Download - 750 Jahre Knappschaft
Download - 750 Jahre Knappschaft
Download - 750 Jahre Knappschaft
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Auf breiten Schultern<br />
01.07.2010<br />
20.03.2011<br />
Deutsches<br />
Bergbau-Museum<br />
Bochum<br />
Kurzführer
Man kannte im Mittelalter keine Trennung von Religion<br />
und weltlichem Leben. Kirche und Glauben durchdrangen<br />
die Gesellschaft bis in alle Winkel. Der gegenseitige Beistand<br />
innerhalb der Berufsgruppe, die religiöse Fürbitte,<br />
Andachten, Totengedenken und Fürsorge im Alltag verschränkten<br />
sich miteinander. Den Bergbau und die Berggemeinde<br />
sah man in Gottes Hand, ebenso das Schicksal<br />
jedes Einzelnen. Reichen Bergbau-Gewinn begriff<br />
man als göttlichen Segen, Unglück und Misserfolg zumin-<br />
Fromme Bergbruderschaften:<br />
Das Mittelalter<br />
dest auch als Bestrafung. Die Heiligen verstand man als<br />
helfende Geister und Mittler zu Gott, denen feindselige<br />
Berggeister entgegenstanden. Diesen versuchte man,<br />
durch verschiedene Arten von Abwehrzauber zu begegnen.<br />
Gleichzeitig galt es, für die Alltagspraxis gemeinsame<br />
Einrichtungen und Techniken zu ersinnen und zu erproben,<br />
die die Arbeit erleichterten. Der Zusammenschluss<br />
in der Gebets- und Solidarbruderschaft war die Antwort<br />
auf eine Lebens- und Arbeitsrealität an den Grenzen zum<br />
Fegefeuer und zur Hölle. Diese stellte man sich als wirkliche<br />
Orte im Untergrund, also in räumlicher Nähe zu den<br />
Bergwerken, vor.<br />
Bergbauliche Funde aus der Grube Bliesenbach<br />
Engelskirchen/ Oberbergischer Kreis<br />
um 1220<br />
Bochum, Deutsches Bergbau-Museum<br />
Die Fundstücke vermitteln Eindrücke vom Arbeitsalltag eines hochmittelalterlichen<br />
Bergmanns. Auffällig sind der geringe Anteil von Eisenfunden<br />
und das Auftreten hölzerner Schlägel und Schaufeln.<br />
Die Stücke waren vermutlich 1867 Teil einer Präsentation der preußischen<br />
Bergbauindustrie auf der Weltausstellung in Paris, von wo sie<br />
zunächst zur Bergakademie Berlin, dann zur Technischen Hochschule<br />
Berlin-Charlottenburg gelangten, von der sie 1935 als Schenkung an das<br />
Deutsche Bergbau-Museum übergeben wurden.
Urkunde für die Kirche<br />
St. Johannes im Goslarer<br />
Bergdorf<br />
Ältester Nachweis einer<br />
knappschaftsähnlichen<br />
Organisation<br />
28. Dezember 1260, Pergament,<br />
Goslar, Stadtarchiv<br />
Bischof Johann von Hildesheim<br />
(1257-1260) stellte am 28. Dezember 1260<br />
zwei Urkunden gleichen Rechtsinhalts aus. Der Hildesheimer<br />
Bischof sicherte darin der Bruderschaft zu<br />
St. Johannes, außerhalb der Goslarer Mauern und vor dem<br />
Rammelsberg gelegen, seinen Schutz und seine Hilfe zu. Die<br />
beiden Urkunden stellen die frühesten schriftlichen Belege für<br />
eine Bergleute-Bruderschaft mit sozial-karitativem Charakter im<br />
