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Minarett-Verbot: Die Angst vor dem Islam - Zeit

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THEMA DES MONATS:<br />

<strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong>:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Angst</strong> <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Islam</strong><br />

ARBEITSBLÄTTER IM MONAT JANUAR 2010<br />

INHALT<br />

01/10 <strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong><br />

2 Einleitung: Thema und Arbeitsblätter<br />

3 Arbeitsblatt 1: Türme der <strong>Angst</strong><br />

5 Arbeitsblatt 2: Reif für direkte Demokratie?<br />

7 Arbeitsblatt 3: Freiheit, die ich meine<br />

9 Artikel und Internetquellen zum Thema<br />

© DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung<br />

www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 1


Einleitung: Thema und Lernziele<br />

Eine Mehrheit von rund 58 Prozent des Schweizer Volkes will den Bau von <strong>Minarett</strong>en in<br />

Zukunft verbieten. Nie zu<strong>vor</strong> sagten Bürger eines Landes an der Urne Nein zu<br />

Moscheetürmen. <strong>Die</strong> Vertreter der 400.000 Muslime in <strong>dem</strong> Acht-Millionen-Einwohner-Land<br />

zeigten sich fassungslos: „<strong>Die</strong> Moslems fühlen sich als Glaubensgemeinschaft in der Schweiz<br />

nicht akzeptiert“, kommentierte Farhad Afshar, Präsident der Koordination islamischer<br />

Organisationen Schweiz, das Resultat. <strong>Die</strong> Initiatoren der Anti-<strong>Minarett</strong>-Kampagne brachen<br />

hingegen in Jubel aus. „Ich bin sehr zufrieden“, sagte Ulrich Schlüer, Abgeordneter der<br />

rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP). Schlüer und seine Mitstreiter hatten die<br />

Schweizer wochenlang mit antimuslimischen Parolen und Hetzreden bearbeitet. Sie wetterten<br />

gegen die <strong>Minarett</strong>e als ein Symbol des islamischen „Herrschaftsanspruchs“ über die<br />

christliche Schweiz.<br />

<strong>Die</strong> Folgen des Volksentscheids werden weit über das kleine Land hinaus zu spüren sein.<br />

Das Misstrauen zwischen den Muslimen und der westlichen Welt wird weiter wachsen. Nach<br />

den Kontroversen um den <strong>Islam</strong> in den Niederlanden und in Dänemark ist nun die Schweiz ins<br />

Zentrum dessen geraten, was man gemeinhin Kulturkampf nennt.<br />

Arbeitsblatt 1 thematisiert die Gründe für den Ausgang der Volksbefragung in der Schweiz<br />

und beschäftigt sich mit der Frage, warum eine solch intolerante Initiative Erfolg haben<br />

konnte.<br />

Im Mittelpunkt von Arbeitsblatt 2 stehen Pro und Kontra zum Thema direkte Demokratie bzw.<br />

Volksbefragungen. Es wird der Frage nachgegangen, welchen Voraussetzungen dafür<br />

gegeben sein müssen.<br />

<strong>Die</strong> Volksbefragung kann auch Anlass sein, sich grundsätzlich mit <strong>dem</strong> Verhältnis von Freiheit<br />

und Sicherheit auseinanderzusetzen. Im Arbeitsblatt 3 wird deswegen der Frage<br />

nachgegangen, wie weit der Staat sich in die private Lebensführung einmischen sollte.<br />

INHALT<br />

01/10 <strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong><br />

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Arbeitsblatt 1: Türme der <strong>Angst</strong><br />

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(...) „Wir Schweizer leben zwar in der Mitte Europas, wir sind aber noch immer ein<br />

Sonderfall“, sagt der Soziologe Jean Ziegler. „Dass rund 115.000 Schweizer mit ihrer<br />

Unterschrift die Abstimmung erzwungen haben, ist ein Zeichen der helvetischen Pathologie.“<br />

