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oktober 2011 - freie musikschule zuerich

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14<br />

Ein Kind übt zuhause sein Instrument –<br />

was heisst das?<br />

von Peter Appenzeller<br />

Diese Frage stellen sich Eltern oft. Die<br />

Instrumentallehrpersonen haben sicher alle<br />

ihre eigenen Vorstellungen dazu und werden<br />

helfende Richtlinien geben. Es handelt sich<br />

ja auch um die meist besprochene Problematik<br />

beim Erlernen eines Instrumentes. Die<br />

Fähigkeit, das Instrument zu spielen, ergibt<br />

sich im Üben desselben – aber nicht nur! Da<br />

ist zunächst die Instrumentalstunde, in der<br />

das Wesentlichste geschieht. Dann folgen 7<br />

Tage, an denen geübt werden kann und –<br />

nicht zu vergessen(!) – auch 7 Nächte. „Der<br />

Herr gibt’s den Seinen im Schlaf...“ sagt der<br />

Volksmund. Es kann durchaus vorkommen,<br />

dass nach einer Woche des Nichtstuns ein<br />

Schüler um einiges besser spielt als vor 7<br />

Tagen. Die Nacht arbeitet während des<br />

Schlafes mit. Die Pädagogik von Rudolf<br />

Steiner berücksichtigt auch die Geschehnisse<br />

während des Schlafes. Jeder erwachsene<br />

Mensch kann an sich selbst erfahren, was<br />

er von Tag zu Tag (mit dazwischen liegender<br />

Nacht!) übend erreicht. Bei Kindern ist dies<br />

besonders stark wirkend, sind sie doch dieser<br />

geistigen Heimat um einiges näher als wir.<br />

Üben heisst ja eigentlich wiederholen, vertiefen,<br />

sich zu eigen machen. Das kann nur der<br />

denkende, fühlende und wollende Mensch<br />

im Verschmelzen dieser drei Seeleneigenschaften.<br />

In der Entwicklungszeit während<br />

des 2. Jahrsiebts ändert sich allerdings das<br />

Gewicht dieser drei Qualitäten. Zunächst ist<br />

beim jüngeren Kinde der Willens-Pol sehr<br />

stark. Ab der 4. Klasse wird sich ein stärkeres<br />

Gefühl einstellen und während der Pubertät<br />

ab der 7. Klasse erwacht mehr das Denkerische<br />

in dieser sich gegenseitig tragenden<br />

seelischen Dreiheit.<br />

Es übt mit mir<br />

Die jüngeren Kinder (bis zum 9./10. Lebensjahr)<br />

leben in der ersten Phase des Instrumentalspiels<br />

vor allem in ihrer wunderbaren<br />

Möglichkeit, die Stimmung in der Instrumentalstunde<br />

aufzunehmen, den seelischen<br />

Raum der Lehrperson zu erleben und durch<br />

die Fähigkeit der Nachahmung fast unbewusst<br />

erste wesentliche Schritte zu machen.<br />

Die Obhut der Lehrperson wirkt somit<br />

auch zuhause noch nach. Üben in diesem<br />

Alter heisst also, das in der Stunde Erlebte<br />

zuhause wieder zu finden, in derselben<br />

Stimmung das Instrument auszupacken, zu<br />

spielen und zu versorgen. Die Ich-Kraft einer<br />

erwachsenen Person steht dabei. Es kann<br />

sogar genügen, das Kind in der Erinnerung<br />

an den Instrumentallehrer alleine spielen zu<br />

lassen. Manchmal ist es nötig oder vom Kinde<br />

erwünscht, dass ein Elternteil dabeisitzt,<br />

seltener auch helfend eingreift. Eine gewisse<br />

Regelmässigkeit dieser Tätigkeit ist anzustre-<br />

ben, soll aber nicht zwingend werden. Die<br />

Stimmung ist noch ganz kindlich. Das Kind<br />

ist beispielsweise fähig, sich ganz mit dem Instrument,<br />

z.B. seiner Geige, zu identifizieren.<br />

Ich übe<br />

Diese Phase beginnt etwa in der 4. Klasse.<br />

Dem Kinde wird bewusst, dass es üben<br />

kann oder auch nicht, dass es gerne übt,<br />

dass Üben eine schöne, sich entwickelnde<br />

Tätigkeit sein kann. Bleibt man im 10. Takt<br />

stecken, beginnt man meist wieder von Anfang<br />

