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Reller 263 - Institut für Physik - Universität Augsburg

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Umwelt-Stoffwechsel von Siliconprodukten<br />

wie Östrogene wirken oder Androgene<br />

unterdrücken. Dadurch gefährden sie<br />

das männliche Reproduktionssystem.<br />

Versuche mit Octamethylcyclotetrasiloxan,<br />

dem sogenannten D4, an Wasserlebewesen<br />

ergaben eine hohe aquatische<br />

Toxizität: In Experimenten mit der<br />

Regenbogenforelle beträgt bei einer<br />

Versuchsdauer von 14 Tagen der LD 50 -<br />

Wert (Letaldosis <strong>für</strong> 50 Prozent der<br />

Versuchstiere) 10 Milligramm pro Liter.<br />

Außerdem können Fische cyclische<br />

Siloxane 1000–5000fach akkumulieren.<br />

Nichtflüchtige Silicone haben aber bisher<br />

keine Giftwirkung bei Säugetieren<br />

und Menschen gezeigt.<br />

■ Silicone sind nicht in jeder Umgebung<br />

inert. Vielmehr ist ihre außergewöhnliche<br />

Stabilität durch die Abwesenheit<br />

eines den Abbau beschleunigenden Katalysators<br />

begründet. Liegen sie jedoch<br />

feinverteilt vor, so kann es durch direkten<br />

Kontakt mit einer katalytisch aktiven<br />

Oberfläche oder durch ein starkes Oxidationsmittel<br />

(wie OH-Radikale) zum<br />

Abbau kommen. Auch die Ausrüstung<br />

von Silicon-Dichtungsmassen mit Bioziden<br />

bestätigt, daß Silicone von Mikroorganismen<br />

besiedelt und somit auch<br />

abgebaut werden können.<br />

Unter Umweltschutzaspekten bietet<br />

die Abbaubarkeit von Siliconen natürlich<br />

einige Chancen, zumal die letztlich<br />

stabilen Abbauprodukte Wasser, Kohlendioxid<br />

und Siliciumdioxid keine<br />

Umweltbelastung bedeuten. Es muß<br />

aber gründlicher erforscht werden, über<br />

welche Zwischenstufen die jeweiligen<br />

Abbaumechanismen führen. Ein Abbau<br />

über giftige Zwischenstufen – wie die<br />

oben erwähnten Siloxane – wäre fatal,<br />

vor allem wenn er in Innenräumen<br />

durch Mikroorganismen stattfindet.<br />

■ Das größte Problem des steigenden<br />

Gebrauchs von Siliconen sehen wir darin,<br />

daß ihr Abbau nur sehr umständlich<br />

(Feinverteilung) und unter ganz bestimmten<br />

Bedingungen möglich ist. So<br />

werden die notwendigen katalytischen<br />

Prozeßschritte durch Wasser verhindert,<br />

weswegen »Silicone in natürlichen<br />

aquatischen Systemen zu stabilen Bestandteilen<br />

der Sedimente werden« [9] .<br />

Weltweit sind im Sediment von Flüssen<br />

und Meeren Silicone nachzuweisen, im<br />

Rhein 0.4–83.1 Milligramm pro Kilogramm<br />

Trockengewicht, in der Bucht<br />

von San Francisco 0.7–2.6 mg/kg. Auch<br />

in der Bucht von Tokio wurden bei 17<br />

von 21 Proben Silicone und Siloxane in<br />

unterschiedlichen Konzentrationen identifiziert.<br />

Silicone, die vom Menschen erschaffenen<br />

künstlichen Stoffe, hatten bis vor<br />

wenigen Jahrzehnten in der Natur nicht<br />

existiert. Der Mensch entließ und entläßt<br />

sie in in die Biosphäre, obwohl ihr<br />

dortiges Schicksal nicht bekannt ist,<br />

aber infolge ihrer beschränkten Abbaubarkeit<br />

mit sehr langen Verweilzeiten<br />

gerechnet werden muß. Hier sehen wir<br />

künftige Risiken <strong>für</strong> natürliche Systeme,<br />

die mit hoher Wahrscheinlichkeit von<br />

den steigenden Silicon- und Siloxankonzentrationen<br />

beeinflußt werden. Wie<br />

bereits erwähnt, müssen zur Beurteilung<br />

der Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit<br />

von Siliconprodukten folgerichtig<br />

auch die ihnen zugefügten Additive beurteilt<br />

werden. Allgemeine Bemerkungen<br />

über die Toxikologie der Additive<br />

helfen kaum weiter, da eine Vielzahl<br />

unterschiedlichster Stoffe als Additive<br />

in Siliconprodukten verwendet wird.<br />

Darunter gibt es sensibilisierende und<br />

cancerogene Stoffe, zum Beispiel bei<br />

den UV- und Hitze-Kälte-Stabilisatoren.<br />

Wolkober et al. [10] haben nachgewiesen,<br />

daß »diverse Weichmacher auch <strong>für</strong><br />

pathogene Keime ein Nährboden sind<br />

und dadurch eine Quelle von schwierig<br />

zu identifizierenden Infektionen werden<br />

können«.<br />

Für viele Funktionen gibt es jedoch<br />

