26.01.2013 Aufrufe

Ausgerissen - BookRix

Ausgerissen - BookRix

Ausgerissen - BookRix

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Hermann E. Heinen<br />

<strong>Ausgerissen</strong><br />

Kapitel 1<br />

Es war `mal wieder soweit. Soeben konnte ich<br />

noch in Deckung gehen, als das Marmeladenglasgeschoss<br />

auf meinen hinter mir stehenden Vater zuflog.<br />

Das Glas zischte an meinem Vater vorbei, und hinterließ<br />

einen hässlichen roten Fleck auf der Tapete, der sich zum<br />

Strich entwickelte, je mehr Marmelade langsam die<br />

Wand hinunterfloss. Es war nicht der erste Fleck an der<br />

Wand.<br />

Meine Mutter hatte einen ihrer häufigen Anfälle von<br />

Unzufriedenheit, und wollte meinen Vater auf die eineoder<br />

andere Weise treffen. Sie verlangte sofortige Folge<br />

ihrer unendlichen Wünsche, und wenn dies nicht gleich<br />

geschah, rastete die Frau einfach aus. Sehr oft flog irgendetwas<br />

durch die Räumlichkeit, glücklicherweise<br />

immer an mir vorbei.<br />

Vater arbeitete als Weber in einer großen Stofffabrik am<br />

Rande unserer kleinen Stadt Nähe der holländischen<br />

Grenze. Seine Arbeit war hart und der schier unerträgliche<br />

Krach der vielen riesigen Webstühle machte ihm zu<br />

schaffen.<br />

Er war Schwer behindert, seine rechte Hüfte war einmal<br />

schlecht operiert worden, ein Bein war länger als das andere,<br />

und legte seine Wege humpelnd zurück.<br />

Vater beklagte sich nie über diesen Zustand, der ihm täglich<br />

Schmerzen verursachte, er zeigte sich trotzdem als<br />

fröhlicher Mensch.<br />

Nicht nur die schwere Arbeit musste er leisten, zu Hause<br />

wartete das Chaos auf ihn, wenn er von einem langen<br />

Arbeitstag zurückkehrte. Oft holte ich ihn auf Rollschu-<br />

5<br />

hen von der Arbeit ab, worüber er sich immer freute. Er<br />

zog mich hinten an seinem Fahrrad hängend nach Hause,<br />

das ca. einen Kilometer entfernt war.<br />

Ich fand das immer sehr schön, wir hatten zu dieser Zeit,<br />

ich ging noch nicht in die Schule, ein sehr gutes Vater-<br />

Sohn Verhältnis.<br />

Leider war Harmonie bei meiner Mutter nicht zu finden,<br />

sie hatte an Allem und Jedem etwas zu kritisieren,<br />

sie war einfach nie zufrieden.<br />

Obwohl sich mein Vater immer weiter in Krankheit arbeitete,<br />

- er schickte mich sehr oft in die Apotheke, um<br />

Schmerztabletten zu kaufen -, war meine Mutter einfach<br />

nicht zufrieden zu stellen. Sie glaubte wahrlich etwas


„Besseres“ zu sein, und das sollte möglichst für alle Menschen<br />

in unserer kleinen Stadt sichtbar werden.<br />

Es war gerade einmal 4 Jahre nach diesem von einem<br />

Wahnsinnigen angezettelten Krieg und unser Ort lag<br />

förmlich in Schutt und Asche. Amerikaner und Engländer<br />

hatten die Stadt regelrecht rasiert, es stand kaum ein<br />

Stein auf dem Anderen.<br />

Ausgerechnet jetzt glaubte meine Mutter ein pompöses<br />

Leben führen zu müssen. Ich war 1954 geboren, also<br />

kurz nach Ende des grausigen Gefechts, meine Mutter<br />

war damals erst 17 Jahre alt.<br />

Drei Jahre später wurde meine Schwester Rita geboren<br />

aber die Zufriedenheit von Mutter wollte sich nicht einstellen.<br />

Dann kamen noch ein Bruder Markus und meine kleine<br />

Schwester Marlene zur Welt, wir waren ein sechs<br />

Personen Haushalt.<br />

Weshalb wir uns so vermehrten konnte ich nie nicht<br />

verstehen, denn Mutter war schon mit mir, ihrem ersten<br />

Kind überlastet, was ich auch zu spüren bekam. Die<br />

Streitereien und der Krach zwischen unseren Eltern wa-<br />

6<br />

ren kaum auszuhalten und eines Tages wurde ein<br />

Schlussstrich gezogen.<br />

Jedenfalls verließ meine Mutter die Wohnung heimlich<br />

still und leise, als ich 10 Jahre alt war.<br />

Ich war das älteste von 4 Kindern, dieser plötzlich so<br />

fremde Zustand in unserem Zusammenleben war für<br />

mich schier unerträglich aber ich musste mich damit abfinden.<br />

Wenn die Mutter auch ein nur schwer umgänglicher<br />

Mensch war, so liebte ich sie doch. Ich wollte<br />

nicht verstehen, dass Vater und Mutter nun endgültig<br />

voneinander getrennt sein sollten, und ich keine richtige<br />

Familie mehr hatte.<br />

Mein Vater machte sich auf, seine Frau zu suchen, fand<br />

sie nicht und irgendwann wurden die Beiden geschieden.<br />

Ein Richter hatte dem bunten Treiben ein Ende<br />

gesetzt.<br />

Mein Vater war mit der Situation vier Kinder zu haben<br />

und arbeiten zu müssen, völlig überfordert, und so bekamen<br />

wir eine staatliche Haushaltshilfe. Diese Frau kochte<br />

für uns und besorgte den Haushalt. Diese abnorme Situation<br />

wurde sogar in unserer Lokalzeitung abgelichtet<br />

und beschrieben.<br />

Alsbald stellte sich heraus, dass ich einer zu viel in der Familie<br />

war und man machte Pläne für mich.<br />

Mutter war längst wieder gefunden, sie war mittlerweile<br />

mit einem König, (das war sein Name) zusammen, hatte<br />

sich schon eine andere Bleibe besorgt.<br />

Leider machte der Mann sie aber nicht zu seiner Königin.<br />

Mutter, schmählich verlassen, suchte sich eine andere<br />

Wohnung. Sie nahm uns Kinder wieder auf, Vater war<br />

zu einer Umschulung in den Süden Deutschlands unterwegs.<br />

7


In dieser Wohnung gab es 3 Zimmer, ein sehr Kleinesund<br />

2 große Zimmer. In das kleine Zimmerchen wurden<br />

alle Kinder neben- und übereinander gestopft, und<br />

Mutter sicherte sich die beiden großen Räume.<br />

Einen zum schlafen, und ein Wohnzimmer, mit in den<br />

50gern modischen Möbeln. Sie arbeitete als Verkäuferin<br />

im Supermarkt der Stadt mit dem Namen „der böse<br />

Wolf“. Wer sich einen solch absurden Namen für einen<br />

Billigmarkt ausgedacht hatte litt sicher unter dem Gebrüder<br />

Grimm-Wahn. Oft ging sie abends noch kellnern<br />

was ihr Freude bereitete, sie liebte es unter Menschen zu<br />

sein und bewundert zu werden.<br />

Das Zimmer, in das wir 4 Kinder zumindest ein wenig<br />

mehr Platz gehabt hätten, wurde zum Wohnzimmer erklärt,<br />

stets verschlossen, und nur sonntags geöffnet,<br />

wenn „Queen-Mumm“ Besuch empfing.<br />

Die Gesamtsituation passte mir überhaupt nicht, die Erinnerungen<br />

an diese Zeit fanden sich nur noch sehr verschwommen<br />

in meinem Hirn, sicher war ich schon damals<br />

Querdenker und Freigeist, machte Rabatz, wie<br />

auch immer.<br />

Da meine Mutter damit ja nun gar nichts anfangen<br />

konnte, wurde ich mit den Worten „ich werd´ mit dem<br />

Jung´ nicht fertig“, zum Vater verfrachtet, der aus dem<br />

Süden zurückgekehrt war.<br />

Nun befand ich mich beim Erzeuger, der 5 km weiter in<br />

einem kleinen Dorf wohnte, und nach einer Umschulung<br />

zum Elektrotechniker in einer KFA (Kernforschungsanlage)<br />

arbeitete. Ich dachte jetzt habe ich ein<br />

Zuhause, indem ich problemlos leben könnte, denn mit<br />

meinem Vater hatte ich mich eigentlich immer gut verstanden,<br />

ja ich glaubte dass er mich liebte.<br />

Da hatte ich die Rechnung ohne den Wirt (oder besser<br />

8<br />

die Wirtin) gemacht, dort befand sich schon ein neues<br />

Weib samt mitgebrachtem Kind von 2 Jahren, das Vater<br />

während der Umschulung in Süddeutschland kennen<br />

gelernt hatte, und natürlich heiraten wollte.<br />

Mein Vater war immer für legale Verhältnisse.<br />

Das Weib war hässlich, ich konnte nicht verstehen, weshalb<br />

mein Vater ein solches Monstrum zu sich nach<br />

Hause bringen konnte, es war doch selbst schon für<br />

mich kleinen Knirps erkennbar, dass dieses Weibsbild nur<br />

versorgt werden wollte, um ihrem Job als Krankenschwester<br />

den Rücken kehren zu können.<br />

Schon bald hatte sie meinen Vater reichlich mit den<br />

stärksten Medikamenten versorgt, ihn so völlig abhängig<br />

gemacht. Zudem bekam er auch noch eine Zuckerkrankheit,<br />

die mit Insulin behandelt werden musste.<br />

Die Spritzen verabreichte die Krankenschwester natürlich<br />

selbst. Dies fiel ihr leicht, denn er schluckte ja schon<br />

früh in der Weberei ständig Schmerzmittel, die ihm später<br />

von seiner „lieben“ Frau ohne jede Kontrolle verabreicht


werden konnten.<br />

Später sollte sie dann auch Gelegenheit bekommen, die<br />

Dosis zu erhöhen wie es ihr gefiel, und ich war der festen<br />

Überzeugung, dass mein Vater so zu Tode gebracht<br />

werden sollte. Denn Anna wollte wieder frei sein, und<br />

die hohe Pension meines Vaters einstreichen. Außerdem<br />

gab es eine beachtliche Lebensversicherung abzukassieren.<br />

Auch war er auf dem Weg ein Pflegefall zu werden,<br />

und das wollte Anna auf keinen Fall mitmachen.<br />

Als mein Vater im Alter von 62 Jahren ins Krankenhaus<br />

gebracht wurde, bekam ich einen Anruf von meiner<br />

Schwester Rita, die von mir gehasste Stiefmutter wusste<br />

nichts davon. Morgens um 4 Uhr teilte Rita mir mit,<br />

dass unser Vater im Krankenhaus gegen den Tod kämpfte.<br />

9<br />

Sofort machte ich mich auf den Weg zum Krankenhaus,<br />

und als ich den Flur betrat, kam seine von mir gehasste<br />

Anna schnell auf mich zugerannt, und sagte wörtlich:<br />

„Wir machen aber keine Obduktion, wir wollen doch<br />

unseren Papa so in Erinnerung behalten wie er war“.<br />

Das war pures Gesülze, aber keine konkrete Information.<br />

Zunächst dachte ich mich trifft der Schlag, da kommt<br />

die Alte auf mich zu gerannt, damit wir möglichst alleine<br />

sind und anstatt mir zu sagen wie es um meinen Vater<br />

steht, weshalb er ins Krankenhaus gekommen war,<br />

war ihr erster, und einziger Satz etwas mit „Obduktion“…<br />

Leider war ich vom Tode meines Vaters so hart getroffen,<br />

-wir hatten uns erst vor ca. einem Jahr nach viele, viele<br />

Jahre andauernder, sehr langer Funkstille wieder zusammengefunden-,<br />

dass ich die folgenden Tage in einem komatösen<br />

Zustand verbrachte, ich konnte keinen klaren<br />

Gedanken fassen.<br />

Erst als ich dann wieder strukturierter denken konnte,<br />

war´s schon zu spät, mein Vater war beerdigt, und ich<br />

konnte mich nicht durchringen, jetzt noch eine Obduktion<br />

zu beantragen, obwohl ich erfahren hatte, dass<br />

man diese noch hätte durchführen lassen können.<br />

Alles verabreichte Gift hätte man deutlich entdeckt. Und<br />

nur davor hatte die Hexe Anna eine Heidenangst, wie<br />

mir bei klareren Hirnströmen deutlich wurde.<br />

Eine Überdosis Insulin wäre auf Hinweis gefunden worden.<br />

um dann festzustellen, dass mein Vater VERGIFTET<br />

wurde, eine Überdosis Insulin ist zunächst einmal<br />

nicht erkennbar, weil ein Zuckerkranker das Medikament<br />

ja ständig im Blut hatte. Mit gezielten Hinweisen<br />

auf die Giftküche dieser Anna, Insulin und anderen Giften<br />

im Körper meines Vaters, hätte jeder Arzt festgestellt,<br />

10<br />

ob Überdosiert wurde oder nicht. Ich wünschte, dieses<br />

Biest hätte das Echo meiner Stimme in ihr schmutziges<br />

Hirn bekommen.<br />

Für mich war der Gang zu Gericht einfach nicht mehr<br />

möglich, dieser komatöse Zustand dauerte noch lange


an, ich war kraftlos und wollte kein großes kriminalistisches<br />

Theater veranstalten.<br />

Ansonsten, davon war ich überzeugt, wäre dieses Weib<br />

dahin gekommen, wohin es gehörte, hinter Gitter! Ich<br />

hätte sie gerne pünktlich monatlich besucht und ausgelacht.<br />

Hass ist ein Gefühl, das ich eigentlich nicht kennen<br />

mochte, und es beschränkte sich ausschließlich auf diese<br />

Person. Andere Hassgefühle konnte ich nicht empfinden.<br />

Nur einen Menschen auf dieser Welt hasste ich für immer<br />

abgrundtief, diese Anna!<br />

Sie hatte viel damit zu tun, dass mein Leben nicht so<br />

verlaufen war, wie es hätte laufen können.<br />

Sie war ein durch und durch schlechter Mensch, ein<br />

übles Wesen im schlimmsten Sinne.<br />

Leider war mein Vater zu blind das zu erkennen, oder er<br />

wollte es nicht sehen. Vielleicht war er ja einfach nur<br />

froh, eine Beliebige Frau in seiner Nähe zu haben und<br />

außerdem bekam er von ihr jedes Medikament ohne<br />

Probleme. Er war schon jung süchtig nach jeder Art von<br />

Betäubungsmitteln. Mit Anna hatte er da keine Probleme.<br />

Was mich und mein Verbleiben in ihrer neuen Familie<br />

betraf, so hatte sie schon finstere Pläne geschmiedet und<br />

sie ließ schnell Ihre Maske fallen, als mein Vater sie geheiratet<br />

hatte. Nun war sie die Chefin im Haus und<br />

mein Vater bemerkte es nicht einmal. Ich war ihr ein<br />

Dorn im Auge, das wurde mir sehr schnell deutlich.<br />

11<br />

Eh ich mich versah befand ich mich in einem Hexenkessel,<br />

die Frau war nämlich eine solche üble Zauberin, die<br />

in dem, was man eigentlich Seele nannte, ihre teuflischen<br />

Süppchen zu kochen verstand. (Normales Essen konnte<br />

sie nicht kochen, sie war die schlechteste Köchin unter<br />

dem Herrn). Mit allen möglichen Tricks versuchte sie<br />

mich in ihren Bann zu ziehen aber keine ihrer Intrigen<br />

schlugen bei mir an, ich konnte das Weib einfach nicht<br />

leiden und das spürte sie deutlich.<br />

Sie überredete meinen Vater sogar, ich solle sie Mutter<br />

nennen, was ich strikt ablehnte.<br />

Wenn ich der Frau z.B. Fragen stellte, warum denn… irgendetwas,<br />

bekam ich nur die Antwort „darum“, und das<br />

half mir natürlich überhaupt nicht weiter.<br />

So stellte ich bald keine Fragen mehr, denn die Antworten<br />

blieben immer gleich, niemand wollte mir erklären<br />

warum, wie die Erde sich dreht, „darum“…Ich sollte mir<br />

die Antworten selbst suchen. Und das tat ich dann auch.<br />

In der Schule lernte ich auch nicht wirklich, wie man ein<br />

Leben meistern konnte, der Lehrer war ein Schwachkopf,<br />

ein alter Nazi, der immer nur auf die Uhr schaute,<br />

um zu wissen, wann denn endlich Feierabend war. Meine<br />

deutlichste Erinnerung an die Schule war eine gehörige<br />

Backpfeife, die ich von dem Lehrer bekam, warum<br />

wusste ich nie. Ein alter Nazi eben. Ich fand die Schule<br />

zum kotzen.


Die einzige Person die wirklich auf mich einging war<br />

meine Großmutter, eine wahrhaftig liebevolle Frau, die<br />

immer auf meiner Seite stand.<br />

Wenn zu Hause einmal wieder alles schräg lief, konnte<br />

ich zur Oma laufen, die mich dann liebevoll in ihre Arme<br />

nahm. Und meistens übernachte ich dann auch bei<br />

ihr auf einem alten Sofa, das in der Küche stand und immer<br />

für mich frei war.<br />

12<br />

Kapitel 2<br />

Da nun wirklich all die Annäherungsversuche meiner<br />

Stiefmutter, so eine, die man in Horrormärchenbüchern<br />

findet, fehlschlugen verhexte sie meinen Vater, und dieser<br />

Mann, von dem ich überzeugt war dass er mich liebte,<br />

schnallte mich eines Abends auf sein Motorrad und<br />

verfrachtete mich 100 Kilometer weit weg von zu Hause<br />

in ein Erziehungsheim.<br />

In dem Heim wimmelte es von schwarz- weiß gekleideten<br />

Frauen, die man Nonnen nannte und die nur für Jesus<br />

und für kleine Jungs abgestellt waren. Ich musste<br />

mich erstmal von dem Schreck, hier nun leben zu müssen,<br />

erholen.<br />

Noch völlig verständnislos fügte ich mich zunächst in<br />

mein Schicksal, wurde sogar in dem Heim eingeschult,<br />

und von Patern, die aus einem in der Nähe befindlichen<br />

Kloster kamen, die absoluten Gottesmänner waren, belehrt.<br />

Bis mir das ganze zu blöd wurde, und ich lauthals aufmuckte.<br />

Ich setzte mich einfach auf den Tisch, verschränkte<br />

die Arme und veranstaltete meine erste Demo.<br />

Also wurde ich in einem dunklen Raum gesperrt, bis ich<br />

mich „beruhigt“ hatte. Mann zerrte mich mit vielen erhobenen<br />

Zeigefingern wieder ans Licht und zurück in<br />

das Schulgebäude<br />

Ich wusste dass ich in dieser Umgebung nichts zu suchen<br />

hatte und so aktivierte ich erstmal wieder meinen<br />

Freigeist.<br />

Bei Nacht und Nebel schlich ich mich aus dem Haus<br />

der Nonnen in den angrenzenden Wald, nur mit Hemd,<br />

Hose, und Sandalen bekleidet. Socken hatte ich keine<br />

13<br />

gefunden.<br />

Es war eine besonders dunkle Nacht, der Mond hatte<br />

wohl besseres zu tun als für mich zu leuchten.<br />

Ich war über einen Zaun geklettert, und befand mich in<br />

dem dunklen Waldgebiet. Mir war schon mulmig zumute,<br />

aber ich machte mich auf den Weg, nur weg von diesem<br />

Ort der vielen Gebete.<br />

Dass sich eine Straße links vom Waldstück befinden<br />

musste, wusste ich, so kroch ich aufgewühlt durchs Unterholz.<br />

Ich hatte natürlich keinen Schimmer von dem, was nun<br />

auf mich zukommen könnte. `Ne wilde Sau´ oder ähnliches<br />

stellte ich mir schon schreckhaft vor.<br />

Als ich an der Straße angekommen war hielt ich einfach


ein Auto an. Ein furchtloser Fahrer bremst für mich, und<br />

fragte was ich kleiner Bengel denn so spät noch auf der<br />

Straße zu suchen hätte. Ich gab ihm eine, mir nun nicht<br />

mehr nachvollziehbare Erklärung und er nahm mich mit<br />

bis in die nächste Stadt,<br />

Ich wusste zwar nicht so recht wo ich nun war, aber ich<br />

sah ein Verkehrsschild mit der Aufschrift „Düren 15<br />

km“. Wenn ich bis dort kam, war es nicht mehr weit in<br />

meine Heimatstadt, wo ich bei meiner Oma unterkriechen<br />

wollte.<br />

So hielt ich weiter Autos an, und befand mich gegen<br />

Mitternacht vor der Türe zu Omas Haus, die zwar recht<br />

müde, aber liebevoll wie immer ihr Sofa für mich herrichtete.<br />

Am nächsten Morgen verließ ich Omas Wohnung mit<br />

unbekanntem Ziel. Sie hatte mir noch ein paar Taler zugesteckt,<br />

und verabschiedete mich mit den Worten<br />

„Junge, mach dich nicht unglücklich“. Meine Oma war<br />

ein herzensguter Mensch. Sie sprach niemals negativ<br />

14<br />

über andere Menschen, sie ließ jeden leben wie er wollte.<br />

Täglich saß sie bis ins hohe Alter an ihrer Nähmaschine<br />

und arbeitete für kleines Geld, beklagte sich nie.<br />

Als ich eines Abends völlig durchnässt vom Regen und<br />

frierend von Kälte bei meiner Mutter klingelte, öffnete<br />

sie die Türe, sah mich zitternd stehen und sagte wütend:<br />

„Mach bloß dass du wieder da hin kommst wo du weggelaufen<br />

bist“, und schlug mir die Türe vor der Nase zu.<br />

Das war meine Mutter. Ab und an ließ mich meine<br />

Schwester Marlene abends durch das Fenster ins Kinderschlafzimmer,<br />

ohne dass Mutter es bemerkte und ich<br />

schlief einige Stunden auf dem nackten Fußboden, verschwand<br />

aber schleunigst, wenn sich etwas im großen<br />

Schlafzimmer meiner Mutter zu regen begann. Ausschlafen<br />

konnte ich nie, dafür war die Unterlage auch zu hart.<br />

So stand ich zumeist wieder im nassen Dunkel und<br />

machte mich auf Zurück zur Oma. Dort konnte ich nie<br />

lange verweilen, ich wurde ja von Jugendämtern, Nonnen<br />

und Patern gesucht.<br />

So hatte meine Flucht vor negativen Einflüssen begonnen.<br />

Irgendwie landete ich dann einige Tage später bei der<br />

Polizei, dann wieder bei meinem Vater und seiner Alten,<br />

man hatte mich irgendwo aufgegriffen, und da die Schule<br />

nun vorüber war sollte ich eine Lehre beginnen.<br />

Es war klar, dass mein Vater meinen Beruf bestimmte, er<br />

war Elektrotechniker in der Kernforschungsanlage, (die<br />

man uns in den 60er Jahren heimlich still und leise in<br />

den angrenzenden Wald gebaut hatte), und somit war<br />

klar, „das wirst du auch, es ist ein interessanter Beruf mit<br />

Zukunft, und eine Lehrstelle in der KFA hab ich dir<br />

schon besorgt. Du kannst am 1. anfangen“.<br />

Elektrotechniker, das war überhaupt nicht mit meinem<br />

Gedankengut zu vereinbaren, aber was wollte ich ma-<br />

15


chen, der 1. rückte näher, und ich trat meinen Lehrdienst<br />

in der von Mauern, Stacheldrahtzäunen, und anderen Sicherheitsanlagen<br />

umgebenen Kernforschungsanlage an.<br />

Dort ging es um Forschung an der höllischsten Kraft, die<br />

Menschen kurz vor Ende des 2. Weltkrieges erfunden<br />

hatten, um möglichst effektive und weiträumige Zerstörung<br />

zu erzeugen, was ja auch gegen Ende des Krieges<br />

in Hiroshima und Nagasaki vorgeführt wurde.<br />

Diese Kraft sollte in der Forschungsanlage zu friedlichen<br />

Zwecken als unendlicher Energieerzeuger unter Kontrolle<br />

gebracht werden.<br />

Ich kam in einen Raum mit ca. 10 Werkbänken, und<br />

nach einer Einführungsrede des Meisters stand ich nun<br />

da in einem blauen Kittel mit einer Eisenfeile in der<br />

Hand vor meiner Werkbank. Ein dickes Stück Eisen in<br />

einem auf der Bank befindlichen Schraubstock eingeklemmt,<br />

dieses mir unangenehme Stück Metall sollte ich<br />

nun in eine bestimmte Form bringen. Das Stück Eisen<br />

sollte genauestens auf Millimeter genau vorgegebene<br />

Masse zurechtgefeilt werden. Schon als ich die Feile auf<br />

das Eisenstück legte, war mir klar, dass ich die Vorgaben<br />

niemals einhalten könnte, aber ich feilte drauf los was das<br />

Zeug hielt.<br />

Nach 2 Wochen war das Eisenstück völlig aus der Form<br />

geraten, und ich bekam nur Rüffel vom Meister. Andere<br />

Lehrlinge hatten ihre fertige Arbeit längst abgeliefert.<br />

Ich konnte mit dem Zeug einfach nicht umgehen und<br />

so langsam fasste ich einen Entschluss. Zu Hause war sowieso<br />

nur Frust, die Arbeit war unmöglich für mich zu<br />

bewältigen, es musste sich etwas ändern.<br />

Einer meiner Arbeitskameraden hatte wohl auch keinen<br />

Bock auf den Job den er da ausfüllen sollte und wir kamen<br />

so mit und mit ins Gespräch. „ist doch alles Mist<br />

16<br />

hier, das hatte ich nicht gewollt“ sagte Klaus, ich konnte<br />

ihm nur beipflichten.<br />

Also was tun?<br />

17<br />

Kapitel 3<br />

Meine Gedanken wurden immer klarer, und ich sagte zu<br />

Klaus.“ Wie wär`s wenn wir einfach abhauen?“ „Wie<br />

abhauen, wo sollen wir denn hin?“ „Da wird sich schon<br />

was finden, ich möchte ans Meer, da träume ich schon<br />

lange von“, entgegnete ich Klaus.<br />

„Und wie kommen wir dahin? Geld haben wir auch<br />

nicht“ sagte er darauf.<br />

„Ach lass mich mal machen, ich werde das organisieren“,<br />

sagte ich mit sicherer Stimme.<br />

Ab jetzt waren wir beide nur noch von Gedanken an<br />

„weg aus dieser Eisenschrubberanlage“ besessen.<br />

Einige Tage später war es dann soweit. Wir hatten „Campingbeutel“,<br />

so hießen kleine Transporttaschen aus Plastik,<br />

die man sich mit einer Schnur über die Schulter


hängen konnte.<br />

Mit etwas Wäsche und ein paar Broten bepackt, jeder<br />

von uns hatte sich 10 Mark organisiert, und ab an die<br />

Hauptstrasse in Richtung Holland.<br />

Damals war ich 13 Jahre alt, aber mutig wie ein Tiger.<br />

Das, was mich zu Hause oder auf der Arbeit erwartete,<br />

konnte nur viel schlimmer sein, als hier auf der Strasse zu<br />

steh`n.<br />

Daumen raus, Autos gestoppt, und weit weg, das war<br />

nun die Devise.<br />

Wir waren gegen 9 Uhr morgens losgetrampt und schon<br />

8 Stunden später sah ich zum ersten Mal das Meer.<br />

„Kneif mich `mal“ sagte ich zu Klaus, denn ich konnte<br />

kaum glauben dass ich an einem Strand entlang lief.<br />

Klaus stand der ganzen Sache noch ziemlich skeptisch<br />

gegenüber, er wusste wohl nicht so recht wie es weiter-<br />

18<br />

gehen sollte, zumal es langsam dunkel wurde.<br />

„Komm, wir suchen uns `was zum pennen“ schlug ich<br />

vor, aber der Hunger trieb uns zunächst in eine Pommesbude,<br />

wo wir die größte Portion bestellten. Von unseren<br />

10 Mark hatten wir noch nichts ausgegeben.<br />

Satt und müde sahen wir Strandkörbe, die aber leider<br />

verschlossen waren.<br />

Dann fanden wir doch noch einen ziemlich heruntergekommenen<br />

Strandkorb, der in seinem Zustand nicht<br />

mehr zu verschließen, und auch nicht mehr zu vermieten<br />

war. Wir versuchten uns in den Korb zu zwängen,<br />

aber an gemütlichen Schlaf war nicht zu denken.<br />

Irgendwie hatten wir dann doch noch ein paar Stunden<br />

gepennt, ein wunderschöner Sonnenaufgang stellte uns<br />

auf die Beine.<br />

Die Sonne hatte ich schon immer genossen, und besonders<br />

verehrt, aber einen solch überwältigenden Blick auf<br />

Himmel, Sonne und Meer hatte ich noch nicht erlebt.<br />

Dazu den unendlichen Horizont des Meeres, ich glaubte<br />

die Welt fällt weit in der Ferne nach hinten in ein großes<br />

Loch.<br />

Der Himmel war purpurrot, von gräulichen Schleierwolken<br />

gesprenkelt und da kam sie am Horizont hoch,<br />

ein halbrundes glühendes Etwas, das sich immer höher<br />

aus dem Wasser erhob, immer weiter hoch stieg, und<br />

letztlich rund wie ein Ball aus glühendem Feuer leuchtete,<br />

diese herrliche, majestätisch glänzende Sonne , die<br />

uns in den Tag führen sollte.<br />

Ich fühlte mich gut, ich erkannte ein Gefühl von Freiheit<br />

wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Klaus war<br />

nicht wohl zumute, er konnte unsere Selbständigkeit<br />

nicht so genießen wie ich.<br />

„Gehen wir uns Brötchen kaufen, ich hab Hunger“ sagte<br />

ich zu Klaus und wir wurden erneut satt. Unsere Bör-<br />

19<br />

se begann dramatisch zu schrumpfen, aber darüber


machte ich mir keine Gedanken.<br />

„Komm, wir fahren jetzt einfach nach Paris“ lockte ich<br />

Klaus aus seiner Lethargie, aber der fasste sich nur an den<br />

Kopf, um mir zu verdeutlichen, dass ich spinne.<br />

„Nein“, sagte ich, „wir schaffen das. Wir trampen an der<br />

Nordsee entlang bis Frankreich, und dann links nach Paris“<br />

Also machten wir uns auf, Daumen rausgehalten bis Belgien.<br />

Dort waren wir schnell, nun mussten wir nur noch<br />

nach Frankreich. Übrigens hatte Keiner von uns Personalpapiere,<br />

an solche hätte ich bei unserer Abreise am<br />

Wenigsten gedacht.<br />

Für den Hunger bettelten wir uns durch, immer einen<br />

lockeren Spruch auf den Lippen (was mir Jahre später<br />

noch sehr helfen sollte, -Geld verloren oder so-), es ging<br />

weiter.<br />

Es war nun der dritte Tag seit wir ausgebüchst waren,<br />

mir tat`s gut, aber Klaus wollte zurück nach Hause.<br />

Ihn erwartete ja auch nicht die skrupellose Mischpoke,<br />

mit der ich mich dann wieder auseinandersetzten musste,<br />

sondern nur die Mutter und eine Oma, die Schnaps<br />

trank und ihn liebten. Was ich von meinen Leuten, außer<br />

meinem Vater, mit der Hexe an seiner Seite, leider<br />

nicht sagen konnte.<br />

Was soll’s, dachte ich, lenkte ein, wieder nach links, aber<br />

an Paris vorbei nach Strasbourg an die Französisch-<br />

Deutsche Grenze.<br />

„Na wo kommt ihr Jünglinge denn her“ fragte ein dicker<br />

Deutscher Zollbeamter, bei dem wir uns gemeldet<br />

hatten. „Und zeigt `mal eure Papiere“. „Ham wa nich“,<br />

sagte ich, und erzählte die Geschichte von der großen<br />

Flucht. „Ihr seid mir ja Früchtchen, “ raunzte der Zöllner,<br />

und griff zum Telefon.<br />

20<br />

Nun ging alles seinen geordneten Gang, die Eltern wurden<br />

benachrichtigt, dass man uns an der Zollstation abholen<br />

könne. Jetzt hatte ich richtig Bammel.<br />

Drei Tage Freiheit, dabei war ich doch losgegangen um<br />

nie wieder zurückzukehren.<br />

Nicht unsere Eltern holten uns ab, sonder irgendwelche<br />

unsympathischen ernst dreinblickenden Leute vom Jugendamt,<br />

die uns in die Heimat zurückführten.<br />

Es gab eine dicke Standpauke von meinem Vater, eine<br />

saftige Ohrfeige, einen Blick von seiner Alten, der so voller<br />

Hass war wie ich nie einen gesehen habe, Klaus hatte<br />

ich seitdem auch nicht mehr getroffen.<br />

Nach kurzer Zeit fand ich mich in einem anderen „Erziehung“-<br />

Heim wieder, ca. 150 km von zu Hause entfernt.<br />

Dort waren kleine Häuser für Gruppen a 10 Jugendlichen,<br />

und es war eigenartigerweise nicht mal<br />

unangenehm.<br />

Ich sollte eine Lehre als Polsterer beginnen, und fügte<br />

mich zunächst in mein Schicksal.<br />

Die Arbeit fand ich bescheuert, für mich auch diesmal


völlig unpassend aber ich hatte sehr schnell einige Annehmlichkeiten,<br />

die mich vor einer vorschnellen Flucht<br />

zurückhielten.<br />

Erstmal gab es Musik in der Freizeit die mir gut gefiel.<br />

Twist war gerade modern, und ich liebte es zu tanzen.<br />

Es gab zwischen den einzelnen Häusern Twistmeisterschaften,<br />

die ich schnell alle gewann. Ich konnte die<br />

Hüften schwingen wie Elvis, selbst der hätte meinen<br />

Schwung bewundert.<br />

Da war noch was, eine der im Büro des Heimes angestellte<br />

Sekretärin machte mir schöne Augen, das war<br />

neu, aber nicht unerfreulich.<br />

21<br />

Das Mädel sah gut aus, wohnte in einem Häuserkomplex<br />

der dem Heim angeschlossen, der für die Angestellten –<br />

Erzieher, Arbeitsmeister, und auch für das Büropersonal<br />

vorgesehen war.<br />

In einem dieser Häuser wohnte auch besagtes Fräulein,<br />

Anke, und es ergab sich –ich wusste nicht mehr genau<br />

wie -, dass wir uns plötzlich allabendlich zwischen Hekken<br />

an einen Baum gelehnt trafen, und knutschten was<br />

das Zeug hielt. Wir betatschten uns wo`s auch immer<br />

gefiel, und die zwei Stunden fast täglich wurden eine<br />

geile Angelegenheit. Nur vögeln wollte sie nicht, das war<br />

absolut tabu. Ich war 13-, sie 20 Jahre alt und so fummelten<br />

wir weiter vor uns hin.<br />

Anke hatte ein Auto und eines Tages, es war Sonntag,<br />

dann hatten wir Ausgang ins Dorf bis 6 Uhr, fuhr mich<br />

Anke zu meiner Mutter nach Merschenich.<br />

Die war hoch verwundert mich mit einer jungen Frau<br />

zu sehen aber ich hatte den Eindruck dass sie sich freute<br />

mich zu sehen. Erstaunlich.<br />

Wir tranken Kaffee, aßen Kuchen, und Mutter fragte<br />

wieso ich denn nach Hause kommen konnte. Ich log ihr<br />

vor, dass Anke die Erlaubnis hatte mit mir nach Hause zu<br />

fahren.<br />

Schön und gut, der Tag ging vorbei, und wir bemerkten<br />

zu spät, dass wir längst im Heim sein sollten, und machten<br />

uns schleunigst auf den Weg zurück.<br />

Aber es nützte alles nichts, die Katastrophe war nicht<br />

mehr aufzuhalten.<br />

Erst um kurz nach 8 Uhr abends lieferte mich Anke vor<br />

der Haustür meiner Heimabteilung ab, da stand auch<br />

schon der Obererzieher und klatschte mir seine grobe<br />

Hand mit voller Wucht ins Gesicht.<br />

„Das habt ihr euch ja schön ausgedacht“ sagte er hämisch,<br />

Anke fuhr beschämt die paar Meter weiter bis zu<br />

22<br />

Ihrem Haus.<br />

Eine Woche später war sie entlassen, ich hatte nichts<br />

mehr von ihr vernommen.<br />

Die nächste Flucht wurde schnell in Angriff genommen.<br />

Ich hatte einen guten Kumpel aus einem anderen Haus,


der auch dem Twist verfallen war, und wenn Chubby<br />

Checker grölte waren wir nicht aufzuhalten und twisteten<br />

gemeinsam durch die Häuser.<br />

Mit Gerd besprach ich dann meinen Plan, das Heim<br />

endgültig zu verlassen, es gefiel mir nicht mehr. Hans<br />

überlegte 24 Stunden, dann kam er rüber und nickte nur<br />

mit dem Kopf.<br />

Nachdem es dunkel wurde fehlten 2 Heiminsassen, sie<br />

waren auf dem Weg nach Frankreich, ich wollte endlich<br />

nach Paris.<br />

Natürlich hatten wir erneut keine Papiere bei uns, aber<br />

auch jetzt das Glück nie kontrolliert zu werden.<br />

Am zweiten Abend unserer per Anhalter-Reise erreichten<br />

wir Saarbrücken, ich roch zwar viel Kohlenstaub<br />

aber auch die nahe Grenze nach Frankreich und PARIS.<br />

Beim Bummel durch die Stadt, wir suchten eine Schlafgelegenheit,<br />

kamen wir an einer Eckkneipe vorbei, aus<br />

der hallte laut Twist-Musik.<br />

Wir rein in die Kneipe, und wie´s der Himmel so wollte<br />

befanden wir uns in einem Twist-Kontest, 1.Preis 100<br />

DM, 2. Preis eine Magnum-Flache Sekt, den dritten<br />

Preis wusste ich nicht mehr.<br />

Wir schauten uns auf der Tanzfläche um, und als wir die<br />

Verrenkungen der verschiedenen Teilnehmer sahen<br />

schauten wir uns lächelnd an, und meldeten uns bei der<br />

Jury um mitzumachen.<br />

„Aber normalerweise tanzen nur Junge und Mädchen,<br />

zwei Jungen haben noch nie hier mitgemacht“, sagte ei-<br />

23<br />

ner aus der Jury. Er dachte wohl wir seien schwul.<br />

Wir wurden trotzdem mit in den Wettbewerb eingetragen,<br />

und durften mitmachen. Es waren insgesamt ca. 10<br />

Paare am Start, und schon ging`s los.<br />

Als wir die auftretenden Tänzer sahen, die sich das auf<br />

dem Parket produzierten, waren wir uns eines sehr vorderen<br />

Platzes sicher.<br />

Wir wurden aufgerufen, Chubby dröhnte uns in die<br />

Ohren und gleich in die Glieder. Wir bewegten was die<br />

Knochen hergaben, wir hatten im Heim of gemeinsam<br />

geübt. Twist war unser Leben und meine Hüften waren<br />

für den Tanz gemacht, Niemand sollte besser sein als wir.<br />

Wir hatten so viele Tricks und Kniffe drauf, liessen uns<br />

mit den Knien nach hinten<br />

tragen, dass unsere Köpfe fast den Boden berührten, und<br />

erntete reichlich Applaus.<br />

Logischerweise hatten wir auch Neider. Da kamen zwei<br />

wildfremde Bürschlein ins Lokal und wollten abräumen.<br />

Also bekamen wir nur den 2. Preis, waren echt sauer. Wir<br />

waren einfach die Besten. Was wollten wir mit Sekt, wir<br />

wollten den Hunderter um gemütlich nach Paris zu<br />

kommen.<br />

Aber nix zu machen, oder doch…sehr hübsche Mädels<br />

tauchten bei uns auf, wir griffen uns zwei, von denen Eine


sogar eine eigene Wohnung hatte, und rockten , twisteten<br />

und vögelten die Nacht durch bis es hell wurde.<br />

Wir hatten doch den 1. Preis gewonnen.<br />

Nachdem wir mit unseren süssen Mäusen, die wir uns<br />

immer brüderlich geteilt hatten, mal die, mal jene, jeder<br />

sollte seinen Spaß haben, gefrühstückt hatten, und ihnen<br />

noch 60 Mark aus dem Kreuz geleiert, machten wir uns<br />

weiter auf den Weg Richtung Paris.<br />

Leider hatten wir in unserem Sekt und Sex-Rausch die<br />

Grenze nicht bedacht. Wir gingen ganz normal über ei-<br />

24<br />

ne Brücke, die als Grenze ausgewiesen war, und plötzlich<br />

tönte es in unserem Rücken „Halt, wo wollt ihr hin?“<br />

„Nach Frankreich, eine Tante besuchen“ „dann zeigt<br />

`mal eure Papiere“. „Ja wo hast du sie denn“, fragte mich<br />

Gerd in aller Unschuld, aber es war ein Satz mit X, über<br />

die Grenze kommen war nix…<br />

Die gleiche Prozedur wie schon mal in Stassbourg, Jugendamt,<br />

und ab ins Heim.<br />

25<br />

Kapitel 4<br />

Aber was für ein Heim! 5Meter hohe Mauern, alle Fenster<br />

mit dicken Eisenstäben verrammelt, an Flucht war<br />

zunächst mal überhaupt nicht zu denken. Brauweiler<br />

war der Ort in dem dieses sehr alte Jugendgefängnis mit<br />

angeschlossener Säuferheilanstalt gebaut war. 30 km von<br />

meinem Heimatort entfernt.<br />

Ich war nie kriminell gewesen, hatte keinem Menschen<br />

Böses getan und saß jetzt hinter Gittern.<br />

Jedoch schon am nächsten Tag waren meine Freiheitsgedanken<br />

wieder da, Gitter, Mauern oder nicht, ich wollte<br />

da raus!<br />

Es dauerte genau 4 Wochen, bis ich mit einem Mit-<br />

„Häftling“ die Flucht geplant hatte.<br />

3-mal wöchentlich konnten wir im Hof dieses Knastes<br />

Fußball spielen, nur ein Wächter trottete lustlos seine<br />

Runde.<br />

Es war Herbst, und schon ziemlich früh dunkel aber das<br />

Fußballspiel fand immer von 17- bis 19Uhr statt. (Übrigens,<br />

mit Fußball hatte ich ja gar nichts am Hut), ich<br />

zeigte mich als Stürmer, und plötzlich schoss einer der<br />

Spieler den Ball in eine dunkle Ecke der Mauer.<br />

Fast Alle liefen dem Ball hinterher, und zwei Jung`s liefen<br />

besonders schnell. In Nu hatten sich zwei starke<br />

Männer übereinander gestellt, und Bodo und ich kletterten<br />

an ihnen hoch bis auf die Mauer.<br />

Für den Wächter waren wir unsichtbar, wir spielten nur<br />

Fußball im halbdunklen Hof. Oben an der Mauer angekommen<br />

mussten wir feststellen, dass die Mauer von außen<br />

noch<br />

höher war als von innen aber Augen zu und runter.<br />

Als wir unten angekommen waren, die Knochen heil,<br />

26


liefen wir so schnell wir konnten auf ein grosses Feld zu,<br />

das besonders hohe Furchen hatte, wir brauchten nur eine<br />

kleine Strasse zu überqueren.<br />

Es dauerte nicht lange, als auf der nahen Strasse Scheinwerferpaare<br />

auftauchten, die besonders langsam fuhren.<br />

Es müssten 3 oder 4 gewesen sein. Einer bog auch in einen<br />

Feldweg ein, aber wir legten uns so in die hohen<br />

Ackerfurchen, dass man uns unmöglich sehen konnte.<br />

Nach einer Stunde war die Jagt vorbei, und die Wächter<br />

mussten unverrichteter Dinge wieder hinter ihre Mauer<br />

zurück. Man hatte uns nicht gefunden, und ein weiterer<br />

Fluchtplan war `mal wieder positiv ausgeführt.<br />

Langsam begaben wir und Richtung Strasse, immer<br />

noch wachsam ob der Wächter, die zum Glück keine<br />

Köter hatten, noch auf der Suche waren. Das wäre ja<br />

auch noch schöner gewesen,<br />

schließlich waren wir nicht für irgendwelche kriminellen<br />

Taten im Heim, obwohl in der Bauweise kein Unterschied<br />

zu einem Gefängnis bestand.<br />

Vor dem nächsten kleinen Ort stand ein kleiner Lastwagen,<br />

der hatte Säcke aus Jute geladen. Schon hatten wir<br />

einen Schlafplatz gefunden.<br />

Bodo ging am nächsten morgen seiner Wege, und ich<br />

meine.<br />

Völlig verdreckt von den Säcken fühlte ich mich gar<br />

nicht wohl, und suchte eine Waschgelegenheit. An einem<br />

Neubau sah ich einen Wasserkran, und säuberte mich so<br />

gut es eben ging.<br />

Es mag 6-oder 7 Uhr gewesen sein, noch kaum Betrieb<br />

auf der Strasse, die Bauarbeiter waren noch nicht angerückt.<br />

Ich wusste nicht so recht wo ich war, lief einfach<br />

drauflos.<br />

So ca. 500 Meter war ich gegangen, da lenkte hinter mir<br />

ein Fahrzeug auf den Bürgersteig, und fuhr mir langsam<br />

27<br />

in die Kniekehlen, um mich fast gegen die Häuserwand<br />

zu drücken.<br />

Als ich mich erschrocken umschaute war dies Fahrzeug<br />

grün-weiß angemalt, es war die Polizei.<br />

„ Na junger Mann, wo wollen wir denn hin“? hörte ich<br />

einen Bullen sagen während er sich seine Dienstmütze<br />

auf den Schädel schraubte, und aus dem Auto sprang.<br />

So hatten sie mich wieder erwischt, eine schmutzige<br />

Nacht in Freiheit, und schon landete ich erneut in dem<br />

verhassten Knastgebäude, aus dem ich mit viel Mühe<br />

entsprungen war.<br />

Es gab eine dicke Rüge vom Direktor, Fragen, weshalb<br />

ich denn immer „entweichen“ müsse, da ich keine Antworten<br />

fand sperrte man mich zunächst mal in einen<br />

dunklen Keller, und schloss eine dicke, quietschende Türe<br />

hinter mir zu.<br />

Ich hatte richtig Furcht, dieses dunkle Loch, wo absolut<br />

nichts zu sehen war, eine unheimliche Dunkelheit und


aschelnde Geräusche am Boden. Es waren Ratten, die<br />

sich dort amüsierten, und mir Angst einjagen wollten. Irgendwie<br />

fand ich tastend einen Hocker zum Sitzen und<br />

harrte der Dinge die da komme sollten. Ich sah die<br />

Hand nicht vor den Augen und fror.<br />

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich endlich einen<br />

Schlüssel hörte, die Türe sich öffnete, um mich ans Tageslicht<br />

zurückzulassen.<br />

Ich kam wieder in den Raum meiner Haftgenossen, wir<br />

waren 6 Leute in einem Zimmer, die mir auf die Schultern<br />

klopften, und sagten „ wenigstens bist du ´rausgekommen“,<br />

das konnte mich nicht trösten, ich war ja<br />

wieder „drin“.<br />

Die nächste Flucht war schon in Planung, als ich mich<br />

auf meine Pritsche setzte.<br />

28<br />

Es waren einige Monate ins Land gegangen, als ich dann<br />

meinen 14ten Geburtstag hatte. Meine Mutter kam zu<br />

Besuch, sie brachte mir Süsses, ein halbes Pfund Butter<br />

und eine Schmierwurst mit.<br />

Freuen konnte ich mich auf den Besuch nicht so richtig,<br />

bis einer der Bewacher sagte, dass ich für 2 Stunden<br />

mit meiner Mutter im Dorf spazieren gehen dürfe.<br />

Ich konnte mein Glück kaum fassen, denn ich wusste<br />

sofort, das war die Gelegenheit!<br />

Wir schritten durch das hohe dicke Tor und das Erziehungsheim<br />

lag plötzlich hinter mir.<br />

Meine Mutter brabbelte auf mich ein, ich verstand kaum<br />

ein Wort, und als ich ausser Reichweite des verhassten<br />

Gebäudes kam, sagte ich ihr: „ ich muss jetzt weg“.<br />

Mutter war geschockt, „Junge, mach doch keine<br />

Dummheiten, du kommst sicher bald nach Hause“.<br />

Aber da war ich schon davongerannt, immer weiter weg<br />

aus dem Dorf wo ich mich absolut nicht wohl fühlen<br />

konnte. Am Dorfesrand hielt ich ein Auto an, und der<br />

Fahrer nahm mich mit nach Köln.<br />

Endlich eine grosse, unübersichtliche Stadt, wo ich untertauchen<br />

konnte.<br />

Nun hatte ich wieder ´mal weder Geld noch Papiere,<br />

aber ich sah in Bahnhofsnähe eine kleine Bande junger<br />

Leute, die sich den Tag um die Ohren zu schlagen suchten.<br />

Ich ging auf die Jugendlichen zu, und fragte wo ich ´was<br />

zu beißen kriegen könnte, ich hatte Hunger, die<br />

Schmierwurst war im Heim geblieben.<br />

Sofort bekam ich ein Stück Brot, und man fragte mich<br />

wo ich denn herkomme? „Bin aus ´nem Heim abgehauen,<br />

und muss nun möglichst weit weg von hier“ erklärte<br />

ich mich.<br />

„Kein Problem“ sagte einer der „Gammler“, wie man<br />

29<br />

sie damals nannte, „ich mach mich auf den Weg nach<br />

Süden, du kannst mitkommen“.<br />

Bald marschierten wir Richtung Autobahn, und streckten


wieder ´mal den Daumen in die Höhe.<br />

Es dauerte nicht lange, da hielt ein Wagen an, und nahm<br />

uns mit bis Mainz, Ca. 200km weg von Köln.<br />

Mit jedem Kilometer, den wir uns von Köln entfernten,<br />

wurde ich immer ruhiger, denn jetzt sollten die Verfolger<br />

es verdammt schwer haben, mich noch einzufangen.<br />

„Ich will nach München“, sagte Karl“, und somit war<br />

das auch mein Ziel.<br />

Wir mussten irgendwo noch ´mal eine Nacht in einem<br />

Rasthof verbringen, Karl hatte Geld für Kaffee, und am<br />

nächsten Nachmittag waren wir am Ziel, München.<br />

Karl wusste wo sich „unsereins“ aufhielt, und wir gingen<br />

in den englischen Garten.<br />

Dort befand sich ein Monument, das hiess „Monopturus“,<br />

genau da lagerten viele Leute wie Karl und ich,<br />

und vertrieben sich die Zeit mit Guitarenspiel, Tanz und<br />

Gesang.<br />

Das gefiel mir sofort, zumal es auch einige nette Mädels<br />

zu sehen gab.<br />

Schnell hatte ich mich an das Leben dieser Menschen<br />

gewöhnt, Schnorren geh´n um zu essen, und ´ne Decke<br />

besorgen um nachts im englischen Garten nicht zu frieren.<br />

Es war Frühling, es wurde immer wärmer, und somit<br />

kein Problem im Freien zu nächtigen.<br />

Sehr schnell hatte ich ein mich zusätzlich wärmendes<br />

Mädel unter der Decke. Es war eigentlich ihre Decke,<br />

aber die teilte sie mit mir.<br />

Manche schon besser gestellte „Beatniks“ hatten längst<br />

Schlafsäcke, aber so weit war ich noch nicht. Ich war<br />

noch am unteren Ende der Hierarchie, die es eigentlich<br />

30<br />

nicht gab, aber Einigen ging´s eben besser als anderen.<br />

Trotzdem wurde alles geteilt. Niemand musste Hunger<br />

leiden oder frieren.<br />

Es dauerte nicht allzu lange, da hatte ich mir 30Mark zusammengebettelt,<br />

und konnte von einem amerikanischen<br />

Soldaten einen flammneuen Daunenschlafsack aus<br />

Armeebeständen kaufen. Jetzt war es wirklich mit dem<br />

Frost am Ende, der Schlafsack wärmte kolossal und war<br />

auch noch wasserdicht.<br />

Dieses Teil sollte mich lange begleiten.<br />

Was mich sehr störte waren die unregelmäßigen Polizeikontrollen,<br />

die leider immer wieder stattfanden. Ich roch<br />

jedoch die Polizei meist schon von weitem, und hatte<br />

mich schnell im Dschungel der Großstadt verkrümelt.<br />

Die Zeit ging in angenehmer Lebensform vorbei, der<br />

Sommer kündigte sich an. Ich hatte ein sehr schönes und<br />

genau so liebes Mädel kennen gelernt, sie hatte lange<br />

hellblonde Haare, ein hübsches Gesicht mit strahlend<br />

blauen Augen, in denen man die Sonne flackern sah, einer<br />

kleinen, süssen Stupsnase, und einen Körper, als hätte<br />

Gott persönlich Hand angelegt. Sie bewegte sich immer<br />

mit wiegendem Schritt, so als würde sie über die


Erde tanzen.<br />

Manuela war ihr Name, sie kam fast täglich nach der<br />

Schule zu mir in den englischen Garten, sie wohnte direkt<br />

nebenan bei ihren Eltern.<br />

Wir spielten miteinander, und ich fühlte, dass sie mich<br />

mochte. „wieso heisst du eigentlich Hermann“, fragte<br />

sie mich irgendwann, „der Name passt nicht zu dir“.<br />

Das fand ich auch und zwar schon lange. Es war der Name<br />

meines Nazi-Grossvaters, und der wurde mir von<br />

meinen Eltern aufgedrückt, wie das früher halt so war.<br />

Manuela überlegte ein wenig, indem sie mich ansah, und<br />

sagte plötzlich. „ Eric sollst du heißen, das passt viel bes-<br />

31<br />

ser zu dir, du bist ein nordischer Wickingertyp mit deinem<br />

wilden blonden Haar“.<br />

Warum sie ausgerechnet diesen Namen wählte hatte ich<br />

nie verstanden, aber er gefiel mir, kurz und bündig, ich<br />

hatte einen neuen Vornamen.<br />

Mit Manuela gab es keinerlei sexuelle Beziehung, obwohl<br />

ich dies gerne mögen mochte, zumal sie 3 Jahre älter<br />

war als ich, und sicher wusste wie das so alles funktioniert,<br />

aber zwischen uns gab es nur Spiele wie unter<br />

Kindern.<br />

Wir gingen spazieren, unterhielten uns über dies und jenes,<br />

schaukelten oft auf einer im Garten stehenden<br />

Schaukel, wobei ich ihr oft unters Röckchen gucken<br />

konnte, unter dem ein blitzweißer Slip blinkte aber das<br />

war’s dann auch. Wenn sie sich von mir am frühen Abend<br />

verabschiedete bekam ich einen unschuldigen Kuss, und<br />

schon war Manuela auf dem Weg nach Hause, wo Papa<br />

und Mama mit dem Abendessen warteten.<br />

Bis zum Rand des englischen Gartens durfte ich sie begleiten,<br />

dann gab´s den letzten Kuss, uns weg war mein<br />

Schatz.<br />

Im Laufe der Zeit hatte ich mich in das blonde Mädel<br />

ein wenig verliebt, und ich fand es traurig, als sie plötzlich<br />

verschwunden war. Jedenfalls lebte sie ein „normales“<br />

Leben, ging auf´s Gymnasium, und, was der Liebe<br />

keinen Abbruch tat. Sie kam immer nur gezielt zu mir,<br />

mit den anderen Beatniks wollte sie keinerlei Kontakt.<br />

Irgendwann war Manuela verschwunden, ohne Abschied,<br />

ohne ein letztes Wort, sie kam nicht wieder in<br />

den Park.<br />

32<br />

Kapitel 5<br />

Aber ich gewöhnte mich schnell an die veränderte Situation,<br />

und suchte wieder näheren Kontakt zu den<br />

Beatniks oben zwischen den Säulen des Monopturus.<br />

Irgendwann im Juli 1961, ich war immer noch 13Jahre<br />

alt, gab es das Gerücht, dass eine Filmcrew vom hessischen<br />

Rundfunk 4 Leute suchte, 2 Mädels und 2 Jungs,<br />

die sich in der Beatnikszene herumtrieben.<br />

Schnell hatte ich diese Leute gefunden, und bot mich


an, an dem Film mitzuwirken. Die anderen 3 Personen<br />

waren schon gekastet, Mike, der die längsten Haare hatte,<br />

(das war´s aber auch), Inga aus Frankfurt, und Liesel.<br />

Inga war eine grosse, den Braunhaarigen Kopf immer<br />

stolz hoch tragend und doch sehr lustige Frau von 18<br />

Jahren. Sie kannte die Strasse, war schon 2 Jahre in<br />

Europa unterwegs.<br />

„Ich hab kein Ziel, ich lasse mich von Wind und Sonne<br />

vorwärts treiben“, war ihre Philosophie. Das gefiel<br />

mir.<br />

Liesel war schon 20 Jahre alt, dunkelblonde Locken umgaben<br />

ihren Kopf, sie war schon länger mit Mike unterwegs.<br />

Sie kamen gerade aus Formenterra zurück, einer<br />

kleinen Insel der Balearen, in Spanien.<br />

Das Geld war zuneige gegangen. Und das verdiente<br />

man am besten in Deutschland. Wie, das sagten sie nicht,<br />

Jedenfalls wollten sie so rasch als möglich auf die Insel<br />

zurück, da kam die Gage von 400 Mark gerade recht. Ich<br />

war der Jüngste, sah aber älter aus.<br />

Ich hatte Glück, passte den Typen ins Konzept, und<br />

schon 3 Tage später sollte eine Reise nach St. Marie de<br />

la mer, einem kleinen Dorf an der französischen Mittelmeerküste<br />

losgehen.<br />

33<br />

Wir sollte beim „trampen“ gefilmt werden, und der Weg<br />

nach Süden sollte aus Sicht der Beatniks.<br />

Beatnik war der Ausdruck für Menschen, die mit der<br />

normalen, auf Materialismus ausgerichteten Weltsicht<br />

abgeschlossen hatten und mit wenig Gepäck durch die<br />

Welt reisten. Meist per Autostop, aber am Anfang der<br />

Bewegung hießen die Beatniks noch „Hobos“, und sie<br />

bewegten sich zunächst durch Amerika, indem sie auf<br />

Züge sprangen, und so durchs Land kamen. Frieden und<br />

Liebe waren ihre wichtigsten Gefühle. Und alle hatten<br />

den Blues.<br />

Als die Bewegung dann nach Europa herüberschwappte,<br />

und viele Anhänger fand, wurde der Begriff „Beatniks“<br />

geprägt, gut beschrieben von Jack Kerouac in seinem<br />

Buch „On the Road“. So nannte man uns jetzt<br />

Beatniks, und das sollte dokumentiert werden.<br />

Der Weg ging nach St. Marie de la mer, weil dort alljährlich<br />

eine Madonna von aus allen Himmelsrichtungen<br />

weit angereisten massenhaft erschienenen Zigeunern<br />

(Sinti und Roma), ins Meer gebracht wurde, eine schon<br />

sehr lange bestehende Tradition der Zigeuner, Europaweit<br />

bekannt.<br />

Und dort versammelten sich dann auch viele Beatniks<br />

aus verschiedenen Ländern, die ja auch „Reisende“ waren,<br />

und feierten dieses Ereignis auf ihre Art mit. Es war<br />

zu diesem Zeitpunkt das größte Treffen von Beatniks in<br />

Europa.<br />

Und genau da sollten wir hin.<br />

Es gab ein kleines Problem für mich: ich hatte keinen


Ausweis, was ich den Leuten vom Fernsehen natürlich<br />

verschwieg.<br />

Aber es gab da einen Typen, der eigentlich recht bürgerlich<br />

war, aber gerne mit uns abhing, Tilmann.<br />

Und dieser Tilmann sah mir ein wenig ähnlich, nur sei-<br />

34<br />

ne Haare waren kürzer.<br />

Mit dem Mut der Verzweiflung –ich wollte unbedingt<br />

mit nach Frankreich - sprach ich Tilmann an, und erklärte<br />

ihm meine Lage, wo ich herkam, und wo ich hinwollte.<br />

Der liebe Junge überlegte nicht lange, und gab mir seinen<br />

Personalausweis.<br />

Ich konnte mein Glück kaum fassen, von jetzt an hiess<br />

ich „Tilmann Mühlhaus“. Das Foto im Ausweis war<br />

schon älter, und das könnte locker ich gewesen sein.<br />

Tilmann wünschte mir „gute Reise“, und schon war ich<br />

im VW-Bus der Fernsehleute .Als „Eric“, ich sagte der<br />

Name „Tilmann“ wäre doof, und den hätte ich längst<br />

abgelegt, war ich nun Mitglied einer Fernsehproduktion<br />

des hessischen Rundfunks.<br />

Der Trip sollte 2 Wochen lang dauern, wir bekämen Unterkunft<br />

und Essen, und am Ziel auch noch jeder 400<br />

Mark.<br />

Der Deal war perfekt, ich konnte meine klammheimliche<br />

Freude kaum verbergen. Das Deutsche Fernsehen<br />

brachte mich ausser Landes, etwas anderes wollte ich ja<br />

gar nicht.<br />

Wir trafen uns am Siegestor, am Anfang der Leopoldstrasse.<br />

Die Fernsehleute kamen mit 2 Kombifahrzeugen,<br />

einem VW-Bus, und luden uns ein.<br />

Sie fuhren uns zunächst zum Autobahnzubringer Richtung<br />

Süden, wo wir „trampen“ spielten. Wir hatten zwei<br />

Pärchen gebildet, mit Schlafsack und anderem „Beatnik-<br />

Reisematerial“ bestückt, und hielten den berühmten<br />

Daumen raus.<br />

Der erste Kombi der Filmleute nahm Mike und Liesel<br />

mit, und nachdem einige Autos uns glimpflich übersahen,<br />

kam der zweite Kombi und lud Inga und mich ein.<br />

35<br />

Diese Szene wurde auf dem Weg nach Süden noch 2<br />

oder 3 mal wiederholt, wobei die Schilder der verschiedenen<br />

Reiseabschnitte immer mit ins Bild kamen,<br />

schliesslich waren vier Beatniks auf der Reise nach Südfrankreich.<br />

Die Crew nahm den Weg durch die Schweiz, und bog<br />

dann westlich ab in Richtung französischer Mittelmeerküste.<br />

Und „Tilmann Mühlhaus“ hatte keinerlei<br />

Schwierigkeiten an den Grenzkontrollen, obwohl mir<br />

jedes Mal -3-mal, die „Muffe“ zitterte. Bei der Ein –und<br />

Ausreise in - und aus der Schweiz, und bei der Einreise<br />

nach Frankreich.<br />

Ansonsten war alles sehr erfreulich. Wir schliefen in kleinen<br />

Hotels, und an Verpflegung mangelte es uns wahrlich<br />

nicht. Wir speisten alle gemeinsam abends in den


Hoteleigenen Restaurants, und frühstückten auch zusammen.<br />

Die Filmleute waren sehr freundlich, und drehten uns<br />

lediglich beim trampen, schon mal beim „schnorren“,<br />

wobei einer der Mannschaft immer angebettelt wurde.<br />

Auch hielt man das Schlafen im Freien in unseren<br />

Schlafsäcken fest, wobei wir uns immer Parkanlagen hinter<br />

Büschen, ausbreiteten, aus denen wir nach dem Dreh<br />

herauskrochen, um im Hotel zu übernachten.<br />

Es war Traumhaft, es wurde wärmer und wärmer, je<br />

weiter wir nach Süden kamen. Ab und zu machten wir<br />

auch ein kleines Lagerfeuer, über dem wir ein im Supermarkt<br />

gekauftes Huhn brieten. Auch das wurde natürlich<br />

filmisch dokumentiert.<br />

Hat immer Freude gemacht.<br />

Einer der Fernsehleute spielte sehr gut Gitarre, wir sangen,<br />

die Mädels tanzten, wir hatten Spaß ohne Ende,<br />

und die Filmleute gute Szenen im Kasten.<br />

Das Licht im Süden war anders als in Deutschland, Ber-<br />

36<br />

ge, Seen und Häuser leuchteten heller in der südlichen<br />

Sonne, das Spiel von Licht und Schatten kannte ich so<br />

nicht, aber es gefiel mir zusehend besser .Und wenn die<br />

glühende Sonne dann ins Meer fiel, das hatte schon etwas<br />

magisches, und zog mich mehr und mehr in seinen<br />

Bann.<br />

Ich fühlte mich wohl wie nie zuvor im Leben, freundliche<br />

Menschen die mich als einen von ihnen beachteten,<br />

die zunehmend wärmere Sonne, und das Bewusstsein,<br />

schon bald wieder an ein Meer zu gelangen.<br />

Dann kamen wir nach Marseille. Ich war von der Stadt<br />

überwältigt. Hier traf sich die Welt. Schiffe aus aller Herren<br />

Länder, die Ihre Frachten löschten und luden, viele<br />

verschiedenartige Menschen, Marseille war ein<br />

Schmelztiegel aller Kulturen, die friedlich miteinander<br />

in dieser Hafenstadt lebten.<br />

Wir wurden oft gefilmt, am Hafen, wo wir wieder ´mal<br />

schnorren mussten, dann saßen wir alle vier in einem<br />

Hafencafe, um das eroberte Geld mit Rotwein, Baguetten<br />

und Camembert unter die Leute zu bringen.<br />

Alles wurde auf Magnetband gespeichert.<br />

In Marseille blieben wir 4 Tage, und wohnten in einem<br />

kleinen Hotel in der Nähe des Hafens. Wir hatten reichlich<br />

Gelegenheit die Stadt zu erkunden.<br />

Die „Canebiere“, die Hauptstrasse von Marseille, führte<br />

direkt vom Hafen bis weit in die östliche Vorstadt. Auf<br />

der einen Seite der sehr breiten Strasse lebten die Juden,<br />

auf der anderen Seite lebten die Araber.<br />

Diese bekanntlicherweise sehr verschiedenen Kulturen<br />

verbreiteten Gefühle die ich nicht kannte, auch die Gerüche<br />

der verschiedensten Gewürze die von diesen<br />

Menschen genossen wurden waren faszinierend.<br />

Alle anderen Menschen mit den verschiedensten Religionen<br />

hatten sich überall in der Riesenstadt verteilt. Ju-


37<br />

den und Araber hatten die Viertel um die Canebiere und<br />

den Hafen unter sich aufgeteilt, sie lebten in Frieden<br />

miteinander!<br />

Wir waren mit ein wenig Geld ausgestattet worden, und<br />

konnten die unterschiedlichen Viertel der Stadt genau<br />

untersuchen.<br />

Es war das reine Abenteuer. Menschen aus aller Herrn<br />

Länder schauten uns weisshäutige gammelig gekleidete<br />

Gruppe junger Leute oft verwundert an. Wenn sie dann<br />

auch noch deutsch hörten waren sie völlig verwirrt. Außer<br />

Fremdenlegionären in Uniform gab es nur wenig<br />

Deutsche hier.<br />

Bald ging die Reise weiter in Richtung St. Marie de la<br />

mer. Es waren noch ca. 200 km bis dorthin. Wir kamen<br />

an Arles und dann Nimes, wunderschöne und geschichtsträchtige<br />

Städte, vorbei, wobei ich mir fest vornahm,<br />

diese nach dem Dreh zu besuchen.<br />

Ich war schon sehr gespannt was uns in St.Marie de la<br />

mer erwartete.<br />

Eins wusste ich gewiss: wir kamen ans Meer, von dem<br />

in Marseille noch nicht viel zu sehen war. Ich roch das<br />

grosse Wasser förmlich, je weiter wir nach Süden kamen,<br />

und die Luft wurde Salzhaltiger. Ich war glücklich!<br />

Das Zusammensein mit der Filmcrew und den Beatnikbrüdern<br />

und –Schwestern gestaltete sich ohne jeden<br />

Stress, wir kamen sehr gut miteinander aus.<br />

So erreichten wir dann St.Marie de la Mer, kamen an<br />

vielen Campingwagen vorbei, die schon vor dem Ort<br />

geparkt waren, in denen sich die Zigeuner, so nannten<br />

wir sie damals ohne herablassende Vorurteile, auf das<br />

kommende Fest vorbereiteten.<br />

Für die Filmleute war das Fest nicht so wichtig, sie filmten<br />

uns bei der Ankunft in dem kleinen, noch verschlafenem<br />

Ort, und ich verabschiedete mich von Ihnen, na-<br />

38<br />

türlich nicht ohne meine 400 Mark zu bekommen.<br />

Sie blieben zwar noch im Dorf, um einige Bilder des Festes<br />

einzufangen, aber wichtig für den Film war die Reise<br />

der Beatniks und wie sie außerhalb der Gesellschaft<br />

zurechtkamen.<br />

Die anderen drei wollten wieder mit zurück nach<br />

Deutschland, was für mich nicht in Frage kam.<br />

Ich blieb nicht bis zu dem in wenigen Tagen stattfindenden<br />

Fest, es interessierte mich nicht.<br />

Immerhin hatte ich die versprochene Gage bekommen,<br />

so viel Geld hatte ich noch nie in der Tasche gehabt, mir<br />

konnte also nichts mehr passieren.<br />

Ich wollte ein wenig das Meer genießen, wofür ich nach<br />

Cassis trampte, ich hatte gehört, dass dort ein Treffpunkt<br />

von Beatniks war, außerdem wollte ich mir Arles und<br />

Niemes ansehen.<br />

Je weiter ich in Richtung Cassis kam, wurden das Land


und die Meerbuchten schöner und schöner. Das Land<br />

beeindruckte mich außerordentlich, es wurde der<br />

schönste Garten mit „Pool“ von Europa für mich.<br />

Und ich kam gut voran, das trampen war sehr leicht, die<br />

Menschen waren freundlich, und nahmen mich mit bis<br />

zu ihren Zielen.<br />

Dann kam ich nach Cassis. Auch nur ein kleiner Ort,<br />

kaum Touristen, aber jede Menge langhaariger junger<br />

Leute, die im Meer badeten , und sich an vielen Lagerfeuern<br />

an gebratenem Fleisch , Gemüse und rotem<br />

Wein labten.<br />

Als ich mir meinem Schlafsack an einer Gruppe vorbeikam,<br />

rief man mich zu sich an ein Feuer, begrüsste mich<br />

als Bruder, und gab mir zu essen.<br />

„Wer bist du, wo kommst du her“, fragte mich ein nettes<br />

Mädel, das nur mit einem Stück dünnem Stoff und<br />

einem BH bekleidet war, neben dem ich mich niederge-<br />

39<br />

lassen hatte.<br />

. Ich erzählte ihr von den Filmleuten, die mich ja ausser<br />

Landes gebracht hatten, und auch weshalb und warum.<br />

„Hast du gut gemacht“ sagte Rose, eine Französin, mit<br />

der ich in meinen sehr geringen Englischkenntnissen<br />

sprach, „du bist jetzt immerhin 2.000 km von deinem<br />

Knastheim entfernt, nun kann dir eigentlich nichts mehr<br />

geschehen“.<br />

40<br />

Kapitel 6<br />

Ich machte mich dann auf ins Dorf, kaufte ein paar Flaschen<br />

Rotwein, Käse und Brot. Bei meiner Rückkehr<br />

ans Feuer wurde ich laut und herzlich willkommen geheißen.<br />

„Komm, wir gehen schwimmen“ sagte Rose, und rannte<br />

schon in Richtung Meer, ihren Stofffetzen ließ sie<br />

einfach fallen. Auch den BH hatte sie ausgezogen.<br />

Ich zog meine einzige Jacke, die leider nach dem Geschmack<br />

meiner Mutter gekauft war,<br />

ein weinrotes wollenes Trachtenjankerl, und mein<br />

Hemd aus, stürzte mich mit meinen schmuddeligen<br />

Jeans auch ins Wasser. Es war herrlich, denn die Temperaturen<br />

in Cassis hatten die 30 Grad längst erreicht.<br />

Das war alles neu für mich, aber es gefiel mir unsagbar<br />

gut. Ich glaubte dass mir die ersten Flügel wuchsen.<br />

Nun kam ich mit nasser Jeans aus dem Meer, aber das<br />

hatte schon einer der Jungs gesehen. „ Hast du nichts<br />

Trockenes zum umziehen“? fragte Frank, mir dem ich<br />

mich ein wenig unterhalten hatte. „Ne, das ist alles was<br />

ich zum anziehen hab“<br />

Er hatte ungefähr meine Statur, ich war ein dünnes<br />

Hemd und gab mir eine abgeschnittene alte Jeans.<br />

„Kannst Du haben, ich hab noch eine“, bedeutete er<br />

mir. Ich bedankte mich, und hatte eine Hose zum umziehen.<br />

Die Szene am Strand von Cassis war genau mein Fall, jede<br />

Menge Beatniks nach dem Motto „on the road“. Die


Beatniks waren in den 50ern entstanden, als junge<br />

Menschen, die eine so genannte „heile“ und „normale“,<br />

faschistoide Welt und das Leben in derselben nicht<br />

mehr akzeptierten. Und so liessen sie Familie und Ver-<br />

41<br />

wandtschaft und Konsumverhalten hinter sich, und<br />

machten sich auf den Weg in noch unbekannte Richtungen,<br />

die auf Äußerlichkeiten keinen Wert mehr legten,<br />

sich ließen sich „rollen wie Steine“, immer die Liebe<br />

als Gradmesser. Die Tage und Nächte abfeiernd.<br />

Irgendwann in der Nacht lag ich mit Rose in meinem<br />

gemütlichen Schlafsack, und wir vergnügten uns köstlich,<br />

auch wenn es zu Zweit ein wenig eng war. Mit<br />

Kopfschmerzen vom billigen Wein wachte ich morgens<br />

auf, ich lag allein im Schlafsack.<br />

Rose schwamm schon im Meer, mir war es noch ein<br />

wenig zu kalt, um mich in die Flut zu stürzen.<br />

Nach einer Woche, es kann auch später gewesen sein, die<br />

Zeit hatte ich längst vergessen, wollte ich endlich nach<br />

Arles, und fragte ob Jemand mitkommen wollte. Es waren<br />

vier Jungs die sich auch schon langweilten, und die<br />

mit nach Arles kommen wollten.<br />

Zu fünft trampen war unmöglich, so teilten wir uns auf,<br />

Rocky und Jürgen fuhren gemeinsam,<br />

Roger und Marc bildeten auch ein Duo, ich machte<br />

mich alleine auf die Tour, was mir sehr recht war.<br />

Mittlerweile hatte ich schon etwas mehr englisch, und<br />

auch einige Brocken französisch gelernt, irgendwie<br />

konnte ich mich verständlich machen.<br />

Jeden Tag lernte ich dazu, meine Ohren stets gespitzt,<br />

keine Angst die gelernten Worte auch auszusprechen.<br />

Wir hatten uns vor der Kathedrale von Arles verabredet,<br />

wo wir uns dann auch einen Tag später trafen.<br />

Schon die Anfahrt nach Arles war wunderschön, der<br />

Mann der mich mitgenommen hatte fuhr über kleine<br />

Strassen, wo die überschwängliche Natur, Berge von<br />

Blumen und Büschen in allen erdenklichen Farben, zu<br />

sehen und zu riechen waren. Viele große Palmen säum-<br />

42<br />

ten die Straße.<br />

Was mich an der Natur besonders beeindruckte, waren<br />

die links aufragenden, und rechts zum Meer abfallenden,<br />

mit grünen Büschen und Gräsern bewachsenen fast weißen<br />

Felsmassive. Ich fühlte mich im Paradies.<br />

Als wir dann nach Arles kamen sah ich zunächst hohe,<br />

wirklich sehr hohe Mauern aus Sandsteinblöcken gebaut,<br />

eine enorme Festung, die einen weiten Teil der<br />

Stadt umringte.<br />

Wir fuhren durch ein großes Tor in die Stadt, ich stieg<br />

aus dem Wagen, nahm meinen Schlafsack, bedankte<br />

mich bei meinem „Chauffeur“, und ging durch kleine<br />

Strassen und Wege in Richtung Kathedrale, die schon<br />

von Weitem, die Stadt überragend zu erkennen war.


