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Vorwort zur Neuauflage 2005 - Evangelische Akademie Meissen

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<strong>Vorwort</strong> <strong>zur</strong> <strong>Neuauflage</strong> <strong>2005</strong><br />

Vor 800 Jahren wurde das St.-Afra-Kloster als Augustiner Chorherrenstift gegründet. Gemessen an dieser<br />

Zeit sind die 13 Jahre für den Um- und Ausbau des ehemaligen Ökonomiehofes als <strong>Evangelische</strong><br />

<strong>Akademie</strong> von 1992 – <strong>2005</strong> nicht viel. Trotzdem feiern wir <strong>2005</strong> dankbar den Abschluss der Bau- und<br />

Sanierungsarbeiten und sind froh über dieses Haus, in dem das Alte deutlich sichtbar ist und in dem wir<br />

doch als Heutige leben und arbeiten können. Hier haben Menschen vor uns Glauben gelebt, haben<br />

gesungen und geschwiegen, Bier gebraut und geirrt, gelacht und vielleicht gehasst. Wie sie gebaut haben,<br />

was sie dachten und wie sie ihrem Glauben Gestalt gaben – davon kann man manches im Haus finden,<br />

überall gibt es „Fenster in die Zeit“: Die Namen der Zimmer, Spuren im Gemäuer, Reste von<br />

Wandmalereien oder eine alte Fußbodenheizung, Wehranlagen und Grabsteine. Sie alle erzählen<br />

Geschichten – und stellen zugleich Fragen an uns: Wie lebet ihr? Wofür nehmt ihr euch Zeit? Was ist für<br />

euch „gutes Leben“? Zu solcher Spurensuche im St.-Afra-Klosterhof möchte dieses Buch einladen und<br />

anregen.<br />

1997 hatte Matthias Flothow nach fünfjähriger Bauzeit eine erste Zusammenstellung von Texten <strong>zur</strong><br />

Geschichte und Neugestaltung des St.-Afra-Klosterhofes herausgegeben. Seitdem ist bis zum Abschluss<br />

der Bauarbeiten im Jahr <strong>2005</strong> viel Neues entstanden. Wenn auch die ursprüngliche Zielplanung immer im<br />

Blick war, mussten doch wesentliche Dinge, zum Beispiel für das Kreuzganghaus, neu bedacht werden. So<br />

hatte z.B. die Landessynode 1997 beschlossen, dass das Pastoralkolleg der Landeskirche von<br />

Krummenhennersdorf 1999 nach Meißen umziehen sollte. Dafür wurden im ersten Stock des<br />

Kreuzganghauses Räume vorbereitet, obwohl im Erdgeschoss noch auf unabsehbare Zeit eine Gaststätte<br />

in Betrieb war. Der geplante große Umbau konnte erst beginnen, als diese 1999 auszog. Auf den<br />

Fundamenten eines alten Wehrturmes im Zwingerbereich wurde ein Treppenturm aufgeführt. Die 8. und<br />

9. Ebene entstanden mit ihren Gästezimmern völlig neu, und es konnten mit „Remter“ und „Moritz“<br />

weitere Tagungs- und Arbeitsräume ausgebaut werden. Zum <strong>Akademie</strong>fest am Himmelfahrtstag 2003 gab<br />

es zum ersten Mal ein Konzert im wieder erstandenen Kreuzgang und in der Barbara-Kapelle!<br />

Da der Klosterhof bei Tagungen nicht voller Autos stehen sollte, wurde eine Lösung für das Parkproblem<br />

dringend. Nachdem viele Bemühungen gescheitert waren, entstand die Idee, ein Parkdeck zwischen<br />

innerer und äußerer Stadtmauer zu bauen. Im Zusammenhang damit musste nicht nur die alte Stadtmauer<br />

unterfahren werden, es zeigte sich auch, dass der Pönitenzturm fast ohne Fundament gebaut war!<br />

Auch im Gästehaus der <strong>Akademie</strong> Freiheit 2 ging die Sanierung weiter: Mit der Sicht-Öffnung des<br />