deutschsprachigen Raum dar.<br />
Hohlpfennig aus Goslar,<br />
1260-1280<br />
Einen solchen Pfennig zahlte jeder<br />
Bergmann pro Woche in die Bruderschaftsbüchse,<br />
daneben wurde<br />
monatlich der Lohn für eine Extraschicht<br />
in die Kasse der <strong>Knappschaft</strong><br />
gezahlt.<br />
Erzgewinnung und Kupferschmelzen im Mittelalter<br />
Zwei Miniaturen aus: Konrad von Megenberg (1309-1374)<br />
Buch von den natürlichen Dingen (1348-1350)<br />
Werkstatt des Diebold Hauber, 1442-1448?<br />
Original: Universitätsbibliothek Heidelberg
Harte Verfolgung Andersdenkender, Ämterkäuflichkeit,<br />
Ablasshandel, Prunksucht – es waren viele Faktoren, die<br />
viele Menschen, bis hin zu Vertretern der Kirche selbst,<br />
an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in Opposition<br />
zur katholischen Kirche brachten. Martin Luther und<br />
z.B. der berühmt-berüchtigte Ablasshändler und Prediger<br />
Tetzel wurden zu Symbolfiguren des Reformationszeitalters.<br />
Überall in der Gesellschaft brachen Konflikte aus,<br />
so auch in vielen Bergbaurevieren; zahlreiche Bergleute<br />
Umbruch:<br />
Die Reformation<br />
schlossen sich der Reformation an. Diese bekämpfte die<br />
Bruderschaften, auch im Bergbau, wegen ihres Ablasshandels<br />
und allgemein als Repräsentanten einer überlebten<br />
Zeit. Zumeist wurden die alten Bruderschaften aufgelöst.<br />
Religiös unabhängige <strong>Knappschaft</strong>en traten an ihre<br />
Stelle. Reformation und soziales Aufbegehren führten zu<br />
Kriegen und Schlachten. Neue Welten – und damit neue<br />
Bergbauregionen – wurden erschlossen. Wissenschaft<br />
und Großtechnik hielten Einzug im Bergbau und damit<br />
neue Risiken. Die „Bruderbüchsen“ als soziale Hilfskassen<br />
überdauerten den Umbruch. Aber das religiöse Element<br />
trat im Rahmen der <strong>Knappschaft</strong>en zurück, die sich<br />
nun an sozialen und berufsständischen Zielen orientierte.<br />
Die <strong>Knappschaft</strong> wurde zunehmend von den Landesherren<br />
dominiert.<br />
„Tetzelkiste“,? 16. Jahrhundert<br />
(„Wenn das Geld im Kasten klingt die Seele in den Himmel springt“)<br />
Görlitz, Pfarrkirche St. Peter (Bitte Nutzungsgenehmigung einholen!)<br />
Der Dominikanermönch und Ablassprediger Johann Tetzel wurde 1516<br />
Subkommissar im Bistum Meißen für den Ablasshandel zugunsten des<br />
Baus der Peterskirche in Rom, von 1517 an war er im Auftrag des Mainzer<br />
Erzbischofs in derselben Sache in den Bistümern Halberstadt und<br />
Magdeburg unterwegs. Er starb 1519 an der Pest. Seine Ablasszettel und<br />
vor allem die Geldeinnahmen soll er in einer gesicherten Kiste transportiert<br />
haben. Legenden zufolge soll ihm diese von einem Ritter entwendet<br />
worden sein, der zunächst einen Ablasszettel auf zukünftige Sünden von<br />
ihm erwarb und dann die Kiste stahl, während Tetzel ihm wütend Fegefeuerstrafen<br />
ausmalte.
