirtschaftlichen Entscheidungsträgern zusammen,<br />
um über die Bibel zu sprechen. Das staatliche Fernsehen übertrug die Veranstaltungen live<br />
<strong>und</strong> die Tageszeitungen berichteten auf den Titelseiten über das Ereignis.<br />
Luis Palau Association<br />
US-Studie: Kirchengänger leben länger<br />
Einer US-amerikanischen Untersuchung des Medizinprofessors D. A. Matthews, Washington,<br />
zufolge haben regelmäßige Kirchbesucher eine höhere Lebenserwartung als Nicht-<br />
Kirchgänger. Statistisch gesehen haben Gottesdienstbesucher, die wöchentlich die Kirche<br />
besuchen, eine Lebenserwartung von 8 Jahren, Nicht-Besucher von nur 7 Jahren. Offenbar<br />
wirke der <strong>Glaube</strong> positiv auf die Seele, so Matthews.<br />
Christlicher Ges<strong>und</strong>heitskongress / idea<br />
Erfolgreicher Christ in Hollywood<br />
Der Hollywood-Schauspieler Denzel Washington liest täglich in der Bibel. Für ihn sei<br />
das Buch „Bestseller Nr. “, berichtet Washington dem Magazin Reader’s Digest. Sein Verhältnis<br />
zu Gott lasse ihn bescheiden bleiben <strong>und</strong> der <strong>Glaube</strong> zeige ihm, daß nicht äußere<br />
Umstände sein Glück bestimmen. Der Schauspieler ist Sohn eines Pfingstpredigers <strong>und</strong><br />
besucht eine pfingstkirchliche Gemeinde in Los Angeles.<br />
Reader’s Digest / idea<br />
<strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
3
Nachdenkliches<br />
An die Ratsherren aller Städte<br />
deutschen Landes...<br />
Dr. Martin Luther, 5<br />
Ihr lieben Deutschen,<br />
kauft, solange der Markt vor der Tür ist;<br />
sammelt ein, solange es scheint <strong>und</strong> gut Wetter ist;<br />
braucht Gottes Gnade <strong>und</strong> Wort, solange es da ist!<br />
Denn das sollt ihr wissen:<br />
Gottes Wort <strong>und</strong> Gnade<br />
ist ein fahrender Platzregen,<br />
der nicht wiederkommt,<br />
wo er einmal gewesen ist.<br />
Er ist bei den Juden gewesen<br />
– aber hin ist hin; sie haben nun nichts mehr.<br />
Paulus brachte ihn nach Griechenland<br />
– hin ist hin; nun haben sie den Türken.<br />
Rom <strong>und</strong> lateinisch Land hat ihn auch gehabt<br />
– hin ist hin; sie haben nun den Papst.<br />
Und ihr Deutschen dürft nicht denken,<br />
dass ihr ihn ewig haben werdet.<br />
Denn der Undank <strong>und</strong> Verachtung<br />
wird ihn nicht bleiben lassen.<br />
Darum greif zu <strong>und</strong> halt fest,<br />
wer greifen <strong>und</strong> halten kann!<br />
Faule Hände müssen<br />
ein böses Jahr haben.<br />
3 <strong>Evangelium</strong> <strong>und</strong> <strong>Glaube</strong>, Nummer 4, 2/2008<br />
Bewahret uns im Gebet!<br />
Martin Luther<br />
Kupferstich von<br />
Lucas Cranach<br />
d. Ä., 1472-1553