Auf den Treppen des geistlichen Gebäudes waren meine<br />

neuen Bekannten dann auch zwischen vielen anderen<br />

Wanderern aus aller Herren Länder zu erkennen. Sie<br />

winkten mir freudig zu, und ich setzte mich mit meinem<br />

Schlafsack als Kissen zu ihnen.<br />

Da ich noch etwas von der Gage dieser Fernsehleute übrig<br />

hatte, sorgte ich noch einmal für Brot, Käse und<br />

Wein, die obligatorische Malzeit für uns Beatniks. Alles<br />

wurde selbstverständlich gerecht geteilt.<br />

Ein ca. 17 Jahre alter Schweizer hatte sich zu uns gesellt,<br />

er käme aus St. Gallen, und sei nun für einige Zeit auf<br />

die Reise gegangen, um dem Trott in seiner Heimat zu<br />

entfliehen, erklärte er sich.<br />

Irgendwie sah dieser Richard ein wenig anders aus als<br />

wir, er trug sauberere Kleidung, und seine Haare waren<br />

kurz geschnitten.<br />

Aber was soll´s, dachte ich mir, jeder fängt mal an.<br />

schliesslich hatte auch ich sauber gekleidet meine Mutter<br />

in Brauweiler verlassen. Als ich daran dachte, kam mir<br />

43<br />

das so weit vor wie der Nordpool, ich verschwendete<br />

keinen Gedanken mehr an das Heimleben, immerhin<br />

stand in meinem Personalausweis jetzt Tilmann Mühlhaus<br />

und ich wurde nur noch Eric genannt.<br />

Ich hatte mittlerweile längere Haare bekommen, die sich<br />

zottelig um meinen Kopf drapierten, Jeans, Jacke und TShirt<br />

waren nicht mehr sauber zu nennen.<br />

Jedenfalls waren wir nun eine Gruppe von sechs unterschiedlich<br />

jungen Leuten, -Ich war jetzt 14 Jahre alt, und<br />

der Weg sollte weiter gehen mit Ziel Marseille. Dort<br />

wollten wir uns trennen, jeden führte es in eine andere<br />

Richtung.<br />

In Arles blieben wir 3 oder 4 Tage, es war gemütlich<br />

dort, und die Touristen freigiebig.<br />

Außerdem war es heiß, und wir hatten einen schönen<br />

Park zum Schlafen gefunden, unsere Schlafstätten waren<br />

von der Strasse nicht einzusehen.<br />

Am Morgen des vierten Tages kam Roger zu mir, nahm<br />

mich beiseite, und eröffnete mir, dass der „Schweizer“<br />

ein sehr dickes Bündel Geld in der Tasche habe, bisher<br />

aber immer nur von unserem geschnorrten Geld lebte. „<br />

Wie ein dickes Bündel Geld?“ fragte ich nach, und Roger<br />

sagte mir, dass er vor dem Schlafengehen gesehen<br />

habe, wie der Schweizer in seinen Brustbeutel griff, und<br />

Geld zählte.<br />

Wir zogen unsere anderen Reisefreunde zu Rate, und<br />

Marc sagte sofort: „Die Sau, lebt hier auf unseren kleinen<br />

Geldern, und hat anscheinend dicke Kohle im<br />

Sack“.<br />

Wir stellten Richard zur Rede, und er murmelte nur, er<br />

habe dieses Geld gespart, und wolle sich irgendwann ein<br />

Schlagzeug davon kaufen.<br />

Dann ging uns doch allen der Ärger in die Herzen, und


wir wollte wissen, weshalb er sich denn nicht an unseren<br />

44<br />

täglichen Ausgaben beteiligte?<br />

„Ja, ich muss das Geld ja zusammenhalten, sonst krieg<br />

ich mein Schlagzeug nicht“ antwortete er kleinlaut.<br />

Nun sträubten sich unsere Haare, so etwas war uns auf<br />

unserer Wanderschaft noch nie untergekommen. Es war<br />

schon gegen zehn Uhr abends, es war dunkel, wir waren<br />

alleine im Park, da riss Mark dem Schmarotzer seinen<br />

Brustbeutel vom Hals, und zählte 3.000 Schweizer Franken.<br />

Wir waren recht verwundert, denn das war ein Vermögen,<br />

und der Typ lebte von unseren paar Kröten.<br />

„So mein Freund, hier endet für dich unsere gemeinsame<br />

Reise“, sagte Marc zu Richard, und begann das Geld<br />

in fünf Teile zu zählen. Wir liessen dem Schweizer 200<br />

Franken, so dass er nach Hause kommen konnte, den<br />

Rest teilten wir unter uns auf. Alles Jammern und heulen<br />

half Richard nichts, sein Geld war aufgeteilt und<br />

weg.<br />

Wir ließen ihn stehen, und machten uns auf in Richtung<br />

Bahnhof, nun konnten wir uns ja Fahrkarten kaufen,<br />

und brauchten nicht im Dunkel zu trampen, was sowieso<br />

schwierig war.<br />

Wir waren reich.<br />

Auf dem Weg zum Bahnhof sah ich ein größeres Hotel,<br />

ging in die Lobby, und fragte an der Rezeption, ob man<br />

mir Schweizer Franken in Französische Francs umtauschen<br />

könne?<br />

„Aber sicher können wir das, wie viel wollten sie den<br />

wechseln.“? Ich legte 350 Franken auf die Theke, und<br />

der Rezeptionist gab mir anstandslos Französische<br />

Francs.<br />

Und zwar eine grosse Menge an Francs, wir bekamen 5<br />

Francs für einen Franken.<br />

Ich konnte meine Freude kaum verbergen, und meine<br />

45<br />

Kameraden tauschten auch jeder 50 Franken, denn mehr<br />

hatte der gute Mann an der Rezeption nicht flüssig.<br />

Ich hatte wahrhaft 1.650 französische Francs, und noch<br />

150 Schweizer Franken.<br />

Also weiter in Richtung Bahnhof, von dem ein direkter<br />

Zug nach Marseille führte.<br />

Lachend stiegen wir in den Zug, und freuten uns so fette<br />

Beute gemacht zu haben. An den Schweizer verschwendeten<br />

wir keinen Gedanken mehr, der sollte<br />

schauen dass er nach Hause kam, schliesslich hatten wir<br />

ihm das Fahrgeld gelassen, und er hatte auf unsere sehr<br />

beschränkten Kosten gelebt.<br />

Hocherfreut fuhren wir in den Bahnhof von Marseille<br />

ein, wir machten uns fertig zum Aussteigen, aber kaum<br />

waren wir die kleinen Treppen hinunter zum Bahnhof<br />

geschritten, es war sehr viel Verkehr im Bahnhof von<br />

Marseille, da sprang auch schon eine Mannschaft Polizeibeamte


auf uns zu. Wir waren Verhaftet!<br />

46<br />

Kapitel 7<br />

Der Schweizer war in Arles natürlich sofort zur Polizei<br />

gerannt, hatte uns beschrieben, und von unserer Missetat<br />

erzählt.<br />

So wurden wir aufs Polizeirevier am Bahnhof gebracht,<br />

und es wurden Protokolle aufgenommen. Wir waren alle<br />

sehr geknickt, aus der Maus, Reise auf späteren Zeitpunkt<br />

verschieben…<br />

Ich war in der glücklichen Lage, Französische Francs zu<br />

haben, die konnte man mir nicht wegnehmen, es ging<br />

nur um Schweizer Franken.<br />

Hätte ich die restlichen 150 Schweizer Franken nicht<br />

noch in der Tasche gehabt, hätte man mich freilassen<br />

müssen, dann könnte man mir nicht nachweisen, in die<br />

Räuberei verwickelt zu sein. Meine Freunde aber mussten<br />

das Geld abgeben, und hatten nur noch wenig für<br />

die nun folgende Gefangenschaft.<br />

Wir wurden getrennt, ich wusste nicht wo die anderen<br />

Vier hingebracht wurden, mich brachte man in das Marseiller<br />

Gefängnis „Les Baumettes“, das berühmt und berüchtigt<br />

war.<br />

Dort wurde alles reingepackt was nur ging, Räuber oder<br />

Mörder, und auch Taschendiebe, und viele Fremdenlegionäre,<br />

die sich aus Algerien, Dschibuti oder sonst einem<br />

Wüstenort<br />

heimlich entfernt hatten.<br />

Zufälligerweise kam ich mit einem Schweizer aus St.<br />

Gallen zusammen in eine Zelle, er war schon länger da,<br />

und hatte noch einige Monate abzusitzen. Der Bestohlene<br />

kam auch aus St. Gallen.<br />

Gerhard, mein Zellengenosse war ein umgänglicher<br />

Mensch, der wegen Scheckbetrug angeklagt worden<br />

47<br />

war. Dafür hatte er sich zehn Monate eingefangen.<br />

Mit Gerhard kam ich sofort gut aus, wir tauschten uns<br />

aus über unsere Missetaten, und er erklärte mir alles was<br />

ich im Knast zu beachten hätte.<br />

Das Leben in einer vergitterten Zelle kannte ich ja<br />

schon aus Brauweiler, die Gitter waren gleich dick, nur<br />

die Mauer etwas höher.<br />

Was mir ernsthaften Sorgen machte: ich war als „Tilmann<br />

Mühlhaus“ eingeknastet, ich hatte eine Heidenangst,<br />

dass ich auffliegen könnte, denn dann hätte ich einige<br />

Straftaten zusätzlich am Hals gehabt, unerlaubter<br />

Grenzübertritt, Vortäuschung fremder Personalien u.s.w.<br />

Dies war meine größte Sorge.<br />

Aber nichts davon, ich wurde immer als „MÜLHUS“<br />

angesprochen. Mülhaus konnten sie wohl nicht so deutlich<br />

sagen, aber das war mir so was von egal.<br />

Einmal in der Woche war „Einkauf“, und da ich ja mit<br />

Francs gut eingedeckt war, kaufte ich gut ein. Gerhard


hatte leider kein Geld, seinen grossen Scheck hatte man<br />

natürlich einkassiert.<br />

Aber mit meinem Geld kamen wir sehr gut über die<br />

Runden.<br />

Dann kaum ein schiksalsträchtiger Tag. „Mülhus, Besuch“,<br />

rief der Chef, wir nannten die Wachmänner alle<br />

„Chef“.<br />

Besuch? Wer könnte das wohl sein?<br />

Ich wurde in eine Besucherzelle geführt, und nahm an<br />

einem Tisch mit einem mir gegenübersitzenden fein gekleideten<br />

Herrn Platz.<br />

„Ja, Herr Mühlhaus, was haben sie da denn angestellt“?<br />

Ich wusste nicht wer dieser Mann war, und erlaubte mir<br />

die Frage nach seiner Identität.<br />

48<br />

„Ich komme vom Deutschen Konsulat hier in Marseille,<br />

und wenn ein Deutscher ins Gefängnis kommt,<br />

kümmern wir uns um diesen Menschen“<br />

Au weia, jetzt wird´s eng dachte ich bei mir, aber da er<br />

mich als „Herr Mülhaus“ ansprach, war ja nichts geschehen,<br />

was mich hatte auffliegen lassen.<br />

Ich erklärte ihm meinen Fall, und er schien sogar Verständnis<br />

an den Tag zu legen. „ Aber immerhin haben sie<br />

sich an einer Straftat beteiligt, und so werden sie sicher<br />

auch verurteilt werden, wenn auch nicht allzu hoch,<br />

denn sie sind ja sicher nicht vorbestraft“, bedeutete er<br />

mir mit einem scharfen Blick in die Augen.<br />

„Das ist klar“, antwortete ich ihm, „aber bitte benachrichtigen<br />

sie auf keinen Fall meine Eltern, die werden<br />

sich zu Tode sorgen“, bat ich den Konsulatsbeamten.<br />

Drei Tage später wurde die Zellentüre erneut geöffnet,<br />

„Mühlhus, Besuch“.<br />

Da saß dann der gleiche Konsulatsbeamte wie drei Tage<br />

zuvor, und als ich mich setzte schob er seinen Kopf näher<br />

zu mir und fragte leise: „Wer sind sie denn wirklich,<br />

wir haben bei Tilmann Mülhaus in München angerufen,<br />

und da wurde uns vom Vater mitgeteilt, der Sohn sei zu<br />

Hause, was bedeutet denn das?“.<br />

Und so legte ich ihm die Karten auf den Tisch, und erklärte<br />

wie ich zu Tilmann Mühlhaus wurde. Ein gewisses<br />

Lächeln konnte ich in seinem Gesicht erkennen, aber<br />

er bedeutete streng, dass ich mich nach der Haft sofort<br />

beim Deutschen Konsulat melden müsse, damit der Papierkram<br />

in Ordnung gebracht werden könne. Er versicherte<br />

mir, dass er den französischen Behörden keine<br />

Mitteilung machen würde.<br />

Man hätte es eigentlich laut hören müssen, mir war ein<br />

Riesenstein vom Herzen gefallen.<br />

49<br />

So dass ich meine Zeit im „Hotel“ „les Baumettes“<br />

langsam ab, und hatte Glück. Mein Schweizer Zellennachbar<br />

lehrte mich täglich französisch zu sprechen und<br />

schreiben.


Wir hatten ja sowieso nichts anderes zu tun, als einmal<br />

täglich für eine Stunde in einer Hofzelle, rundherum<br />

und auch nach oben mit dicken Eisenstäben gesichert,<br />

Luft zu schnappen.<br />

Es gab viele dieser „Laufzellen“ nebeneinander, so wurden<br />

die einzelnen Täter auseinander gehalten. Es gab da<br />

schon Angsteinflössende Gestalten.<br />

Nach 4 Monaten wurden wir zum Gericht transportiert,<br />

es gab „Hallo“, „wie geht’s“ von meinen ehemaligen<br />

Reisegefährten, aber viel konnten wir nicht miteinander<br />

sprechen, man hielt uns auseinander.<br />

Ein völlig überfüllter kleiner Gerichtssaal war unser<br />

Ziel, ein alter feister Richter mit bösen Augen fragte irgendjemand<br />

ohne uns anzuschauen: „Wie lange sind die<br />

schon drin“? Eine weibliche Stimme antworte 4 Monate“,<br />

„dann kriegen sie 6, der nächste Fall“.<br />

Und so waren wir mal ganz nebenbei zu 6 Monaten<br />

Knast verdonnert worden.<br />

Aus der unübersichtlichen Menge von Menschen trat<br />

eine wunderschöne blonde junge Frau auf mich zu,<br />

und sagte lächelnd: „ Guten Tag Herr Mülhaus, mein<br />

Name ist Beatrice Vanderpol, ich bin ihre Pflichtverteidigerin“.<br />

Mir war als sei mir ein Engel begegnet, so<br />

schön war die Frau, die sicher ihr Studium vor nicht<br />

allzu langer Zeit beendet haben konnte, denn sie war<br />

noch sehr jung.<br />

Ich freute mich natürlich über diesen überraschenden<br />

Umstand, „Ich komme sie demnächst im Gefängnis<br />

besuchen, sie sehen ja was hier los ist, da kann man sich<br />

50<br />

nicht unterhalten“, sagte sie in englischer Sprache.<br />

Und wahrhaftig, 2 Tage später war dieses schöne Wesen<br />

in der Besucherzelle, und unterhielt sich ausführlich<br />

mit mir. Sie war sicher eine Stunde da.<br />

Und sie kam immer wieder. Wenn sie durch die Flure<br />

ging musste sie an einigen von „Bewohnern“ besetzten<br />

Zellen vorbei, das Geschrei und die komplimenten<br />

Rufe und Pfiffe ertrug sie mit lächelnder Fassung.<br />

„Nenn mich Beatrice“, „ich nenn dich Eric“ schlug sie<br />

bei dem dritten Besuch im Gefängnis vor, eine solch<br />

lockere Begegnung mit einer Rechtsanwältin hatte ich<br />

mir nie vorgestellt, aber sie war ja wirklich noch ziemlich<br />

jung.<br />

Ich hatte sie nie nach ihrem Alter gefragt. Diese Frau<br />

war einmalig. Sie brachte mir Zigaretten und Schokolade,<br />

wobei wir im Knast bestens versorgt wurden.<br />

Wir bekamen wöchentlich 5 Schachteln Gauloises, und<br />

2 Büchsen leichtes Bier. Das Bier sparten wir uns einen<br />

Monat auf, dann waren wir wenigstens einmal etwas<br />

besoffen. Und außerdem hatte ich ja noch ein gut gefülltes<br />

Konto im Knast, wovon ich Beatrice aber nichts<br />

erzählte.<br />

Beatrice kam 2-mal wöchentlich zu mir und anderen


Klienten, ich hatte den Eindruck, als hielte mich nicht<br />

für kriminell, sondern für einen dummen, verzweifelten<br />

Mitläufer. Womit sie recht dachte.<br />

Und jedes Mal musste sie durch die johlende Menge.<br />

Sie war aber auch eine besonders schöne Erscheinung,<br />

ihre hellblonden langen Haare leuchteten sogar in der<br />

Besucherzelle. Ich freute mich natürlich jedes Mal riesig<br />

auf ihr Erscheinen, war immer aufgeregt wenn ich<br />

wusste, „sie kommt gleich“. So hatte ich zwei Festtage<br />

in der Woche.<br />

„Wenn Du entlassen wirst hole ich dich ab, sagte sie<br />

51<br />

mir kurz vor Ende der Haftstrafe.<br />

Und wahrhaftig, als ich nach 6 Monaten vor dem Tor<br />

vom „Baumettes“ stand war Beatrice mit einem kleinen<br />

Renault an der Strasse zur Freiheit und winkte mir<br />

lächelnd zu.<br />

„So, jetzt hast du´s geschafft, aber lass die nie wieder auf<br />

solche Dinge ein“, ermahnte sie mich.<br />

Wir fuhren in ein Café, tranken etwas, und Beatrice<br />

musste zurück in Ihre Kanzlei.<br />

Sie gab mir 100 Frans-Sie wusste nicht dass ich noch<br />

ziemlich viel Geld hatte-und sagte“ Mach dir einen<br />

schönen Tag, und sei morgen Mittag bei und zu Hause<br />

zum Essen, meine Mutter wird besonders gut für uns<br />

kochen. schliesslich hattest du ja im letzten halben Jahr<br />

keine besonders gute Küche.“<br />

Sie gab mir ihre Visitenkarte, und rief mir noch zu:<br />

„bis morgen Mittag“. Weg war Beatrice, ich alleine in<br />

Marseille nach sechs Monaten Gitterstäbe vor den Augen.<br />

Nun befand ich mich am Hafen von Marseille, Geld in<br />

der Tasche, und meinen Schlafsack unterm Arm.<br />

Ich ging in die nächste Bar, und bestellte ein Bier.<br />

Dann noch ein Bier, und noch ein Bier, dann fing ich<br />

an Rum zu trinken, und schon am frühen Abend war<br />

ich sturzbesoffen.<br />

Als ich am nächsten Morgen in einem kleinen billigen<br />

Hotelzimmer aufwachte, war ich noch immer blau und<br />

mir war kotzübel.<br />

Ich stellte mich eine halbe Stunde unter die Dusche,<br />

dann ging´s wieder so einigermaßen, aber mein Magen<br />

war völlig rebellisch.<br />

Ich dachte an die Einladung zum Essen bei Beatrice,<br />

das ich unmöglich versäumen durfte.<br />

So machte ich mich auf den Weg zu der auf ihrer Kar-<br />

52<br />

te angegebenen Adresse, und um kurz vor eins stand<br />

ich in einem glänzenden Viertel von Marseille und vor<br />

einer großen hellbraunen Holztüre mit riesigen Messingbeschlägen.<br />

53<br />

Kapitel 8<br />

Es gab 4 Klingeln, sehr wenig für ein so grosses Haus,<br />

und ich drückte meinen Finger auf den Namen „Vanderpol“.


Die Türe öffnete sich wie von selbst, und in der 1. Etage<br />

stand Beatrice und lächelte mich freundlich an.<br />

„Komm rein, das Essen ist gleich fertig“.<br />

Oh je, wenn ich auch nur an Essen dachte würde mir sofort<br />

speiübel, machte aber mit gequältem Lächeln eine<br />

gute Miene zum köstlichen Spiel.<br />

Frau Vanderpol, die Mutter von Beatrice begrüsste mich<br />

sehr herzlich, und ließ mich keinen Augenblick spüren,<br />

dass ich aus dem Knast kam.<br />

Die Dame hatte gekocht, es war eine reine Schlemmertafel<br />

wie in einem Sternerestaurant.<br />

Das beste Silber lag auf weiß gedecktem Tisch, Schüsseln<br />

waren randgefüllt mit Köstlichkeiten, aber so sehr ich<br />

mich auch anstrengte, ich bekam fast keinen Bissen runter.<br />

Ich erklärte meine Sünden vom gestrigen Abend, Frau<br />

Vanderpol lächelte nur, und zeigte Verständnis. „Mein<br />

Mann wird sich über das Essen freuen, wenn er heute<br />

Abend nach Hause kommt“ war ihr Kommentar.<br />

„Jetzt zeig ich dir mein Zimmer, da kannst du die neueste<br />

Musik hören“ (sie wusste dass ich ein Music-Freak<br />

war), und ging mir eine Etage höher, die Treppe befand<br />

sich in der Wohnung. Beatrice hatte außer einem Gästezimmer<br />

die gesamte Etage für sich alleine. Sie platzierte<br />

mich auf eine prachtvolle grosse Couch in einem sehr<br />

geräumigen Zimmer.<br />

Sie legte eine Platte auf, die Musik war rhythmisch, lateinamerikanisch:<br />

„Das ist Salsa, “ versuchte sie mir zu<br />

54<br />

erklären und bewegte sich Barfuss und lachend auf ihrem<br />

dicken Teppich. Sie sagte: „Du weist ja gar nicht<br />

mehr was jetzt so läuft“, und sie begann wahrhaftig vor<br />

mir zu tanzen.<br />

Die Musik, die ich vorher nie gehört hatte, gefiel mir<br />

sehr gut, und auch die Art wie Beatrice ihren Körper lachend<br />

bewegte. Hätte mein Magen nicht so sehr rebelliert,<br />

wäre ich hocherfreut hochgesprungen und hätte<br />

mitgetanzt.<br />

Meine strohblonde wunderhübsche Rechtsanwältin<br />

tanzte für mich und ich hatte nicht einen Gedanken an<br />

Sex, der mir früher sehr schnell gekommen wäre, auch<br />

weil Beatrices Körperbewegungen beim Tanz sehr aufreizend<br />

waren.<br />

Beatrice war einfach nur eine wunderbare Bekanntschaft<br />

für mich, die mir sehr geholfen hatte, das triste Leben<br />

in der Zelle besser zu ertragen.<br />

Leider ich konnte ich all die Freundlichkeiten nicht so<br />

genießen, als wenn ich Idiot nüchtern zu dem Essen gekommen<br />

wäre.<br />

Normalerweise war ich kein Säufer, auch bei den Gelagen<br />

an Lagerfeuern hatte ich die Weinflasche nur sehr<br />

mäßig genossen. Warum ich ausgerechnet am Tag meiner<br />

Entlassung aus dem Knast so saufen musste, war mir lange<br />

schleierhaft. Vielleicht wollte ich mir die letzten Monate


wegsaufen.<br />

Aber das wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Zumal ich<br />

von meinem Schweizer Zellengenossen richtig gut französisch<br />

gelernt hatte. In Sprache und Schrift, wie das in<br />

6 Monaten möglich war. Gerhards Unterricht war sehr<br />

intensiv, und ich hatte den Eindruck, es machte ihm<br />

Freude wenn ich wieder neue Worte gelernt hatte.<br />

Mein musikalisches Gehör hatte mir beim lernen sicher<br />

sehr geholfen. Außerdem hatten wir ja 23 Stunden täg-<br />

55<br />

lich Zeit zum lernen in der Zelle.<br />

Ich war dem Jungen dankbar, und Beatrice war über<br />

meine Fortschritte in ihrer Sprache ziemlich überrascht.<br />

Wir sprachen noch ein wenig, ich entschuldigte mich<br />

nochmals für meinen sehr mageren Appetit, und verabschiedete<br />

mich von den beiden Damen. Ja DAMEN, solche<br />

hatte ich in meinem bisherigen Leben noch nicht<br />

kennen gelernt, und ich dachte immer freudig an sie,<br />

wenn mir die Gedanken an diese Zeit kamen.<br />

Beatrice steckte mir noch 100 Fancs zu, und sagte mir<br />

mit erhobenem Finger und einem freundlichen Lächeln:<br />

„ Keine Dummheiten mehr, wenn wir uns noch mal<br />

treffen, dann ausserhalb dieser schrecklichen Gefängnismauern“.<br />

Sie umarmte mich herzlich, und küsste mich<br />

auf die Wangen.<br />

„ Vielen Dank für Alles, Beatrice, du hast mir das Leben<br />

der letzten Monate verschönt deine Besuche waren immer<br />

sehr besondere Tage für mich, auf die ich mich immer<br />

außerordentlich freute, es tut mir leid dass ich die<br />

Kochkunst deiner Mutter nicht genießen konnte“<br />

„Darüber mach dir die wenigsten Sorgen, am besten du<br />

fährst jetzt erstmal nach Hause“, antwortete sie.<br />

Beatrice Vanderpol winkte mir noch lächelnd hinterher,<br />

und ich ging erst ´mal Richtung Hafen.<br />

Mit meinem Schlafsack unterm Arm machte ich zunächst<br />

in aller Ruhe einen Gang um das grosse Hafenbecken,<br />

kleine Frachter und andere Schiffe lagen dort<br />

vor Anker.<br />

Die meisten dieser Schiffe waren Jachten von reichen<br />

Privatiers, der Hafen für die ganz grossen Kutter war ca.<br />

2 km. weiter.<br />

Dann begab ich mich in die kleinen Gassen, die den Hafen<br />

umsäumten, und wo das wahre Leben pulsierte.<br />

56<br />

Schon nach 200 Metern wurde ich von einer hübschen<br />

Frau angesprochen: „Na wie wär´s, willst du Spaß haben?“<br />

„Nein Danke, ich komm soeben aus dem Knast,<br />

und habe hier schon Spaß genug“, antwortete ich. „Ja<br />

dann erst recht“, sagte die Bortsteinschwalbe, aber ich<br />

winkte lachend ab.<br />

Als ich weiter durch die Gassen wanderte, kam ich auf<br />

einen belebten Platz mit vielen Cafés<br />

und buntem Treiben.


Es gab auch eine kleine Kirche, und dort sah ich erstmals<br />

einen jungen Mann, der ein Bild auf eine Ecke des breiten<br />

Bordsteins malte. Er malte ein religiöses Bild, und am<br />

unteren Ende der Malerei stand ein kleines Kistchen,<br />

über das in vielen Sprachen „Danke“ geschrieben stand.<br />

Etwas Geld hatte ich noch in der Tasche, wusste aber sofort,<br />

dass diese Malerei meine nähere Zukunft werden<br />

könnte.<br />

Ich hatte schon früher in einer Galerie Bilder von „Modegliani“,<br />

sicher Drucke, denn Originale waren schon<br />

damals unbezahlbar, gesehen, der malte oft Porträts von<br />

Frauen, die besonders lange Hälse hatten.<br />

Da ich kein sonderlich guter Maler war, wusste ich aber<br />

doch, dass ich solche Bilder auch auf Bordsteine kopieren<br />

könnte, und ich besorgte mir zunächst ein kleines<br />

Buch mit Bildern von Modegliani.<br />

Dann fand ich einen Laden mit Malutensilien aller Art,<br />

und kaufte mir einen grossen Pappkasten mit 20 verschiedenfarbigen<br />

Kreidestiften. Jetzt wusste ich, dass<br />

mein Überleben gesichert war, man musste mich nur<br />

lassen.<br />

Ich war jetzt arbeitsloser Pflastermaler im Garten Eden<br />

von Frankreich.<br />

Marseille wollte ich nun endgültig verlassen, davon hat-<br />

57<br />

te ich genug.<br />

Mit einem Bus fuhr ich an den Rand der Stadt, wo ich<br />

eine Autobahnauffahrt Richtung Osten fand. Ich wollte<br />

jetzt mehr von der schönen Cote d`azur kennen lernen,<br />

und hielt meinen Daumen Richtung Cannes.<br />

Es dauerte nicht lange bis ein Auto anhielt, der Fahrer<br />

wollte zwar nicht bis Cannes, aber ca. 100 km in diese<br />

Richtung wollte er mich gerne mitnehmen. Schon nach<br />

den ersten Worten die wir austauschten, merkte ich, dass<br />

ich die französische Sprache schon sehr gut gelernt hatte,<br />

ich konnte mich problemlos mit meinem Chauffeur<br />

unterhalten. Schon Beatrice sagte mir verwundert, wie<br />

gut ich ihre Muttersprache in den 6 Monaten unseres<br />

Kontakts gelernt hatte.<br />

58<br />

Kapitel 9<br />

Es war eine wunderschöne Fahrt, ich hatte wirklich einen<br />

wunderschönen Garten Eden gefunden.<br />

Rechts schwappte das blaue Mittelmeer gegen Sand und<br />

Felsen, links sah ich diese faszinierenden weißen Bergmassive,<br />

die mit grünen Bäumen und Sträuchern übersät<br />

waren, die gegen den blauen Himmel ragten. Und<br />

zwischendrin eine Blumenpracht, wie sie schöner nicht<br />

sein konnte. Es beeindruckte mich immer aufs Neue.<br />

Und das Licht über dieser Pracht von Natur war so herrlich,<br />

das wollte ich lange genießen.<br />

Nun verstand ich auch, weshalb Maler wie Van Gogh,<br />

Monet, Renoir und viele andere berühmte Künstler hier


leben und arbeiten wollten.<br />

Dieses Licht der fast immer scheinenden Sonne und die<br />

Natur waren einmalig, ich war voller Begeisterung hier<br />

sein zu können.<br />

Die bösen Begegnungen meiner Kindheit und der Knast<br />

waren schnell vergessen, ich war frei!<br />

Ich war 14 Jahre alt, und konnte mit meinem Leben machen<br />

was MIR beliebte, Niemand zwang mich in irgendwelche<br />

Richtungen, in die ich nicht gehen wollte.<br />

Ich war wieder sehr glücklich.<br />

„All we are is Dust in the Wind“, (Kansas), dies wurde<br />

mein Motto.<br />

Dann stellte ich mich wieder an eine Straße, und hielt<br />

ein Auto an.<br />

Der Fahrer nahm mich mit bis Toulon, einer grossen<br />

Stadt in Richtung Cannes.<br />

Die Stadt sah einladend aus und so beschloss ich eine<br />

Weile hier zu bleiben.<br />

Was mir aber dann schnell auffiel, waren die vielen weiß<br />

59<br />

uniformierten Militärs, und wie ich schnell erfuhr war<br />

ich im größten Kriegshafen von Frankreich gelandet.<br />

Das war mir zwar nicht sehr angenehm, denn gegen Militär<br />

hatte ich schon sehr früh Abneigung.<br />

Trotzdem, die Stadt war schön, das Meer nur 20 Meter<br />

von mir entfernt, und so packte ich meinen neu erstandenen<br />

Zeichenblock und den Bleistift aus, packte das<br />

kleine Buch mit den Malereien von Modigliani aus, und<br />

begann zu zeichnen.<br />

Ich hatte mir überlegt, dass ich nicht ohne jede Kenntnis<br />

von Malerei sofort auf Bordsteine malen konnte, ich<br />

musste erstmal üben.<br />

Das tat ich dann auch. Ich war verwundert, wie leicht<br />

mir die Malerei mit dem Bleistift<br />

gelang, es war wirklich nicht sehr schwer, die langhälsigen<br />

Frauenportaits zu Papier zu bringen.<br />

Nach 2 Stunden üben auf Papier suchte ich mir einen<br />

einigermaßen glatten Platz auf dem breiten Bürgersteig,<br />

der die Kaimauer umgab.<br />

Ich machte ein Viereck von ca. 1 qm bis zu Rand der<br />

Mauer, es waren immer noch 2,5 m Platz für die Fußgänger,<br />

und begann zu malen.<br />

Auf Knien zeichnete ich mit heller Kreide den Umriss<br />

einer dieser langhälsigen Damen zu zeichnen.<br />

Zunächst musste ich mich oft korrigieren, es war gar<br />

nicht so einfach wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber irgendwann<br />

hatte ich die äußere Kontur der Zeichnung<br />

hingekriegt, Nase und Mund waren schon fast fertig.<br />

Dann begann ich mit dem Auge (Ich brauchte ja immer<br />

nur eins zu malen, es waren alles Profile, deshalb hatte<br />

ich mir auch diese ausgesucht)<br />

Ich hatte einen Lappen besorgt, mit dem ich Fehler abwischen<br />

und korrigieren konnte, das mit dem Auge war


echt schwierig.<br />

60<br />

Also begann ich mit der Ausmalung des Gesichts, für das<br />

ich ja nur eine Hautfarbe benötigte.<br />

Aber diese Hautfarbe war auch nicht einfach wiederzugeben,<br />

ich musste mit verschiedenen Farben arbeiten.<br />

Ich verteilte und verrieb die Kreide mit den Händen, die<br />

dann auch dementsprechend aussahen.<br />

Zum Glück malte Modigliani die Hautfarben immer anders,<br />

mal braun, mal grün, mal blau, ich hatte also viele<br />

Möglichkeiten. Aber bei dem Bild, das ich gerade bearbeitete<br />

musste ich schon an gebräunte Hautfarbe kommen.<br />

So legte ich Farben übereinender, was leider viel Kreide<br />

verbrauchte, aber es gelang mir dann doch einen guten<br />

Ton zu finden.<br />

Das sehr schwarze, zu einem strammen Zopf geflochtene<br />

Haar, war auch einigermaassen gut zu kopieren. Jetzt<br />

musste ich nur noch das Auge einsetzen.<br />

Ich suchte mir Höhe von der Nase, und Tiefe von der<br />

Stirn, und malte das Auge auf die schon vorhandene<br />

Hautfarbe. Es war einfacher als ich dachte, ich hatte den<br />

Modegliani in ca. 3 Stunden fast so wie er in meinem<br />

Büchlein stand.<br />

Die Menschen, die hinter mir vorbeiliefen, hatte ich<br />

kaum bemerkt, ich war zu sehr mit der Malerei beschäftigt.<br />

Natürlich hatte ich den Deckel meines Kreidekastens an<br />

den unteren Rand meiner Malerei aufgestellt, und<br />

DANKE in allen mir bekannten Sprachen darunter geschrieben.<br />

Und als ich nachschaute, war zu meiner grossen<br />

Freude eine gute Menge Francs in den Kasten gekommen.<br />

Nun setzte ich mich auf die Kaimauer, und<br />

betrachtete mein Werk.<br />

Gar nicht schlecht für das erste Mal, dachte ich mir, und<br />

alle vorbeiziehenden Menschen schauten hin.<br />

61<br />

Nun wusste ich, überleben war kein Problem mehr, und<br />

ich musste nicht weiter schnorren und betteln. Jetzt erbrachte<br />

ich eine Leistung für das Geld der Fremden.<br />

Als die Sonne unterzugehen begann packte ich meine<br />

Kreide zusammen, schnappte mir den Deckel mit dem<br />

Geld, und begann zu zählen. Ich konnte es kaum fassen,<br />

ich hatte 96 Francs zusammengemalt.<br />

Fast 100 Francs, das kam mir vor wie ein Wunder, ich<br />

hatte nicht gemerkt, dass so viele Leute Francs in mein<br />

Kästchen geworfen hatten. Zunächst war ich ja auch beschäftigt,<br />

und merkte nicht was hinter mir so geschah,<br />

und bei dem fertigen Bild war auch immer wieder ´mal<br />

von der Mauer gestiegen, und tat so als male ich noch,<br />

aber so viel Geld, das ich nicht erwartet.<br />

Ich sah aus wie ein bunter Hund, meine Jeans war mit<br />

allen Farben bedeckt, und meine Hände waren saudrekkig.<br />

Ich musste mich irgendwo säubern, so konnte ich nirgendwo<br />

essen gehen.


Da ich so viel Geld verdient hatte, und außerdem noch<br />

über gute Barschaft aus Marseille verfügte, suchte ich<br />

mir ein kleines Hotel. Die Frau an der Rezeption erschrak<br />

ein wenig ob meiner schmutzigen Gestalt, gab<br />

mir dann aber ein Zimmer mit Dusche für 25 Francs.<br />

Das waren noch die guten Zeiten, wo das Übernachten<br />

an der Coté bezahlbar war.<br />

Frisch geduscht und mit meiner Ersatzhose bekleidet,<br />

die leider nur bis zu den Knien reichte, die ich in Cassis<br />

geschenkt bekommen hatte, machte ich mich fröhlich<br />

auf zu einem Restaurant. Das wollte ich mir Heute leisten,<br />

ich hatte gut gearbeitet, und saugut verdient.<br />

In ein Restaurant zu gehen gehört in Frankreich zum<br />

täglichen Leben, mindestens einmal wöchentlich ging<br />

die Familie im Restaurant essen.<br />

62<br />

Ich fand eine größere Strasse mit vielen Restaurants,<br />

viele waren leer, da wollte ich auch nicht hin, aber dann<br />

sah ich ein kleines Restaurant, das sehr gut gefüllt war.<br />

Ich schaute auf die Karte, und die Preise waren für meine<br />

Verhältnisse sehr angenehm.<br />

Ich bekam ein Menü mit Vorspeise, Pfeffersteak mit Fritten,<br />

und einen guten französischen Pudding zum<br />

Schluss für 16 Franks. Und ich hatte richtig gut gegessen.<br />

Also das Leben in Südfrankreich würde mich sicher<br />

nicht zum armen Mann machen.<br />

Wir schrieben das Jahr 1963.<br />

Ich schlenderte durch die Stadt, fand viele schöne Gebäude<br />

und das Meer war überall zu riechen.<br />

Die vielen Militärs störten mein Bild von Toulon, aber<br />

allzu lange wollte ich eh nicht bleiben.<br />

Auf jeden Fall aber wollte ich noch ein paar Tage „arbeiten“.<br />

Drei Tage später, die Taschen gut gefüllt, eine neue Jeans<br />

und T-Shirt gekauft, machte ich mich auf weiter nach<br />

Osten Richtung Cannes.<br />

In Frejus legte ich eine Pause ein und in St. Tropez, einem<br />

Dorf das ich natürlich sehen musste.<br />

Es war heiß, und viele leicht bekleidete Menschen hatten<br />

das Dorf belagert. Sehr viele außergewöhnlich schöne<br />

Frauen waren zu sehen, meist von älteren Herren begleitet.<br />

Die Yachten am Hafenkai waren fantastisch, ein Riesenschiff<br />

neben dem anderen, fröhliche Leute sprangen an<br />

Deck herum, oder lagen einfach in der Sonne.<br />

Nach Sonnenuntergang waren die Yachten beleuchtet,<br />

Frauen und Männer saßen chic gekleidet an den am<br />

Heck stehenden Tischen, und genossen das Abendessen,<br />

das manche sich von Personal auflegen liessen.<br />

63<br />

Und sie hatten Riesenfreude an all den Bewunderern,<br />

die am Kai entlang spazierten, und sie bei ihrem Treiben<br />

beobachteten. Sie wollten gesehen werden.<br />

Gegen Mitternacht ging ich in eine Discothek, nachdem<br />

ich mir in einem Strandrestaurant, „Le Gorille“, ein


Abendessen geleistet hatte, ich war nicht arm.<br />

Die Disco war noch nicht gut besucht, da ging die Post<br />

erst ab 2 Uhr nachts richtig ab. Ich trank ein Glas Wein,<br />

sauteuer, die Musik war nicht schlecht, aber nach einer<br />

Stunde verließ ich die Tanzbar.<br />

Ich suchte den Platz, wo ich meinen Schlafsack und die<br />

anderen Sachen versteckt hatte, und suchte mir etwas<br />

ausserhalb des Dorfes in Landseite, einen kleinen Park,<br />

wo ich hinter Büschen gut schlief.<br />

Als die Sonne sich gerade blicken ließ, stand ich auf, rollte<br />

meine Habseligkeiten in den Schlafsack, und ging ins<br />

Dorf zurück. Nur ein Café war geöffnet, und dort waren<br />

nur Einheimische zu treffen. Das gefiel mir, und ich<br />

frühstückte mit starkem Kaffee, Croissants und Baguettes<br />

mit Marmelade.<br />

Dann machte ich mich auf in Richtung Cannes zu<br />

trampen. Das sollte dann noch einen grossen Schlag luxurieuser<br />

sein als St. Tropez, oder alles was ich bisher gesehen<br />

hatte.<br />

Riesenhotels, die weiß strahlten , und wie Paläste aussahen.<br />

Das Hotel „Carlton“ beeindruckte mich am meisten,<br />

das war der pure Luxus an Architektur und<br />

Schmuck, kleine rote Stoffdächer über jeden Fenster, es<br />

sah sehr beeindruckend aus. Aber für mich natürlich unerschwinglich,<br />

was mich aber absolut nicht störte. Eigenartigerweise,<br />

ich weis nicht weshalb, ein Gefühl wie<br />

Neid war bei mir nicht im Programm. Und das war gut<br />

so, wie sich noch oft zeigen sollte.<br />

Es war gegen 11 Uhr, als ich mir an der breiten Ufer-<br />

64<br />

promenade ein Stück Boden zum malen suchte. Ich<br />

nahm meine Kreide hervor, stellte mein Kästchen hin,<br />

und begann zu malen.<br />

Es dauerte ca. eine halbe Stunde, da hielt ein Auto an,<br />

und blau uniformierte Herrn gingen auf mich zu. „Bonjours<br />

Monsieur, „votre Passport´s ´il vous plait“ sprachen<br />

sie mich an.<br />

Das hatte ich verstanden, und holte meinen immer noch<br />

auf Tilmann Mülhaus lautenden Personalausweis aus der<br />

Tasche. Die Herren schauten interessiert auf das Dokument,<br />

fanden es in Ordnung, machten mir aber klar, dass<br />

in Cannes nicht auf die Strasse gemalt werden dürfe.<br />

Also entfernte ich die paar Striche, die ich schon gemalt<br />

hatte, und verabschiedete mich von Cannes, ich hatte<br />

genug gesehen.<br />

Eigentlich wollte ich ja sowieso nach Italien, aber das<br />

waren noch einige hundert Kilometer. Ich wollte noch<br />

nach Nizza, wo Strassenmalerei nicht verboten war. Ich<br />

bekam zwar einige Male Besuch von der Polizei, aber<br />

die liessen mich nach Ausweiskontrolle gewähren.<br />

3 Tage verbrachte ich in Nizza, es war eine schöne, ja<br />

wundervolle Stadt, ich hatte ein paar Leute und ein nettes<br />

Mädel, Anne Marie, kennen gelernt. Sie wohnte zwar


in Nizza, verbrachte aber die Nächte mit mir in einem<br />

kleinen Hotel. Preiswerten Hotels waren auch an der<br />

Coté d´azur noch oft zu finden, wenn man sich richtig<br />

umschaute.<br />

Ich verabschiedete mich mit einer festen Umarmung<br />

von Anne Marie, und versprach einmal wiederzukommen.<br />

Sie nahm das ganz locker, wir hatten ein kleines<br />

Abenteuer miteinander gehabt, das war´s. So waren<br />

Französinnen, jedenfalls die, die ich bisher gekannt hatte.<br />

Die klammerten nicht gleich.<br />

Nun musste ich noch durch Monte Carlo und Monaco,<br />

65<br />

sehr imposante Städte und Landschaften mit riesigen<br />

Palmen bestückt, die mich aber nicht sonderlich reizten,<br />

bis ich endlich nach Ventemiglia kam, der Grenze zwischen<br />

Frankreich und Italien.<br />

Ohne Probleme passierte ich die Grenze, und stand mitten<br />

in der wunderschönen Toscana.<br />

Ich war zwar immer noch am Mittelmeer, beschloss aber<br />

in Richtung Mailand zu trampen, ich wusste von Freunden,<br />

dass dort Pflastermalerfreie Zone war. Schliesslich<br />

musste ich Geld verdienen, obwohl ich noch stets gut<br />

bei Kasse war.<br />

Also suchte ich mir eine Autobahn Richtung Mailand.<br />

An der Autobahnauffahrt traf ich einen Deutschen,<br />

„Rainer“ stellte er sich vor, und war fast genau so gekleidet<br />

wie ich, hatte aber einen Bart und einen großen Seesack<br />

bei sich.<br />

„Wo willst du hin“, fragte er mich. „Nach Mailand“,<br />

antwortete ich ihm. „Mann dann komm doch erst einmal<br />

mit nach Genua, eine tolle Stadt, das reine Abenteuer.“<br />

Abenteuer klang gut, und warum nicht, ich hatte alle<br />

Zeit der Welt. „O.K., ich komm mit“.<br />

Und schon bald hielt ein Renault, der uns bis Albenga<br />

mitnahm. Der nächste Anhalter brachte uns bis Savona,<br />

und nun war´s nur noch ein Sprung nach Genua.<br />

66<br />

Kapitel 10<br />

Von der Strasse, die ca. 5-bis 600m hoch nach Genua<br />

hinunterführte, war der Blick über die Stadt mit dem<br />

Riesigen Hafen, alten und neuen Gebäuden, grossen<br />

Strassen und in Hafennähe viele kleine verwinkelte Gassen,<br />

wunderschön zu sehen, und ich wusste, das mein<br />

neuer Freund mich richtig beraten hatte, diesen Abstecher<br />

zu machen.<br />

Der nette Herr der uns mitgenommen hatte, fuhr uns<br />

ein Stück in die Stadt nähe Hafen, und wir bedankten<br />

uns freundlich.<br />

Rainer kannte sich aus. Sofort steuerte er in Richtung<br />

Hafenviertel, und wir landeten in einer schmalen Gasse,<br />

wo das Leben tobte!<br />

Geschäfte aller nur erdenklichen Art reihten sich eins an<br />

das nächste, Marktstände ohne Ende, Fischgeschäfte mit


Exemplaren die ich noch nie gesehen hatte.<br />

Ich mochte leider keinen Fisch, schade, hier hätte ich<br />

schlemmen können. Die Fische und Krustentiere waren<br />

meist noch in Bewegung, also wirklich Fangfrisch.<br />

Eine Mama pries Ihre Waren lauter als die nächste, es war<br />

ein unheimlicher, aber angenehmer, Krach in der Gasse.<br />

Wir setzten uns in eins der vielen kleinen Cafès, die sich<br />

zwischen die Marktschreier gezwängt hatten, tranken<br />

Kaffee und lachten uns an. Das war´s, hier konnte man<br />

Leben lernen!<br />

Es muss gegen 13 Uhr gewesen sein, also Mittagszeit.<br />

„Hast du Hunger“ fragte Rainer. “Klar“ antwortete ich.<br />

„Na dann komm ´mal mit“ .Wir machten uns auf Richtung<br />

Hafenbecken, hier lagen alle grossen Transportund<br />

Passagierschiffe. Rainer rief hoch zu einem Matrosen<br />

auf einem italienischen Schiff und fragte „Posso<br />

67<br />

mangare“? „Si, vieni“ antwortete der Matrose.<br />

„Komm Eric, wir gehen essen“ Ich verstand nur Bahnhof,<br />

folgte ihm aber die Gangway hoch aufs Schiff. Der<br />

Matrose begrüsste uns freundlich, und brachte uns in einen<br />

Raum neben der Kombüse, in die er verschwand.<br />

Zurück kam er mit zwei Riesentellern voll Spaghettis<br />

mit Tomatensosse, und wünschte uns „guten Appetit“.<br />

Ich konnte es kaum fassen. Rainer lachte nur, „das geht<br />

ganz locker hier im Hafen, hier wirst du immer satt“.<br />

Kaum hatten wir die köstlichen Nudeln gegessen, ich<br />

war pappsatt, kam der Matrose mit zwei Tellern dampfenden<br />

Fleischs mit dunkler Soße. „das musst du jetzt essen,<br />

sonst ist der beleidigt“ lachte Rainer mich an, und<br />

so machte ich mich bedächtig an den zweiten Gang. Es<br />

war köstlich, aber ich konnte kaum noch gehen, so vollgefressen<br />

war ich jetzt. Wir verabschiedeten uns freundlich<br />

und dankbar bei dem Smutje der uns hinterher<br />

winkte.<br />

„Das können wir täglich machen, wenn wir hungrig<br />

sind, du kriegst hier auf fast jedem Schiff etwas zu essen“,<br />

erklärte Rainer Das waren natürlich gute Aussichten.<br />

Wir schleppten unsere vollen Bäuche zurück in die lebendige<br />

Gasse, setzten uns in ein anderes Café, von wo<br />

aus wir das bunte Treiben dieser langen Lebensader betrachteten.<br />

So langsam kamen auch die jungen Damen in kurzen<br />

Röckchen, bunt geschminkt, das Handtäschchen<br />

schwingend, eine Zigarette in der Hand, und boten sich<br />

feil.<br />

Seemänner gab´s genug, die von der langen Reise anders<br />

hungrig waren als Rainer und ich, und so florierte das<br />

Geschäft der Mädels hervorragend.<br />

Mein Geschäft lief leider gar nicht mehr, hier gab´s kei-<br />

68<br />

nen Platz zum malen. Ich gab nur noch Geld aus, verdiente<br />

leider nichts. Aber das war nur halb so schlimm,<br />

ich hatte noch Reserven aus Marseille und Nice.


Eine Woche hielt es mich in Genua, eine Bordsteinschwalbe,<br />

Francine, schon der Name war ein Genuss,<br />

hatte es auf mich abgesehen, und versüßte nach Feierabend<br />

mein Leben. Auch kaufte sie mir Hose und<br />

Hemd, und lud mich oft zum Essen ein, also brauchte<br />

ich nicht immer auf die Schiffe um Essen zu schnorren.<br />

Aber das reizte mich doch noch ab und zu, und so ging<br />

ich eines Tages ´mal wieder runter zum Hafen, und wurde<br />

von Franzosen eingeladen, natürlich immer nur nach<br />

der Frage:“gibt´s noch ´was zu essen bei euch“? Und die<br />

Antwort war fast immer ein freundlicher Wink nach<br />

oben.<br />

Bei den Franzosen hatte ich herrlich gegessen, und verabschiedete<br />

mich von den Seeleuten. Satt war ich längst,<br />

kam aber dann an einem russischen Schiff vorbei. Essen<br />

beim „Klassenfeind“, das wäre doch ´mal ´was.<br />

Und so rief ich hoch zu den Matrosen, und stellte die<br />

obligatorische Frage. „Komm hoch Junge, hier gibt´s<br />

was für dich“ rief mir einer in gebrochen deutscher<br />

Sprache zu. Und so klomm ich die Gangway hoch, und<br />

wurde in den Raum neben der Kombüse geführt. Es<br />

waren auch zwei Frauen an Bord, was auf den anderen<br />

Schiffen nie der Fall war.<br />

Und ich bekam zu essen…einen riesigen Teller mit grobem<br />

Kraut und Kümmel, dann folgte Wodka, jemand<br />

kam sofort mit einer Flasche. Dies lehnte ich freundlich<br />

ab, und machte mich weiter über das grobe Essen her.<br />

Dann kam noch ein Teller mit Nudeln und Hackfleisch<br />

gemischt, und ich stand kurz vorm platzen.<br />

Schon aus Höflichkeit musste ich alles wegputzen, verabschiedete<br />

mich dann aber schnell. Die Matrosen ver-<br />

69<br />

sorgten mich noch mit Lektüre, –in russisch-, gaben mir<br />

Faltblätter über den Kommunismus, und endlich war ich<br />

unten an der Gangway angelangt.<br />

Ich konnte wirklich kaum noch laufen, so schwer lag<br />

die gesamte französische und russische Kost in meinem<br />

Magen. Wäre ich doch nur nicht zu den Russen gegangen,<br />

die Franzosen hatten mich schon reichlich gut bewirtet.<br />

Ich schleppte mich bis zu einem leeren Güterwaggon,<br />

und schob mich hoch, um direkt umzufallen, und mindestens<br />

eine Stunde nicht mehr aufstehen zu können.<br />

Bevor ich Francine kennen lernte, schlief ich oft in solchen<br />

Waggons, wenn sie offen waren. Dann war man<br />

auch sicher am nächsten Morgen noch da zu sein, denn<br />

die Züge fuhren nur beladen aus dem Hafen. Man musste<br />

zwar immer früh raus, denn der Hafenmeister kontrollierte<br />

die Züge gegen 8 Uhr morgens, und teilte die<br />

Wagen ein.<br />

Einmal hatte er uns erwischt, mit viel italienischem Geschrei<br />

jagte er uns zum Teufel.<br />

Rainer war abgefahren, als ich meine Hafenmaus kennen<br />

gelernt hatte, ich hatte nur noch wenig Zeit für ihn,


nur wenn Francine „arbeitete“, mit der ich in einem<br />

schnuckeligen Hotel wohnte.<br />

Im Hotel zu wohnen war für die meisten der Nachtfalter<br />

normal. Rainer wollte sowieso weiter nach Milano,<br />

wo wir uns für 10 Tage später vor der Kathedrale verabredet<br />

hatten. Da war wieder „Malgebiet“, und ich konnte<br />

Geld verdienen. Aber im Augenblick war das meine<br />

geringste Sorge.<br />

Ich hatte noch stets den Personalausweis des Tilmann<br />

Mülhaus in der Tasche, ich brauchte dringend ein auf<br />

mich lautendes Reisedokument.<br />

Schweren Herzens machte ich mich auf Richtung<br />

70<br />

Deutschland. Ich wollte erstmal zu Hause die Lage<br />

checken.<br />

71<br />

Kapitel 11<br />

Es dauerte 2 Tage, und ich stand vor der Türe meiner<br />

Mutter. Mit Tränen in den Augen nahm sie mich in die<br />

Arme, und sagte nur:“bin ich froh dass es dir gut geht“.<br />

Zuerst sprang ich in die warme Badewanne, und genoss<br />

das heisse Wasser ausgiebig. Ich hatte noch Kleidung bei<br />

der Muter, meine drei Reisehosen und die anderen Klamotten<br />

kamen in Mutters Waschmaschine.<br />

Beim Kaffee erklärte mir die Mutter, dass dieses Heim in<br />

Brauweiler (der „Knast“), nicht mehr existierte, und die<br />

Jugendlichen nun in einem neuen Heim in Hennef untergebracht<br />

worden seien, und die Form Heim wie<br />

Brauweiler aufgelöst worden sei.<br />

Sie riet mir, in das Heim nach Hennef zu fahren, um<br />

wieder auf eine „legale“ Schiene zu kommen.<br />

Obwohl selbst eine Gudrun Enslin sich „ein Produkt radikaler<br />

Heimerziehung „bezeichnete, die in Brauweiler<br />

ja auch praktiziert wurde.<br />

Ich war 15 Jahre und ein paar Monate, und dachte mir,<br />

zunächst ´mal zur Stadtverwaltung zu gehen, um einen<br />

Personalausweis zu beantragen.<br />

Den mit bunter Kreide beschmierte, kaum noch lesbare<br />

Ausweis von Tilman Mülhaus schickte ich mit der<br />

Post zurück an seine Adresse, und steckte einen Zettel<br />

mit „Danke schön, du hast mir sehr geholfen“ mit in<br />

den Umschlag.<br />

3 Tage später, die ich wieder auf Oma´s Sofa verbrachte,<br />

die hocherfreut war mich zu sehen. Es war ja kein Platz<br />

bei Mutter…,holte ich mir einen nagelneuen auf meinen<br />

Namen ausgestellten grauen Personalausweis beim<br />

Einwohnermeldeamt ab. Ich küsste das Teil, und verstaute<br />

es gut in meiner Hosentasche.<br />

72<br />

Endlich war ich wirklich frei, ich war legal registriert,<br />

und ich konnte das überall beweisen.<br />

West Europa wartete nun auf mich, alle Grenzen waren<br />

für mich geöffnet, ohne mulmiges Gefühl im Magen.