„Die <strong>Knappschaft</strong> im Ior (=Jahr)<br />
1546“<br />
Ölfarbe auf Holz<br />
Original: Freiberg, Stadt- und<br />
Bergbaumuseum<br />
<strong>Knappschaft</strong>sbruderregister Freiberg, 1546-<br />
1565, 1575<br />
Amtsbuch, Papier, Pergamenteinband mit Schutzklappe<br />
für den vorderen Buchblock, Freiberg, Sächsisches Bergarchiv<br />
Die Bildaufschrift weist auf eine wichtige Begebenheit hin: Demonstrativ<br />
war Herzog Moritz als ordentliches Mitglied der Freiberger <strong>Knappschaft</strong><br />
beigetreten, eine Handlung des Fürsten zur Bekräftigung seiner Verbundenheit<br />
mit dem Bergbau und „seinen“ Bergleuten.<br />
Bildkarte der Bergstädte Clausthal (Vordergrund) und Zellerfeld<br />
im Harz, 1581<br />
Dresden, Sächsisches Hauptstaatsarchiv (Bitte Nutzungsgenehmigung einholen!)<br />
Diese „Streitkarte“ entstand im <strong>Jahre</strong> 1581, nachdem es zu einer schwerwiegenden<br />
militärischen Konfrontation zwischen den beiden Landesherren<br />
von Braunschweig-Wolfenbüttel (orange unterlegt) und Grubenhagen<br />
(blaugrün unterlegt) um die Nutzung des Wassers des Zellbaches für<br />
die Montanwirtschaft beider Territorien im Harz gekommen war. Im Zellbachtal<br />
in der Bildmitte befanden sich die Erzgruben. Der Streit belegt<br />
die damals rasch anwachsende Bedeutung von Maschineneinsatz auf<br />
Wasserkraftbasis für den Bergbau und seine Beschäftigten. Es sollte nur<br />
wenige Jahrzehnte dauern, bis die Montanwirtschaft vom Rhythmus der<br />
Maschinen beherrscht wurde.
Staatlichkeit im modernen Sinn entwickelte sich im 16.<br />
Jahrhundert, die Herren der Territorien beanspruchten<br />
absolute Macht und zogen überall das Montanwesen<br />
zu ihrer Finanzierung heran. Die Nähe der Bergleute zur<br />
Macht brachte ihnen Privilegien aber mit der Zeit auch<br />
zunehmende Lasten. Neue Technik ersetzte vielfach qualifizierte<br />
– aber mühsame und langsame – Handarbeit,<br />
aus freien Knappen wurden im 17. Jahrhundert mehrheitlich<br />
abhängige Lohnarbeiter, die im 18. Jahrhundert<br />
Strenge Leitung und Kontrolle:<br />
Die Fürstenherrschaft<br />
zunehmend verarmten. Die <strong>Knappschaft</strong> nahm nun auch<br />
Züge einer Armenversorgung an; der Gesichtspunkt der<br />
Absicherung vor Not und Armut im Alter, bei Krankheit<br />
und als Unfallfolge wurde immer wichtiger. Die Fürsten<br />
und ihre Verwaltungen sahen die Notwendigkeit einer<br />
Abwehr von Notzuständen, sie gewährten Beihilfen und<br />
sorgten für auskömmliche Nahrungsmittelpreise. Verbesserungen<br />
der Löhne und des Lebensstandards ließen sie<br />
nicht zu. Vielfach entstanden Konflikte, in diesen konnten<br />
sich die Bergarbeiter Respekt verschaffen, indem die<br />
Abwehr von Not und Hunger, gewisse Standesrechte als<br />
freier Bergmann und eine Schutzpflicht seitens der Obrigkeit<br />
anerkannt wurden. Traditionspflege und Bergmannskultur<br />
gingen an Bergmannsvereine über, die <strong>Knappschaft</strong><br />
wandelte sich zur Rentenkasse und Versicherung gegen<br />
Krankheit. Die Obrigkeit förderte den Steinkohlenbergbau<br />
und sorgte für die Bildung von hier zuvor unbekannten<br />
<strong>Knappschaft</strong>en.<br />
Fassade des Kornmagazins in Osterode am Harz, 1723<br />
Bergarchiv Clausthal<br />
Das Magazin diente dazu, Getreide zwecks Versorgung der Oberharzer<br />
Bergleute einzulagern. Getreide stellte eine völlig unverzichtbare Ernährungsgrundlage<br />
dar. Die Absicherung einer ausreichenden Ernährung<br />
war ein Basisanliegen der <strong>Knappschaft</strong>en. Nach dem Bau des Kornmagazins<br />
gehörte im Harz der Bezug des „Magazinkorns“ zu obrigkeitlich<br />
garantierten Preisen zu den Vergünstigungen (Benefizien) für die Bergleute.
