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Leseprobe - Der Feinschmecker

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BE R N D F R I T Z<br />

BERND FRITZ<br />

Geschichten<br />

aus dem Winzerdorf<br />

<strong>Der</strong> Erich Kästner Verlag<br />

31.08.2010 16:16:27 Uhr<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Bernd Fritz<br />

Geschichten aus dem Winzerdorf<br />

Bebildert von Rudi Hurzlmeier<br />

112 Seiten. Pappband<br />

14,90 € [D] /15,40 € [A]<br />

ISBN 978-3-85535-137-4<br />

www.atrium-verlag.com


Wenn ein berühmter Weinkritiker plötzlich einen erfolglosen<br />

Winzer besucht, muss das einen sehr speziellen<br />

Grund haben. Bei Ewald Krück war es eine 140 Jahre<br />

alte Flasche Gau-Wackenheimer »Nierentritt«. Nur<br />

schade, dass er das legendäre Gewächs kürzlich auf der<br />

Hochzeit seiner Tochter geöffnet hatte. So würde es<br />

nichts werden mit Berühmtheit und Reichtum, und<br />

auch nichts mit der erträumten Harley. Alles würde<br />

beim alten bleiben, insbesondere bei seiner alten japanischen<br />

Mühle. Es sei denn ...<br />

s war einer jener Tage im August, an denen Win-<br />

E zer gewöhnlich Muße haben. Die Abschlussspritzung<br />

in den Weinbergen war erfolgt, die Trauben reiften<br />

der Lese entgegen, und Ewald Krück saß an seinem<br />

Motorrad. Die Bremsbeläge waren abgefahren, der<br />

Abrieb lag als feiner Staub in den riefigen Bremstrommeln.<br />

Er würde sie ausdrehen lassen müssen, ebenso<br />

wie den Zylinder, neue Kolbenringe waren auch fällig,<br />

und er seufzte.<br />

»Ewald!« Seine Frau rief. Ein Herr Eiderdaun<br />

sei am Telefon. Eiderdaun? Sie musste sich verhört haben.<br />

Doch es war Eiderdaun, Mirko Eiderdaun, der<br />

Weinpapst; der Trauzeuge des Weinbaupräsidenten;<br />

der Großkritiker, der überall schrieb, wo Platz war;<br />

kurz: der Gröwaz (Größter Weinkenner aller Zeiten),<br />

wie seine Zunft neidvoll spottete. Morgen vormittag,<br />

4


zehn Uhr dreißig, wolle er sich Weingut und Weine<br />

ansehen. »Ja, aber was verschafft ...«, hub Krück an,<br />

doch noch vor dem »aber« hatte der berühmte Anrufer<br />

aufgelegt.<br />

Wie kam der auf ihn? Wo sollte der etwas von ihm<br />

probiert haben? Krück beschloss, seinen Schwager<br />

anzurufen. Dieser besaß ein bekanntes Weingut am<br />

Mittelrhein, wurde von Eiderdaun öfters erwähnt und<br />

posierte in den Weinmagazinen gern auf seiner Harley<br />

Davidson, mit der er durch die Weinberge tuckerte.<br />

»Ach, hat er sich schon gemeldet?« sagte der Schwager<br />

und klärte Krück auf: Er habe Eiderdaun, als sie über<br />

alte Jahrgänge philosophierten, erzählt, dass sein<br />

Schwager (»also du«) noch eine Flasche des legendären<br />

1855er Gau-Wackenheimer »Nierentritt« im<br />

Keller hätte. »Wenn du die für ihn aufmachst, kannst<br />

du dir mal ein anständiges Motorrad kaufen, mindestens.«<br />

*<br />

Ewald Krücks Schädel füllte sich mit einem einzigen<br />

Gefühl an. Es war das, welches die Sprache gewöhnlich<br />

mit der Wendung »Ach, du Scheiße!« begleitet.<br />

Die Flasche, ein Riesling, von dem sein Großvater immer<br />

sagte, die Königin Victoria habe ihn getrunken,<br />

hatte er für die Hochzeit seiner Tochter aufgehoben –<br />

und am Polterabend kredenzt! Immerhin besaß er die<br />

Geistesgegenwart, seinem Schwager das Malheur zu<br />

verschweigen. Und er verschwieg auch das Desaster<br />

der Verkostung. <strong>Der</strong> Wein, eine bräunliche Flüssigkeit,<br />

roch und schmeckte nach Sellerie und Maggi,<br />

wurde nach einer halben Minute im Glas trüb, und<br />

der Braut, die einen großen Schluck genommen hatte,<br />

wurde so schlecht, dass die Hochzeitsfeier ernstlich<br />

gefährdet war.<br />

Die leere Flasche samt Korken war noch da. Die<br />

Tochter hatte auf das »Souvenir«, trotz des gut erhaltenen<br />

Originaletiketts, verzichtet. Krück dachte nach.<br />

Er dachte an riefige Bremstrommeln und defekte Kolbenringe.<br />

Und wenn er die Flasche auffüllte? Berühmte<br />

alte Weine wurden schließlich auch aufgefüllt,<br />

wegen des Schwunds. Er ging in die »Schatzkammer«.<br />

Schatzkammer nennen die Winzer eine Ecke im Keller,<br />

in der sie aus nostalgischen Gründen alte Jahrgänge<br />

aufheben, die sie aus guten Gründen nie trinken.<br />

Die Krücksche bestand weitgehend aus dem<br />

unverkäuflichen Rest einer 1976er Morio-Muskat-Auslese,<br />