Tilman Mülhaus lebte nun wieder bei Papa und Mama<br />

in München.<br />

Nur das mit dem Heim musste noch geregelt werden.<br />

Mit allem Mut den ich aufbringen konnte machte ich<br />

mich auf den Weg nach Hennef, meine „Beatnik“-<br />

Ausstattung hatte ich bei Oma verstaut, man konnte ja<br />

nie wissen…<br />

Ich traute meinen Augen nicht, als ich in Hennef ankam,<br />

an einem grünen leicht ansteigenden Berghang sah ich<br />

ca. 10 kleine Häuser, nagelneu, und das sollte der Ersatz<br />

für das Erziehungsheim Brauweiler sein.<br />

In jedem Haus waren 8 Jugendliche untergebracht, die<br />

von einem Ehepaar geleitet auf´s Leben vorbereitet werden<br />

sollten.<br />

Keine Gitter, offene Türen, ich konnte es kaum fassen,<br />

als ich in die Verwaltung ging, und mich zurückmeldete.<br />

Ich war 9 Monate unterwegs gewesen.<br />

„Na das ist ja schön, dass du wieder da bist, du kannst in<br />

Haus 5 bei Herrn und Frau Müller ein Zimmer beziehen“,<br />

sagte der Direktor freundlich. Freundlich!!!<br />

Ein Zimmer, ich konnte es nicht glauben, ein Zimmer<br />

für mich alleine, das war´s doch.<br />

Herzlich wurde ich von Herrn und Frau Müller willkommen<br />

geheißen, und sie zeigten mir mein Zimmer.<br />

Meine Kameraden aus Brauweiler machten ein Riesenwillkommensgeschrei,<br />

und lobten mich endlos, dass ich<br />

9 Monate „Freiheit“ geschafft hatte.<br />

Es ging gut ab in Hennef, das Essen war gut, und die<br />

„Eltern“ waren immer freundlich.<br />

Oft war ich in ihrer Wohnung, und half beim spülen<br />

73<br />

oder so. Die Frau Müller gefiel mir auch physisch sehr<br />

gut, und Herr Müller zwang mir nicht irgendeine Arbeit<br />

auf, sondern brachte mir nach ca. 4 Wochen einen grossen<br />

Zeichenblock und Malstifte. „Lass dich da mal aus,<br />

ich glaube malen geht in deine Richtung“ stellte er fest.<br />

Ich hatte ihm nie von meiner Pflastermalerei erzählt.<br />

Und überhaupt, hatte ich von meiner Zeit auf der Strasse<br />

nichts erzählt, wenn man mich fragte, antwortete ich<br />

nur „ich war „on the Road“, mehr nicht. Dass ich im<br />

Knast war hat niemand erfahren!<br />

Der Mann hatte Gefühl, er merkte schnell wie ein Jugendlicher<br />

„drauf“ war. Trotzdem war ich erstaunt über<br />

das Zeichenmaterial, und fing schon bald damit an, es zu<br />

benutzen.<br />

Ich bemalte Blatt für Blatt, in allen möglichen Richtungen,<br />

die Malerei so mit sich bringt. Und so verbrachte<br />

ich mein Leben wieder im Heim.<br />

Abends konnten wir auch einige Stunden in den Ort<br />

gehen, man ließ uns viel Freiheit. (zum Glück!)<br />

Schnell hatte ich eine nette dunkelhaarige Frau von 17<br />

Jahren kennen gelernt. Sie war Friseuse, und wir trafen<br />

uns allabendlich in einem kleinen Park, und knutschten


uns die Seele aus dem Leib. Es wurde auch schnell sexuell,<br />

erst Gefummel, und dann war´s soweit, wir poppten<br />

miteinander. Renate konnte meinem Gedränge nicht<br />

mehr wiederstehen.<br />

Immer im Park, wir hatten uns eine uneinsehbare Bank<br />

gefunden. Das war zwar nicht besonders gemütlich, aber<br />

unsere „Nummern“ waren stets schnell abgefeiert.<br />

Dann kam der Hammer: Renate erklärte mir nach ca. 7<br />

Wochen unserer Popperei, sie sei schwanger. Mir fuhr<br />

erstmal der Schreck in die Hose, worin sich nun wörtlich<br />

nichts mehr bewegte.<br />

Mein Vater hatte davon erfahren, und mir wütend er-<br />

74<br />

klärt:“die heiratest du jetzt, da gibt´s nix“.<br />

Ich, erst nahe am 15ten Lebensjahr sollte heiraten, ich<br />

dachte nur „der hat ein Rad ab.“Ich hatte Renate ja<br />

wirklich sehr gerne, war sogar schon ´mal bei ihr zum<br />

Sonntagskaffee eingeladen, aber heiraten, das war mir<br />

zuviel des Guten.<br />

Also war es wieder soweit, die nächste Flucht wurde geplant.<br />

Ich sagte mir `steh auf, jetzt oder nie, es kann nicht sein<br />

dass du dich jetzt schon festnageln lässt, mach dich auf,<br />

jetzt oder nie mehr, die Welt wartet auf dich, hau wieder<br />

ab, das kann nicht alles gewesen sein´.<br />

Und so machte ich mich eines Abends auf, ohne irgendjemand<br />

etwas zu sagen, ohne mich zu verabschieden,<br />

und trampte nach Jülich, wo ja mein Beatnikgepäck bei<br />

der Oma lag.<br />

Für die Müllers tat´s mir leid, sie hatten sich echt Mühe<br />

mit mir gegeben, aber heiraten, nein danke!<br />

Die Oma begrüsste mich mit überschwänglicher Freude,<br />

aber als ich ihr klarmachte, dass ich wieder auf die<br />

Reise ging, gefiel ihr das überhaupt nicht.<br />

„Nix zu machen, Oma, ich muss weg“.<br />

Und so zog ich mit 2 Jeans, 2 T-Shirts, meiner Kreide, es<br />

war noch viel übrig, und meinem Schlafsack, gut gereinigt,<br />

Richtung Autobahn nach Süden.<br />

Ich erwischte einen Fahrer, der auf dem Weg nach<br />

St.Gallen in der Schweiz war, das war ein Ruf des<br />

Schicksals, und so stieg ich bei ihm ein, um ihn bei seiner<br />

gesamten Reise zu begleiten. Gültige Papiere hatte<br />

ich, den Ausweis trug ich immer nah am Herzen (!), und<br />

somit gab es keinen Grund, nicht ´mal in die Schweiz<br />

zu fahren, die kannte ich schliesslich noch gar nicht. Ich<br />

kannte nur Schweizer Franken, aber davon hatte ich natürlich<br />

keine mehr.<br />

75<br />

Oma hatte mir 100 Mark zugesteckt, damit ich mir etwas<br />

zu essen kaufen konnte.<br />

Aber unterwegs lud mich der nette Herr Baltus, so hiess<br />

mein „Chauffeur“, er war ungefähr 60 Jahre alt, ein äusserst<br />

freundlicher, gut gekleideter Herr mit einem amerikanischen,<br />

grossen Wagen, in Autobahnraststätten 2


mal zum Essen ein, so hatte ich keinerlei Ausgaben.<br />

Mein Hunderter wurde nicht unnötig strapaziert, und<br />

die Reise gestaltete sich als sehr gemütlich.<br />

Wir sprachen über dies und jenes, und ich erklärte ihm,<br />

dass ich ein Beatnik auf Reisen war, was ihm Respekt<br />

abzollte. „Das hätte ich nie gekonnt, obwohl ich in meinem<br />

Leben oft alles hingeschmissen hätte, meine gesellschaftliche<br />

Sicherheit erlaubte keine Ausflüge“, sagte<br />

Herr Baltus.<br />

Nach ca. 12 Stunden waren wir in St. Gallen, ich war in<br />

der Schweiz.<br />

Ich verabschiedete mich herzlich von Herrn Baltus, bedankte<br />

mich für die angenehme Reise, und da es schon<br />

23Uhr war, suchte ich etwas „Lebendiges“ in dieser für<br />

mich fremden Stadt.<br />

Ich wusste wohl, dass der „Bestohlene“ in Arles von<br />

hierher kam, aber das machte mir absolut nichts aus.<br />

Ich irrte durch die Strassen, bis ich einen sehr großen<br />

hellen Punkt sah, auf den ich zuging.<br />

Dieser helle “Punkt“ gestaltete sich als Discothek, die<br />

im Keller eines Apartmenthauses angesiedelt war. Die<br />

Disco hiess „LÖWE“, aber da ich vor grossen Tieren nie<br />

Angst hatte, ging ich hinein.<br />

Und hier tanzte der Bär, hier war richtig ´was los. Jede<br />

Menge junge Frauen und Männer, wobei mich die<br />

Frauen am meisten interessierten.<br />

Meine Klamotten legte ich in einer dunklen Ecke ab,<br />

und begab mich auf die Tanzfläche. Ich hatte soviel Spaß<br />

76<br />

wie lange nicht, die Monate zu Hause und im Heim in<br />

Hennef hatten mich etwas „steif“ gemacht. Als mir dann<br />

aber die Laute der grossen Musikboxen in die Glieder<br />

fuhr, war ich wieder voll der alte Twister, ich rockte ab<br />

was das Zeug hielt.<br />

So nach dem 3. oder 4. Stück guter Musik bemerkte ich<br />

Blicke von Mädels, die mich bei Augenkontakt anlächelten.<br />

´ Hier bist du richtig´dachte ich mir, und ging auf das<br />

Mädel zu, was mir am besten gefiel. „Hallo, ich bin<br />

Eric“, stellte ich mich vor, „und ich bin Stefanie“, bekam<br />

ich zur Antwort. „Du bist wohl Deutscher“, stellte<br />

Stafanie richtig fest, das „Schwitzer Dütsch“ sollte ich<br />

erst noch lernen.<br />

So kamen wir ins Gespräch, und tanzten auch ein paar<br />

Runden. Sie hatte offensichtlich Spaß an dem was sie<br />

mit mir erlebte, und nach ca. 1 Stunde lud sie mich zu<br />

einem Getränk ein.<br />

„Das ist doch eigentlich meine Aufgabe, einen auszugeben“,<br />

sagte ich auf das Angebot reagierend, aber Stefanie<br />

machte mir klar, dass es in der Schweiz auch andersrum<br />

ging. Dagegen hatte ich gar nichts einzuwenden, und<br />

bestellte mir einen „Cuba-Libre“, Rum mit Cola, und<br />

wir prosteten uns mit Blick in die Augen lächelnd zu.<br />

Wir tanzten weiter, liessen völlig los. Und wenn ich die


männlichen meist steifen Tänzer beobachtete, sprach ich<br />

nachher einen an und sagte:“ Junge, zieh den Stock aus<br />

dem Arsch und ergib dich dem Fieber der Musik, dann<br />

klappt das von alleine“. Der Typ schaute mich erstaunt<br />

an, wer redet so zu einem Fremden, aber er hatte es gefressen.<br />

77<br />

Kapitel 12<br />

Stefanie und ich setzten uns in eine Ecke, wo die Musik<br />

nicht ganz so laut war, und unterhielten und ein Wenig.<br />

Echt wenig, denn mit dem Schweizer dütsch kam ich<br />

erstmal gar nicht klar. Dafür kamen wir uns aber körperlich<br />

sehr schnell näher, und fingen an zu knutschen. Ich<br />

war nur einmal jung.<br />

Als ich mal auf die Toilette ging, bemerkte ich mehrere<br />

Mädels um Stefanie verteilt, die miteinander tuschelten.<br />

Kaum kam ich zurück an den Platz, verstoben die Mädels<br />

lachend in alle Richtungen, nicht ohne mich genauer<br />

zu mustern.<br />

Ich dachte mir nur `Junge, du bist angekommen`, und<br />

hier in dieser Stadt wollte ich eine Weile bleiben.<br />

Stefanie krallte sich sofort wieder an mir fest, und das<br />

gefiel mir gut, schüchtern schienen die Frauen hier nicht<br />

zu sein, was mir sehr entgegen kam.<br />

Es war schon fast halb vier, als ich merkte müde zu werden.<br />

Ich fragte Stefanie unschuldig, wo man denn hier<br />

übernachten könne, darauf lachte sie nur, und sagte.“Ich<br />

hab ein Zimmer im Haus meiner Oma, da könnten wir<br />

zusammen hingeh´n“.<br />

Ich glaubte meinen Sinnen nicht zu trauen, so schnell<br />

ging das hier.<br />

Wir traten aus der Disco, meine Sachen hatte ich in einer<br />

Ecke der Garderobe verstaut, und Stefanie ging auf<br />

ein Riesenauto zu, einem Oldsmobile, schloss den Wagen<br />

auf, lächelte ob meinem überrascht aussehenden<br />

Gesichtsausdrucks. Sie forderte mich auf: “Steig ein, wir<br />

fahren jetzt zur Oma, das sind ein paar Kilometer“.<br />

`Die hab wohl alle grosse Autos, die Schweizer`, dachte<br />

ich bei mir, und stieg ein in das Schiff. Der vordere Sitz<br />

78<br />

war durchgehend, also nicht von einer in der Mitte befindlichen<br />

Handbremse gestört, so war ich kaum eingestiegen,<br />

da hing das Mädel schon über mir, gab mir einen<br />

ausgiebigen Schmatzer, und fasste ohne weiters<br />

zwischen meine Beine. Das wär ja eigentlich meine Aufgabe<br />

gewesen, als erster hin zu langen, Stefanie schien<br />

vom ganz harten Schlag, oder alle Schweizer Frauen waren<br />

so.<br />

Nach dem kurzen, sehr angenehmen Intermezzo, fuhr<br />

Stefanie lachend aus der Stadt heraus, nicht ohne eine<br />

kräftige Stereoanlage einzuschalten, für diese Zeit längst<br />

nicht normal, aus der James Brown klang.<br />

Sie hielt nach ca. 4 km an einem ziemlich grossen Haus<br />

aus der Gründerzeit, indem nur reiche Menschen leben


konnten.<br />

Sie öffnete die Türe, und hielt ihren Zeigefinger vor die<br />

geschlossenen Lippen, was mir bedeutete, ich soll leise<br />

sein. Logisch, ich war Katzenleise, und wir schlichen in<br />

den 1. Stock, wo ihr Zimmer war.<br />

„Wir müssen leider leise sein, meine Oma darf nicht<br />

mitbekommen, dass ich nicht alleine komm“. Sie schlief<br />

nur ab und an bei der Oma im Haus, ansonsten lebte sie<br />

noch bei ihren sehr gut situierten Eltern. Sie war gerade<br />

18 Jahre alt geworden, und ich hatte demnächst meinen<br />

16ten Geburtstag noch vor mir.<br />

Wir kamen in ihr Zimmer, dort stand ein antiker<br />

Schrank für die Kleidung, sehr imposant, und ein Einzelbett,<br />

auch antik, jedenfalls der Rahmen, und ein kleiner<br />

alter Nachttisch.<br />

Ich zog mich schnell aus, und kuschelte mich unter ein<br />

dickes Plümot. Stefanie lächelte mich schon wieder an,<br />

sie konnte wohl nur lächeln, und zog sich betont langsam<br />

aus.<br />

Sie hatte mittelblondes Haar, das ihr weit über die süs-<br />

79<br />

sen Schultern reichte, feste kleine Brüste, einen wohlgeformten<br />

Hintern, und lange schöne Beine. Ihr kleines<br />

Dreieck zwischen den Beinen lachte mich an, und ich<br />

freute mich auf das, was da kommen sollte.<br />

Und da kam ´ne Menge, wir fielen übereinander her wie<br />

hungrige Wölfe, es war eins der schönsten Sexerlebnisse<br />

meiner Jugend.<br />

Und davon sollte ich noch reichlich erhalten, ich war in<br />

der richtigen Lehranstalt angekommen. Eine wichtige<br />

Sache lernte ich mit Stefanie, wir fögelten jede Nacht<br />

unsere Seelen aus dem Leib, erst die Frau kommen zu<br />

lassen, und sich als Mann zurückzuhalten.<br />

Nach einiger –nicht leichten – Übung konnte ich das<br />

ganz gut praktizieren, aber diese Lehre war erstmal nicht<br />

leicht. Als ich die Sache in den Eiern und im Griff hatte,<br />

war ich für jede Frau gerüstet!<br />

Und dass Fögeln und Musik meine Hobbys werden sollten<br />

stand da schon fest.<br />

Es war März, und mein 16er Geburtstag kam auf mich<br />

zu.<br />

Mittlerweile hatte Stefanie ein Appartement in dem<br />

Haus mit der Disco gemietet, wir konnten es nicht länger<br />

nur bei der Oma treiben. Außerdem war es viel genüsslicher,<br />

zusammen aufzuwachen, Brötchen und<br />

Croissants zu holen, und gemeinsam zu frühstücken.<br />

Wir lebten in den Tag hinein, machten Spaziergänge<br />

durch St. Gallen, und liessen es uns gut gehen.<br />

Dass ich kein Geld hatte war Stefanie schnell klar, aber<br />

das war absolut kein Problem für sie. „Meine Alten haben<br />

genug davon, und ich kann immer „nachtanken“,<br />

beruhigte sie mich.<br />

Ich war Beatles- Fan, und eines Tages kamen wir an einer


Boutique vorbei, indem es original<br />

Beatles Anzüge gab, grau, mit Stehkragen, schwarz ein-<br />

80<br />

gefasst, und mit schwarzen Knöpfen.<br />

Ich blieb bewundernd vor dem Laden steh´n, und Stefanie<br />

fragte mich, ob mir etwas gefalle. „Au ja, der graue<br />

Anzug „ antwortete ich sofort. Kaum ausgesprochen zog<br />

mich das süße Mädel in den Laden, und sagte: „Such dir<br />

´was aus“. Ich ging sofort zu den grauen Anzügen, und<br />

probierte einen an. Der erste war zu gross, aber der<br />

Nächste passte sofort.<br />

Stefanie ging zur Kasse, erledigte die Bezahlung, und ich<br />

war stolzer Besitzer eines „Beatles-Anzugs“. Ich konnte<br />

meine Freude kaum fassen, und bedankte mich überschwänglich.<br />

„Das erledigen wir heute Abend“ sagte<br />

Stefanie lachend.<br />

Ich hab nie erfahren was das Teil gekostet hatte, aber der<br />

Anzug war sicher nicht billig. Ich trug ihn manchmal,<br />

fühlte mich aber letztendlich in meinen Jeans wohler.<br />

Der Anzug landete in einer Ecke des Appartements, und<br />

das war gut so, ich war nicht der Anzug-Typ. Stefanie<br />

war das völlig egal.<br />

Jeden Abend gingen wir in die Disco tanzen bis in den<br />

frühen Morgen, wir hatten Beide Späße daran. Und<br />

wenn die Disco schloss, wurde die Fete meistens im Appartement<br />

weitergefeiert, bis Alle umfielen, oder nach<br />

Hause gingen. Es hatte sich eine Clique von ca. 10 Leuten<br />

gebildet, die alle Freude an den gleichen Dingen<br />

hatten.<br />

Mit dem Suff hielt ich mich glücklicherweise zurück,<br />

ich wollte einfach nicht permanent benebelt sein. Eines<br />

Tages brachte jemand einen lange Pfeife und Hasch mit<br />

ins Appartement, und ich hatte meinen ersten Kontakt<br />

mit der Droge.<br />

Es gefiel mir erst recht gut, bekifft zu sein, aber ich<br />

musste später kotzen. Ich wollte es nicht immer haben.<br />

Mein Geburtstag wurde sehr schön gefeiert, Stefanie lud<br />

81<br />

mich erst am frühen Abend in ein Luxusrestaurant ein,<br />

und wir labten uns köstlich an gutem Essen und gutem<br />

Wein. Auch dies war meine erste Erfahrung dieser Art.<br />

Dann gingen wir in die Disco, suchten uns nette Menschen<br />

aus, mit denen wir dann eine tolle Party im Appartement<br />

feierten. Stefanie hatte mir sehr schöne, sehr<br />

teure Schuhe zum Geburtstag geschenkt, Naturfarbenes<br />

Leder, das sich weich um meine Füße legte. Genau das<br />

Richtige zum Reisen, aber das war noch geheim, ich bekam<br />

langsam die Nase voll von dem reinen Sex- und<br />

Konsumentenleben. Übrigens begegnete mir in einer<br />

Einkaufstrasse von St.Gallen der Typ, dem wir in Arles<br />

das “Wasser abgegraben“ hatten, er schaute mich erstaunt<br />

an, und verschwand schnell um die nächste Ecke,<br />

er hatte wohl Angst. Ich aber hätte ihm sowieso nichts


getan, der Fall war für mich erledigt.<br />

Ich hatte mich irgendwann telefonisch bei meinem Vater<br />

gemeldet, und ihm gesagt, dass ich in St. Gallen sei.<br />

„Ja, ich habe auch hier einen Schrieb vom Jugendamt<br />

bekommen, du bist wegen Unverbesserlichkeit aus der<br />

Fürsorgeerziehung entlassen“.<br />

Etwas Schöneres hätte mir mein Vater nicht sagen können,<br />

ich war FREI, mein eigener Herr!<br />

Eine Woche nach diesem Telefonat bekam ich Besuch in<br />

St. Gallen, Renate stand auf der Matte. Ich konnte es<br />

kaum fassen, wie war die nur an meine Adresse gekommen,<br />

und wollte sie mich jetzt zur Vaterschaft überreden?<br />

„Nein, du brauchst dich nicht zu Sorgen, das Kind habe<br />

ich im 3. Monat verloren, du wirst also kein Vater“,<br />

erklärte mir Renate.<br />

Mir fiel ein ganzer Schweizer Berg vom Herzen, als ich<br />

dies vernahm. Das hatte sich also von Selbst erledigt. Ich<br />

hatte ´mal wieder Glück gehabt, jedenfalls in meinem<br />

82<br />

Alter.<br />

Renate sagte mir, dass sie in Konstanz, auf der Deutschen<br />

Seite des Bodensees, ein Hotelzimmer gemietet, ob ich<br />

nicht Lust habe für eine Nacht und einen Tag mit ihr rüberzufahren?<br />

Erst mal überkam mich ein Schrecken, ich war noch<br />

misstrauisch. Aber es sollte so sein wie Renate wollte, ich<br />

fuhr mit ihr auf einer Fähre nach Konstanz.<br />

Stefanie hatte diese Begegnung gar nicht mitbekommen,<br />

ich war einfach zwei Tage verschwunden.<br />

Wir lebten gut in Konstanz, auf Renates Kosten, schliefen<br />

zusammen in ihrem Hoteldoppelzimmer, das sie so<br />

gemietet hatte, sie war sich wohl sicher, dass ich mit ihr<br />

nach Konstanz reisen würde.<br />

Am nächsten Mittag, nach einem ausgiebigen Frühstück<br />

brachte ich Renate zum Bahnhof, sie nahm den Zug<br />

Richtung Heimat, mit einer kleinen Träne im Auge, aber<br />

der Fall war erledigt, für sie und für mich.<br />

Ich nahm die nächste Fähre nach St. Gallen, zurück in<br />

die Schweiz, als ich schon wusste, dass dies ein Abschiedsbesuch<br />

von Stefanie sein würde. Ich wollte wieder<br />

zurück in meinen schönen Garten am Mittelmeer.<br />

Stefanie mitzunehmen kam mir nicht in den Sinn, sie<br />

wäre auch sicher nicht mitgekommen, sie fühlte sich<br />

wohl in ihrer Konsumgesellschaft, und das war gut so.<br />

Ich musste wieder auf meine Reise, wohin sie mich führen<br />

würde war nie wirklich geplant, zum planen von was<br />

auch immer im Leben hatte ich leider den Startschuss<br />

verpasst.<br />

Wir feierten noch eine Riesenfete im Haus von Verwandten<br />

Stefanies, die auf Reise waren, und soffen den<br />

halben Weinkeller leer, wir waren zu 18 Leuten da eingefallen,<br />

und am nächsten Morgen war ich verschwunden<br />

aus St. Gallen.<br />

83


Meine Sachen hatte ich vorsichtshalber schon am Bahnhof<br />

hinterlegt, ich brauchte nur ein Schliessfach zu öffnen,<br />

und ich war wieder der Beatnik von vorher, ausser<br />

dass ich jetzt eine kleine Strecke mit dem Zug bis Mailand<br />

fahren konnte.<br />

Ich war zu feige mich von Stefanie zu verabschieden, sie<br />

hatte mir 6 wunderschöne Wochen in St. Gallen ermöglicht,<br />

ich verspürte auch ein grosses Gefühl von Dank an<br />

das Mädel, sie hatte mir mehr beigebracht und gegeben<br />

als jede andere Frau bisher, aber ich wollte kein Abschiedsgeheule,<br />

ich wäre trotzdem losgefahren.<br />

84<br />

Kapitel 13<br />

Mein Beatnikherz war größer als jede art von Liebesbezeugungen.<br />

In Mailand angekommen, machte ich mich auf den Weg<br />

zur Kathedrale, wo der Sammelpunkt der „Reisenden“<br />

war. Ich traf ca. 20 Leute meines Schlags, Rainer war natürlich<br />

nicht mehr bei ihnen, es war einige Zeit ins Land<br />

gegangen.<br />

Ich sah Jemand in der Nähe der Kathedrale aufs Parkett<br />

malen, und sofort suchte auch ich mir einen Platz zum<br />

arbeiten.<br />

Ich legte mir die restliche aber genügend vorhandene<br />

Kreide auf den Boden, stellte mein Kästchen auf, schrieb<br />

wieder „DANKE“ darunter, nahm mein Büchlein von<br />

MODEGLIANI zur Hand, dass ich immer bei meinem<br />

kargen Gepäck mittrug.<br />

Und so wurde ich ganz schnell wieder zum Pflastermaler,<br />

als wäre nie etwas anderes dazwischengekommen.<br />

Ich verdiente in ca. 6 Stunden genügend Lire, um im<br />

Hotel zu schlafen, und am nächsten morgen zu frühstükken.<br />

Es hielt mich 3 Tage in Mailand, mir fehlte das Meer, das<br />

ich so lange nicht gesehen hatte.<br />

Also begab ich mich mal wieder an eine Autobahnauffahrt,<br />

diesmal nur bis Ventemiglia, ich wollte mehr von<br />

Italien sehen.<br />

2 Tage später lag mir das herrliche Mittelmeer zu Füssen,<br />

es war April, und die Sonne tat schon ihren Dienst. Es<br />

war fantastisch.<br />

Ich machte einen kleinen Ausflug nach Genua, wo ich<br />

wenigstens noch einmal auf einem Frachter essen wollte,<br />

um dann in Richtung Carrara, La Spezia zu trampen.<br />

85<br />

In La Spezia konnte ich noch einige tausend Lire verdienen,<br />

ich wollte nun weiter nach Rom.<br />

Aber ich kam noch nach Firenze (Florenz), dort verdiente<br />

ich auch ganz gut, dann nach Livorno, alles Zufallstreffer<br />

der Fahrer, die mich an den Autobahnauffahrten<br />

auflasen.<br />

Aber mein Ziel war Rom, viele Beatnikfreunde hatten<br />

mir von dieser Stadt vorgeschwärmt.<br />

Ich nahm dann für eine ca. 100km weite Strecke nicht<br />

die Autobahn, sondern trampte über eine kleinere Strasse,


am Meer entlang, zunächst nach Cecina, wo die Autobahn<br />

sowieso erstmal endete.<br />

Von Cecina kam ich nach Grosseto, einem herrlichen,<br />

mit wunderschönen erdfarbenen und weißen Häusern<br />

bebauten Ort am Rande der Toskana mit Verbindung<br />

zum Ligurischen Meer.<br />

Es war die E 80, der Autostrada del Sole, auf der ich mich<br />

bewegte, und Rom war nicht mehr weit.<br />

Ab Tarquinia war es wieder eine Schnellstrasse, und ich<br />

kam auch schnell nach Rom!<br />

Von der Stelle in Rom, wo mich mein letzter Chauffeur<br />

abgesetzt hatte, hatte ich einen herrlichen Blick auf die<br />

Engelsburg, hinter der die Sonne langsam verschwand.<br />

Es war für mich wie Kino, ich wusste noch nicht dass ich<br />

an dieser Stelle noch echtes Kino erleben sollte.<br />

Ich wusste natürlich wo ich meine Beatniks finden würde,<br />

da gab´s spezielle nur den Beats bekannte Plätze in<br />

jeder Großstadt Europas, selbst bis hin nach Istanbul.<br />

(Weiter reichten meine Kenntnisse noch nicht).<br />

Also machte ich mich durch fragen auf den Weg zur<br />

Piazza d`Espagnia, der spanischen Treppe.<br />

Und dort saßen sie hochgereiht auf der Treppe, ca. 20oder<br />

30 „Reisende“, die die spanische Treppe und die<br />

Umgebung genossen.<br />

86<br />

Oberhalb der Treppe befand sich die „Villa Bohrghese“,<br />

ein riesiger, mit allen nur erdenklichen Büschen, Bäumen<br />

und Blumen bewachsener sehr gepflegter Park.<br />

Dieser Park sollte für die nächste Zeit mein „Schlafzimmer“<br />

werden.<br />

Ich setzte mich zunächst von allen Leuten entfernt auf<br />

die sehr belebte Treppe, und genoss die letzten Sonnenstrahlen.<br />

Mein Schlafsack, der auch mein „Koffer“ war lag neben<br />

mir, und es dauerte nicht lange, bis mich ein langhaariger,<br />

etwas schmuddeliger ca. 25 Jahre alter Mensch ansprach,<br />

und mich fragte wer ich denn sei, woher ich käme,<br />

und wohin ich wolle. „Woher ich komme, das kann<br />

ich dir erzählen, auch wer ich bin brauch ich nicht zu<br />

verheimlichen, aber wohin ich gehe, das weis ich nicht,<br />

ich bin „auf dem Weg“.<br />

John, ein Amerikaner hatte mich sehr gut verstanden,<br />

und lud mich ein, mit seinen Freunden ein Glas Wein zu<br />

trinken. Ich sagte nicht nein, denn ich war ganz froh,<br />

schon jetzt ein paar Leute kennen zu lernen.<br />

Halli, Hallo, ich kam in eine ca. 10 Frauen und Männer<br />

starke Clique, alle verschiedener Nationalität, und verschiedenen<br />

Alters, und wurde herzlich begrüßt.<br />

Ich hatte den Eindruck, ich war einer der Jüngsten, und<br />

fast der einzige Deutsche unter meinen neuen Bekannten.<br />

Wir sprachen englisch, dass ich ja schon einigermaassen<br />

gut beherrschte, und wir tranken Wein auf der berühmten<br />

Spanischen Treppe.<br />

Unterhalb der Treppe befand sich mitten auf einer breiten


verkehrsreichen Strasse ein wunderschöner Brunnen,<br />

aus dem an allen Ecken Wasser plätscherte. Solche<br />

Brunnen sollte ich noch viele in Rom finden, die Stadt<br />

war voll davon.<br />

87<br />

In der Mitte dieses Brunnens befand sich eine männliche<br />

Statue, die ein Grosses Füllhorn schulterte, aus dem<br />

auch Wasser lief. Dieser Brunnen hatte mich sofort begeistert.<br />

Und überhaupt, die ganze Situation in die ich in Rom<br />

gekommen war, machte mich glücklich, ich hatte ´mal<br />

wieder ´ne Heimat gefunden, und das wusste ich schon<br />

nach den ersten 2 Stunden, die ich in der Stadt war.<br />

Wir stellten uns einander vor, aber ich konnte nicht sofort<br />

Jedem seinen Namen zuordnen, dafür waren es zu<br />

viele.<br />

Einen Namen jedoch konnte ich mir direkt sehr leicht<br />

merken, „Francesca“, eine sehr hübsche Spanierin, die<br />

aus Barcelona war, und auch „auf dem Weg“.<br />

Sie hatte pechschwarzes lockiges Haar, das ihr so gerade<br />

bis an die Schultern reichte. Sie war etwas kräftig gebaut,<br />

aber nur an den richtigen Stellen. Ihr Gesicht war<br />

das einer schönen Zigeunerin, wie Sophia Loren sie<br />

schon ´mal gespielt hatte. Langsam bekam ich den Eindruck,<br />

dass von den Göttern für mich nur Engel reserviert<br />

waren, schwarze und blonde.<br />

Sie schien auch alleine zu sein, jedenfalls war kein männlicher<br />

Begleiter zu sehen, oder zu spüren. Also sprach ich<br />

sie an, und sie unterhielt sich mit mir, während sie permanent<br />

lächelte, was mich tierisch antörnte. Ihr spanischer<br />

Akzent in Englisch war so kräftig, er war nicht zu<br />

überhören. Aber gerade das gefiel mir bei unserem Gespräch<br />

besonders gut.<br />

Francesca war 22 Jahre alt, und schon seit 5 Jahren auf<br />

der Reise. Sie war sogar bis Indien gekommen, aber zum<br />

Glück keinem Guru in die Hände gefallen.<br />

Sie sah die Dinge locker, gestern ist tot, heute leben wir<br />

so intensiv es eben geht, und morgen sehen wir ´mal<br />

weiter.<br />

88<br />

Damit konnte ich gut leben, und Indien war schon lange<br />

mein fernes Ziel. Aber wirklich fernes Ziel, das nur ab<br />

und an in meinem Hinterkopf vorhanden war.<br />

So erinnerte mich Francesca wieder daran, als sie das<br />

Land erwähnte, es war jedoch schnell vergessen. Ich hatte<br />

ganz andere Gedanken im Kopf, wenn ich auf die<br />

Frau schaute.<br />

Francesca stickte kleine schmale bunte Armbänder, wie<br />

sie in Indien aber auch in den Anden Südamerikas hergestellt<br />

wurden. Es waren Glücksbringer, die Francesca<br />

den Leuten mit einem „Zauberspruch“ ums Handgelenk<br />

band, und davon lebte sie.<br />

Es dauerte nicht lange, da hatte ich schon ein solches<br />

Armband am Handgelenk, was sie beim Anbinden brabellte,


hab ich nicht verstanden, sie sagte später nur: „<br />

Das soll dir Glück bringen“.<br />

Den „Zauberspruch“ wollte sie nicht hersagen, „sonst<br />

könnte er sich in Luft auflösen“, erklärte sie mir.<br />

Ich hatte ein besonders schönes, ca. 1 cm breites, sehr<br />

buntes Armband bekommen, das sollte mich auf meiner<br />

Reise begleiten, bis es von selbst abging, bedeutete mir<br />

Francesca.<br />

Wir waren so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir die<br />

Gruppe um uns herum fast vergessen hätten.<br />

Jemand hatte eine neue Flasche Wein ergattert, und wir<br />

sollten mittrinken. Logisch, ein Glas Wein kann nicht<br />

schaden, und das lenkte uns ein wenig voneinander ab,<br />

Francesca sprach mit Leuten aus der Gruppe, die sie<br />

schon länger kannte.<br />

Sie war schon zwei Wochen in Rom, ihr Geschäft florierte,<br />

Touristen gab es auf der spanischen Treppe täglich<br />

en masse. Manchmal schlief sie in einer kleinen Pension,<br />

bei gutem Wetter oft auch im Park. Sie konnte immer in<br />

dieser Pension duschen gehen.<br />

89<br />

Später, als wir uns in ein Café setzten, um Cappuccino<br />

anstatt Wein zu trinken, sagte sie mir, wo diese besonders<br />

preisgünstige und von freundlichen Menschen geführte<br />

Pension war, aber ich solle es Niemand auf der<br />

Treppe sagen.<br />

Ich war erst ´mal stolz, dass sie mir die Adresse der<br />

Pension verraten hatte, und merkte bald, dass sie mich<br />

wohl auch sympathisch fand.<br />

Sie glaubte ich sei 18 Jahre alt, bei dem Glauben ließ ich<br />

sie auch, denn dass ich erst 16 war, wollte ich nicht unbedingt<br />

preisgeben. Dieser Altersunterschied wäre ihr ja<br />

vielleicht zu gross gewesen, man konnte nie wissen.<br />

Sie fragte mich natürlich wie ich mich am Leben hielt,<br />

ich erklärte ihr, dass ich Pflaster bemalte. „Da wirst du in<br />

Rom nur wenig Chancen haben“, sagte mir Francesca,<br />

„es ist so gut wie überall in der Stadt verboten auf die<br />

Bürgersteige zu malen, da kriegst du echt Probleme mit<br />

den Bullen“.<br />

Klar, die Römer hatten Ihre mannigfaltigen Monumente,<br />

die einzigartigen Gebäude aus längst vergangener<br />

Zeit, die bunten Piazzas an jeder Ecke, mit Cafes , von<br />

denen wir Resteuropäer nur träumen konnten, und die<br />

mannigfaltigen, fantastischen Brunnen, sie wollten sich<br />

die Stadt nicht durch Kreidemalerei verschandeln lassen.<br />

Das konnte sogar ich verstehen, obwohl so meine Einkunftsquelle<br />

ausgetrocknet war. Jetzt musste ich mir ´was<br />

anderes einfallen lassen, für die nächste Woche war ich<br />

noch bei Kasse. Ich war sicher, eine Möglichkeit zum<br />

leben zu finden. Viel brauchte ich eh nicht.<br />

Und schliesslich gab´s die schier endlose Reihe von<br />

Frauen, die nicht abgeneigt waren, ein Stück ihrer Lebensstrecke<br />

mit mir zu laufen, und mich dafür gesund


und am Leben zu erhalten<br />

Francesca war plötzlich verschwunden, sie hatte wohl<br />

90<br />

zunächst besseres zu tun, als sich weiter mit mir abzugeben.<br />

Es wurde dunkel, ich war müde, und da die Nacht nicht<br />

kalt werden sollte, begab ich mich in den Park, um meinen<br />

Schlafsack auszurollen, um ´ne Mütze Schlaf zu<br />

nehmen.<br />

Ich fand einen runden Busch, der in der Mitte frei war,<br />

praktisch eine runde Hecke. Ich zwängte mich durch das<br />

Grün, und war von Außen nicht zu sehen. Hier würde<br />

ich eine friedliche Nacht verbringen, und so war es<br />

auch.<br />

Als ich am nächsten Morgen aufwachte stand die Sonne<br />

schon einigermassen hoch, ich rollte den Schlafsack zusammen,<br />

verstaute mein „Gepäck“ darin, und zwängte<br />

mich wieder raus aus dem Gebüsch.<br />

Nach wenigen Schritten stand ich schon oberhalb der<br />

spanischen Treppe, und sah, dass sich schon einige Leute<br />

dort eingefunden hatten, viele mit einem Sandwich zwischen<br />

den Zähnen.<br />

Ich ging noch ziemlich verschlafen auf eine kleine<br />

Gruppe, die man sofort als „Reisende“ erkannte, zu, und<br />

fragte, wo ich so ein Sandwich bekommen konnte.<br />

John, ein langhaariger Amerikaner aus Tulsa, Oklahoma;<br />

zeigte mir einen kleinen Laden auf der anderen Seite der<br />

Strasse am unteren Ende der Treppe, und erklärte mir,<br />

dass man dort wunderbare Brote mit Mortadella für<br />

kleines Geld kaufen könne.<br />

91<br />

Kapitel 14<br />

So ging ich die Treppe runter, überquerte die Strasse,<br />

nicht ohne mir am Brunnen etwas Wasser aufs Gesicht<br />

zu werfen, und kaufte mir ein Riesensandwich mit herrlicher<br />

Mortadella.<br />

Das sollte zunächst ´mal meine preferierte Speise werden,<br />

denn es schmeckte richtig gut, und ich wurde satt,<br />

und es war nicht teuer.<br />

In einem Café einige Häuser weiter leistete ich mir einen<br />

Milchkaffee, und schon war ich für einen neuen Tag<br />

bereit.<br />

Und da kam auch schon Francesca, frisch und sauber,<br />

und sie kam wahrhaftig sofort auf mich zu, gab mir einen<br />

Kuss auf die Wange, und wünschte mir mit ihrem<br />

unnachahmlichen Lächeln einen guten Morgen. In mir<br />

kam gleich Freude auf, denn das Mädchen gefiel mir<br />

ausgesprochen gut.<br />

„Sollen wir Heute etwas zusammen unternehmen“?<br />

fragte sie mich, und ich nickte freudig. Etwas Netteres<br />

konnte mir nicht geschehen.<br />

Was sollte ich in der mir noch völlig unbekannten Stadt<br />

schon alleine machen. Arbeiten ging nicht, also machte<br />

ich mich mit Francesca auf zu einer Bushaltestelle.


„Wir fahren zunächst ´mal zum Petersdom, da bekommst<br />

du deinen Segen, den du in dieser Stadt benötigst“,<br />

sagte Francesca lächelnd. Ich hatte langsam den<br />

Eindruck, als könne diese Frau nur lachen, das Leben<br />

schien ihr gut mitgespielt zu haben.<br />

Ticket brauchten wir nicht, Kontrollen waren in römischen<br />

Bussen nur sehr selten der Fall.<br />

Als wir am Ziel ankamen, und ich aus dem Bus stieg,<br />

hakte sich Francesca bei mir ein, und ich war bei dem<br />

92<br />

Blick auf den Petersdom und dem grossen Platz davor<br />

sehr beeindruckt, so `was hatte ich noch nicht gesehen,<br />

eine Pracht, die automatisch Respekt einflösste.<br />

„Na, hab ich dir zuviel versprochen“, fragte Francesca,<br />

und ich konnte nur mit „nein“ antworten.<br />

Wir gingen über den Platz in Richtung Dom, Francesca<br />

hatte einen hübschen Rock an, der ihr bis zu den<br />

Knien reichte, und ein leichtes, aber undurchsichtiges<br />

Top.<br />

Sie erklärte mir, dass für Frauen der Eintritt in den Dom<br />

nur korrekt gekleidet möglich war. War der Rock zu<br />

kurz, oder zeigte die Oberbekleidung zu viel weibliches<br />

Fleisch, wurden die Mädels nicht ´reingelassen.<br />

Ich fand das zwar sehr übertrieben, aber so waren halt<br />

die Gesetze des päpstlichen Ordinariats. Als wir durch<br />

das riesige Portal in den Petersdom gingen konnte ich<br />

nur noch staunen, eine solche Pracht war wohl nur für<br />

den lieben Gott reserviert.<br />

Langsam schritten wir respektvoll in den Dom hinein,<br />

und es gab viel zu sehen!<br />

Links und rechts war der Dom mit vielen Heiligenfiguren<br />

geschmückt, aber als ich hoch an die Decke schaute,<br />

bekam ich fast Gänsehaut, die Fresken von Altmeister<br />

Michelangelo waren prächtig. Ich blieb lange an einer<br />

Stelle stehen, um mir die aussergewöhnlichen Gemälde<br />

zu betrachten.<br />

Und davon gab es reichlich, der gesamte hintere Altarbereich<br />

war über und über mit Fresken bemalt.<br />

Dann schaute ich mich weiter im Altarbereich um, die<br />

schwarzen Säulen, von denen die Decke um den Altar<br />

gehalten wurden, waren mächtig, und gaben dem in<br />

weißlich gehaltenem Bild des Doms einen besonderen<br />

Aspekt.<br />

Die Dinger waren wahrhaft mächtig, Francesca, die ich<br />

93<br />

fast vergessen hatte, und die mich alleine den Dom entdecken<br />

ließ, erklärte mir, dass diese Säulen von einem<br />

römischen Imperator aus Ägypten hierher geschleppt<br />

worden waren. Ein Geschenk Ägyptischer Könige, die<br />

von Kleopatras Gnaden Ländereien und genug Sklaven<br />

besaßen., um die Säulen nach Rom zu verschiffen.<br />

Genug der Geschichte, ich kam langsam wieder auf den<br />

Boden zurück, über den ich mit der hübschen Frau am


Arm langsam und noch stets respektvoll eine große<br />

Runde durch den Dom schlenderte.<br />

Bis ich an einer mächtigen Skulptur Halt machte, aus<br />

hellem, grünlich schimmernden Marmor gearbeitet, sah<br />

ich die Maria mit dem toten Jesus auf ihrem Körper liegend,<br />

ich stand vor der Pieta, einer der feinsten Arbeiten<br />

des grossen Meisters Michelangelo.<br />

Ich war dermassen beeindruckt, ich musste erstmal wieder<br />

raus in die Realität des 20. Jahrhunderts.<br />

Francesca hatte deutlich gemerkt, dass ich ein ganz besonderes<br />

Erlebnis hinter mir hatte, und sie schlang ihre<br />

Arme um meinen Hals, gab mir einen Kuss, und sagte in<br />

ihrem so schön spanisch klingenden englisch:“Das hat<br />

dir wohl gefallen“. Ich bekam kaum noch ein Wort heraus,<br />

und konnte nur nicken.<br />

„Komm, wir brauchen jetzt etwas Speed, der Tag ist<br />

noch lang“, sagte Francesca.<br />

Es war gegen Mittag. Wir uns in ein kleines Café und<br />

bestellten doppelten Espresso. Der Kaffee tat mir gut,<br />

und ich versuchte die hinter mir liegenden Eindrücke zu<br />

realisieren, was mir nur sehr schwer fiel. So viel antike<br />

Kunst auf einen Schlag war nicht leicht zu verarbeiten.<br />

„Ich glaube, ich sollte jetzt eine Dusche finden, ich<br />

hab´die Nacht im Park noch auf dem Fleisch“, bedeutete<br />

ich Francesca. „Na dann los, wir fahren in meine Pension“.<br />

94<br />

Wir sprangen in den nächsten Bus Richtung spanische<br />

Treppe. Francesca führte mich durch kleine Gassen bis<br />

zu einem sehr sauberen Haus, das erdfarben gestrichen<br />

war, und blitzsaubere Fenster hatte.<br />

Neben der Eingangstür prahlte ein Stern, die Pension<br />

hiess „picola Casa“, und ich folgte meiner neuen Freundin<br />

hinein. „Bonjorno“ rief eine kleine schwarz gekleidete<br />

freundlich lachende alte Frau, die eine bunte Schürze<br />

trug.<br />

„Das ist Eric, er muss duschen, ist das möglich, Maria?“<br />

fragte Francesca. „Si, naturalmente“, antwortete die<br />

Frau, und gab mir einen Schlüssel.<br />

Da ich noch einigermaassen bei Kasse war, und nicht<br />

unbedingt jede Nacht im Park verbringen wollte, und<br />

die Nähe Francescas sehr zu lieben begann, fragte ich<br />

nach einem freien Zimmer.<br />

Es gab noch zwei freie Zimmer, jedes hatte ein Waschbecken,<br />

Dusche auf dem Flur. So war der Preis auch<br />

leicht bezahlbar, und ich mietete mich erstmal für eine<br />

Woche ein.<br />

Ich bekam den Eindruck, dass Francesca, die die ganze<br />

Zeit neben mir stand, diese meine Idee gut fand, denn<br />

sie strahlte mich an. „Ich hab ab Gestern auch ein Zimmer<br />

genommen, du wohnst jetzt direkt neben mir“ sagte<br />

sie freudig mit einem etwas schüchternen Lächeln.<br />

Jetzt war ich erst den zweiten Tag in Rom, hatte schon<br />

eine Freundin und ein Zimmer, was wollte ich mehr.


„Jetzt geh erstmal duschen, deine Sachen holen wir später<br />

aus dem Park“, bedeutete Francesca.<br />

Nichts lieber als das, aber ich wollte vorher Unterwäsche<br />

kaufen, einen kleinen Laden dafür hatte ich drei Häuser<br />

weiter gesehen. „Klopf an meine Türe wenn du zurück<br />

bist“, sagte Francesca.<br />

Also holte ich mir zwei paar Boxer-Shorts, zwei weisse<br />

95<br />

T-Shirts, und kehrte in die Pension zurück.<br />

Ich hatte Zimmer 5, also musste Francesca in der 6 wohnen,<br />

es gab auf diesem Flur nur zwei Zimmer, und die<br />

Dusche. Ich nahm mir ein bereitliegendes Handtuch,<br />

und klopfte an Francescas Tür, die sofort öffnete, und mit<br />

einem grossen Handtuch umwickelt herauskam. „Sicher<br />

hast du keine Seife“ lächelte der Engel mich an, und ich<br />

konnte nur nicken. „Siehst du, hab ich alles hier, sogar<br />

eine noch neue Zahnbürste hab ich für dich“.<br />

„Ja möchtest du zuerst duschen“, fragte ich sie? „Das<br />

können wir doch gemeinsam erledigen“ erhielt ich als<br />

Antwort. Meine Freude ließ sich kaum noch verbergen.<br />

Als Francesca neckisch lächelnd die Dusche aufdrehte,<br />

das Handtuch von ihrem Körper fallen ließ, wähnte ich<br />

mich im 7. Himmel. War das eine schöne Frau. Braun<br />

gebrannt, nur unter dem Nabel und am Po ein wenig<br />

weiß, sprang sie in den kräftigen Strahl der Dusche, und<br />

zog mich zu sich hinein.<br />

Aus dem Engel wurde ein Teufel in Frauengestalt, das<br />

zum Weib verwandelte Wesen nahm sich von mir was sie<br />

wollte, und ich ließ alles gerne geschehen. Der Petersdom<br />

und seine Heiligkeit waren vergessen.<br />

Das nun folgende Vergnügen dauerte ziemlich lange,<br />

Francesca lachte viel, und stöhnte oft lustvoll auf, was<br />

mir nicht anders ging. Jetzt war die heißblütige Spanierin<br />

in Francesca geweckt.<br />

Das Liebemachen war auf die Dauer im Stehen ungemütlich,<br />

so seiften wir uns gegenseitig ab, trockneten<br />

unsere Haut, putzten uns die Zähne, wofür vor dem Duschen<br />

keine Zeit blieb, die Lust hatte es verhindert.<br />

Dann führte mich Francesca schnell in ihr Zimmer, zog<br />

mich auf ein grosses Bett, und wir vergnügten uns ausgiebig<br />

bis in den späten Nachmittag.<br />

Diese Frau gehörte jetzt mir, hatte ich beschlossen, etwas<br />

96<br />

Besseres konnte mir erstmal nicht begegnen. Schwarzes<br />

Haar und spanisches Temperament kamen mir gerade<br />

recht.<br />

Ich ging in mein Zimmer, und zog mir frische Wäsche,<br />

eine saubere Jeans, und ein sauberes Hemd an. Die Klamotten<br />

hatte ich mir auf dem Weg zur Pension aus dem<br />

Gebüsch der Villa Borghese geholt, der Schlafsack lag<br />

nun ungenutzt in einer Ecke meines neuen Zimmers.<br />

Eine Woche ging schnell ins Land, Francesca und ich<br />

hingen meist aneinandergekettet auf der spanischen


Treppe und verbrachten unsere Tage gemeinsam, besuchten<br />

schöne Plätze in Rom, sie kannte sich wirklich<br />

aus in dieser Stadt, die ich durch ihre Führung gut kennen<br />

lernte. Wir liebten und täglich und nächtlich ausgiebig.<br />

Dann war sie plötzlich verschwunden. Ohne ein Wort<br />

des Abschieds hatte sie sich davongemacht. Als ich Maria<br />

fragte, ob sie wisse, wohin Francesca gegangen war,<br />

schüttelte sie nur den Kopf, sie sagte mir dass sie nicht<br />

gemerkt hätte wie oder wann Francesca das Haus verlassen<br />

hatte. Sie sagte nur, dass ihr Zimmer geräumt sei.<br />

97<br />

Kapitel 15<br />

Ich war schon etwas traurig, dass die Frau einfach so gegangen<br />

war, schluckte diesen Umstand aber schnell. So<br />

meldete auch ich mich ab aus der Pension, denn erstens<br />

wollte ich nicht alleine dort bleiben, und zweitens ging<br />

mein Geld auch langsam aber sicher zu Neige.<br />

Viel zu schleppen hatte ich eh nicht, und ich machte<br />

mich mit meinen Habseligkeiten auf den Weg zur spanischen<br />

Treppe.<br />

Ich ging zur Clique um John, der mich herzlich begrüsste,<br />

und fragte, wo die Frau denn sei, er hatte uns fast täglich<br />

miteinander gesehen. „Gone with the Wind“ antwortete<br />

ich, damit war der Fall erledigt.<br />

Nun lebte ich wieder auf der spanischen Treppe mit den<br />

anderen „Homeless Peoples“, aber es war immer lustig.<br />

Täglich kamen neue Beatniks zur Treppe, andere zogen<br />

weiter in eine andere Stadt. Ich war wieder ein „Rolling<br />

Stone“, wie ich es von Bob Dylan, dem grossen musikalischen<br />

Meister für uns Beatniks, gehört hatte, und fühlte<br />

mich gut dabei.<br />

Meine Geldreserven waren so gut wie aufgebraucht, ich<br />

musste mit was einfallen lassen.<br />

Eine Zeitlang lebte ich von Schulbroten der Gymnasiastinnen,<br />

und den Spenden der Studenten, die immer<br />

reichlich auf der Treppe versammelt waren, sie fanden es<br />

chic, mit den „Reisenden“ zusammen zu sein, und ihre<br />

Geschichten zu hören. Die hörten sie lieber als die Arbeiten<br />

an der Schule, oder die Vorlesungen an der Uni.<br />

Schlafen musste ich im Park, was meiner guten Laune<br />

keinen Abbruch tat. Duschen konnte ich immer noch in<br />

Marias Pension, wenn auch nicht täglich. Bald waren alle<br />

meine Bekannten in alle Himmelsrichtungen unter-<br />

98<br />

wegs, und ich war schon fast 6 Wochen in Rom, wobei<br />

ich ziemlich gut italienisch sprechen lernte.<br />

Eines Tages, es ging langsam auf herbstliche Zeiten zu,<br />

sah ich ein neues Gesicht auf der Treppe, alleine sitzen.<br />

Natürlich ein Frauengesicht, kurze blonde Haare, ein<br />

nettes aber durchschnittliches Gesicht, in Jeans und engem<br />

Pulli machte sie eine gute Figur.<br />

Ich merkte schon bald, dass sich die Männer aus der Clique<br />

an der Frau zu interessieren begannen.


Also war ich der Schnellste, ging ein paar Stufen hoch zu<br />

ihr, setzte mich neben sie und stellte mich vor. Liesa hieß<br />

das Mädel, war 19 Jahre alt und Österreicherin. Sie war<br />

sehr sauber gekleidet, und roch nach gutem Parfüm.<br />

„Was macht ein so hübsches Mädel hier auf der spanischen<br />

Treppe, und das noch ganz alleine“, fragte ich sie.<br />

„Ich war eigentlich bei einer Freundin eingeladen, eine<br />

schon etwas ältere Malerin, bei der ich einen Monat<br />

bleiben wollte“, ging sie sofort auf meine dumme Frage<br />

ein. „Aber wir haben Krach bekommen, und ich weis<br />

nun nicht ob ich zurück nach Hause fahre, oder sonst<br />

was unternehme“. „Wie wär’s, ich will nach Athen,<br />

möchtest Du mitkommen?“ fragte ich sie.<br />

Sie überlegte nicht lange und sagte „ja, ich komme mit<br />

dir, ich hab Zeit“.“Wir müssen trampen, ich hoffe das ist<br />

dir klar“, sagte ich. „Ich bin nicht von Gestern, Eric, das<br />

weis ich doch“. Sie verabschiedete sich kurz, und sagte,<br />

dass sie bei ihrer Freundin Ihr Gepäck holen wolle.“<br />

Nicht zuviel, das stört nur“, rief ich ihr nach. Sie<br />

nickte lächelnd.<br />

John kam auf mich zu, und sagte mir freundlich: „Daran<br />

war ich auch interessiert, du Hund warst nur ein wenig<br />

schneller als ich“. „Ja, so ist das“, antwortete ich schmunzelnd<br />

und stolz. „Wir sehen uns in spätestens 2 Wochen<br />

in Athen auf der Akropolis“, verabredeten wir uns.<br />

99<br />

Es war nun mal immer von Vorteil, eine Frau beim<br />

trampen dabei zu haben. Und überhaupt, es war ´ne nette<br />

Frau, und für nette Frauen war ich immer offen.<br />

Ca. 2 Stunden später stand Liesa mit einer kleinen Reisetasche<br />

in der Hand neben mir auf der Treppe und lächelte<br />

mich an. „Ich bin soweit, wir können los“ bedeutete<br />

sie mir. „Ich hatte noch ein wenig Stress mit meiner<br />

Freundin, sie wollte mich nicht so einfach gehen lassen,<br />

ohne zu wissen, wo die Reise hingeht. Ich hab ihr nicht<br />

gesagt, dass ich mit dir nach Athen trampen werde, sie<br />

hätte mich niemals so gehen lassen, und hätte sich möglicherweise<br />

mit meinen Eltern in Wien abgesprochen,<br />

und das wollte ich auf keinen Fall“.<br />

Das Mädel kam aus gutem Hause, das war stark zu merken.<br />

Sie war noch nie mit ´nem Beatnik unterwegs gewesen.<br />

Aber einmal ist immer das erste Mal. Jedenfalls<br />

war ich froh sie bei mir zu haben.“ Sollen wir noch essen<br />

geh´n, ich lad dich ein“, sagte Liesa und schaute<br />

mich fragend an. „Klar, ein guter Teller Spagetti wäre<br />

nicht zu verachten“, antwortete ich ihr.<br />

Natürlich kannte ich ein immer offenes Restaurant, wo<br />

es die besten Spagettis in Rom gab.<br />

Und die waren nicht ´mal teuer.<br />

Ich wollte Liesas Geldbeutel auch nicht überstrapazieren,<br />

sie wusste schon, dass ich so gut wie Pleite war. Aber<br />

dieser Umstand schien ihr absolut nichts auszumachen.<br />

Ich bekam so eine Ahnung, dass ich mir wegen Kohle


keine grossen Gedanken machen musste, und das war<br />

gut so!<br />

Die Reise würde schwerlich genug sein. Wir mussten<br />

zunächst in den tiefen Süden, Napoli wollte ich unbedingt<br />

mitnehmen, und dann auf die andere Seite nach<br />

Bari, von wo aus uns eine Fähre nach Patras bringen<br />

sollte, und dann nach Athen trampen.<br />

100<br />

Ich hatte mich von allen Freunden auf der Treppe verabschiedet,<br />

John schenkte mir noch einen lächelnd „bösen<br />

Blick“, und wünschte „gute Reise, du Abstauber“.<br />

Also machten wir uns erstmal mit dem Bus auf, um zu<br />

einem Autobahnzubringer zur Autostrada del Sole zu<br />

gelangen.<br />

Schnell hatten wir einen Anhalter, ein Italienischer<br />

Gentleman wollte nach Frosinone, das lag genau auf unserem<br />

Weg in den Süden. Und ein gemütliches Gefährt<br />

hatte er auch. Ich kann nicht sagen, ob er mich ohne<br />

Liesa mitgenommen hätte.<br />

Jetzt waren es nur noch ca. 100 km bis Napoli. Ich wollte<br />

versuchen, mit meiner Kreide dort ein paar tausend<br />

Lire zu machen, und auf keinen Fall nur von Liesas Börse<br />

leben.<br />

Es war früher Nachmittag, und wir hatten Hunger bekommen.<br />

Lisa hielt mit Leichtigkeit einen Anschlusswagen<br />

an, und wir kamen bis zum 30 km weiteren Cassino.<br />

Dort aßen wir etwas, und wollten uns weiter auf die<br />

Reise Richtung Napoli machen. Es sollten noch genau<br />

82 Km sein, wie ich auf einem Schild lesen konnte.<br />

Aber da es schon ziemlich dunkel war, beschloss Lisa ein<br />

kleines Hotel zu finden, wo wir die Nacht verbringen<br />

wollten. Nachts in Napoli anzukommen hielten wir Beide<br />

nicht unbedingt für angebracht.<br />

Wir fanden auch ein preiswertes Hotel, und Liesa bestellte<br />

ein Doppelzimmer, ich hatte kein Geld um eins<br />

zu bezahlen.<br />

Und um draussen zu schlafen war es schon zu kalt. Wir<br />

bezogen das Zimmer, und Liesa die Klamotten aus. Ich<br />

machte mich auch Bettfertig, ich war ernsthaft müde.<br />

Liesa kroch ins Bett, zog die Decke hoch, und sagte<br />

selbstverständlich „gute Nacht, Eric, bis morgen“. Und<br />

101<br />

schon war sie eingeschlafen.<br />

Ich legte mich auf die noch freie Seite des Betts, und<br />

schlief auch bald ein. Eine neue Erfahrung, ich lag mit<br />

einer süssen Frau im Bett, und nichts geschah, ausser dass<br />

wir schliefen. Das ist wohl der Ausdruck für<br />

„ miteinander schlafen“. Ich war halt noch in der Lehre.<br />

Am nächsten morgen gegen 9 Uhr wurde ich wach, Liesa<br />

stand schon nackt am Waschbecken, und wusch sich<br />

ausgiebig.<br />

„Na, hast du gut geschlafen“ fragte sie mich ohne sich<br />

irgendwie zu bedecken. „Schamloses Weibstück“, dachte


ich mir, am liebsten hätte ich sie sofort zurück ins Bett<br />

gezogen, hielt mich jedoch bedeckt.<br />

Ich betrachtete im Bett liegend die „Wäscherei. `Sehr<br />

reizvoll` konnte ich nur denken, und schaute weiter auf<br />

das Spiel mit der Seife und dem Wasser auf Liesas zarter<br />

Haut über dem makellosen Körper.<br />

Jedenfalls war sie ein sehr sauberes Wesen, was man von<br />

mir in manchen Situationen nicht sagen konnte. Wenn<br />

z.B keine Dusche oder eine andere Waschgelegenheit in<br />

Reichweite waren, zog ich trotzdem immer weiter meinem<br />

jeweiligen Ziel entgegen.<br />

Unser Ziel für Heute war Napoli, und nach einem ausgiebigen<br />

Frühstück machten wir uns auf den Weg zur<br />

Autobahn.<br />

Schon gegen Mittag waren wir in angekommen, ein<br />

netter Herr hatte uns abgesetzt.<br />

Kaum waren wir aus dem Auto ausgestiegen, waren wir<br />

von einer Riesenbande Kinder umringt, die alle ihre<br />

Hände aufhielten, und irgendetwas von uns wollten.<br />

Nach ca. einem Km waren wir die Bande los, und begaben<br />

uns in die Innenstadt von Napoli.<br />

Schnell hatte ich einen belebten Platz ausgemacht, und<br />

fand ein glattes Stück von einem breiten Bürgersteig, auf<br />

102<br />

dem ich malen konnte.<br />

Lisa fand das gut, und setzte sich auf eine kleine Mauer,<br />

die einen Teil der Piazza umgab.<br />

Es dauerte nicht lange, und schon war die Polizei angerückt.<br />

Sie kontrollierten unsere Papiere, und liessen uns<br />

gewähren. „Cool“, sagte ich zu Liesa, ich konnte weiter<br />

Lire machen, und das reichlich.<br />

Es gab ´ne menge Touristen , die über die Piazza schlenderten,<br />

und Geld in mein Kästchen warfen, auch Einheimische<br />

blieben stehen, um mir bei der Arbeit zuzusehen,<br />

und warfen ein paar Lire in meine Kasse.<br />

Die Polizei kam immer wieder, es waren immer andre,<br />

die unsere Ausweise sehen wollten, und nach der Kontrolle<br />

abzogen. Mein schöner Ausweis wurde immer<br />

bunter und abgenutzter von der Kreide, die ich an den<br />

Händen hatte.<br />

Am Abend gegen 22 Uhr stellte ich die Arbeit ein, es<br />

wurde dunkel, und die Piazza war nicht sonderlich gut<br />

beleuchtet Lisa hatte fast den ganzen Nachmittag bei mir<br />

gesessen, ab und zu holte sie ein Stück Pizza, oder Wasser<br />

zum trinken.<br />

„Das ist schön, was du da gemalt hast, ich mag Modegliani“,<br />

komplimentierte mich Liesa.“ Und deine Kopie<br />

ist wahrlich gut gelungen“.<br />

In Napoli wollten wir auf keinen Fall im Freien übernachten,<br />

das war uns dann doch zu kriminell. Also<br />

machten wir uns nach einem sehr wohlschmeckenden<br />

Teller Spagetti auf die Suche nach einer günstigen<br />

Schlafgelegenheit.


Es waren nur einige hundert Meter, dann hatten wir ein<br />

kleines Hotel gefunden. Nachdem ich mit einem lustigen<br />

Portier den Preis um die Hälfte heruntergehandelt<br />

hatte, bekamen wir ein Doppelzimmer für wenig Geld.<br />

Die Dusche war natürlich auf dem Flur, was unserer<br />

103<br />

Freude auf ein gutes Bett keinen Abbruch tat.<br />

Ich duschte als erster, denn ich sah aus wie ein bunter<br />

Kalender, dauernd auf den Knien in der Kreide. Meine<br />

Hände hatte ich schon einigermassen sauber gekriegt,<br />

bevor wir essen waren, aber der Rest von mir war von<br />

der Kreide übermalt.<br />

Ich blieb recht lange in der Dusche, es war nicht gerade<br />

einfach so richtig sauber zu werden, und das heisse Wasser<br />

tat mir richtig gut.<br />

„Du warst aber lange weg“, sagte Liesa, „aber du siehst<br />

jetzt wieder wie ein normaler Mensch aus. Ich hätte es<br />

nicht für möglich gehalten, dass du noch´mal sauber<br />

wirst“, scherzte sie<br />

Als Liesa in die Dusche ging, fiel ich in das grosse Bett,<br />

ich war eigentlich müde, freute mich aber schon auf Lisas<br />

Rückkehr ins Zimmer.<br />

Und da kam sie dann, nur mit Handtüchern um den<br />

Leib und auf dem Kopf bekleidet, ihre Kleider hatte sie<br />

in der Hand.<br />

Etwas schüchtern ließ sie das grosse Handtuch fallen,<br />

kroch auch sofort unter die Decke, die sie sich bis zum<br />

Hals hochzog. „Na, geht’s Dir gut“? fragte ich sie. „Ja, es<br />

könnte besser nicht sein, ich hatte einen schönen Tag<br />

hier in Napoli, und es hat mir Freude bereitet, Dir beim<br />

malen zuzuschauen, und nun haben wir auch noch ein<br />

schönes Bett“.<br />

Ich kroch näher an sie heran, und legte ihr meine Hand<br />

auf den Bauch. Liesa lächelte schüchtern, sah mich fragend<br />

an, und nahm sich das nasse Handtuch vom Kopf.<br />

Ihre kurzen Haare waren strubbelig zerzaust, aber sie sah<br />

zum Anbeissen aus. Und das tat ich dann auch, ich küsste<br />

sie.<br />

Zunächst auf die mir zugewandte Schulter, ich bemerkte<br />

etwas Steifigkeit, aber schon hatte ich sie auf den<br />

104<br />

Mund geküsst. Sie ließ es geschehen, ich küsste sie drängend,<br />

und ließ meinen Händen freien Lauf über Liesas<br />

Körper.<br />

Sie fühlte sich noch etwas feucht von der Dusche an, was<br />

mich erregte, aber auch sonst wurde Lisa sehr feucht.<br />

Ich spielte mit Ihr, sie ließ es geschehen, streichelte mich<br />

auch zärtlich, aber sie war wohl nicht so auf Sex aus wie<br />

ich es war.<br />

Ich konnte mit ihr machen was ich wollte, sie reagierte<br />

auch, und stöhnte lustvoll. Nachdem ich dann gekommen<br />

war, sprang sie schnell aus dem Bett, und ging sich<br />

waschen.


´Eigenartige Reaktion auf unser Spielchen, `dachte ich<br />

mir, aber ich konnte sie selbstverständlich nicht mit der<br />

heißblütigen Francesca vergleichen.<br />

Einen Vergleich wollte ich auch nicht wirklich ziehen,<br />

aber Liesa benahm sich schon anders, als all die Frauen,<br />

die ich bisher kannte.<br />

Lächelnd kam sie zurück ins Bett, und schmiegte sich an<br />

mich, wobei sie ihren Arm auf meine Brust legte. „Sicher<br />

hast du dich gewundert, dass ich nicht so bei der<br />

Sache war, aber ich muss dir gestehen, ich bin lesbisch,<br />

dass ich mit dir geschlafen habe, habe ich für dich getan,<br />

ich hatte gemerkt, dass ich dir auch als Frau gefalle“. erklärte<br />

Liesa.<br />

„Aber dies war das einzige und letzte mal, dass wir Sex<br />

hatten, ich kann einfach nicht gut mit Männern, ich liebe<br />

Frauen, bitte versteh das“.<br />

Zunächst war ich natürlich etwas befremdet über Lisas<br />

Geständnis, ich hatte noch keine lesbischen Frauen kennegelernd.<br />

„Das ist O.K.“, antwortete ich auf Liesas Geständnis,<br />

„wir können ja trotzdem Freunde sein, und unsere Reise<br />

fortsetzen.“<br />

105<br />

Lisa schien sehr erleichtert, sie umarmte mich nochmals<br />

herzlich, küsste mich fest auf den Mund, legte sich auf<br />

ihre Seite des Bettes, und war auch schon eingeschlafen.<br />

So schnell konnte ich in dieser Nacht nicht einschlafen,<br />

ich machte mir die verrücktesten Gedanken.<br />

Aber ich war einfach froh Liesa bei mir zu haben, sie<br />

hatte sich mir sogar bereitwillig hingegeben, was für eine<br />

Lesbe nicht einfach ist, wie ich später erfahren konnte,<br />

und schon war ich irgendwann zufrieden einschlafen.<br />

Ich erwachte schon früh am nächsten morgen, Lisa<br />

schleif noch tief und fest, und so verließ ich leise das<br />

Bett, ging in ein Café in der Nähr unseres Hotels, und<br />

bestellte einen starken Kaffee.<br />

Ich besorgte ein paar Croissants, die noch warm und<br />

frisch waren, und kehrte ins Hotel zurück. Liesa war aufgewacht,<br />

sie hatte einen etwas traurigen Blick in den<br />

Augen.<br />

„Ich dachte schon du hättest dich alleine weiter auf die<br />

Reise gemacht, ich wurde richtig traurig, als ich eben alleine<br />

im Zimmer war, als ich aufwachte. Ich hätte es aber<br />

trotzdem verstanden, nach meinem Geständnis von gestern<br />

Abend“, sagte Liesa leise.<br />

„Nein, nein, das ist schon in Ordnung“ entgegnete ich<br />

ihr, „ Sex ist schliesslich nicht die einzige Freude im Leben,<br />

ich bin sicher, wir werden noch ´ne menge davon<br />

haben, auch ohne Sex“. „Da bin ich aber froh, ich hätte<br />

es nur schwer ertragen, dich schon jetzt verloren zu<br />

haben“.<br />

„Ich möchte weiter mit dir reisen, ich mag dich nämlich,<br />

sonst wäre ich gestern nie soweit gegangen“, sagte<br />

Liesa noch, und steckte sich ein Stück vom Croissant in


den hungrigen Mund.<br />

„Ich brauche dringend Kaffee“, „sonst werd ich nicht<br />

richtig wach“, bedeutete Lisa während sie sich anzog.<br />

106<br />

`Mann ist das ´ne geile Braut`, dachte ich während Lisa<br />

ihre Schuhe anzog und sich dafür bücken musste. `na ja,<br />

es gibt noch viele andere Frauen für meine sexuellen<br />

Bedürfnisse, Liesa wird auf jeden Fall erstmal weiterhin<br />

meine Reisebegleiterin bleiben, sie ist ein richtig süsses<br />

Wesen lesbisch oder nicht`.<br />

Also gingen wir wieder in ein nahe gelegenes Café, um<br />

Liesas Kaffeedurst zu stillen. Auch ich trank noch einen<br />

doppelten Espresso mit etwas Milch und Zucker, und<br />

sah dann eine Musikbox an der Wand.<br />

Ich ging auf die Box zu, und sah, dass auch Songs von<br />

den Beatles zu hören waren. Sofort steckte ich eine<br />

Münze in den Musikapparat, und schon klangen mir die<br />

so sehr geliebten Songs um die Ohren.<br />

„Du magst Musik“, fragte Liesa. „Musik ist ein Lebenselixier<br />

für mich“, entgegnete ich. „ Ich bin auch ein<br />

Beatles – Fan“, erklärte Liesa, „Zu hause in Österreich<br />

hab´ich ´ne grosse Plattensammlung, Musik ist auch für<br />

mein Leben äusserst wichtig“.“ Ich höre aber auch gerne<br />

klassische Musik“, erwähnte sie noch.<br />

Damit konnte ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens<br />

noch gar nichts anfangen, aber das sagte ihr nicht.<br />

„All you need is Love“, klang es aus der Musikbox, wir<br />

hatten beide Freude an dem Song, während wir uns<br />

zärtlich anschauten.<br />

Es war schon einige Zeit her, dass ich Beatles und andere<br />

englische Musik gehört hatte, ausser der selbstgemachten<br />

Gitarenmusik von der spanischen Treppe, wo<br />

schon mal einige recht gute Musiker aufspielten.<br />

Manche brachten uns sogar zum tanzen auf der Treppe,<br />

was die vorbeiflanierenden Leute verwunderte. Aber die<br />

waren sowieso über unseren Lebensumstand erstaunt.<br />

Da waren mit Sicherheit viele dabei, die gerne auch so<br />

gelebt hätten wie wir Beatniks.<br />

107<br />

„So, Liesa, jetzt geht Eric ´mal wieder ein wenig arbeiten,<br />

ich hab das Geld für die Fähre nach Griechenland<br />

noch nicht zusammen“. Wir machten uns auf an den<br />

Platz, an dem ich schon gestern gemalt hatte. Die Farben<br />

von meinem Gemälde waren etwas verblasst, aber es genügte<br />

eine halbstündige Reparatur mit frischer Kreide,<br />

und die Lady von Meister Modegliani leuchtete wieder<br />

in frischem Glanz.<br />

Warum sollte ich ein neues Bild malen, die Touristen<br />

von gestern waren längst weiter gezogen, und es kamen<br />

immer neue. Ich setzte mich auf das Mäuerchen neben<br />

Liesa, und betrachtete das schon zu so früher Stunde lebendige<br />

Treiben auf der Piazza.<br />

Aber so früh war es auch wieder nicht, als ich auf Lisas


Uhr schaute sah ich, dass es schon fast Mittag war. Wir<br />

hatten wohl lange geschlafen.<br />

Liesa erzählte mir von ihrem Aufenthalt in Rom, die römische<br />

Malerin, bei der sie zunächst bleiben wollte, war<br />

auch ´ne Lesbe, aber mit der schon 38 jährigen Frau, die<br />

sie schon länger kannte, kam sie nicht mehr klar.<br />

Und deshalb hatte sie sich zunächst ´mal auf die spanische<br />

Treppe gesetzt, um zu überlegen, ob sie nun zurück<br />

nach Wien fahren sollte.<br />

Doch dann war ich in ihre Überlegungen eingefallen,<br />

und so entschied sie sich für „Abenteuer“. Sie hatte<br />

noch einen Monat Urlaub von der Universität, wo sie<br />

Architektur studierte.<br />

Der Monat Oktober rückte gnadenlos näher, und es<br />

wurde auch in Napoli kalt am Abend.<br />

Wir blieben 5 Tage in der Stadt, die wir auch zusammen<br />

zu entdecken suchten. Sie gefiel uns sehr, Napoli war eine<br />

schöne Stadt, mit vielen Sehenswürdigkeiten.<br />

Genau am 1. Oktober machten wir uns wieder auf die<br />

Reise. Wir fuhren mit dem Bus bis an den Rand der<br />

108<br />

Stadt, fanden eine Autobahnauffahrt in Richtung Bari,<br />

das war einmal über den unteren Teil des italienischen<br />

Stiefels, und schon war diese Hafenstadt erreicht.<br />

Wir kamen schon mit dem ersten Auto nach Barletta,<br />

dann bis Molfetta, das lag schon an der Adria, was wir einen<br />

Tag genossen.<br />

Eine schöne süditaliänische Stadt, in der ich noch´mal<br />

einige Tausend Lire verdiente. Wir schliefen gemeinsam<br />

in meinem Schlafsack, lagen also sehr nah aneinander,<br />

was mich zwar reichlich erregte, aber ich schob meine<br />

Wünsche in dieser Situation schnell weg, und zufrieden<br />

lächelnd legte Lisa ihren Arm um mich, wir schliefen<br />

friedlich ein.<br />

Am nächsten morgen, es war wohl Sonntag, denn die in<br />

Molfetta reichlich vorhandenen Kirchen läuteten uns<br />

laut aus dem Schlaf. Es war erst sieben Uhr, so früh waren<br />

wir noch selten aufgewacht.<br />

Wir pellten uns aus dem Schlafsack, Liesa lächelte mich<br />

freundlich an, das Mädel war so gut wie täglich morgens<br />

sofort gut drauf und wir suchten ein Cafe´, um uns etwas<br />

frisch zu machen, und einen grossen, starken Kaffee<br />

zu schlürfen.<br />

Zum Glück hatten wir ein Café gefunden, in dem die<br />

Sanitären Anlagen geräumig und sauber waren, so konnten<br />

wir uns den Schlaf richtig gut aus den Augen wischen.<br />

Dann waren wir sehr schnell in Bari, das nur wenige km<br />

von Molfetta entfernt war.<br />

Ich hatte das Geld für die Fähre nach Patras zusammengemalt,<br />

und war recht froh, nicht von Liesa abhängig zu<br />

sein. Wie es dann in Griechenland weiter gehen sollte<br />

war nicht klar, aber das war mir – wie immer – scheissegal.<br />

Hauptsache wir kamen bis Athen wo wir ja mit


John und anderen Freunden verabredet waren.<br />

109<br />

Der Hafen von Bari war riesig und sehr beeindruckend,<br />

er war fast genau so gross wie der in Genua. Es gab sehr<br />

viele grosse Frachtschiffe, Fähren in alle Richtungen,<br />

und Jachten, bei deren Anblick man nur staunen konnte.<br />

Schon in Napoli hatte ich mir einen kleinen Seesack<br />

gekauft, worin ich meine wenigen Kleider, die Kreide<br />

und den Schlafsack verstauen konnte.<br />

Die gesamte Atmosphäre in Bari regte uns so sehr an,<br />

dass wir beschlossen, diese Stadt ein wenig genauer zu<br />

mustern.<br />

Also deponierten wir unser Gepäck in einem Schliessfach<br />

am Ticketschalter des Hafens.<br />

Wir erkundigten uns noch nach den Verbindungen für<br />

Patras, und machten uns auf, die Stadt zu erobern.<br />

Es war ein ziemlich weiter Weg bis in die Innenstadt von<br />

Bari, aber es hatte sich gelohnt, diese Stadt näher kennen<br />

zu lernen. Wunderschöne, sehr beeindruckende Gebäude<br />

und Kirchen schossen vor uns wie Pilze aus dem Boden.<br />

Wir sahen Paläste, in denen auch Menschen wohnen<br />

müssten, überaus wohlhabende Menschen, sicher grosse<br />

Reeder und Fabrikanten, und bestimmt auch die Oberschicht<br />

der gnadenlosen Mafiosi. Es verschlug uns schier<br />

den Atem, wenn wir uns ausmalten, wie diese Leute leben<br />

konnten.<br />

Aber sicher nicht so frei wie wir jetzt, das hatten wir ihnen<br />

mit Sicherheit voraus. Wahre Freiheit war mit Geld<br />

nicht zu bezahlen, dessen waren wir uns einig, und lachten<br />

laut.<br />

Als es langsam Abend wurde, beschlossen wir die Nacht<br />

in Bari zu verbringen.<br />

Direkt am Hafen gab es ein grosses „Hotel“, eine Halle,<br />

in die man dünne Holzbretter gezogen hatte, die aber<br />

110<br />

nicht bis zur Decke reichten, und als Zimmer zurecht<br />

gemacht worden waren. Somit hatten wir quasi kein<br />

Dach über dem Kopf, denn man konnte alle Nachbarn<br />

hören.<br />

Es waren nur kleine 3 Meter hohe und 8qm große Zellen<br />

mit Waschbecken, die nach oben hin offen waren.<br />

Das Hallendach lag 10 Meter höher.<br />

Dafür waren die Zimmer sehr preisgünstig, mehr Geld<br />

hätte ich sowieso nicht ausgeben können.<br />

Hauptsache wir hatten ein Bett, und mussten nicht im<br />

Freien schlafen.<br />

Liesa schien Probleme zu haben, schon auf dem Rückweg<br />

zu unserer Unterkunft stöhne sie öfters leise, hatte<br />

dann einen schmerzhaften Ausdruck im Gesicht.<br />

Als wir dann in unserem Verschlag ankamen, zog sich<br />

Liesa sofort ihre Hose aus, und ich sah die Bescherung.<br />

Lisas Slip war dunkelrot gefärbt, sie blutete sehr stark. Sie<br />

nahm sich ein Handtuch, und versuchte sich zu reinigen,


ihren Slip hatte sie schon auf den Boden fallen lassen.<br />

Das Handtuch, mit dem Lisa das Blut wegzuwischen<br />

versuchte war auch schon nach einer Minute voller Blut,<br />

das aus ihrem Unterleib heraus lief.<br />

Sie stöhnte jetzt laut vor Schmerzen, und das Blut lief ihr<br />

die Beine hinunter, als ob man ihr ein Messer in den<br />

Unterleib gestochen hatte. Liesa weinte vor Schmerz, ich<br />

war geschockt, und fragte was ich tun könnte.<br />

„Bitte besorge mir mehr Handtücher, ich habe meine<br />

Periode bekommen, und diese Schmerzen und der Blutlauf<br />

sind leider immer so wie jetzt“, erklärte sie mir.<br />

Ich lief in das Büro dieser Unterkunft, und bat den Vermieter<br />

nach Handtüchern, oder anderen sauberen Lappen.“<br />

Meiner Freundin geht es richtig schlecht, “ informierte<br />

ich den Vermieter, „sie ist sehr krank im<br />

Augenblick“.<br />

111<br />

Der Mann ging in einen ans Büro grenzenden Raum,<br />

und kehrte schnell mit Handtüchern und einem frischen<br />

Bettlaken zurück. „Hier, das ist alles, was ich dir geben<br />

kann“, sagte der Mann mit unruhigem Ausdruck im Gesicht.<br />

So schnell es ging lief ich zu Lisa zurück, die mit sehr<br />

starken Schmerzen zu kämpfen schien.<br />

Das Bettlaken unseres Betts war schon Blutgetränkt. So<br />

etwas hatte ich noch nie gesehen, Liesa schien es sehr<br />

dreckig zu gehen, und ich wusste nicht, wie ich mit der<br />

Situation fertig werden könnte.<br />

Lisa krümmte sich vor Schmerzen, sie lag zusammen gekauert<br />

auf dem Bett mit einem weiteren Blutgetränkten<br />

Handtuch zwischen den Beinen.<br />

„Das ist bei mir jeden Monat gleich“, stöhnte Liesa, „ eigentlich<br />

habe ich Schmerztabletten zum beruhigen dieser<br />

Pein, die sind aber leider in Rom bei der Künstlerin<br />

geblieben, ich hab sie vergessen“.<br />

„Was kann ich nur für dich tun“, fragte ich Lisa, die mit<br />

sehr heftigen Schmerzen zu kämpfen hatte. „Nichts,<br />

Eric, da muss ich jetzt durch. Das Schlimmste ist nach ca.<br />

24 Stunden vorbei“, erklärte sie mir. Ich hielt ihre Hand,<br />

und sie drückte sie kräftig. Aber schon nach 2 Minuten<br />

waren die Schmerzen wieder da, sie schrie förmlich vor<br />

Pein. Ich sorgte mich sehr ob der Situation, es war schon<br />

früher Morgen, und an Schlaf nicht zu denken. Das Bett<br />

überall voll Blut, und Lisa wand sich in dem nicht aufzuhaltenden<br />

roten Lebenssaft.<br />

Ich bekam langsam Angst dass Liesa verbluten könnte,<br />

einen so unaufhaltsamen Blutfluss kannte ich nicht, und<br />

ich fragte Lisa, ob ich einen Arzt holen solle.<br />

„Nein, das geht bald vorbei, sorg dich nicht, ich bin das<br />

gewohnt“ .So hatte ich noch Niemand leiden sehen.<br />

Ich machte mir Sorgen um das Mädchen, aber wie soll-<br />

112<br />

te ich Herr der Lage werden?<br />

Es war mittlerweile 5 Uhr morgens geworden, unsere


Fähre nach Patras sollte um 9 Uhr ablegen.<br />

„Mir geht’s bald besser, mach dir ´mal keinen Kopf“, sagte<br />

Liesa. Ich ließ sie einen Moment alleine, um Kaffe<br />

und Brot zu kaufen, ich hatte Kaffe bitter nötig, und Liesa<br />

auch, wie ich wusste.<br />

Auf dem Weg zu einem Café suchte ich eine Apotheke,<br />

und erklärte einer Apothekerin die Sachlage. Sie verkaufte<br />

mir „Parazetamol“ Tabletten, „ das wird der Frau<br />

ein wenig helfen, die Schmerzen zu ertragen“, sagte die<br />

Apothekerin.<br />

Ich besorgte noch eine Flasche Wasser, und machte mich<br />

mit Brot und Tabletten auf den Rückweg zu Liesa.<br />

„Den Kaffee müssen wir in einem Café trinken gehen,<br />

man wollte mir keine Tassen geben“, sagte ich zu Liesa,<br />

die auf dem Bettrand saß. Es war eine unmögliche Situation,<br />

überall lagen Blutgetränkte Tücher und Bettlaken<br />

herum, die Matratze war voller Blut.<br />

„Lass uns aufbrechen Eric“, sagte Liesa, „wir bekommen<br />

möglicherweise noch Trouble mit dem Verwalter, wenn<br />

er diese Chaos sieht, die Schmerztabletten werden mir<br />

helfen, gleich wird’s mir besser gehen“. „Wir müssen nur<br />

noch Binden oder Tampons besorgen“.<br />

Daran hatte ich bei meinem Ausflug in die Apotheke natürlich<br />

nicht gedacht, war halt keine Frau. Liesa konnte<br />

nun langsam aufstehen, und sie legte das letzte Handtuch<br />

auf den Boden. Sie zog sich an, und wir gingen gemeinsam<br />

zur Apotheke, um die richtigen Dinge für Liesa zu<br />

erstehen. Es war jetzt 8 Uhr morgens.<br />

Pünktlich um 14 Uhr standen wir am Kai, wo eine riesige<br />

Fähre auf uns wartete. Ein weiß-blau gefärbtes, gosses<br />

Schiff, das schon mit Autos und vielen Passagieren<br />

113<br />

beladen wurde.<br />

Liesa ging es besser als in der Nacht zuvor, und wir freuten<br />

uns schon sehr auf die Reise. Liesa liebte die Seefahrt<br />

genau so wie ich.<br />

Auch wenn es nur den Abend und die Nacht dauern<br />

würde, wir waren froh nach Griechenland zu gelangen.<br />

Wir hatten beide dieses Land der vielen Inseln noch nie<br />

gesehen.<br />

Das Schiff hiess „MS Tesalonica“, wo wir auch hinwollten,<br />

wenn wir Athen abgegrast hatten. Sehr viele Menschen<br />

hatten sich an der Rehling, und auch unten am<br />

Kai eingefunden, hielten als Verbindung zum Schiff Toilettenpapierrollen<br />

in den Händen, um eine letzte Verbindung<br />

mit ihren Lieben zu haben, bis sie sich mit dem<br />

Meer einließen.<br />

Hunderte Papierrollen hielten Verbindung mit der „MS<br />

Tesalonica“, die gegen 16 Uhr 30 langsam ablegte.<br />

Passagiere und Bekanntschaften mit den Leuten am Kai<br />

wurden bald getrennt, eine Rolle nach der anderen riss<br />

einfach ab. Liesa winkte den Menschen an der Kaimauer<br />

freudig zu, es ging ihr endlich besser.


