Ausgrenzung? â Nein Danke! - Franziskaner Mission
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<strong>Franziskaner</strong> <strong>Mission</strong> 1 | 2010 — <strong>Ausgrenzung</strong>? – <strong>Nein</strong> <strong>Danke</strong>!<br />
»Schicksal« oder »selbst schuld«?<br />
Nicht mit Jesus und Franziskus!<br />
Die Verlierer der Leistungsgesellschaft: Obdachlosenspeisung in São Paulo/Brasilien<br />
Kinder verschiedener Hautfarben und aus<br />
verschiedenen Kulturen spielen miteinander,<br />
auch wenn sie keine gemeinsamen Worte<br />
verwenden. Sie finden Wege der Verständigung<br />
mit viel Fantasie über alle Unterschiede<br />
hinweg. Jesus sieht in dieser kindlichen<br />
Fähigkeit die Bedingung für die unbegrenzte<br />
Gemeinschaft mit Gott: »Wenn ihr nicht<br />
werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in<br />
das Himmelreich kommen« (Mt 18,3).<br />
Schon früh wird Kindern beigebracht,<br />
in Konkurrenz mit anderen zu treten<br />
und das gemeinsame Leben hintanzustellen.<br />
Dies scheint eine Notwendigkeit<br />
zu sein im Kampf um beschränkte<br />
materielle Güter, um knappe Bildungsplätze<br />
und um die begrenzten Mittel<br />
der Gesundheitsversorgung. Der<br />
Mitmensch wird zum Konkurrenten.<br />
Einige erhalten die angestrebten<br />
Güter und Dienstleistungen im Überfluss<br />
und andere werden von ihrem<br />
Gebrauch ausgegrenzt.<br />
Anfangs schieben wir andere Bewerberinnen<br />
und Bewerber auf einen Ausbildungs-,<br />
Arbeits-, Krankenhausplatz<br />
blind beiseite und freuen uns, wenn<br />
wir selbst Glück gehabt haben. Ich<br />
kenne einen Jungen namens David,<br />
der nicht immer als Oberster auf dem<br />
Podest stehen wollte und sich deshalb<br />
nicht an dem ständigen Konkurrenzkampf<br />
beteiligt hat. Das ist sehr mutig<br />
für ein Kind, aber das gibt es.<br />
Konkurrenzdenken als Ursache von<br />
<strong>Ausgrenzung</strong><br />
Die Konkurrenz fordert zur eigenen<br />
Leistung heraus. Das Leistungsschwächere<br />
soll nach Möglichkeit in mir nicht gesehen<br />
werden. Da beginnt der Prozess der<br />
Aufteilung in Menschen, die Glück und<br />
die Unglück gehabt haben. Die <strong>Ausgrenzung</strong><br />
scheint notwendig im eigenen Leben<br />
und im Leben anderer. Diesem Prozess<br />
der Grenzziehung widersetzt sich Jesus<br />
von Anfang an. Die Kinder sollen nicht<br />
weggeschickt werden (Mk 10,14). Er<br />
stellt ausgegrenzte Menschen wie den<br />
Mann mit einer steifen Hand in die Mitte<br />
der Versammlung (Lk 6,8) und kehrt<br />
bei Menschen ein, die zur angesehenen<br />
Gesellschaft nicht dazugehören sollen<br />
wie der Zöllner Zachäus (Lk 19,5).<br />
Moderne Gesichter der Armut<br />
Auch in den vergangenen 2.000 Jahren<br />
gab es immer wieder Menschen, die<br />
Grenzen überschritten haben – sowohl<br />
ihre eigenen als auch die zu ihren weggeschobenen<br />
Nächsten: den Kranken,<br />
Mittellosen und wenig intellektuell<br />
Gebildeten. Es gab immer wieder Vorbilder,<br />
die sich für eine menschlichere<br />
Gesellschaft eingesetzt haben. Wenn wir<br />
