Zur Innenpolitik Polens S. 3-8 - Deutsch-Polnische Gesellschaft der ...
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Tschetschenische Flüchtlinge zwischen Polen und<br />
<strong>Deutsch</strong>land<br />
Treibgut in <strong>der</strong><br />
Europäischen Union?<br />
Seit Mai 2004 ist nun auch in Polen die<br />
DUBLIN 11-Verordnung in Kraft getreten,<br />
die vor <strong>der</strong> noch geltenden Drittstaatenregelung<br />
Vorrang hat. Diese Verordnung<br />
besagt, dass <strong>der</strong> Staat, den die Flüchtlinge<br />
in <strong>der</strong> EU als erstes erreichen, zuständig für<br />
die Durchführung des Asylverfahrens ist.<br />
In Tschetschenien herrscht seit 1994 Krieg.<br />
Mit aller Härte geht die russische Regierung<br />
gegen die Zivilbevölkerung vor, mehr<br />
als 400.000 Menschen sind seither aus <strong>der</strong><br />
Kaukasusrepublik geflohen. Seit einigen<br />
Monaten kommen viele Tschetschenen<br />
auch über Polen nach Brandenburg, um in<br />
<strong>Deutsch</strong>land o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en westlichen Staaten<br />
Schutz zu suchen. Doch wenn sie die<br />
Grenze nach <strong>Deutsch</strong>land überquert haben,<br />
erwartet sie hier kein Schutz, son<strong>der</strong>n<br />
Abschiebehaft, denn zur legalen Einreise<br />
benötigen sie ein Visum, das sie von <strong>der</strong><br />
russischen Fö<strong>der</strong>ation nicht erhalten. Nur<br />
wenn sie es schaffen, in westlichere Bundeslän<strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> wenigstens bis Berlin zu<br />
gelangen, wo man ihnen die illegale Einreise<br />
über Polen nicht mehr nachweisen kann,<br />
haben sie eine Chance, nicht inhaftiert zu<br />
werden.<br />
Der Umgang mit tschetschenischen Flüchtlingen<br />
beschreibt ein hochaktuelles Problem<br />
<strong>der</strong> deutschen Abschiebepoltik. Auch<br />
wenn das Thema sehr speziell ist, wird<br />
gerade daran deutlich, dass <strong>der</strong> Einsatz<br />
gegen Rassismus, Diskriminierung und für<br />
Menschenrechte weit über ein multikulturelles<br />
Fest hinausgehen muss.<br />
Tschetschenen überqueren meist in Terespol<br />
die beorussisch-polnische Grenze. Hier<br />
müssen sie einen Asylantrag stellen, da sie<br />
sonst keine Chance auf Einreise haben. Bei<br />
Von Regine M. Wörden<br />
Brandenburg liegt als eines <strong>der</strong> östlichen deutschen Bundeslän<strong>der</strong> an <strong>der</strong> polnischen<br />
Grenze. Die Außengrenze <strong>der</strong> EU wurde mit dem Beitritt zehn weiterer Staaten<br />
Richtung Osten verschoben, dennoch ist die O<strong>der</strong>Neiße-Linie, die die Grenze zwischen<br />
Polen und <strong>Deutsch</strong>land markiert, weiterhin streng bewacht. Die sogenannte<br />
Drittstaatenregelung, die bis zum Beitritt <strong>Polens</strong> zur EU galt, hat es auch bis dahin<br />
für Flüchtlinge fast unmöglich gemacht, in <strong>Deutsch</strong>land einen erfolgreichen Asylantrag<br />
zu stellen. Wurden sie beim illegalen Grenzübertritt vom Bundesgrenzschutz<br />
(BGS) festgenommen und konnte klar festgestellt werden, dass sie soeben einen <strong>der</strong><br />
Grenzflüsse überquert hatten, wurden sie in den Zellen des BGS bis zu 48 Stunden<br />
inhaftiert. Hatte Polen seine Zustimmung gegeben, wurden sie nach Polen zurückgeschoben,<br />
ohne in <strong>Deutsch</strong>land eine Chance auf das Stellen eines Asylantrags zu<br />
haben.<br />
illegaler Einreise droht Inhaftierung, ein<br />
dann gestellter Asylantrag garantiert keineswegs<br />
die Freilassung. Bei <strong>der</strong> Einreise<br />
erfolgt eine erkennungsdienstliche Behandlung<br />
und die Fluchtgründe müssen<br />
dargelegt werden. Nach <strong>der</strong> Einreise wird<br />
das polnische Asylverfahren eingeleitet,<br />
die Flüchtlinge werden in überfüllten<br />
Unterkünften untergebracht. 2004 wurden<br />
weniger als zehn Prozent <strong>der</strong> tschetschenischen<br />
Antragsteller in Polen ein Flüchtlingsstatus<br />
entsprechend <strong>der</strong> Genfer<br />
Flüchtlingskonvention (GFK) zuerkannt.<br />
Im Februar 2005 fiel die Anerkennungsquote<br />
auf nur zwei Prozent. Nur anerkannte<br />
Flüchtlinge erhalten in Polen ein Jahr<br />
soziale Unterstützung, Flüchtlinge mit<br />