Daniel Flach/ Zacharias Köhler<br />
Gründtliche Abbildung des uhralten …Zellerfeldischen<br />
Bergwercks<br />
Kolorierte Federzeichnung (Ausschnitt) 1661<br />
Hannover, TUI AG<br />
Im Oktober 1660 befuhr Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-<br />
Lüneburg (1625-1665) die nach ihm benannte Erzgrube bei Clausthal im<br />
Oberharz. Bald darauf befahl der Herzog, Übersichtsdarstellungen des<br />
Bergbaus in seinen Territorien anzufertigen.<br />
Die Darstellung des Oberbergmeisters und ausgebildeten Grubenvermessers<br />
(Markscheiders) Daniel Flach ist ein einmaliges Dokument<br />
des Bergbaus in vorindustrieller Zeit. Keine zweite Darstellung aus der<br />
Geschichte des europäischen Bergbaus bietet ein so großes, detailliertes<br />
Panorama eines Bergbausystems im 17. Jahrhundert. Der dargestellte<br />
Bereich hat etwa 4 km Längsausdehnung.<br />
Oberharzer Bergkanne der<br />
Clausthaler <strong>Knappschaft</strong><br />
Silber, vergoldet, 1652<br />
Hannover, TUI AG (Foto DBM)<br />
Diese Bergkannen hat ursprünglich der Clausthaler<br />
<strong>Knappschaft</strong> gehört und ist 1924 an die<br />
Berginspektion Clausthal verkauft worden.<br />
Sie demonstriert die Wohlhabenheit und das<br />
Selbstbewusstsein der <strong>Knappschaft</strong> und ihrer<br />
Mitglieder im 17 Jahrhundert während einer<br />
Boomphase des Bergbaus.
Das Königreich Preußen wollte nach den beiden Schlesischen<br />
Kriegen (1740-1742; 1744-1745) den Steinkohlenbergbau<br />
in der Grafschaft Mark stärker als bis dahin<br />
in seine Wirtschaftspolitik zur Steigerung der Staatseinkünfte<br />
einbinden. Dazu zählten die Ausarbeitung einer<br />
neuen Bergordnung und die Einrichtung einer <strong>Knappschaft</strong>.<br />
Im Gegensatz zu den <strong>Knappschaft</strong>en in den Erzrevieren,<br />
wo sich diese Institutionen auf eine bis ins Mittelalter<br />
zurückreichende Tradition stützen konnten, gab es<br />
Eine neue Einnahmequelle:<br />
Steinkohlenbergbau<br />
im märkischen Steinkohlenbergbau trotz seines hohen<br />
Alters keine solchen Anknüpfungspunkte. Die märkischen<br />
Bergleute hatten bislang ihre Tätigkeit im Bergbau wie<br />
jede andere Beschäftigungsmöglichkeit angesehen und<br />
keine besonderen bergständischen Organisationen gebildet.<br />
Im Unterschied zu den jahrhundertealten knappschaftlichen<br />
Einrichtungen in den Erzrevieren existierten<br />
diese ion der Grafschaft Mark von ihrer Gründung 1767<br />
bis zu ihrer Neugestaltung 1854 nur gut 90 <strong>Jahre</strong>. Das<br />
„Gesetz betreffend die Vereinigung der Berg-, Hütten-,<br />
Salinen- und Aufbereitungsarbeiter in <strong>Knappschaft</strong>en“<br />
vom 10. April 1854 hob die alte <strong>Knappschaft</strong> auf. Es beseitigte<br />
die bergbehördliche Zuständigkeit und organisierte<br />
die neuen <strong>Knappschaft</strong>svereine als Selbstverwaltungskörperschaften<br />
unter Aufsicht der Bergbehörden.<br />
Friedrich Christoph Müller<br />
Die Grafschaft Mark, 1791<br />
Dortmund, Stadtarchiv<br />
Hier wurde Ende des 18. Jahrhunderts die <strong>Knappschaft</strong>sorganisation für<br />
den Steinkohlenbergbau eingeführt.