Wir hatten selbstverständlich die billigste Form der Reise<br />

mit dem Schiff gebucht, konnten uns auf grossen, gemütlichen<br />

Sesseln einrichten, direkt vor den Fenstern<br />

am Bug, die uns einen ungetrübten Blick auf das vor uns<br />

liegende unendliche Meer erlaubte.<br />

Ich war ´mal wieder überglücklich.<br />

Wir verstauten unser karges Hab und Gut unter den<br />

Sesseln, und machten es uns gemütlich. Liesa legte den<br />

Kopf an meine Schulter, und war schnell eingeschlafen.<br />

Ihre „Frauenkrankheit“ hatte sie wohl sehr mitgenommen,<br />

aber das Schlimmste war überstanden.<br />

Ich legte Lisas Kopf vorsichtig an die Kopfstütze ihres<br />

Sessels, und machte mich auf, das Schiff näher unter die<br />

114<br />

Lupe zu nehmen. zunächst lief ich auf Deck des Schiffes,<br />

wo ich gerade noch den letzten Rest des Sonnenuntergangs<br />

miterleben konnte, wie dieser riesige Ball aus<br />

Feuer hinten im Meer versank, und es jetzt dunkel wurde.<br />

Lichter gingen auf der gesamten Fähre an, was dem<br />

Schiff in ein romantisches Flair zauberte.<br />

Dann zog es mich in den „Bauch“ der Fähre, ich wollte<br />

alles sehen. Ich kam bis zum Ladedeck, wo fleißige Matrosen<br />

die geladenen Güter nochmals festzurrten, damit<br />

das Schiff auch stabil seine Fahrt machen konnte.<br />

Die vielen Autos, und auch Laster waren Reihe an Reihe<br />

geladen. Es roch nach Oel, und Undefinierbarem was<br />

sicher von den Autos und den getauten Gütern kam.<br />

Durch viele enge Gänge ging ich zurück zu meinem<br />

Sessel, neben dem Liesa friedlich schlief. Auch ich war<br />

müde, und ließ mich auf meinem Sitz nieder. Ich lehnte<br />

mich zurück, und war schnell eingeschlafen.<br />

Am nächsten Morgen weckte mich Liesa mir einem<br />

Kuss auf die Wange, und ich sah, wie ein Matrose die für<br />

die Nacht zugezogenen Vorhänge an den Bugfenstern<br />

öffnete.<br />

Ein faszinierender Blick aus den Fenstern liess mich<br />

vollends wach werden, vor uns lag eine Kulisse wie ich<br />

sie nie zuvor wahrgenommen hatte.<br />

Das Schiff steuerte auf eine grüne, kegelförmige Insel zu,<br />

hinter der die Sonne langsam aufging. Es war ein wahrhaft<br />

großartiges Bild vor meinen Sinnen, das ich nie<br />

vergessen sollte. Wir steuerten auf Kreta zu, und ich<br />

dachte schon, wir würden die Insel rammen, aber wir<br />

waren weit entfernt, der Kapitän steuerte unsere Fähre<br />

östlich an der Insel vorbei, auf der ich aus der Ferne kleine<br />

Häuser zwischen dem Grün der Insel ausmachte.<br />

Strände waren an dieser Seite der Insel nicht zu erken-<br />

115<br />

nen. Dies war also das Eiland, wo Odesseus den Sirenen<br />

in die Falle gegangen war.<br />

Der Anblick war wunderschön, und als die Sonne vollends<br />

aufgegangen war, Kreta in der Ferne hinter uns lag,<br />

machten wir uns ein Frühstück.


Wir setzten uns auf Stühle, die an Deck reichlich vorhanden<br />

waren, und Liesa packte unser mitgebrachtes Essen<br />

aus. Brot und Käse hatten wir reichlich mitgebracht,<br />

es fehlte nur Kaffee, den Lisa nach einigen Minuten in<br />

zwei großen Tassen heranbrachte.<br />

Wir lachten viel, und freuten uns schon auf unser bald<br />

erreichtes Ziel, Patras. Apollon, der Gott der Sonne<br />

meinte es gut mit uns.<br />

Am Kai dieses enorm großen Hafens standen schon viele<br />

Menschen versammelt, die unserer Fähre zuwinkten,<br />

und wohl auf Freunde und Bekannte warteten.<br />

Ich konnte reichlich riesenhafte Frachter, enorme Fähren<br />

und auch viele Jachten im Hafengebiet angelegt sehen.<br />

Wie von Genua gingen hier die Schiffe in alle<br />

Richtungen der Welt, eine für mich immer wieder aufregende<br />

Vorstellung.<br />

Als wir die Gangway hinuntergegangen waren, mussten<br />

wir zunächst durch eine Zollstation, wo wir aber kaum<br />

beachtet wurden, und man uns ohne Schwierigkeiten<br />

passieren ließ.<br />

Nun waren wir in Griechenland, wo wir beide noch nie<br />

gewesen waren, und eine völlig unbekannte Sprache<br />

schlug mir aus allen Winkeln entgegen.<br />

Ich mochte es eigentlich nicht mehr, ein Land zu besuchen,<br />

dessen Sprache ich nicht wenigstens ein klein wenig<br />

beherrschte, aber diese Gedanken hatte ich schnell<br />

aus dem Hirn gewischt, wir würden uns schon mit englisch<br />

oder französisch verständlich machen können.<br />

So begaben wir uns auf den Weg in die Stadt Patras, ei-<br />

116<br />

nem auf den ersten Blick sehr schönen, mit vielen Kirchen<br />

und Kathedralen geschmückten Ort.<br />

Liesa wollte unbedingt eine dieser Kathedralen von innen<br />

besichtigen, auch ich hatte Interesse an einem solchen<br />

Ausflug.<br />

So öffneten wir eine kleine Türe, die in ein enorm großes<br />

Portal, aus mit wunderschön geschnitzten Ornamenten,<br />

rötlichem Holz eingelassen war.<br />

Ich kam mir sehr klein vor, als ich die überschwängliche<br />

Pracht dieser sehr hohen Kirche<br />

bestaunen konnte.<br />

Es verschlug mir schier den Atem, ob der fantastischen,<br />

sehr vielen gülden und vielfarbig gestalteten Ikonen, die<br />

sich rund um die Kathedrale verteilten. Es gab kleine, in<br />

eingelassenen Nischen hängende, zauberhafte Ikonen, als<br />

wir dann den Altar erreichten, sahen wir eine wahre<br />

Pracht.<br />

Riesenhafte Ikonen über und über mit Gold geschmückt,<br />

umgaben den mächtigen Altar, an dem in<br />

schwarz, mit bis auf den Boden reichende Gewänder gekleidete<br />

Priester ihren Dienst an Gott taten. Alle hatten<br />

hohe, steife schwarze Hüte auf dem Kopf, und ihre Bärte<br />

gingen bis fast auf die Brust. Viele graue Bärte, junge


Priester konnte ich nicht ausmachen.<br />

Lisa hatte sich an mich gelehnt, und studierte diese äußerst<br />

prachtvolle Szene, die am Altar ihren Höhepunkt<br />

erreicht hatte. Heiligenstatuen standen klein und groß<br />

bis fast zum marmornen, auch reichlich geschmückten<br />

Tisch. Eine Szenerie, die ich in anderer Form nur im Petersdom<br />

zu Rom gesehen hatte.<br />

Rita war hin und weg, sie bestaunte diese Kathedrale respektvoll<br />

und inbrünstig. Für sie, als Studentin der Architektur<br />

war diese hohe Kirche natürlich besonders interessant,<br />

und sie machte mir einen sehr verinnerlichten<br />

117<br />

Eindruck.<br />

Oft drückte sie meine Hand, und zeigte auf bestimmte<br />

Szenerien an Wänden und in Nischen.<br />

Wir konnten uns von diesem prachtvollen Gotteshaus<br />

kaum lösen, aber wir mussten ja weiter nach Athen.<br />

Zunächst setzten wir uns in ein Strassencafé, und tranken<br />

etwas, versuchten die gesehenen Eindrücke zu verarbeiten.<br />

Wir sprachen kaum, die aufgenommenen Situationen<br />

waren doch ziemlich schwere Kost, die man erstmal verdauen<br />

musste. Wir waren sicher über eine Stunde in der<br />

Kathedrale, aber um sie richtig zu entdecken, hätte es einen<br />

Tag gebraucht.<br />

Uns reichte das Gesehene, und wir machten uns auf, um<br />

die in einem Schließfach liegenden Gepäckstücke abzuholen.<br />

Es war später Nachmittag, als wir an einer Strasse in<br />

Richtung Athen ankamen. Lisa hielt ihren Daumen<br />

hoch, der in Richtung unseres Ziels deutete, und schon<br />

hatten wir wieder einen freundlichen Herrn angehalten,<br />

der uns einige Kilometer mitnahm.<br />

Als er an seinem Ziel angekommen war, stiegen wir aus<br />

seinem Wagen, und machten weiter Autostopp, den Liesa<br />

mittlerweile perfekt ausführte.<br />

Kaum hatte sie ihre Hand hochgehoben, hielt schon ein<br />

Lastwagen, der glücklicherweise direkt bis Athen fahren<br />

wollte. Der Fahrer lud uns ein, auf der Ladefläche mitzufahren.<br />

Dieser Umstand war zwar neu, wir entschlossen<br />

uns trotzdem, das Angebot anzunehmen. Es war heller<br />

Sonnenschein<br />

Also machten wir es uns auf der Ladefläche so gemütlich<br />

es ging, ich breitete meinen Schlafsack aus, und los<br />

ging die Reise als Ladung eines LKW´s.<br />

Liesa legte sich lang hin, ihre Tasche unter dem Kopf,<br />

118<br />

und schaute in die Sonne, die noch, obwohl der Oktober<br />

langsam seinem Ende zuging, war´s noch recht<br />

warm<br />

Ich legte mich neben sie, wir rüttelten unserem Ziel entgegen.<br />

Als es Abend wurde, waren wir beide eingeschlafen,<br />

wir merkten nichts mehr.<br />

Plötzlich wurde ich wach, Liesa schlief den Schlaf der<br />

Gerechten, als ich merkte, dass der LKW etwas schaukelte,


und ich hörte Wasser plätschern.<br />

Ich stand auf, die Situation war mir etwas ungeheuer,<br />

und ich wusste schnell, dass wir uns mit dem Laster auf<br />

einem Schiff befanden.<br />

Mir schoss ein ängstlicher Schreck in die Glieder, ich<br />

ahnte nicht was hier vorging. Mir kamen gleich die verrücktesten<br />

Gedanken ins Hirn, Entführung oder so was,<br />

und ich sprang vom Wagen. Ich wollte genauer erfahren,<br />

weshalb wir uns auf Wasser bewegten.<br />

Es war pechschwarze Nacht. Irgendwo weiter vorne erkannte<br />

ich ein Licht, das aus einem kleinen Fenster<br />

schien. Ich machte mich auf den Weg Richtung Lichtquelle,<br />

das Schiff schaukelte gemütlich vor sich hin.<br />

Ich entdeckte eine Türe mit einem kleinen Fenster, die<br />

zu einem erleuchteten Raum führte, und trat in eine<br />

kleine Kantine. Ich sah viele Männer, die alle Getränke<br />

in den Händen hatten, und sich angeregt unterhielten.<br />

Schnell entdeckte ich unseren Fahrer, und ging auf ihn<br />

zu. Ich fragte wo wir denn seien? Einer seiner Kameraden<br />

übersetzte für mich, er hatte einige Jahre in<br />

Deutschland gearbeitet, und freute sich, einen Deutschen<br />

zu sehen.<br />

„Wir sind auf einer Fähre“, erklärte mir der Mann, „so<br />

kommen wir schneller nach Athen, als wenn wir den<br />

Landweg nähmen“. Schnell war ich beruhigt, die Männer<br />

lachten alle, als mein Übersetzer ihnen die Ängste,<br />

119<br />

die in mir aufgekommen waren, erklärte.<br />

Sie drückten mir ein Glas roten Wein in die Hand, und<br />

prosteten mir lachend zu. Nun war´s mir wesentlich<br />

leichter ums Herz.<br />

Der nahende Morgen hatte wieder eine herrliche Überraschung<br />

für uns bereit, Lisa war jetzt auch wach geworden,<br />

und wir sahen am Horizont die uns wärmende ,<br />

glühende Sonne aus dem Meer erscheinen, sehr langsam<br />

stieg der Feuerball höher und höher, spendete immer<br />

mehr Licht und Wärme , wischte die dunkle Nacht einfach<br />

weg. Es war für mich, und auch für Liesa, ein immer<br />

wieder neuer, faszinierender Moment, wenn die<br />

den Tag freigebende Sonne in den Himmel stieg, und die<br />

Erde zum leben brachte.<br />

Natürlich war auch Lisa überrascht, dass wir uns auf einem<br />

Schiff befanden, aber ich konnte sie mit der Erklärung<br />

der Umstände schnell beruhigen. Sie umamte mich<br />

zärtlich, und gab mir einen Morgenkuss. Sie war ein sehr<br />

liebes, positiv eingestelltes Wesen, das mir immer wieder<br />

Freude bereitete.<br />

Wir konnten uns in einem Toilettenraum etwas frisch<br />

machen, ich ließ mir Wasser über den Kopf fließen, und<br />

konnte mir dank dem von Lisa mitgebrachtem Schampon<br />

die Haare waschen.<br />

Nun konnte der Tag kommen, ich war frisch und gestärkt,<br />

nachdem wir in der Kantine gefrühstückt hatten,


die Transportfahrer hatten uns eingeladen.<br />

Lisa war die einzige Frau an Bord.<br />

Im Hafen von Piräus fuhr unser Laster in eine andere<br />

Richtung als wir wollten, also bedankten wir uns herzlich<br />

bei dem Fahrer, und machten uns auf den Weg nach<br />

Athen, das nicht mehr weit von Piräus entfernt war.<br />

Der Hafen von Piräus war auch sehr ausladend, wir gingen<br />

durch eine sehr große Menge von Dockarbeitern,<br />

120<br />

die Schiffe auf-und abladenen mussten.<br />

Riesige Gestapelte Transportgüter standen überall herum,<br />

und wurden von den hart arbeitenden Dockarbeitern<br />

bewegt.<br />

Wir Verstauten unser kleines Gepäck wieder in einem<br />

Schließfach, und machten uns auf, Piräus zu erkunden.<br />

Man hörte so viel von dieser großen Hafenstadt, sie<br />

wurde sogar besungen, und so wollten wir mehr sehen,<br />

als nur den Hafen.<br />

Niemand konnte wissen, ob wir jemals in diese schöne<br />

Stadt zurückkommen würden. Es war schon äussest verwunderlich,<br />

wie sehr sich die Kulturen der einzelnen<br />

Orte in den verschiedenen Ländern Europas unterschieden.<br />

Die Häuser waren anders, Strassen und Verkehr waren<br />

überall ungleich, obwohl sie sich bei genauerer Betrachtung<br />

doch ähnelten.<br />

Die vielen Kirchen hatten andere Kreuze auf den Dächern<br />

und Türmen, die grieschich ortodogsenen Kreuze<br />

hatten einen waagerecht, etwas geneigten zusätzlichen<br />

Balken an den Kreuzen.<br />

Natürlich wollte Liesa erneut eine der Kathedralen von<br />

innen sehen, und so tat ich ihr den Gefallen, sie zu begleiten.<br />

Mein Interesse an Kirchen und Kathedralen war<br />

minder als Lisas.<br />

Und doch, wenn ich in so ein Gotteshaus eintrat, war ich<br />

immer wieder sehr beeindruckt. Diese die Kirchengebäude<br />

schmückenden Fresken, Ikonen und Heiligenfiguren<br />

zeigten sich fantastisch und ergreifend.<br />

Die grieschich-ortodoxen Gotteshäuser waren bunter<br />

und güldener als die rein katholischen Kirchenpaläste.<br />

Das kam wohl durch die massenhaft an allen Wänden<br />

verteilten Ikonen. Lisa betrachte diese überschwängliche<br />

Pracht ohne Worte, sie staunte einfach nur.<br />

Erst als wir wieder auf die sehr lebendige Strasse traten,<br />

121<br />

sprach sie von den sie besonders beeindruckten Sehenswürdigkeiten<br />

der Kathedrale.<br />

„Los, wir wollen nach Athen“, erinnerte ich Liesa, die<br />

noch andächtig in den Erinnerungen schwelgte. „Klar,<br />

los geht’s“, antwortete sie, “John wartet sicher schon auf<br />

uns“. Lisa hatte sich zum Beatnik entwickelt, die großen<br />

Entfernungen und die lange Zeit zwischen den Treffen<br />

der Freunde nahm auch sie nun als gegeben an.<br />

Wir holten unser Gepäck, und begaben uns an die nächste


Strasse Richtung Athen, auf das ich schon sehr gespannt<br />

war. Auch in dieser Stadt war Geschichte geschrieben,<br />

und wir wollten natürlich alles übrig<br />

Gebliebene selbst in Augenschein nehmen.<br />

So machten wir uns auf nach Athen, ich war zwar immer<br />

noch nur 16 Jahre alt, ob meiner bisherigen Reisen<br />

aber sehr an Geschichte interessiert.<br />

Besonders Rom hatte meinen Geist dafür geöffnet. Der<br />

große Meister Michelangelo sollte mir später noch sehr<br />

deutlich zu Gemüte geführt werden.<br />

Auf dem Fußmarsch zur Akropolis kamen wir an einem<br />

Café vorbei, wir hatten beide Hunger, und wollten noch<br />

´mal frühstücken. Wir hatten zwar auf der Fähre schon<br />

zu essen und trinken bekommen, aber jetzt wollten wir<br />

´mal ein grieschiches Frühstück probieren.<br />

Und da erlebte ich eine sehr freudige Entdeckung, die<br />

Griechen aßen wahrhaftig Vanillepudding zum Frühstück,<br />

der war in einer einsehbaren Theke in kleinen<br />

Plastikschälchen zu sehen.<br />

Oh wie freute ich mich, hatte ich doch schon sehr lange<br />

keinen Pudding zu essen gefunden, ich bestellte mir<br />

sofort zwei Portionen. Oma hatte mir oft Pudding gekocht,<br />

ich liebte diese Speise. Liesa freute sich für mich<br />

mit, aber sie aß nur Brot mit Marmelade, und spülte das<br />

Gekaute mit starkem Kaffee hinunter.<br />

122<br />

Weiter ging´s in Richtung Akropolis, die wir gegen Mittag<br />

ereichten. Eine äußerst beeindruckende riesige Ruine,<br />

die leider nur noch aus enorm dicken hohen Säulen,<br />

und einigen darüber legenden Dachstützen bestand.<br />

Dieser Rest eines sicher einmal prachtvollen Gebäudes<br />

stand auf einem Hügel, so ragte die Akropolis über der<br />

Stadt.<br />

Viele Menschen hatten sich dort versammelt, Touristen<br />

und Beatniks, aber von John war nichts zu sehen. Wir<br />

hatten noch Bares, und mieteten uns in einer kleinen,<br />

preisgünstigen Pension ein.<br />

Man gab uns ein ziemlich großes, sauberes Zimmer, mit<br />

einem sehr breiten Bett für zwei Personen. Wir waren<br />

sehr erfreut ob dieser schönen Wohnstat, legten das Gepäck<br />

ab, und gingen erstmal wieder duschen. Wir hatten<br />

schon einige Tage kein fließendes Wasser gefunden, und<br />

so ließen wir uns, jeder für sich, das wärmende Nass lange<br />

über die Körper laufen.<br />

Wir zogen frische Wäsche an, von der jeder von uns zum<br />

Glück noch etwas hatte. Wir fanden in Piräus einen<br />

Waschsalon, indem wir all unsere schmutzige Wäsche<br />

reinigten.<br />

Athen war sehenswert, wir streiften durch die Stadt, und<br />

besichtigten viele Altertümer, die noch aus langen Jahren<br />

vor Christi Geburt stammten. Es waren leider nur Ruinen,<br />

trotzdem mächtige, sehr beeindruckende Vermächtnisse<br />

dieser Zeit.


Immer wieder gingen wir zurück zur Akropolis, und<br />

zwei Tage nach unserer Ankunft kam auch John mit zwei<br />

Freundinnen an.<br />

Mit seinem breitkrempigen Cowboyhut, seiner speckigen<br />

Lederhose und seinem breiten, aus geflochtenem<br />

Leder berstenden Gürtel, an dem eine flache Ledertascheasche<br />

hing, seinem Spitzbart unter der Lippe, sah er<br />

123<br />

aus wie Buffalo Bill.<br />

Die Mädels hatte er in Piräus aufgelesen. John war 27<br />

Jahre alt, und schon sehr lange auf der Reise, er hatte den<br />

Erdball bestimmt schon einmal umrundet.<br />

Wir freuten uns alle ob des Wiedersehens, und erzählten<br />

uns natürlich unsere Erlebnisse der Reise. John lachte<br />

laut, als ich ihm von unserer „Entführung“ berichtete, er<br />

war mit den Mädels auf dem Landweg nach Athen gelangt.<br />

Irgendwann zog eine dicke Rolle Geldscheine aus der<br />

Tasche, und gab mir die Hälfte. „Hier, das sind brasilianische<br />

„Cruseros“, da stehen zwar große Zahlen drauf,<br />

10er, 20ger, 50er und 100er, aber die Scheine sind das<br />

Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurden“ , erklärte<br />

mir John.“Eventuell kannst du sie ja bei irgendeiner<br />

Gelegenheit gebrauchen, keiner hier weis, was die Scheine<br />

wirklich wert sind, außer natürlich den Banken“, fügte<br />

er hinzu.<br />

Ich steckte die Scheine in meinen am Gürtel hängenden,<br />

flachen Stoffbeutel, indem auch unsere Pässe verstaut<br />

waren, und vergaß sie dann schnell.<br />

Auch in Athen war es verboten, Straßenmalerei zu betreiben,<br />

es gab hohe Geldbußen wenn man erwischt<br />

wurde. Also ließ ich das sein. Leider keine Kohle zu machen,<br />

das ärgerte mich schon, denn die Barschaften gingen<br />

langsam zu Neige. Nur Liesa hatte noch etwas gebunkert,<br />

für Notfälle.<br />

Nun waren wir in der Stadt der Göttin Athena, die vom<br />

Himmelsgott Zeus, und seiner Frau Matis gezeugt worden<br />

war.<br />

Wir waren über das Reich des Poseidons, dem unendlichen<br />

Meer hier hergelangt.<br />

Über den Wolken herrschten in Urzeiten, den Griechischen<br />

Sagen zu Folge, auch Dione, die Mutter der<br />

124<br />

Aphrodite, Hera, die gleichzeitig die Schwester des Zeus<br />

war.<br />

Hades beherrschte die Unterwelt, Hermes war der Götterbote,<br />

und Bacchus wachte über den Wein, dem Diogenes<br />

in seiner Tonne reichlich zugetan war, und dem alle<br />

Griechen reichlich zusprachen.<br />

Und so gab es Liesa zu Folge dutzende von Göttern, die<br />

alle für irgendeinen Bereich im Leben zuständig waren.<br />

Apollon, Gott der Sonne war mir der liebste.<br />

Und all diesen Göttern waren in Athen und Umgebung<br />

Tempel errichtet worden, deren Ruinen wir besichtigen


wollten.<br />

Besonders Liesa wollte alles sehen, sie war die Person<br />

unserer kleinen, verschworenen Gemeinschaft, die unbedingt<br />

alle Tempelreste begutachten wollte. Ich begleitete<br />

sie gern, und lernte etwas über die Mythologie der<br />

Griechen.<br />

Ich war immer noch nur 16 Jahre alt, und mit den griechischen<br />

Sagen nie in Berührung gekommen.<br />

Jedem dieser Götter wurden noch bis ins 18te Jahrhundert<br />

von vielen Herrschern dieser Welt Opfergaben dargebracht,<br />

und es wurden Lieder zu ihren Ehren komponiert,<br />

in alten Opern wurde oft über griechische Götter<br />

gesungen.<br />

Die Typen hatten also schwer Eindruck in der Welt der<br />

Menschen hinterlassen, so auch die vielen Tempel. Besonders<br />

die Kraft des Bachus war bis in die Heutige Zeit<br />

zu spüren, ihm wurde reichlich zugeprostet.<br />

Wir waren nun schon fast 10 Tage in Athen, hatten viel<br />

gesehen, und ich hatte dank Lisa viel über die Mythologie<br />

griechischer Götter gelernt.<br />

Irgendwann hatte Lisa genug von Athen, auch mir war<br />

nach anderen Orten zumute. Lisa beschloss, zurück nach<br />

Wien zu fahren, sie wusste, dass man sich in Ihrer Fami-<br />

125<br />

lie Sorgen machte, man hatte schließlich schon fast drei<br />

Wochen kein Lebenszeichen von ihr bekommen.<br />

Also verabschiedeten wir uns von John, Marie und Monika,<br />

der einzigen Deutschen in unserer Gemeinschaft,<br />

und machten uns auf den Weg nach Norden.<br />

Wir hatten mit Ach und Krach das Geld für unser Zimmer<br />

bezahlen können, wir waren ziemlich pleite.<br />

Lisa machte sich Sorgen, aber mir war dieser Geldlose<br />

Zustand reichlich bekannt, ich wusste, es würde schon<br />

weitergenh´n.<br />

Wir mussten in Richtung Tessalonika, und dann durch<br />

Jugoslawien nach Österreich. Leider hatte ich nur meinen<br />

Personalausweis, und der reichte nicht aus, um<br />

durch Jugoslawien zu reisen. Lisa hatte einen Pass, für sie<br />

gab es kein Problem. „Ich muss zur Deutschen Botschaft,<br />

um mir einen Reisepassersatz zu besorgen“, erklärte<br />

ich Lisa, die unbedingt so schnell als möglich nach<br />

Hause wollte.<br />

So suchte ich die Deutsche Gesandtschaft in Athen, hatte<br />

aber Angst, Probleme zu bekommen. Wusste. Ich<br />

wusste, dass man ab 16 reisen konnte, wohin man wollte,<br />

aber in diesem jungen Alter, ohne Geld und auf dem<br />

Weg in das noch kommunistische Jugoslawien hätte den<br />

Botschafstangestellten zu denken geben können.<br />

Eventuell würde man mir den Reisepassersatz verweigern.<br />

möglicherweise benötigte man eine Elterliche Erlaubnis,<br />

um durch Europa reisen zu können.<br />

Ich betrachtete die Reste meines Personalausweises, der<br />

bunt von der Strassenmalerei, und den damit verbundenen


Polizeikontrollen voller Kreide war, und man kaum<br />

noch etwas auf dem Dokument lesen konnte.<br />

Auf einer Treppe der Akropolis zitzend beschloss ich<br />

mutig den Gang in die Botschaft. Mein Ausweis war<br />

wirklich kaum noch zu entziffern.<br />

126<br />

Ich ging mit dem Mut der Verzweiflung in das Gebäude<br />

der Deutschen Botschaft in Athen, und beantragte das<br />

Visum für Jugoslawien.<br />

Der Botschaftsangestellte staunte nicht schlecht ob meiner<br />

schmuddeligen Erscheinung, und versuchte meinen<br />

Personalausweis zu lesen. „Da kann man ja kaum noch<br />

etwas erkennen“, beschwerte sich der Mann, „der Personalausweis<br />

ist ja völlig zerstört“.<br />

Ich erklärte ihm, dass ich bei meiner Pflastermalerei oft<br />

kontrolliert worden war, und bat um Verständnis für den<br />

sehr schlechten Zustand meines Reisedokuments. „Da<br />

muss ich erstmal mit meinem Vorgesetzten Rücksprache<br />

halten, bitte warten sie hier“, sagte der Botschaftsbeamte.<br />

Mir fiel fast das Herz in die Hose, ich konnte nur hoffen,<br />

dass ich keine Probleme bekam.<br />

Die geordnete Welt dieser Botschaft war mir fremd.<br />

„Haben sie ein Passbild dabei“, fragte mich der zurückkehrende<br />

Botschaftssekretär, und ich legte ihm ein kleines<br />

Bild von mir auf den Tisch, das ich in einem Fotoautomaten<br />

gemacht hatte. `Es hat geklappt ´, dachte ich<br />

bei mir, man interessierte sich nicht für meine Jugend.<br />

Also bekam ich nach einer halben Stunde einen Reisepassersatz,<br />

ein echtes Reisedokument, mit dem ich<br />

durch Jugoslawien trampen konnte.<br />

Lisa wartete vor der Botschaft auf mich, und als ich lachend<br />

herauskam, fiel auch ihr ein Stein vom Herzen, sie<br />

wäre nur ungern alleine weitergereist.<br />

Ich nahm sie in die Arme nahm, hob sie hoch, und drehte<br />

mich mit ihr im Kreis. „Nein, ist alles klar, wir können<br />

fahren, ich hab das Papier“, das ich ihr stolz präsentierte.<br />

Und so machten wir uns auf, eine Autobahn in<br />

Richtung Thessalonica nach Norden zu finden.<br />

Wir kamen zunächst nur bis Marathon, und wussten<br />

127<br />

jetzt, woher der Marathonlauf stammte.<br />

Die weitere Autobahn ging nur bis Levadeia, und endete<br />

dort in eine normale Strasse, die Nationalstrasse E75.<br />

Wir hatten auf einer Srassenkarte in einer Autobahnraststädte,<br />

bei der einer unserer „Chauffeure“ gehalten hatte,<br />

und uns zum trinken einlud, entdeckt, dass wir nun<br />

dieser Strasse folgen mussten, um Thessalonica zu erreichen.<br />

Es war schon später Nachmittag geworden, und es wurde<br />

ziemlich kalt. Den Sommer hatten wir endgültig zurückgelassen,<br />

und mussten uns nun auf geringere Temperaturen<br />

einstellen. Dafür waren wir Bekleidungsmässig<br />

überhaupt nicht eingerichtet.<br />

Es war Samstag, und wir erreichten einen kleinen Ort an


der E75, Almyros, einen kleinen verschlafenen Ort. Wir<br />

waren müde und verfroren, und wussten zunächst nicht<br />

weiter.<br />

Heute noch an unser Ziel zu kommen war schier unmöglich,<br />

wir hatten noch ca. 200 km zu bewältigen.<br />

In diesem Ort gab es nur ein Hotel, das war ziemlich<br />

neu, und sah sehr einladend aus. „Komm, hier machen<br />

wir Rast für Heute, morgen früh fahren wir weiter“,<br />

sagte ich zu Lisa. „Aber wir haben doch kaum noch<br />

Geld“, entgegnete sie, und schaute mich sorgenvoll an.<br />

„Klar haben wir Geld, massenhaft Geld“, sagte ich zu Lisa,<br />

und holte den Packen von Cruseros hervor, den uns<br />

John in Athen zugesteckt hatte.<br />

„Aber das geht nicht, das Geld ist doch nichts wert“,<br />

sorgte sich das Mädel. Mit dem Mut der Verzweifelten<br />

traten wir durch das schöne Portal des Hotels, und gingen<br />

zu einer fast luxurieusen Rezeption.<br />

„Haben sie noch ein Doppelzimmer frei“? fragte ich den<br />

Herrn, der wohl der Direktor, oder gar Besitzer des Hotels<br />

war.<br />

128<br />

„Aber ja, wir haben noch viele Zimmer frei, die Saison<br />

ist fast beendet“, antwortete der Mann freundlich lächelnd.<br />

„Leider haben wir nur noch brasilianische Cruseros, wir<br />

kommen gerade aus Brasilien, und waren einige Tage in<br />

Athen“, erklärte ich, “ wir haben versäumt, mehr Cruseros<br />

zu wechseln, und besitzen kaum noch Drachmen“.<br />

„Cruseros, die kenne ich aber nicht“, antwortete der<br />

Rezeptionist mit Falten auf der Stirn.<br />

129<br />

Kapitel 16<br />

„Ein Crusero ist ein Dollar“, belog ich den Mann. Die<br />

Scheine sahen wirklich wertvoll, und kaum gebraucht<br />

aus, und man akzeptierte den Deal.<br />

„Wir möchten noch essen, und etwas zu trinken mit<br />

aufs Zimmer nehmen“, sagte ich nun sicher. „Das ist<br />

kein Problem, hier haben sie unsere Speisekarte, suchen<br />

sie sich etwas aus“.<br />

Lisa schaute mich sorgenvoll, aber doch freudig an, und<br />

sagte auf Deutsch:“ Schätze wir haben es geschafft für<br />

diese Nacht“.<br />

Es war am Samstag oder Sonntag unmöglich, in einer so<br />

kleinen Stadt den Wert von ausländischem Geld zu erfahren,<br />

es gab nicht ´mal eine Bank.<br />

Mit diesem Umstand hatte ich auch gerechnet.<br />

Sonst wäre mir diese Idee nicht gekommen.<br />

Wir aßen richtig gut und reichlich, so hatten wir schon<br />

länger nicht mehr gespeist. Wir bestellten auch eine Flasche<br />

guten Weins, den wir mit aufs Zimmer nahmen.<br />

Als wir in das uns zugewiesene Zimmer kamen, staunten<br />

wir nicht schlecht, es war eine kleine Suite, mit Sofa,<br />

Sesseln und zwei Betten.<br />

Ich war vom Wein berauscht, und war froh das Bett


nicht mit Lisa teilen zu müssen, ich wusste nämlich<br />

nicht, ob ich dann meine Finger von ihr hätte lassen<br />

können. Das wurde somit vermieden. Ich duschte noch<br />

ausgiebig, mein Kopf wurde auch wieder klarer, und legte<br />

mich in ein Bett.<br />

Ich sah noch so grade, wie Lisa nackt wie Gott sie schuf,<br />

und er hatte sie gut hingekriegt, das konnte man sagen,<br />

unter die Laken kroch, sie war schnell eingeschlafen.<br />

Am nächsten Morgen duschten wir nochmals, zogen die<br />

130<br />

frische Wäsche an, die uns noch geblieben war, und<br />

machten uns auf in den Frühstücksraum.<br />

Ich war etwas besorgt ob des Geldes, möglicherweise<br />

hatte der Wirt ja in der Nacht noch etwas in Erfahrung<br />

gebracht, aber nein, er begrüßte uns überschwänglich,<br />

fragte ob wir gut geschlafen hätten, und servierte uns ein<br />

pompöses Frühstück und reichlich starken Kaffee.<br />

Nachdem wir uns die Bäusche gut vollgeschlagen hatten,<br />

und noch Brot und Käse eingepackt,<br />

ging ich zur Rezeption, um die Rechnung zu bezahlen.<br />

Sie war recht hoch, der Herr hatte schon alles in Dollar<br />

umgerechnet. Ich gab ihm die Cruseros, und ein dickes<br />

Trinkgeld.<br />

Schnell machten wir uns davon, hatten glücklicherweise<br />

bald einen Anhalter, der uns 100 km weiter nach Norden<br />

bringen sollte. Nun konnte nichts mehr geschehen,<br />

wir waren weit weg vom Ort unserer Sünden.<br />

Wir waren jetzt auf der E 92, fuhren aber ab Elasson<br />

wieder auf der E75, die uns nach Thessaloniki bringen<br />

sollte.<br />

Wir fuhren nicht in die Stadt hinein, sondern begaben<br />

uns außerhalb der Stadt erneut weiter auf die E 75, die<br />

zu einer Autobahn ausgebaut war. Es wurde kälter und<br />

kälter. Dann kam die Jugoslawische Grenze.<br />

Wir wurden nicht ´mal kontrolliert, man winkte uns<br />

einfach durch.<br />

Nicht weit von der Grenze hielten wir noch´mal an einer<br />

Raststätte, wir waren irgendwie mit einem Anhalter<br />

von der Autobahn fortgekommen, und schon weit in Jugoslawien.<br />

Ich hatte mich in meinen Schlafsack eingewickelt, denn<br />

jetzt stapften wir wahrhaftig durch hohen Schnee, und<br />

frohren gewaltig.<br />

Lisa hatte alles angezogen, was sie bei sich hatte.<br />

131<br />

Schnell gingen wir in die Raststätte, wo uns wohltuende<br />

Wärme entgegen schlug. Lisa bestellte eine Tasse Kaffee.<br />

„Was soll das“, fragte ich sie, „wieso hast du nur eine<br />

Tasse bestellt?“ „Wir haben doch kaum noch Geld,<br />

und müssen noch durch ganz Jugoslawien“, entgegnete<br />

Lisa frech. „Aber wir können uns doch jeder noch eine<br />

Tasse Kaffee leisten“, sagte ich verwundert.<br />

„Nein, wir teilen uns den Kaffee, wir müssen sparen“,<br />

sagte Lisa trotzig.


„Ich glaub du spinnst“, sagte ich zu Lisa, „was sollen wir<br />

in der Kälte mit einer halben Tasse Kaffee“?<br />

Wir kamen richtig in Streit, das war auf unserer ganzen<br />

langen Reise noch nie vorgekommen. „Jetzt stell dich<br />

nicht so an, wir werden uns doch wohl noch Kaffee für<br />

uns Beide leisten können“, versuchte ich die Situation<br />

zu bereinigen.<br />

Aber Lisa blieb stur, sie gab sich mit der kalben Tasse zufrieden.<br />

Ich bestellte mir eine Tasse Kaffee für mich, ich<br />

hatte auch noch Geld in der Tasche, wenn auch nicht<br />

viel, für den Kaffee reichte es allemal.<br />

Lisa wurde richtig böse, stand auf, und sprach einen der<br />

Fahrer an, die in der Raststätte reichlich herumsaßen.<br />

Einer der Fahrer stand auf, und Lisa machte sich fertig,<br />

mit ihm die Raststätte zu verlassen.<br />

. „Das darf doch wohl nicht wahr sein, willst du jetzt<br />

wirklich abhau´n, wegen einer Scheiß Tasse Kaffee“,<br />

fragte ich sie noch.<br />

Aber schon war Lisa in der Dunkelheit verschwunden,<br />

ich sah noch, wie sie in einen LKW stieg, und sich davonmachte.<br />

Na ja, dachte ich mir noch, es war nett mit ihr, von hier<br />

fährst du jetzt alleine weiter.<br />

Etwas traurig war ich schon, immerhin waren wir ziemlich<br />

lange zusammen, hatten viel miteinender erlebt, und<br />

132<br />

ich fand sie war eine nette Freundin.<br />

Wie gesagt: Freundin! Aber das legte sich schnell, denn<br />

ich hatte einen Winter zu bewältigen.<br />

Ich ging hinaus auf die Strasse, es war stockfinster, ich<br />

wusste schnell, von hier kommst du heute nicht mehr<br />

weiter.<br />

Nicht weit von dem Rasthof verliefen Eisenbahnschienen,<br />

ich stand auf einer Eisenbahnbrücke. In der Dunkelheit<br />

sah ich zwischen den Schienen ca. 200 Meter<br />

entfernt ein Licht, und ging darauf zu. Ich betrat ein<br />

Bahnwärterhäuschen.<br />

Als ich die Türe öffnete, schlug mir regelrecht Hitze entgegen,<br />

und ein jüngerer Bahnarbeiter begrüßte mich<br />

freundlich. Was ich denn hier suche, fragte er mich in gebrochenem<br />

Deutsch, ich hatte mich ihm als Deutscher<br />

vorgestellt.<br />

Ich erklärte ihm die Situation, und fragte, ob ich mich<br />

bei ihm ein wenig aufwärmen dürfe.<br />

„Ich habe gleich Feierabend“ erklärte mir der Mann,<br />

„ich nehme dich mit zu mir nach Hause, da kannst du<br />

übernachten, und morgen weiterfahren“.<br />

Ich war hoch erfreut, ich war gerettet. Hätte ich die<br />

Nacht im Freien verbringen müssen, wäre ich sicher erfroren.<br />

Nach einer halben Stunde löschte der Bahnwärter die<br />

Lichter, lies den eisernen Ofen aber brennen, „so hab ich<br />

es morgen früh bei Dienstbeginn noch warm“, erklärte<br />

er mir.<br />

Wir gingen über die Schienen bis zu einer kleinen Strasse,


dort stand das Auto meines Retters, und nach schon<br />

wenigen Kilometern waren wir bei ihm zu Hause.<br />

Er begrüßte seine Frau herzlich, und stellte mich vor.<br />

Die Frau sprach nicht deutsch, lächelte mich an, während<br />

der Bahnbeamte ihr erklärte, was mit mir los war.<br />

133<br />

Sie stellte einen großen Topf mit gutriechendem, dampfendem<br />

Eintopf auf den Tisch, und holte einen dritten<br />

Teller und einen Löffel. Sie bedeutete mir mich zu setzen,<br />

und mit zu essen.<br />

Es war ein köstliches Gericht, scharf und mit viel Fleisch<br />

gekocht.<br />

Ich war Hundemüde, und Josef, so hieß der Bahnwärter,<br />

zeigte mir ein kleines Zimmer, worin ein Bett, Stuhl,<br />

und ein kleiner Tisch mit einer Lampe standen. „Hier<br />

kannst du schlafen, und morgen sehen wir weiter“, sagte<br />

Josef freundlich.<br />

Es war kalt in dem Zimmer; Ich zog mich schnell aus,<br />

und huschte unter eine dicke Decke, unter der ein Betttuch<br />

lag, und schlief sofort ein.<br />

Am nächsten Morgen, es war vielleicht 7 Uhr, weckte<br />

mich der Josef, und bat mich zum Frühstück, er habe<br />

noch etwas zu erledigen, bevor er zur Arbeit musste.<br />

Ein reichlich gedeckter Tisch erwartete mich, die Küche<br />

roch nach gutem Kaffee, und ich dachte zuerst an<br />

Liesa. Als ich mich am letzten Abend ausgezogen hatte,<br />

bemerkte ich natürlich meine Tasche am Gürtel. Und in<br />

dieser Tasche waren meine Papiere, und Liesas Pass.<br />

Die „schmutzigen“ Cruseros hatte ich schon vor der<br />

Grenze nach Jugoslawien verschwinden lassen.<br />

Jetzt machte ich mir ernsthaft Sorgen um das Mädel, ich<br />

konnte ihr nichts mehr übel nehmen, den Streit hatte<br />

ich schon nach der letzten Nacht längst verdaut.<br />

Nun konnte ich nur noch hoffen, dass Liesa ohne<br />

Schwierigkeiten über die Jugoslawische – Österreichische<br />

Grenze gelangt war.<br />

Josef war schon vor einer halben Stunde weggefahren,<br />

und ich saß noch an der Kaffeetafel, die freundliche Mikaela,<br />

seine Frau, goss mit permanent schwarzen Kaffee<br />

in die Tasse, bis ich nicht mehr konnte.<br />

134<br />

Und wegen einer Tasse Kaffee waren Liesa und ich auseinander<br />

geraten.<br />

Nun, das musste ich vergessen, ich hatte nach vorne zu<br />

denken, auch ich wollte jetzt nach Österreich, wo ich in<br />

Graz Verwandte hatte. Die Kälte machte mir ernsthaft zu<br />

schaffen, ich wollte doch nur immer der Sonne entgegen.<br />

Als Josef dann zurückkehrte lachte er mich an, und präsentierte<br />

mir eine Fahrkarte bis zur Österreichischen<br />

Grenze nach Ljubljana.<br />

„Hier Eric, ich hab dir eine Fahrkarte besorgt, sie war<br />

nicht teuer für mich, und ich will dich nicht einfach so<br />

zurück in die Kälte schicken“, erklärte mir Josef.


Ich sprang auf und umarmte Josef und seine Frau, meine<br />

Freude war riesig, ich hatte schon etwas Sorge vor<br />

dem Schnee und der Kälte draußen.<br />

Josef brachte mich zum Bahnhof, und ich stieg in ein<br />

warmes Zugabteil der Bahn Richtung Österreichische<br />

Grenze.<br />

Von dort war es nicht mehr weit bis Graz. Ich bedankte<br />

mich überschwänglich bei Josef, aber der winkte ab, für<br />

ihn es war eine Selbstverständlichkeit zu helfen.<br />

Die Reise war sehr angenehm, Mikaela hatte mir Proviant<br />

mitgegeben.<br />

In Ljubljana verließ ich den Zug, und trampte mit meinem<br />

Schlafsack um die Schultern gewickelt in Richtung<br />

Graz.<br />

Ein freundlicher, noch junger Mann nahm mich mit<br />

bis an die Grenze, wo ich dann aussteigen musste. Ich<br />

ging in das Zollgebäude, und erklärte einem Zollbeamten<br />

die Sache mit Liesas Pass, und gab ihn dort ab.<br />

„Sollte die junge Frau hier vorbeikommen, bitte geben<br />

sie ihr dann den Pass zurück, es war Flüchtigkeit, dass ich<br />

das Dokument noch bei mir trage“. „Wir hatten Beide<br />

135<br />

bei unserer sehr kurzfristigen und raschen Trennung<br />

nicht an den Pass gedacht, da ich ihn schon selbstverständlich<br />

immer in dieser flachen Tasche trug“, erklärte<br />

ich, und die ich ihm dann vorzeigte.<br />

Der Zöllner zeigte sich verständlich, und versprach, den<br />

Pass an Liesa zurückzugeben, oder spätestens in einer<br />

Woche zu schicken, falls sie einen anderen Grenzübergang<br />

gewählt haben sollte.<br />

Am späten Abend war ich in Graz.<br />

Ich hatte mit meiner Mutter telefoniert, um zu erfahren,<br />

wo ihre Schwester, meine Tante Andrea und ihre Söhne,<br />

Ritchy und Peter, meine Cousins, in Graz wohnten.<br />

Als ich dann bei meiner Tante auftauchte, sah sie mich<br />

erstaunt von oben bis unten an, und sagte sofort:“ Erstmal<br />

gehst du zum Friseur, sonst kannst du hier nicht<br />

bleiben“.<br />

Eine eigenartige Begrüßung einer Verwandten, der ich<br />

aber folgen musste, mir war´s zu kalt auf den Strassen<br />

von Graz.<br />

Ich suchte mir einen Friseur, dem ich genaue Angaben<br />

machte und ihm verbot, mehr als 2 cm abzuschneiden,<br />

das Haar einfach nur in Form zu bringen.<br />

Als ich zu meiner Tante zurückkam, bemängelte sie natürlich<br />

meine noch langhaarige Frisur, akzeptierte sie<br />

aber nun mit leichter Kritik. „Das nennst du eine vernünftige<br />

Frisur“, sagte sie protestierend, aber mehr war<br />

für mich einfach nicht akzeptabel.<br />

Ich wusste genau, dass sie mich erstmal beherbergen<br />

würde.<br />

Meine Cousins waren sehr erfreut ob meines Besuchs,<br />

und fragten mich nach meinen Reisen, und wie ich


nach Graz gekommen war.<br />

Sie waren in meinem Alter, 15- und 16 Jahre alt.<br />

Wir hatten in meiner Heimatstadt schon einige gemein-<br />

136<br />

same Feste gefeiert, wenn sie ´mal zu Besuch kamen, sie<br />

mochten mich sehr, und ich sie auch. Somit hatte ich<br />

treue Verbündete gegen die Verwandschaftskritik<br />

137<br />

Kapitel 17<br />

Letztendlich wurden die zum Glück noch langen Haare<br />

wohl oder übel akzeptiert, und ich wurd in der Verwandtschaft<br />

herumgereicht, als sei ich das achte Weltwunder.<br />

Überall bekam ich zu essen und zu trinken, man wollte<br />

es mir „schön“ machen.<br />

Dieses „schön“ machen ging mir schnell auf den Geist,<br />

und schon nach vier Tagen reiste ich, mit einem Bahnticket<br />

von der knauserigen Tante ausgestattet zurück in<br />

meine Heimat.<br />

Das konnte ich ja jetzt, denn man hatte mich ja offiziell<br />

aus der Führsorgeerziehung entlassen. Ich war ein freier<br />

Mensch, und das feierte ich am letzten Abend in Graz<br />

gebührlich mit meinen Cousins.<br />

Die Beiden brachten mich noch zum Bahnhof, und ab<br />

ging die lange Reise zurück ins Heimatland, vertraute,<br />

und auch verhasste Gefilde.<br />

Und das, obwohl mittlerweile überall dort meine Heimat<br />

war, wo ich abends meinen Kopf niederlegen konnte.<br />

Mir blieb erstmal nichts anderes übrig, es war ein sehr<br />

kalter, mit viel Schnee durchwachsener Winter geworden.<br />

Ich war nur mit T-Shirt, Jacke und Jeans ausgerüstet,<br />

die ich nur in wärmeren Gefilden tragen konnte.<br />

Die Tante hatte mir noch ein dickes Wollhemd gekauft,<br />

trotz ihrer allgemeinen bekannten Knauserigkeit.<br />

Im Zug schlief ich friedlich bis ich fast zuhause war. Mir<br />

war mulmig zumute, meinen Eltern entgegen zu treten,<br />

wo ich mich so sehr lange nicht gemeldet hatte.<br />

Aber ich hatte nun ´mal keine Lust mich irgendwo zu<br />

melden, diese Zeiten waren für mich endgültig vorbei.<br />

138<br />

Meine Mutter schien sich über meine Rückkehr zu<br />

freuen, sie verfrachtete mich trotzdem zunächst zur<br />

Oma, worüber ich mich sehr freute. Sie hatte Tränen in<br />

den Augen, als sie mich in ihre Arme schloss.<br />

Hinter meinem Rücken wurden wieder´mal Maßnahmen<br />

getroffen, die mich betrafen, und ich wurde erneut<br />

zum Vater verschoben.<br />

Er hatte, wie immer, schon wieder Arbeit für mich gefunden.<br />

Ich sollte morgens um 6 Uhr mit dem Fahrrad an eine<br />

10 km entfernte Baustelle Baustelle fahren, um dort<br />

Gräben für eine zu errichtenden Schule mit Hacke und<br />

Schaufel auszuheben.<br />

Dies tat ich genau 2 Tage lang, als ich dann am dritten<br />

Morgen zur Baustelle fuhr, radelte ich lässig an der Baustelle


vorbei, nahm die schon präparierten Sachen für eine<br />

neue Reise vom Gepäckträger des Fahrrads, stellte es<br />

ab, und machte mich schnell auf, die nächste Autobahn<br />

zu suchen, um Richtung Paris zu reisen.<br />

Ich hatte endgültig die Nase voll von den eigenartigen<br />

Ideen meines Vaters was Arbeit für mich betraf, und man<br />

sollte mich auch die nächsten Jahre nicht mehr sehen.<br />

Jetzt war endgültig Schluss, was man mir in meiner<br />

„Heimat“ zumutete, war für mich unerträglich, und so<br />

sollte die WELT wieder meine Heimat werden!<br />

Natürlich hatte ich kein Geld, dieser Umstand störte<br />

mich wenig, ich wollte einfach weg, und das schnell. Ich<br />

hatte noch Kreide, und so sah ich hoffnungsvoll in die<br />

Zukunft.<br />

Erstmal schnell über die nächste Grenze, dann hatte ich<br />

schon gebührenden Abstand zum Horrorhaus im kleinen<br />

Dorf, indem Vater mit seiner gnadenlosen Xanthippe<br />

wohnte, geschaffen.<br />

Ich fuhr der Liebe entgegen.<br />

139<br />

Diesmal wollte ich nach Paris, ich würde mich von<br />

Nichts und Niemanden davon abhalten lassen!<br />

Sehr schnell hatte ich per Autostopp die belgische Grenze<br />

erreicht, und kam ohne Kontrolle bis nach Lüttich. In<br />

Belgien!<br />

Schon fühlte ich mich wieder frei, ich hatte genug Abstand<br />

geschaffen, dass ich nicht mehr gefunden werden<br />

konnte., Ich hatte ein neue gültiges Reisedokument für<br />

Europa, das ich mir vorsichtshalber sofort ausstellen ließ,<br />

als ich zurück nach Deutschland kam.<br />

Von Lüttich ging eine Autobahn nach Paris, die ich<br />

gleich ansteuerte. Es dauerte nicht lange, und ich war<br />

mit einem Anhalter bis kurz vor Paris gekommen. Der<br />

Mann war Franzose, und wollte zum Flughafen, 35 km<br />

vor Paris.<br />

Nur noch wenige km vor der Stadt, von der ich immer<br />

geträumt hatte, mir schlug mein erfreutes Herz bis in die<br />

letzten Winkel meines schmalen Körper.<br />

Schmal oder nicht, ich war mir sicher, mir konnte Keiner<br />

´was, den Horror hatte ich hinter mir gelassen.- 400<br />

Kilometer weit!<br />

Als ich dann außerhalb von Paris ankam, konnte ich<br />

mein Glück kaum fassen, in dieser großen Stadt wollte<br />

ich mich nun häuslich einrichten. Es würde sicher Möglichkeiten<br />

geben, dessen war ich mir sicher.<br />

Auch wusste ich schon, wo ich in Paris Meinesgleichen<br />

finden konnte, um wichtige Informationen zu erhalten,<br />

wie man am Besten in Paris überleben konnte.<br />

Das Lokal hieß „Chez Popoff“, und befand sich in der<br />

Nähe der „Pont Neuf“, einer Brücke über die Seine, im<br />

Viertel St. Michel.<br />

Das Lokal befand sich in einer kleinen Gasse, der „Rue<br />

de la Huchette“.


Ich hatte mich durchgefragt, jemand gab mir ein Metro-<br />

140<br />

ticket bis zur Station St. Michelle, und schon war ich angekommen.<br />

Als ich das kleine Lokal betrat, fühlte ich mich sofort „zu<br />

Hause“, in einer Ecke lagen Ruck- und Schlafsäcke bis<br />

an die nicht sehr hoch liegenden Decke des Lokals gestapelt,<br />

und jede Menge „Reisende“ befanden sich in<br />

dem Lokal an der Theke, in und um das Lokal verteilt.<br />

Hier wurde philosophiert, hier wurden Pläne für Reisen<br />

geplant, und die meisten jungen Menschen lächelten.<br />

Das gefiel mir wieder sehr gut, frustige Gesichter hatte<br />

ich in Deutschland zurückgelassen.<br />

Die Popoffs waren russische Emigranten, die schon seit<br />

vielen Jahren die Beatnikszene liebe- und verständnisvoll<br />

versorgten. Sie waren schon älter als ihre Klienten, hatte<br />

aber täglich Freude wenn sie ihre “Kinder“, wie sie sie<br />

nannten, versorgen konnten.<br />

Sie hatten eine kleine Küche in einem hinteren Raum<br />

eingerichtet, und täglich gab es für wenig Geld eine<br />

Malzeit zu erstehen, bis die Töpfe leer waren.<br />

Von da ab gab’s nur noch Bier, Wein und auch Limonade,<br />

aber auch immer frisches Stangenbrot, „Baguette“,<br />

die Vater Popoff stets frisch aus der nebenan liegenden<br />

Bäckerei besorgte.<br />

Die Menschen hier fühlten sich gut, das war deutlich<br />

auszumachen.<br />

Ich hatte meine Sachen auch in der Gepäckecke untergebracht,<br />

und versuchte mit Leuten ins Gespräch zu<br />

kommen.<br />

141<br />

Kapitel 18<br />

Schnell war ich in eine kleine Gruppe von Deutschen,<br />

Holländern und einer Amerikanerin gekommen. Ich<br />

stellte mich zunächst bei einer Frau vor.<br />

Grace, eine Amerikanerin, groß, braungebrannt und<br />

gutgeformt, stellte mich den einzelnen Leuten vor. Ihre<br />

Namen hatte ich erstmal vergessen, und mich auf Grace<br />

konzentriert. Was sollte ich mit Männern?<br />

Sie war eine der wirklich hübschen jungen Frauen, die<br />

hier in der Rue de la Huchette präsent waren.<br />

Grace war 19 Jahre alt, und so war der Altersunterschied<br />

nicht zu bemerken. Es imponierte ihr, dass ich gut französisch<br />

sprach. Ich sagte ihr natürlich nicht, wo ich das<br />

gelernt hatte.<br />

Ich sagte nur, dass ich eine längere Zeit in Südfrankreich<br />

gelebt hatte.<br />

Wir tranken ein Glas Wein zusammen, und erzählten uns<br />

von Reisen, die wir gemacht hatten, Grace war schon<br />

mal bis Istanbul gelangt, wo der Treffpunkt der Beatniks<br />

an der Blauen Mosche war.<br />

Sie hatte meinen Olivegrünen Schlafsack bemerkt, als<br />

ich ihn ablegte, und bemerkte: „ Der ist doch aus der<br />

amerikanischen Armee“, und ich musste ihr beipflichten.


„Der hat mir in den letzten Jahren gute Dienste getan“,<br />

antwortete ich ihr.<br />

„Das glaub ich gerne, Bessere gibt es nicht“, wusste sie<br />

zu sagen. „Aber hier in Paris gibt´s leider nur wenig<br />

Plätze, an denen du draußen schlafen kannst“, erklärte<br />

sie mir. „Aber es gibt hier viele Möglichkeiten an Geld<br />

zu kommen, und kleine, sehr preiswerte Hotels, in denen<br />

du übernachten kannst“, informierte sich mich, „den<br />

Schlafsack wirst du nicht brauchen“.<br />

142<br />

„Hast du denn überhaupt Geld“, fragte sie mich? „Nicht<br />

viel“ musste ich gestehen.<br />

„Dann kannst du heute bei mir schlafen“, bot sie mir<br />

selbstverständlich an, „ich hab ein großes Bett, und bin<br />

alleine“.<br />

Das hörte sich gut an, ich hatte meine „Eintrittskarte“<br />

für Paris gelöst, und das auf sehr sympathische Weise, ich<br />

war endlich in der Stadt der Liebe.<br />

Und sie trug diesen Beinamen nicht umsonst, wie ich<br />

sofort festgestellt hatte. „Komm, ich zeig dir das Viertel,<br />

und das Hotel, indem du jetzt wohnen kannst, bis du etwas<br />

gefunden hast“, sagte Grace, und nahm mich bei der<br />

Hand.<br />

Als erstes gingen wir durch die enge Rue de la Huchet,<br />

und dann kamen wir auf den Place St. Michel. Wir gingen<br />

ca. 100 Meter rechts, und befanden uns auf der Pont<br />

Neuff, einer schönen Brücke, die über die Seine führte.<br />

„Es gibt viele schöne Brücken in Paris, die wirst du sicher<br />

noch entdecken“, erklärte mir Grace. Und als ich<br />

sie in einem unbeobachteten Moment genauer musterte,<br />

wusste ich weshalb sie Grace genannt wurde, sie war<br />

´ne Grazie in jeder Beziehung.<br />

Ich war froh sie so schnell gefunden zu haben, sie war<br />

eine hervorragende Fremdenführerin.<br />

Als wir zu Popoff zurückkehrten, kam ein langhaariger,<br />

nicht unbedingt freundlich schauender Typ auf uns zu,<br />

und redete auf meine Begleiterin ein.<br />

„It’s over, I already told you before“, versuchte Grace<br />

laut dem Langhaarigen in Englisch klar zu machen.<br />

Der Typ zog zornig ab, und warf mir noch einen bösen<br />

Blick zu.<br />

Hast du jetzt schon Probleme mit Eifersucht, fragte ich<br />

mich.<br />

Grace kam zu mir zurück, und erklärte sofort:“ Der will<br />

143<br />

schon länger mit mir, ich hab ihn immer abgewiesen, ich<br />

mag den einfach nicht, das will er nicht begreifen“.<br />

„Mach dir keinen Kopf um den, das ist erledigt. Der will<br />

sowieso morgen nach Süden, er glaubte ich komme<br />

mit“. „Aber ich will hier bleiben, es wird Frühling, das<br />

ist die schönste Zeit in Paris“ erklärte mir Grace liebevoll.<br />

Sie zeigte mir den Boulevard St. Germain, und wir gingen<br />

in Richtung Drugstore, einem großen vielseitigen


Geschäft, wo es alles Mögliche zu kaufen gab. Hier sollte<br />

es auch die besten Hamburger von Paris geben<br />

schwärmte Grace.<br />

Aber zunächst gingen wir ins Café Flore, auf der anderen<br />

Straßenseite, gegenüber von Lipp, eins der Restaurants,<br />

in dem die gutbetuchten Menschen von Paris zu<br />

speisen pflegten. Demnach waren auch die Preise für uns<br />

unbezahlbar.<br />

Als wir auf der Terrasse des Café Flore einen freien Tisch<br />

gefunden hatten, bestellte Grace zwei Kaffee, das waren<br />

Espressi, die günstigste Möglichkeit, ein wenig Zeit im<br />

Flore zu verbringen.<br />

Grace erzählte mir, dass in diesem Café noch vor nicht<br />

allzu langer Zeit viele Philosophen aus aller Welt zusammen<br />

saßen, um neue Ideen für eine bessere Welt zu formulieren.<br />

Aber diese Zeit war vorbei, Jean Paul Sartre und seine<br />

Mitstreiter hatten sich längst in anderen Bereichen von<br />

Paris versammelt. Viele reisten zu Vorträgen um die Welt.<br />

Das Café Flore hatte sich als ein Platz für die reichlich<br />

vorhandenen „Pfeffersäcke“ von Paris etabliert, den besser<br />

verdienenden Menschen.<br />

Die Preise wurden angepasst, und so konnten wir uns<br />

nur noch Kaffee leisten, um ein wenig Zeit in dieser Kaderschmiede<br />

höherer Philosophie verbringen zu kön-<br />

144<br />

nen. Ich war gerne dort, und besuchte das Flore später<br />

oft.<br />

Es wurde Abend, Grace lud mich zu einem Hamburger<br />

im Drugstore ein. Wir gingen über den vierspurigen<br />

Boulevard St. Germain, und fanden Platz. Der Hamburger<br />

war wirklich gut, und ich wurde satt davon.<br />

„Komm, ich zeig dir mein Zimmer. „Deine Sachen holen<br />

wir später“, sagte Grace.<br />

Wir gingen ca. 200 Meter um drei Ecken, und dort war<br />

schon das Hotel, indem Grace wohnte.<br />

Zwei schmale Treppen hoch, und Grace schloss ihr Zimmer<br />

auf. Es war sehr klein, aber es gab ein großes Bett<br />

auf das Grace sich gleich fallen ließ. Überall waren ihre<br />

Kleidungsstücke verteilt, sie hatte eine ganze menge davon.<br />

Es gab nur das Bett und eine Waschgelegenheit. „Dusche<br />

ist auf dem Flur“, erwähnte Grace, und zog sich aus.<br />

„Ich bin müde“, sagte sie, „wir können deine Sachen<br />

auch morgen holen“.<br />

Mir war´s egal, ich konnte mir schon vorstellen, dass<br />

mein kleiner Seesack auch am nächsten Tag noch dort<br />

liegen würde, ich wollte mich nun auf Grace konzentrieren.<br />

Allzu müde war sie dann doch nicht.<br />

Ich wurde würdig in der Stadt der Liebe aufgenommen.<br />

Grace zeigte sich als liebevolle, äußerst zärtliche Frau,<br />

die unsere Liebesspiele genoss. Irgendwann in der Nacht<br />

schliefen wir erschöpft ein. Ich hatte wieder ´mal einiges<br />

in Sachen Liebe gelernt, mein Studium dieses Fachs<br />

machte mir große Freude.