auch physiologisch und ökologisch unbedenkliche<br />

Additive. In der konsequenten<br />

Beschränkung auf sie steckt ein hohes<br />

Optimierungspotential – nicht nur <strong>für</strong><br />

Siliconprodukte.<br />

Siliconprodukte werden häufig mit<br />

einer ganzen Reihe von Zusätzen ausgestattet.<br />

So enthält ein handelsüblicher<br />

Siliconharzputz neben Wasser und Siliconharz<br />

noch Pigmente und Füllstoffe<br />

sowie als Additive Filmbildehilfsmittel,<br />

Entschäumer, Verdickungs- und Konservierungsmittel.<br />

Je mehr und unterschiedlicher<br />

die Zusätze, desto unkontrollierbarer<br />

werden Synergismus-Effekte.<br />

In der Toxikologie bedeutet Synergismus<br />

die gegenseitige Beeinflussung<br />

von Schadstoffen im Sinne einer additiven<br />

oder potenzierenden, gegebenenfalls<br />

neuartigen Wirkung. Heute weiß<br />

man, daß Allergien nicht nur von Einzelsubstanzen<br />

ausgelöst werden können,<br />

sondern auch durch das Zusammenwirken<br />

von Substanzen, die <strong>für</strong> sich<br />

kein allergenes Potential besitzen [11] .<br />

Chemikalienvielfalt wird als Grund <strong>für</strong><br />

eine Schwächung des Immunsystems<br />

und damit als Auslöser zahlreicher<br />

Krankheiten diskutiert, so zum Beispiel<br />

des sick building syndrome (SBS) und<br />

des chronic fatigue syndrome (CFS) [12] .<br />

In Zukunft sollte daher die Reduktion<br />

von Inhaltsstoffen bei Alltagsprodukten<br />

ein beträchtliches Optimierungspotential<br />

bieten. Wie das praktisch aussehen<br />

kann, wurde jüngst bei einer Körper-<br />

18<br />

GAIA 9 (2000) no. 1<br />

pflegemittelserie eines großen Hamburger<br />

Herstellers gezeigt [13] .<br />

4. Wirtschaftliche und<br />

gesellschaftliche Bedeutung<br />

Produktion nach Ländern und Herstellern<br />

Die weltweite Siliconproduktion nimmt<br />

ständig zu, in den neunziger Jahren um<br />

etwa 7 Prozent je Jahr. Während vor<br />

zwanzig Jahren insgesamt 300 000 Tonnen,<br />

davon in (damals) Westdeutschland<br />

ungefähr 30 000 Tonnen, produziert<br />

wurden, erreichte die Produktion 1996<br />

im vereinigten Deutschland schon<br />

250 000 Tonnen Silicone. Nordamerika<br />

ist mit 39 Prozent der größte Markt <strong>für</strong><br />

Siliconprodukte, dichtauf gefolgt von<br />

Europa. Das allgemeine Ungleichgewicht,<br />

daß die Minderheit der Menschen<br />

in den Industrieländern über die Mehrheit<br />

der Industriegüter verfügt, tritt also<br />

bei der Siliconproduktion und -nutzung<br />

besonders kraß auf.<br />

Die acht großen Firmen in der Siliconindustrie<br />

sind Dow Corning (USA), General<br />

Electric (USA), Wacker (Deutschland),<br />

Shin-Etsu (Japan), Rhône-Poulenc<br />

(Frankreich), OSi Specialities (USA),<br />

Bayer (Deutschland, jetzt mit General<br />

Electric fusioniert) und Hüls (Deutschland)<br />

in absteigender Reihenfolge. Die<br />

meisten hiervon sind große multinationale<br />

Unternehmen mit Produktion und<br />

Verkauf in vielen Ländern; der Anteil<br />

des Silicongeschäfts am Gesamtabsatz<br />

unterscheidet sich von Firma zu Firma.<br />

Die vier größten Siliconhersteller teilen<br />

sich 74 Prozent des globalen Marktes,<br />

auf die größten acht entfallen sogar 94<br />

Prozent. Die Gründe <strong>für</strong> diese Konzentration<br />

liegen in den günstigen ökonomischen<br />

Effekten der Massenproduktion<br />

im Zusammenhang mit dem technisch<br />

aufwendigen Herstellungsprozeß und<br />

der Marktbeherrschung.<br />

Was wir auf uns nehmen<br />

und was wir zu uns nehmen<br />

Wie erwähnt, werden die zahlreichen<br />

und vielfältigen Siliconprodukte in vielen,<br />

sehr unterschiedlichen Bereichen<br />

angewendet. Rechnet man die 250 000<br />

Tonnen Silicone, die in Deutschland<br />

jährlich produziert werden, auf die Einwohner<br />

um, so kommt man auf einen<br />

Anteil von 3 Kilogramm pro Kopf.<br />

Wegen der hohen Lebensdauer aller<br />

Siliconprodukte summiert sich diese<br />

Menge mit der Zeit auf ein Vielfaches.<br />

Über kurz oder lang begegnen uns<br />

Silicone in den meisten Lebensbereichen<br />

(vergleiche das Verteilungsmuster in<br />

Figur 4).

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