für die er einst die Silberne Kammerpreismünze<br />

bekommen hatte.<br />

Dann holte er aus der Küche das Maggi-Fläschchen<br />

und, in Ermangelung von Selleriesaft, aus der Hausapotheke<br />

das Jod-Fläschchen. Irgendwann hatte er in<br />

einem französischen Weinbuch unter »Fremdgerüche«<br />

gelesen, dass Weine nach Jod riechen können. Die<br />

Mixtur - der goldgelbe Morio-Muskat zeigte jetzt einen<br />

ungesunden Braunton – schmeckte furchtbar.<br />

Aber immer noch besser als »die alt Brieh (Brühe)«,<br />

wie Krück nach dem Ausspeien befand. Jetzt noch etwas<br />

Siegellack über Korken und Flaschenhals und das<br />

5 6


Ganze schön eingestaubt. <strong>Der</strong> Abrieb in den Bremstrommeln<br />

fiel ihm ein: ein wunderbarer Staub, hochfein,<br />

dunkelgrau und hervorragend haftend.<br />

Er schlief an diesem Abend schneller ein als gedacht<br />

und träumte. <strong>Der</strong> Weinpapst kam in einer kristallenen<br />

Kutsche aus eitel Riedel-Glas, gezogen von<br />

zwölf jungen Weinköniginnen und eskortiert vom<br />

Weinbaupräsidenten. Diesem zeigte er seine große<br />

Harley-Davidson-Sammlung, und nach der Weinprobe<br />

tuckerten alle auf den schweren Maschinen<br />

durch die Gemarkung.<br />

*<br />

Um 10 Uhr 25 rollte ein bordeauxroter Kombi in den<br />

Krückschen Hof. »Fünf Minuten vor der Zeit ist der<br />

Soldaten Pünktlichkeit!« scherzte Eiderdaun. Zeit war<br />

für ihn Geld, und bei acht Winzerbesuchen täglich<br />

und achthundert Artikeln, Essays und Reden jährlich<br />

konnte er keine Verzögerungen dulden. Ewald Krück<br />

war nicht zum Scherzen zumute. Denn er hatte, gegen<br />

Morgen, noch etwas anderes geträumt: Die Schatzkammer<br />

konnte er nicht mehr finden, die frisch geputzte<br />

Kelter war über und über mit Staub bedeckt,<br />

und der Gerichtsvollzieher hatte auf Antrag des Weinbaupräsidenten<br />

seine Motorradsammlung beschlagnahmt.<br />

Er schlug zunächst einen Besuch der Weinberge<br />

vor. Eiderdaun aber wollte gleich den Betrieb sehen.<br />

Krück wurde leicht schlecht. Die Lage »Nierentritt«,<br />

erklärte der Kritiker, kenne er, schöner, steiler Südhang,<br />

leicht nach Westen gedreht. »Ihre Parzellen sind<br />

oben? Jaha, recht so, wie in der alten Zeit, Unterfeld,<br />

mittlerer Hang, Oberfeld. Die Versuchung«, nun legte<br />

er richtig los, »auch auf den Äckern der Flussniederungen<br />

Wein zu machen, blieb unserer Zeit vorbehalten,<br />

die Demokratie auch im Weinberg einführen<br />

wollte...«. Krück stutzte. Das wusste er anders. Gerade<br />

neulich hatten ihn in den Schriften der »Gesellschaft<br />

für »Geschichte des Weins« die vergeblichen<br />

Versuche der pfälzischen Kurfürsten amüsiert, das<br />

massenhafte Anlegen neuer Weinberge in der Rheinebene<br />

zu verhindern.<br />

Ewald Krück ging es schlagartig besser. <strong>Der</strong> Mann<br />

hatte ja erfreulich wenig Ahnung. Eiderdaun war inzwischen<br />

– man ging gerade durch die Halle mit den<br />

Spritz- und anderen Hilfsmitteln – bei seinem Lieblingsthema<br />

angelangt: den Winzern zu erklären, wie<br />

sie ihren Wein zu machen hätten. Krück stellte die<br />

Ohren auf Durchzug. <strong>Der</strong> hatte ja überhaupt keine Ahnung!<br />

Es wurde Zeit, dass der Kerl seinen 1855 /1976er<br />

Maggi-Morio probierte und weiterfuhr. Eiderdaun<br />

fragte auch schon nach der Schatzkammer und welches<br />

die älteste Flasche sei. Er glaube, die hier, sagte<br />

Krück, und Eiderdaun sagte »Darf ich mal«. Er rieb<br />

mit dem Daumen den Bremsstaub vom Etikett. »Unfassbar!«<br />

Ob er ein Foto machen dürfe, und ob er,<br />

Krück, eigentlich wisse, was er da habe? »Den 1855er<br />

Gau-Wackenheimer Nierentritt haben Sie da! <strong>Der</strong><br />

Wein, der am 25. Januar 1858 im St. Jamespalast in<br />

7 8


London getrunken wurde! Auf der Hochzeit von<br />

Victoria Adelaide, der ältesten Tochter von Queen<br />

Victoria, mit Prinz Friedrich Wilhelm, dem nachmaligen<br />

Kaiser Friedrich III.!« Eiderdaun bekam feuchte<br />

Hände und fasste den Winzer leidenschaftlich am Unterarm:<br />

Er müsse ihn den Tropfen probieren lassen,<br />

und wenn es der letzte Schluck seines Lebens wäre!<br />

Könnte passieren, dachte Krück, und machte die Flasche<br />

auf.<br />

Was tatsächlich passierte, steht – tja, wenn nicht<br />

in den Sternen, so doch wenigstens im Buch auf<br />

Seite 56 ...<br />

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