einem Tolerierten-Status jedoch finden sich<br />
auf <strong>der</strong> Straße wie<strong>der</strong> und haben das Problem,<br />
Wohnung und Arbeit suchen zu müssen.<br />
Anerkannte Flüchtlinge in Polen haben<br />
zwar das Recht auf Schulbesuch, Ausbildung<br />
und eine Arbeitserlaubnis, doch ohne<br />
offizielle Meldeadresse bleiben sie ohne<br />
Sozialhilfe und ohne Krankenversicherung.<br />
Hinzu kommt, daß gerade tschetschenische<br />
Flüchtlinge aufgrund <strong>der</strong> schrecklichen<br />
Brutalität des Krieges in ihrer Heimat<br />
beson<strong>der</strong>s häufig traumatisiert sind. Eine<br />
medizinischpsychologische Versorgung<br />
gibt es selbst für polnische Staatsbürger<br />
kaum. Gerade einmal zwei Psychologen<br />
arbeiten in Polen <strong>der</strong>zeit mit Flüchtlingen.<br />
Somit geraten insbeson<strong>der</strong>e Kranke,<br />
Alleinerziehende und kin<strong>der</strong>reiche Familien<br />
aufgrund des Verlusts <strong>der</strong> finanziellen<br />
und sozialen Hilfen nach Abschluss des<br />
Asylverfahrens in eine aussichtslose Situation.<br />
DEUTSCH-POLNISCHE POLITIK<br />
Rassistische Abschiebungen<br />
Das sind jedoch nicht die einzigen Gründe,<br />
aus Richtung Polen in den Westen zu reisen.<br />
Viele möchten mit nahestehenden<br />
Angehörigen und Freunden zusammenleben<br />
können. Das ist gerade für Menschen,<br />
die Gewalterfahrungen ausgesetzt waren,<br />
beson<strong>der</strong>s wichtig. Zumal das Misstrauen<br />
unbekannten Tschetschenen gegenüber<br />
sehr groß ist, da auch Tschetschenen auf<br />
russischer Seite gegen die Bevölkerung <strong>der</strong><br />
Kaukasusrepublik kämpfen.<br />
Viele Flüchtlinge haben auch früher schon<br />
den Ausgang des Asylverfahrens in Polen<br />
gar nicht abgewartet, son<strong>der</strong>n sind Richtung<br />
Westen weitergewan<strong>der</strong>t. Im Unterschied<br />
zu <strong>der</strong> Zeit vor dem EU-Beitritt<br />
<strong>Polens</strong> ist infolge ihrer erkennungsdienstlichen<br />
Erfassung im EURODAC-System<br />
nun jedoch sofort erkennbar, wo sie in die<br />
EU eingereist sind. Somit ist eine Ausweisung<br />
nach Polen meist eine Frage <strong>der</strong> formalen<br />
Regelung. Allein in <strong>der</strong> zweiten Jahreshälfte<br />
2004 erhielt Polen insgesamt<br />
1.320 Wie<strong>der</strong>aufnahmeanträge nach dem<br />
Dublin-Verfahren aus an<strong>der</strong>en EU-Län<strong>der</strong>n,<br />
von denen 1.182 positiv beantwortet<br />
wurden. Die meisten Anträge stammten aus<br />
<strong>Deutsch</strong>land. Trotz <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Rücküberstellung<br />
versuchen viele tschetschenische<br />
und auch an<strong>der</strong>e Flüchtlinge, weiter<br />
Richtung West- o<strong>der</strong> Nordeuropa zu ziehen.<br />
Hier haben sie Freunde, Verwandte,<br />
Bekannte. Doch die polnische-deutsche<br />
Grenze ist weiterhin stark gesichert. Überqueren<br />
die Flüchtlinge die Flüsse O<strong>der</strong> und<br />
Neiße illegal und werden im Grenzgebiet<br />
von <strong>der</strong> Bundespolizei gestellt, bringt man<br />
sie nach Eisenhüttenstadt. Hier befindet<br />
sich auf dem gleichen Gelände wie das<br />
Abschiebegefängnis die Erstaufnahmeeinrichtung<br />
für Flüchtlinge in Brandenburg.<br />
Beide liegen direkt an <strong>der</strong> polnischen<br />
Grenze. Bei den Familien werden die Frauen<br />
und Kin<strong>der</strong> im Familienhaus <strong>der</strong> Erstaufnahmeeinrichtung<br />
untergebracht, die<br />
Männer jedoch kommen in Abschiebehaft.<br />
Gemessen an den Erfahrungen, die diese<br />
Menschen gemacht haben, ist es eine psychische<br />
Zumutung, die Familien in dieser<br />
Art und Weise zu trennen. Zeitweise ist es<br />
auch schon vorgekommen, dass die min<strong>der</strong>jährigen<br />
Kin<strong>der</strong> in das Heim für alleinreisende<br />
Jugendliche in Brandenburg, ihre<br />
Eltern jedoch in die Haft gebracht wurden.<br />
Bis April 2005 stellten die Tschetschenen<br />
die größte Zahl <strong>der</strong> Häftlinge in <strong>der</strong><br />
Abschiebehaftanstalt Eisenhüttenstadt.<br />
Doch nun gehen auch hier die Zahlen<br />
zurück, immer weniger Flüchtlinge kommen<br />
über die deutsch-polnische Grenze.<br />
Fortsetzung S. 16<br />
POLEN und wir 2/2006 15