Treppenhauses zu den gegenüberliegenden Weinbergen hin bekam dieses Gebäude 2001 wieder den<br />

italienischen Flair, der dem letzten Besitzer 1916 bei seinem Umbau vorschwebte. Ein Aufzug erleichtert<br />

jetzt für Gäste die Nutzung – und natürlich für alle Bewohner dieses größten alten Meißner Wohnhauses<br />

mit seinen 7 Etagen! Seit <strong>2005</strong> die letzten Gerüste gefallen sind, erstrahlen auch die Außenfassaden wieder<br />

in neuem altem Glanz!<br />

Nach Abschluss aller dieser Bau- und Sanierungsmaßnahmen war es nun an der Zeit, die 1997<br />

herausgegebenen Texte zu überarbeiten und zu ergänzen. Neben einigen Kürzungen und Ergänzungen<br />

sind in Teil I von mir die Abschnitte Burglehnhaus und Der Klosterhof St. Afra und das „alte Europa“<br />

hinzugekommen. Für den Abschnitt II Sanierung und Umbau des St.-Afra-Klosterhofes von 1992 – <strong>2005</strong> danken<br />

wir dem Architekturbüro PFAU ARCHITEKTEN in Dresden.<br />

Im Teil III sind die Zimmer mit ihren Namen und den Erläuterungen aufgeführt. Die Namen der neu<br />

entstandenen Räume wurden hinzugefügt, die schon 1997 vorhandenen Erläuterungen gelegentlich<br />

gekürzt.<br />

Ich danke Frau Menzel für ihre Geduld und Gewissenhaftigkeit, mit der sie die Neuausgabe dieses Buches<br />

betreute – und Herrn Ahner für Rat und Tag bei allen Fragen der Formatierung und Druckvorbereitung.<br />

Meißen, am 5. Mai <strong>2005</strong><br />

Peter Vogel<br />

<strong>Akademie</strong>direktor und Domprediger


<strong>Vorwort</strong> <strong>zur</strong> ersten Ausgabe 1997<br />

Was war in Meißen los, als der Dom (zum zweiten Mal) gebaut wurde, als die Wettiner und Bischöfe ihre<br />

Residenzen auf dem Domberg hatten und Domherren und Chorherren, Nonnen und Wettinerfrauen,<br />

Juden und Christen, Kaufleute und Schüler, Zünfte und Bauern die Straßen bevölkerten?<br />

Zur Zeit der Klostergründung, 1205, war die große Steinbrücke zum Domberg noch nicht gebaut. Das<br />

St.-Afra-Kloster lag am Lommatzscher Tor. Es lag am Zugang zum Domberg. Und es lag an der Straße<br />

zwischen Leipzig und Böhmen, Paris und Krakau. Das St.-Afra-Kloster in Meißen wurde 1205 zwischen<br />

Domberg und Marktplatz, zwischen Bischof und Markgraf, an der Stadtmauer und an der Handelsstraße<br />

gegründet. Die Stiftungsurkunde weist diese Stellung geographisch und dem Auftrag nach aus. Die<br />

wichtigen Institutionen und Einrichtungen eines mittelalterlichen Gemeinwesens sind schon vorhanden.<br />

Das St.-Afra-Kloster und die in ihm wohnenden Augustiner Chorherren kommen zu dem städtischen und<br />

markgräflichen Gemeinwesen hinzu. Sie übernehmen bestimmte politisch gewollte Aufgaben, die in der<br />

Intention der Augustiner Chorherren liegen. Sie übernehmen die Versorgung von Pfarreien in der<br />

Umgebung. Sie bilden aus. Sie haben Grundbesitz. Sie nehmen Zins ein in Form von Geld, Hühnern,<br />

Weizen, Heringen, Schultern.1 Sie werden gegründet, um auf sich ankündigende Fragestellungen des<br />

späten 12. Jahrhunderts und des beginnenden 13. Jahrhunderts zu antworten. Die erste Reichtumswelle ist<br />

durch die Erzfunde in das Meißner Land eingezogen.2 Städte werden gegründet, der Handel nimmt zu.<br />