Und er fragt: „Wie kann eine so intolerante Initiative nur so erfolgreich sein?“<br />

<strong>Die</strong> Antwort: <strong>Die</strong> Gegner der <strong>Minarett</strong>e setzen auf die <strong>Angst</strong>. <strong>Die</strong> <strong>Angst</strong> <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Islam</strong>, die<br />

<strong>Angst</strong> <strong>vor</strong> Fanatikern. Das <strong>Minarett</strong> symbolisiere den „Machtanspruch“ des <strong>Islam</strong> über die<br />

Schweiz, sagen sie. Einer ihrer Wortführer ist der SVP-Abgeordnete Walter Wobmann: „<strong>Die</strong><br />

Befürchtung ist groß, dass den <strong>Minarett</strong>en der Gebetsrufer, der Muezzin, folgen wird“, warnt er<br />

seine Zuhörer. Und nach <strong>dem</strong> Muezzin droht in Wobmanns Vorstellungswelt die Scharia. „Das<br />

islamische Recht beinhaltet unter anderem Ehrenmorde, Zwangsehen, Beschneidungen, das<br />

Tragen der Burka, die Missachtung von Schul<strong>vor</strong>schriften, ja sogar Steinigungen.“ Als schrillen<br />

Höhepunkt ihrer Anti-<strong>Minarett</strong>-Kampagne präsentierten Wobmann und seine Mitstreiter ein<br />

Plakat (...): Links starrt eine schwarz verhüllte Frau grimmig auf den Betrachter, daneben ragen<br />

<strong>Minarett</strong>e wie Raketen auf. (...)<br />

<strong>Die</strong> Ablehnung der Initiative reicht bis weit ins bürgerliche Lager hinein: Auch die Christen,<br />

die Juden wollen von <strong>dem</strong> <strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong> nichts wissen. <strong>Die</strong> Gegner führen <strong>vor</strong> allem die<br />

Religionsfreiheit ins Feld. Viele Politiker fürchten eine aggressive Reaktion der Muslime. „<strong>Die</strong><br />

einzige Wirkung eines <strong>Minarett</strong>verbots wäre, dass sich die Muslime diskriminiert fühlen<br />

würden“, warnt der christ<strong>dem</strong>okratische Abgeordnete Norbert Hochreutener. „Weil der Staat<br />

ihre Religion angreift, würden einige Hitzköpfe den Staat angreifen.“ Auch die Regierung und<br />

die Wirtschaft sagen Nein zum <strong>Verbot</strong>. Ihnen bangt <strong>vor</strong> der Empörung im Ausland, <strong>vor</strong> allem in<br />

der islamischen Welt. (...)<br />

Als 1963 die muslimische Gemeinde in Zürich eine Moschee mit <strong>dem</strong> ersten <strong>Minarett</strong> in der<br />

Schweiz einweihte, lobte der Bürgermeister den Bau als Symbol des „weltoffenen und liberalen<br />

Charakters“ seiner Stadt. Lebten im Jahr 1970 rund 16.000 Muslime in der Eidgenossenschaft,<br />

sind es heute rund 400.000 – knapp fünf Prozent der Einwohner.<br />

„Wir sind natürlich nur eine Minderheit“, sagt Youssef Ibram, der Imam der Genfer Moschee.<br />

„Deshalb achten wir besonders darauf, wie die Mehrheit uns behandelt.“ Ibram sitzt in einem<br />

Zimmer des <strong>Islam</strong>ischen Kulturzentrums neben der Moschee. Er nippt an einem schwarzen<br />

Kaffee. Der Imam antwortet auf jede Frage ruhig und überlegt. Warum verbietet Saudi-Arabien<br />

den Christen den Bau von Kirchen? „<strong>Die</strong>se Frage“, sagt er, „muss man den Saudi-Arabern<br />

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stellen.“ Kann er verstehen, dass viele Europäer nach den Anschlägen fundamentalistischer<br />