an, um im 10. Takt wieder zu stranden!<br />

Allmählich wird gelernt, auch mitten im<br />

Stück anzusetzen, um eine Stelle zu verbessern.<br />

Das Üben wird zu einem Prozess,<br />

der ein Gefühl für die Schönheit vermittelt.<br />

Das Kind spielt – fühlt es sich von der Musik<br />

getragen - meist gerne und übt eigentlich<br />

für seine Lehrperson. Zuhause bedeutet dies,<br />

mehr und mehr auf einen kontinuierlichen<br />

Üb-Rhythmus zu achten. Oft helfen da Abmachungen<br />

zu gewissen Tageszeiten. Elterliche<br />

Ermahnungen braucht es allenthalben!<br />

Allmählich bildet sich eine Selbständigkeit<br />

im Üben. Jedes Schaffen im kontinuierlichen<br />

Rhythmus bildet Willenskräfte für Neues.<br />

Noch immer ist das Musizieren zuhause ein<br />

universal erlebtes Tun, zunehmend wird es<br />

dem Kinde zu seiner Herzensangelegenheit.<br />

Da ist immer noch stark wirkend die vom<br />

Enthusiasmus der Lehrperson ausgehende<br />

Stimmung. Diese wird etwa bis zum 12.<br />

Jahre ohne wesentliche Beeinträchtigung<br />

anhalten.<br />

Ich übe<br />

Um das 12./13. Lebensjahr herum zeigt<br />

sich zuweilen in irgendeiner Form eine erste<br />

richtige Krise. Das Kind tritt ins Jugendalter<br />

und bemerkt, dass Üben anstrengend ist,<br />

Zeit braucht und oft nicht den gewünschten<br />

Erfolg bringt. Der Vergleich mit besser<br />

spielenden Kameraden wirkt entmutigend,<br />

weckt Selbstzweifel und verleitet nicht selten<br />

zum übereilten Aufgeben des Instrumentes.<br />

Offensichtlich spricht im Jugendlichen eine<br />

mehr oder weniger starke Ich-Kraft, die nicht<br />

Anweisungen von Eltern oder Lehrperson<br />

folgen, sondern selbst entscheiden und<br />

handeln will. Im Jugendalter wird einem<br />

bewusst, was das Instrumentalspiel bedeuten<br />

kann und wie man Fähigkeiten erreicht<br />

– man muss lernen, das Ruder selbst in die<br />

Hand zu nehmen. Noch sind die Jugendlichen<br />

aber sehr auf die innere und äussere<br />

Begleitung und stetige Ermunterung seitens<br />

der Erwachsenen angewiesen. Sie sind<br />

doch noch jung! Ich übe – dies kann einem<br />

freudig oder schmerzlich innerlich aufgehen.<br />

Man steht gleichsam alleine auf einer Bergspitze<br />

und sieht trotz zwischenräumlichem<br />

Abgrund den nächst höheren Gipfel. „So<br />

wie mein Lehrer dieses Stück spielt, möchte<br />

ich es auch spielen können.“ Willenskräfte<br />

erwachen, man hat ein Ziel im Auge, darauf<br />

hin wird nun gearbeitet. Virtuosität spielt<br />

plötzlich eine Rolle, ein Vorwärtskommen<br />

ist für eine Weile gesichert. Dann ist wieder<br />

ein neues Ziel angesagt. Läuft es nicht<br />

ideal, sind Gespräche und Abmachungen<br />

mit der Lehrperson notwendig und heilsam,<br />

beispielsweise: Trotz wenig bis gar kein Üben<br />

findet eine Instrumentallektion wöchentlich<br />

statt. Ziele werden gemeinsam mit dem<br />

Schüler formuliert und angestrebt. Oft sind<br />

Änderungen in der Methodik und Literaturwahl<br />

angezeigt. Da muss aber mit Hilfe der<br />

begleitenden Erwachsenen eine klare Form<br />

(auch mit gewisser Strenge) gewahrt bleiben,<br />

damit die Jugendlichen den vereinbarten<br />

Prozess durchstehen können. Nach Sturmgewitter<br />

kann lähmende Stille folgen, bis in der<br />

Ferne wieder erstes Morgenrot erscheint. In<br />

ein paar Monaten sieht die Welt wieder ganz<br />

anders aus. Da braucht es von uns Erwachsenen<br />

viel Grosszügigkeit und Taktgefühl, vor<br />

allem aber ausgleichenden Humor! Auch das<br />

kann geübt werden(!)

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