Die Gesellschaft “bricht auf”.<br />

In dieser Situation werden von Bischof Dietrich Augustiner Chorherren eingeladen, in Meißen ein Kloster<br />

zu besiedeln. Markgraf Dietrich dem Bedrängten wird die Schutzherrschaft über das Kloster angeboten,<br />

was dieser annimmt. Von jetzt an begleiten die Augustiner Chorherren die Meißner Geschichte und sie<br />

erleben das, was das Meißner und sächsische Land erlebt. In der Klostergeschichte spiegelt sich - wie<br />

sollte es anders sein - die Frömmigkeitsgeschichte, die Kirchengeschichte und die politische Geschichte<br />

Sachsens.<br />

Manche Begebenheiten sind in Texten und Verträgen aufgeschrieben und damit aufgehoben. Geistliche<br />

und literarische Texte beziehen sich auf Meißen und Meißner Vorgänge. Etliche dieser Texte sind hier<br />

gesammelt. Sie sind an Personen gebunden, die eine Beziehung zu Meißen und zu Meißnern haben:<br />

Pröpste von St. Afra, Theologen der Augustiner Chorherren, Markgrafen und Bischöfe, Einzelpersonen<br />

wie Heinrich von Meißen oder Walter von der Vogelweide reihen sich in diese Geschichte. Auch Päpste<br />

haben Urkunden über dieses Meißener Kloster ausgestellt.<br />

Diese Texte sind erstmals geplant worden, als die Frage aufkam, warum die Übernachtungszimmer der<br />

<strong>Akademie</strong> nicht nur nummeriert sind, sondern Namen haben. Ich will gerne selbst betonen, dass die<br />

Namengebung der Zimmer des Klosterhofs weder eine geschichtliche Beurteilung enthält, noch die<br />

Personen alle als wichtig und bedeutend ausweisen will. Am deutlichsten wird dies vielleicht bei dem<br />

Zimmer für den “unerkannten Schüler”. Vielleicht würde man bei dem einen oder anderen Zimmenamen<br />

den Namen zuhängen, würde man Genaueres über die Person erfahren. Wer weiß. Die Intention ist<br />

alleine die, an Menschen zu erinnern, die vor uns im Klosterhof, in Meißen, in Sachsen gelebt und gewirkt<br />

haben und deren Gestaltung in einer Folge mit den Bedingungen unseres heutigen Bemühens um die<br />

Gestaltung von gutem Leben steht.<br />

Mich hat die Geschichte des Klosterhofs im Planungs- und Gestaltungsprozess zunehmend beeindruckt<br />

und wenn etwas von der Arbeit und Aura der Augustiner in Meißen dabei gerettet werden kann, dann<br />

bekommen heutige Auseinandersetzungen um gutes Leben <strong>zur</strong> synchronen, gleichzeitigen Orientierung<br />

auch eine diachrone, durch die Zeiten gehende Einordnung. Diese Dimension des Lebens könnte<br />

Plattitüden erschweren. Und dies wäre schon etwas. Und es könnte sich so auswirken,<br />

dass Identität nicht nur auf platter Erde gesucht wird (gegen technische Rationalität),<br />

1 Dass in den Dokumenten so oft von Land, Zins, Pacht und äußerer Verwaltung zu lesen ist, liegt nicht etwa daran, dass sich das<br />

Klosterleben vor allem um die Besitzungen gedreht hat. Es liegt daran, dass über Besitzungen schriftliche Aufzeichnungen angefertigt<br />

wurden, während Seelsorge und Predigt nicht auf dem Prinzip der Schriftlichkeit beruhten und stattfanden, ohne weiter aufgezeichnet zu<br />

werden.<br />

2 Bei Scharfenberg, wenige Kilometer elbaufwärts von Meißen, wurde ab 1227 Silber gewonnen. In der Blütezeit des Scharfenberger<br />

Erzbaus bestanden hier 24 Schächte. Die ergiebigsten lagen am Fuße des Schlossbergs. 1899 wurde das Scharfenberger Bergbaurevier<br />

stillgelegt.


dass Wurzeln bewusst werden (gegen die Ideologie des selbständigen Einzelmenschen),<br />

dass man Handlungs- und Reflexionsleistungen anderer mit mustert (gegen ein überhebliches<br />

Evolutionsdenken, dass Heute gleichsetzt mit Fortschritt),<br />

dass mit dem Gebäude Bauleute in behutsamer Sorgfalt und Neugier umgehen (gegen den<br />