uns zusammen mit diesen Menschen als<br />
heilende Glieder in die Geschichte stellen,<br />
dann sehen wir unsere Gesellschaft neu<br />
und leiden darunter, dass Menschen in<br />
unserem Land in materieller Armut leben.<br />
Dabei geht es weniger darum, Statistiken<br />
zur Kenntnis zu nehmen. Statistiken geben<br />
oft nur einen unzureichenden Einblick in<br />
die erniedrigenden Lebensumstände, die<br />
Armut bewirkt. Wenn man sich dagegen in<br />
seiner Umgebung umschaut und sieht, was<br />
es bedeutet, wenn zum Beispiel Kinder<br />
an einer Klassenfahrt und vielen anderen<br />
Unternehmungen nicht teilnehmen<br />
können, weil dafür kein Geld da ist, versteht<br />
man die Not der Betroffenen besser.<br />
Gesetze helfen häufig nicht<br />
Armut heißt oft, dass sich Menschen der<br />
Gesetze und Institutionen nicht bedienen<br />
können, die es zu ihrem Schutz ja gibt.<br />
Aber meistens profitieren von den gesetzlich<br />
verankerten Rechten eher Menschen,<br />
die gut ausgebildet und materiell abgesichert<br />
sind und die sich schriftlich und<br />
mündlich gut ausdrücken können. Was in<br />
Bezug auf das Recht gilt, gilt auch für die<br />
Bildung. Schon im Kindergarten, in der<br />
Schule und später dann bei der Berufswahl<br />
<strong>Ausgrenzung</strong>? – <strong>Nein</strong> <strong>Danke</strong>! — <strong>Franziskaner</strong> <strong>Mission</strong> 1 | 2010<br />
sind die Chancen der unterschiedlichen<br />
Bevölkerungsgruppen auch in Deutschland<br />
sehr verschieden. Und die Schere<br />
geht noch weiter auseinander.<br />
Handeln zählt<br />
Viele Menschen sehen, dass andere aus<br />
dem geschwisterlich teilenden Miteinander<br />
unserer Gesellschaft ausgegrenzt<br />
werden und reagieren auch darauf. Es<br />
ist wichtig, sich zusammen mit diesen<br />
Engagierten in den Strom der Menschlichkeit<br />
einzureihen und die Not der<br />
anderen durch gemeinsames Handeln zu<br />
lindern. Es geht darum, dass ich nicht<br />
passive Beobachterin oder passiver Beobachter<br />
bleibe, sondern dass ich aktiv mit<br />
ins Geschehen einsteige. Es besteht ein<br />
doppelter Graben zwischen Kopf, Herz<br />
und Hand. Dieser doppelte Graben muss<br />
übersprungen werden. Das, was ich mit<br />
dem Verstand als falsch und ungerecht<br />
erkenne, muss mir ins Herz dringen und<br />
mich von dort aus zum Handeln führen.<br />
Vielleicht mache ich bei diesem Handeln<br />
nicht alles richtig. Aber das muss ich<br />
riskieren – sonst ändert sich gar nichts.<br />
… »damit sie anderen nützt«<br />
Manche Menschen haben Angst, sich<br />
der Diskriminierung anderer zu stellen.<br />
Sie versuchen als glückliche Gewinner<br />
der Gesellschaft, die <strong>Ausgrenzung</strong> der<br />
»Pechvögel« zu rechtfertigen. Dann<br />
fallen Worte wie »Schicksal« oder »selbst<br />
schuld«, und es wird an dem anderen<br />
ein Mangel festgestellt, der das schlechte<br />
Abschneiden im Wettkampf begründen<br />
soll.<br />
Paulus weist in seinen Briefen im<br />
Neuen Testament auf die unterschiedlichen<br />
Gaben der Menschen hin. Sie<br />