Muslime den <strong>Islam</strong> fürchten? „Wir sind nicht verantwortlich für Bin Laden, wir sind nicht<br />

verantwortlich für Al Qaida, wir sind nicht verantwortlich für die Taliban in Afghanistan, wir<br />

sind nicht verantwortlich für das, was in Pakistan passiert, wir sind nur verantwortlich für uns“,<br />

sagt der Imam. Youssef Ibram richtet sich auf. Er führt durch die Räume des Kulturzentrums,<br />

eine Frau mit Kopftuch huscht <strong>vor</strong>bei. (...) Warum haben die Moscheebesucher dann solche<br />

<strong>Angst</strong>? „Wissen Sie“, sagt Ibram, „wenn schon fünf Prozent der Schweizer das <strong>Verbot</strong> der<br />

<strong>Minarett</strong>e verlangen, ist das eine Niederlage für uns, es würde zeigen, dass wir Muslime in der<br />

Schweiz nicht willkommen sind.“<br />

Text: Jan Dirk Hebermann, www.zeit.de/politik/2009-11/minarette-schweiz<br />

Aufgaben<br />

1. Beantworten Sie die Frage, warum eine so intolerante Initiative Erfolg haben konnte.<br />

Setzen Sie sich dabei mit der Frage auseinander, ob und warum die diffuse <strong>Angst</strong> <strong>vor</strong> <strong>dem</strong><br />

<strong>Islam</strong> begründet ist.<br />

2. Erörtern Sie, wie symbolkräftig und wie realpolitisch bedeutsam das <strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong> ist.<br />

3. Diskutieren Sie die Notwendigkeit, dass Zuwanderern ungeachtet ihrer religiösen,<br />

sprachlichen oder ethnischen Zugehörigkeit die Werte und Konditionen des Gastlandes<br />

nahegebracht werden, die es zum friedlichen Teilhaben am Leben in der Gemeinschaft<br />

einzuhalten gilt.<br />

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Arbeitsblatt 2: Reif für direkte Demokratie?<br />

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Ist das Votum der Schweizer der finale<br />

Beweis, dass direkte Demokratie mehr<br />

schadet als nützt? (...) <strong>Die</strong> direkte<br />

Demokratie – Heimstatt merkwürdiger<br />

Beschlüsse? Auch Beispiele aus<br />

Deutschland lassen sich anführen: In<br />

Dresden stimmten die Bürger für den<br />

Bau der Waldschlösschenbrücke,<br />

obwohl damit die Streichung der<br />

Stadtkulisse von der Unesco-Welterbeliste bewirkt wurde. In Berlin kassierten sie das<br />

Megaprojekt Mediaspree und nahmen damit hohe Schadensersatzforderungen der Investoren in<br />

Kauf. Und ein Volksentscheid in Schleswig-Holstein hätte fast dazu geführt, dass dort eine<br />

andere Rechtschreibung gegolten hätte als im Rest Deutschlands.<br />

Sind die Bürger nicht reif für die direkte Demokratie? Sind sie zu uninformiert, zu sehr von<br />

Partikularinteressen geleitet, nicht zurechnungsfähig genug, um mitentscheiden zu dürfen? Ist<br />

der <strong>Minarett</strong>bau ein Fall für die Stadtplaner, nicht für das Volk?<br />

Keineswegs! Volksabstimmungen sind das heiligste Element <strong>dem</strong>okratischer Beteiligung, das<br />

auch durch ein verwunderliches Ergebnis nicht grundsätzlich infrage gestellt werden darf.<br />

Wenn nun in harschen Reaktionen an der direkten Demokratie gezweifelt wird, wenn behauptet<br />

wird, in wichtigen gesellschaftlichen Fragen habe das Volk keine Kompetenz, dann spricht<br />

daraus die Arroganz einer politischen – und auch publizistischen – Klasse, die zum einem<br />

meint, alles besser zu wissen und zum anderen fortwährend versagt, Politik und ihre<br />