Am nächsten Morgen wurde ich durch plätscherndes<br />

Wasser geweckt, Grace stand im Slip vor dem Waschbekken<br />

und putzte sich die Zähne.<br />

„Hi Eric“, begrüßte sie mich, als sie mit dem Zähne-<br />

145<br />

putzen fertig war, „es war sehr schön mit dir, letzte<br />

Nacht. Von mir aus kannst du eine Weile hier bleiben,<br />

wenn du möchtest“<br />

Das gefiel mir gut. Grace kam auf das Bett gesprungen,<br />

um mich wachzuküssen. Sie schmiegte sich mit ihren festen<br />

Brüsten an mich, und erklärte mir, dass sie zum<br />

amerikanischen Konsulat müsse, um irgendwelche Formalitäten<br />

zu erledigen.<br />

“Du kannst ja inzwischen deine Sachen holen, ich lass<br />

dir den Schlüssel und wir treffen uns später bei Popoff“.<br />

Dann zog sie sich an, winkte mich lächelnd und zufrieden<br />

an, und zog die Türe hinter sich zu.<br />

Ich war in Paris, und es ging mir gut. Endlich hatte ich<br />

es geschafft, und dann auch noch auf so angenehme Art.<br />

Nun machte ich mich alleine auf, Paris ein wenig zu erkunden.<br />

Ich hatte eine kleine, sehr belebte, mit Geschäften aller<br />

Art versehende Strasse entdeckt,<br />

Rue St.Andre- des- Arts, die St. Michel und St. Germain<br />

verband.<br />

Ich schaute mir das bunte Treiben in dieser schmalen<br />

langen Strasse genüsslich an.<br />

Ein paar Francs hatte ich noch in der Tasche, und setzte<br />

mich alleine ins Café Flore, und bestellte Kaffee.<br />

Der Kellner schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen<br />

an, und ging zurück ins Café, um den Kaffee zu<br />

holen.<br />

Gut betucht sah ich wirklich nicht aus, mit Jeans, T-Shirt<br />

und Jacke bekleidet, machte ich nicht den Eindruck eines<br />

reichen Mannes.<br />

Trotzdem brachte mir der Kellner meinen Kaffee für 4<br />

Francs, und wusste schon, dass er sicher kein üppiges<br />

Trinkgeld erwarten konnte.<br />

146<br />

Zwei Stunden blieb ich auf dem einen Kaffee sitzen, und<br />

betrachtete die Geschäftigkeit am Boulevard St Germain.<br />

Dann machte ich einen Spaziergang in Richtung<br />

Seine. Es waren nur ca. 10 Minuten bis ich eine andere<br />

Brücke über den Fluss ereichte.<br />

Von dieser prächtigen alten Brücke konnte ich zu meiner<br />

Rechten die eindrucksvolle Kirche Notre Dame sehen,<br />

und nach links gab es viele prachtvolle Brücken zu<br />

bewundern, die ich mir später alle näher anschauen<br />

wollte.<br />

Ich begab mich zurück in die Rue de la Huchette. Dort<br />

traf ich Grace, die mich schamlos mit einer kräftigen<br />

Umarmung und einem heißen Kuss begrüßte<br />

Das gefiel mir, nun waren für alle männlichen Konkurrenten<br />

Fakten geschaffen, Grace hatte ihren Begleiter


gefunden.<br />

Das war der Eric, konnte ich freudig feststellen. Eine<br />

schöne Frau als Begleitung war immer besser, als alleine<br />

auf der Suche zu sein. Man wurde von Typen respektvoller<br />

angesehen und Frauen interessierten sich mehr für<br />

einen Mann in Begleitung einer schönen Frau, warum<br />

auch immer.<br />

Grace zeigte mir viel von Paris, bis hin zu der hoch auf<br />

dem Berg stehenden Prachtkathedrale Sacre Coeur, die<br />

über der Stadt gebaut worden war. Man hatte von dort<br />

die beste Aussicht über ganz Paris. Viele sehr hohe und<br />

breite Treppen führten zum heiligen Herz, es gab aber<br />

auch einen kleinen Aufzug, der über eine Zahnradbahn<br />

nach oben führte.<br />

Wir gingen natürlich zu Fuß, und bei jedem Absatz, die<br />

Treppe war in verschiedenen Teilen hoch gebaut, machten<br />

wir Halt und schauten hinunter auf die immer kleiner<br />

werdenden Autos.<br />

Wenn man kurz vor dem Eingang ankam, gab es noch<br />

147<br />

zwei Treppen mit je 5 Stufen, bis man den Eingang erreichte.<br />

Sehr viele Touristen wieselten auf der Treppe und um<br />

das Gotteshaus herum. Ich war fasziniert von diesem hell<br />

strahlenden Gebäude, mit einer riesigen runden, oben<br />

spitz zulaufenden Kuppel, prachtvoll aus hellen Sandsteinen<br />

gebaut.<br />

Als ich in die Kirche betrat wurde es mir wahrlich heilig<br />

zumute, ich hatte in Griechenland und Rom schon<br />

Einiges gesehen, aber diese mit unendlich vielen Ornamenten<br />

und Heiligenfiguren geschmückte Kathedrale<br />

stand dem Gesehenen in nichts nach.<br />

Auch hatte Sacre Ceur unzählige besonders schöne bunte<br />

Bleiverglaste Fenster, die meine Faszination noch verstärkten.<br />

Das Licht, das sich innerhalb der Kirche verteilte,<br />

wenn die Sonne durch die bunten Fenster schien, war<br />

einfach großartig.<br />

Grace ließ mich völlig alleine diese Pracht bestaunen, sie<br />

hatte Freude ob meiner Begeisterung und hielt sich im<br />

Hintergrund.<br />

Als ich dann genug gestaunt hatte drehte ich mich im<br />

Kreis, um Grace zu finden. Sie stand lässig neben der<br />

Eingangspforte, aus der immer noch mehr Menschen in<br />

die Kathedrale stürmten.<br />

„Na, das hat dir wohl gefallen“, sagte Grace mit einem<br />

freundlichen Lächeln auf den Lippen.<br />

Ich nickte nur mit dem Kopf, mir fehlten die Worte.<br />

„Komm weiter Eric, es gibt hier oben noch mehr zu sehen“,<br />

forderte Grace mich auf.<br />

Wir gingen an der linken Seite von Sacre Coeur herum,<br />

und kamen auf einen Platz, Place du Tertre, auf dem es<br />

von Malern nur so wimmelte.<br />

Sie hatten sich rund um den Platz gesetzt, malten Bilder<br />

in Oel, oder porträtierten die Touristen in allen mögli-


148<br />

chen Formen.<br />

`Mal zeichneten sie genaue Portraits der Köpfe, die sich<br />

ihnen zu Verfügung stellten, und ca. 20 Francs dafür bezahlten,<br />

machten aber auch Karikaturen der Menschen,<br />

die sehr lustig aussahen, das Gesicht der Einzelnen trotzdem<br />

sehr genau wiedergaben.<br />

Innerhalb dieses Rondells der vielen Maler waren Restaurants<br />

angesiedelt, eher für Touristen, die reichlich<br />

Gebrauch davon machten. Die Preise waren dementsprechend.<br />

„Glaubst du ich könnte an der Treppe auf den Bordstein<br />

malen“? fragte ich Grace. „Versuchs doch einfach, ich<br />

hab schon gesehen, dass du Kreide bei deinen Sachen<br />

hast“, antwortete sie.<br />

Ich konnte den nächsten Tag kaum erwarten, wenn das<br />

klappte, dass ich vor der Kathedrale malen dürfte, stand<br />

meinem Überleben in Paris nichts mehr im Wege.<br />

Also machte ich mich nach einer von viel Liebe erfüllten<br />

Nacht auf, mit der Metro zum Sacre Ceur zu fahren.<br />

Ich hatte natürlich meine älteste Jeans angezogen, die<br />

diese blöde Anne schon wegwerfen wollte, ich konnte es<br />

gerade noch verhindern, und wusch sie selbst mit meinen<br />

Händen. Sie war schön sauber, nur mit einigen<br />

Farbflecken besetzt.<br />

Also machte ich es mir an einem besonders guten Platz<br />

gemütlich, setzte mich genau in die rechte Ecke der<br />

zwei letzten, mit nur jeweils 5 Stufen hohen Treppen unter<br />

dem Portal der Kathedrale. Die Touristen strömten in<br />

das Gotteshaus wie die Ameisen, und ich sah vor meinem<br />

geistigen Auge die Taler schon in mein Kästchen<br />

fallen.<br />

Also begann ich neben der Treppe mein Gemälde aufs<br />

Pflaster zu malen. Mein Büchlein mit den Bildern von<br />

Modegliani hatte ich immer bei mir, einige seiner Por-<br />

149<br />

traits der Damen hatte ich schon ohne das Buch zu malen<br />

gelernt.<br />

Allzu lange hatte ich es in der „Heimat“ ja nicht ausgehalten,<br />

so war ich noch immer im Training.<br />

Und ich malte wie nie zuvor, ich ließ mir sehr viel Zeit,<br />

um die Portraits auch gut aussehen zu lassen. Ich konnte<br />

schließlich nicht pfuschen, ob der vielen Maler auf<br />

dem Platz, von dem meine Malfläche nicht einsehbar<br />

war.<br />

Und die Touristen strömten nur so an mir vorbei, schauten<br />

erstaunt auf meine Beschäftigung, und ließen ihr<br />

Münzgeld in mein unterhalb des Bildes stehendes Kästchen<br />

fallen.<br />

150<br />

Kapitel 19<br />

Dann kam das Unvermeidliche, die Polizei. „Ihre Papiere<br />

bitte“, sagte einer der beiden in dunkelblauen Uniformen,<br />

mit großen Colts bewaffneten Gesetzeshüter.


Ich fingerte meinen Personalausweis aus der hinteren<br />

Hosentasche, und übereichte ihn den Gendarmen.<br />

Sie kontrollierten den noch fast neuen Ausweis, machten<br />

einen Funkspruch, und gaben mir den Ausweis nach 2<br />

Minuten zurück. „Na dann, gutes Geschäft“, sagten die<br />

Beamten, und ließen mich gewähren.<br />

Ich konnte es kaum glauben, mein Arbeitsplatz war sicher,<br />

hier würde man mich also nicht fortschicken.<br />

Tausend Gedanken durchströmten mein Hirn, ich<br />

konnte Geld verdienen, und endlich da bleiben, wo ich<br />

schon seit Jahren hinwollte, in Paris.<br />

Meine Freude war bestimmt sichtbar, und ich machte<br />

mich fleißig weiter an meinem Portrait zu schaffen, das<br />

längst fertig war, aber arbeitend gaben die Leute eher etwas<br />

von ihrem schwer verdienten Geld, als wenn ich nur<br />

über meinem Bild saß.<br />

Ich hatte Hände und Hose mit Kreide voll, aber das<br />

machte mir nun überhaupt nichts aus, das gehörte dazu,<br />

und das Geld klingelte nach und nach in meine Kasse.<br />

Ich hatte mich aber auch an einer Stelle platziert, wo die<br />

Busse der Touristen anhielten, ihr erster Blick fiel auf<br />

meinen Modegliani. Diesen Umstand hatte ich nicht berechnet,<br />

das hatte ich noch nicht gemerkt, als ich genau<br />

dort zu malen begann. Aber etwas Glück sollte mir jetzt<br />

vergönnt sein, Paris liebte mich, und ich liebte Paris.<br />

Am frühen Nachmittag hörte ich es hinter mir rascheln,<br />

da hatte Jemand einen Schein in meine Kasse geworfen.<br />

Als ich mich herumdrehte standen dort Grace und eine<br />

151<br />

französische Freundin, und lachten mich an<br />

„Das klappt ja ausgezeichnet mit deiner Arbeit, wie ich<br />

an deinem gut gefüllten Kästchen sehen kann“, sagte<br />

Grace lachend, und stellte mir Monique, eine Freundin<br />

vor.<br />

„Hallo Eric“, sagte sie auf Französisch, „ ich hab schon<br />

von die gehört“. Sie war ein gut aussehendes, ca. 18 Jahre<br />

altes Mädel, das einiges in ihren engen Jeans zu bieten<br />

hatte. Blondes langes Haar reichte ihr bis weit über den<br />

Rücken, bis hinunter auf ihren knackigen Po.<br />

„Wir haben dir einen Schein in die Kasse gelegt, pass<br />

gut auf ihn auf, vielleicht animiert der die Leute, auch<br />

´mal einen Papiergeld zu spendieren.“ lachte Grace. „<br />

Deine Arbeit ist gut, und den Zehner hast du verdient“,<br />

bemerkte sie, „wir sehen uns heute Abend bei Popoff“,<br />

erwähnte sie noch, und die beiden Mädels winkten mir<br />

zum Abschied zu, bevor sie die vielen Stufen hinuntergingen.<br />

Als ich am Abend gegen 19 Uhr mein „Geschäft“<br />

schloss, begann ich in einer entfernten Ecke das Geld zu<br />

zählen, ich hatte mir immer wieder etwas eingesteckt,<br />

wenn mein Kästchen zu voll war.<br />

Ich traute meinen Sinnen nicht, als ich das Geld gezählt<br />

hatte, mit dem Schein von Grace hatte ich 289 Francs<br />

verdient.


Das hätte ich nicht erwartet, so viel Geld hatte ich mit<br />

meiner Modeglianerei noch nirgendwo gemacht. Ich<br />

war überglücklich und machte mich auf, um Grace von<br />

diesem Erfolg zu berichten, und sie zu einem Hamburger<br />

und Wein einzuladen. Grace liebte französischen<br />

Wein, und wenn sie leicht angetrunken war, profitierte<br />

ich in der Nacht davon.<br />

Grace hatte in ihrer Botschaft schlechte Nachrichten erhalten,<br />

und musste kurzfristig in die USA.<br />

152<br />

„Du kannst mein Zimmer behalten, es ist noch bis zum<br />

Ende des Monats bezahlt“, offerierte sie mir. „Ich würde<br />

das schon gezahlte Geld sowieso nicht zurückbekommen“,<br />

sagte sie noch.<br />

Sie packte ihre Sachen in einen großen Koffer, und verabschiedete<br />

sich herzlich von mir. „Du brauchst nicht<br />

mit zum Flughafen zu kommen“, sagte sie noch, „ich<br />

hasse übertriebene Verabschiedungen“.<br />

„Es war sehr schön dich kennen gelernt zu haben, und<br />

ich freue mich sehr, dass du in Paris überleben kannst“,<br />

sagte sie bevor sie ging, „vielleicht sehen wir uns ja bald<br />

wieder, ich komme sicher zurück wenn in Texas alles geregelt<br />

ist“, sagte sie und war schnell aus der Türe verschwunden.<br />

Ihren ziemlich großen Koffer trug sie als<br />

wäre er nicht gefüllt, ich hatte schon früher gemerkt, die<br />

Frau hatte Kraft.<br />

Wir schrieben den 19. des Monats Mai, und ich hatte also<br />

noch elf Tage freies Wohnen, und die Aussicht, das<br />

Zimmer mit meinen Verdiensten behalten zu können.<br />

Ich machte mich gleich auf, die Eigentümerin der Pension<br />

zu finden, und die Sache mit ihr zu regeln. „Kein<br />

Problem“, sagte sie, „Hauptsache ich bekomme meine<br />

Miete pünktlich“.<br />

Ich hatte ein richtiges Zuhause gefunden, ich war ´mal<br />

wieder ein glücklicher Mensch. Und die Aussichten waren<br />

sonnig.<br />

So ging ich dann Tag für Tag zu meiner Malerecke am<br />

Sacre Coeur, und malte Portraits. Manchmal besorgte<br />

ich mir Wasser in einem Café, in das ich öfters ging, und<br />

wo ich schon bekannt war, holte mir einen Eimer, einen<br />

Lappen, und wischte das aktuelle Bild vom Bordstein,<br />

begann mit einem anderen Gemälde. Ich brauchte zumeist<br />

nur die Farben zu ändern, die von Modegliani gemalten<br />

Frauenportraits glichen sich sehr, obwohl die<br />

153<br />

Gesichter nie dieselben waren. Die Portraits so hinzubekommen,<br />

wie der große Meister sie in Öl gemalt hatte,<br />

war oft schon schwierig, aber ich meisterte die Arbeit<br />

letztlich.<br />

Ich traute mich nicht an andere Gemälde, ich war schon<br />

mit Modegliani-Portraits gefordert. Wenn ich an all die<br />

wirklichen Maler, die studiert hatten, und sich auf dem<br />

Place de Tairtre verdingen mussten dachte, kam mir die


Scham. Aber ich musste überleben, so wischte ich solche<br />

Gedanken beiseite.<br />

Ich verdiente täglich gut. Oft kam ich erneut an die 300<br />

Francs, ab und zu verdiente ich nur einen Hunderter.<br />

Aber auch das war sehr viel Geld für meine kleinen Verhältnisse,<br />

schließlich kostete mein Zimmer nur 20<br />

Francs pro Nacht. Ich bezahlte immer für eine Woche<br />

vorab, dann hatte ich Ruhe.<br />

Die Polizei kam leider oft kontrollieren, mein Ausweis<br />

litt sehr unter den meist täglichen Besuchen. Er wurde<br />

wieder bunt, obwohl ich mich bemühte, ihn sauber zu<br />

halten. Aber meine Hände waren stets mit Kreide voll,<br />

die ich ja ständig verreiben musste, um Farbe zu verteilen,<br />

oder andere Farbtöne zu kreieren.<br />

Das Geschäft florierte, das war die Hauptsache.<br />

So etwas hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen<br />

nicht vorgestellt, so viel Geld mit Pflastermalerei zu verdienen,<br />

es war wie ein Wunder. Irgendjemand weit hoch<br />

über der Kathedrale hielt seine Hand über mich, und<br />

ließ die Taler in meine Kasse klimpern.<br />

Schon bald musste ich mir einen neuen Karton Kreide<br />

kaufen, ich hatte schnell alles aufgebraucht. Aber ich hatte<br />

„es“ ja, pas des Problémes.<br />

Glücklicherweise hatte ich direkt am Sacre Coeur keine<br />

Konkurrenz, die linke Seite neben der Treppe war dunkel,<br />

und nicht gut einsehbar. Außerdem hielten die Tou-<br />

154<br />

ristenbusse einige Meter vor meinem Gemälde, ich war<br />

der erste „Künstler“, den sie auf ihrer Tour zur Kathedrale<br />

und zum Place de Taitre begegneten. So bekam ich<br />

ihre erste Spende auf dem Weg zu den wirklichen Malern<br />

Die Kohle floss, und ich hatte mir bei Popoff schon einige<br />

Freunde und Freundinnen gemacht.<br />

Oft lud ich einige von ihnen zu Wein oder auch Essen<br />

ein, was sie zu schätzen wussten.<br />

Nie hatte ich auch nur die geringsten Probleme in Paris,<br />

und war schon weit über einen Monat hier. Mein<br />

Zimmer hatte ich ein wenig gemütlich gemacht, einige<br />

Poster an die Wände gehängt, ich fühlte mich wohl.<br />

Ein Mädel kam natürlich auch ab und an mit in mein<br />

Zimmer, aber ich legte mich auf Keins fest, die Richtige<br />

war noch nicht gefunden.<br />

Bis Monique wieder auf der Szene erschien, die Freundin<br />

von Grace, die mich bei meiner Arbeitsstelle besucht<br />

hatte. Monique gefiel mir sehr, und ich begrüßte sie<br />

herzlich auf Französisch. „Hallo Eric“, sagte sie, „ich war<br />

einige Zeit nach Nizza gereist, wo ich einen Job zu machen<br />

hatte. Habe gut verdient da unten“.<br />

„Wollen wir essen gehen“, lud ich sie ein, und sie hatte<br />

nichts dagegen. So hatte ich die Frau schon ´mal aus<br />

der gierigen Meute anderer Frauenjäger in Sicherheit<br />

gebracht.<br />

Sie gefiel mir sehr, und beim Essen kamen wir uns


schnell näher. Sie erzählte von ihren Reisen, sie war mit<br />

Grace gemeinsam in Istanbul gewesen.<br />

Da auch ich etwas zu erzählen hatte, verging die Zeit<br />

wie im Fluge, und es war mittlerweile später Abend geworden.<br />

„Wo übernachtest du heute“, fragte ich sie, und<br />

sie zog nur die Schultern hoch, während sie mich anschaute.<br />

„Willst du mit zu mir?“, fragte ich direkt. Sie<br />

155<br />

nahm mich bei der Hand, und wir gingen in mein Hotelzimmer.<br />

Das Zimmer kannte sie schon, sie war mit Grace öfters<br />

hier gewesen. Sie hatte eine kleine Reisetasche, und<br />

wollte erstmal duschen.<br />

Das fand ich gut, denn auch ich musste mich säubern.<br />

„Eric, ich gehe alleine, und bitte denk nicht, dass ich<br />

heute mit dir schlafe, bei mir geht das nicht so schnell“,<br />

gab sie mir ob meiner Freude auf sie als kleinen Dämpfer<br />

mit auf den Weg ins Zimmer. Sie war eine so schöne<br />

Braut und ich musste brav bleiben.<br />

Sie kam zurück aus der Dusche, ein großes Handtuch<br />

um den Körper gewickelt, und kämmte sich die langen<br />

nassen Haare. „So, jetzt kannst du duschen gehen“, sagte<br />

sie mir lächelnd.<br />

Ich packte mir ein Handtuch, Schampon und Seife, und<br />

meine schmudellige Hose. Ich duschte in der heißen<br />

Flut, wusch meine mittlerweile ziemlich langen Haare,<br />

und säuberte die Jeans, so gut es ging, ich hatte mir natürlich<br />

schon eine zweite Arbeitshose angeschafft.<br />

Nachdem ich aus dem Bad kam, lag Monique schon fest<br />

schlafend an der Fensterseite des Betts. Ich hängte leise<br />

meine Hose nach draußen und schlüpfte unter die noch<br />

freie Seite des großen Betts. Auch ich war schnell eingeschlafen,<br />

ich war müde von den zwei Gläsern Wein, die<br />

ich beim Essen getrunken hatte.<br />

Irgendwann in der Nacht spürte ich plötzlich Hände auf<br />

meinem Körper, die mich sanft streichelten, und langsam<br />

in Richtung meiner Körpermitte langten. Ich öffnete<br />

die Augen, und sah Monique über meinem Gesicht, die<br />

mich anlächelte, und mich sofort inbrünstig küsste.<br />

Schnell war ich hellwach, und ließ die Frau gewähren,<br />

ich fühlte den nackten Körper einer schönen Frau.<br />

Monique nahm das Heft in die Hand, und setzte sich<br />

156<br />

auf mich, wobei sie ihre sehr langen Haare stets nach<br />

hinten zusammenzulegen versuchte.<br />

Aber diese Haarpracht verteilte sich immer wieder über<br />

ihren gesamten Oberkörper, und verdeckte auch ihre<br />

schönen Brüste.<br />

Dann nahm ich ihre Haare auseinander, denn ihre leicht<br />

schaukelnden Brüste waren einen Blick wert. Ich hatte<br />

ein kleines Licht angemacht, meine Augen auf diese Frau<br />

gerichtet reizte mich sehr. Irgendwann schrie sie leise,<br />

ließ ihren Körper auf mich fallen, und rollte dann langsam<br />

von mir hinunter. Ich hatte meinen Höhepunkt


schon erreicht aber ich blieb so lange stark, bis auch Monique<br />

ihren Orgasmus erreicht hatte. Das hatte ich schon<br />

gut gelernt bei meinen Eskapaden.<br />

„Du wolltest doch nicht mit mir schlafen“, sagte ich zu<br />

ihr, aber sie lächelte nur zufrieden und sagte, „ ich hab’s<br />

mir eben anders überlegt, als ich eben wach wurde, sah<br />

ich einen netten Jungen neben mir schlafen, und ich<br />

konnte nicht anders, als ihn zu wecken“.<br />

Dies sollte eine längere Geschichte werden, gegen die<br />

ich nichts einzuwenden hatte. Jedenfalls wurden meine<br />

Französisch Kenntnisse in jeder Beziehung Tag und<br />

Nacht intensiviert.<br />

Wie jeden Vormittag machte ich mich auf zur Kathedrale<br />

Sacre Ceur und übermalte meine Bilder. Täglich<br />

machte ich gutes Geld, das ich auf eine Bank brachte, ich<br />

hatte mein erstes Konto eröffnet. Ich bekam sogar ein<br />

Scheckheft, das war in Frankreich so üblich.<br />

Stolz verließ ich die Bank am Boulevard St. Germain,<br />

und ging zunächst zu Popoff, um Bekannte zu treffen.<br />

Monique hatte sich auch schon eingefunden, und sie begrüßte<br />

mich herzlich mit einem nassen Kuss auf die Lippen.<br />

„Komm, wir gehen feiern“, lud ich sie ein, ich wollte<br />

157<br />

´mal mit Scheck bezahlen. Wir fanden ein kleines, gut<br />

besuchtes Restaurant am oberen Ende des Boulevards,<br />

und begaben uns hinein.<br />

Zunächst bestellten wir eine Flasche Wein, und studierten<br />

die Speisekarte.<br />

„Nimm was immer du willst“, animierte ich Monique,<br />

die mich staunend ansah. Sie wusste zwar, dass ich bei<br />

meiner Malerei gut verdiente, jedoch hatte ich sie so<br />

noch nie eingeladen. Letztlich bestellten wir Pfeffersteaks,<br />

und aßen mit Freude und Genuss.<br />

Ich bezahlte stolz mit Scheck, und Monique staunte<br />

nicht schlecht. „Verdienst du so gut da oben“, fragte sie<br />

mich, ich antwortete nur mit Schulterzucken.<br />

Monique hatte selbst Geld, sie bekam einen monatlichen<br />

Scheck von zu Hause in Fregues, einem kleinen Ort am<br />

Mittelmeer.<br />

Das Mädel war ziemlich angetörnt nach der Flasche<br />

Wein, von der ich nur ein Glas getrunken hatte.<br />

„Komm, Eric, wir gehen ins Hotel“, lud sie mich ein.<br />

Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, auch mir war<br />

nach Liebe zu Mute.<br />

Erst gingen wir gemeinsam in die Dusche, und spielten<br />

obszön mit der Seife, bis Monique sich auf den Boden<br />

der heißes Wasser sprühenden Dusche gleiten ließ. Sie<br />

nahm mein bestes Stück zwischen ihre drallen Lippen,<br />

und saugte mich aus, bis ich völlig entleert war.<br />

Wir trockneten uns ab, und ließen uns zufrieden auf das<br />

große Bett fallen. Nach 10 Minuten Pause machte Monique<br />

sich erneut über mich her, sie hatte ihr langes<br />

Haar zu einem Zopf zusammen gebunden. Wir fögelten


is in die frühen Morgenstunden in allen Variationen, das<br />

Steak hatte Kraft gegeben. Den Rest besorgte meine<br />

Freundin. Ich musste mich nicht sonderlich anstrengen,<br />

sie saß gerne oben auf.<br />

158<br />

Mittlerweile teilten wir uns die Miete des Hotels, jeder<br />

zahlte 10 Francs pro Nacht. Damit konnten wir entspannt<br />

leben, und bezahlten jetzt monatlich, ich wollte<br />

noch einige Zeit in Paris bleiben.<br />

Als der Sommer sich ankündigte musste Monique sich<br />

Verabschieden, ihre Eltern hatten ein Restaurant im Süden<br />

Frankreichs, und sie musste während der Saison mitarbeiten.<br />

„Tschau Eric, die Zeit mit dir werde ich nie vergessen,<br />

du hast mein Leben außerordentlich bereichert“, sagte<br />

sie lächelnd zu mir, als sie sich verabschiedete.<br />

„Monique, auch mit dir hatte ich eine schöne erfahrungsreiche<br />

Zeit“, sagte ich frivol lächelnd. „Cochon“,<br />

antwortete sie lachend, und zog mich ein letztes Mal<br />

zärtlich an den Haaren, was sie bei unseren Spielchen oft<br />

getan hatte. Dann noch ein langer feuchter Kuss und ich<br />

schloss die Türe hinter ihr zu, legte mich aufs Bett, und<br />

ließ unsere Affäre Revue passieren. Ich kam zu positiven<br />

Erkenntnissen.<br />

.<br />

159<br />

Kapitel 20<br />

Eigentlich war ich sehr froh, jetzt ´mal alleine zu sein,<br />

die fast tägliche Fögelei hatte mich schon geschafft. Monique<br />

war in dieser Hinsicht einfach grenzenlos. Ich<br />

weinte ihr eine kleine Träne nach, da ich sie recht lieb<br />

gewonnen hatte. Ich lag immerhin über 2 Monate mit<br />

ihr in einem Bett.<br />

Das Hotel war noch für drei Wochen bezahlt, und ich<br />

beschloss diese Tage zu genießen so gut es ging, vielleicht<br />

eine andere Partnerin finden, nur für gelegentliche<br />

Abenteuer, nichts Festes, das hatte ich zu Genüge genossen.<br />

Frauen gab es ohne Ende in Paris. Man musste nur im<br />

rechten Moment zugreifen, und das Ding ging ab, so wie<br />

ich es wollte. Ich war ein gelehriger Schüler und stets für<br />

Neues offen.<br />

Ich ging auch nur noch wenige Tage auf den Berg der<br />

Kathedrale, verdiente gutes Geld, und übergab meinen<br />

Platz einem würdigen Nachfolger, den ich von Popoff<br />

kannte, und der wirklich malen konnte. Ich schenkte<br />

ihm auch meine Kreide, meine Arbeit war beendet, ich<br />

hatte genug Geld, um einige Monate locker leben zu<br />

können. Meine Lust an Modegliani hatte sich auch völlig<br />

erschöpft, mein Büchlein war so mit Farben der Kreide<br />

übersäht, ich warf es in die Saine, nicht in einen Papierkorb.<br />

Nun flossen die schönen Arbeiten des Meisters<br />

Richtung Meer, ich wollte bald hinterher kommen.<br />

Als die Tage des Aufenthalts im Hotel gezählt waren,<br />

packte ich meine Sachen, verschenkte meinen Schlafsack,


über den Marc, ein lieber Mensch, den ich auch bei<br />

Popoff kennen gelernt hatte, und mit dem ich einige<br />

Züge durch die Pariser Viertel gezogen war, sehr freute.<br />

160<br />

Marc kannte sich aus in Paris, er hatte mich einmal sogar<br />

überredet, mit ihm nach Versailles zu fahren, was mir<br />

erst suspekt war, mich aber letztendlich sehr beeindruckte.<br />

Ich trat ´mal wieder eine Reise an, Paris hatte ich für<br />

meine Bedürfnisse zu Genüge studiert.<br />

Die Rue National 7 war mein erstes Ziel, die Strasse, die<br />

bis Marseille führte. Auf die Stadt hatte ich zwar nur wenig<br />

Lust, aber an die Cote ´d azur wollte ich unbedingt<br />

noch für eine Woche, oder eine Zeit, die mir gefiel genießen.<br />

Geld hatte ich reichlich verdient, Schecks hatte ich<br />

glücklicherweise zu Genüge.<br />

Nur die langen und teuren Fahrten mit der Bahn wollte<br />

ich nicht bezahlen, trampen machte viel mehr Spaß.<br />

Man lernte nette Menschen kennen, denn nur solche<br />

nahmen einen mit, und man kam auch in die entlegensten<br />

Gefilde Frankreichs, die man in einem Zug nie kennen<br />

gelernt hätte.<br />

Nach zwei Tagen hatte ich das Meer vor Augen, und unter<br />

den Füßen.<br />

Ich war schnell vorangekommen, und landete in Nizza,<br />

wo mich mein letzter Chauffeur absetzte. Es war heiß,<br />

die Sonne knallte unbarmherzig auf meinen Schädel.<br />

Das hatte ich ja auch so gewollt, aber ausgerechnet im<br />

Juli hierher zu kommen war keine gute Idee. Es war einfach<br />

zu brennend.<br />

Somit blieb ich nur wenige Tage an der Cote, und machte<br />

mich nach ca. einer Woche von Frejues auf den Weg<br />

zurück nach Norden. In meine Stadt der Liebe, die ich<br />

herzlich verehrte.<br />

Die professionellen Liebesdienerinnen von Paris werde<br />

ich auslassen, obwohl ich einige von ihnen näher kennelernen<br />

durfte, viel von ihnen bekommen und gelernt<br />

161<br />

hatte. Sie beschenkten mich reich, und hielten mich längere<br />

Zeit gut am Leben. Gott segne sie.<br />

162<br />

Kapitel 21<br />

Nachdem ich Paris den Rücken gekehrt hatte, reiste ich<br />

noch fast ein Jahr durch Italien, die Autostrada del Sole<br />

´rauf und runter.<br />

Ich lernte viele Städte, z.B Padua, 50km von Venedig<br />

entfernt, wo ich aber nie hinfuhr, vielleicht will alle<br />

dorthin wollten, und auch die Sprache kennen.<br />

Viel von der Sprache blieb später mangels Übung etwas<br />

auf der Strecke. Aber nicht völlig.<br />

Ich wurde bald 18 Jahre alt, und suchte neue mir noch<br />

unbekannte Gefilde in Europa.<br />

Ich war fast 4 Monate in Padua, eine Studentenstadt mit<br />

vielen Arkaden geschmückt, die aus alter Vorzeit stammten.


Dann war ich auch noch´mal für einige Monate in<br />

Rom, die architektonisch schönste Stadt Europas für<br />

mich.<br />

Ich fuhr erneut nach Napoli, machte auch einen Trip<br />

nach Palermo auf Sizilien, ein Moloch von Stadt, der<br />

mich aber nicht sonderlich begeistern konnte.<br />

Capri besuchte ich noch für einige Wochen, sehr beeindruckendes<br />

Flair auf der Insel.<br />

Um Geld brauchte ich mich nie zu sorgen, es waren<br />

´mal wieder die schönen Frauen, die mich, ich weis<br />

nicht warum, liebten, und unterhielten ohne Fragen zu<br />

stellen.<br />

Fantasie hatte ich in jeder Hinsicht, und lernte, dass diese<br />

bei Frauen immer gut ankam.<br />

Ein Bekannter, Jean aus Belgien, überredete mich bei einem<br />

Aufenthalt in Rom, mit ihm nach Brüssel zu fahren,<br />

er sagte die Szene dort sei sehr aufregend, und es gäbe<br />

Frauen en masse, die nur darauf warteten, dass ich<br />

dort auftauchte.<br />

163<br />

So denn, warum nicht, dachte ich mir, ich wollte sowieso<br />

neue Plätze dieser Welt erkunden.<br />

Ab ging’s nach Brüssel, das wir irgendwann im Frühjahr<br />

1967 erreichten.<br />

. Ich hatte mir in Rom einige Kleidungsstücke angeschafft,<br />

neue Jeans, Hemden, die ich noch stets über der<br />

Hose trug und ein schönes Jackett aus braunem Leder.<br />

Dies war mein Lieblingsstück. Eine lohnende Anschaffung.<br />

Ich fühlte mich gut in der Jacke, die zum Glück nicht<br />

allzu neu aussah, aber auch nicht als alt zu definieren<br />

war. Es war eine Lederjacke, die schon ein paar Jahre Geschichte<br />

hinter sich hatte, älter, aber immer gepflegt.<br />

Ich fühlte mich stark in der Jacke und in jeder Situation<br />

unwiderstehlich.<br />

Stiefel hatte ich mir auch gekauft, ich war schon immer<br />

heiß auf gute Stiefel, die ich nur aus Cowboyfilmen<br />

kannte. Ich hatte spanische Stiefel erstanden, abgerundet,<br />

und mit einem 5 cm hohen Absatz. Sie reichten mir bis<br />

hoch in die Waden. Ich war stolz wie Oskar mit diesen<br />

wunderbaren Lederstiefeln und der gleichfarbigen Jacke,<br />

ich war nicht mehr als Beatnik auszumachen.<br />

( Nochmals Dank an die Bordsteinschwalben von Paris.)<br />

Und das war gut so, ich hatte das gammeln leid, ich wollte<br />

anders leben, die Strasse und die Parks mochte ich<br />

nicht mehr. Meinen Schlafsack hatte ich ja schon abgeschafft,<br />

und mit meinem Konto war noch Einiges zu<br />

machen.<br />

Brüssel zeigte sich als wunderschöne Stadt. Als wir durch<br />

die außerhalb der Innenstadt liegenden Viertel, in denen<br />

Afrikaner aus allen Belgischen Kolonien angereiste arme<br />

Menschen lebten, hinter und gelassen hatten, und auf<br />

den „Grand Place“ kamen, war ich gleich fasziniert. Der<br />

Platz war 110 Meter lang, 70 Meter breit, wie Marc mir


164<br />

erklärte. Die ihn säumenden Gebäude zeugten von der<br />

glanzvollen Vergangenheit der Handwerkerzünfte, das<br />

gotische Rathaus und alte Zunfthäuser mit prachtvollem<br />

Renaisance-und Barockgiebeln, zeigten ein einzigartiges<br />

Ensemble. Besonders abends, als wir den Grande<br />

Place erreichten, waren die Häuser rundum erleuchtet,<br />

und ergaben einen prächtigen Glanz.<br />

Rund um den Grande Place tobte Tag und Nacht das<br />

Leben, es war sehr viel anders als in Paris, wo alles ziemlich<br />

diskret abging, hier in Brüssel tönte Musik aus den<br />

Cafés und die vielen Discotheken luden zu Besuch ein.<br />

Ich wusste gleich, hier würde ich einige Zeit verbringen,<br />

ich war von der Stadt sofort hellauf begeistert. Und endlich<br />

viel Musik um mich herum.<br />

Ich suchte mir ein kleines Hotel in der Nähe des Grande<br />

Place, und ich fand ein Zimmer für 25 französische<br />

Francs pro Nacht, es war groß, und hatte ein bequemes<br />

Doppelbett. Die Dusche war im Zimmer, was mir sehr<br />

gefiel. Der Preis war O.K., ich hatte noch einige Barschaft<br />

auf meinem Konto, das ich am nächsten Tag belasten<br />

musste.<br />

Aber ich machte mir keinerlei Sorgen, ich würde mich<br />

auch hier durchzuschlagen wissen.<br />

Ich ging früh schlafen, Marc war bei Freunden der Familie<br />

untergekommen, und ich schlief bis in den späten<br />

Vormittag. Das Frühstücksbuffet war schon geräumt.<br />

Also machte ich mich auf, ein Café zu finden, in dem ich<br />

frühstücken konnte. Gleich um die Ecke des Hotels fand<br />

ich das Café, und mit Musikbegleitung leistete ich mir<br />

viel Kaffee und reichlich Croissants, ich war hungrig.<br />

Das mit der Musikbegleitung gefiel mir direkt gut, man<br />

spielte moderne Musik der von mir geliebten Beatles,<br />

den Rolling Stones, James Brown, der erst seit kurzer<br />

Zeit seine Karriere in Europa begann, und vielen ande-<br />

165<br />

ren Rock und Soul Interpreten.<br />

Ich schlenderte durch die Stadt, überquerte den Grand<br />

Place, und erkundete die kleinen Nebenstrassen.<br />

Überall gab es Angebote jeder Art. Boutiken und Cafes<br />

reihten sich aneinander wie verschiedenfarbige Perlenketten,<br />

und das Leben pulsierte in einer Art, wie ich es<br />

noch selten gesehen hatte.<br />

Alle möglichen Kulturen vermischten sich in den Strassen,<br />

in Paris war dies zwar auch so, aber dort waren einzelne<br />

Wohnstädte, die Kulturen auseinander hielten, dort<br />

hatte jede Völkergemeinschaft ihr eigenes Viertel.<br />

Hier in Brüssel war die große Völkergemeinschaft, jeder<br />

konnte mit Jedem, und das in Frieden.<br />

Es war nun Mittag, und ich setzte mich in ein Café, aus<br />

dem für mich sehr gute Musik herausklang. Ich trank<br />

Milchkaffee, und hatte Freude an den vorüber flanierenden<br />

Menschen und der Musik.


Überhaupt spielte hier in Brüssel die Musik eine weit<br />

größere Rolle in der Unterhaltung der Leute, als in Paris.<br />

Dort musste man in teure Clubs gehen, um Musik u<br />

hören.<br />

Es war Herbst geworden, die Tage wurden kürzer, die<br />

Sonne zeigte sich nur noch selten.<br />

Langsam begann ich mich in Brüssel auszukennen, ich<br />

fand einen Club, indem Musiker verkehrten.<br />

Ich hörte dass eine Band, „Le Clan“, einen Schlagzeuger<br />

suchte. Die Band hatte schon eine Platte veröffentlich,<br />

und war seit einiger Zeit nicht mehr so recht im Geschäft.<br />

Mutig wie ich war, ich hatte im Heim etwas Schlagzeug<br />

spielen gelernt, stellte ich mich Luc, einem der Gitaristen<br />

der Band vor, und sagte ich könne Schlagzeug spielen.<br />

Er war hoch erfreut, stellte mich seinen Mitstreitern vor,<br />

166<br />

da waren der Bassist Jean, ein weiterer Gitarist Martin,<br />

und ein Manager mit Namen Gilbert.<br />

Alle waren Belgier, und sie probten immer in einem<br />

Studio, wo auch Adamo, ein international bekannter<br />

Chancionier arbeitete.<br />

„Wann hast du Zeit“, fragten mich die Jungs, und ich<br />

antwortete: „immer“.<br />

Ich erklärte ihnen, dass ich lange in Italien gewesen war,<br />

und nun nicht wusste, was ich in Brüssel machen sollte,<br />

mir die Stadt aber gefiel, und ich hier bleiben wolle.<br />

167<br />

Kapitel 22<br />

„Dann gehen wir gleich morgen proben“, sagte Luc,<br />

und wir verabredeten uns am nächsten Morgen um 11<br />

Uhr im gleichen Café.<br />

Jetzt war ich aber mit dem Mut der Verzweiflung in eine<br />

Falle getappt, die ich mir selbst gestellt hatte, ich sollte<br />

Schlagzeuger werden. Ich war zwar rhythmisch sehr<br />

gut dabei, und im Heim klappte das auch ganz gut, an<br />

einen professionellen Job hatte ich aber nie gedacht.<br />

Ich schlief sehr schlecht die nächste Nacht, ich sah mich<br />

immer hinter einem riesigen Schlagzeug sitzen, das immer<br />

bedrohlicher größer wurde, bis ich nicht mehr zu<br />

sehen war.<br />

Dann wachte ich Schweißgebadet auf, und wusste, dass<br />

ich mich nun den Tatsachen stellen musste.<br />

Ich ging ich in die Dusche, und ließ den Schweiß der<br />

Nacht mit viel warmen Wasser von meiner Haut fließen.<br />

Gegen 8 Uhr ging ich erstmal Frühstücken, ich hatte<br />

noch 3 Stunden bis zum Moment der Wahrheit. Ich<br />

zweifelte zwar an meinem Können, auf der anderen Seite<br />

könnte es natürlich auch sein, dass ich mich in die Sache<br />

hineintrommeln konnte, und doch gut war. Aber ich<br />

zweifelte stark, hier waren Profis am Werk.<br />

Und so kam der Augenblick der Entscheidung, die Jungs<br />

holten mich ab, wir fuhren in das etwas außerhalb von<br />

Brüssel gelegene Studio, und gingen in den Proberaum.


Mir war flau im Magen, wir waren hier im Studio, in<br />

dem auch Adamo aufnahm, also absolut professionell.<br />

Viele Instrumente standen in den Räumen herum, und<br />

auch ein großes Schlagzeug stand bedrohlich in einer<br />

Ecke.<br />

Die Jungs stöpselten ihre Instrumente in die Verstärker,<br />

168<br />

der Manager setzte sich an ein Mischpult, und luc sagte:“<br />

Wir jammen erstmal nur ein bisschen“.<br />

Und los ging’s, die Musiker ließen ihre Gitarren aufheulen,<br />

ich hatte die Schlagzeugstöcke aufgenommen, und<br />

hämmerte auf das Schlagzeug ein. Auch mit den Füssen<br />

konnte ich Hiatt und Bassdrum betätigen, soviel hatte<br />

ich gelernt. Aber ich kam immer wieder aus dem<br />

Rhythmus.<br />

„Das klappt wohl nicht so recht“, sagte Luc schnell, „sicher<br />

hast du lange nicht gespielt“.<br />

„Ja, ich hab echt keine Übung mehr, außerdem hab ich<br />

noch nie mit Profis gespielt“, antwortete ich schüchtern.<br />

Den Musikern war klar geworden, dass ich kaum spielen<br />

konnte, ein Anfänger war. Aber sie machten sich<br />

nichts draus.<br />

Sie klopften mir auf die Schulter, und der Manager Gilbert<br />

setze sich an die Drums. Da ging aber die Post ab,<br />

der Typ war erste Sahne, sie spielten sicher einen halbe<br />

Stunde, und mir gefiel der rockige Sound dieser Band.<br />

Die Jungs machten dann die Verstärker aus, Gilbert legte<br />

die Stöcke auf die Trommel, und sie luden mich auf einen<br />

Drink in der Stadt ein. „Sag schon, du hast doch sicher<br />

noch nie mit einer Band richtig gespielt“, neckte<br />

mich Martin lachend, und ich gab zu, ein echter Anfänger<br />

zu sein. „Lass ihn doch“, sagte Luc, „er hat’s versucht,<br />

das war mutig“.<br />

Nun erzählte ich den dreien, dass ich unbedingt in Brüssel<br />

bleiben wollte, und ihr Angebot für mich ein Rettungsanker<br />

war, auch hier leben zu können.<br />

Es hätte ja sein können, dass es doch klappte. „Wo<br />

wohnst du denn hier“, fragte Luc, und ich erklärte, dass<br />

ich im Hotel wohne. „Aber das ist doch nicht nötig, wir<br />

haben im Haus ein freies Zimmer“, sagte Luc sofort, “<br />

169<br />

du kannst bei uns wohnen“. „Oder hat jemand was dagegen?“<br />

schaute Luc in die Runde.<br />

Niemand hatte etwas dagegen, wie sich schnell herausstellte,<br />

die Jungs zeigten sich als sehr gastfreundlich und<br />

liebenswürdig.<br />

Wir holten meine wenigen Sachen aus dem Hotel, und<br />

ich bezog ein Zimmer im Haus des „Clans“, an einer<br />

Haupststrasse mitten in Brüssel gelegen, nicht weit vom<br />

Grand Place. Das Haus war früher ein Geschäftshaus, es<br />

gab auch noch einen verschlossenen Laden mit einem<br />

völlig verdreckten Schaufenster, durch das man nicht<br />

mehr schauen konnte, im Erdgeschoss, aber es wurde nur


noch als Wohnhaus genutzt.<br />

Zimmer gab’s genug, ich bekam ein voll eingerichtetes<br />

Zimmer im 3. Stock, wo er letzte Schlagzeuger der Band<br />

gewohnt hatte, der aber jetzt auf einem Opiumtrip nach<br />

Indien unterwegs war, wie mir Luc erklärte.“Der Junge<br />

ist leider voll drauf, er konnte nicht mehr spielen, und<br />

sich auch an keine Verabredungen mehr halten“, erklärten<br />

mir die Musiker. „Jetzt ist er ab nach Indien, und<br />

wird sich sicher ganz zu Grunde richten“, sagte Martin<br />

etwas traurig.<br />

Er muss ein guter Schlagzeuger gewesen sein, aber als<br />

sich Erfolg einstellte, und die Band war eine Zeit in Belgien<br />

sehr erfolgreich, flippte Jean Claude aus, und begann<br />

mit harten Drogen zu experimentieren. Er hatte<br />

den Erfolg nicht verkraftet, er kam zu früh für ihn, wie<br />

leider für viele Musiker rund um den Erdball, wie ich<br />

früh lernen musste.<br />

Die anderen Musiker der Band rauchten schon mal<br />

Hasch, aber das war´s dann auch mit illegalen Drogen, es<br />

wurde schon ´mal ein Bierchen gezischt.<br />

Jetzt war ich doch noch ein Mitglied des „Clans“ geworden,<br />

meine Freude war nicht zu übersehen.“ Rich-<br />

170<br />

te dich ein, hier kannst du so lange bleiben wie du<br />

möchtest, das Haus gehört unserem freigiebigen Manager“,<br />

lachte Luc mich an.<br />

Ich hatte den Jungs erzählt, dass ich lange auf der Reise<br />

war, in Paris als Pflastermaler gearbeitet hatte, und länger<br />

in Italien war. Das fanden sie richtig gut, das war<br />

auch ein Grund, dass sie mich aufgenommen hatten, wie<br />

sie mir später erklärten.<br />

Luc schien mich am meisten zu mögen, er war 19 Jahre<br />

alt, und er fand es ausgesprochen mutig von mir, dass ich<br />

schon mit 12 Jahren meine ersten Ausbrüche in die Freiheit<br />

gemacht hatte. Er schrieb später einen Song darüber.<br />

Ich war noch immer sehr jung, ich würde erst im nächsten<br />

Jahr 18 Jahre alt werden.<br />

Ein Ex-Beatnik, das war ihnen noch nicht untergekommen.<br />

Es imponierte ihnen, wie ich leicht feststellen<br />

konnte, und ich war froh darüber. So hatte ich wenigstens<br />

eine „Karriere“ vorzuweisen.<br />

Ich hatte eine wunderbare Matratze, Bettwäsche im<br />

Schrank, ein dickes Plümot, die Leute sorgten sich gut<br />

um mich. Es waren zum Glück auch keine abgefuckten<br />

Musiker, wie ich schon einige gekannt hatte. Richtig<br />

saubere Jungs, die wussten was sie wollten, Musik machen!<br />

Dazu fehlte im Moment der Schlagzeuger, aber der würde<br />

sich schon finden lassen. Es gefiel den Jungs auch, dass<br />

ich fast perfekt französisch sprach, das hätten sie einem<br />

Deutschen nicht zugemutet. Die Deutschen in Brüssel<br />

redeten immer nur deutsch, als ob jeder das können<br />

müsste. Diese Ignoranz ging ihnen auf die Nerven.<br />

Konnte ich gut verstehen.


Täglich spazierte ich in der Stadt herum, und entdeckte<br />

Brüssel in und auswendig.<br />

171<br />

Die Musiker nahmen mich abends mit in verschiedene<br />

Clubs, wo richtig gute Musik gespielt wurde. Ich hatte<br />

Spaß ohne Ende, und tanzte viel, alleine, wie andre auch,<br />

oder schon ´mal mit einem netten Mädel. Die netten<br />

Mädels gingen mir ab, und es wurde Zeit, eine Freundin<br />

zu finden.<br />

So hatte ich mir das mit dem „Mädel finden“ nicht vorgestellt,<br />

die Jungs hatten sehr wohl mitbekommen, dass<br />

ich eine Frau wollte. Also kamen die Burschen auf die<br />

Idee, mir eine Frau zu besorgen. „Warte ab“, sagte Luc<br />

eines Tages zu mir, „ich weis da was für dich“.<br />

Und einige Tage später stellten sie mir eine Nicole vor,<br />

ein fröhlich lächelndes sehr hübsches Mädchen von 17<br />

Jahren. „Das ist Nicole“, sagte Martin lachend, als die<br />

Beiden in mein Zimmer kamen.<br />

Er ging wieder, und Nicole zog sich lächelnd aus, als<br />

wenn sie mich schon Jahre kannte, und sprang nackt in<br />

mein Bett.<br />

Mein Gott, sie war vielleicht ein wilder Feger, sie küsste<br />

mich überall auf meinem Körper, sie schleckte mich regelrecht<br />

ab, so dass ich ernsthaft Angst bekam, sie würde<br />

mir etwas abbeißen. Ich spielte ihre Spiele mit, und ließ<br />

mich voll in den lustvollen Rausch mit einfallen. Ich gab<br />

mir alle Mühe, dem Mädel das zu geben, wonach sie<br />

wohl suchte, einen Orgasmus.<br />

Aber ich konnte anstellen was ich wollte, Nicole wurde<br />

immer hungriger und hungriger, sie wurde zur Furie.<br />

Nach ca. drei Stunden gab ich das Spiel auf. Ich war<br />

schon zweimal gekommen, dagegen war nichts zu machen,<br />

und Nicole wollte mehr und mehr.<br />

Bis ich die Sache bremste, und ihr geradeheraus sagte: „<br />

Nicole, ich kann nicht mehr, was ist mit dir los“?<br />

„Ich bin eine Nymphomanin“, gestand sie mir, „ich suche<br />

schon lange den Orgasmus, kann ihn einfach nicht<br />

172<br />

kriegen“, gestand sie mir.<br />

Jetzt wurde mir einiges klar, die Clans hatten sich einen<br />

Scherz mit mir erlaubt, sie wussten genau was mir mit<br />

Nicole widerfahren würde.<br />

„Ihr Gauner“, sagte ich, als ich völlig erschöpft in den<br />

großen Gemeinschaftsraum kam, alle saßen sie da und<br />

lachten nur. „Du wolltest doch ´ne Frau, hier hattest du<br />

eine“, scherzten die Burschen, und kamen aus dem Lachen<br />

nicht heraus. „Wir haben´s alle schon versucht,<br />

aber die Frau ist nicht zu befriedigen“, lachte Martin.<br />

„Hätte ja sein können, dass du es schaffst“, fügte Luc lachend<br />

hinzu.<br />

Nicole kam nun auch in den Raum, und setzte sich auf<br />

meinen Schoß. „Ist nicht deine Schuld“, sagte sie mir ins<br />

Gesicht lachend, „es geht halt nicht“. „Vielleicht muss


ich ´mal nach Afrika, das soll´s ja geradezu Sexmonster<br />

geben, vielleicht klappt es dann“, sagte sie frei heraus.<br />

Der Clan saß um eine hohe Wasserpfeife herum, und jeder<br />

zog an dem Schlauch, der herumgereicht wurde.<br />

Auch Nicole zog an der Pfeife, die sie mir reichte. „Das<br />

ist guter Shit“, sagte Martin, „zieh ruhig ´mal, das tut<br />

gut, und lockert dich sicher auf“, fügte er lachend hinzu.<br />

Ich bemerkte nun, dass die ganze Mannschaft zufrieden<br />

lächelte.<br />

Also steckte ich mir das offene Ende des Schlauchs in<br />

den Mund und versuchte Rauch einzuatmen. Das ging<br />

leider nicht sofort, „du musst fest ziehen, und den<br />

Rauch in der Lunge halten“, wurde ich aufgeklärt. So<br />

kam ich zu meiner ersten richtigen Hasch-Erfahrung,<br />

ich wurde high wie das höchste Haus in dieser Stadt.<br />

Ich hatte dreimal fest gezogen, und schon war ich hin<br />

und weg. Die Leute um mich herum merkten das natürlich.<br />

„Mach dir keine Sorgen, gleich geht´s dir besser, das<br />

173<br />

ist nur der erste Effekt“.<br />

Leider leitete mich dieser erste Effekt direkt zum Clo,<br />

wo ich erstmal kotzen musste. „Kann passieren“, sagte<br />

Luc, aber schon das nächste mal wird dir so was nicht<br />

mehr passieren, glaub mir. Außerdem ist Hasch die<br />

harmloseste Droge des Planeten, Alkohol ist schlimmer,<br />

was Abhängigkeit betrifft“. „Der Alko-Rausch macht<br />

nur dumpf im Kopf, Hasch öffnet ihn, man macht unerwartete,<br />

meist gute Erfahrungen. Diese Droge ist Bewusstseinserweiternd“,<br />

erklärte mir Martin.<br />

Schon am nächsten Morgen ging´s mir wieder gut, ich<br />

hatte keinen dicken Kopf, und ich fühlte mich gut. Ich<br />

machte mich auf in die nächste Bäckerei, und besorgte<br />

viele Croissants und andre Backwaren. Kaffe hatten wir<br />

keinen mehr, also brachte ich welchen.<br />

Als ich das Frühstück bereitete, kamen die Clans alle<br />

langsam in unser Wohnzimmer, und waren sofort hellauf<br />

begeistert, als sie Kaffee rochen, und die Bäckereiwaren<br />

sahen. Sie setzten sich fröhlich hin, und bedankten sich<br />

bei mir.<br />

„Ich dachte schon, heute gibt´s keinen Kaffee, mir war<br />

gestern schon aufgefallen, dass die Dose leer ist“, sagte<br />

Martin, und strich mir freundlich über den Kopf. „Ohne<br />

Kaffee am Morgen bin ich ungenießbar“. „Hast du<br />

echt gut gemacht“, sagte auch Jean, der am wenigsten<br />

sprach. Dafür war er aber ein exzellenter Bassist.<br />

„Da hattest du ja einen schönen Abend gestern“, scherzte<br />

Luc, „erst ´ne tolle Frau, und dann deine Unschuld<br />

am Hasch verloren, reife Leistung“. „Da habt ihr mich<br />

aber gut drangekriegt mit der Nymphe“, scherzte ich,<br />

„so was hab ich noch nicht erlebt“. „Du bist ja auch<br />

noch jung“, sagte Martin, „es wird dir noch viel Neues<br />

im Leben begegnen“. „Für dein Alter hast du ja schon<br />

´ne Menge erlebt, das muss man dir lassen“, fügte Luc


174<br />

hinzu. Ich hatte ihnen ausführlich von meinen Trips<br />

nach Frankreich, Italien, Griechenland und Jugoslawien<br />

erzählt, als ich am vorigen Abend high war. Wir sprachen<br />

bis in den frühen Morgen.<br />

Als der Nachmittag anbrach, fragte mich Luc, ob ich<br />

Lust hätte, mit ihm in die Stadt zu gehen, und die Cafés<br />

nach Frauen zu checken. „Logisch“, sagte ich, und schon<br />

gingen wir hinunter auf den Grand Place.<br />

Luc kannte natürlich jedes angesagte Café in Brüssel,<br />

und so hatten wir schnell ein gut besuchtes, nach guter<br />

Musik klingendes Café gefunden.<br />

Frauen ohne Ende, und Luc kannte viele. Er war als Musiker<br />

des Clan, sehr beliebt aber auch für mich schienen<br />

sich einige Mädels zu interessieren. Ohne dass Luc mich<br />

vorstellen musste kam ich mit einer Gruppe Mädels ins<br />

Gespräch. „Bist du auch Musiker“? fragte Sonja, eins der<br />

Mädels, auf die ich es sowieso abgesehen hatte.<br />

„Sicher, ich bin Percussionist, ich spiele gerne auf vielen<br />

Trommeln“, antwortete ich zweideutig. Luc schaute<br />

mich an, und bemerkte, dass ich sehr gut alleine klarkam,<br />

und zwinkte nur mit einem Auge, er hob noch den<br />

Daumen nach oben, und kümmerte sich intensiv um ein<br />

hübsches Mädel.<br />

Dann kam er mit Frida, einer Schwedin aus Stockholm,<br />

die schon lange in Brüssel lebte, auf mich zu, und fragte:<br />

„ Machen wir ´was zusammen“?<br />

Ich schaute Sonja an, und bedeutete ihr, dass ich Luc<br />

gerne folgen würde, und sie schloss sich uns an. Die Sache<br />

war im Kasten, heute würde es sicher nicht mehr<br />

langweilig werden. Sonja war eine braunhaarige Schönheit,<br />

sie hatte blitzende grüne Augen, die mich in ihren<br />

Bann zogen. Sie war wohl in meinem Alter, ging auf eine<br />

Universität.<br />

Wir besuchten noch ein anderes Café, in dem Rock ge-<br />

175<br />

spielt wurde, gerade als wir ´reinkamen spielten „The<br />

Who“, eine Neue Gruppe aus England. Überhaupt hatte<br />

mich Luc auf die englische Musikszene aufmerksam<br />

gemacht, da tat sich Einiges.<br />

Nachdem die Beatles und die Stones solchen Erfolg<br />

Weltweit hatten, kamen sehr viele Rockbands in England<br />

an den Start.<br />

Ich hatte bisher mehr amerikanische Musik gehört,<br />

James Brown, Sam a. Dave, und Otis Redding waren außer<br />

den bekannten englischen Bands meine Favoriten.<br />

Auch Elvis gefiel mir, als er noch richtig abrockte, und<br />

seine Hüften Schwang.<br />

Wir machten uns dann auf den Weg nach Hause, alle<br />

wollten etwas rauchen. Als wir im Haus ankamen, war es<br />

leer, die anderen Jungs waren wohl auf Achse.<br />

Konnte uns nur recht sein, wir machten es uns auf zwei<br />

Couchen gemütlich, und Lück machte das Hasch heiß,


und die Wasserpfeife klar. Nach ein paar Zügen lagen<br />

wir erstmal flach, dann erzählte Sonja irgendein witziges<br />

Wort, und wir fingen alle ausgelassen zu lachen an<br />

. Wir wurden immer ausgelassener, und Luc´s Freundin,<br />

Nora, fing an einen Striptease hinzulegen. Luc hatte gute<br />

Musik aufgelegt, und Nora fing den Rhythmus auf,<br />

legte langsam Stück für Stück die Kleider ab, bis sie nur<br />

noch ihren Slip anhatte. Das Mädchen war sehr gut gebaut,<br />

und der Strip hatte uns alle heiß gemacht.<br />

„Tschüss“, verabschiedete sich Luc, packte sich seine<br />

Freundin, und verschwand in seinem Zimmer. „Hast du<br />

Lust“, fragte mich Sonja, „ich kann´s kaum erwarten“,<br />

entgegnete ich, und schob das Fräulein die Treppe hoch<br />

bis in mein Zimmer.<br />

Sie hatte einen kurzen Rock an, und ich freute mich<br />

schon, das zu genießen, war da vor mir hochwackelte.<br />

Die Brüssler Frauen waren locker drauf, das war selbst in<br />

176<br />

Paris nicht so einfach. Da musste man ein Mädel anmachen,<br />

hier wurde man angemacht.<br />

Und wiedermal fögelte ich mir die Seele aus dem Leib,<br />

der Teufel hatte einfach Überhand genommen, ich ließ<br />

ihn gewähren.<br />

Sonja gab aber auch alles, sie liebte meine Art zu fögeln,<br />

sie kam 3 mal, wie sie mir gestand, als wir erschöpft nebeneinander<br />

lagen. „ Ich hoffe das können wir wiederholen“,<br />

sagte sie noch, bevor sie selig einschlief.<br />

Ich ging noch´mal ins Wohnzimmer hinunter, mit offener<br />

Jeans und offenem Hemd bekleidet. Da saß der Clan<br />

zusammen, und nuckelten an der Wasserpfeife. Luc war<br />

mit seiner Partie auch anwesend, die beiden hatten wohl<br />

nur einen Quickie<br />

„Na, wo warst du denn so lange“, fragte mich Martin,<br />

und ich lächelte nur, und erbat mir die Pfeife. Der<br />

Rauch kam gut, machte mich hellwach, anstatt wie die<br />

ersten male platt.<br />

Ich begann erneut Geschichten zu erzählen, von meinen<br />

Erlebnissen auf den Reisen, und alle Versammelten hingen<br />

an meinen Lippen.<br />

Ich laberte und laberte, ich konnte nicht aufhören, bis<br />

Luc mich bremste. „Ist superinteressant, aber du solltest<br />

jetzt schlafen gehen, wir sind auch müde“. „Du bist heute<br />

einfach zu high“, lachte er noch, „ morgen ist auch<br />

noch ein Tag“. Er schnappte sich sein Mädel, und ging<br />

in sein Zimmer.<br />

Das Wohnzimmer war leer, und ich begab mich nach<br />

oben in meine Unterkunft. Sonja war wach geworden,<br />

als ich ins Zimmer kam, und sofort streckte sie ihre Arme<br />

nach mir aus und lächelte mich obszön an. Was wollte<br />

ich machen, ich folgte ihrer Anmache, und liebte sie<br />

bis in den frühen Morgen.<br />

„Heute kann ich nicht in die Schule“, sagte mir Sonja als<br />

177


sie wach wurde, „ich bin einfach zu durcheinander, kann<br />

noch keinen klaren Gedanken fassen“. „Brauchst du<br />

auch nicht, bei mir ist jetzt erstmal die erste Schulstunde“,<br />

sagte ich, als ich mich auf sie wälzte. Sonja war genau<br />

so geil wie ich, und wir machten eine süße Morgennummer.<br />

Mittags standen wir auf, wuschen uns<br />

gründlich, und wollten Frühstücken gehen.<br />

Im Wohnzimmer war der Clan versammelt, und neckte<br />

uns mit obszönen Sprüchen. „Nora ist zur Schule, du<br />

hast wohl heute geschwänzt“, neckte Luc Sonja. „Na<br />

und“, antwortete sie, „ich hatte heute Morgen einfach<br />

besseres zu tun“, sagte sie lachend mit hocherhobenem<br />

Kopf.<br />

Wir gingen dann Beide in ein Café in der Nähe des<br />

Grand Place, und frühstückten kräftig, obwohl es schon<br />

Mittag war. Aber in Brüssel konnte man zu jeder Zeit<br />

Frühstücken, so wie auch in Paris. Diese Stadt hatte ich<br />

längst vergessen, ich fühlte mich in Brüssel heimig<br />

So nette, freundliche und freie Menschen wie hier hatte<br />

ich noch selten getroffen, außer bei den wirklich „Reisenden“,<br />

den Beatniks. Und hier war die Stadt voll davon,<br />

jedenfalls unter den jungen Leuten.<br />

Die alten Belgier waren noch stets schlecht auf Deutsche<br />

zu sprechen, sie hatten den Krieg nie vergessen. So war<br />

es für mich ein Glück, dass ich überall französisch reden<br />

konnte. Die Sprache war mir mittlerweile genau so<br />

deutlich im Hirn wie deutsch.<br />

„Heute Abend spielen in Anvers (Antwerpen) drei englische<br />

Bands“ teilte Martin mit, als ich wieder zu Hause<br />

war. Da spielen „The Free“, „Jetroh Tull“ und „The<br />

Who“. „wie wär´s, hast du Lust mitzukommen“? Fragte<br />

er mich.<br />

Natürlich hatte ich Lust mitzukommen, das wäre mein<br />

erstes Live-Konzert, erklärte ich ihm freudig überrascht.<br />

178<br />

„Die Weiber bleiben hier“, sagte er noch, „ für die haben<br />

wir keinen Platz im Auto“.<br />

Ich konnte meine Freude kaum fassen, „The Who“, von<br />

denen ich schon Einiges gehört hatte, die hatten den Gitaristen,<br />

der am Ende des Konzerts seine Gitarre in tausend<br />

Stücke schlug. Von den beiden andren Bands hatte<br />

ich noch nie gehört.<br />

Ich war voller Freude. Die „Clans“ merkten das, und<br />

freuten sich mit mir. Sie hatten schon des öfteren Live<br />

Konzerte erlebt. Ich hatte keine Ahnung was da auf mich<br />

zukommen sollte, aber ich war sicher, einen schönen<br />

Abend mit meinen neuen Freunden in Anvers zu erleben.<br />

Es sollte schon um 18 Uhr losgehen, und so machten<br />

wir uns früh auf den Weg nach Anvers, das ca. 100 km<br />

entfernt war. Wir kamen gegen 17 Uhr dort an, und es<br />

hatten sich schon viele Leute im Sportpalast eingefunden.<br />

In diese große Halle passten 40.000 Leute, die wurde<br />

aber sicher nicht voll, weil die Bands noch zu unbekannt


waren. Sie kamen aber um bekannt zu werden, und das<br />

sollten sie später auch.<br />

Wir stellten uns in die erste Reihe, die Halle war zum<br />

Glück nicht bestuhlt.<br />

Wir wollten abrocken.<br />

Der Sportpalast war bis zum Beginn des Konzerts nur zu<br />

einem Viertel besetzt, man hatte mit mehr Andrang gerechnet.<br />

Uns konnte das nur Recht sein, so gab es kein Gedränge<br />

in der Halle, auftreten würden die Bands trotzdem, es<br />

waren immerhin 10.000 Menschen gekommen.<br />

Um 18 Uhr ging es dann auch wirklich los. Auf der<br />

Bühne waren schwere Verstärker aufgebaut, die gesamte<br />

mittlere Bühne war mit monströsen Anlagen bestückt,<br />

179<br />

sie reichten 3 Meter hoch in den Raum, und nahmen<br />

die gesamte Breite der Bühne ein.<br />

Als erste Gruppe spielten „The Free“, Andy Fraser, Gitarre,<br />

Bass, Schlagzeug und Paul Rodgers als genialer<br />

Sänger. Die Musiker waren normal gekleidet, wie ihre<br />

Fans auch.<br />

Als sie ihre Gitarren in die Verstärker stöpselten kamen<br />

schon Laute in den Raum, aber als Gitarristen und<br />

Schlagzeuger, Bass und Sänger anfingen zu spielen,<br />

glaubte ich mich in einem Düsenjet, der nicht gedämmt<br />

war, so laut war die Musik.<br />

„Das ist in Londoner Clubs sogar so laut, das sind wir<br />

hier auf dem Festland nicht gewöhnt“, schrie mir Luc in<br />

die Ohren. Aber ich war hin und weg, es gefiel mir außerordentlich.<br />

Die Musik, der Sound und die Lautstärke,<br />

das war genau richtig für mich.<br />

Und das in der ersten Reihe. Die Band war ein Hammer,<br />

ich war völlig begeistert von der Rockmusik, die<br />

ich bisher nicht kannte. Ein Song war besser als der andere,<br />

es war unglaublich schön für mich.<br />

Und der Clan war auch außer sich, die Jungs bewegten<br />

sich im Rhythmus des Rocks, es war fantastisch. Luc<br />

schaute mich verzaubert an, als ob er fragen wollte wie<br />

es mir gefiel, ich hielt lachend den rechten Daumen<br />

hoch. So grüsste er zurück, und konzentrierte sich wieder<br />

auf<br />

The Free.<br />

Die Band spielte etwa eine Stunde, und als sie gehen<br />

wollten schrieen die Menschen nach „Zugabe“ und es<br />

gab auch mehrere.<br />

Dann kamen Jetthro Tull auf die Bühne. Ich hatte noch<br />

nie von dieser Band gehört, und sollte mein blaues Wunder<br />

erleben. Diese Band hatte eine Gitarre, Bass, Orgel,<br />

Schlagzeug und einen sehr langhaarigen, bärtigen Men-<br />

180<br />

schen, der eine Querflöte in der Hand hielt.<br />

Dann legten sie los, es war ein wahrer Sturm, der da auf<br />

uns niederging, laut, präzise gespielt, rockig wie ein<br />

Stein, und der Flötist, Ian Anderson, entwickelte sich als


illanter Sänger, dem seine Flöte praktisch an den rechten<br />

Arm gewachsen war, so ging er mit ihr um.<br />

Solche Töne hatten mein Ohr noch nie erreicht, ich war<br />

hin und weg vor Begeisterung, hatte alles um mich herum<br />

vergessen.<br />

Diese Live Musik erlebte ich mit Herz und Seele, das<br />

hatte ich nicht erwartet. Anderson spielte die Flöte mit<br />

weit aufgerissenen Augen, machte Späße und amüsierte<br />

sich mit dem Publikum. Oft stand er nur auf einem<br />

Bein, stützte sich auf fast auf seine Querflöte.<br />

Nach Jethro Tull gab es eine kleine Pause, sie hatten fast<br />

90 Minuten gerockt, dass die Ohren der Zuhörer taub<br />

wurden.<br />

Wir Clans versammelten uns kurz, und die Jungs fragten<br />

mich lachend, ob es mir gefalle. „Es ist der erste richtige<br />

Hammer in meinem Hirn“, antwortete ich, und die<br />

Jungs nahmen mich in ihre Arme.<br />

Es waren so liebe Menschen, wie man sie selten fand, sie<br />

wussten, sie hatten mir einen großen Gefallen getan.<br />

„Jetzt kommt der Überhammer“, sagte Martin, „der<br />

Bassist der „Who“ ist mein Vorbild, John Entwissel“, sagte<br />

er noch. Die Namen der anderen Mitglieder der Band<br />

kannte ich noch nicht, aber das sollte sich ändern.<br />

Wir nahmen uns alle noch´mal in die Arme, und jeder<br />

fand seinen Platz für die nächste Band. „Gleich knallst“<br />

sagte Lück noch, dann traten die vier Musiker schon auf<br />

die Bühne.<br />

Schon als sie ihre Instrumente einstöpselten knallte es<br />

wirklich, so laut waren die Vorherigen nicht. Der Sänger<br />

hatte eine mit langen Fransen behängte Lederjacke auf<br />

181<br />

seinem nackten Oberkörper.<br />

Der Gitarrist machte mit seinem linken Arm eine<br />

schnelle Drehung wie eine Windmühle, und dann knallte<br />

er dermaassen laut in die Gitarrenseiten, wie ich es<br />

noch niemals gehört hatte. Man sagte der Band nach, sie<br />

sei die Lauteste der Welt und das bewiesen sie hier.<br />

So nahe an der Band, diese Lautstärke, und man sah den<br />

Musikern, wie auch den Vorherigen, an, dass sie Alles gaben,<br />

der Schweiß lief allen in Strömen, außer dem Bassisten,<br />

der stand ruhig in der Ecke mit seinem mit einem<br />

Spinnenetz bemalten Bassgitarre, und schien mit der Action<br />

der anderen Musiker nichts zu tun. Der Schlagzeuger,<br />

Keith Moon, war ein wahrer Witzbold, er machte<br />

Späße ohne Ende an seinem Schlagzeug, hielt trotzdem<br />

exakt den Rhythmus.<br />

Der Sänger schleuderte sein extra mit weißem Band<br />

am Kabel befestigtes Mikrofon hoch in die Luft, und<br />

fing es immer exakt zum nächsten Gesangspart wieder<br />

ein.<br />

Und wahrlich, am Schluss der Show, die zwei Stunden<br />

dauerte, schlug der Gitarist mit seinem Instrument fest<br />

gegen den Verstärker hinter ihm. Immer und immer


wieder malträtierte er Gitarre und Verstärker, bis der Gitarrenhals<br />

abbrach, die Saiten abfielen, und in der Umspannung<br />

des Verstärkers ein großes Loch geschlagen<br />

war.<br />

Er trat den Verstärker bis er umfiel, und der schräge<br />

Sound, den er bei dieser Action erzeugte schrie durch<br />

die Halle. Keith Moon haute fleißig weiter auf die Trommeln,<br />

mit einem fast wahnsinnigen Lachen im Gesicht,<br />

bis auch er das gesamte Schlagzeug einfach umwarf undtrat.<br />

Der Gitarrist zerrte dann das Kabel aus dem Rest des<br />

Verstärkers, schlug noch einige male mit der Gitarre auf<br />

182<br />

den Bühnenboden, bis sie endgültig in Stücken war, und<br />

warf diese in die Menge. Leider standen wir zu weit weg<br />

von der Gitarre, Luc hätte gerne ein Stück davon ergattert.<br />

Als die Reste der Gitarre in der Menge verschwunden<br />

war, das Schlagzeug unbrauchbar über der Bühne verteilt<br />

lag, endete die Show der Who, ich hatte ein ganz<br />

besonderes Erlebnis hinter mir, das ich sicher niemals<br />

vergessen würde.<br />

Als wir wieder zusammentraten, konnte niemand ein<br />

Wort hervorbringen, wir sahen uns fröhlich an, hielten<br />

uns die Ohren zu, und marschierten gegen den Ausgang.<br />

Auch als wir ins Auto stiegen hatte noch keiner von uns<br />

ein Wort gesprochen.<br />

Wir fuhren langsam Richtung Autobahn nach Brüssel,<br />

und plötzlich sagte Luc: „ Wie gerne hätte ich ein Stück<br />

der Gitarre als Trophäe mit nach Hause gebracht“. Wir<br />

lachten alle laut, denn Luc war sich sicher nicht klar, dass<br />

er seine Worte fast geschrieen hatte, er war noch nicht<br />

aus der Konzertatmosphäre raus, nahezu taub wie Jeder<br />

von uns.<br />

Unsre Ohren dröhnten, und dieser Zustand blieb auch<br />

noch lange bestehen.<br />

Eine halbe Stunde später fanden wir zurück auf den Autoboden,<br />

wir konnten wieder einigermaßen hören und<br />

auch sprechen. Lange unterhielten wir uns über einzelne<br />

Szenen der drei Bands, die wir gerade gesehen und<br />

vor allem gehört hatten, wir waren alle sehr zufrieden,<br />

und entschlossen uns, in einen Club nach Brüssel zu fahren,<br />

in dem es genau die Musik gab, die wir jetzt<br />

brauchten.<br />

Wir waren so aufgeregt, keiner von uns hätte jetzt schlafen<br />

gehen können, wir wollten feiern. Und es war eben<br />

mal kurz nach Mitternacht, genau die richtige Zeit, um<br />

183<br />

in diesen Club zu gehen.<br />

Martin hatte mittlerweile einen dicken Joint gedreht,<br />

und der Geruch von starkem Gras umhüllte uns alle im<br />

Auto.<br />

Ich nahm auch ein paar Züge, ich fand langsam Gefallen<br />

am kiffen, das brachte mich besser drauf als jede Art von<br />

Alkohol. Andere Drogen hatte ich noch nicht konsumiert.