Fahne der <strong>Knappschaft</strong> Essen und Werden, 1832<br />
Deutsches Bergbau-Museum Bochum<br />
Verschiedene Gesetzentwurfe, Reglements Statuten und<br />
Instruktionen für die <strong>Knappschaft</strong>en und den Bergbau<br />
Mitte des 19. Jh. (Originale: KBS und DBM)
In aufbrechenden Konflikten des sich entfaltenden Industriezeitalters,<br />
die in der Revolution von 1848/49 einen ersten<br />
Höhepunkt fanden, formierten sich die Arbeiterbewegung<br />
und ihre Organisationen. Die Zahl der Bergarbeiter<br />
stieg extrem an, ihre soziale Lage wurde problematisch.<br />
Wohnungselend und hygienisch problematische Verhältnisse<br />
im Grubenbetrieb und den Wohnbezirken griffen<br />
um sich, es entstanden Seuchen. Der Preußische Staat<br />
setzte bald auf das Prinzip „Sozialversicherung statt Sozia-<br />
Sozialgesetzgebung:<br />
Das Kaiserreich<br />
lismus“: Ohne eine Verbesserung der Situation der Arbeiterschaft<br />
wäre der Staat, der nun eine Fürsorge-Rolle<br />
beanspruchte, ernstlich in Gefahr geraten. Die Bergarbeiterschaft<br />
begehrte in großen Streiks auf. Bei der Schaffung<br />
von Sozialversicherungen wurde die <strong>Knappschaft</strong><br />
zum Modell. Zugleich wurde sie reformiert, auf neue<br />
gesetzliche Grundlagen gestellt und umgestaltet. Kulturelle<br />
Aufgaben, Traditionspflege und Geselligkeit organisierten<br />
sich im Vereinswesen neu, Sportvereine, Bergmannskapellen<br />
und Genossenschaften entstanden. Von<br />
einem anfangs strengen Dreiklassensystem wurde die<br />
<strong>Knappschaft</strong> schrittweise in eine allgemeine Bergarbeiterversicherung<br />
umgewandelt, die auch Gesundheitseinrichtungen<br />
unterhielt. Berufskrankheiten wurden erkannt,<br />
Maßnahmen der Bekämpfung und Vorsorge ergriffen. Die<br />
Mitspracherechte der <strong>Knappschaft</strong>smitglieder aber blieben<br />
bescheiden, die Obrigkeit gab den Ton an.<br />
Messgeschirr aus der Kapelle der<br />
Lungenheilstätte Beringhausen<br />
des Allgemeinen <strong>Knappschaft</strong>s<br />
vereins Bochum, ca. 1910<br />
Bochum, Deutsche<br />
Rentenversicherung<br />
<strong>Knappschaft</strong>-Bahn-See
Das Neue Verwaltungsgebäude des<br />
Allgemeinen <strong>Knappschaft</strong>s-Vereins zu Bochum 1910<br />
Theodor Rocholl (1854-1933)<br />
Kaiser Wilhelm II. auf der Zeche Lothringen in Bochum-Gerthe,<br />
1912<br />
Bochum, Deutsches Bergbau-Museum<br />
Am 8. August 1912 um 9.30 Uhr ereignete sich auf der Zeche Lothringen<br />
in Bochum-Gerthe eine Schlagwetterexplosion in 350 m Tiefe, bei der<br />
144 Bergleute ums Leben kamen. Kaiser Wilhelm, der an den Feierlichkeiten<br />
zum 100-jährigen Firmenjubiläum der Firma Krupp in Essen zur<br />
selben Zeit teilnahm, reiste am folgenden Tag zu einem Kondolenzbesuch<br />
nach Bochum-Gerthe.