ergänzen einander wie die vielen unterschiedlichen<br />
Glieder in einem Leib<br />
(1 Kor 12,12 ff.). Der eine kann dies<br />
und der andere das besonders gut. Keine<br />
dieser Gaben gehört dem Menschen für<br />
sich allein, sondern jede ist ihm von Gott<br />
geschenkt, »damit sie anderen nützt«<br />
(1 Kor 12,7): der Familie, den Freunden,<br />
der Gemeinde. Wer seine Gaben dagegen<br />
als Privateigentum ansieht, das er für<br />
sich behalten will, schiebt die anderen<br />
beiseite und sieht sie als bedrohliche<br />
Konkurrenten. Der, für den das Private<br />
zum höchsten Gut wird, mauert sich ein.<br />
Die Folge ist Solidaritätsverweigerung,<br />
das Gemeinsame gerät aus dem Blick.<br />
Das System der Konkurrenz knebelt die<br />
Menschen weiter – und zwar beide:<br />
sowohl die Ausgegrenzten als auch<br />
den »Eingemauerten« selbst.<br />
Geld ist nicht essbar<br />
Geld ist zum Maßstab der Wertschätzung<br />
geworden. Dieses Hilfsmittel im<br />
Tauschgeschäft hat aber keinen Wert<br />
für sich. Zum Erhalt des Lebens taugt es<br />
allein nichts. Geld ist nicht essbar und<br />
macht auch nicht gesund. Franziskus<br />
hat es verachtet, weil es Waffen und<br />
Kriege notwendig macht, wenn es einen<br />
zentralen Wert bekommt. Heute wissen<br />
wir noch mehr, wie recht er hatte. Die<br />
Geldvermehrung einiger drängt auch<br />
bei uns immer mehr Menschen in Situationen<br />
des Mangels in der täglichen<br />
Versorgung, in der Teilnahme an Bildung<br />
und am gesellschaftlichen Leben. Die im<br />
Blick auf die Geld- und Gütervermehrung<br />
Erfolglosen werden ebenso wie die<br />
Kranken oft nicht mehr gesehen, und ihr<br />
Tod wird oft als Erleichterung erfahren.<br />
Doch die aufgezählten Aspekte der<br />
<strong>Ausgrenzung</strong> werden von vielen<br />
nicht gesehen, weil sie sich nicht auf<br />
die eigene oder fremde <strong>Ausgrenzung</strong><br />
einlassen. Viele Menschen sind von<br />
ganz bestimmten Dingen abhängig –<br />
nicht nur Drogensüchtige! Ihre Wahrnehmung<br />
ist vollkommen auf ganz<br />
bestimmte Luxusgüter, Genussmittel<br />
oder auch Beziehungen fixiert, und<br />
dement sprechend verhalten sie sich.<br />
Sie benötigen all ihre Kräfte um sicherzustellen,<br />
dass sie über diese Dinge –<br />
oder auch Menschen – uneingeschränkt<br />
verfügen, denn sie meinen, ohne all<br />
dies nicht (mehr) leben zu können –<br />
zumindest nicht glücklich. So gefangene<br />
Menschen können die Wirklichkeit ihrer<br />
Umgebung und in sich nicht mehr wahrnehmen.<br />
Sie leben mitten unter uns und<br />
sind doch schwer erreichbar. Aber wenn<br />
wir diese tabuisierten Zonen aufbrechen<br />
und wieder Kontakt zu unserem Nächsten<br />
bekommen, dann ist es Zeit, ein<br />
Fest des Neuanfangs zu feiern über alle<br />
Grenzen hinweg.<br />
P. Christian Herwartz SJ<br />
Pater Christian ist Jesuit und Arbeiterpriester<br />
in Berlin. Er engagiert sich für Flüchtlinge und<br />
beim interreligiösen Gebet, für das seine Gruppe<br />
Anfang 2010 in Berlin den Dreikönigspreis<br />
erhalten hat.<br />
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