Von Jedem Pulver für die Nase hatte man mir abgeraten.<br />

Der Club in Brüssel hieß „Swing“, ein guter Name wie<br />

ich fand, denn swingen wollten wir jetzt.<br />

Das Swing machte erst um 22 Uhr auf, und schloss,<br />

wenn der letzte Gast den Club verlassen hatte.<br />

Wir kamen in den Club, es war sehr warm, und eine<br />

Menge schöner Menschen tobte auf der Tanzfläche, hier<br />

war Lust angesagt.<br />

Der Club hatte ein Feuer mitten im Raum, und in der<br />

ersten Etage war eine zwei Meter breite Balustrade, von<br />

der man die unten Tanzenden beobachten, oder<br />

sonst´was machen konnte.<br />

Das Swing war aus dicken rauen Steinen gebaut, hatte<br />

indianisches Flair in der Dekoration, und fasste ca. 200<br />

Leute. Genau richtig für ´ne schöne Party unter Freunden.<br />

Der Clan wurde von allen Seiten begrüßt, die Jungs waren<br />

hier bekannt, und berühmt. Sie kannten so fast alle<br />

Leute in dem Club.<br />

Das war für mich natürlich genau richtig, ich wurde automatisch<br />

mit dem Clan identifiziert, was ich machte interessierte<br />

Niemanden. Ich stellte mich als Musiker vor,<br />

wenn jemand etwas über mich wissen wollte.<br />

Schöne Frauen en masse, das gefiel mir schon ´mal gut,<br />

ich war halt ein loser Vogel geworden, der sich immer<br />

neue Nester suchte, ich konnte nichts dagegen machen.<br />

184<br />

Wollte ich auch nicht!<br />

Ich rockte ein wenig mit einer Braut, die mich angelacht<br />

hatte. Aber ich tanzte auch alleine vor mich hin, wenn<br />

mir ein Song besonders gut gefiel.<br />

Der Clan hatte sich verteilt, Luc kam noch´mal zu mir,<br />

um zu fragen ob ich o.k. sei, ich lachte nur, und nickte<br />

fröhlich mit dem Kopf.<br />

185<br />

Kapitel 23<br />

Die Musik war gut und laut, so wie ich es gerne hatte,<br />

nur auf der Balustrade war es etwas ruhiger. Die Balustrade<br />

war rundum mit einem ca.1, 5 Meter hohen Geländer<br />

umgeben, und von acht Balken, die bis zur Dekke<br />

reichten, gehalten.<br />

Ich war schon länger oben auf der Balustrade, und betrachte<br />

das bunte Treiben der tanzenden und trinkenden<br />

Clubgäste. Ich fühlte deutlich, dass es hier positiv und<br />

sehr lebendig zuging. Ich fühlte mich absolut wohl und<br />

hatte noch die Erinnerungen des Konzerts in Anvers im<br />

Kopf. Ein wirklich gelungener Abend in meinem Leben.<br />

Es war Samstag, und die Leute feierten bis in den morgen.<br />

Gegen 2 Uhr fühlte ich mich irgendwie beobachtet, ich<br />

konnte nicht so recht erkennen, wer mich da ansah. Ich<br />

schaute mich auf der Balustrade um, und an einem der<br />

Balken lehnend, auf der Balustrade sitzend, sah ich eine<br />

blonde Frau, die wohl 20 Jahre alt sein konnte.<br />

Sie war blond, hatte glattes Haar, das ihr bis über die


Schultern reichte. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit<br />

hohen Wangenknochen. Sie trug Jeans, Stiefel, und eine<br />

gestreifte Bluse, die über der Jeans hing. Sie hielt ein Glas<br />

mit durchsichtiger Flüssigkeit in der Hand, in dem ein<br />

Strohalm steckte.<br />

Ich hatte meine Beobachterin ausgemacht. Als ich sie<br />

ansah, hielt sie meinem Blick stand, und machte keine<br />

Anstalten, irgendetwas anderes anzusehen als mich.<br />

Sie schaute mir ständig in die Augen, lächelte leicht, und<br />

nuckelte an ihrem Strohhalm. Und sie sah mich länger<br />

und länger an, auch ich hatte keinen Grund, irgendwo<br />

anders hinzuschauen, als in ihre Augen, deren Farbe ich<br />

186<br />

in dem hier herrschenden Licht nicht gleich erkennen<br />

konnte.<br />

Nach einer Weile ging ich auf sie zu, und fragte: „ Wie<br />

ist dein Name“? „Marievonne, und wie heist du“?<br />

„Eric“, antwortete ich, „ich bin zum ersten mal hier“.<br />

„Das ist mir aufgefallen, ich hab dich hier noch nie gesehen,<br />

ich komme oft hierher“, erklärte sie.<br />

„Warum schaust du mich so an“, fragte ich sie. „Weil du<br />

mir gefällst“, sagte sie direkt. Ich war erstaunt über ihre<br />

Offenheit, sie war kein Allerweltstyp, den man überall<br />

antreffen konnte.<br />

Sie war sicher keins von den Mädels, die ich immer<br />

leicht ins Bett bekam, sie war etwas Besonderes, das wurde<br />

mit schnell klar.<br />

„Besorgst du mir einen neuen Drink, ich hab keine Lust<br />

an die Theke zu gehen, ich möchte genau hier sitzen<br />

bleiben, und auf dich warten“, sagte sie. „Ich trinke Gin<br />

mit Tonic, du kannst dir auch etwas bestellen, und die<br />

sollen es auf meine Rechnung schreiben“, sagte sie.<br />

Ohne Zögern ging ich brav nach unten an die Theke,<br />

und bestellte die Drinks, die ich auch bezahlte. Ich war<br />

noch gut bei Kasse<br />

Als ich zurück nach oben kam, hatte ich den Eindruck,<br />

als habe sich Marievonne wirklich keinen Zentimeter<br />

bewegt, sie saß noch immer an der gleichen Stelle, in der<br />

gleichen Haltung. „Danke Eric, das war lieb von dir“.<br />

„Komm, setz dich zu mir, dann können wir ein wenig<br />

plaudern“, forderte sie mich auf. Ich gesellte mich gerne<br />

zu ihr, ich lehnte mich an die andere Seite des Balkens,<br />

und stützte mich mit dem Po an der Balustrade ab.<br />

Marievonne ließ keinen Blick von mir, es war als wolle<br />

sie mich hypnotisieren. Auch ich sah nun nicht mehr,<br />

was um uns herum vorging, ich sah nur noch sie, und<br />

entdeckte, dass sie strahlend blaue Augen hatte.<br />

187<br />

Das Treiben um uns herum war nicht mehr wahrzunehmen,<br />

Wir hatten nur noch Augen und Ohren für uns.<br />

Gemeinsam verließen wir kurz darauf den Club, nahmen<br />

ein Taxi, und fuhren wie selbstverständlich in ihre<br />

Wohnung.


Ich hatte noch gesehen, wie der Clan hinter uns herschaute,<br />

keiner machte eine Regung etwas verändern zu<br />

müssen, sie wussten, mit der Frau musste ich gehen, auch<br />

ohne Verabschiedung.<br />

Wir setzten uns auf den Rücksitz des großen Taxis. Marievonne<br />

lehnte sich eng gegen mich, nahm meine linke<br />

Hand zwischen ihre beiden Hände, drückte sich fest gegen<br />

mich, den Kopf an meiner Schulter.<br />

Sie sagte kein Wort, außer der Adresse, zu der das Taxi<br />

uns bringen sollte, und schaute mir im Morgengrau weiter<br />

in die Augen. Wir sprachen kein Wort, schauten uns<br />

nur in die Gesichter, und studierten unsere Minen.<br />

„Was ist hier geschehen“, fragte ich Marievonne fest in<br />

die Augen schauend, ich musste diese unheimliche Ruhe<br />

beenden. „ Merkst du das nicht“, fragte sie mich, „für<br />

mich ist Liebe auf den ersten Blick passiert, ich weis ja<br />

nicht wie es dir geht“.<br />

„Ich fühle, dass es bei mir nicht anders ist, ich glaube ich<br />

habe mich jetzt zum ersten mal richtig verliebt, sonst<br />

wie kann ich mir meinen augenblicklichen Gemütszustand<br />

nicht erklären“, antwortete ich ehrlich.<br />

Wir hatten beide Liebe auf den ersten Blick erfahren, es<br />

war ein fantastisches Gefühl, warm und wohlig, obwohl<br />

es draußen eisig war. Und wir hatten das Glück, zusammenbleiben<br />

zu können, wenigstens jetzt, an morgen<br />

dachte keiner von uns.<br />

Irgendwann in den letzten Stunden unseres Zusammenseins<br />

hatte es Boom gemacht, und unsere Herzen hatten<br />

sich vereinigt. Es war sechs Uhr morgens, als wir bei ih-<br />

188<br />

rer Wohnung ankamen. Eine Treppe hoch, und ich betrat<br />

Marievonnes Reich.<br />

Sie hatte eine schöne sehr weiblich dekorierte Wohnung<br />

mit drei Zimmern, einer schönen Küche und einem<br />

großen Bad, mit einer für zwei Personen ausgelegten<br />

großen Badewanne.<br />

„Die Wohnung habe ich vor einem Jahr von einer<br />

Freundin übernommen, die hier mit ihrem Mann lebte,<br />

und nach Kanada ausgewandert ist“, versuchte sie die<br />

große Badewanne schüchtern zu begründen.<br />

„Ich habe hier noch nie mit einem Mann gelebt, aber<br />

es waren schon einige hier“, erklärte sie meinen Blick<br />

auf die große Wanne.<br />

„Das kann ich gut verstehen, ich bin auch keine Jungfrau,<br />

und hätte mich gewundert, wenn du eine gewesen<br />

wärst“, sagte ich lachend. Schon wieder hatte sie sich an<br />

mich geschmiegt, und wir gaben uns den ersten Kuss.<br />

Ihre Lippen waren zärtlich und warm, der Kuss zog sich<br />

in die Länge.<br />

Wir standen noch immer, innig umarmt, und ein großes<br />

Bett wartete ungeduldig auf uns.<br />

Wir zogen uns gegenseitig aus, Marievonne schaute mir<br />

manchmal schüchtern in die Augen, wenn sie mir ein


Kleidungsstück vom Leib zog.<br />

Dann sah ich die Pracht ihres schönen Körpers, sie war<br />

eine wahre Venus, was ich in dem Club nicht erkennen<br />

konnte. Meine Freude wurde umso größer, und wir<br />

schlüpften langsam unter die weißen Laken ihres Betts.<br />

Dann begann ein so zärtliches Liebesspiel, wie ich es nie<br />

erlebt hatte. Sehr behutsam küsste mich Marievonne auf<br />

den Mund, und dann auf den gesamten Körper. Sie hatte<br />

das Heft in die Hand, und in den Mund genommen,<br />

ich ließ alles erfreut über mich ergehen.<br />

Man sollte meinen, dass sie schon länger keinen Mann<br />

189<br />

gehabt hatte, sie war hungrig. Ich gab ihr zurück was sie<br />

mir gegeben hatte, ich versuchte so behutsam wie möglich<br />

mit der Frau umzugehen, sie nahm sich was sie<br />

wollte, sie wusste, dass auch gerne alles nahm, was sie mir<br />

bot.<br />

So liebten wir uns bis weit in den Sonntagnachmittag,<br />

und schauten uns immer wieder zärtlich an. An Schlaf<br />

war nicht zu denken, wir wollten jeden<br />

Augenblick unseres Zusammenseins auskosten.<br />

Marievonne zog sich irgendwann ein Hemd an, sie sah<br />

bezaubernd aus, ging in die Küche, und kam nach einigen<br />

Minuten mit Kaffe und Croissants ins Schlafzimmer<br />

zurück.<br />

“Die Croissants sind von gestern“, entschuldigte sie sich,<br />

aber das machte mir nun gar nichts aus, ich hätte alles<br />

gegessen was sie angebracht hätte, ich war hungrig wie<br />

sie, und schon wieder auf sie, als ich sie so im Hemd stehen<br />

sah. Sie hatte lange schöne Beine, und einen knackigen<br />

Po. Ich dachte ich sei im Himmelreich angekommen.<br />

Wir lagen den gesamten Sonntag im Bett, an essen<br />

dachten wir zuletzt. Gegen Mitternacht meldete sich<br />

Marievonne, und wollte raus, etwas essen gehen. So ganz<br />

ohne Nahrung war unser zärtliches Treiben nur begrenzt<br />

möglich.<br />

Wir zogen uns an, wobei ich meine Blicke nicht von der<br />

Frau lassen konnte, und als sie meine Blicke bemerkte<br />

sagte sie lachend: „ Wir sind ja schon bald wieder hier“,<br />

„ es gibt ein gutes Restaurant direkt um die Ecke, wo<br />

wir auch um diese Zeit noch essen können“.<br />

Wir zogen uns warm an, zum Glück hatte ich meine Lederjacke,<br />

die ich bis oben zuknöpfte, und bekam noch<br />

einen langen wollenen Schal von Marievonne um den<br />

Hals gedreht. Es war recht kalt in dieser Nacht.<br />

190<br />

Wir liefen schnell die Treppe hinunter, Marievonne hakte<br />

sich eng an mich gedrückt ein, schon nach wenigen<br />

Schritten waren wir im Restaurant.<br />

Als wir die Türe öffneten schlug uns die Hitze eines lodernden<br />

Feuers entgegen, das an der gegenüberliegenden<br />

Wand brannte.<br />

In Brüssel schien es nur offenes Feuer zum heizen zu


geben, was ich als sehr angenehm empfand. Es war ein<br />

schönes Gefühl, auch wenn wir nur ein paar Schritte gemacht<br />

hatten, so waren wir doch schon fast durchgefroren.<br />

Wir suchten uns einen Tisch in einer Ecke, und als der<br />

Kellner kam, bestellten wir uns beide ein dickes Stück<br />

Fleisch mit einer scharfen Pfeffersoße. Das aß ich am<br />

liebsten, und nur im Restaurant, denn bisher hatte ich<br />

noch nie eine Küche mein Eigen genannt, kochen<br />

konnte ich eh nicht. Wir hatten wohl den gleichen Geschmack<br />

beim essen.<br />

Nachdem wir hungrig das Fleisch und die Beilagen in<br />

uns hineingegabelt hatten, die gute Soße mit Brot vom<br />

Teller gewischt, zahlte Marievonne, sie bestand darauf,<br />

und wir machten uns schnell auf den kurzen Weg zurück<br />

in ihre Wohnung.<br />

Marievonne ließ ein Bad einlaufen, und wir freuten uns<br />

auf das heiße Wasser, indem wir gleich planschen würden.<br />

Wir zogen uns aus, die Wohnung war sehr gut beheizt,<br />

und legten uns eng umschlungen auf das Bett, schmusten<br />

miteinander, und schon war das Bad mit dampfendem<br />

Wasser bis fast an den Rand gefüllt.<br />

Zuerst legte sich Marievonne in das Wasser, dann legte<br />

ich mich ihr gegenüber in das heiße Bad, an das sich<br />

meine Haut erst gewöhnen musste, Marievonne hatte<br />

sich vorher fast in das Wasser fallen lassen, die Wärme<br />

191<br />

schien ihr nichts auszumachen.<br />

Wir lagen still in dieser riesigen Badewanne, die Köpfe<br />

zueinander gewandt. Marievonne konnte es nicht lassen,<br />

mir in die Augen zu schauen, es machte mich etwas verlegen.<br />

Auch ich schaute ihr oft in die strahlend blauen Augen,<br />

aber meine Blicke umgarnten ihren gesamten sehr schönen<br />

Körper mit fast durchsichtiger weißer Haut.<br />

Ich bewegte mich auf Marivonne zu, um sie zu streicheln,<br />

auch ihre Hände schlichen zärtlich über meine<br />

nasse Haut. Wir liebten uns in dem warmen Nass, bis wir<br />

beide rote Körper hatten.<br />

Ich lachte als ich ihren roten Kopf und Körper sah, und<br />

neckte sie mit Worten über ihren Zustand. „Du siehst<br />

auch nicht anders anders aus“, sagte sie mir leise. Sie<br />

sprach ständig leise, das hörte sich immer schüchtern an.<br />

Wir trockneten uns gegenseitig ab, legten uns eng aneinandergeschmiegt<br />

ins Bett, und schliefen gegen morgen<br />

ein.<br />

Als wir aufwachten, schaute Marievonne auf eine Uhr,<br />

es war Montagvormittag, und sie sagte:<br />

„ Ich sollte längst bei der Arbeit sein“.<br />

„Sei doch heute einfach ´mal krank“, versuchte ich sie<br />

zu beruhigen, und das gelang mir auch. Sie rief bei ihrem<br />

Arbeitgeber an, sie war Chefsekretärin in einem<br />

großen Betrieb, und meldete sich krank. So konnten wir<br />

uns weiter gesund lieben.<br />

Wir hatten mittlerweile drei Tage und Nächte im Bett


verbracht, es waren drei sehr schöne, mit viel Liebe gelebte<br />

Tage, an denen wir nur kurz das Haus verließen,<br />

um Brot und andere Lebensmittel zu kaufen. Marievone<br />

war eine gute Köchin, sie überraschte mich immer wieder<br />

mit Köstlichkeiten.<br />

Am vierten Tag konnte sie nicht mehr zu Hause bleiben,<br />

192<br />

sie musste zur Arbeit.<br />

Sie hatte mir einen Schlüssel für ihre Wohnung gegeben.<br />

Ich verließ das Haus am Vormittag nachdem sie um<br />

8.30Uhr zur Arbeit gegangen war.<br />

Sie hatte eine Stelle im Zentrum der Stadt, und brauchte<br />

nicht zu fahren.<br />

Ich kaufte Backwaren, und begab mich zum Haus des<br />

Clans.<br />

„Wir dachten schon du tauchst überhaupt nicht mehr<br />

auf“, sagte Luc lachend, „dir scheint es ja richtig gut zu<br />

gehen“.<br />

„Du bist ganz wackelig auf den Beinen, was hast du gemacht,<br />

hast du dich überanstrengt“, fragte Martin. „Immerhin<br />

warst du drei Tage nicht hier“.<br />

„Ich glaub ich hab mich verliebt“, antwortete ich den<br />

Jungs. „Das geht vorbei“, sagte Luc, „ das ist zumeist nur<br />

eine kurze „Krankheit“, lachte Martin. Ich warf ihm ein<br />

Croissant an den Kopf, und sagte, „ nein, das ist ernst, so<br />

was hab ich noch nie erlebt“.<br />

„Schön für dich“, sagte Luc, „ du bist ja auch noch jung,<br />

genieße die Zeit, man weis nie wie lange so eine Liebe<br />

anhält“, riet Martin, und der Clan machte sich über das<br />

späte Frühstück her.<br />

Ich hatte mir den dicken Schal von Marievonne dreimal<br />

um den Hals gewickelt, die Lederjacke hielt mir die<br />

Kälte vom Körper. Ich ging in den Gassen rund um den<br />

Grand Place spazieren, schaute in die Geschäfte.<br />

Dann ging ich in eine Filiale der französischen Bank in<br />

Brüssel, und kontrollierte meinen Kontostand. Ich hatte<br />

noch etwa 2.000 französische Franks, und war beruhigt.<br />

Ich hob Geld ab, belgische Francs, von denen ich noch<br />

keine besaß, Marievonne hatte bisher Alles bezahlt.<br />

Als sie mich einmal fragte, was ich denn so mache im<br />

Leben, antwortete ich mit einer Lüge, sagte ich sei Mu-<br />

193<br />

siker, Percussionist. Das hätte ich auch jederzeit unter<br />

Beweis stellen können, ich konnte mit den Händen jeden<br />

Rhythmus halten, trommelte dauernd auf Tischen<br />

herum, wenn mir Musik gefiel.<br />

Dies hätte ich dem Clan auch sagen sollen, vielleicht<br />

wäre das ja ein Job geworden. Aber die brauchten ja einen<br />

Schlagzeuger, da hatte ich kläglich versagt.<br />

Ein zusätzlicher Trommler tat jeder Band gut, wie ich<br />

dachte, Santana war das beste Beispiel. Diese Gruppe aus<br />

Amerika war gerade mit ihrer ersten Platte über den<br />

großen Teich gekommen, und gefiel mir außerordentlich


gut. Diese Gitarre, Carlos Santana verstand mit ihr umzugehen<br />

Als Marievonne gegen 17Uhr von der Arbeit kam, war<br />

ich schon zu Hause, hörte Musik, sie hatte eine ziemlich<br />

große Plattensammlung, auch sie liebte Musik. Ich hatte<br />

gerade Jimmy Hendrix aufgelegt, eine Platte, die sie erst<br />

vor einigen Tagen geschenkt bekommen hatte. Ich liebte<br />

den Sound dieser außergewöhnlichen Gitarre<br />

Marievonne stand sehr chic gekleidet in der Türe, sie<br />

hatte ein schwarzes Kleid mit einer weißen Bluse darunter<br />

an, ich erkannte sie kaum wieder. Auch war sie geschminkt,<br />

das war sie nicht als wir uns kennen lernten,<br />

aber für ihren Job musste sie sicher besonders gut aussehen.<br />

Und sie sah gut aus, ich war direkt auf dem Weg zu ihr,<br />

und küsste sie erstmal lange auf den wunderschönen<br />

Mund. Sie hatte Ihre Arme um meinen Hals geschlungen,<br />

und fühlte sicher in der Beckengegend, dass ich sie<br />

herzlich begehrte.<br />

Sie hatte chinesisches Essen in Pappkartons mitgebracht,<br />

Curry Fleisch und Basmati Reis, der Duft der Speisen<br />

füllte die Küche und ich freute mich auf das Essen.<br />

Wir setzten uns züchtig, aber lachend an den Tisch, und<br />

194<br />

fütterten uns gegenseitig mit Fleisch und Reis. Der Tisch<br />

war am Ende bekleckert, aber wir lagen schon im Bett,<br />

um erneut der Liebe zu frönen.<br />

Wir waren nach den acht Stunden alleine sein wieder<br />

heiß aufeinander.<br />

Die Wohnung roch nun nach Liebe, wir machten es<br />

überall, wir beschränkten uns nicht auf das Schlafzimmer.<br />

Wenn ich eine neue Platte auflegte, kniete Marievonne<br />

schon nackt wie Gott sie geschaffen hatte hinter<br />

mir, und schlang ihre Arme um mich. Sie wollte mich<br />

keine Sekunde aus dem außer acht verlieren, mir ging´s<br />

genau so.<br />

Wir liebten uns wie besessen, so´was hatte ich noch nie<br />

erlebt, fand es aber unsagbar schön.<br />

Irgendwann sagte Marievonne: „ Dreh dich um, ich<br />

werde dich ´mal massieren“.<br />

Ich drehte mich auf den Bauch, und dann fühlte ich ihre<br />

zarten, aber trotzdem oft auch kräftig knetenden Hände<br />

auf meinem Rücken, sie massierte mich sicher eine<br />

halbe Stunde lang, bis auch jeder Muskel meines Rükkens<br />

gelockert war.<br />

Dann drehte ich mich um, und war das Pferd, das<br />

gründlich geritten wurde. So konnte ich sie anschaun,<br />

ich liebte es, wenn ihre schönen Brüste zitterten, und sie<br />

extatisch mit geschlossenen Augen auf mir saß.<br />

Und so liebten wir uns ohne Ende bis es nach etwa zwei<br />

Monaten ruhiger wurde. Wir liebten uns immer noch<br />

jede Nacht, aber wir unternahmen jetzt auch viel zusammen.<br />

Sie zeigte mir die angesagten Ecken von Brüssel,<br />

die chice Oberstadt, und einige interessante Discotheken,<br />

wo wir lustvoll tanzen gingen.


Wir gingen auch öfters in den Swing, dort traf ich auch<br />

den Clan, die Jungs, die mich so herzlich in Brüssel willkommen<br />

geheißen, und die die mir viel gegeben hatten.<br />

195<br />

Meine Sachen hatte ich längst abgeholt, sie hatten mittlerweile<br />

einen Drummer gefunden, einen Franzosen, der<br />

sehr gut sein sollte, wie mir Luc berichtete. Er lud mich<br />

ein, öfters ´mal ins Studio zu kommen, sie waren dabei<br />

eine neue Platte aufzunehmen, von der Luc die meisten<br />

Lieder geschrieben hatte.<br />

Wenn Marievonne arbeiten war, ging ich auch öfters ins<br />

Studio, es machte mir Freude dabei zu sein, wenn ein<br />

Song eingespielt wurde.<br />

Das war topinteressant, ich lernte viel über Studioarbeit.<br />

Im Studio standen Perkussion Drums, und ich machte<br />

mich an ihnen zu schaffen. Luc merkte, dass ich rytmisch<br />

gut drauf war, und ich durfte für einen Song einige Minuten<br />

das Schlagzeug begleitend an Kongas mitspielen.<br />

Ich bekam positives Feedback von allen Musikern, und<br />

war stolz auf meine rhythmischen Gefühle, die bei der<br />

Band gut ankamen.<br />

„Wärst du ein guter Schlagzeuger gewesen, hätten wir<br />

dich jetzt als Mitglied des Clans dabei“,<br />

sagte Martin, „Ich wäre froh gewesen, dich in der Band<br />

zu haben, du bist ein guter Typ, und du hättest zu uns gepasst“,<br />

sagte er noch.<br />

Mir wurde warm ums Herz ob seiner Worte. „Glücklicherweise<br />

habt ihr ja nun einen guten Drummer gefunden“,<br />

sagte ich, „der Typ hat´s echt drauf, haut sehr kräftig<br />

auf die Trommeln, genau der, den ihr für euren<br />

Sound braucht“, antwortete ich Martin.<br />

Es ging gegen Weihnachten, und Marievonne lud mich<br />

ein, im Haus ihrer Eltern zu feiern, sie müsse sowieso für<br />

einen Tag dorthin.<br />

Auf Familie hatte ich absolut keinen Drang, ich bat Marievonne<br />

um Verständnis, ich hatte noch keine Lust ihre<br />

Familie kennen zu lernen. Sie zeigte Verständnis, sie<br />

kannte meinen familiären Background, sie ging Weih-<br />

196<br />

nachten en Familie alleine feiern.<br />

Ich hatte ihr einen schönen Seidenschal gekauft, den ich<br />

in einer second Hand Boutique gefunden hatte, ein<br />

wirklich schönes Teil.<br />

Sie überraschte mich mit einem weißen, von feinen<br />

blauen Streifen durchzogenen Hemd, über das ich mich<br />

sehr freute. Ich hatte sowieso nur drei Hemden.<br />

Marievonne freute sich über mein Geschenk, sie glaubte<br />

ich würde Weihnachten vergessen wollen.<br />

So ganz konnte ich das nicht, und ich machte mir auch<br />

Gedanken über das Fest zu Hause, drückte diese Gedanken<br />

jedoch schnell weg.<br />

Die Bürgersteige in Brüssel waren weiß vom Schnee,<br />

leider matschig grau auf den viel befahrenen Strassen


und ich war froh, eine warme Bleibe, und ein warmes<br />

Herz zu haben.<br />

Dies war in vergangenen Jahren nicht immer der Fall,<br />

ich hatte oft alleine und draußen feiern müssen. Aber ich<br />

trauerte der Zeit nicht nach, sie hatte mir oft auch Gutes<br />

beschert.<br />

Ein Beatnik war ich längst nicht mehr, ich hatte mich<br />

schnell an Bequemlichkeit gewöhnt.<br />

Nur mein rockiges Wesen war nicht zu bändigen, ich<br />

war sogar kurz vor Weihnachten eine Nacht nicht in<br />

Marievonnes Wohnung gewesen, ich hatte mit einer<br />

schönen Frau eine Nacht in einem chicen Hotel in<br />

Brüssel verbracht, ich war noch stets ein Ausbrecher, was<br />

diese Dinge betraf. Das Mädel war eine schwarze Amerikanerin,<br />

die eine Rolle in einem Musical in Brüssel<br />

hatte. Mit einer Schwarzen hatte ich noch nie im Bett<br />

gelegen, diese Erfahrung konnte ich mir nicht entgehen<br />

lassen. Ich lernte sie auf einer Party beim Clan kennen,<br />

und war mit ihr abgezogen, war für immer ein „Gangster<br />

of Love“.<br />

197<br />

Ich hatte es Marievonne nicht erzählt, hatte behauptet,<br />

dass ich beim Clan so sehr bekifft war, dass ich nicht<br />

nach Hause fand, und dort geschlafen hätte. Erst am späten<br />

Nachmittag kam ich nach Hause, als die schwarze<br />

Jane zur Probe musste.<br />

Das war´s dann auch, ich war sicher sechs Monate mit<br />

Marivonne zusammen, als es mir wieder `mal zu viel<br />

wurde. Ich hatte “Hummeln im Arsch“, und wollte neue<br />

Gefilde erkunden.<br />

Mir war noch nicht klar, wie ich diesen Umstand Marievonne<br />

erklären sollte.<br />

Diese anfänglich so große, so einzigartige, nie erlebte<br />

Liebe war dann doch nicht mehr so stark, dass ich sie mit<br />

einer Frau alleine weiterleben konnte. Dazu war ich<br />

noch nicht bereit.<br />

Es war ein Verliebt sein, ein heftiges Gefühl, dass sich mit<br />

der Zeit automatisch abnutzte, nicht nur bei mir. Ich war<br />

mir sicher, dass auch andere Menschen solche Gefühle<br />

hatten, die irgendwann verblassen.<br />

Wenn eine gewisse Gewohnheit ins Zusammenleben<br />

kam, musste ich meine Zelte abbrechen, und weiterziehen,<br />

immer auf der Suche nach dem wahren Glück, das<br />

man dann vielleicht auch länger leben könnte. Mit Marievonne<br />

war es leider nicht so, ich musste gehen.<br />

Der Frühling kündigte sich an, die Sonne erwärmte<br />

meine Gedanken, die mich vorantrieben.<br />

Diesmal wollte ich nicht unbedingt ans Meer, Paris und<br />

Brüssel hatten meine Lust für ein Leben in großen Städten<br />

entfacht, ich wollte jetzt nach London.<br />

Ich hatte so viel von London gehört und gelesen, dass<br />

ich in diese Stadt wollte. Dort gab es jede Menge Musik,<br />

es gab die „Carnaby Street, von der überall berichtet


wurde, und ich hatte an einem warmen Tag in Brüs-<br />

198<br />

sel die ersten Blumenkinder gesehen, die Hippies.<br />

Ich sah an dem Grand Place ein Paar junger Leute, die<br />

Hand in Hand herumgingen, und Blumenkränze auf<br />

den Köpfen trugen. Dieses Bild trug ich in mir, wenn ich<br />

an Hippies dachte.<br />

Diese Zeit der „Flower-Power“ wollte ich ganz nah miterleben.<br />

Ich musste dafür nicht nach San Francisco, auch in London<br />

war die Szene der Flower-Power in vollem Gange.<br />

Nun wollte ich mich nur noch mit Marievonne auseinandersetzen,<br />

ich konnte keinesfalls bei Nacht und Nebel<br />

verschwinden, dafür war die Zeit mit ihr zu schön gewesen.<br />

Eines schönen Tages, Marievonne war von der Arbeit<br />

zurückgekehrt, saßen wir im Wohnzimmer, und unterhielten<br />

uns über den vergangenen Tag.<br />

Ich sagte irgendwann zu ihr, dass ich einen Job als Musiker<br />

gefunden hätte, und dafür nach London müsse.<br />

Marievonne schaute mich erstaunt an, und fragte, wie<br />

lange ich denn weg wäre. „Ca. zwei Monate, denke ich“,<br />

antwortete ich hier.<br />

„Was, zwei Monate, das ist eine lange Zeit, so lange<br />

möchte ich dich eigentlich nicht vermissen“, sagte sie.<br />

„Ich muss diesen Job annehmen, ich bin ziemlich blank,<br />

und das ist ´ne echte Chance für mich weiterzukommen“,<br />

erklärte ich ihr.<br />

Die Lügerei machte mich fertig, ich musste dieses Gespräch<br />

unbedingt zu Ende bringen, ich wusste nicht<br />

mehr, was ich noch alles sagen sollte. „So liegt die Sache,<br />

nächste Woche muss ich weg“, beendete ich das Gespräch.<br />

„Na ja, wenn du unbedingt nach London musst kann ich<br />

dich nicht aufhalten, das will ich auch nicht“, sagte Marievonne<br />

traurig, damit war dieses Thema erstmal been-<br />

199<br />

det.<br />

Ich wusste, dass die Frau mich wirklich liebte, für eine<br />

Frau waren Gefühle dieser Art stärker als für entschlossene<br />

Männer, dies hatte ich auf meinen Reisen gelernt.<br />

Aber ich konnte nicht anders, ich wollte nun etwas anderes<br />

sehen. Sechs Monate an einem Platz, das war für<br />

meine Bedürfnisse sehr lange, ich war noch immer rastlos.<br />

„Du wirst doch sicher eine Adresse in London haben,<br />

bitte ruf mich an, ich komm dich dann besuchen“, sagte<br />

Marievonne, sie hatte sich wohl mit der neuen Situation<br />

abgefunden.<br />

Ich war überzeugend, dass ich ihr meine Reise sehr<br />

nachdrücklich verständlich gemacht hatte, und versprach<br />

mich zu melden.<br />

Ich hatte kein gutes Gefühl, als mir immer deutlicher<br />

wurde, wie geknickt Marievonne wirklich war.<br />

200<br />

Kapitel 24<br />

Ich konnte nicht zurück, vielleicht war ich der größte


Egoist unter der Sonne, aber es war mir unmöglich,<br />

noch länger in dieser harmonischen Zweisamkeit zu leben,<br />

wie ich es immerhin ein halbes Jahr getan hatte.<br />

Viel Spaß in hatte ich in Brüssel gehabt, mit Marivonne,<br />

mit dem Clan, und die Stadt war wunderschön, es<br />

stimmte alles, außer in meinem Herzen, da stimmte<br />

langsam aber sicher nichts mehr, ich musste neue Gebiete<br />

in meinen Plan bringen.<br />

Ich hatte keine Ahnung wie es zu meinem Zustand gekommen<br />

war, schließlich gab es viele Paare, die lange<br />

Jahre, oder gar ein ganzes Leben mit einem Partner auskamen,<br />

aber das war für meine Lebenszeit noch nicht<br />

möglich, ich wusste nicht ob es je so sein könnte.<br />

Immerhin war ich noch keine 19 Jahre alt, und wild wie<br />

ein Tiger. Ich hatte noch Reviere zu markieren. Fertig<br />

aus.<br />

Und so kam der Tag, an dem ich zum Bahnhof fuhr, um<br />

mit dem Zug nach Oostende zu reisen, um dort auf eine<br />

Fähre zu steigen, die mich nach England bringen sollte.<br />

Marievonne war traurig, sie hatte Tränen in den Augen.<br />

Ich umarmte sie noch mal herzlich, gab ihr den Abschiedskuss,<br />

sie musste sowieso zur Arbeit.<br />

Ich hätte nicht gewollt, dass sie mir am Bahnhof hinterher<br />

winkte. Ich packte meine paar Sachen, zog Jeans,<br />

Hemd und einen dünnen Kaschmirpullover an, den mir<br />

Marivonne mir irgendwann mitgebracht hatte, zog meine<br />

Stiefel und die heiß geliebte Lederjacke an, ließ noch<br />

einen Blick durch die Wohnung streifen, in der ich gute<br />

Zeiten gehabt hatte, verschloss die Türe von außen, und<br />

201<br />

warf den Schlüssel in den Briefkasten.<br />

Ich trat auf die Strasse, streckte mich fest hoch, und ging<br />

die paar Schritte zur Straßenbahn, die mich zu Gare du<br />

Nord bringen sollte.<br />

Am Nordbahnhof brauchte ich nur eine halbe Stunde<br />

zu warten, und erstand eine Fahrkarte direkt bis London.<br />

Meine Barschaft hatte zwar deutlich abgenommen, obwohl<br />

ich fast nur auf Kosten von Marievonne gelebt hatte.<br />

Sie wusste, dass ich ohne Job keine großen Sprünge<br />

machen konnte.<br />

Noch hatte ich genügend Geld, um die erste Zeit in<br />

London überleben zu können. Dann würde ich schon<br />

wieder Möglichkeiten ausgecheckt haben.<br />

Ich war immer und überall klar gekommen, und es gab<br />

ja auch noch Frauen ohne Ende, englisch hatte ich es<br />

noch nicht bekommen, ich war sehr neugierig auf die<br />

Weiblichkeit der Insel.<br />

Nur auf der Strasse leben wollte ich nicht mehr, diese<br />

Zeit war endgültig vorbei!<br />

Ich würde meinem Leben ein neues Kapitel hinzufügen,<br />

und ich freute mich d´rauf.<br />

Noch einmal eine „Brüssler Waffel“, dicke, warme, sehr<br />

süße Waffeln, die man in Brüssel immer frisch an extra


dafür aufgestellten Buden kaufen konnte.<br />

Ich wusste, dass ich darauf ert´mal verzichten musste, war<br />

aber halb so schlimm, meine Reise ging weiter, ich war<br />

aufgeregt.<br />

In einem Monat sollte ich 19 Jahre alt werden. Marivonne<br />

wusste das, und sie wollte, dass ich diesen Tag noch in<br />

Brüssel feiern sollte, aber Geburtstag ging mir am Arsch<br />

vorbei, ich konnte 10 oder 60 Jahre alt sein, das machte<br />

für mich keinen Unterschied, ich war Reisender in Sachen<br />

Entdeckung des Lebens und in Sachen Liebe, die<br />

202<br />

für mein Leben unabdinglich war.<br />

Und ICH wollte bestimmen, Niemand sollte nochmals<br />

über mich bestimmen, davon hatte ich genug erfahren.<br />

So plante ich den Zug nach Oostende, das Ende von<br />

Belgien an der Nordsee, und erstmal auch von Marievonne.<br />

Ich hatte keinen Tränen zu weinen, dies war ganz<br />

alleine meine Entscheidung.<br />

Vom Clan hatte ich mich gebührend verabschiedet.<br />

Ich kannte mittlerweile einen Dealer, der gutes Gras verkaufte.<br />

Bei dem erstand ich ein paar Gramm gutes Gras,<br />

kaufte eine Flasche zwölf Jahre alten Whiskys, der in<br />

Belgien durchaus preisgünstig zu haben war, und ging<br />

gegen Abend meines vorletzten Tages ins Studio.<br />

Ich wusste das die Bande guten Whisky zu schätzen<br />

wussten, aber auch ich wollte mich brettfett machen einen<br />

endgültigen Schlussstrich ziehen.<br />

Die Jungs wussten nichts von meiner „Flucht“, freuten<br />

sich aber sehr über meinen unerwarteten Besuch. Sie<br />

hatten gerade einen Track eingespielt, hatten lange daran<br />

herumgefeilt, aber nun war er auf Band.<br />

Sie fanden somit also allen Grund zu feiern. Wir machten<br />

eine Party im Studio, rauchten Grass, tranken Whisky,<br />

und machten gemeinsam Musik, bei der ich noch<br />

´mal auf die Trommeln schlagen konnte. Es war ein Riesenfest,<br />

das ich den Jungs schuldig war. Martin fuhr<br />

noch´mal in die Stadt, um Essen für Alle zu besorgen.<br />

Wir feierten bis der Morgen kam, und wir müde und<br />

ziemlich breit waren. Wir umarmten uns ein letztes Mal,<br />

die Bande wünschte mir Glück, und fanden es gut und<br />

mutig, dass ich einen neuen Schritt in ein anderes Leben<br />

ging.<br />

Der Clan war eine gute, solide Rockband, die einmal,<br />

leider nur in Belgien, Erfolge hatten. Sie hatten den falschen<br />

Manager, wie ich fand. Aber sie hatten einen Ver-<br />

203<br />

trag für 4 Jahre, in denen sie 3 Lp´s für ihn einspielen<br />

mussten.<br />

Luc flüsterte mir bei einer Gelegenheit, dass der Manager<br />

von „Adamo“ Interesse zeigte, und das wäre richtig<br />

gewesen, aber sie waren gebunden. Es gab so viele gute<br />

Rockbands, hatten sie aber das Quäntchen Glück, oder<br />

den richtigen Manager nicht, saßen sie alle auf der Strasse.


Leider.<br />

Martin zog mich einen Moment bei Seite, und sagte: „<br />

Mit Marivonne lässt du eine sehr gute Frau zurück, ich<br />

kenne sie schon länger, sie ist eine positive Ausnahme<br />

Brüsseler Frauen, aber du musst es wissen“, sagte er<br />

ernst. Ich bekam den Eindruck, dass er selbst gerne mit<br />

Marievonne gewesen wäre. Sollte er sie kriegen, ich<br />

wünschte es ihm innerlich. Ich hatte dieser Liebe den<br />

Rücken zu gekehrt.<br />

Luc schrieb mir eine Adresse in London auf, bei der ich<br />

mich melden sollte, da würde man mir weiterhelfen,<br />

wenn ich Schwierigkeiten hätte. Er wollte die Leute<br />

dort telefonisch von meiner Ankunft in Kenntnis setzen.<br />

Das war schon mal beruhigend für mich, es gab mir zusätzliche<br />

Sicherheit, die ich aber sowieso hatte.<br />

Ich bedankte mich mit einer Umarmung, und Küssen<br />

auf die linke und die rechte Wange wie es in Brüssel üblich<br />

war. So verabschiedeten wir uns alle, und der Clan,<br />

den ich sicher nie vergessen würde war Geschichte.<br />

204<br />

Kapitel 25<br />

Der Zug war schon fast in Oostende angekommen, er<br />

brauchte knapp zwei Stunden von Brüssel.<br />

Ich sah bald das Meer, und fühlte mich stark und gut. In<br />

Brüssel hatte ich mir eine kleine Reisetasche angeschafft,<br />

die nicht störend war, und mit den wenigen<br />

Habseligkeiten, die ich besaß auch leicht. Unnötige Belastungen<br />

hatte ich immer vermieden.<br />

Ich musste durch den Belgischen Zoll, und schon war<br />

ich auf einer riesigen Fähre, die ich aus Italien und Griechenland<br />

schon kannte. Ich freute mich sehr auf die Seereise.<br />

Mittags ging´s los, und am nächsten Morgen sollten<br />

wir in Ramsgate ankommen.<br />

Die See war rau, hohe Wellen brachten das Schiff gehörig<br />

zum schaukeln. Das war anders als auf dem doch zumeist<br />

ruhigen Mittelmeer.<br />

Die Meere waren auch nicht vergleichbar, das Mittelmeer<br />

war eigentlich ein gigantischer See, der nur durch<br />

die Strasse von Gibraltar Auslauf hatte, die Nordsee hingegen<br />

erstreckte sich über einen sehr großen Teil unserer<br />

Wasserwelt war mit dem Atlantik und dem riesigen<br />

Nordmeer verbunden, das den Nordpool berührte, und<br />

dann den Pazifik erreichte.<br />

Die Erde bestand ja aus unendlich viel mehr Wasser, als<br />

Land.<br />

Und trotzdem starben Massen von Menschen an Durst<br />

und Hunger, weil nicht genügend Süßwasser vorhanden<br />

war.<br />

Das Meer konnte man leider nur beschränkt als Reservoir<br />

für Trinkwasser nutzen, Wasserwerke, die aus Meerwasser<br />

Trinkwasser machen konnten gaben es nur sehr<br />

begrenzt, und waren schwer zu warten.<br />

205


Das Salzwasser war so aggressiv, da wurden Pumpen und<br />

Rohre schnell durchfressen. Es würde sicher noch lange<br />

dauern, um dieses Problem zu beheben, wenn überhaupt.<br />

Ich hatte in den frühen Morgenstunden auf einem<br />

Schlafsessel einige Stunden geschlafen, bis ich merkte,<br />

dass sich die Passagiere gegen die Gangways bewegten,<br />

ich war in Großbritannien angekommnen.<br />

Es war April, das Wetter war rau und regnerisch. Ich<br />

dachte kurz an die heimelige Gemütlichkeit bei Marievonne,<br />

schlug mir diese Gedanken schnell aus dem<br />

Hirn. Ich war in England, das es zu entdecken gab.<br />

Direkt am Hafen von Ramsgate gab es einen Bahnhof,<br />

wo ich auch schnell einen Zug nach London Waterloo-<br />

Station erwischte. Ich hatte mein Ticket bis London gelöst,<br />

musste mich also nirgendwo anstellen, um eine<br />

Fahrkarte zu kaufen, wie viele Andere. Die Schlangen<br />

vor den drei Schaltern waren lang.<br />

Ich stieg in den Zug, und da bemerkte ich sofort den<br />

Unterschied zu den Zügen auf dem Europäischen Festland.<br />

Als ich die Türe öffnete, stand ich sofort im Abteil,<br />

es gab keine Flure, die einzelne Abteile verbanden, jedenfalls<br />

nicht an den Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten.<br />

Es gab einen kleinen Gang an der gegenüberliegenden<br />

Seite, durch den sich der Schaffner zwängen musste. Jedes<br />

Abteil hatte einen eigenen Ein- und Ausgang.<br />

Die Sitze waren ausgesprochen gemütlich, und ich<br />

konnte mir locker aussuchen, wo ich sitzen wollte. Natürlich<br />

nahm ich einen Fensterplatz ein, schließlich<br />

wollte ich Britannien bis London besichtigen.<br />

Der Zug setzte sich in Bewegung, nun war London zum<br />

Greifen nah, ich war froh, und rauchte mir einen kleinen<br />

Rest von dem Gras, das ich noch von der Fete in Brüssel<br />

übrig hatte. Ich hatte völlig vergessen, dass ich den<br />

206<br />

kleinen Joint noch in der Tasche hatte, so war ich unaufgeregt<br />

durch die Zölle gekommen. Glück gehabt, musste<br />

schließlich auch ´mal sein.<br />

Das Gras roch stark, und ich erhielt komische Blicke von<br />

zwei jungen mitreisenden Frauen. Aber ´ne Pfeife riecht<br />

ja auch anders als ´ne Zigarette, also warum Aufregung.<br />

Ich rauchte das Gras gemütlich, und warf den Rest aus<br />

dem Fenster.<br />

Jetzt ging´s mir richtig gut, ich freute mich auf London<br />

wie ein Kind. Waterloo-Station, Trafalgar Square, Picadilly<br />

Circus, Soho, Carnaby Street, gleich würde ich das alles<br />

in greifbarer Nähe haben.<br />

Die Landschaft war sehr schön, aber nicht viel anders als<br />

auf dem Festland. Ab und zu sah ich große Herrenhäuser,<br />

in denen sicher die Lords ihrer Majestät hausten, und<br />

ihre Bediensteten quälten.<br />

Schon fuhr der Zug in die Waterloo-Station, dem größten<br />

Bahnhof Londons, in den die Züge aus allen Himmelsrichtungen<br />

Englands einfuhren. Ich stieg recht high


aus dem Zug, und schaute mich in der Masse von Menschen<br />

aller Nationalitäten nach einer U-Banhn Station<br />

um. Trotz der vielen Leute sah ich ein typisch englisches<br />

„Underground“ Zeichen, ein roter Kreis mit einem in<br />

der Mitte liegenden blauen Balken.<br />

Ich ging in Richtung jenes Zeichens, musste mich durch<br />

viele Menschen schaufeln, kam aber dann schnell zur UBahn.<br />

Ich wollte zur Earl´s Court Station, das hatten mir<br />

Martin und Luc geraten, dort um die größte Halle Englands<br />

liegenden Strassen konnte man leicht günstige<br />

Wohnungen auf Wochenbasis mieten.<br />

Ich kam zur gesuchten Station, und verließ die U-Bahn<br />

in Richtung Earl´s Court Road. Ich sah eine völlig neue<br />

Welt, die Unterschiede zu anderen Großstädten waren<br />

207<br />

enorm, Geschäfte, Wohnhäuser, Fish and Chips Buden,<br />

die fischig rochen, Supermärkte an jeder Ecke, es war<br />

zunächst ´mal überwältigend und einfach anders als Paris<br />

, Köln, Berlin oder Brüssel, hier war London, typisch<br />

für sich selbst, unvergleichbar mit anderen Städten.<br />

Es war Neuland für mich, aber ich liebte Neuland, ich<br />

ging mit einer angenehmen Gänsehaut die breite Straße<br />

entlang.<br />

Auch hier lebten Menschen aller Nationalitäten friedlich<br />

miteinander, eine solch unterschiedliche Mischung<br />

Mensch in einem Viertel hatte ich noch nirgendwo gesehen.<br />

Ich war high bis in die Haarspitzen, und das kam<br />

nicht mehr nur vom Gras.<br />

Ich war in London Süd-West 5, das von der Kensington<br />

High Street, und der Cromwell-Road durchquert wurde,<br />

zwei große Strassen, die sich durch ganz London zogen.<br />

Auf diesen Strassen hatte man Verbindung nach<br />

überall in London. Und ich wollte ja schließlich überall<br />

hin.<br />

Earl`s Court grenzte an South Kensington, einem chicen<br />

Viertel, und an West Bromton, das auch nicht billig<br />

war. Im Earl´s Court zu wohnen war erschwinglich, gute<br />

Ratschläge meiner Freunde in Brüssel.<br />

Von der Earl´s Court Road gingen kleine Strassen in<br />

linke und rechte Richtung ab, und genau so eine kleine<br />

Strasse musste ich ansteuern, denn hier konnte ich mich<br />

irgendwo einmieten. Für 5- bis 8 Pfunds (45 bis 65<br />

Mark) pro Woche bekam man hier ein geräumiges Zimmer<br />

mit Heizung (wichtig!), und Bad.<br />

Ich wählte die der U-Bahn gegenüberliegende Seite der<br />

Earl´s Court Road, und ging zunächst in die Earl´s<br />

Court Gardens, einer ziemlich feinen Strasse, in der aber<br />

an vielen Häusern Schilder mit „to let“ (zu vermieten)<br />

in den Fenstern hingen. Die Häuser waren alle durch<br />

208<br />

weiß gestrichene Eisenzäune von der Strasse und dem<br />

Bürgersteig getrennt. An einem Haus mit dem Schild to<br />

let ging ich einige Stufen hoch, und drückte auf die erste


Klingel.<br />

„Yes please“, fragte eine feine englische Dame, die mir<br />

die Türe öffnete, ich fragte sie nach den zu vermietenden<br />

Zimmern, und den Preisen dafür. „That depends<br />

how long you stay, Sir“, antwortete die Dame, sehr rote<br />

Lippen vorzeigend. (das kommt darauf an, wie lange sie<br />

bleiben möchten, Sir), das mit dem „Sir“ gefiel mir besonders<br />

gut.<br />

Ich erklärte ihr, das ich die Absicht hätte, länger in London<br />

zu bleiben, einen Monat oder zwei.<br />

Sie betrachtete mich von oben bis unten, fand mich<br />

wohl serieus, ich hatte das gestreifte helle Hemd an, meine<br />

chice Lederjacke, und geputzte(!) Stiefel.<br />

„ If you stay at least one Month, I can give you a nice,<br />

big Room for 6 Pounds a week“, machte die Lady Ihren<br />

Preis fest.<br />

Aber da ich natürlich geborener Händler war, konnte ich<br />

mich auf diesen Preis nicht einlassen, ich bot ihr 4,5<br />

Pounds die Woche an, sie sagte:“Ok, you can have a<br />

Room, verry quiert, for 5 Pouns a week, if you pay in<br />

advance, Sir“. Sie gäbe mir ein schönes Zimmer wenn<br />

ich mindestens einen Monat bleiben würde und im Voraus<br />

bezahle.<br />

Ich wollte das Zimmer sehen, und die Dame führte<br />

mich in die erste Etage. Sie öffnete ein Zimmer, sicher<br />

25qm. groß, mit einem Doppelbett, zwei Sesseln und einem<br />

Tisch, einem -zum Glück kleinen- Kleiderschrank<br />

und einer mit Gas betriebenen Feuerstelle, Heizung. Das<br />

Bad war geräumig, hatte eine separate Dusche, und sogar<br />

ein Bidet.<br />

„Yes, Lady, I take this Room, I pay you two weeks in Ad-<br />

209<br />

vance” bedeutete ich der Lady, die einen Schal um die<br />

Schultern trug, und sie sagte zu. Ich fingerte das Geld aus<br />

der Tasche, ich hatte mir schon am ersten Bahnhof<br />

Pounds besorgt, ich gab ihr 10 davon<br />

„I wish you a good time in London, Sir”, sagte die Lady<br />

nun lächelnd, und steckte die Scheine schnell weg. Sie<br />

erklärte mir noch wie das mit der Heizung funktionierte.<br />

Man musste Münzen in einen neben der Heizung<br />

stehenden kleinen Apparat werfen, das Gas aufdrehen,<br />

und zünden. Der Zünder war direkt neben dem Geldautomaten,<br />

der aber sicher schon vor sehr langer Zeit<br />

angebracht worden war.<br />

Die Feuerstelle sah schon etwas mitgenommen aus.<br />

Ich schaute aus einem großen Fenster, und war angenehm<br />

überrascht, ich sah auf sehr grünen, gepflegten<br />

englischen Rasen, und Blumen im Carre, die von anderen,<br />

auch weißen Häusern mit schwarz gerahmten Fenstern<br />

umgeben waren. Es war eine große Grünfläche vor<br />

dem Fenster.<br />

Dies waren also „Earl´s Court Gardens“, ich fühlte mich<br />

gleich wohl hier. Und dass ich so günstig wohnen könnte


hatte ich nicht erwartet. 180 Mark im Monat, das fand<br />

ich natürlich super.<br />

Ich legte schon ´mal Geld für sechs Wochen zur Seite.<br />

Hauptasche das Wohnen war geregelt, ich war wieder<br />

´mal unabhängig, hatte noch einige Barschaft, es ging<br />

mir ´mal wieder richtig gut!<br />

Ich lehrte meine Tasche, schob die Kleider, (zwei Hemden,<br />

zwei Hosen, Unterwäsche, Socken, und ein weiteres<br />

Paar Schuhe, die mir die Schweizerin gekauft hatte,<br />

die waren immer noch Top, und gemütlich.). Ich wohnte<br />

nun in Earl´s Court Gardens Nr.15.<br />

Der „Sir“ machte sich auf Erkundungstrip in die Earl´s<br />

Court Umgebung.<br />

210<br />

Glücklicherweise hatte ich erneut eine sehr lebendige<br />

Stelle der Welt gefunden, hier tobte das Leben ´mal wieder.<br />

Ich sah eine als Café bezeichnete Örtlichkeit, in der<br />

viele junge Leute verschwanden. Es war das „Supersonic<br />

Café“. Ich verschwand hinterher, ging eine sechsstufige<br />

Treppe hinunter, wo mir schon Musik entgenklang.<br />

Unten angekommen war ich in einem ziemlich großen<br />

Musik-Café, das mit jungen Leuten gefüllt war, die sich<br />

trotz der ziemlich lauten (und das gefiel mir besonders!)<br />

Musik von den Beatles angeregt unterhielten. Ich setzte<br />

mich auf einen freien Barhocker an die Theke, und bestellte<br />

Milchkaffee.<br />

Dann begann ich die Örtlichkeit in näheren Augenschein<br />

zu nehmen, und war angenehm überrascht. Ich<br />

hatte eine schöne, musikalisch dekorierte Kneipe gefunden.<br />

Es hingen Instrumente an den Wänden und von<br />

der Decke herab, Schallplatten, elektrische und akustische<br />

Gitarren, die ein Leben schon hinter sich hatten,<br />

aber sehr dekorativ waren. Das Alles wirkte sehr positiv<br />

auf mein Gemüt.<br />

Posters von mir bekannten und viele mir unbekannte<br />

Bands schmückten die Wände zusätzlich. Die Stühle und<br />

Tische waren ziemlich klein, was dem Raum aber mehr<br />

Fläche gab, ihn größer erscheinen ließ als er wirklich<br />

war.<br />

Es waren sicher vierzig junge Leute in dem Raum, Farbige,<br />

Afrikaner aber auch Inder, und jede Menge Londoner,<br />

wie ich erkannte. Es waren natürlich alle „Londoner“,<br />

die Weißen hatten aber deutlich die Oberhand.<br />

Ich trank meinen Kaffee, hörte noch eine Weile der<br />

Musik zu, von der ich Vieles nicht kannte, aber es war<br />

sehr rockig ausgelegt, und beobachtete weiter die Menschen.<br />

Die Musik wurde plötzlich etwas virtueller, sehr<br />

gitarristisch, aber eben virtueller, als der Rock den ich<br />

211<br />

kannte.<br />

Ich fragte ein Mädel, das hinter der Bar arbeitete, wer da<br />

spielte, und sie antwortete verwundert schauend „This is<br />

Pink Floyd, dont you know them“? Nein, die kannte ich


nicht, ich hatte von dieser Band noch nie gehört. Aber<br />

sie gefiel mir sehr gut.<br />

Neben mir an der Theke hockten vielleicht noch acht<br />

Leute, fünf Mädchen, und drei Jungs. Hier wurde konsequent<br />

english gesprochen, und das war gut so. Ich<br />

wollte lernen, lernen und lernen. Sprachen, Leben, Musik,<br />

Alles!<br />

Ich war wieder einen großen Schritt weiter gekommen,<br />

es konnte nur noch besser werden.<br />

Sicher hatte ich zwei Stunden in dem Café verbracht,<br />

die Musik hatte mich gefesselt, so hatte ich das noch nirgendwo<br />

erlebt, außer vielleicht privat, die Musik und die<br />

Menschen hatten mich sehr zufrieden gestimmt.<br />

Ich konnte mich nur schwer trennen, wollte jedoch<br />

mehr sehen, ich war gerade erst angekommen, und sofort<br />

war ein Funke auf mich gesprungen, der mich regelrecht<br />

verzaubert hatte. Ein kleines persönliches Wunder<br />

war geschehen. Oder ein Großes?<br />

Ich musste mich zunächst orientieren, es war Zauber,<br />

daran gab es keinen Zweifel. Pink Floyd hatte vielleicht<br />

daran mitgewirkt.<br />

Ich begab mich in die „Tube“, wie die Londoner ihre<br />

Underground-Bahn nannten, und suchte mir einen Zug<br />

Richtung Picadilly Circus.<br />

Ich wusste, dort ging es nach Soho und in die Carnaby<br />

Street. London war um diese Zeit der Nabel der Welt,<br />

hier versammelten sich Alle, die am modernen Leben<br />

teilhaben wollten.<br />

Selbst San Francisco, oder New York waren nicht so angesagt<br />

wie London, das kam erst viel später. Ich war zur<br />

212<br />

rechten Zeit am rechten Platz.<br />

Als ich am Picadilly Circus ankam, aus der sehr tief liegenden<br />

„Tube“ hochgerollt, die Rolltreppen waren immens,<br />

lagen sicher bis zu 50 Meter unter der Stadt, ( Im<br />

zweiten Weltkrieg hatten sich hier die Londoner vor den<br />

Bombenangriffen der Deutschen geschützt), sah ich einen<br />

sehr verkehrsreichen Kreis, indem in der Mitte ein<br />

Platz war, den in seinem Zenit eine hohe Statue<br />

schmückte. Ich war am Picadilly Circus. Es war regnerisch,<br />

aber so war halt das englische Wetter, Sonne hatte<br />

man nur selten, im Juli oder August, wenn man Glück<br />

hatte.<br />

So viele Regenschirme wie in London hatte ich noch<br />

nirgendwo gesehen.<br />

Viele schwarz oder dunkel gekleidete Männer trugen<br />

lustige, schwarze, runde, mit nur einer schmalen gebogenen<br />

Krempe besetzte Hüte, das waren die Londoner<br />

Banker oder Beamten, oder überhaupt serieusen Business<br />

Männer.<br />

Jeder trug einen offenen oder eingerollten Regenschirm<br />

als ständigen Begleiter. Je nach Wetterlage.<br />

Ich fragte einen „Bobby“, einen Londoner Polizisten,


wie ich zur Carnaby-Street käme, und er erklärte mir<br />

sehr freundlich und zuvorkommend, dass ich nur um<br />

drei Ecken musste, um diese Strasse zu erreichen. Es mag<br />

4 Uhr Nachmittags gewesen sein, in dieser Straße war<br />

ein solch farbenfrohes Treiben, wie ich es mir bunter<br />

nicht hätte vorstellen können.<br />

Hunderte junger Leute schlenderten durch die Straße,<br />

in der eine Boutique neben der Anderen angesiedelt<br />

war. Jeder verkaufte etwas anderes, hier gab´s Kleider für<br />

Frauen, „Lady-Jane“, dort gab´s Bekleidung für Männer,<br />

„Lord-John“, und Geschäfte für Räucherstäbchen, wonach<br />

die gesamte Straße roch, auch schon ´mal nach<br />

213<br />

Gras dazwischen, ich konnte erstmal kaum fassen, wie<br />

hier das Leben regelrecht zauberte.<br />

Die Bekleidungen waren schrill farbig wie nirgendwo in<br />

der Welt, vielleicht noch in Indien, wo es ja kulturell<br />

schon tausende Jahre bunt zuging. Es gab auch viele indische<br />

Geschäfte, sie waren sehr gut besucht. Man erstand<br />

hier Saris, indische Wickelkleider, in allen Farben,<br />

mit Gold durchwebt, rot und blau und grün und lila, es<br />

war eine wahre Pracht, was diese Strasse hervorbrachte.<br />

Aber hauptsächlich gab es Hippie-Mode, die war total<br />

„IN“ in London. Unten weit ausladende Hosen, die an<br />

den Oberschenkeln eng saßen, farbige Blusen zierten die<br />

schönen jungen Frauen. Runde Nickelbrillen, wie Janis<br />

Joplin sie trug. Ketten in allen Variationen, überladender<br />

Schmuck war sehr angesagt, für Frauen und auch für<br />

Männer. Junge Leute erfreuten sich an dem immens großen<br />

Angebot der Carnaby-Street.<br />

In dieser Strasse kauften viele Rock Musiker ihre bunten<br />

Kostüme. Es war eine enorme Bühne der Eitelkeiten,<br />

ca. 800 Meter lang, und sicher 30 Meter breit. Glitzer<br />

und Glimmer überall, eine farbefrohe Wolke in der<br />

Stadt.<br />

Diese Strasse lag in „Soho“, einem etwas anrüchigen<br />

Viertel, das aber zu London gehörte wie die Tower-<br />

Bridge oder der Regen. Soho lag nah am Picadilly-Circus.<br />

Hier war die „Unterwelt“ von London zu Hause, eine<br />

Striptease Bar lag neben der anderen, und wenn man genau<br />

hinschaute, sah man die Tänzerinnen von einem<br />

Club zum nächsten ziehen, mit ihren Kostümen unterm<br />

Arm, wo sie sich beim Auszieh´n ihr Geld verdienten.<br />

In Schaukästen vor den Clubs sah man schon wer und<br />

was einen in der Bar unterhalten würde. Das Spektakel<br />

214<br />

begann schon am Tag und endete in den frühen Morgenstunden.<br />

Vor jedem Club stand ein Mann, um die Vorbeiziehenden<br />

mit lockeren Sprüchen in die Etablissements zu lokken.<br />

Hier sah man die Londoner Gangster, life und in<br />

Farbe.<br />

Es gab auch viele indische und pakistanische Restaurants<br />

in Soho, in denen man sich leicht die Kehle verbrennen


konnte, wenn man die Schärfe der Speisen<br />

nicht deutlich benannte.<br />

In Soho war auch der „Marquee-Club“, in der berühmt<br />

werdenden Wardour Street, indem schon die Beatles, die<br />

Stones, Fleetwood Mac und andere Größen der Rockmusik<br />

auftraten. Ich sollte meine helle Freude in diesem<br />

Club haben, den ich später oft besuchte.<br />

Ich ging schon am ersten Abend in den Marquee-Club<br />

weil ich es einfach nicht erwarten konnte, diesen Club<br />

zu erleben. Dort spielten an diesem Abend John Mayell<br />

and the Blues Brekers, eine Blues-Kult Band in dieser<br />

Zeit. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Als ich<br />

den Club betrat, Eintritt 1 Pfund, (10 Mark), turnte John<br />

Mayell persönlich in einer sehr fransigen Wildlederkluft<br />

oben auf den Lautsprecherboxen herum, und verkabelte<br />

irgend´was. Da gab´s es noch nicht für jede Band „Roady<br />

´s“<br />

Es waren schon einige Blues-Fans versammelt, das Konzert<br />

sollte um 22 Uhr beginnen. Dann war der Club<br />

auch bis auf den letzten Platz gefüllt.<br />

Mein erstes Life-Konzert in London war einzigartig, hat<br />

mich gut in den „Marquee-Club“ eingeführt, besser<br />

hätte es nicht sein können.<br />

Die Band hatte mir Brüssel und Maryvonne aus dem<br />

Hirn geblasen, und zwar sehr, sehr laut. Solche Phonstärken<br />

war ich auf dem Festland nicht gewöhnt. Aber das<br />

215<br />

gefiel mir besonders gut. Wie schon erwähnt, ich liebte<br />

laute Rock-Musik.<br />

Am frühen Morgen begab ich mich zu Fuß von der<br />

Wardour Street zur Shaftsbury Avenue zum Picadilly<br />

Circus, dann Richtung Charring Cross Road, über die<br />

Pembroke Road in die Cromwell Road, alles legendäre<br />

Straßen in London, dann nach links in die Earl´s Court<br />

Road, noch´mal links, und ich befand mich zu Hause,<br />

Earl`s Court Gardens 15, wo ich zufrieden und glücklich<br />

den Rest der ersten Nacht in London in tiefem<br />

Schlaf verbrachte.<br />

Meine dröhnenden Ohren hatten sich auf dem Weg<br />

nach Hause wieder beruhigt. Der Weg von Soho zum<br />

Earl´s Court war weit, ich sah London im Morgengrauen,<br />

einzigartig und interessant.<br />

Als ich am nächsten Nachmittag wach wurde, ging ich<br />

wieder in das Café Supersonic in der Earl´s Court Road,<br />

und bestellte starken Kaffee mit Milch, ich hatte den<br />

Kopf voller Gedanken an den gestrigen Tag, es kam mir<br />

fast unwirklich vor, wie ich wichtige Einrichtungen und<br />

Erlebnisse in London so schnell hatte entdecken können.<br />

Einige wichtige Informationen hatte ich ja schon vom<br />

Clan in Brüssel bekommen, aber das Erlebte übertraf<br />

meine kühnsten Erwartungen. Zur rechten Zeit am<br />

rechten Platz in dieser jungen, ins Neue aufbrechenden<br />

Gesellschaft. Eine völlig andere Zeit war angebrochen,


und diese erlebte man am deutlichsten in London/<br />

England! Und ich war mittendrin, überhoch erfreut.<br />

Ich stellte mir vor an einer Revolution teilhaben zu<br />

können, die in London ihren Ursprung hatte. Ich war sicher,<br />

dass ich mithelfen könnte die Welt zu verbessern,<br />

eine neue, friedliche Zeit mit viel Liebe und Frieden<br />

216<br />

deutlich einzuläuten. Kraft dazu hatte ich satt. Alle jungen<br />

Menschen glaubten an Veränderung, „Love and<br />

Peace“ waren die täglichen Parolen in dieser Stadt, in der<br />

auch das „normale“ Volk freundlich war.<br />

Schon am zweiten Tag in der Stadt begann ich das Earl´s<br />

Court Viertel, London SW 10, zu erkunden.<br />

Ich begab mich in die großen Strassen, die durch das<br />

Viertel, und durch ganz London führten, so wie die<br />

Cromwell Road, die Old Bromton Road, Fullham Road<br />

, von denen ich schon Einige in der vorherigen Nacht<br />

begangen hatte, und noch viele mehr, die durch Earl´s<br />

Court zogen, von weit her kamen, und weit draußen endeten.<br />

„Charing Cross“ war der unter- und überirdische Verkehrsknotenpunkt<br />

von London, von hier führten Straßen<br />

und U-Bahnen in alle Richtungen.<br />

Earl´s Court wurde von diesen enorm verkehrsreichen<br />

breiten Straßen geprägt. Und dann die Earl´s Court<br />

Halle, die damals, und vielleicht noch Heute, größte geschlossene<br />

Halle der Welt, in der ständig Events stattfanden,<br />

ob Rockkonzerte, Philharmonische Großartigkeiten,<br />

oder riesige Ausstellungen aller Art. In dieser Halle<br />

war immer Neues zu entdecken. Ob Elvis Presley oder<br />

Kanienchenzüchter Ausstellung, hier fand man Alles.<br />

Und dann Notting Hill Gate, ein Viertel wie eine Kleinstadt,<br />

die den größten Flohmarkt beherbergte, den ich je<br />

gesehen hatte. Die Angebote, und die illustren Typen, die<br />

diese machten, waren unvergleichlich in Europa, vielleicht<br />

auch in der Welt. Ich hatte den Pariser Flohmarkt<br />

oft und gerne besucht, und der war groß. Auch den Amsterdamer<br />

Flohmarkt, jedoch Notting Hill Gate war allen<br />

in jeder Hinsicht überlegen. Dort fand man einfach<br />

ALLES, es gab Nichts was es nicht gab. Der Markt hatte<br />

mich außerordentlich beeindruckt.<br />

217<br />

Und überall die großen roten Doppeldecker Busse, an<br />

deren hinteren Ende, das frei stand, nur am Boden bis<br />

zum Dach reichenden dicken Stange gehalten, als hätte<br />

man die hintere, zum Bürgersteig gewandte Seite einfach<br />

dreieckig abgesägt , nur von dieser Stange in der<br />

Mitte des Dreiecks vom Verkehr abgehalten, mit einer<br />

Treppe nach oben , waren einzigartig. Wenn sich der Bus<br />

verlangsamte, konnte man leicht hinten auf- oder abspringen.<br />

Eine immer freundliche Schaffnerin in dunkelblau und<br />

rot gekleidet, oder der Schaffner verkauften dann die<br />

Tickets für die Fahrt. Am schönsten war es oben zu sitzen,<br />

und London zu studieren.