Die expansive Entwicklung des Bergbaus zu Beginn des<br />
20. Jahrhunderts hatte den <strong>Knappschaft</strong>svereinen eine<br />
Vermögensbildung ermöglicht, der Bochumer Allgemeine<br />
<strong>Knappschaft</strong>sverein z.B. war zu einer machtvollen Organisation<br />
mit repräsentativen Bauten und großem Einfluss<br />
geworden. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende<br />
Inflation trafen die <strong>Knappschaft</strong>en schwer. Viele Mitglieder<br />
gerieten ins Elend. Arbeitslosigkeit griff um sich. Im<br />
Ruhrgebiet mit seinem dominierenden Steinkohlenberg-<br />
Demokratisierung:<br />
Die Weimarer Republik<br />
bau verschärfte die französische Ruhrbesetzung die Lage<br />
und Stimmung. Um die Situation bewältigen zu können,<br />
schlossen sich die selbstständigen regionalen <strong>Knappschaft</strong>svereine<br />
im Reichsknappschaftsverein zusammen.<br />
Die Prinzipien von Selbstverwaltung und Parität<br />
der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite setzt5en sich<br />
durch, waren aber durch Inflation und allgemeine politische<br />
Instabilität gleich wieder infrage gestellt. Es gelang,<br />
die <strong>Knappschaft</strong> wieder zu konsolidieren und arbeitsfähig<br />
zu machen, aber als dies erreicht war, übernahm 1933 der<br />
Nationalsozialismus die Macht.<br />
Hans Richter (Entwurf)<br />
Plakat „3 Worte:<br />
Ungestörte Demobilmachung /<br />
Aufbau der Republik / Frieden“,<br />
1918/19<br />
Deutsches Historisches Museum<br />
Philipp Scheidemann:<br />
Proklamation der<br />
Weimarer Republik<br />
Bundesarchiv
Eine Frau feuert ihren<br />
Kachelofen mit<br />
Inflationsgeld, 1923<br />
Archiv der Friedrich Ebert Stiftung<br />
Das Gebäude der<br />
Reichsknappschaft in Berlin<br />
um 1930<br />
Karrikaturen und satirische<br />
Texte zur <strong>Knappschaft</strong>, 1924
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfasste<br />
1933 eine beispiellose Terrorwelle das Deutsche<br />
Reich. Mitarbeiter der <strong>Knappschaft</strong>, die der Gewerkschaft,<br />
der sozialdemokratischen oder kommunistischen<br />
Partei angehörten oder jüdischen Glaubens waren, wurden<br />
aus Ihren Dienststellen entfernt. Die Nationalsozialisten<br />
versuchten die <strong>Knappschaft</strong> in ihre Ideologie einzubinden<br />
und schalteten sie nach dem Führerprinzip gleich. Mit<br />
der Berufung des überzeugten Nationalsozialisten Rein-<br />
Gleichschaltung:<br />
Der Nationalsozialismus<br />
hard Jakob zum 1. Präsidenten der Reichsknappschaft<br />
1939 sollte das Sozialrecht im nationalsozialistischen<br />
Sinne umgestaltet und neu ausgerichtet werden. Wegen<br />
der großen Bedeutung des Steinkohlenbergbaus für die<br />
Kriegswirtschaft wurden die Bergleute zu den „ersten<br />
Arbeitern des Staates“ stilisiert und ideologisch mit den<br />
Soldaten an der Front gleichgestellt. Überlange Schichten,<br />
schärfere Maßnahmen der <strong>Knappschaft</strong>särzte gegen<br />
sogenannte Simulanten und die schlechte Versorgungslage<br />
verschlechterten den Gesundheitszustand der Bergarbeiter<br />
mit zunehmender Kriegsdauer. Der Mangel an<br />
Arbeitskräften führte zum menschenverachtenden Einsatz<br />
von Zwangsarbeitern, die von den knappschaftlichen<br />
Leistungen ausgeschlossen blieben. Am Ende des Zweiten<br />
Weltkrieges lag das <strong>Knappschaft</strong>sgebäude in Bochum<br />
in Trümmern; die finanzielle Lage der <strong>Knappschaft</strong> war<br />