Machbarkeitszugriff: Es geht alles),<br />

dass vergangene Personen als Täter und vor allem als Opfer Erinnerung bekommen (gegen die<br />

Ausblendung von zeitübergreifendem Lebenszusammenhang und gegen den Tod als Gleichmacher von<br />

Opfern und Tätern).<br />

Eine besondere Erfahrung stelle ich mit an den Anfang, obwohl sie in fast jedem Text zu den Pröpsten<br />

des Klosters wieder zu finden ist. Es gab eine beeindruckend große Spendenfreudigkeit in der Zeit des<br />

Klosters. Oft haben die Spender etwas sehr Weltkluges vermacht, nämlich Zinserträge. Manche Spende<br />

war mit einem realen Zweck verbunden wie Altersfürsorge für sich oder andere, Erinnerungsgottesdienste<br />

für Verstorbene, die Ausgestaltung der Kirche, Austeilung von Leinen, Bier für die Fastenzeit. Naturalien<br />

für den Lebensunterhalt in allem Notwendigen.<br />

<strong>Evangelische</strong>rseits sind diese Gaben - etwas vorschnell, wie ich inzwischen denke - als falsches<br />

Almosengeben in Misskredit gebracht worden. Und das Erinnern an Verstorbene findet natürlich heute<br />

noch statt. Aber es ist in den privaten Bereich abgedrängt worden. Ist das besser? Ist damit nicht Raum<br />

geschaffen worden, dass sich eine technische Aufklärung durchsetzt, die das Vergessen fördert, die Sieger<br />

ins Recht setzt und selbst das Vergessen des Vergessens noch organisiert.<br />

Soll man angesichts dieser Lage mit dem kritischen Gedanken, dass sich ein besonderes Gedächtnis nur<br />

Menschen verschaffen konnten, die die nötigen Mittel dafür hatten, das Gedenken gleich mit kritisieren?<br />

Ich sehe eher die Herausforderung an reformatorische Theologie gegeben, das Eingedenken, die<br />

Erinnerung gegen eine lebensferne Vernunft und gegen eine Technisierung des Menschlichen aufzubieten.<br />

Die Erinnerung zu pflegen heißt, eine Kultur des Vermissens weiter zu tragen. Das banale<br />

Missverständnis des Anhäufens von Gütern und Fetischen ist nicht gemeint. Sondern das Leben mit der<br />

Unvollständigkeit, mit den Abbrüchen und ihren Schmerzen, mit der Erinnerung, die letzten Endes ihre<br />

Begründung hat in der Erinnerung ans Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu, also eine Erinnerung ist, aus<br />

der “nach vorne” gelebt werden kann.<br />

Daneben ist etwas sehr Praktisches hervorzuheben. Die Reichhaltigkeit der Spenden fällt auf. Nicht in<br />

Sicht ist, dass und ob damals die Grenze des “Heils um einer Spende willen”, was evangelischerseits Kritik<br />

hervorrief, überschritten wurde. Eher schon ist heute die Grenze von vielen noch “unterschritten”,<br />

nämlich so, dass die Bereitschaft, sich ganz handfest um die Einrichtungen der Kirche und der Wohlfahrt<br />

(was hoffentlich nicht zwei ganz getrennt Bereiche sind) zu kümmern, bei manchen noch mehr geweckt<br />

werden könnte. Kein Glaube ohne gute Werke. Das Kloster lebte davon (auch die Landesschule danach!).<br />

Diese Zusammenstellung erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Sie stützt sich zum wenigsten auf<br />

eigene, neue Forschungen. Die im Literaturverzeichnis angegebene Literatur wird verwendet und zitiert,<br />

ohne im Einzelnen jeweils wieder benannt zu werden. Sonderliteratur wird an Ort und Stelle benannt.<br />

Zu danken ist für Vorbereitungsarbeiten vielfältiger und anspruchsvoller Art Frau Birgit Menzel, die alte<br />

Ortsnamen, altdeutsche Texte und lateinische Grabinschriften souverän, schnell und ebenso freundlich<br />

umgesetzt hat wie andere Aufgaben, die nicht ganz trivial waren.<br />

Meißen, am 18. August 1997<br />

Matthias Flothow<br />

<strong>Akademie</strong>direktor und Domprediger

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