Mit der „Underground-Bahn“, der „Tube“, kam man<br />

am billigsten und schnellsten durch ganz London, dort<br />

wurde erst am Ziel gezahlt. Man sagte woher man kam,<br />

und dann wurde der Fahrpreis genannt. Ich hatte den<br />

Trick schnell ´raus, ich kam immer von der vorletzten<br />

Station, und zahlte den geringsten Preis. Die Londoner<br />

jedoch verhielten sich korrekt, sie sagte wo sie wirklich<br />

herkamen, und bezahlten so den angebrachten Preis.<br />

Londoner halt, die ihre Tube besonders im zweiten Weltkrieg<br />

zu schätzen wussten. Hier waren sie von Hitlers<br />

Bomben geschützt.<br />

Die Tube war sowieso etwas Besonderes. Hier wieselten<br />

Tausende in den sehr tief gelegenen langen Gängen, die<br />

nach hier und dort führten. Es war täglich ein Gewimmel<br />

von Menschen, einfach unglaublich. Die Bahn war<br />

groß ausgerichtet, und ging sehr tief in den „Underground“,<br />

die vielen Rolltreppen waren immens hoch,<br />

aus Holz, an den Rändern von Stahlbändern gehalten.<br />

Ich hatte selbstverständlich auch die Pariser U-Bahn erlebt,<br />

aber so tief wie es in London hinunterging, war<br />

einzigartig regelrecht beängstigend, wenn man von oben<br />

218<br />

hinunterschaute.<br />

Und es gab eine so genannte „Circle-Line“, eine Bahnstrecke,<br />

die immer den gleichen großen Kreis durch<br />

und um London zog. Viele Obdachlose wärmten sich in<br />

dieser Bahn stundenlang auf, sie fuhren halt immer im<br />

Kreis. So lange sie wollten. Und das mit dem günstigsten<br />

Ticket.<br />

Die Londoner waren sehr korrekt, sie drängelten sich nie<br />

vor, sie standen brav in einer übersichtlichen Reihe, ob<br />

am Bus, in der Bahn, im Geschäft an der Kasse, oder bei<br />

anderen Gelegenheiten. Es wurde nie gedrängelt, das beeindruckte<br />

mich sehr. Wo gab es denn so ´was auf dem<br />

Europäischen Festland, hier wollte Jeder der Erste sein,<br />

Gedrängel war immer und überall. Nicht so in London!<br />

219<br />

Kapitel 26<br />

Diese Stadt hatte mich schnell in ihren Bann gezogen.<br />

Ich genoss es täglich mehr hierher gekommen zu sein.<br />

Ich besuchte oft das Supersonic. Nachdem ich zweimal<br />

Kaffee geordert hatte, bemerkte ich, dass die meisten<br />

Menschen zum Frühstück, und den gesamten Tag über,<br />

Tee mit Milch tranken, das war das Nationalgetränk aller<br />

Engländer. Wie bei uns Kaffee getrunken wurde. The<br />

„British“ waren eher „Tee-Peoples“, obwohl sie auch<br />

Kaffee genossen.<br />

Die Musik im Café weckte mich schnell, es gab kein<br />

Lied, das mir nicht gefiel. Und schön laut, den ganzen<br />

Tag über.<br />

Viele neu gegründete englische Bands, von denen ich<br />

nur wenige kannte, was sich radikal ändern sollte. Wenn<br />

mir ein Song besonders gefiel, fragte ich eine der sehr


freundlichen Bedienungen, wer gerade spielte. Ich bekam<br />

immer eine Antwort, die Mädels kannten sich aus.<br />

In einem „Supersonic“-Café sollte man das auch.<br />

Ich hörte „The Cream“, mit Eric Clapton, die sich gerade<br />

in die Charts spielten, und die ich später Live in<br />

London sehen und hören konnte, „Free“, die ich glücklicherweise<br />

schon in Belgien live gesehen und gehört<br />

hatte, und in London nochmals erlebte. „Hermann´s<br />

Hermits“ wurden gespielt, sie hatten wohl einen Hit gelandet.<br />

„Jimmy Hendrix“, den man in seiner Heimat Amerika<br />

links liegen ließ, der aber in England riesige Erfolge feierte.<br />

Viele Gitaristen versuchten seine Art zu spielen zu<br />

kopieren, oder sich zumindest einige Riffs zu Eigen zu<br />

machen. Er war ein sehr besonderer Gitarist und Songschreiber,<br />

und spielte sein Instrument auch schon ´mal<br />

220<br />

auf dem Rücken, oder zupfte die Saiten mit den Zähnen.<br />

Er hatte eine riesige runde Afro-Frisur die er mit<br />

bunten Bändern schmückte. Ich sollte ihn schon bald<br />

Live erleben.<br />

Natürlich spielte man auch die „Größten“ dieser Zeit,<br />

die „Beatles“ und die „Rolling Stones“, die sich einen<br />

Kampf um die ersten Chartplätze lieferten<br />

Hier war klar, entweder man war „Stones“-Fan, oder<br />

liebte die „Beatles“, die ihre Kariere in Hamburg im<br />

„Star Club“ auf der Reeperbahn begannen. „T-Rex“,<br />

eine zwei Mann Band, sehr angesagt und überall oft gespielt,<br />

mit Tommy Bolin, der sich leider schon zu Beginn<br />

seiner Karriere in einem Mini-Cooper zu Tode brachte,<br />

ein Verkehrsunfall.<br />

„Jefferson Airplane“, eine von Lead Sängerin Grace<br />

Slick geleitete Hippie- Rock -Band aus Amerika, waren<br />

in Aller Munde, und Ohren in London.<br />

Drogen nahmen Alle und Jeder, man rauchte „Pott“<br />

(Gras und Hasch) um die Wette, in Musikerkreisen zirkulierten<br />

Cocain und Heroin, oft bis zum finalen<br />

„Schuss“, den sich Viele schon früh „verpassten“, so auch<br />

Jimmy Hendrix, den ich zwei mal Live gesehen hatte,<br />

erst in London, dann später in Rom.<br />

Janis Joplin, eine überaus begabte Songschreiberin und<br />

raue, ihre Überzeugungen in die Welt schreiende Sängerin,<br />

auch aus Amerika, trank und fixte sich in früher<br />

Jugend den Kopf zu, bevor ihre viel versprechende Kariere<br />

durch eine Überdosis Heroin ein klägliches Ende<br />

fand.<br />

Und alle Bands konnte man täglich in den verschiedenen<br />

Clubs von London live erleben, die Stadt war wie<br />

eine musikalische Wundertüte.<br />

Es sprach sich herum, und es gab auch kleine Plakate,<br />

dass im Londoner „Roundhouse“, einer am Rande<br />

221<br />

Londons gelegenen runden „Konzerthalle“, eigentlich<br />

eine riesige runde Bretterbude, in der viele Rock-Konzerte


stattfanden, ein Konzert von „Pink Floyd“, einer<br />

der angesagtesten Bands in London, spielen sollten. Es<br />

gab dort keinen „Kartenvorverkauf“, wer früh genug da<br />

war, konnte ´rein, der Rest musste von draußen zuhören,<br />

wenn dies möglich war.<br />

Dieses Konzert wollte ich mir auf keinen Fall entgehen<br />

lassen, das war Kult, da musste ich einfach dabei sein.<br />

Also machte ich mich schon früh am Abend auf in´s<br />

Roundhouse, und war einer der Ersten, die eine Karte<br />

für 1 Pound erstanden.<br />

Gegen halb elf Uhr war die Halle gefüllt, ca. 500 Leute<br />

passten hinein, und Pink Floyd betrat langsam die Bühne,<br />

von sphärischen Klängen begleitet. Hinter den Musikern<br />

auf der Bühne konnte man die erste „Lightshow“<br />

betrachten, für die Pink-Floyd berühmt waren.<br />

Syd Barrett, Begründer der Pink Floyd, Rhythmus Gitarre<br />

und Lead Sänger, David Gilmore, Gitarre und Vocals,<br />

Roger Waters, Bass und Vocals, Rick Wright, Organist,<br />

Graham Cokson, Gitarre, und Jerry Shirley,<br />

Perkussion.<br />

Dies waren die original Pink Floyd, zu denen sich später<br />

Snowy White, Gitarre gesellte, und deren Live-Show ich<br />

ungeduldig und sehr gespannt in der ersten Reihe erwartete.<br />

Die Musiker begaben sich zu ihren riesigen Verstärkern,<br />

nahmen ihre Instrumente auf, und begannen ungewohnt<br />

leise mit ihrem Konzert. Gitarren und Orgeltöne rieselten<br />

durch die gesamte Halle, und ich erlebte dann ein<br />

furioses Feuerwerk, ein virtuoses, durchgestyltes und<br />

sehr Gitarrenbetontes Konzert, bei dem mir fast der<br />

Atem stockte. Über der Menge lag eine Wolke aus Haschisch<br />

und Räucherstäbchen. LSD machte die Runde.<br />

222<br />

Es war unsagbar laut, aber dies konnte mich nicht aus<br />

der ersten Reihe fortbringen. Ich genoss dieses Mammutwerk<br />

wohlklingender Musik wie nie zuvor, eine<br />

Gänsehaut folgte der Nächsten. Unter- oder hintermalt<br />

im wörtlichen Sinne war das Ganze von einer für damalige<br />

Verhältnisse gigantischen Lightshow, die sehr simpel,<br />

von Dia-Projektoren, in denen sich je zwei eng aneinander<br />

liegenden Glasscheiben befanden. Zwischen den<br />

Glasscheiben war bunte flüssige Farbe die durch<br />

Handbewegungen der Glasscheiben in- und auseinender<br />

gedrückt wurden, und auf weißen, hinter den Musikern<br />

aufgehängten Tüchern in einer Fläche von ca. 30 qm. einen<br />

farbenfrohen Lichtzauber entfachten, wie ich ihn<br />

nie gesehen hatte. Ich hatte schon Einiges davon gehört,<br />

aber dieses Live-Erlebnis sprengte alle meine Vorstellungen.<br />

Pink Floyd hatten Weltweit Riesenerfolge, die Syd Barrett<br />

leider nicht verkraften konnte, er begab sich in Drogenrausch<br />

und stetigen Alkoholexzessen, an denen er<br />

sehr jung verstarb. Er war „zu früh in´s Licht“ gekommen,<br />

wie Roger Waters und David Gilmoore später<br />

sangen. („Shine on you crazy Diamond“). Der Erfolg


war ihm so sehr zu Kopf gestiegen, er konnte nicht damit<br />

umgehen. Es war ein enormer Verlust für Pink Floyd<br />

und für die gesamte Musikszene, Syd Barrett war ein<br />

großes musikalisches Talent.<br />

Leider sollte die Band später auseinander gehen. David<br />

Gillmore und Roger Waters, die Pink Floyd nun leiteten,<br />

und die Songs schrieben, hatten verschiedene Sichtweisen<br />

vom Weiterkommen der Band, es gab musikalische<br />

Differenzen, und es ging um viel, viel Geld für<br />

Uhrheberrechte.<br />

Ich brauchte einige Zeit, dies Ereignis zu verarbeiten, ich<br />

glaube ich ging danach zwei Tage nicht aus dem Haus.<br />

223<br />

Ich hatte Pink Floyd gesehen, deutlich gehört, und bis in<br />

die entferntesten Nervenbahnen gespürt, was wollte ich<br />

mehr.<br />

Glücklicherweise hatte die „Lady“ mir ein Radio gebracht,<br />

mit den Worten:“ But dont play to loud please“.<br />

Manche englischen Sender spielten auch Pink Floyd.<br />

Nun hatte ich auch noch Information und Musik, meine<br />

Wohnung wurde richtig heimelich.<br />

Ich „playte“ es nicht allzu laut, nur ab und an, wenn mir<br />

ein Song besonders gefiel, drehte ich ein wenig am Regler.<br />

Die „Lady“ zeigte Verständnis, jedenfalls hatte sie sich<br />

nie beschwert.<br />

Dann zog es mich wieder auf die Strassen, ich wollte<br />

weiterhin das Feeling von London in mich aufsaugen,<br />

ich konnte nicht genug bekommen, dabei war ich erst<br />

knapp ´ne Woche hier.<br />

Schnell bekam ich das Gefühl, als sei ich nie irgendwo<br />

anders gewesen, ich tauchte in die Londoner Atmosphäre<br />

ein. Für eine längere Zeit und mit schicksalhaften Begegnungen.<br />

Täglich ging ich in´s „Supersonic“ zum morgendlichen<br />

Kaffee, an Tee hatte ich mich noch nicht gewöhnt, nur<br />

am Nachmittag bestellte ich ab und zu eine gläserne Tasse<br />

des milchigen Getränks, das die Briten sich täglich Literweise<br />

einverleibten. Leider hatte ich keine Küche in<br />

meiner „Wohnung“.<br />

Ich ging ich durch die Strassen des Viertels, Menschen zu<br />

beobachten, und um zu erkunden, wo und wann das<br />

nächste interessante Konzert stattfinden würde. Live<br />

Musik sollte ein fester Bestandteil meines Lebens werden.<br />

Bald lernte ich auch andre Clubs in verschiedenen Vierteln,<br />

so den Scotch Club in Chelsea, wo die besten Frau-<br />

224<br />

en aufzufinden waren, kennen. Und die Mädels waren<br />

willig, “Love“ war angesagt, Peacefull ging es eh meistens<br />

zu. Oft schleppte ich eine Braut in meine schöne Wohnung,<br />

wo nun ein großes Pink Floyd Poster an einer<br />

Wand klebte.<br />

Ich musste nicht ´mal großartig suchen, sobald ich einen<br />

Club betrat, mich einige Zeit dot aufhielt, kamen Mädels<br />

von alleine, um zu fragen wer ich sei, wo ich herkomme,


und was ich mache.<br />

Ich war Musiker, das öffnete schnell Herzen. Emanzipation<br />

gab es hier schon bevor Alice Schwarzer den Begriff<br />

in der Deutsehen Presse propagierte.<br />

Ich hatte nichts großartiges um die Wohnung zu<br />

schmücken, was mich in dieser Zeit auch nicht besonders<br />

interessierte, aber Poster von Bands fand ich zu<br />

Hauff, und einige hängte ich mir an die Wände.<br />

Bald sah ich erneut ein Konzert der Who im Marquee-<br />

Club. Diese Band wurde im Lauf des Konzerts wilder<br />

und wilder, Pete Townsend ließ noch immer seinen<br />

rechten Arm wie Windmühlenflügel im Sturm über seine<br />

Gitarre kreisen, und brachte dabei kreischende Töne<br />

hervor, die in Mark und Bein gingen. Er hatte stets am<br />

Ende der Show Gitarren und Verstärker in Stücke gespielt.<br />

Es war eine deutliche Steigerung zu dem Konzert<br />

in Brüssel auszumachen, und die Band lebte schließlich<br />

hier. Keith Moon, einer der verrücktesten Musiker der<br />

gesamten Musik-Szene, verteilte seine Trommeln und<br />

Becken mit festen Tritten am Ende der Konzerte über<br />

die gesamte Bühne. Leider verstarb auch er sehr früh an<br />

Drogen- und Alkoholexzessen. Aber seine Späße während<br />

der Konzerte und auch danach sollten nie in Vergessenheit<br />

geraten. Die Manager der Band mussten sicher<br />

tief in die Taschen greifen, um Neue Instrumente<br />

und Verstärker zu erstehen, die die Musiker jedoch letzt-<br />

225<br />

lich selbst bezahlen mussten, als sie richtig viel Geld verdienten.<br />

Die Musik-Manager waren die ausgefuchsesten Organisatoren<br />

in ganz England. Joe Cocker, den ich auch in einem<br />

Club erlebt hatte, mit rauer Stimme und spastischen<br />

Bewegungen sang er z.B. „With a Little Help fromm my<br />

Friends“, und er glaubte daran. Dabei zogen ihm die sogenannten<br />

„Friends“ das Geld aus der Tasche so dass für<br />

ihn kaum ´was übrig blieb, und er hatte harte Zeiten, die<br />

er in reichlich Alkohol ertränkte. Er betrat die verschiedenen<br />

Bühnen oft im Rausch, aber seine Show war immer<br />

orgastisch, dieses Gebrülle und raue Geschrei machte<br />

ihm Niemand nach. Und er schrieb gute Songs, die<br />

sehr aussagekräftig waren. Aber er sollte später hoch belohnt<br />

werden, er machte eine steile Kariere.<br />

Überhaupt gaben sich alle Musiker dieser Zeit viel Mühe<br />

gute Texte zu schreiben, die ihren Fans Liebe und<br />

Freude vermittelten, und mit auf den Lebensweg gaben.<br />

Keine andere Zunft in der Welt, außer vielleicht einigen<br />

Dichtern und Gauklern, versuchte so deutlich, positive<br />

Lebensgefühle von Liebe und friedlichem Miteinander<br />

an die Zuhörer zu vermitteln. Durch gute Musik wurden<br />

diese Texte verstärkt in die anwesenden Fans hineintransportiert.<br />

Als ich dann ca. einen Monat in London war, wurde erneut<br />

ein besonderes Konzert angekündigt. „The<br />

Doors“, eine Band aus Amerika sollten im Earl´s Court<br />

auftreten.


Die Halle war halb ausverkauft, eine reife Leistung für<br />

diese riesige Halle. Die Doors hatten sich schon einen<br />

großen Namen in den USA gemacht, und fanden endlich<br />

auch den Weg nach London. The Doors waren berühmt<br />

für ihren Sänger, Jim Morrison, der großartige<br />

Songs schrieb, ein großer Poet, der auf der Bühne die<br />

226<br />

skandalösesten Auftritte hatte.<br />

In Amerika wurde er für seine politischen Aussagen und<br />

sein rüpelhaftiges Benehmen der „normalen“ Gesellschaft<br />

gegenüber, und seiner Kritik am Vietnamkrieg oft<br />

festgenommen, aber schnell wieder freigelassen. Er war<br />

eine Figur des öffentlichen Lebens, und man konnte mit<br />

ihm nicht verfahren, wie zum Beispiel mit armen Afroamerikanern,<br />

die man wegsperrte oder brutal verprügelte.<br />

Jim Morrison betrat die Bühne meist angetrunken oder<br />

high durch andere Drogen, an denen er leider schon<br />

1971 in Paris verstarb. Er wurde 28jährig auf dem Pariser<br />

Friedhof „Pere Lachaise“ begraben. Seine zahllosen<br />

alten und jungen Fans kamen auch noch nach mehr als<br />

30<br />

Jahren immer und immer wieder zu seiner Grabstätte,<br />

und feierten seine Songs.<br />

Irgendwann musste für sein Grab eine eigene Bewachung<br />

abgestellt werden, denn dort wurde immer Party<br />

gemacht, was für einen Friedhof natürlich skandalös war.<br />

Jim Morrison war halt auch im Leben ein ausgesprochen<br />

wilder Musiker, das versuchten die Fans weiterzuleben.<br />

Bei ihm. Mit ihm. Das Konzert in Earl´s Court sollte ich<br />

nie vergessen.<br />

Jim Morrison war genau so, wie ihn sein Ruf aus Amerika<br />

angekündigt hatte, high, poetisch und einfach gut.<br />

Ein großer Poet in seiner Zeit, dessen Poesie weiterleben<br />

sollte.<br />

Die Menge belohnte seinen Auftritt mit nicht enden<br />

wollendem Applaus, die Riesenhalle zitterte förmlich.<br />

Seine Band The Doors sorgten für den dazugehörenden<br />

Sound.<br />

Eigentlich war Jim Morrison Bestandteil der „Doors“,<br />

aber er stand so sehr als Lichtgestalt im Vordergrund, dass<br />

227<br />

die Band nur seinen beachtlichen Rahmen bildete. Nach<br />

dem Konzert waren in meinem neuen „Heimatviertel“<br />

von London noch bis in den frühen Morgen Doors-<br />

Songs zu hören. Meine Lady war „not amused“, wie sie<br />

mir am nächsten Tag mitteilte, denn die Jugendlichen<br />

zogen auch durch Earl´s Court Gardens, und sangen: „<br />

When the Music´s over“…<br />

Die Gazetten waren voll der Kritik am folgenden Tag,<br />

einige beschrieben das Konzert als einzigartig, andere<br />

zogen es in den Sumpf. Jim Morrison jedenfalls hatte<br />

seine Spuren in London für immer hinterlassen. Weltweit<br />

wurde er zu einem Idol für Millionen von jungen Menschen.


Es war Anfang 1967, fast Frühling, ich fühlte mich noch<br />

stets wohl in London, nur Schweinekalt war´s drinnen<br />

und draußen. Die Feuerstelle in meiner Wohnung<br />

schaffte es nicht so recht, alles so aufzuheizen, dass ich<br />

mich richtig wohl fühlen konnte.<br />

Seit einiger Zeit besuchte ich regelmäßig das „Quartier<br />

Latin“, ein Café 3 Busstationen Richtung Chelsea. Das<br />

Quartier Latin kannte ich ja schon aus Paris, es war das<br />

Viertel der Bohemiens.<br />

Hier in London war es der Sammelplatz vieler Franzosen,<br />

meist Studenten, aber auch Maler und Philosophen.<br />

Es gab 8 Tische, 4 für 4Personen, und zwei große Tische,<br />

an denen locker zehn Leute Platz nehmen konnten. Ich<br />

setzte mich immer an den gleichen Platz an einem der<br />

kleineren Tische, bestellte Tee mit Milch, war schon Brite<br />

geworden, Kaffee trank ich nur noch morgens, und<br />

beobachtete Menschen.<br />

Ich hatte schon länger keine Frau mehr eingefangen, ab<br />

und an kam ein Mädel aus dem Supersonic, und wir vergnügten<br />

uns unter 3 Decken. Das war aber immer nur<br />

228<br />

ein Minimalvergnügen, und als sie letztes Mal klingelte,<br />

sagte ich ihr ich sei nicht alleine, dann kam sie nicht<br />

mehr. War auch besser so.<br />

229<br />

Kapitel 27<br />

Im Quartier Latin hatte ich immer die gleiche Frau im<br />

Blick, sie saß an einem der großen Tische, wo heftig diskutiert<br />

wurde. Aber sie hörte mehr zu, als sie sprach. Sie<br />

war zwar an den Gesprächen beteiligt, ihre Kommentare<br />

waren aber selten, sie sprach dann leise, kontrolliert<br />

und stets lächelnd.<br />

Die Frau sprach französisch, das hatte ich festgestellt, als<br />

ich ´mal näher an dem Tisch mit vielen Jungs und weniger<br />

Frauen, vorbeiging um mir das Mädel näher anzuschauen.<br />

Sie war mit einer aufwendig verarbeiten dunkelbraunen<br />

Lederjacke bekleidet, die knapp bis zur Taille<br />

reichte, und vorne offen stand. Darunter hatte sie einen<br />

weißen Rollkragenpullover, einen Schottenrock mit Falten,<br />

weiße Kniestrümpfe, und feine flache geschnürte<br />

Schuhe an. Ihre Haare waren braun, glatt, halblang und<br />

gescheitelt, Ihr Gesicht war fein geschnitten, sie hatte<br />

sehr schöne wache Augen, und man hatte den Eindruck<br />

als lächle sie immer.<br />

Sie war täglich im Café, und stets mit den gleichen Leuten<br />

zusammen. Sie kannte wohl noch andere, die sie<br />

grüßte, wenn sie an ihr vorbeikamen, diskutierte jedoch<br />

immer im gleichen Kreis.<br />

Um was es dabei ging konnte ich nicht hören, ich dass<br />

zu weit weg, so konnte sie auch nicht sehen, dass ich sie<br />

dauernd im Auge hatte.<br />

Irgendwann kam eine ziemlich kleine Frau mit sehr langen<br />

Haaren auf mich zu, und sagte auf Englisch: „ Das


ist meine Schwestern die du da immer beobachtest“. Sie<br />

setzte sich an meinen Tisch, an dem ich alleine saß, und<br />

fragte, ob sie mir ihre Schwester vorstellen sollte. Ihr<br />

französischer Akzent war nicht zu überhören, und ich<br />

230<br />

antwortete in Französisch, dass ich nichts dagegen hätte.<br />

Ich sagte ihr meinen Namen.<br />

Sie ging zu ihrer Schwester, flüsterte ihr was ins Ohr,<br />

und die Frau schaute zu mir. Sie stand auf, kam mit Katherine,<br />

der Kleinen, an meinen Tisch, und Katherine<br />

sagte auf ihre Schwester zeigend: „Das ist Lucie, sie studiert<br />

hier einige Semester englisches Recht“. „Hallo“,<br />

lächelte ich sie an, „ich bin Eric aus Deutschland“.<br />

„Wieso sprichst du so gut französisch“, fragte sie mich,<br />

und ich erklärte ihr, dass ich lange in Paris und an der<br />

Cote gewesen sei.<br />

(Lucie, so hatte ich in Frankreich gelernt, spricht man<br />

nicht wie im Deutschen „LUZI“ aus, sondern „Lüßi“,<br />

das U wird zum Ü, weil Franzosen keine Striche auf<br />

dem U kennen, und das C wird weich ausgesprochen, so<br />

wie „si“. Einen schönen Namen hatte diese Lucie und<br />

eine feine Stimme, die mir sofort gut gefiel. Kurz und<br />

bündig, der Name, sehr weiblich, so wie ich, kurz und<br />

bündig, nur eben männlich, Deutsch, oder Nordisch,<br />

Eric hieß.<br />

Sofort setzte sie sich zu mir an den Tisch, ihre Schwester<br />

war schon verschwunden, ich konnte sie nicht mehr<br />

ausmachen. „Ich lebe in Paris, im 17en Bezirk“, sagte sie<br />

mir, ich war angenehm überrascht ob ihrer leisen, sehr<br />

deutlichen Aussprache.<br />

„Werden dich deine Freunde nicht vermissen“, fragte<br />

ich sie. „Nein, sicher nicht, wir kennen uns alle schon<br />

lange, und haben gleichzeitig mit dem Studium hier in<br />

London begonnen“, antwortete Lucie lächelnd.<br />

„Ich habe schon seit einiger Zeit gemerkt, dass du dich<br />

für unseren Tisch interessierst, du schaust oft zu uns herüber“,<br />

gestand sie mir. „Dich schau ich an, niemand anderen“,<br />

antwortete ich. Sie lachte schüchtern: „Wirklich“,<br />

fragte sie, und schaute mir in die Augen, als wolle<br />

231<br />

sie prüfen, ob ich auch die Wahrheit sagte. Diese Augen<br />

brachten mein Herz zum klopfen, sie waren grünlich<br />

und groß.<br />

Jetzt, wo sie so nahe bei mir war gefiel sie mir noch viel<br />

besser als aus der Ferne, und sie verbreitete einen leichten<br />

Duft von sehr wohlriechendem Parfüm. „ Hast du<br />

gerne Live Musik“, fragte ich sie? „In Paris habe ich die<br />

Beatles gesehen“, antwortete sie begeistert, „aber sonst<br />

war ich noch bei keinem Pop Konzert“, sagte sie. „In Paris<br />

war ich mit meinen Schwestern und meiner Mutter<br />

ab und zu bei klassischen Konzerten, in der Oper und<br />

monatlich im Theater. Ich habe noch zwei jüngere<br />

Schwestern, eine hast du ja schon kennen gelernt“.


„Nächte Woche spielen The Cream im Marquee-Club<br />

in Soho“, informierte ich Lucie, „hast du Lust mit mir<br />

dorthin zu gehen“? „Soho, das ist doch ein anrüchiges<br />

Viertel“, sagte sie fast entsetzt. „Aber der beste Club in<br />

London ist nun mal dort“, sagte ich lachend über ihre<br />

Naivität. „Außerdem ist dort die Carnaby-Street, warst<br />

du noch nie dort “, fragte ich?<br />

„Ich hab schon davon gehört, war aber noch nie dort“,<br />

gestand sie mir „Ich werde mir überlegen ob ich mit dir<br />

komme, wir sehen uns ja hier fast täglich“, und verabschiedete<br />

sich. „Ich muss noch´mal zu meinen Freunden,<br />

aber wir sehen uns“, sagte sie mit einem lächelnden<br />

Blick auf mich hinunter, sie war schon aufgestanden, und<br />

begab sich auf ihren Platz bei den anderen Franzosen.<br />

Man bückte sich zu ihr herüber, und es wurde getuschelt,<br />

wobei ich Blicke von einigen ihrer Freunde spürte.<br />

Ich blieb noch einige Zeit im Café, bemerkte, dass sie ab<br />

und zu herüberschaute Ich wusste nicht so recht was ich<br />

von ihr zu halten hatte, aber sie gefiel mir zusehends. Ich<br />

war froh, dass die kleine Schwester so aufmerksam gewe-<br />

232<br />

sen war, und uns vorgestellt hatte.<br />

Dies war die erste Vorstellung einer Frau durch jemand<br />

anderes, ich war gewöhnt selbst „den Stier bei den Hörnern<br />

zu fassen“, oder ich wurde gepackt.<br />

Bei Lucie war das plötzlich anders. Alles war anders.<br />

Von selbst wäre ich eventuell nicht auf sie zu gegangen.<br />

Weil sie so anders war, als die Frauen, die ich bisher getroffen<br />

hatte. Noch nie hatte ich eine mit Faltenrock und<br />

Kniestrümpfen, so glatt gekämmtem, gescheitelten Haar<br />

mit einer Spange, getroffen.<br />

Sie sah so unschuldig aus. Die Lederjacke jedoch gab<br />

dem gesamten Erscheinungsbild der Frau einen progressiven<br />

Tatsch.<br />

Ich nahm den nächsten Bus und fuhr alleine nach Hause,<br />

auch das war ungewöhnlich. Ein Besuch im Supersonic<br />

hätte ausgereicht, um mir körperliche Wärme zu holen,<br />

aber Heute wollte ich alleine sein. Obwohl ich nicht<br />

gerne alleine schlief, es gab immer ´ne Braut, die aber am<br />

besten noch vor dem Frühstück verschwunden sein sollte.<br />

Am nächsten Tag ging ich nur auf einen Kaffee in eine<br />

typisch englische Kneipe, in der es eigentlich nur Alkohol<br />

gab. Von 11- bis 13 Uhr waren diese „Pubs“ geöffnet,<br />

und abends von 17-bis 23 Uhr, dann gab´s nur noch<br />

die Clubs mit Alkoholausschank.<br />

Kaffe hatte man nur für die total Betrunkenen bereit.<br />

Und für die, die kein Bier wollten, aber deshalb befremdet<br />

angeschaut wurden.<br />

Die Brieten wurden in dieser Hinsicht an der kurzen<br />

Leine gehalten, trotzdem hab ich noch selten in anderen<br />

Ländern so viele Alkoholisierte wie in England getroffen.<br />

Sie versorgten sich privat, und das nicht zu knapp.<br />

Am Abend ging ich kurz in´s Supersonic, aber alleine


früh schlafen. Ich dachte zwar an Lucie, war auch schon<br />

233<br />

fast an der Bushaltestelle Richtung Quartier Latin, entschloss<br />

mich aber dann, mich einmal rar zu machen, wenigstens<br />

für eine Nacht, und ging nach Hause.<br />

Als ich am nächsten Abend in´s Quartier Latin kam, bemerkte<br />

ich sofort Blicke von dem großen<br />

Tisch, an dem ich nicht sofort Lucie entdeckte.<br />

Ich glaubte nicht recht zu sehen, denn aus diesem Schulmädchen<br />

war eine Rockerbraut geworden. Sie trug eine<br />

Lederhose, die an den Aussennähten mit indianischen<br />

Silberemblemen geschmückt war, einen Gürtel der auch<br />

mit Silberbeschlägen besetzt war, und leicht schräg über<br />

der Hüfte bis auf den oberen Rand der Hose fiel.<br />

Sie trug ein Cowboyhemd, und wunderschöne Stiefel,<br />

vorne leicht abgerundet, alles farblich aufeinander abgestimmt.<br />

Natürlich hing auch ihre Lederjacke über ihren<br />

Schultern. Das glatte Haar hatte sie, wie auch immer,<br />

lockig ums Gesicht bis auf die Schultern rollen.<br />

Ihre Stiefel hatte sie lässig auf einen leeren Stuhl gekreuzt,<br />

und lachte. Irgendjemand hatte wohl einen Joke<br />

gemacht. Sie sah mich wohl hineinkommen, und winkte<br />

mir zu. Ich ging an ihren Tisch, wo noch vier andere<br />

Franzosen hockten, das Café war noch nicht gut besucht,<br />

viele leere Plätze im Raum, was ungewöhnlich<br />

war.<br />

Ich erkannte die Frau nicht wieder, hätte ich sie zwei Tage<br />

vorher nicht so genau betrachtet, ich hätte sie mit einer<br />

anderen Person verwechselt.<br />

„Bon Soir Eric“, begrüßte sie mich lachend über meinen<br />

überraschten Blick auf ihre Bekleidung. „Salut Lucie,<br />

cést vraiment toi“? grüßte ich fragend, und schaute<br />

nochmals staunend.<br />

„Na ja, ich kann auch anders, ich geh nicht nur in die<br />

Uni“, erklärte sie lachend. Sie lachte die ganze Zeit, ich<br />

muss einen Ausdruck gehabt haben, als hätte ich eine Fa-<br />

234<br />

ta Morgana gesehen.<br />

„Du siehst richtig gut aus“, sagte ich zu ihr, und sie bedankte<br />

sich für das Kompliment.<br />

„Ich hatte gehofft, dass du Heute her kommst, Gestern<br />

warst du ja nicht hier“.<br />

Ich konnte es noch stets nicht fassen, da saß eine Braut,<br />

von der ich nur träumen konnte, sie hatte mich mit ihrem<br />

Ausfitt zum zweiten Mal überrascht. Vorgestern fast<br />

eine Klosterschülerin, Heute eine Braut, die perfekt zum<br />

Ausfitt von Jim Morisson gepasst hätte. Und dieser Duft<br />

den sie verbreitete machte mich an.<br />

„Schätze du hast nicht dagegen, mit mir morgen in den<br />

Marquee-Club zu gehen, wenn ich dich so sehe“, begann<br />

ich ein Gespräch. „Nun bilde dir ´mal nichts ein,<br />

ich habe es zwar erwogen, aber halte das nicht für eine<br />

Selbstverständlichkeit“, antwortete sie frech.


„Wie kannst du nur so ein Camälion sein“, fragte ich sie.<br />

„Ich hab einen großen Koffer, und ich komme aus Paris.<br />

Du müsstest eigentlich wissen, dass man dort sehr oft<br />

verschieden gekleidet ist“, erinnerte sie mich.<br />

„Aber dieser Unterschied ist schon krass, das musst du<br />

zugeben“. „Na ja, schon möglich, ich fühle mich sehr<br />

wohl so, und außerdem hatte ich gehofft dass du heute<br />

hier bist, und wollte dich überraschen. Ich hatte bemerkt,<br />

dass du ein rockiger Typ bist, du trägst ja auch<br />

ständig eine Lederjacke, Stiefel, und liebst Rock-Musik“.<br />

„Also kommst mit zum Konzert morgen“? fragte ich.<br />

„Ja, ich will das ´mal sehen und hören, was dir gefällt, außerdem<br />

will ich Soho kennen lernen, schließlich gibt´s<br />

in Paris auch ein „Pigalle“- Viertel, und das kenn´ich natürlich<br />

auch“.<br />

„Vorgestern kamst du mir so unbedarft vor in deiner<br />

Schulmädchenkluft, und heute kommst du als elegante<br />

235<br />

Rockerbraut, das ist schon verwirrend“, versuchte ich<br />

mein Erstaunen zu rechtfertigen. . „Frauen sind immer<br />

eine Überraschung an sich“, antwortete Lucie über das<br />

ganze schöne Gesicht lachend. „Weist du das etwa<br />

nicht“? scherzte sie mit einem Auge kneifend. Ich kannte<br />

die Frau nicht wieder.<br />

Und ob ich das wusste, aber so war mir das noch nicht<br />

begegnet, und mir war viel begegnet auf meinen langen<br />

Reisen. Außerdem hatte ich ein Faible für Frauen, das<br />

müsste schon zum Ausdruck gekommen sein.<br />

„Ich bin heute Abend bei Freunden eingeladen, die machen<br />

ein Fest, die werden auch überrascht sein, mich so<br />

gekleidet zu sehen da freu ich mich schon ´drauf. Die<br />

kennen mich noch nicht lange. Willst du mitkommen“,<br />

fragte mich Lucie. „Aber gerne, ein Fest ist immer gut“,<br />

sagte ich gerne zu. Sie nahm langsam ihre Füße vom<br />

Stuhl, und stand auf. Sie kam mir um Einiges größer vor<br />

als vorgestern, das lag wohl an den hohen Absätzen unter<br />

ihren Stiefeln. Wir waren fast gleich groß, als wir nebeneinander<br />

das Quartier Latin verließen. Als wir vor<br />

der Türe waren, zog sie die Jacke an, knöpfte und sie zu,<br />

„Kalt in London“, sagte sie zitternd, und hakte sich bei<br />

mir ein.<br />

Das gefiel mir, ich hatte eine schöne Braut am Arm.<br />

Sie winkte einem Taxi, und wir setzten uns in eine dieser<br />

urgemütlichen englischen Taxis auf den breiten<br />

Rücksitz. Sie blieb nahe bei mir am Körper, und zog<br />

mich näher zu ihr mit ihrem immer noch bei mir eingehängten<br />

Arm.<br />

„Chelsea“, sagte sie zum Fahrer, der sich sofort aufmachte.<br />

Oh ha, dachte ich, das wird sicher ´ne chice Party, wenn<br />

sie in Chelsea stattfindet. Hier lebte die jugendliche<br />

Oberschicht von London, das Viertel war „in“ und teu-<br />

236<br />

er. In einer kleinen Strasse mit außergewöhnlich schönen


Häusern ließ sie anhalten, bezahlte die Reise, und<br />

wir gingen auf einen mit Säulen geschmückten Eingangsbereich<br />

zu.<br />

Schon von draußen war laute Musik zu hören, dieser erste<br />

Eindruck machte mich fröhlich.<br />

Lucie drückte auf die einzige Klingel an den haus, und<br />

schon kam jemand angelaufen, um zu öffnen. „Hallo<br />

Lucie“ begrüßte er sie freudig, und schaute etwas überrascht<br />

erst auf sie, dann auf mich. Ich konnte seine Enttäuschung<br />

erkennen, und lachte innerlich. „Wie siehst<br />

du denn heute aus“, fragte Jean-Pierre, er kam auch aus<br />

Paris. „Das ist Eric“, stellte sie mich vor, ohne auf seine<br />

Frage einzugehen. Sie schritt vor mir her, erst eine kleine<br />

aber breite Treppe hoch, und da war die Party schon<br />

im Gange.<br />

Im großen Vorraum des Hauses tanzten bunt gekleidete<br />

junge Leute ausgelassen, mache hielten einen Flasche<br />

oder Gläser in Händen. Die party ging durchs ganze<br />

haus, zwei Stockwerke hoch reihte sich ein luxurieuses<br />

geräumiges Zimmer an das nächste, es waren eigentlich<br />

kleine Säle, Zimmer konnte man die nicht bezeichnen.<br />

Die Möbel stammten aus längst vergangenen Zeiten.<br />

Plötzlich hörte ich aus einem der Zimmer Eric Claptons<br />

Gitarre zirpen, nahm Lucie bei der Hand, und lief mit<br />

ihr auf die Musik zu. „Das sind „Cream“, informierte<br />

ich Lucie, „die sehen wir morgen Live“, sie nickte nur<br />

und wir tanzten zur Musik. Sie bewegte sich geschmeidig<br />

im Rhythmus der Musik, drehte sich, dass die Lokken<br />

flogen, und schien sich richtig gut zu amüsieren.<br />

Irgendwo roch ich den süßen Duft von Hasch, und sagte<br />

zu Lucie, dass ich gerne etwas rauchen würde. Sie zog<br />

mich zu einem Tisch, auf dem Hasch, Grass und andere<br />

Drogen Haufenweise herumlagen. „Rauch nur“, sagte<br />

237<br />

Lucie, „ich rauche nicht, auch keinen Zigaretten. Aber<br />

ein Glas Champagner werde ich mir besorgen“, und<br />

schon war sie verschwunden.<br />

Eine der reichlich vorhandenen schönen und chic gekleideten<br />

Bräute reichte mir mit einem breiten Lächeln<br />

einen dicken Joint, „Ich bin Marie“, stellte sie sich vor,<br />

„und wer bist du, ich hab´dich noch nie gesehen, und<br />

ich kenne alle Leute hier“. „Eric“, „hallo Marie“, stellte<br />

ich mich vor. Sie wollte schon näher kommen, ich reichte<br />

ihr den Joint zurück, und machte mich davon. Nicht<br />

dass sie mir nicht gefallen hätte aber ich hatte Anderes<br />

vor.<br />

Der Joint wirkte stark, und ich dachte mir nur ´die Braut<br />

hat dich ja gründlich verarscht bei unseren ersten Begegnung.<br />

Faltenröckchen, Kniestrümpfe, und kein Wässerchen<br />

trüben, das kannte ich noch nicht. Eigentlich<br />

war ich bisher der Joker, nicht das Mädel.<br />

In einem dieser Säble sah ich sie mit einem großen Hippiemässigen<br />

Typen tanzen, sie hielt ihr Champagnerglas


in der Hand, das sie mir in meine drückte, als sie mich<br />

entdeckte. „Halt ´mal“, und sie schoss zurück zum tanzen.<br />

Sie ließ sich vom Rhythmus treiben, und das gefiel<br />

mir ausgesprochen gut. Nur der Hippie war mir nicht<br />

sympathisch. Er betrachtete sie von oben bis unten, und<br />

hätte sie mit seinen Blicken am liebsten gefressen. Ich<br />

ließ ihn machen.<br />

Kaum wollte ich mich umdrehen, um noch einen Zug<br />

vom Joint zu nehmen, hing Lucie auch schon wieder an<br />

meinem Arm, um mich zu begleiten. Sie war völlig außer<br />

Atem, und schwitzte leicht. „Du willst sicher<br />

noch´mal rauchen gehen“, ich hab keinen Lust mehr,<br />

lass uns verschwinden“, schlug Lucie vor. Ich nahm der<br />

Marie den Joint aus der Hand, zog zweimal kräftig, und<br />

nickte Lucie zu.<br />

238<br />

Wir verabschiedeten uns nicht, flogen die Treppen runter,<br />

und standen in der kleinen Straße ohne jeden Verkehr.<br />

Plötzlich legte Lucie ihre Arme um meinen Hals<br />

und küsste mich inniglich.“ Das wollte ich schon lange“,<br />

sagte sie keuchend, als sie sich von mir löste, „ich<br />

hoffe du hast nichts dagegen“? „Im Gegenteil“, antwortete<br />

ich, und nahm sie in meine Arme, zog ihren Körper<br />

an mich, und tat ihr gleich. Ich spürte kleine feste Brüste<br />

gegen meinen Körper gepresst.<br />

Wir gingen ein Stück die Straße entlang, eng aneinandergeschmiegt,<br />

und kamen auf eine Verkehrsreiche<br />

Kreuzung, wo wir auch sofort ein Taxi fanden.<br />

„Was jetzt“? fragte ich Lucie, „ zu dir oder zu mir“? „Ich<br />

muss morgen früh ´raus, eine wichtige Vorlesung in der<br />

Uni, es ist schon spät, ich muss nach Hause“, sagte sie<br />

mir.<br />

Nun war ich sehr, aber wirklich sehr erstaunt, ich dachte<br />

die Sache wäre klar, und wir hüpften jetzt gemeinsam<br />

in ein Bett. „OK, ich wohne Earl´s Court Gardens, wo<br />

musst du hin“, fragte ich ohne mir anmerken zu lassen,<br />

dass ich sie lieber in mein Bett geschleift hätte.<br />

„Das ist nicht weit von mir, ich wohne Nevern Square,<br />

das ist ja fast um die Ecke“, sagte Lucie.<br />

Wir bestiegen das Taxi, Lucie hängte sich wieder bei mir<br />

ein, und kuschelte sich an meinen Körper. „Bitte versteh<br />

mich, ich würde ja auch gerne jetzt weiter bei dir sein,<br />

aber dann verpass ich mit Sicherheit die Vorlesung, das<br />

darf nicht sein“, erklärte mir Lucie, und küsste mich innig.<br />

„Morgenmachen wir uns einen schönen Abend,<br />

und übermorgen muss ich nicht zur Uni, schauen wir<br />

´mal was dann passiert. Freuen wir uns darauf“.<br />

Ich setzte sie vor ihrer Haustüre ab, sie gab mir einen<br />

kurzen Kuss, winkte noch´mal, und war schon die paar<br />

Treppen hoch und in der Türe verschwunden. Alle Häu-<br />

239<br />

ser in Earl´s Court hatten Treppen, die hoch zur Haustüre<br />

führten.


Dem Taxifahrer gab ich meine Adresse, und schon einige<br />

Strassen weiter, auf der anderen Seite der Earl´s Court<br />

Road war ich zu Hause. Ich schlief etwas unruhig an<br />

diesem Morgen, es war fast 5Uhr, und fragte mich, was<br />

ich mir da angelacht hatte. Lieber hätte ich die Frau hier<br />

bei mir gehabt, aber sie schien äußerst diszipliniert, was<br />

ich nicht im Entferntesten kannte, das musste ich akzeptieren.<br />

Ich freute mich auf „Cream“ am Abend, auch auf<br />

Lucie, und schlief bis Mittag.<br />

Ich ging in´s Supersonic zum Frühstück, wenn ich<br />

Glück hatte gab´s noch Croissants. Marry, die schon unter<br />

meinen Laken gelegen hatte, kam gerannt, „Wehre<br />

have you been“, ich hab die schon Tage nicht gesehen“,<br />

begrüßte sie mich freudig. „A Friend came from Paris, I<br />

have to take Care of her”, antwortete ich. „Her”? „Ja,<br />

sie ist eine gute Freundin, die ich schon lange kenne”,<br />

log ich Mary an.<br />

Ich bestellte einen großen Milchkaffee, und Croissants.<br />

„We dont have no Croissants no moore“, sagte Mary<br />

schnippisch “Dann hol mir doch bitte welche”, bat ich<br />

sie. Und sie ließ sich erweichen, stellte ihr Tablett ab, und<br />

rannte in die Bäckerei nebenan. So ganz wollte sie es<br />

sich wohl doch nicht mit mir verderben.<br />

„What about the Concert to Night, we wonted to go<br />

see Cream together“, fragte Mary.<br />

“Sorry Darling, I have to take my Fiend to the Club to<br />

Night, I don’t know how long she will be here, and I<br />

promised her a Concert”. Ich log das die Balken sich bogen,<br />

aber ich musste diese Mary loswerden.<br />

„OK, ich hab noch einen anderen Freund, dann geh ich<br />

eben mit dem“, sagte sie mit hocherhobenem Kopf, und<br />

schmiss mir die Tüte mit warmen Croissants auf den<br />

240<br />

Tisch, den sie schnell verließ. ´Das ist wohl geregelt´,<br />

sagte ich mir, so leicht hatte ich mir das gar nicht vorgestellt.<br />

Frauen. Ich war momentan nur auf eine aus, und<br />

freute mich schon.<br />

Mary wusste, dass ich ein loser Vogel war, ich hatte mit<br />

mindestens drei ihrer Kolleginnen das Bett geteilt, und<br />

sie dann aber morgens nach Hause geschickt, freundlich,<br />

aber bestimmt. Ich könnte jede zurückholen, auch die<br />

beleidigte Mary, das wusste ich.<br />

Wir waren für sechs Uhr an der Earl´s Court Station<br />

verabredet, da kam sie auch schon auf mich zugeschwebt,<br />

wieder in Leder, mit einem bunten Tuch um<br />

Stirn und Haare, ein Hippie wie er auszusehen hatte. Sie<br />

sah wunderschön aus, und mein Herz schlug schnell, als<br />

sie mit ausgebreiteten Armen auf mich zuflog, und mich<br />

küsste. „Wäre ich lieber gestern bei dir geblieben“, sagte<br />

sie, „die Vorlesung war stinklangweilig, aber wir mussten<br />

alle eingetragen sein“.<br />

„Ich lade dich zum Essen ein, in Soho gibt´s doch viele<br />

Inder und Pakistanis, da hätte ich Lust d´rauf“, sagte Lucie


euphorisch, sie hatte etwas Röte im Gesicht, die<br />

nicht von Schminke stammte. „Aber gerne, das mag ich<br />

auch, ´ne gute Idee, auch das mit der Einladung“, lachte<br />

ich sie an.<br />

Sie nahm meine Hand, drückte sie fest, und wir verschwanden<br />

in der Tiefe der Tube zum Picadilly Circus.<br />

„Ich krieg immer Angst ob der tiefen Treppen zur Bahn,<br />

in Paris sind die nicht ´mal halb so hoch“, sagte Lucie<br />

ernst, und klammerte sich noch fester an meine Hand.<br />

Als wir aus der Bahn kamen, regnete es leicht, der Verkehr<br />

um den Circus tobte wie immer, und wir liefen<br />

schnell, um ein Restaurant zu finden.<br />

Wir brauchten nicht weit zu laufen, wir sahen ein pakistanisches<br />

Restaurant, das sauber aussah.<br />

241<br />

Einige Tische waren besetzt, das war ein gutes Zeichen,<br />

nur schlechte Restaurants werden nicht besucht. Ich<br />

richtete mich immer danach, leer, ging ich vorbei, besetzt,<br />

trat ich ein. Darauf konnte ich mich bisher verlassen.<br />

Ein in pakistanischem Autfit gekleideter Mann kam an<br />

unseren Tisch, um mit breitem Lachen und einem tiefen<br />

Diener unsere Bestellung aufzunehmen. Lucie bestellten<br />

beide Curry Rindfleisch, ich Schweinefilet in Currysoße.<br />

Lucy sagte noch „scharf bitte“, worauf der Kellner<br />

leicht die Augen hob, es aber mit einem Lächeln quittierte.<br />

„Und Wasser please“, bestellte ich, wir waren beide<br />

keine Weintrinker.<br />

Als das Essen dampfend daher kam, eine Pakistani Frau<br />

brachte es uns, auch sie lächelte permanent, während sie<br />

uns das Essen auf den Tisch stellte. „Good Appetite“<br />

wünschte sie uns, ein Liter Mineralwasser stand auch auf<br />

dem Tisch.<br />

Wir schauten uns an, wünschten uns guten Appetit, und<br />

löffelten uns Reis auf die Teller. Dann das Fleisch von<br />

heißen Platten, dunkle Soße mit viel verschiedenem Gemüse<br />

, Schweine- und Rindfleischstücken.<br />

Das Essen war köstlich, wenn auch etwas scharf, aber so<br />

mochte ich es. Ich sah zu Lucie, und merkte, dass ihr Tränen<br />

am Gesicht herunterliefen. „Was ist los“, fragte ich<br />

sie? „Ich hab wohl zu scharf bestellt, das Zeug brennt<br />

wie Feuer“, stöhnte sie mit einem gequälten Lachen,<br />

und griff zum Wasser.<br />

Sie trank die ganze Flasche, aß aber brav weiter, jetzt<br />

mehr Reis als Soße, und wir bestellten mehr Wasser. Die<br />

Hälfte des köstlichen Essens schaffte sie, dann gab sie auf.<br />

„Ich kann nicht mehr, nie mehr extra scharf bei Pakistanis<br />

oder Indern, das ist klar“, sagte Lucie, sich noch immer<br />

die Tränen abwischend. Sie war nicht geschminkt an<br />

242<br />

den Augen, sonst wären schwarze Streifen über ihr Gesicht<br />

geflossen. Sie hatte aber auch so schöne Augen, die<br />

jetzt leider nass waren. Aber Lippenstift zog sie immer<br />

nach, der musste wohl sein.


Bald ging es ihr besser, sie hatte ca. zweieinhalb Liter<br />

Wasser getrunken. Sie musste aufs Clo, und als sie zurückkam,<br />

sah sie aus, als sei nichts geschehen, sie hatte<br />

ihr Hippietuch gerichtet, und sagte noch, dass die Toiletten<br />

sehr sauber waren, was man in Soho nicht immer erwarten<br />

konnte.<br />

Es war mittlerweile neun Uhr geworden, und wir machten<br />

uns auf den Weg zum Marquee Club. Er lag nur zwei<br />

Strassen weiter.<br />

Aber es war Zeit, da standen schon viele bunt gekleidete<br />

Leute vor der Türe des Clubs, der noch nicht geöffnet<br />

war.<br />

Endlich war es soweit, zwei starke Männer öffneten die<br />

Türe, und die Schlange von Menschen begab sich in den<br />

Club. Wir waren gerade noch rechtzeitig gekommen,<br />

denn der Saal war völlig besetzt, und die starken Männer<br />

mussten viele Fans Außen vor lassen. Sie verschlossen die<br />

Türe.<br />

Ich nahm Lucie bei der Hand und drängelte mich mit<br />

ihr nach vorne vor die Bühne. Die Leute schauten verblüfft<br />

ob meiner Drängelei, so was gab´s in London<br />

nicht. Mir machte das jetzt nichts aus, ich wollte alles sehen.<br />

Dann betraten die drei Musiker die Bühne. Eric Clapton,<br />

Gitarre, sehr haarig auf dem Kopf und im Gesicht,<br />

Ginger Baker, Schlagzeug, und Jack Bruce am Bass und<br />

Gesang.<br />

Die Musiker stimmten ihre Instrumente, was einen Viertel<br />

Stunde dauerte, aber dann bekam<br />

ich genau das, was ich erwartet hatte. Rockmusik, wie<br />

243<br />

ich sie liebte, eine wunderschön klingende Gitarre, Eric<br />

Clapton war wirklich ein Genie an seinem Instrument.<br />

Jack Bruce sang inbrünstig „I´m Free“, Ginger Baker<br />

hielt den Takt präzise, und auch ich war „free“.<br />

Ich war so sehr in die höllisch laute Musik vertieft, dass<br />

ich fast vergessen hätte, dass ich nicht alleine gekommen<br />

war.<br />

Lucie, sie hatte den Blick auf die Band gerichtet und bewegte<br />

sich im Takt, wobei sie ihren Kopf hin und her<br />

wog. Als sie bemerkte, dass ich sie ansah, lächelte sie<br />

glücklich, und nickte mit dem Kopf, wobei sie ihre Augen<br />

weit aufriss. Wir konnten kein Wort wechseln, wir<br />

ließen uns von der Musik tragen. Die Fans tobten,<br />

schrieen und pfiffen nach jedem Song, es gab einige Zugaben,<br />

dann war das Spektakel zu Ende.<br />

Wir fassten und bei der Hand, und gingen langsam mit<br />

der euphorisierten Menge Richtung Ausgang. Als wir<br />

draußen waren hatte es aufgehört zu regnen.<br />

Ich wollte etwas zu Lucie sagen, aber sie gab mir zu verstehen,<br />

dass sie nichts hören könne. Wir marschierten<br />

durch Soho, und nach 5 Minuten sagte Lucie. „ Das war<br />

super, so hab ich mir das nicht vorgestellt, und so laut,<br />

ich konnte erstmal nichts hören, als das Konzert zu Ende


war. Es war großartig, das machen wir hoffentlich öfter“,<br />

redete sie auf mich ein. Ich lachte, “Logisch, das<br />

machen wir noch viel öfter, hier in London spielt fast jeden<br />

Abend eine gute Band, nicht immer so wie Cream,<br />

aber es gibt jede Menge Zuckerstücke, antwortete ich.<br />

Dies war ihr erstes Live Rock Konzert, und sie war sofort<br />

hellauf begeistert. Das freute mich, hätte ja auch anders<br />

sein können, so laut, ungewohnt, aber sie fand´s gut,<br />

also hatte ich eine Partnerin für weitere Music Events.<br />

Für mich gab es nur eins, was vor Live Musik kam. Und<br />

ich hoffte sehr, dass ich dies heute Nacht bekommen<br />

244<br />

würde. Die Chancen standen nicht schlecht.<br />

„Wie wär´s wenn wir noch irgendwo tanzen gingen“,<br />

schlug Lucie vor. Um diese Zeit gab´s nur noch Night<br />

Clubs, aber ich kannte einen mit recht guter Musik, den<br />

Scotsh Club in Chelsea.<br />

„Das war super, Eric, ich freu mich schon auf das nächste<br />

Konzert mit dir“, sagte Lucie, und küsste mich endlich<br />

auf den Mund. Sie hatte sich auf dem Rücksitz des<br />

Taxis eng an mich geschmiegt, hielt meine Hand mit ihren<br />

beiden Händen fest, und schaute mir in die Augen.<br />

Sie schien sich richtig gut zu fühlen, und auch ich war<br />

sehr erfreut über die augenblickliche Situation. Ich fühlte<br />

mich Watteweich, und hatte nicht´mal ´nen Joint geraucht.<br />

Musik törnte mich immer genau so gut an wie<br />

Shit. Und dann diese Frau in meiner Nähe, was wollte<br />

ich mehr.<br />

Wir gingen eine Treppe hinunter, und betraten den brechend<br />

vollen Scotsh Club. Die Musik war gut, wir gingen<br />

an die Bar, an der wir glücklicherweise einen Barhocker<br />

für Lucie frei fanden, und bestellten 2 Gläser<br />

Champagner. „Heute wird gefeiert“, lachte Lucie. Wir<br />

tranken, der Sprudel tat gut, und Lucie legte Ihre Arme<br />

um meinen Hals. „Ich mag dich“, sagte sie „das Leben<br />

macht mir im Moment richtig viel Spaß“. „Tanzen<br />

wir“? fragte ich, und schon waren wir in der Menge tanzender<br />

Menschen untergetaucht.<br />

Aber nichts mit Twist oder Shake, Lucie legte erneut ihre<br />

Arme um meinen Hals, schmiegte ihren Körper eng<br />

gegen Meinen, und wog sich langsam im Rhythmus. Ich<br />

hatte sie um die Taille gefasst, und merkte, dass Lucie<br />

sehr körperlich wurde. Sie schmiegte sich fast in meinen<br />

Unterleib hinein, was mich sehr anmachte. Ihr Kopf lag<br />

auf meiner Schulter, und ich erwiderte ihre langsamen,<br />

aber sehr aufreizenden Bewegungen.<br />

245<br />

Wir tanzten sicher eine halbe Stunde, und bei mir regte<br />

sich ein bestimmtes Teil des Körpers, ich hatte jede Kontrolle<br />

verloren. Lucie schaute mir lustvoll in die Augen,<br />

senkte ihren Blick nach unten, und lächelte mich vielsagend<br />

an. Sie drückte ihren Unterleib extra stark gegen<br />

meinen, und flüsterte: „Ich glaube wir sollten bald gehen,


ich hab große Lust auf dich“.<br />

Das war der rechte Klang für meine Ohren und für meine<br />

Stimmung.<br />

Schnell hatten wir ein Taxi gefunden, und Lucie sagte<br />

dem Fahrer ihre Adresse. „Wir fahren zu mir, da ist´s<br />

schön warm“, sagte Lucie leise, „du bist doch einverstanden“,<br />

flüsterte sie fragend. Ich antwortete ihr mit einem<br />

feuchten langen Kuss.<br />

Aas große schwarze Taxi wurde von mir entlohnt, und<br />

wir flogen fast die Treppe hoch zu ihrem Haus. Sie<br />

wohnte im Erdgeschoss, und als wir in die Wohnung kamen,<br />

war ich angenehm überrascht. Lucie hatte ein kleines<br />

Wohnzimmer, mit einem richtigen offenen Kamin,<br />

in dem Holz lag, eine Couch und zwei Sessel und ein<br />

Regal mit vielen Büchern über einem kleinen Schreibtisch,<br />

auf dem sich Papiere türmten. Alles sehr ordentlich<br />

und aufgeräumt, nicht so wie bei mir.<br />

246<br />

Kapitel 28<br />

Dann kam das Schlafzimmer, schön gewärmt von einer<br />

elektrischen Heizung, und ein breites Bett. Darauf hatte<br />

sich mein Blick konzentriert, den Kleiderschrank sah ich<br />

erst viel später.<br />

Das Schlafzimmer war nur leicht beleuchtet, von zwei an<br />

den Seiten des Betts stehenden mit rotem Stoff überzogenen<br />

Lampen.<br />

Wir waren aneinandergeklammert, und küssten uns heftig.<br />

Ich setzte mich auf das Bett, und zog Lucie hinunter<br />

zu mir. Während wir uns küssten zogen wir uns gegenseitig<br />

aus, eine komplizierte Prozedur, wir verfingen uns<br />

gegenseitig in unseren Kleidern.<br />

Ich stand auf, begab mich an den unteren Rand des<br />

Betts, und zog ihr die Lederhose vom Körper. Sie lag lachend<br />

auf dem Bett, die Arme über ihren Kopf hoch gestreckt,<br />

und wartete auf mich.<br />

Wir liebten uns hingebungsvoll mal zärtlich, mal wild<br />

wie die Tiere. Wir waren schnell ein eingespieltes Team,<br />

als wären wir schon lange Liebende.<br />

Die Sonne ging auf, als wir erschöpft nebeneinander lagen,<br />

und uns in die Augen schauten. „Das war sehr<br />

schön, davon will ich mehr“, sagte ich zu Lucie, als wir<br />

da lagen, und uns nicht berührten. „Ich auch, Eric, davon<br />

will ich noch viel, viel mehr“, keuchte sie, ihre kleinen<br />

festen Brüste zitterten, sie legte sich auf mich, küsste<br />

und streichelte mich, ich bekam sofort am ganzen<br />

Körper Gänsehaut.<br />

Es hatte vier Tage gedauert, bis es endlich soweit war,<br />

dass ich diese besondere Frau endlich im Bett hatte, aber<br />

das Warten hatte sich gelohnt. Die Frau würde ich nicht<br />

mehr hergeben wollen, sie war in jeder Beziehung ein<br />

247<br />

extraordinaires Wesen, wie sie nur selten auf diesem Planeten<br />

anzutreffen sind, das war mir sehr deutlich.


