Bau eines Schaumlöschers
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Der Text erschien leicht verändert in der NiU 75/2003<br />
Spaß, Kreativität und selbständiges Planen beim Experimentieren Egg Race „<strong>Bau</strong><br />
<strong>eines</strong> <strong>Schaumlöschers</strong>“ mit medizintechnischen Geräten<br />
Von Gregor von Borstel und Andreas Böhm<br />
Experimentieren einmal anders<br />
In nahezu allen Richtlinien und Lehrplänen sind der Erwerb sozialer Kompetenzen, das Lernen im<br />
Kontext, die Hinführung zur Selbständigkeit durch Selbsttätigkeit und die Aneignung von Fertigkeiten<br />
und Fachmethoden eng mit den Zielsetzungen von Chemieunterricht verknüpft.<br />
Da Schülerexperimente zum Erreichen aller dieser Ziele beitragen können, sind unverzichtbarer<br />
Bestandteil des Chemieunterrichts. In der Unterrichtspraxis dienen sie häufig dem Erwerb eng<br />
vorgegebener kognitiver Ziele und sollen aus zeitökonomischen Gründen in der Regel direkt erfolgreich<br />
verlaufen. Eventuelle Fehlversuche werden nicht selten verhindert, in dem in der Planungsphase<br />
sämtliche Schritte ausgeklammert werden, die nicht zum erwarteten Ergebnis führen.<br />
Die Schülerinnen und Schülern erhalten damit zu selten die Gelegenheit, eigene Lösungswege<br />
tatsächlich zu begehen, sich selbst gegebenenfalls zu korrigieren und daraus zu lernen.<br />
In diesem Bereich liegen die Stärken des problemlösenden, kreativen Experimentierens, bei dem im<br />
Wettbewerb stehende Schülergruppen auf ihrem Weg zu einer von mehreren denkbaren Lösungen<br />
kommen: der „Egg Race“ Methode [1].<br />
Hierbei werden den Schülergruppen überschaubare Problemsituationen vorgestellt, für die sie unter<br />
Beachtung der unten aufgeführten Regeln mit Hilfe vorgegebener Materialien Lösungswege planen,<br />
beschreiten und gegebenenfalls optimieren.<br />
Ein Egg Race läuft nach folgendem Muster ab:<br />
allgemeiner Ablauf <strong>eines</strong> Egg Race<br />
1. Die Schülerinnen und Schüler erhalten eine überschaubare Problemstellung;<br />
2. Rahmenbedingungen (Verhaltensregeln und zu verwendende Materialien) werden geklärt;<br />
3. Die Gruppen planen ihr Vorgehen;<br />
4. Nach Rücksprache mit dem Lehrer (Sicherheitsaspekte) erhalten sie das nötige Material und führen<br />
ihr Experiment durch (Modifikationen zur Optimierung sind erlaubt);<br />
5. Vorgehensweisen und Ergebnisse werden vorgestellt.<br />
Der entscheidende Unterschied zu Experimenten mit vorweggenommener Planung liegt darin, dass die<br />
Planungsphase in die Gruppenarbeit verlegt wird. Mögliche „Fehlplanungen“ werden bei der Egg Race<br />
Methode nicht vorab ausgeschlossen, so dass die Schülerinnen und Schüler auch Wege beschreiten<br />
können, die eventuell nicht oder nur teilweise zu einer Lösung des Problems führen. Da sie im weiteren<br />
Verlauf ihre Vorgehensweise eigenständig reflektieren und optimieren können, führen solche<br />
Fehlplanungen aber nicht zu Frustrationen. Insgesamt haben Egg Races nach meiner Erfahrung<br />
folgende Vorzüge:<br />
• sie verknüpfen Alltagserfahrung und Fachwissen zu kreativem Denken und praktischem Handeln,
• sie nutzen Kooperation (untereinander) und Konkurrenz (zu den anderen Gruppen) als Motivation<br />
und ermöglichen zugleich soziales Lernen,<br />
• sie geben Gelegenheit, Probleme selbständig zu lösen und eigene Wege zu finden.<br />
Nun ist es nicht leicht, geeignete Aufgabenstellungen zu finden, die folgende grundlegende Kriterien<br />
erfüllen:<br />
1. darf das Problem auch die schwächeren Schülerinnen und Schüler nicht derart überfordern, dass<br />
sie keinen Einstieg in die Lösung finden, da keine gemeinsame Planung innerhalb der gesamten<br />
Gruppe erfolgt. Vielmehr „muss immer ein Bezug zu bereits erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
bestehen, um die Schüler nicht von vornherein zu entmutigen.“[2]<br />
2. müssen die Experimente gemäß der Gefahrstoffverordnung durchführbar sein und<br />