durch wertlose Staatsanleihen ruiniert.<br />
Der Vorstandsvorsitzende der Reichsknappschaft sowie Ruhrknappschaft,<br />
Fritz Viktor (Fünfter von links), wurde nach der<br />
NS – Matchergreifung in der ehemaligen Zeche Gibraltar, die<br />
zeitweilig als „wildes“ Konzentrationslager diente, von der SA<br />
inhaftiert und misshandelt.<br />
Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets
Die Zeche Gibraltar bei Bochum als SS-Standartenführer-Schule<br />
im Juni 1933<br />
Presseamt der Stadt Bochum<br />
Der „halbjüdische“<br />
<strong>Knappschaft</strong>sarzt Dr.<br />
Siegfried Jacobi aus<br />
Streiffeld bei Aachen.<br />
Jacobi, als Oberstabsarzt<br />
im ersten Weltkrieg<br />
schwer verwundet,<br />
wurde aus dem Beruf<br />
gedrängt und 1942 in<br />
Theresienstadt interniert,<br />
wo er im Herbst<br />
des genannten <strong>Jahre</strong>s<br />
zu Tode kam.<br />
(aus: Ludwig Kahlen, Heimat-<br />
Klänge, Herzogenrath 1977)
Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen<br />
Regimes wurde die Reichsknappschaft funktionslos, und<br />
die Besatzungsmächte der drei Westzonen beauftragten<br />
stattdessen die Bezirksknappschaften mit der Weiterführung<br />
der Geschäfte. Der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet<br />
entwickelte sich zu einem Motor des Wiederaufbaus<br />
und des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Die Bezirksknappschaften erhielten 1949<br />
den Status als selbstständige Versicherungsträger zurück.<br />
Wiederaufbau, Wirtschaftswunder,<br />
Wiedervereinigung: Die Bundesrepublik<br />
Zwei <strong>Jahre</strong> später wurde die Selbstverwaltung wieder eingeführt,<br />
wobei Vertreterversammlung und Vorstand als<br />
Organe die Interessen von Bergleuten und Unternehmern<br />
vertraten, die Ältesten ihre starke Stellung bei der Selbstverwaltung<br />
zurückerhielten. Die Einheit der <strong>Knappschaft</strong><br />
in der Bundesrepublik wurde 1969 mit der Schaffung der<br />
Bundesknappschaft wieder hergestellt. Nach der Wiedervereinigung<br />
wurde deren Wirkungsbereich auch auf die<br />
fünf neuen Bundesländer ausgedehnt, das knappschaftliche<br />
Verbundsystem aber beibehalten. Die Bundesknappschaft,<br />
Bahnversicherung und die Seekasse schlossen sich<br />
2007 in den Bereichen Rentenversicherung, Krankenversicherung<br />
und Pflegekasse zu einem der größten und<br />
modernsten Sozialversicherungskonzerne Deutschlands<br />
zusammen, der über eigene Krankenhäuser und Reha-Kliniken<br />
verfügt. Ein vieldiskutiertes Problem stellt in neuester<br />
Zeit die Datenspeicherung dar; unter dem Stichwort<br />
vom „gläsernen Patienten“ ist eine große Debatte entstanden.<br />
Das Ruhrgebiet mit den <strong>Knappschaft</strong>seinrichtungen,<br />
Anfang der 1950er <strong>Jahre</strong> (KBS)
Das stark vereinfacht wieder aufgebaute Gebäude der Ruhrknappschaft<br />
in der Pieperstraße in Bochum Anfang der 1950er <strong>Jahre</strong><br />
(KBS)<br />
Gewerkschaftliche Forderung zur Neuregelung der Altersgrenze<br />
für Bergleute, „Die Einheit“, 1962.<br />
Das Zechensterben setzte<br />
sich auch nach der Gründung<br />
der Ruhkohle AG (1969) fort.<br />
Die Zeche Sophia Jacoba bei<br />
Hückelhoven schloss am 27.<br />
März 1997 trotz heftiger Proteste<br />
der Belegschaft.<br />
Deutschen Bergbau-Museum Bochum
Vortragsreihe zur Ausstellung 2010-2011<br />
im Deutsches Bergbau-Museum Bochum<br />
Jeweils 19.00 (Einlass ab 18.30)<br />
