7. Der Arzt als Gutachter - FMH
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<strong>7.</strong> <strong>Der</strong> <strong>Arzt</strong> <strong>als</strong> <strong>Gutachter</strong><br />
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<strong>7.</strong> <strong>Der</strong> <strong>Arzt</strong> <strong>als</strong> <strong>Gutachter</strong><br />
<strong>7.</strong>1 Allgemeines zum ärztlichen Gutachten<br />
Ist der <strong>Arzt</strong> <strong>als</strong> <strong>Gutachter</strong> tätig, steht die Wahrheitsfindung im Vordergrund,<br />
nicht die Therapie. Er vertritt damit nicht primär die Interessen des<br />
Patienten, sondern er muss die gestellten Fragen nach bestem Wissen<br />
und Gewissen beantworten.<br />
Versicherungen sind zur Abklärung ihrer Leistungspflicht oft auf medizinisches Expertenwissen<br />
angewiesen, ebenso die Gerichte für die Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten.<br />
Dabei geht es insbesondere um Fragen bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs<br />
zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden, um die konkrete<br />
Arbeitsunfähigkeit des Patienten, um die Ermittlung des Integritätsschadens 132 oder<br />
um die Frage, ob ärztliche Behandlungsfehler einen Gesundheitsschaden verursacht<br />
haben.<br />
Zwischen dem Besteller des Gutachtens und dem <strong>Gutachter</strong> besteht ein Auftragsverhältnis.<br />
Die Expertin muss den Auftrag selbst und sorgfältig ausführen. Dies ist<br />
nicht nur hinsichtlich der erwarteten Fachkompetenz bedeutend, sondern auch im<br />
Zusammenhang mit möglichen Ablehnungsgründen beim einvernehmlichen Gutachten.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Gutachter</strong> hat Anspruch auf ein Honorar, das vorgängig vereinbart werden<br />
sollte.<br />
Da die <strong>Gutachter</strong>in für die Beurteilung der gestellten Fragen kompetent sein muss,<br />
drängt es sich unter Umständen auf, von Beginn weg ein Expertenteam aus verschiedenen<br />
Fachrichtungen einzusetzen. Möchte ein <strong>Gutachter</strong> aufgrund seiner vertieften<br />
Analyse weitere Fachpersonen beziehen, soll er dies mit dem Aufraggeber absprechen.<br />
Die <strong>Gutachter</strong>in muss unbefangen sein. Sie darf deshalb mit Personen, die am Verfahren<br />
beteiligt sind, weder befreundet noch verfeindet oder verwandt sein. Auch darf<br />
sie zuvor nicht in den Fall involviert gewesen sein, sei es <strong>als</strong> behandelnde Ärztin oder<br />
<strong>als</strong> <strong>Gutachter</strong>in. Sich zu kennen bedeutet noch nicht zwangsläufig den Verlust der<br />
Unbefangenheit, kann aber den entsprechenden Anschein erwecken. Wer Gründe<br />
kennt, die bei einer Partei Zweifel an der Unbefangenheit wecken könnten, tut gut<br />
daran, die entsprechenden Zusammenhänge vor Annahme des Auftrages offenzulegen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Gutachter</strong> bereitet sich aufgrund der Akten auf die zielgerichtete Untersuchung<br />
des Exploranden vor und nimmt sich auch für diese genügend Zeit. Er informiert<br />
den Exploranden darüber, dass er einen nicht-therapeutischen Auftrag wahrnimmt.<br />
Erwartet wird, dass sich der Experte <strong>als</strong> Fachspezialist unvoreingenommen mit<br />
dem medizinischen Sachverhalt auseinandersetzt, diesen aufgrund seines Fachwissens<br />
und seiner Erfahrung beurteilt und die entsprechenden Schlussfolgerungen zieht.<br />
132 Dauernde erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität.<br />
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Das Gutachten soll der Fall- resp. der Streiterledigung dienen. Daher muss es klar, vollständig<br />
und schlüssig sein. Für den Beweiswert ist entscheidend, dass das Gutachten<br />
für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch<br />
die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben<br />
worden ist, in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der<br />
Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und dass die Schlussfolgerungen<br />
der Expertin begründet sind.<br />
Trotz seiner grossen Verantwortung ist der medizinische <strong>Gutachter</strong> kein Richter.<br />
Wichtig ist, dass er sich an die relevante Terminologie hält und nicht vermeintlich<br />
gleichbedeutende Begriffe aus andern Gebieten – insbesondere rechtsspezifische Begriffe<br />
– in seine Schlussfolgerungen einbettet. So hat sich der <strong>Arzt</strong> wohl zur Arbeitsunfähigkeit,<br />
nicht jedoch zur Erwerbsunfähigkeit oder Invalidität zu äussern. Er macht<br />
auch nicht Aussagen zur adäquaten Kausalität oder zum Verschulden im Behandlungsfehlergutachten.<br />
Erwünscht ist auch eine allgemein verständliche Sprache, welche frei<br />
ist von diskriminierenden Äusserungen.<br />
Das Gutachten sollte klar strukturiert sein und angeben, auf welche Elemente sich<br />
der <strong>Gutachter</strong> stützt (Dokumente, Befragung, Bildgebung, Untersuchung, Fachliteratur,<br />
etc.). <strong>Der</strong> Unterschied zwischen Tatsachen und Parteiaussagen muss zum Ausdruck<br />
kommen, etwa durch indirekte Rede. Wiederholungen oder Zusammenfassungen<br />
am Schluss sollten vermieden werden: Meist sind sie nicht identisch formuliert,<br />
schaden der Übersichtlichkeit und sind Anlass für neue Differenzen zwischen den Parteien.<br />
<strong>7.</strong>2 Ärztliche Gutachten für die Sozialversicherung<br />
Um abzuklären, ob eine Person berechtigt ist, Leistungen der Sozialversicherung, etwa der<br />
IV, zu erhalten, muss die Sozialversicherung Auskünfte einholen.<br />
Die Sozialversicherer müssen den relevanten Sachverhalt von Amtes wegen abklären.<br />
<strong>Der</strong> Versicherte muss sich nötigenfalls untersuchen oder begutachten lassen. Tut er<br />
dies nicht, so kann der Versicherer auf Grund der Akten verfügen oder die Erhebungen<br />
einstellen und Nichteintreten beschliessen.<br />
Braucht es ein Gutachten, gibt der Versicherer dem Versicherten den Namen der<br />
<strong>Gutachter</strong>in bekannt. <strong>Der</strong> Versicherte kann die <strong>Gutachter</strong>in aus triftigen Gründen ablehnen,<br />
und er kann Gegenvorschläge machen. Oft muss die <strong>Gutachter</strong>in zu Kausalitätsfragen<br />
Stellung nehmen. Am Beispiel der Unfallversicherung lässt sich zeigen, was<br />
damit gemeint ist:<br />
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Zunächst wird gefragt, ob ein Schaden vorliegt – und ob er die natürliche Folge eines<br />
Unfalles ist (natürliche Kausalität); es muss geklärt werden, ob ohne diesen Umstand<br />
der Schaden nicht, nicht in der gleichen Weise oder nicht zur gleichen Zeit eingetreten<br />
wäre. 133<br />
Zusätzlich wird ein adäquater Kausalzusammenhang verlangt, um Leistungen der<br />
Unfallversicherung auszurichten. Es muss <strong>als</strong>o geklärt werden, ob der Schaden nicht<br />
nur im Einzelfall, sondern auch im gewöhnlichen Lauf der Dinge eintreten würde. <strong>Der</strong><br />
adäquate Kausalzusammenhang ist zwar eine Rechtsfrage, die nicht vom <strong>Gutachter</strong> zu<br />
entscheiden ist. Die Richterin ist aber zur Beurteilung auch auf ärztliche Angaben angewiesen.<br />
Wie üblich, erwartungsgemäss oder aber wie selten ist der beobachtete Verlauf<br />
aus medizinischer Sicht?<br />
Im Sozialversicherungsrecht gilt generell der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.<br />
Überwiegend wahrscheinlich ist ein bestimmter Sachverhalt, wenn der<br />
entsprechenden Überzeugung keine konkreten Einwände entgegenstehen. Soweit zwischen<br />
zwei oder mehreren Möglichkeiten zu entscheiden ist, gilt derjenige Sachverhalt<br />
<strong>als</strong> überwiegend wahrscheinlich, der sich am ehesten zugetragen hat.<br />
133 Zit. nach: Ulrich Meyer, Die Zusammenarbeit von Richter und <strong>Arzt</strong> in der Sozialversicherung,<br />
SÄZ 26 / 1990; S. 1090 – 94.<br />
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