3. müssen prinzipiell mehrere Lösungswege gangbar sein.<br />
Beschreibung des Egg-Races - Der <strong>Bau</strong> <strong>eines</strong> Feuerlöschers<br />
Innerhalb der Unterrichtsreihe Luft und Verbrennung bietet sich für die Egg-Race-Methode der<br />
Selbstbau <strong>eines</strong> Feuerlöschers an. Zur Herstellung des Löschschaums werden Wasser, Spülmittel und<br />
eine Brausetablette zur Verfügung gestellt, die zusammen einen kohlenstoffdioxidhaltigen Löschschaum<br />
ergeben.<br />
Zur Bewältigung der Aufgabenstellung benötigen die Schüler nur wenig fachliches Vorwissen: Ihnen<br />
sollte lediglich bekannt sein, dass Kohlenstoffdioxid Feuer löscht und beim Lösen einer Brausetablette<br />
eben dieses Gas entsteht. Durch eine vorhergehende Untersuchung der Bestandteile der Luft im<br />
Rahmen der Unterrichtsreihe Luft und Verbrennung können diese Voraussetzungen leicht vermittelt<br />
werden.<br />
Für den <strong>Bau</strong> der Feuerlöscher wurden keine Glasgeräte, sondern Materialien aus der Medizintechnik<br />
bereitgestellt (Kunststoffspritzen mit Luer-Lock-Verschluss, Verbinder, passende Schläuche oder<br />
Magensonden, medizintechnische Dreiwegehähne, Absperrhähne oder Hahnbänke ein [4]). ggfls<br />
Abbildung 0_Kasten<br />
Diese medizintechnischen Geräte haben folgende Vorteile gegenüber herkömmlichen Glasgeräten:<br />
§ Sie bieten gerade für Schülerübungen mehr Sicherheit, da die Gefahr des Glasbruchs nicht<br />
besteht.<br />
§ Sie sind leichter zu handhaben.<br />
§ Sie lassen sich im Gegensatz zu Glasgeräten viel leichter gasdicht verbinden. Die Probleme<br />
und Gefahren beim Umgang mit Glasrohren und durchbohrten Stopfen treten nicht auf.<br />
§ Sie sind kostengünstig anzuschaffen.<br />
Ein mit den zur Verfügung stehenden Materialien selbstgebauter Feuerlöscher kann z.B. so aussehen:<br />
Abbildung „1_einfaches Modell“ und/oder 1_Skizze Musterlösung<br />
Die konkrete Aufgabenstellung für unsere Schülergruppen lautete:<br />
„<strong>Bau</strong>e mit den ausgeteilten Materialien, Spüli, Brausetablette und Wasser einen Schaumlöscher, der<br />
eine Kerze aus größerer Entfernung löscht.
Zum Löschen darf der Stempel der Spritze gezogen oder festgehalten, nicht aber gedrückt werden.“<br />
Der Zusatz ist wichtig, da so verhindert wird, dass zum Löschen einfach Wasser oder Schaum aus der<br />
Spritze gedrückt wird.<br />
Die Aufgabe steht zusammen mit den Regeln zur Durchführung der Gruppenarbeit auf der Folie, die am<br />
Anfang der Stunde besprochen wird.<br />
ggfls. Folie Feuerlöscher<br />
Bei leistungsstärkeren Gruppen bietet sich ein an das erste Experiment anschließende<br />
Zusatzexperiment an:<br />
Zusatzaufgabe: „<strong>Bau</strong>e einen Feuerlöscher, bei dem der Stempel der Spritze zum Mischen der<br />
Substanzen nicht angefasst werden muss.“<br />
Wir haben das Egg Race bisher in vier Klassen und Kursen durchgeführt. Die Ergebnisse waren<br />
vielfältig. Einige Gruppen mischen alle Substanzen in einer Spritze und hielten sie mit dem Daumen zu,<br />
um einen Druck aufzubauen, anderen benutzten diverse Schlauchverbindungen oder Hähne, um eben<br />
dies zu erreichen. Wieder andere mischten (vor allem für die Aufgabe 2) über mehrere Dreiwegehähne<br />
oder eine Hahnbank die Substanzen durch Einspritzen von Wasser oder Spüli in die Spritze mit der<br />
Brausetablette.<br />
gglfs. einige Fotos mit Schülerinnen oder Schülern<br />
Erfahrungen mit der Methode und weitergehende Einsatzmöglichkeiten<br />
Wir haben eine Reihe von Egg Races sowohl an der Realschule als auch am Gymnasium durchgeführt<br />
und einige im Internet bereit gestellt [5]. Sie sind sowohl im normalen Unterrichtsgang als auch in<br />
Vertretungsstunden eine Bereicherung für den Schulalltag der Schülerinnen und Schüler. Besonders<br />
wichtig erscheint uns die Beobachtung, dass das eigenständige Planen den Schülerinnen und Schülern<br />