Eintritt frei<br />
14. September 2010<br />
Christoph Bartels / Deutsches Bergbau-Museum Bochum<br />
Arbeiten in der Unterwelt – Natur, Gesellschaft und Bergbau<br />
28. September 2010<br />
Eberhard Graf / Deutsche Rentenversicherung <strong>Knappschaft</strong>-Bahn-See Bochum<br />
Die <strong>Knappschaft</strong> als sozialer Pfadfinder – Stationen der deutschen und europäischen<br />
Sozialgeschichte<br />
2. November 2010<br />
Michael Fessner / Deutsches Bergbau-Museum Bochum<br />
Die märkische <strong>Knappschaft</strong> von ihrer Gründung 1767 bis zum preußischen<br />
<strong>Knappschaft</strong>sgesetz von 1854<br />
16. November 2010<br />
Martin Treu / Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt Wittenberg<br />
Bruderschaften, Reformation und „Gemeiner Kasten“<br />
30. November 2010<br />
Andreas Bingener / Deutsches Bergbau-Museum Bochum<br />
Das Bruderschaftswesen am Rammelberg bei Goslar und in Schwaz Tirol<br />
14. Dezember 2010<br />
Rainer Slotta / Deutsches Bergbau-Museum Bochum<br />
Skulpturen von Bergleuten im Auftrage der <strong>Knappschaft</strong>: Arnold Frische – Rudolf<br />
Belling – Erich Schmidtbochum<br />
18. Januar 2011<br />
Ulrich Lauf / Herten<br />
Die Bundesknappschaft bis zur Gründung der Deutschen Rentenversicherung<br />
<strong>Knappschaft</strong>-Bahn-See<br />
1. Februar 2011<br />
Norbert Ulitzka / Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie<br />
Bochum<br />
125 <strong>Jahre</strong> Bergbau-Berufsgenossenschaft<br />
15. Februar 2011<br />
Marc von Miquel / Dokumentations- und Forschungsstelle der<br />
Sozialversicherungsträger in NRW Bochum<br />
Die <strong>Knappschaft</strong> im Dritten Reich<br />
1. März 2011<br />
Lars Bluma / Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der<br />
Ruhr-Universität Bochum<br />
Das <strong>Knappschaft</strong>särztesystem an der Ruhr im Zeitalter der Industrialisierung
Auf breiten Schultern – <strong>750</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Knappschaft</strong><br />
Auf breiten Schultern – <strong>750</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Knappschaft</strong><br />
A f breiten Schultern<br />
AAu Au<br />
A f breiten Schultern<br />
AAu Au<br />
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher<br />
Katalog erschienen:<br />
Auf breiten Schultern – <strong>750</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Knappschaft</strong><br />
Bochum 2010, 416 Seiten, zahlreiche Abbildungen,<br />
29,90 €<br />
ISBN 10: 3-937203-49-4<br />
ISBN 13: 978-3-937203-49-2
Am Bergbaumuseum 28<br />
Besuchereingang: Europaplatz<br />
D-44791 Bochum<br />
Tel.: 01805 877 234 (14 ct/Min.)<br />
Fax: 0234 5877 111<br />
Öffnungszeiten:<br />
dienstags-freitags<br />
samstags, sonn-<br />
8.30-17.00 Uhr<br />
und feiertags<br />
geschlossen:<br />
10.00-17.00 Uhr<br />
montags, 1.1., 1.5., 24.-26.12, 31.12.<br />
www.bergbaumuseum.de<br />
knappschaft-ausstellung.bergbaumuseum.de<br />
Öffentliche Führungen<br />
durch die Sonderausstellung:<br />
sonntags: 14.00 Uhr, ca. 60 Min.<br />
Eintrittspreis zzgl. 2,50 e pro Person<br />
Führungen nach Anmeldungen:<br />
Gruppen: Eintritt zzgl. 60,– e, ca. 60 Min.<br />
Schulklassen: Eintritt zzgl. 35,– e, ca. 45 Min.<br />
Führungen in englischer Sprache zzgl. 20,– e<br />
Gruppenanmeldungen (max. 25 Personen)<br />
unter besucherservice@bergbaumuseum.de<br />
telefonisch: 0234 5877 146 (außer montags)<br />
oder 0234 5877 0