Hintergründe besser zu erklären.<br />

Demokratie lebt von der Kultur der Kommunikation. Doch wird dieses Prinzip häufig genug<br />

verletzt. Politiker verstecken sich und ihre Botschaften hinter verschwurbelten Sätzen,<br />

Wahlkämpfer versprechen allerlei Schönes, ohne zu erklären, was die Nachteile sein könnten.<br />

Schon in ihrer repräsentativen Variante hat die Demokratie ein Kommunikationsproblem.<br />

Umso mehr hat sie es, wenn es um direkte Bürgerbeteiligung geht. Direkte Demokratie<br />

funktioniert dann, wenn den Bürgern die Auswirkungen ihres Votums deutlich gemacht werden<br />

– ohne Arroganz und Hysterie. (...)<br />

Dass die Schweizer einer populistischen, kleinkarierten und intoleranten Kampagne auf den<br />

Leim gegangen sind, zerstört keineswegs den Nimbus der direkten Demokratie. Es zeigt<br />

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stattdessen, dass es sich Bürger nicht immer gefallen lassen, wenn sie mit ihren – berechtigten<br />

oder unberechtigten – Ängsten allein gelassen werden. <strong>Die</strong> Abstimmung in der Schweiz war<br />

auch eine Abrechnung mit der politischen Klasse, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. (...)<br />

Direkte Demokratie funktioniert – wenn man sie ernst nimmt. Dazu gehört, dass man den<br />

Bürgern zutraut, sich über einen Sachverhalt eine Meinung zu bilden. Gerade das Internet ist<br />

hier eine riesige Chance. Dazu gehört auch, dass auf fast unerreichbare Quoren, wie sie in<br />

vielen deutschen Bundesländern Realität sind, verzichtet werden muss. Und dazu gehört, dass<br />

man sich in Deutschland endlich davon lösen muss, nur landespolitische und kommunale<br />

Angelegenheiten für „harmlos“ genug zu halten, um das Volk abstimmen zu lassen. Als sei die<br />

Bundespolitik nur etwas für eingeweihte Menschen.<br />

Direkte Demokratie braucht Regeln – dieselben wie die Repräsentative Demokratie:<br />

Verfassungswidrige Beschlüsse darf es nicht geben. (...) Und natürlich muss auch das Volk<br />

akzeptieren, was für Parlamente gilt, dass nämlich seine Beschlüsse durch ein<br />

Verfassungsgericht kassiert werden können. (...)<br />

Text: Markus Horeld,<br />

www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2009-11/schweiz-referendum-direkte-<strong>dem</strong>okratie<br />

Aufgaben<br />

1. Fassen Sie die Argumente Pro und Kontra zu Volksabstimmungen zusammen und<br />

begründen Sie eine eigene Meinung dazu. Wägen Sie dabei die Vor- und Nachteile<br />

plebiszitärer gegenüber repräsentativer Demokratieformen ab.<br />

2. Beschreiben Sie mit eigenen Worten, welche Voraussetzungen für direkte Demokratie<br />

gegeben sein müssen und welche Regeln notwendig sind.<br />

3. Setzen Sie sich mit der Bedeutung von Kommunikation in der Demokratie auseinander und<br />

beschreiben Sie, wie sie in Deutschland praktiziert wird. Berücksichtigen Sie dabei den<br />

Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung.<br />

4. Diskutieren Sie anhand des <strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong>s den Stellenwert von Grundrechten. Soll eine<br />

Mehrheit einer Minderheit in einer Demokratie <strong>vor</strong>schreiben, wie diese ihre Religion<br />

ausüben darf?<br />

5. Der Autor vertritt die These, dass die Volksabstimmung in der Schweiz auch eine<br />

Abrechnung mit der politischen Klasse war. Beschreiben Sie, was er damit meint und<br />

begründen Sie eine eigene Meinung dazu.<br />

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Arbeitsblatt 3: Freiheit, die ich meine<br />

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(...) Der Staat mischt sich ungehemmt in unsere private Lebensführung ein. Bewegung, Leute!<br />