schlichtweg Spaß macht, wodurch der Chemieunterricht eine neue Konnotation erhält.<br />
Ein eher außergewöhnlicher, aber sehr reizvoller Einsatzbereich der Egg Race Methode kann in<br />
Schüleraustauschaktivitäten liegen. Erprobt wurde dies während des Gastbesuchs einer chinesischen<br />
Schülergruppe. Die chinesischen und deutschen Schülerinnen und Schüler arbeiteten in gemischten<br />
Gruppen und kamen innerhalb der Gruppen schnell zu einem Gedankenaustausch über mögliche<br />
Lösungsstrategien. Anders als im herkömmlichen Unterricht gab es in dieser besonderen Situation ein<br />
sehr intensives Miteinander, bei dem auftretende Sprachbarrieren entsprechend der Methode relativ<br />
mühelos mit Skizzen oder angedeuteten Demonstrationen überbrückt werden konnten. Ermutigt durch<br />
diese Erfahrungen werden wir die Methode auch zu einem „naturwissenschaftlichen“ Wettbewerb im<br />
Rahmen des deutsch-ungarischen Schüleraustausches in diesem Jahr einsetzen.<br />
Fazit<br />
Neben einer Menge Spaß hatten alle Schülerinnen und Schüler nach dem oben skizzierte Egg-Race in<br />
Gruppen eigenständig einen Versuch geplant, durchgeführt und vielfach auch nach ersten nicht<br />
überzeugenden Löschversuchen die Apparaturen modifiziert. Auf diese Weise haben sie an einem<br />
Beispiel gesehen, dass zum Experimentieren auch das Probieren und Verbessern gehört. Aus unserer<br />
Sicht unterstützen Egg Races damit neben dem Erwerb sozialer Kompetenzen, planerischer<br />
Fähigkeiten und praktischer Fertigkeiten vor allem die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, ihr
Handeln zu reflektieren und nach Rückschlägen nicht aufzugeben, da Fehler erlaubt sind und korrigiert<br />
werden können.<br />
Wichtig ist für uns in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die mehrfach gemachte Beobachtung,<br />
dass einige Gruppen zunächst Startschwierigkeiten hatten. Da ihnen die Planung aber nicht durch<br />
andere abgenommen wurde, haben sie letztlich durch Ausprobieren ihre eigene Lösung gefunden.<br />
Insgesamt können wir feststellen, dass die Egg Race Methode für uns eine Methode neben anderen ist.<br />
Schülerexperimente mit weit engeren Rahmenbedingungen sind dann sinnvoll, wenn die Gefahr einer<br />
Überforderung Schwächerer besteht, die Problemstellung zu komplex ist, oder aus zeitökomischen<br />
Gründen eine straffere Vorgehensweise erforderlich ist. Allerdings wird der Chemieunterricht unseres<br />
Erachtens durch den Einsatz von kreativen Experimenten hinsichtlich der dargestellten Aspekte stark<br />
aufgewertet und sämtliches Experimentieren aufgrund der so erlangten, weitergehenden Kompetenzen<br />
erleichtert.<br />
Der systematische Einsatz der Methode schult die Schülerinnen und Schüler darin, Probleme<br />
eigenständig zu begreifen und zu lösen. Egg-Races tragen darüber hinaus enorm zur Motivation der<br />
Schülerinnen und Schüler für das Fach und letztlich zu einer anderen Sichtweise auf das Fach Chemie<br />
bei.<br />
Literatur<br />
[1] Hans Joachim Gärtner und Volker Scharf, Chemische „Egg Races“ in Theorie und Praxis,<br />
Studienmaterialien des SIL Speyer Band 144, Boppard/Speyer 1994.<br />
[2] Hans Joachim Gärtner, Kreativität und Wettbewerb. Chemisches Egg-Racing in der Sekundarstufe I,<br />
NiU Chemie, 6/1997, S. 17 - 20.<br />
[3] Vorschlag für einen Lernzirkel Luft s. Fächergruppe Chemie bei www.lo-net.de<br />
[4] Anbieter für medizintechnische Geräte sind u.a. wird noch ergänzt<br />
[5] weitere Beispiele s. http://www.lebensnaherchemieunterricht.de<br />
Autoren<br />
Gregor von Borstel, geb. 1970, Realschullehrer (Chemie und Geschichte) an der Emilie Heyermann<br />
Realschule Bonn, Lehrbeauftragter für Chemiedidaktik an der Universität Bonn<br />
Emilie Heyermann Realschule, Robert-Koch-Str. 36, 53115 Bonn<br />
Andreas Böhm, geb. 1967, Gymnasiallehrer (Chemie und Biologie) am priv. Gymnasium der<br />
Franziskanerinnen von Nonnenwerth.<br />
Gymn. Nonnenwerth, Insel Nonnenwerth, 53424 Remagen