Leseprobe - Der Feinschmecker
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Ganze schön eingestaubt. <strong>Der</strong> Abrieb in den Bremstrommeln<br />
fiel ihm ein: ein wunderbarer Staub, hochfein,<br />
dunkelgrau und hervorragend haftend.<br />
Er schlief an diesem Abend schneller ein als gedacht<br />
und träumte. <strong>Der</strong> Weinpapst kam in einer kristallenen<br />
Kutsche aus eitel Riedel-Glas, gezogen von<br />
zwölf jungen Weinköniginnen und eskortiert vom<br />
Weinbaupräsidenten. Diesem zeigte er seine große<br />
Harley-Davidson-Sammlung, und nach der Weinprobe<br />
tuckerten alle auf den schweren Maschinen<br />
durch die Gemarkung.<br />
*<br />
Um 10 Uhr 25 rollte ein bordeauxroter Kombi in den<br />
Krückschen Hof. »Fünf Minuten vor der Zeit ist der<br />
Soldaten Pünktlichkeit!« scherzte Eiderdaun. Zeit war<br />
für ihn Geld, und bei acht Winzerbesuchen täglich<br />
und achthundert Artikeln, Essays und Reden jährlich<br />
konnte er keine Verzögerungen dulden. Ewald Krück<br />
war nicht zum Scherzen zumute. Denn er hatte, gegen<br />
Morgen, noch etwas anderes geträumt: Die Schatzkammer<br />
konnte er nicht mehr finden, die frisch geputzte<br />
Kelter war über und über mit Staub bedeckt,<br />
und der Gerichtsvollzieher hatte auf Antrag des Weinbaupräsidenten<br />
seine Motorradsammlung beschlagnahmt.<br />
Er schlug zunächst einen Besuch der Weinberge<br />
vor. Eiderdaun aber wollte gleich den Betrieb sehen.<br />
Krück wurde leicht schlecht. Die Lage »Nierentritt«,<br />
erklärte der Kritiker, kenne er, schöner, steiler Südhang,<br />
leicht nach Westen gedreht. »Ihre Parzellen sind<br />
oben? Jaha, recht so, wie in der alten Zeit, Unterfeld,<br />
mittlerer Hang, Oberfeld. Die Versuchung«, nun legte<br />
er richtig los, »auch auf den Äckern der Flussniederungen<br />
Wein zu machen, blieb unserer Zeit vorbehalten,<br />
die Demokratie auch im Weinberg einführen<br />
wollte...«. Krück stutzte. Das wusste er anders. Gerade<br />
neulich hatten ihn in den Schriften der »Gesellschaft<br />
für »Geschichte des Weins« die vergeblichen<br />
Versuche der pfälzischen Kurfürsten amüsiert, das<br />
massenhafte Anlegen neuer Weinberge in der Rheinebene<br />
zu verhindern.<br />
Ewald Krück ging es schlagartig besser. <strong>Der</strong> Mann<br />
hatte ja erfreulich wenig Ahnung. Eiderdaun war inzwischen<br />
– man ging gerade durch die Halle mit den<br />
Spritz- und anderen Hilfsmitteln – bei seinem Lieblingsthema<br />
angelangt: den Winzern zu erklären, wie<br />
sie ihren Wein zu machen hätten. Krück stellte die<br />
Ohren auf Durchzug. <strong>Der</strong> hatte ja überhaupt keine Ahnung!<br />
Es wurde Zeit, dass der Kerl seinen 1855 /1976er<br />
Maggi-Morio probierte und weiterfuhr. Eiderdaun<br />
fragte auch schon nach der Schatzkammer und welches<br />
die älteste Flasche sei. Er glaube, die hier, sagte<br />
Krück, und Eiderdaun sagte »Darf ich mal«. Er rieb<br />
mit dem Daumen den Bremsstaub vom Etikett. »Unfassbar!«<br />
Ob er ein Foto machen dürfe, und ob er,<br />
Krück, eigentlich wisse, was er da habe? »Den 1855er<br />
Gau-Wackenheimer Nierentritt haben Sie da! <strong>Der</strong><br />
Wein, der am 25. Januar 1858 im St. Jamespalast in<br />
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