Schluss mit Fressen, Saufen, Rauchen! Derselbe Staat, der jeden Lehrer wegen einer Ohrfeige<br />

bis zum Berufsverbot abstraft, schlägt mit seinen Ratschlägen und <strong>Verbot</strong>en auf uns ein.<br />

Nichtrauchergesetze als das Politikum des beginnenden 21. Jahrhunderts. So angenehm es ist,<br />

im rauchfreien Restaurant zu essen: Haben wir vergessen, dass wir ein Recht darauf haben, dick<br />

zu sein? Ein Recht darauf, ungesund zu leben, ja zu rauchen und zu trinken? Ein Recht auf<br />

Irrungen und Wirrungen? Ein Recht auf Leidenschaft und den Kater danach? (...)<br />

<strong>Die</strong> Leute, die die Gesellschaft heute braucht, brauchen Freiheit, nicht Kontrolle, schon gar<br />

nicht verordnete Lebensdiät. Reinhard K. Sprenger zitiert einen sensationellen Satz John Stuart<br />

Mills: „Ein Staat, der die Bürger zu Zwergen macht, und sei es zu einem guten Zweck, wird<br />

eines Tages feststellen, dass sich mit kleinen Menschen keine großen Dinge erreichen lassen.“<br />

Genau darum geht es. <strong>Die</strong> Verzwergung des freien Menschen, vermeintlich zum Zweck höherer<br />

Lebenssicherheit. In Wirklichkeit gefährdet genau diese Tendenz die langfristige Sicherheit der<br />

Schweiz. Weil mit <strong>dem</strong> Menschentyp, den der Staat propagiert, kein Blumentopf zu gewinnen<br />

ist. Oder nur Blumentöpfe. (...)<br />

Ein Staat, der so tut, als könne er <strong>vor</strong> allem Ungesicherten schützen, macht Bürger zu<br />

Marionetten. Der Staat als Amme in allen Lebenslagen. Von der approbierten Zeugung bis zur<br />

Sterbehilfe, von der Kinderkrippe bis zur Hinterlassenschaft, von der Lehrstelle bis zum<br />

Zinssatz der Altersrente: Der Staat führt Regie noch im privaten Drama; die Individuen,<br />

überfordert mit den Wechselfällen der globalisierten Dynamik, delegieren ihre Lebensleitung an<br />

die Sicherheitsgeneralagentur Staat. Suchten sie einst Schutz <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> Staat, fordern sie heute<br />

Schutz durch den Staat. Der lässt sich nicht zweimal bitten. Aus der kollektiven Sehnsucht nach<br />

Sicherheit bezieht er seine Legitimität.<br />

<strong>Die</strong>se Sehnsucht kostet. Nicht nur Geld. Sicherheit kostet Freiheit. Darüber wird selten<br />

gestritten. Das Ideal der Freiheit ist weit weniger populär als der Wunsch, unbehelligt zu<br />

bleiben. Und ist, aus Sicht von Sicherheitsbehörden, ein Dauerrisiko. Freiheit erzeugt<br />

Unsicherheit. Um mit Rüdiger Safranski zu reden: Eine Freiheit, die nicht missbraucht werden<br />

kann, ist keine.<br />

Wer komplette Sicherheit will, zieht Freiheit am besten aus <strong>dem</strong> Verkehr. Aldous Huxley hat<br />

das <strong>vor</strong> 70 Jahren skizziert. In seinem Roman Schöne neue Welt schildert er eine Gesellschaft,<br />

die sich fürs Glück und gegen die Freiheit entschieden hat. <strong>Die</strong> Weltsicherheitsregierung<br />

befand, Freiheit habe nichts als soziale Unruhe, individuelle Tragödien, Weltkriege gebracht.<br />

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Also schaffte sie Freiheit ab – und organisierte das immerwährende Glück, mit Menschenzucht,<br />

Sex à discretion, Happy-Pille Soma. »<strong>Die</strong> Welt ist jetzt im Gleichgewicht. <strong>Die</strong> Menschen sind<br />

glücklich, sie bekommen, was sie begehren, und begehren nichts, was sie nicht bekommen<br />

können.«<br />

<strong>Die</strong> vollendete Sicherheit kommt nicht – wie George Orwell in 1984 es darstellt – durch den<br />

Polizeistaat. Huxley sieht klarer: Man muss die Menschen nicht einsperren, es genügt, sie<br />

glücklich zu bedröhnen. Sind ihre Begierden gesättigt, spuren sie. Fühlen sie sich happy, sind<br />

sie total harmlos. Wozu also Freiheit, wenn das Leben ohne sie sicherer ist?<br />

Nur einer stemmt sich bei Huxley dagegen. Der »Wilde«. »Ich will Freiheit«, sagt er, »ich<br />

brauche keine Bequemlichkeit. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und<br />

Freiheit und Tugend. Ich will Sünde. Ich fordere das Recht auf Unglück.«<br />

Freiheit oder Glück? Das könnte die Frage sein. Vielleicht richtet sich ein Staat, der alles<br />

Unglück abschaffen will, automatisch gegen die Freiheit.<br />

Text: Ludwig Hasler, www.zeit.de/2009/45/CH-Essay<br />

Aufgaben<br />

1. Fassen Sie die Kernaussagen des Artikels thesenartig zusammen und begründen Sie eine<br />

eigene Meinung dazu.<br />

2. Nennen Sie drei Beispiele dafür, worauf wir ein Recht haben und in welche Bereiche der<br />

privaten Lebensführung der Staat nicht eingreifen sollte.<br />

3. Beantworten Sie auch die Frage, ob dazu die Religionsausübung gehören sollte.<br />

4. Setzen Sie sich kritisch mit der These auseinander, dass Sicherheit Freiheit kostet und<br />

dass die Gesellschaft Freiheit braucht und nicht Kontrolle.<br />

5. Wie beschreibt der Autor das Verhältnis von Freiheit und Glück und welche Meinung haben<br />

Sie dazu?<br />

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Artikel und Internetquellen zum Thema<br />

• Alle ZEIT-Artikel zum <strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong><br />

www.zeit.de/suche/index?q=minarett+schweiz<br />

• ZEIT-Schlagwort Integration<br />

www.zeit.de/themen/tags/index?q=Integration<br />

• ZEIT-Schlagwort <strong>Islam</strong><br />

www.zeit.de/themen/tags/index?q=<strong>Islam</strong><br />

• Zuender-Schwerpunkt <strong>Islam</strong><br />

http://zuender.zeit.de/islam<br />

• Tagesschau-Schwerpunkt <strong>Minarett</strong>-<strong>Verbot</strong><br />

www.tagesschau.de/ausland/schweiz144.html<br />

• Schule für Toleranz<br />

www.schule-fuer-toleranz.de<br />

• Gesicht zeigen – Für ein weltoffenes Deutschland<br />

www.gesicht-zeigen.de<br />

• Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie<br />

www.vielfalt-tut-gut.de<br />

• Bündnis für Demokratie und Toleranz<br />

www.buendnis-toleranz.de<br />

• Materialien zur Religionswissenschaft: <strong>Islam</strong><br />

www.payer.de/islam/islam.htm<br />

• Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema <strong>Islam</strong><br />

www.bpb.de/publikationen/5IY8HR,0,0,Der_<strong>Islam</strong>.html<br />

www.bpb.de/publikationen/3VQG0D,0,<strong>Islam</strong>.html<br />

• WDR- und SWR-Schwerpunktthema <strong>Islam</strong><br />

www.wdr.de/themen/homepages/islam.jhtml<br />

www.swr.de/islam<br />

• <strong>Islam</strong>ische Fachbegriffe (PDF-Datei)<br />

www.halal.de/islam-fachbegriffe.pdf<br />

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