„Heute kann mir die Uni gestohlen bleiben, ich möchte<br />

den Tag mit dir verbringen“, sagte Lucie, dem ich nur<br />

freudig zustimmen konnte. Sie gab mir einen flüchtigen<br />

Kuss, sprang aus dem Bett, lief ins Badezimmer, und ich<br />

hörte Wasser rauschen.<br />

Lucie duschte, und ich war wieder so kräftig, auch eine<br />

Dusche zu nehmen. Ich folgte dem Wassergeräusch, und<br />

da stand die Frau, schön gewachsen, kerzengerade, die<br />

Hände auf dem mit Shampoo eingeseiften Kopf, sie<br />

konnte mich nicht sehen. Ein schöner reitvoller Körper,<br />

ein prachtvoller Hintern, der sich schon in der Lederhose<br />

gut ausmachte, und kleine Brüste waren schön anzuschauen.<br />

Ich schlich mich unter das Wasser, fasste sie fest. Sie rieb<br />

sich die Seife aus den Augen, „Was machst du denn<br />

hier“, fragte sie lachend, und mich mit Shampoo bespritzend.<br />

„Dich lieben“, sagte ich, und fasste ihr zwischen<br />

die Beine. „Hast du denn nicht genug“, fragte sie, und<br />

ich antwortete, „ ich hab nie genug, so lange mir die<br />

Beine nicht zittern“.<br />

So machten wir es kurz und bündig in der Dusche, wobei<br />

niemand zu kurz kam. Ich trocknete sie ab, sie rieb<br />

mir das Wasser vom Rücken, und wir warfen uns noch<br />

mal aufs Bett. Eine kleine Ruhepause sollte schon sein,<br />

denn unter der Dusche fingen am Ende dann doch meine<br />

Knie zu bibbern an, was ich mir natürlich nicht anmerken<br />

ließ. Ich machte es gerne im Wasser, und die Gelegenheit<br />

war da.<br />

Lucie stand auf, zog sich ein Männerhemd an, das an den<br />

Seiten rund ausgeschnitten war. Sie machte in ihrer winzigen<br />

Küche Kaffee, sie hatte noch Brot und Marmelade<br />

in dem Minikühlschrank, so hatten wir ein Frühstück<br />

248<br />

im Bett.<br />

„Morgen frühstücken wir im Wohnzimmer“, sagte sie,<br />

„ich frühstücke nicht gerne im Bett, die Krümelei und<br />

überhaupt, das ist nicht mein Ding“. „OK gnädige Frau,<br />

wie sie wünschen, aber woher willst du wissen, ob ich<br />

morgen früh hier bin“, scherzte ich mit dem Versuch<br />

ernst zu sprechen.“<br />

„Ich geh nicht mehr in die Uni, das langweilt mich zu<br />

Tode, ich tu mir das nun schon drei Monate an, verstehe<br />

nur die Hälfte, es war keine gute Idee englisches<br />

Recht zu belegen“, lenkte sie ab.<br />

„Du wirst doch morgen hier sein“? fragte sie dann doch<br />

mit sorgenvollem Blick.<br />

„Morgen, Übermorgen, und so lange du möchtest, ich<br />

muss dann nur meine Wohnung kündigen“. Sie umarmte<br />

mich fest, „ja, gleich kündigen wir deine Wohnung,<br />

und du ziehst hier ein, ich kann mir nichts schöneres<br />

vorstellen. Wir machen uns ein schönes Leben, mit dir<br />

geht das, dessen bin ich mir sicher“.<br />

„Du willst wirklich die Schule schmeißen?“ fragte ich<br />

ernst. „Ja, Rechtswissenschaft ist nur Paragraphen auswendig


lernen, das schmeckte mir in Paris schon nicht,<br />

deshalb kam ich nach London, weil ich glaubte hier sei<br />

es vielleicht anders, aber hier ist der gleiche Mist, nur in<br />

einer Sprache, die ich nur halb verstehe. Recht geb ich<br />

auf, vielleicht beleg ich etwas anderes, wenn ich zurück<br />

in Paris bin, ich habe dort eine schöne Wohnung. Aber<br />

erstmal bleiben wir zusammen -das betonte sie- hier,<br />

und studieren die Stadt, ist besser als Recht“.<br />

Als mittlerweile natürlicher loser Vogel konnte ich der<br />

Frau da nicht zureden. Leben ist immer besser als Schule.<br />

Was hatte ich dort schon gelernt, nichts. Jetzt beherrschte<br />

ich schon drei Sprachen, das brachte mich<br />

weiter als das ein mal eins. „Überleg es dir gut“, versuch-<br />

249<br />

te ich noch zu insistieren, aber Lucie winkte ab. „Aufstehen,<br />

raus gehen“ ,sagte Lucie bestimmt. „Das Wetter ist<br />

gut, und schon fast 3 Uhr Nachmittag, wir brauchen<br />

Sauerstoff“, blinzelte sie mich an. Sie dachte wohl schon<br />

an die kommende Nacht.<br />

Wir zogen uns fertig an, und machten uns auf den Weg<br />

zu meinem Heim. Die Miete war bis Sonntag bezahlt,<br />

und Kündigungsfristen gab es nicht. Ich schellte bei der<br />

Lady, die auch sofort öffnete. „ Hallo Eric, who ist this<br />

Woman“? fragte sie gleich misstrauisch. „Das ist meine<br />

Freundin, sie ist aus Paris gekommen, und hat hier eine<br />

große Wohnung“, log ich. „Ich muss heute ausziehen,<br />

ich gehe zu ihr“. „Schon heute“, wunderte sich meine<br />

Lady, ich war schon auf dem Weg ins Zimmer, Lucie<br />

folgte mir. Als sie mein Chaos sah, überall lagen meine<br />

Klamotten herum, Zeitungen und noch eine Tüte süße<br />

Brötchen, kritisierte sie „wie sieht das denn bei dir aus,<br />

das geht aber nicht, du unordentlicher Hippie“.<br />

Sie begann meine Hemden zu falten, ich suchte den<br />

Rest meiner geringen Habe zusammen, und in 10 Minuten<br />

war gepackt. „Ich wusste ja nicht, dass du kaum<br />

Kleider hast“, sagte Lucie, sie wusste noch nichts von<br />

meiner Reisezeit.<br />

Ich verabschiedete mich von der Lady, dankte für die<br />

Gastfreundschaft, sie hatte mir immer ´mal ausgeholfen<br />

mit Brot oder anderen Kleinigkeiten, und machte mich<br />

mit Lucie und der kleinen Reisetasche auf zu meiner<br />

neuen Adresse.<br />

Nevern Square 9. 9 war meine Glückszahl, also war ich<br />

hier gut aufgehoben.<br />

Mein Schatz hängte meine Hemden auf Kleiderbügel,<br />

das war neu für mich, verstaute Unterwäsche und Sokken<br />

in ein leeres Fach, und legte meine beiden Jeans auf<br />

den Boden des Schranks. „Wieso sind an der einen Jeans<br />

250<br />

so viele Farbflecke, ist das deine Hippie-Jeans“, fragte<br />

Lucie lachend. Ich begann von meiner Strassenmalerei<br />

zu erzählen, aber nur kurz, wir wollten ja raus, und ich<br />

konnte ihr unterwegs viel erzählen. „Das hätte ich dir


nicht zugetraut“, wunderte sich Lucie.<br />

„Wie wäre es mit Carnaby Street, und wir gehen Schoppen“?<br />

schlug sie vor. „Dazu hab ich leider kein Geld, ich<br />

bin bald pleite, und ich will mich an deiner Miete beteiligen“,<br />

antwortete ich. „Ich muss mir bald etwas einfallen<br />

lassen, ´ne Bank ausrauben oder so“, fantasierte ich<br />

lachend.<br />

„Dummkopf“, lachte Lucie, ich habe ziemlich viel Geld<br />

mitgebracht, und es liegt noch einiges in Paris auf einem<br />

ziemlich dicken Konto, denk nicht einmal drüber nach<br />

was Geld betrifft“, Das gefiel mir ja erstmal ganz gut,<br />

aber ich wollte keine Abhängigkeit. Was wenn ich wieder<br />

die „Hummeln im Arsch“ spürte, und sonst wo hinwollte?<br />

Jedenfalls drückte sie mir 100 Pfund in die Hand, und<br />

sagte „Du zahlst, wir gehen einkaufen, du hast ja fast<br />

nichts“. Die Hundert lagen schwer in meiner Hand,<br />

dann in meiner Tasche. „OK, ich zahl dir das zurück“.<br />

Sie winkte nur lächelnd ab und sagte: „ Ist nur Geld, aber<br />

wir haben uns, und das zählt“.<br />

Sie war wieder als Schulmädchen gekleidet, Faltenrock,<br />

aber Stiefel dazu, es sah sehr gut aus. Ich hatte mir ´ne<br />

richtig schöne Frau gefunden, und mir wurde warm ums<br />

Herz, als ich sie anschaute. Auch ihre Haare hingen wieder<br />

glatt auf den Schultern, die Locken waren heraus gewaschen.<br />

„Der Rock ist einfacher zum anprobieren, wenn ich etwas<br />

finde, das mir gefällt“.<br />

Wir waren schon am Picadilly angekommen, und ich<br />

führte Lucie in die Carnaby Street. Sie machte große<br />

251<br />

Augen ob des bunten Lebens in der Einkaufsmeile. Das<br />

Wetter war gut, und die Strasse von bunt gekleideten<br />

jungen Leuten erfüllt. Lucie staunte nur, sie sah in die<br />

Geschäfte, und blieb von „Lady Jane“ stehen. Es war der<br />

größte Laden mit der meisten Auswahl. „Lass uns hier<br />

reingehen“, bat sie, und ich folgte ihr. Sie stöberte in den<br />

vielen Kleidern herum, und hielt eine goldfarbene seidig<br />

glänzende Hose hoch. „ Die will ich haben“, sagte<br />

sie sicher.<br />

„Bitte sehr, probier sie an“, sagte ich nur. Frauen. Goldene<br />

Hose. Warum nicht, von mir aus hätte sie Lumpen<br />

tragen können, ich wäre trotzdem bei ihr geblieben und<br />

hätte sie mit meiner Liebe überschüttet.<br />

Sie verschwand irgendwo, und kam dann glücklich mit<br />

der Hose zurück. „Die passt, und wie, du wirst deine<br />

Freude haben“, sagte sie frivol lachend. „Jetzt brauch ich<br />

noch´was für oben“, und schon war sie wieder verschwunden.<br />

Ich wartete geduldig. Sie kam mit einem<br />

völlig bunten Hemd zurück, das mit vielen Goldfäden<br />

durchwebt war. „Das passt“, sagte sie sicher, und ging zur<br />

Kasse. Die Kleider hier waren nicht teuer, Lucie wunderte<br />

sich über die kleine Rechnung für Hemd und Hose.<br />

„Wir können die Strasse leer kaufen, wenn das hier alles<br />

so preiswert ist“, freute sie sich. „Jetzt bist du dran,


wir kaufen dir ´was schönes, einen Anzug vielleicht, du<br />

hast doch keinen“. „Einen Anzug, bist du verrückt, ich<br />

bin kein Anzug-Mensch“ „Doch, wir schauen uns ´mal<br />

um“. Also gingen wir zu Lord John, wo die Auswahl<br />

auch enorm war, und die Preise bezahlbar. Es hingen<br />

viele Anzügen an den Ständern, solche, die bei den Hippies<br />

in waren. Breitcord, Jacke mit riesigem Kragen,<br />

dunkelblau.<br />

„Los, such dir einen aus“, schubste mich Lucie in den<br />

252<br />

Laden, „Geld spielt keine Rolle“. Die Rolle hatte ich<br />

noch immer in der Tasche.<br />

Also suchte ich zwischen den vielen Anzügen nach etwas,<br />

was mir gefallen könnte, und fand einen dunkelblauen<br />

Kordanzug, der mir gut gefiel. „Probier einen<br />

an“, drängte mich Lucie, der Blaue ist schön“. Ein Verkäufer<br />

kam auf mich zu, und fragte nach meiner Größe<br />

in Kleidern. Ich erklärte ihm, dass ich keine Ahnung habe,<br />

und er begann mit einem Maassband an mir ´rumzufummeln.<br />

Er plapperte eine Zahl, und nahm einen Anzug von der<br />

Stange. „Der sollte passen, bitte versuchen sie ´mal“, sagte<br />

er freundlich, und drückte mir das Teil in die Hand.<br />

Lucie freute sich wie eine Schneekönigin. „Darin siehst<br />

du sicher super aus, los zieh ihn an“.<br />

„Komm mit“, forderte ich sie auf. Wir gingen in einen<br />

Kabine, und ich zog mich aus. Als ich die Hose anziehen<br />

wollte spürte ich ihre Hand zwischen meinen Beinen,<br />

und sie kicherte. „Meinst du hier könnten wir´s machen“,<br />

fragte sie mich ohne loszulassen. Sie hatte ja auch<br />

nur ihr Röckchen an, so drehte sie mir ihren wunderschönen<br />

Po entgegen, und wir machten es schnell und<br />

heftig in der Umkleidekabine einer Boutique. Sie putzte<br />

sich mit einem Taschentuch gründlich ab, gab mir<br />

auch eins, und lachte mit hochrotem Kopf. „Das war eine<br />

Premiere“, gestand sie mir, „aber sehr schön aufregend“.<br />

Jetzt probierte ich die Anzughose, und sie passte perfekt.<br />

Auch die Jacke saß ausgezeichnet, der Verkäufer hatte gut<br />

gemessen. Lucie war verschwunden. Ich zog den Anzug<br />

wieder aus, und ging Richtung Kasse. Dort stand Lucie<br />

schon lachend mit einem Fliederfarbenen Hemd in der<br />

Hand. „Das passt sicher zum Anzug“, behauptete sie.<br />

Auch der Verkäufer war mit der Wahl einverstanden.<br />

253<br />

Auch das Hemd hatte einen hohen, an den Spitzen abgerundeten<br />

großen Kragen und blaue Knöpfe. Jetzt<br />

wurde es langsam psycadillic, ich freute mich trotzdem.<br />

„Jetzt noch ein Schlips“, sagte Lucie, aber ich protestierte.<br />

„Du brauchst ihn ja nur ab und zu ´mal anziehen, bitte“,<br />

drängte sie mich. Wir fanden eine riesige breite<br />

bunte Krawatte, die mich vollends zum Londoner 1967<br />

machte.<br />

Ich holte meine Rolle Geld aus der Tasche, und gab dem<br />

Verkäufer 30 Pfund, was mich sehr wunderte, so billig


war diese Kleidung. Sicher nur für eine Saison gedacht.<br />

In allen Boutiken lief Musik. Hier tönten die Rolling<br />

Stones, dort die Beatles, und irgendwo hörte ich Jimi<br />

Hendrix. Wir gingen darauf zu, und befanden uns in einem<br />

Schallplattenladen, aus dem Hendrix laut heraustönte.<br />

Im Fenster hing ein großes Plakat, „Hendrix in London“,<br />

leider nicht mehr Information. Wir traten in den<br />

Laden, und ich fragte, wann und wo Hendrix auftreten<br />

würde. „Ist noch nicht geklärt“, sagte der Verkäufer,<br />

„aber er wird bald kommen, in den US hat er keinen Erfolg.<br />

Das wird sich hier sicher ändern, ich verkaufe Hendrix<br />

Platten wie warme Semmeln“, fügte er hinzu.<br />

„Ich bin hungrig“, sagte Lucie. „Gehen wir zum Pakistani“,<br />

scherzte ich. Sie stieß mir den Ellbogen in die<br />

Seite, zum Glück schützte mich meine riesige Tüte mit<br />

dem Einkauf. „Davon habe ich erst´mal die Kehle voll,<br />

später vielleicht, und dann nicht extra scharf“.<br />

Wir fanden ein kleines italienisches Restaurant zwischen<br />

Stripteasebars, und bestellten Bandnudeln für Lucie, und<br />

Spagetti für mich. Die Nudeln waren köstlich, eine alte<br />

Mama hantierte in der Küche, die man einsehen konnte.<br />

Wie in Italien, weit südlich von London.<br />

Soho war wirklich einen Spaziergang wert. Es wurde<br />

254<br />

langsam dunkel, und der Betrieb in den Bars fing an. Sophie<br />

hatte das noch nicht gesehen, die Gangster vor den<br />

Bars, die Striptiseusen, die von Bar zu Bar hüpften. Sie<br />

fand es beeindruckend. Anders als Pigalle.<br />

Wir eilten nach Hause, und zogen uns um. Jeder in einem<br />

anderen Zimmer, wir wollten uns überraschen. Ich<br />

war gerade fertig, hatte mir sogar den Schlips um den<br />

Hals gewickelt, da erschien eine Goldmarie aus dem<br />

Schlafzimmer. Die goldene Hose saß wie angepasst, das<br />

sehr schöne bunte Hemd mit den goldenen Streifen war<br />

dafür gemacht. Zum Glück nicht zu lang über der Hose,<br />

so konnte man ihren prachtvollen Hintern noch gut<br />

sehen.<br />

Wir machten uns auf ins Quartier Latin, und als wir den<br />

Laden betraten, wurden wir von Lucies Freunden<br />

fremdartig angeschaut. Sie ging auf einige zu. „Glotz<br />

nicht so, wir sind in London, das solltet ihr auch langsam<br />

begreifen. In Paris geht ihr schließlich auch mit der Mode.<br />

Sieht doch gut aus“, sagte sie noch und drehte sich<br />

lachend. Die Jungs staunten, die Mädels wussten nicht so<br />

recht was sie davon halten sollten. Sie schauten auch<br />

mich etwas verwundert an.<br />

Kannten sie mich doch nur in Lederjacke und Jeans, und<br />

am nächsten Abend sahen sie uns auch wieder in Leder.<br />

Lucie wollte wieder ihre goldene Hose anziehen, aber<br />

ich liebte ihre lässige Lederhose, und überzeugte sie mit<br />

einer herzlichen Umarmung, diese für mich zu tragen.<br />

Den Tag hatten wir im Bett verbracht.<br />

Irgendwann hatte ich Marievonne in Brüssel angerufen,


ich wollte ihr sagen dass es mir gut geht, und erkundigte<br />

mich nach ihrem befinden. „Schön wenn du hier<br />

wärst, ist alles trister jetzt“, klagte sie. Lucie wusste nichts<br />

von dem Anruf, und auch noch nichts von Marievonne.<br />

Lucie und ich waren nun schon drei Wochen zusammen,<br />

255<br />

und es ging uns richtig gut. Die Uni war vergessen, und<br />

wir hatten uns eingerichtet. Wir spazierten durch London,<br />

zum Trafalgarsquare mit der hohen Säule, auf der<br />

Lord Nelson in die Ferne blickte. Er hatte die Schlacht<br />

um Trafalgar erfolgreich geschlagen. Die Briten dankten<br />

es ihm gebührend.<br />

Um den Square gab es viele Musicaltheater, die wir aber<br />

tunlichst mieden. Ins Kino gingen wir ab und an.<br />

Wir fuhren hinaus nach Nothing Hill Gate, dem größten<br />

und außergewöhnlichsten Flohmarkt, den ich je gesehen<br />

hatte. Die Typen waren zum schreien, und die Materialien<br />

konnten unterschiedlicher nicht sein.<br />

Ich hatte Marievonne die Telefonnummer vom Supersonic<br />

gegeben, falls etwas Wichtiges sei. Ich konnte sie einfach<br />

nicht so völlig aus dem Herzen drücken.<br />

Dann kam der Tag, Mary gab mir eine Telefonnummer,<br />

die ich anrufen sollte, eine Frau mit französischem Akzent<br />

habe angerufen.<br />

Ich ging in eine Telefonzelle, und rief bei Marievonne<br />

an. „Hallo Eric, bin ich froh dass du dich so schnell meldest.<br />

Ich komme am Wochenende nach London, habe<br />

das Flugticket schon gekauft“. „Aber ich wohne hier bei<br />

Freunden“, log ich sie an, „wo willst du denn wohnen“?<br />

„Wir können doch in ein Hotel gehen, ich komme Freitag,<br />

und fliege Sonntagabend zurück“.<br />

Es war Mittwoch, noch zwei Tage. „Ich weis nicht, ob<br />

das so gut ist“, versuchte ich abzuwiegeln, aber Marievonne<br />

war Reisefertig, da war nichts zu machen. „Wir<br />

treffen uns im Dorchester Hotel, das kennt jeder in London.<br />

Ich werde gegen 14 Uhr dort sein“. Sie ließ keinen<br />

Widerspruch zu, legte einfach auf. Sie kannte mich,<br />

wusste genau, dass ich erscheinen würde.<br />

Nun Lucie, wie sollte ich ihr das beibringen. Aber dann<br />

dachte ich nach, wir waren Freunde, und ich konnte<br />

256<br />

doch Besuch einer Freundin bekommen, und ein paar<br />

Tage verschwinden. Das sollte doch möglich sein.<br />

Es war das erste mal, dass ich mir solche Gedanken<br />

machte, früher hätte ich gesagt „Tschüss bis Übermorgen“,<br />

und keine Erklärungen abgegeben. Jetzt war das<br />

anders, das waren zwei Frauen, die ich sehr gerne hatte,<br />

und ich wollte keine verletzen, was ich aber musste. Eine<br />

war ja schon „angeschossen“, ich hatte sie verlassen.<br />

Am Abend erklärte ich Lucie die Situation beim essen,<br />

ich müsste am Wochenende eine Freundin treffen, wäre<br />

aber Sonntagabend wieder zurück. Die schaute mich erstaunt<br />

an, sie hatte keine Ahnung von meiner Brüssler


Affaire. So erzählte ich ihr alles, auch, dass ich am Ende<br />

dann doch weg musste, Marievonne konnte mich nicht<br />

halten.<br />

„Wenn du dahin musst, ich halte dich nicht auf, obwohl<br />

ich dich sicher schon jetzt sehr vermissen werde“, sagte<br />

Lucie leicht traurig.<br />

„Komm, wir gehen noch die Earl´s Court Road abchecken,<br />

vielleicht ist irgendwo ´was los“, versuchte ich<br />

die Lage zu bereinigen. Erst einmal nicht mehr drüber<br />

nachdenken, es würde sich sowieso ergeben.<br />

Wir zogen uns an, Lucie hakte sich bei mir ein, und lächelte<br />

schon wieder, als wir die Strasse entlanggingen.<br />

Irgendwie war die Stimmung gebrochen, wir machten<br />

uns zurück auf den Weg nach Hause.<br />

Was sollte denn so schlimm sein, wenn ich für ein paar<br />

Tage mit einer alten Freundin verbrachte. Schließlich<br />

war ich nicht verheiratet, und klammern war mir immer<br />

suspekt.<br />

Es wurde Freitag, ich packte Unterwäsche, ein Hemd<br />

zum Wechseln in meine kleine Tasche, und setzte mich<br />

noch mit Lucie auf die Couch, „Sonntagabend bin ich<br />

wieder hier, ich muss das Treffen einhalten, es wäre ge-<br />

257<br />

mein, wenn ich nicht auftauchen würde“, versuchte ich<br />

den traurigen Ausdruck in Lucie´s Gesicht zu verändern.<br />

Dann fing sie plötzlich bitterlich zu weinen an, sie heulte<br />

sich die Augen nass, „ich will dass du hier bleibst, vielleicht<br />

kommst du nicht zurück“, schniefte Lucie mit<br />

dicken Tränen , die ihr unaufhörlich das Gesicht hinunter<br />

flossen.<br />

Aber warum ist das denn so schlimm für dich, mich zwei<br />

Tage nicht u sehen“, fragte ich erneut. „Weil ich dich<br />

liebe“, sagte sie fast schreiend, und sie hielt sich die Hände<br />

vor´s Gesicht. Sie schien wirklich am Ende zu sein.<br />

Das hätte ich nicht erwartet, Lucie hatte sich ernsthaft in<br />

mich verliebt. Ich kannte den Zustand, von Marievonne,<br />

zu der ich gleich gehen sollte. Ich hatte trotzdem irgendwann<br />

den Drang weiterzuziehen, die Liebe war wohl<br />

doch nicht mehr so stark wie zu Beginn der Beziehung.<br />

Ich mochte sie noch sehr gerne, wir hatten eine schöne<br />

Zeit miteinander, Liebe konnte man das aber nicht mehr<br />

nennen, wenn ich den Ausdruck „Liebe“ überhaupt definieren<br />

konnte.<br />

„Ich muss jetzt los, bitte sei nicht traurig, ich komme<br />

schon bald zu dir zurück, das verspreche ich dir. Auf keinen<br />

Fall werde ich nach Brüssel zurückgehen, ich mag<br />

dich doch auch, das solltest du gespürt haben“, waren<br />

meine letzten Worte, bevor ich das Haus verließ. Ihr<br />

Geld hatte ich ihr zurückgegeben, ich hatte noch genug<br />

Eigenes, um über die Runden zu kommen. Aber daran<br />

dachte ich zuletzt.<br />

258<br />

Kapitel 29


Ich fuhr mit der Tube bis Green Park, als ich hochkam,<br />

und die Underground verließ, glaubte ich meinen Augen<br />

nicht zu trauen. Ich war im totalsten Luxus von<br />

London aus der Erde gestiegen, ich machte einige<br />

Schritte, und befand mich auf der Park Lane, der teuersten<br />

Strasse Londons.<br />

Direkt am Hyde Park Corner, es war eine neue Seite<br />

von London, die ich noch nicht kannte. Ein Luxus Hotel<br />

neben dem Anderen, das Hilton war noch eins der<br />

Kleinsten, zu modern zwischen all den Prachtbauten, die<br />

Park Lane schmückten.<br />

Im Hotel Dorchester war ich mit Maryvonne verabredet.<br />

Das Hotel befand sich direkt gegenüber Hyde Park<br />

Corner, und war ein Prachtbau. Unendliche große und<br />

kleine Säulen schmückten das Gebäude, mir stockte fast<br />

der Atem. Über allen Fenstern hingen königsblaue nach<br />

außen gerundete Markisen, das Dorchester konnte sich<br />

mit dem Carlton in Cannes messen, es hatte eine großes,<br />

sehr mondänes Flair.<br />

Man betrat das Dorchester nicht von der Strasse aus, das<br />

Hotel war so gebaut, dass man es wie durch einen Seiteneingang<br />

betrat, das prächtige Eingangsportal befand<br />

sich weg von der Strasse, man hatte eine Strasse zur<br />

Strasse gebaut, damit sich die Gäste nicht vom Verkehr<br />

der Park Lane gestört fühlten. Die Einfahrt war einfach<br />

großartig, überall standen in alte Uniformen gekleidete<br />

Portiers, die jedes Mal ihre hohen Hüte zogen, wenn sie<br />

eine Karossentüre, oder das Eingangsportal öffneten.<br />

Es herrschte reger Verkehr vor dem Hoteleingang, ich<br />

kam mir so klein vor wie ein Floh. Eine Limousine folgte<br />

der nächsten, sehr chic gekleidete Menschen betraten<br />

259<br />

das Hotel höchst selbstverständlich, ich glaubte ich sei in<br />

einem Film gelandet.<br />

Aber dann nahm ich mir ein Herz, und stolzierte auf den<br />

Hoteleingang zu, der mir sofort von einem Behüteten<br />

Portier mit freundlichem Lächeln geöffnet wurde, „Welcome<br />

Sir“, hörte ich noch, und war auch schon in der<br />

superluxürieusen riesenhaften Eingangshalle untergetaucht.<br />

Dicke Sessel um kleine Tische gestellt, Rundsitze, Sofas,<br />

auf denen sechs Leute Platz gehabt hätten, aber nur von<br />

zweien besetzt waren. Champagnerkübel überall, und eine<br />

Decke, die so reich geschmückt war, wie man sie in<br />

Hollywood nicht schöner hätte dekorieren können.<br />

Wie sollte ich hier Jemand finden, ich konnte mir nur<br />

schlecht vorstellen, dass Marievonne hier abgestiegen<br />

war. Und doch, als ich mich an den Betrieb in der Hotelhalle<br />

einigermaßen gewöhnt hatte, sah ich, wie sich<br />

eine Gestalt aus einem der großen Sessel herausbewegte,<br />

und Marivonne kam eiligen Schritts auf mich zugelaufen.<br />

„Eric, endlich“, hörte ich nur, und schon hatte sie<br />

ihre Arme fest um meinen Hals gelegt, küsste mich so<br />

intensiv, presste ihren Körper am meinen, als hätte sie


seit meiner Abreise keinen Mann gesehen.<br />

Der Kuss wollte nicht enden, und ich dachte `gleich<br />

reißt sie dir hier in der Halle die Kleider vom Leib`. „Ich<br />

habe hier für uns ein Zimmer gemietet für das Wochenende,<br />

ich wollte das Beste für uns“, sagte sie mir mit tiefem<br />

Blick in die Augen. Ich glaubte meinen Sinnen<br />

nicht zu trauen als ich das hörte, so viel war ihr ein Wochenende<br />

mit mir wert, das hätte ich nicht für möglich<br />

gehalten. Dieses Hotel musste doch ein Vermögen kosten.<br />

Sie sah wunderschön aus. Mir kamen sofort Erinnerungen<br />

an unsere wunderbare Zeit in Brüssel, und doch, es<br />

260<br />

war anders. Marievonne war eine sehr schöne Frau, liebenswürdig<br />

und für meine körperlichen Bedürfnisse wie<br />

geschaffen, jedoch irgendetwas fehlte, und deshalb hatte<br />

ich sie auch verlassen. Ich konnte nicht mehr diese tiefe<br />

Liebe für sie empfinden, wie zu Beginn unserer reizenden<br />

Liebschaft in Brüssel.<br />

Ich beschloss jedoch, das Beste aus der Situation zu machen,<br />

vergaß zunächst einmal alles was außerhalb des<br />

Hotels geschah. Ich folgte Marievonne auf diesem Luxustrip,<br />

der mit viel Liebe ausgeschmückt sein würde.<br />

Ich hatte wieder Lust auf sie, und sie sollte alles bekommen,<br />

was sie sich erträumte. Und das hatte nichts mit<br />

dem luxurieusen Rahmen zu tun, ich wollte ihr einfach<br />

soviel Freude machen, wie es mir möglich war.<br />

„Komm, ich zeig dir unser Zimmer“, holte mich Marievonne<br />

zurück auf den dicken Teppich, sie nahm meine<br />

kleine Tasche in die eine, mich in die andere Hand, und<br />

lief mit mir auf einen Aufzug zu.<br />

Sie drückte auf 10, wir würden also im 10ten Stock<br />

wohnen. Als wir aus dem Aufzug stiegen, war kein Geräusch<br />

zu hören, die dicken auch königsblauen Läufer in<br />

den Gängen schluckten jeden Fußtritt, es herrschte absolute<br />

Stille.<br />

Nach ein paar Metern den Gang hinunter öffnete Marievonne<br />

eine Türe, und zog mich in ein wunderschönes<br />

Zimmer. Ein Riesenbett mit einem Baldachin, herrliche<br />

Bilder schmückten den Raum, ein offener Kamin stand<br />

zu Verfügung, Champagner stand gekühlt im silbernen<br />

Kübel, eine große Schale mit erlesenen Früchten auf einem<br />

Tisch, der von zwei Sesseln umgeben war, ein<br />

Traum von Zimmer. So was hatte ich bisher wirklich<br />

nur im Kino gesehen.<br />

Marievonne zog mich zum Fenster, und es verschlug<br />

mir fast den Atem. Ich blickte über den gesamten Hyde<br />

261<br />

Park, den ich noch nicht kannte, und sah weit über London.<br />

Es war fantastisch, unglaublich packend für mich.<br />

Marievonne hatte mich außer bei unserer stürmischen<br />

Begrüßung, bei der wir beide nur große Gefühle füreinander<br />

hatten, die ganze Zeit im Auge behalten, sie beobachtete<br />

mich bei jeder Gelegenheit, wollte genau erfahren


wie ich reagierte. Das hatte sie mir später gestanden,<br />

sie konnte ihre Blicke einfach nicht von mir lassen. Und<br />

sie freute sich sehr ob meinen Reaktionen auf all die<br />

Überraschungen.<br />

„Außerdem gibt es hier drei Restaurants, wir brauchen<br />

das Hotel nicht zu verlassen“. „Wir können uns aufs<br />

Zimmer bringen lassen was immer wir wünschen, was<br />

du dir wünschst“.<br />

Ich war von den Socken, die Frau hatte wirklich alles bis<br />

ins Kleinste geplant, um mich keinen Augenblick missen<br />

zu müssen. Ich fühlte mich aufs Angenehmste geschmeichelt,<br />

als ich diesen Plan durchschaute.<br />

War das Liebe? Ich wusste es immer noch nicht.<br />

„Hast du Hunger“, fragte sie mich, und reichte mir eine<br />

überdimensionale blaue glänzende Karte mit vielen<br />

Blättern. „Such dir aus was du willst, wir können uns Essen<br />

herbringen lassen“. „Ich hab jetzt keinen Hunger,<br />

später vielleicht, ich muss erstmal das alles hier verdauen“.<br />

„Denk bloß nicht ich will dich kaufen, ich weis sehr<br />

wohl, dass man einen Menschen wie dich nicht kaufen<br />

kann, dafür kenne ich dich gut genug. Aber ich wollte<br />

uns ein optimales Wochenende gönnen, ich hoffe es<br />

wird mir gelingen“.<br />

Ich wusste, dass sie in ihrem Job sehr gut verdiente, aber<br />

dass sie mich dermaßen teuer verwöhnen würde, damit<br />

hatte ich nicht gerechnet. Ich fühlte mich mehr und<br />

mehr geschmeichelt, und auch ein immer stärkeres Ver-<br />

262<br />

langen nach der Frau Marievonne.<br />

Sie stand mit dem Po am Schreibtisch, ich ging auf sie<br />

zu, und umarmte und küsste sie, wie ich lange keine<br />

Frau geküsst hatte, außer Lucie vielleicht. Ich umarmte<br />

sie, sie legte ihre Arme zärtlich um mich, lächelte, und<br />

ich zog sie Richtung Schlafzimmer. „Ich habe Hunger“,<br />

flüsterte ich ihr leise ins Ohr, „aber auf deinen schönen<br />

Körper, und auf deine einmaligen Zärtlichkeiten“, und<br />

schon ließen wir uns auf das untere Ende des riesigen<br />

Betts fallen.<br />

Während wir uns in Richtung Kopfende schoben, zogen<br />

wir uns hastig gegenseitig aus, die letzten Kleidungsstücke<br />

klemmten ein wenig, und jeder zog sie selbst aus.<br />

Dann fielen wir übereinander her, wie in den ersten Tagen<br />

unserer Verliebtheit in Brüssel, ich fühlte ein Feuerwerk<br />

nach dem anderen, und Marievonne ließ ihre Augen<br />

nicht von mir. Sie schloss sie erst, als sie sich laut<br />

stöhnend aufbäumte, und sich zurückfallen ließ.<br />

Wir waren beide Schweißnass, aber wir umklammerten<br />

uns erneut, bis wir langsam etwas ruhiger wurden. „der<br />

Schweiß muss weg, wir kleben ja richtig aneinander“,<br />

sagte ich, während ich mich von Marivonnes Körper befreien<br />

wollte, „ich muss in die Dusche“. Es dauerte einige<br />

Minuten, bis ich mich vollends befreit hatte, sie<br />

wollte mich die ganze Zeit festhalten, wo immer sie


mich zu greifen bekam. Sie lachte glücklich.<br />

Die Dusche war eine erneute Überraschung. Dieses Badezimmer<br />

war mit allem ausgestattet, was man sich nur<br />

vorstellen konnte. Eine riesige Badewanne, eine Dusche,<br />

die nicht nur von oben spritzte, sondern auch aus vielen<br />

in die Wände eingelassene Duschköpfe den Körper besprühten.<br />

Ein Bidet war obligatorisch, und zwei große Waschbekken<br />

waren vor einer in der gesamten Breite der Wand<br />

263<br />

mit den in Marmor eingelassenen Becken angebrachten<br />

Spiegel versehen.<br />

Er war sicher vier Meter breit, und fast drei Meter<br />

hoch, Dimensionen, von denen ich nicht´mal geträumt<br />

hatte. Es gab Pflegeprodukte aller Art, Schampoo von<br />

Guhl, Seife von Cabochard, zig Tiegel und Töpfchen für<br />

die gepflegte Frau, und den gepflegten Hippie, die auf<br />

einer marmornen Ablage zur gefälligen Bedienung standen.<br />

Diskret stand sogar ein kleines Töpfchen Vaseline in der<br />

äußeren Ecke der Marmorplatte. Man hatte an alles gedacht.<br />

Ich fummelte an den Knöpfen der Dusche herum, es gab<br />

viele Kräne, bis ich alle Duschköpfe laufen hatte. Das<br />

Wasser war sofort angenehm warm, und ich wurde über<br />

den gesamten Körper mit herrlichem Nass besprüht.<br />

Die Spuren der Liebe flossen langsam in den am Boden<br />

befindlichen, kaum wahrnehmbaren Ausguss. Ich genoss<br />

diese Art der Dusche wie nie eine Dusche zuvor in meinem<br />

Leben, und mehr Leben kam plötzlich ins Bad gerannt.<br />

Marievonne rutsche über die nassen Fliesen bis zu<br />

mir, klammerte sich an meinen Hals, sie wäre fast hingefallen,<br />

alles war glitschig nass. Auch von der enormen<br />

Kraft der Liebe, die wir beide versprüht hatten. Das Bad<br />

war eine wahre Pracht, man konnte sich völlig gehen<br />

lassen, Wasser ohne Ende verbrauchen, und überall hinsprühen.<br />

Die Fliesen am Boden sogen alles irgendwie<br />

auf. Wir machten viele Experimente im Bad, mit Seife,<br />

Babyoel Schampoo und anderen Gleitmitteln, bis wir<br />

nur noch am Boden lagen. völlig ineinandergefalten,<br />

und es dauerte, bis wir unsere Glieder wieder sortiert<br />

hatten.<br />

Der Spiegel leistete uns freundliche Dienste, und erfreute<br />

uns bei unseren in Lachen und Schreien erstickenden<br />

264<br />

Spielen.<br />

Wir waren so sehr mit unseren Körpern beschäftigt, das<br />

Blicke und kleine Zeichen ausreichten, um dem Partner<br />

zu Willen zu sein, zu tun was auch immer er wollte.<br />

Ein solch glitschiges, und von oben bis unten nasses Vergnügen<br />

hatte ich noch niemals irgendwo gehabt, und ich<br />

beschloss, so viel als möglich davon zu profitieren.<br />

Wir stützten uns lachend aneinander ab beim Hochkommen<br />

vom Boden, beseitigten alles glibberig Glitschige<br />

von unseren Körpern, drehten alle Hähne zu, und<br />

trockneten uns gegenseitig mit überdimensionalen


Handtüchern ab. „Eric, ich liebe dich“, flüsterte Marivonne<br />

mir ins Ohr, und ich lächelte sie nur an. Noch ein<br />

Liebesgeständnis in kurzer Zeit.<br />

Wir hatten sicher viel länger als eine Stunde, im Bad<br />

verbracht, und ließen uns nackt in die Sessel fallen. Wir<br />

hatten kaum ein Wort gesprochen.<br />

„Wir lassen uns den Kamin anzünden“, waren die ersten<br />

Worte in dem stillen Raum, und Marievonne griff<br />

zum Telefon. Sie sagte an der Rezeption Bescheid, dass<br />

wir den Kamin gerne zum Brennen gebracht haben<br />

wünschten, und bestellten Lachskanapees für Marievonne,<br />

und für mich ein Steak. Ich war hungrig wie ein<br />

Wolf.<br />

Wir hatten die flauschigen weißen Dorchester Bademäntel<br />

angezogen, und harrten der Dinge, die da kommen<br />

sollten. Wir sprachen noch immer nicht viel, schauten<br />

uns nur mit geröteten Gesichtern und<br />

halbgeschlossenen Augen äußerst zufrieden an.<br />

„Gibt´s hier keine Musik“, fragte ich plötzlich laut, und<br />

wir suchten die Wände nach einem Radio ab. Und<br />

wahrhaftig, neben dem Bett, und durch den Baldachin<br />

verborgen war ein Radio in die Wand eingelassen, gleich<br />

neben einem weiteren Telefon am Nachttisch.<br />

265<br />

Ich zählte 4 Telefone, an jeder Bettseite eines, eins am<br />

Tisch neben einem Sessel, und eins im Bad, sicher wasserdicht,<br />

und es hing auch ziemlich weit vom Wasser<br />

weg. Das im Bad hatte ein langes gekringeltes Kabel.<br />

Ich machte das Radio an, suchte ein wenig in den Sendern<br />

herum, und plötzlich hatten wir wunderschöne<br />

Musik, die sogar in guter Qualität aus dem Lautsprecher<br />

klang poppige Jazzmusik, mit der ich mich schnell anfreunden<br />

konnte. Es musste nicht immer Rock sein.<br />

Nun war fast alles perfekt, bis auf das Feuer und das Essen.<br />

Es klopfte an der Türe, und wir verschlossen eiligst unsere<br />

noch sehr weit offenen Bademäntel züchtig. Ein<br />

junger Mann kam mit steifem rundem Hütchen auf dem<br />

Kopf, einen kleinen Wagen vor sich her schiebend ins<br />

Zimmer, grüßte freundlich, und entfernte runde silberne<br />

Deckel von zwei Tellern, worauf unser Essen lag.<br />

„Soll ich den Kamin schon jetzt anzünden“, fragte er<br />

sehr höflich, und wir nickten nur, wir hatten uns schon<br />

über das Essen hergemacht wie hungrige Wölfe.<br />

Der Diener fummelte am Kamin herum, worin das Holz<br />

sehr schnell brannte. Ich stand auf, griff in meine auf<br />

dem Boden liegende Hose, Fleisch kauend, und gab dem<br />

Jungen ein Pfund. „Thank you Sir“, verabschiedete sich<br />

der Mensch, und war schnell aus dem Zimmer verschwunden.<br />

Gesättigt ließen wir uns schon nach kurzer Zeit wieder<br />

aufs Bett fallen, und umarmten uns, indem wir uns gegenseitig<br />

die Arme unter die Bademäntel steckten. Ich<br />

fühlte Fleisch im Mund, und Fleisch in den Händen, war<br />

aber noch nicht bereit, eine neue Nummer zu wählen.


Marievonne hatte ihre Hand schon in eine Richtung<br />

geschoben, in der jetzt nichts geschehen konnte, sie<br />

merkte es schnell, und legte ihre Arme um meinen<br />

266<br />

Oberkörper.<br />

Es wurde wohlig warm im Zimmer, und wir schliefen<br />

auf den Decken einfach ein. Das Bett hatten wir noch<br />

nicht einmal geöffnet, und beim Einschlafen dachte ich<br />

noch `das Bett kommt ja auch noch dran´, und wir hatten<br />

erstmal fünf Stunden vom Wochenende hinter uns.<br />

Als ich plötzlich wach wurde, saß die göttlich aussehende<br />

Frau mit der feinen Taille, den großen, festen Brüsten,<br />

den fleischigen steilen Schultern auf mir, hatte die Augen<br />

geschlossen, und spielte mit beiden Händen in ihren<br />

Haaren und bewegte sich extatisch. Ein Bild, das ich so<br />

schnell nicht vergessen sollte, ich glaubte zunächst es sei<br />

ein Traum, aber mein intensives Gefühl bezeugte Realität.<br />

Klar dass ich sofort wach war.<br />

Ich weis nicht wie sie mich so schnell hochgekriegt hatte,<br />

ich konnte mir´s denken, aber das alles nicht zu bemerken,<br />

bis sie dann schon auf mir dass, ich muss wohl<br />

sehr tief geschlafen haben. Ich ergab mich dem Fieber,<br />

und wir spielten heiße Liebe auf dem Bett.<br />

Als sie dann irgendwann zusammensank, ihren Kopf auf<br />

meine Brust legte, wurde ich mir bewusst, dass dieses<br />

Wochenende anstrengend werden sollte, aber ich hatte<br />

genau so viel Lust an ihr wie sie auf mich. Ich wusste nur<br />

noch nicht, wann ich kraftlos zusammenbrechen würde.<br />

Ich erinnerte mich an Orgien in Brüssel, in denen wir<br />

zwei Tage und zwei Nächte permanent fögelten, mit<br />

kleinen Essenspausen im Restaurant um die Ecke.<br />

Und nun brauchten wir zum Essen nicht ´mal mehr raus<br />

zu gehen, das Leben konnte im Zimmer stattfinden.<br />

„Ich will ´mal in die Halle, Leute betrachten“, sagte ich<br />

zu Marievonne. „Gut, gehen wir einen Drink an der Bar<br />

nehmen“, war sie einverstanden.<br />

Es war fast Mitternacht, als wir aus dem Aufzug stiegen<br />

residierte in der Halle das sehr chice Leben. Viele gutaus-<br />

267<br />

ehende und fein gekleidete Menschen bevölkerten die<br />

Sitzgelegenheiten, die Eingangstüre ging jeden Moment<br />

auf und zu, Menschen verließen das Hotel, neue kamen<br />

an. Und überall saßen sie mit Drinks oder Zeitungen in<br />

Händen, eine Szenerie wie in einem alten Hollywoodschinken.<br />

„Setzen wir uns ein wenig in die Halle, da hinten ist eine<br />

freie Couch“, bestimmte ich, und wir gingen schnell<br />

in Richtung freier Plätze. „Wir gehen aber später in die<br />

Bar, da ist es in er Nacht auch sehr interessant“, sagte<br />

Marievonne, ich zeigte mich einverstanden.<br />

Ein Kellner mit schwarzem, grau gestreiften Fliegenrock<br />

und weißer Fliege kam auf uns zu, und wollte eine Bestellung<br />

aufnehmen. „Bloody Mary please“, bestellte ich,<br />

ich brauchte Vitamine und den Sellerie. „Gin Tonic“, bestellte


Marivonne, „double please“.<br />

Ich war froh zu sitzen, da hing sie auch schon fast wieder<br />

über mir, ich ruckte ein wenig, und sie begnügte sich<br />

damit, sich eng an mich zu lehnen, und meine ihr zugesteckte<br />

Hand zwischen ihre zu nehmen, und sie zu liebkosen.<br />

Sehr schnell kamen die Drinks, wir klickten die Gläser<br />

aneinander, und nahmen beide einen Riesenschluck. Ich<br />

aß die Sellerie mit kleinen Schlucken der Tomatenbrühe.<br />

Marievonne winkte dem Kellner erneut, und bestellte<br />

sich noch´mal das Gleiche, ich nahm einen puren<br />

Glenfiddish, einen Whisky, den ich in London kennen-,<br />

und ab und an lieben -gelernt hatte.<br />

„Sollten wir nicht etwas essen“, fragte ich Marievonne,<br />

und sie nickte mit dem Kopf. Bei dem was mir noch an<br />

Schönheit in dieser Nacht entgegenkommen würde,<br />

brauchte ich Kraft, und bestellte mir in einem der Restaurants<br />

ein dickes halb rohes Steak mit viel Gemüse.<br />

Marivonne nahm ein Schnitzel, und wir sättigten uns<br />

268<br />

lustvoll, indem wir uns die Happen gegenseitig in den<br />

Mund schoben.<br />

Wenn mir Blut aus dem Mundwinkel floss, putzte mir<br />

Marivonne sofort mit der steifen Serviette den Mund ab,<br />

nicht ohne mir einen Finger in selbigen zu stecken, den<br />

sie dann abschleckte.<br />

Da saß ich hier in einem traumhaften Ambiente, eine<br />

wunderschöne Frau mir gegenüber, die mir jeden<br />

Wunsch zu erfüllen bereit war, und gehörte doch eigentlich<br />

überhaupt nicht hier hin. Mit meinem beigen<br />

Cowboyhemd, Jeans und Stiefeln.<br />

Nicht ´mal ´ne Jacke hatte ich an, aber man hatte sich<br />

in den großen Hotels an solche Gestalten wie mich gewöhnt,<br />

ich könnte ja auch ein Pop Star sein, und solange<br />

ich keine Fernseher aus dem Fenster warf, oder die<br />

Bude in Klump schlug, behandelte man mich wie jeden<br />

anderen Gast. Und da mein Motto war: wo immer ich<br />

meinen Kopf hinlege bin ich zu Hause, war ich jetzt hier<br />

zu Hause.<br />

Marievonne hatte sich fein gemacht, ein rotes Kleid mit<br />

raffiniertem gefaltenem, ausgeschnittenem Kragen, ihre<br />

Brustansätze waren deutlich sichtbar. Sie hatte einen<br />

Diamanten um den schönen Hals gelegt, sie sah aus wie<br />

eine Prinzessin, mit ihren natürlich hellblonden Haaren,<br />

die auf ihrem herrlichen Rücken lagen. Schon diese Begleitung<br />

erzeugte Respekt vor mir, besonders natürlich<br />

bei den Herren. Was hätten die gegeben. Und ich bekam<br />

alles umsonst. Und das Ambiente noch oben drauf.<br />

Marivonne trank einen halben Liter Rotwein, ich trank<br />

Wasser. Von der bloody Mary und dem Scotsh war ich<br />

schon leicht blau, Marivonne jedoch konnte trinken wie<br />

ein Seemann, das war mir schon in Brüssel klar geworden.<br />

Sobald sie in Gesellschaft war, trank die Frau ohne<br />

Unterlass. Erst später bemerkte ich, dass sie sich aus dem


269<br />

Duty Free Shop am Flughafen eine Flasche Gin erstanden<br />

hatte, die noch im Koffer lag.<br />

Wir hatten ein fürstliches Wochenende, in jeder Hinsicht.<br />

Die arme Putzfrau hatte täglich im Bad viel zu<br />

tun, wir vorher auch. Wir hatten eine Ecke des Baldachins<br />

abgerissen aber das sah man uns nach.<br />

Am Sonntagabend verabschiedete ich Marievonne vor<br />

dem Dorchester Hotel in einem Taxi, dass sie zum Flughafen<br />

bringen würde. Eine Träne rollte ihre das Gesicht<br />

hinunter, ein letzter intensiver Kuss, „Es war phantastastisch<br />

mit dir, ich muss dich bald wieder sehen“, flehte<br />

Marivonne. Sie wollte mich mit zurück nach Brüssel<br />

nehmen, aber das lehnte ich kategorisch ab. Ich sollte<br />

Marievonne wieder sehen.<br />

Jetzt war ich erstmal in London zu Hause, und das war<br />

gut so. Ohne einen Blick zurück zum Luxus stieg ich in<br />

die Tube Richtung Earl´s Court.<br />

270<br />

Kapitel 30<br />

Aus dem Underground kommend war ich schon auf der<br />

richtigen Seite der Earl´s Court Road, um zum Nevern<br />

Square zu gelangen, wo Lucie sorgenvoll auf mich wartete.<br />

Als sie mich in der Türe stehen sah, lief sie auf mich<br />

zu, hängte sich an meinen Hals, wobei ich schon wieder<br />

Tränen spürte. „Endlich bist du wieder hier, ich hab so<br />

sehr gehofft und gewartet“, begrüßte mich Lucie hoch<br />

erfreut, und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Es<br />

hätte ja sein können, dass du nicht zurück kommst, dann<br />

hätte ich dich in Brüssel gesucht und gefunden, aber nun<br />

bist du ja hier und alles wird gut.“. „Ich habe uns eine<br />

Flasche Champagner gekauft, ich wollte feiern wenn du<br />

wieder hier bist“. ´Ach wie schön`, dachte ich, schon<br />

wieder Champagner. Wir hatten jeden Tag zwei Flaschen<br />

auf dem Zimmer im Dorchester geleert, aber zwei Flaschen<br />

in 24 Stunden zu Zweit konnte ich ertragen. Marievonne<br />

hatte natürlich auch noch ihre Flasche Gin, zu<br />

der sie sich Tonic kommen ließ.<br />

Mein Bedarf an alkoholischen Getränken war eigentlich<br />

gedeckt. „Schön, sagte ich, du weist ja, dass ich gerne<br />

Champagner trinke, lass uns feiern“, machte ich gute<br />

Miene zum prickelnden Spiel.<br />

Lucie sah reizend aus, sie hatte wieder ihre Klein-Mädchen<br />

Kluft an, aber ohne Lederjacke, und anstatt eines<br />

wollenden Rollkragenpullovers trug sie das bunte<br />

Hemd, das sie sich in der Carnaby Street gekauft hatte,<br />

drei Knöpfe geöffnet. Aber sie trug Stiefel, das machte<br />

die Sache sexier. Die Frau wusste wie man sich kleidet.<br />

War ja schließlich auch aus Paris.<br />

Ich roch noch nach Marievonne, und schon lag ich in<br />

den Armen einer anderen französisch sprechenden –und<br />

271<br />

handelnden – Frau. Wohin sollte das noch führen? Eigentlich


konnte ich mich nicht beklagen, die Frauen<br />

hielten mich ja auch am Leben. Wie so oft.<br />

Lucie roch jedenfalls anders, sehr gut und anregend.<br />

Trotz meines Marathon Sex Wochenendes hatten wir eine<br />

erfüllte Nacht mit viel Spaß und einem Orgasmus<br />

nach dem Nächsten.<br />

Dafür schlief ich am nächsten Tag bis zum Abend. Lucie<br />

wunderte sich, „du schläfst doch sonst nicht so lange, ich<br />

dachte schon du wachst gar nicht mehr auf“. War die<br />

Frau wirklich so naiv, oder wollte sie mich necken?<br />

Ich ging unter die Dusche, und fühlte mich gleich viel<br />

besser, wach wie an einem Frühlingsmorgen. „Geh´n<br />

wir raus“, fragte ich Lucie? „Warum nicht, ich war das<br />

gesamte Wochenende in der Wohnung, nur einmal kurz<br />

einkaufen“, antwortete sie. `Wo war ich wohl`, dachte<br />

ich bei mir, viel Sonne hatte ich nicht gesehen.<br />

Wir fuhren ins Quartier Latin, wo wir laut begrüßt wurden.<br />

Besonders Lucie, sie war sehr beliebt in dem<br />

Schuppen, die Typen schauten schon wieder gierig auf<br />

die jetzt Gold und Leder bekleidete wunderschöne Gestalt<br />

neben MIR! Ihr schlanker praller Hintern über<br />

den langen Beinen konnte einen aber auch zum Wahnsinn<br />

treiben. Und den in die neue goldene Hose gezwängt,<br />

das kam besonders gut. Ihre Lederjacke reichte<br />

ja nur bis zur Taille.<br />

Ich sah einen Shit-Dealer, und kaufte erst einmal ein<br />

Stück guten nepalesischen Dope. Den Joint drehte ich<br />

auf den Knien, und verließ das Lokal dann aber zum<br />

rauchen. Claude, einen netten Pariser und seine Freundin<br />

Claire nahm ich mit nach draußen. Sie waren hoch<br />

erfreut über die Einladung. Lucie setzte sich zu Freunden.<br />

Das Dope roch sehr extrem, ein Glück dass ich den Joint<br />

272<br />

nicht drinnen angezündet hatte. Frech genug war ich ja<br />

eigentlich, alleine hätt´ich es auch getan, aber ich wollte<br />

Lucie nicht in Verlegenheit bringen. Sie erwähnte das<br />

Wochenende übrigens mit keinem Wort mehr.<br />

Schwer angeschlagen von dem starken Shit kam ich ins<br />

Lokal zurück, und sah schon die mit gierigen Augen auf<br />

Lucie gerichteten Augen der Typen an ihrem Tisch. Ich<br />

setzte mich glücklich lächelnd neben sie, und sie fasste<br />

sofort nach meiner Hand. Die Augen der Jungs trübten<br />

sich zusehends.<br />

„Es ist jetzt neun Uhr, wenn wir uns eilen, kriegen wir<br />

im Marquee noch ´ne Band zu sehen, wie wär’s“, wandte<br />

ich mich an Lucie. „Wenn du möchtest, ich bin fit“,<br />

sagte Lucie und zog mich schon hoch aus dem Stuhl.<br />

„Können wir mitkommen“, fragte Claude, der auch<br />

ziemlich bekifft aussah. „Logisch“, antwortete ich, und<br />

wir machten uns auf zur Tube. Ich ging hinter ihr die<br />

Treppe hoch, und wäre fast gestolpert. Nicht vom Kiff.<br />

Eine schwarze Band aus Amerika spielte im Marquee,<br />

ich hatte noch nie von denen gehört, der Club war gut


esucht. Viele Afrikaner, die Band schien doch bekannt.<br />

In Amerika waren sie Stars wie ich erfuhr.<br />

Und das Konzert war wirklich super. Eine fantastische<br />

Band hinter den Frontmännern Sam and Dave, nach denen<br />

die Band auch benannt war. Die Songs waren hoch<br />

rhythmisch, Boogie, Blues und Rock ´n´ Roll, die Leute<br />

im Club tanzte ausgelassen. Auch Lucie war begeistert,<br />

sie bewegte sich während des gesamten zweistündigen<br />

Konzerts tänzerisch. Natürlich war´s ´mal wieder<br />

laut, aber daran war man schnell gewöhnt. Die Band<br />

spielte sich in fließenden Schweiß, und erntete reichlich<br />

Applaus.<br />

Am nächsten Tag waren die Zeitungen voll des Lobs für<br />

Sam and Dave, amerikanische Soul-Music Stars waren<br />

273<br />

erstmalig in England, und wurden gebührend gefeiert.<br />

„Lass uns noch tanzen geh´n“, bat Lucie, die aufgeregt<br />

war. „Sicher, Scotsh-Club“, schlug ich vor. Und schon<br />

waren drei französische Studenten und ein Deutscher<br />

Hippie unterwegs zum schwofen. Tube war geschlossen,<br />

also Taxi. Ich hatte meine Rolle Pounds, die ich in der<br />

Wohnung gelassen hatte, bevor ich zu meinem Date<br />

fuhr, wieder eingesteckt, zahlte das Taxi, und die ersten<br />

Drinks.<br />

Lucie zog mich auf die Tanzfläche, und schmiegte sich<br />

eng an mich. Sie spielte schon wieder mit ihrer Taille an<br />

meinem Mittelpunkt herum, drängte fordernd gegen<br />

meine Hose. So verbrachten wir eine Stunde auf der<br />

Tanzfläche, egal welche Musik gerade spielte, wir spielten<br />

mit uns. Claude drängte es nach Hause, es war fast<br />

drei Uhr morgens. Also in´s Taxi, und zum Earl`s<br />

Court.<br />

„Tschüss Leute. War ein schöner Abend”, verabschiedeten<br />

sich Claude und Claire. Die beiden Namen wären<br />

ein guter Titel für einen Liebesfilm. Sicher spielten sie<br />

sich gleich Einen.<br />

Lucie zog ´mal wieder, schloss schnellstens die Türe auf,<br />

und drängte mich ins Schlafzimmer. Schon lag ich mit<br />

dem Rücken auf dem Bett, sie hatte mich regelrecht in<br />

Position geschubst, und machte sich an all meinen<br />

Knöpfen zu schaffen. Ich half ihr mich auszuziehen, und<br />

schon war auch sie nackt wie Gott sie so schön geschaffen<br />

hatte, und stürzte sich auf mich. Ich stürzte freudig<br />

zurück. Die französischen Nächte in London waren<br />

nicht zu verachten. Lucie war meine Liebe. Es wurde<br />

sechs Uhr, bis ich zum schlafen kam.<br />

Und so ging unser leben in London liebevoll und aktionsreich<br />

noch etwa 3 Monate weiter, ich hatte noch auf<br />

das Konzert von Jimi Hendrix erwartet, es war wunder-<br />

274<br />

voll.<br />

Jimi Hendrix mit seinem mächtigen Afrolocken bedeckten<br />

Kopf, um die er ein buntes Band gebunden hatte,


schmal wie ein Besen, mit dunkelblauer Samthose<br />

und buntem weitärmeligen Hemd bekleidet, nahm die<br />

Bühne in Beschlag.<br />

Sein besonderes Geschick war mit den Zähnen oder auf<br />

dem Rücken Gitarre zu spielen.<br />

Er hatte eine persönliche Besonderheit in seiner Show.<br />

Ein rundes Blechtablett mit Rand diente ihm als Light<br />

Show. Er goss Benzin in das Tablett, zündete es an, und<br />

tanzte wie ein Voodoo Priester mit seiner Gitarre um das<br />

kleine Feuer. So gab man sich in dieser Zeit zufrieden,<br />

Hauptsache die Musik stimmte. Hendrix wurde nur von<br />

Bass und Drums begleitet. Sehr gut und absolut professionell.<br />

Er hatte überwältigen Erfolg, der ihm in seiner<br />

Heimat USA verweigert war. Für mich war das Konzert<br />

eine prägende Erfahrung.<br />

Es wurde ´mal wieder kritisch, ich wollte weiter. Aber<br />

zunächst sollte dies kein Problem werden, denn ich<br />

wollte zurück nach Paris, und Lucie hatte dort eine<br />

Wohnung. Eine Trennung musste also nicht sein. Paris<br />

im Frühling war immer wunderbar. Die Strassencafe´s<br />

waren gefüllt mit fröhlichen Menschen, und die Mädels<br />

hielten die Röcke kürzer.<br />

Lucie hatte ihr Studium endgültig aufgegeben, sie überlegte,<br />

ob sie in Paris ein anderes Studium beginnen sollte.<br />

Also packten wir unsere sieben Sachen, schauten ein<br />

letztes Mal in unser Londoner Liebesnest, und nahmen<br />

den Zug nach Doover.<br />

Ich freute mich schon auf die Fahrt mit der Fähre, ich<br />

liebte das Meer, und so eine Fähre war etwas Besonde-<br />

275<br />

res. Die Menschen waren aufgeregt oder auch müde, es<br />

gab Bars und der Blick von Backbord auf das von den<br />

Schiffschrauben aufgewühlte Meer das diesen Riesenkahn<br />

langsam mit seiner Last aus Containern, Autos und<br />

tausend Passagieren seinem Ziel entgegenschob,<br />

faszinierte mich immer.<br />

Wir sahen die „White Cliffs of Doover“ hinter uns verschwinden.<br />

Und dann der Horizont, wo ich früher<br />

glaubte, dort fällt die Erde hinunter, fiel mir erneut in die<br />

staunenden Augen.<br />

Lucie war sehr gerne auf einem großen Schiff, sie war an<br />

Bord immer sehr aufgeregt, schlief nie, wanderte durch<br />

und über das Schiff, und hatte Spaß, auch alleine wenn<br />

ich schlief.<br />

276<br />

Kapitel 31<br />

In Calais angekommen kämpften wir uns durch die<br />

Menge der Ladungen und Passagiere, und nahmen den<br />

Zug nach Paris, der schon 20 Minuten nach unserer Ankunft<br />

am Bahnhof abfuhr. Drei Stunden später waren<br />

wir in Paris, und fuhren mit einem Taxi in den 17e Bezirk,<br />

Nähe des Triumphbogens, zur Avenue de la Grande<br />

Armee, und ich betrat zum ersten Mal Lucie´s Wohnung.


Sie hatte alles in rot und schwarz gemalt, die gesamte<br />

Wohnung sehr bunt, indisch angehaucht eingerichtet. Es<br />

gab nur wenig Möbel, viele große und kleine Kissen,<br />

und ein großes Bett.<br />

Ein langer Flur führte zunächst zum Bad, und dann am<br />

Ende in eine kleine Küche, es war ein 50gm Ein-Zimmer<br />

Appartement.<br />

Lucie hatte einen enormen Koffer aus rotem Leder, ich<br />

hatte meine paar Kleidungsstücke mit in diesen Koffer<br />

gepackt, und meine kleine Reisetasche zurückgelassen.<br />

Leicht ermüdet von der Reise duschten wir zuerst,<br />

wechselten die Bettwäsche, und legten uns nass und<br />

nackt zwischen die Laken. Schon begann Lucie an mich<br />

zu bekrabbeln, sie wollte mich für einen Liebesdienst<br />

bereit machen, und verschwand schon mit dem Kopf<br />

unter die Decke.<br />

Ich ließ es geschehen, obwohl ich müde und abgespannt<br />

war. Lucie war hungrig, aber das Einzige was sie in dieser<br />

Nacht bekam war ein Schuss konzentriertes Eiweiß.<br />

Ich war sehr schnell gekommen, ich ließ mich gehen,<br />

denn ich spürte deutlich, heute war ich körperlich nicht<br />

mehr zu gebrauchen.<br />

Der Schuss hatte mich entspannt, und als Lucie wieder<br />

277<br />

unter der Decke hervorlugte, sich den Mund wischte,<br />

sah sie mich enttäuscht an. „Liebling, ich danke dir, das<br />

gerade hat mir sehr gut getan, aber ich bin leider zu kaputt,<br />

um dir den gleichen Genuss zu bereiten, musste ich<br />

gestehen“. Sie lächelte liebevoll, „Macht nichts, morgen<br />

ist auch noch ein Tag, jetzt hab´ ich etwas gut bei dir“.<br />

Sie war eine wunderbar verständnisvolle Frau, und<br />

konnte leicht geben, ohne dafür etwas zurück zu bekommen.<br />

Sie drehte sich herum, und streckte mir ihre<br />

entzückende Rückseite entgegen. Ich legte meinen Arm<br />

um ihre Hüfte, und wir schliefen eng aneinandergeschmiegt<br />

schnell ein.<br />

Als ich am nächsten Tag gegen Mittag aufwachte, lag ich<br />

alleine im Bett, aber schon kam Lucie nur mit einem<br />

weißen, mit feinen blauen Streifen versehenden Männerhemd<br />

bekleidet ins Schlafzimmer, und brachte ein<br />

Tablett mit frischen, wohlriechenden Croissants und<br />

starkem Kaffee herein. Sie setzte sich neben mich ins<br />

Bett. „Frühstück im Bett ist zwar nicht meine Sache,<br />

aber ich will jetzt nah bei Dir sein, und dich stärken“,<br />

sagte sie.<br />

„Ich war schon beim Bäcker an der Ecke, und habe die<br />

Croissants besorgt“. Sie musste sich dann schnell wieder<br />

ausgezogen haben, denn sie war nackt unter dem Hemd.<br />

Lucie liebte Männerhemden die an den Seiten nach<br />

oben hin ausgeschnitten waren, und sie sah zum Anbeißen<br />

darin aus. Den Reisestress sah man ihr überhaupt<br />

nicht an, ich hatte eine frisch und wunderschön aussehende<br />

Frau neben mir im Bett, die mir ein Stück Gebäck


in den Mund legte. „Heute ist ein herrlicher Tag,<br />

die Sonne scheint, und es ist schon warm, später könnten<br />

wir ´raus gehen“.<br />

„Später“, betonte sie mit einem lüsternen Blick auf meine<br />

nackte Gestalt.<br />

278<br />

Nach einer mittäglichen Liebesstunde zum ersten Mal in<br />

Lucie´s Bett gab es noch´mal Kaffee, der mich endgültig<br />

weckte, und sie machte den Vorschlag, mir ihr Viertel zu<br />

zeigen. Ich war zu meiner Zeit in Paris nie in diesen Teil<br />

der Stadt gekommen, hier gab es keine Bohemiens, hier<br />

lebten die Reichen und Schönen von Paris, die Mieten<br />

und Preise in Cafe´s und Restaurants waren dementsprechend.<br />

Lucie schien es in die der Hinsicht gut zu gehen,<br />

über Geld hatten wir noch nie gesprochen.<br />

Als wir aus der Türe traten, befanden wir uns auf der<br />

Avenue de la Grande Armee, einer vierspurigen Strasse,<br />

die in der Mitte noch eine freie Spur hatte, auf der Pflanzen,<br />

Bäume und Blumen angelegt waren.<br />

Die Avenue führte direkt zum Triumfbogen, sie war eine<br />

der großen Strassen von Paris, die wie die Champs<br />

Elisées, die Avenue Foch und weitere Strassen, Sternförmig<br />

auf den Triumfbogen zuführten, und dort den Stern<br />

bildeten, die Metrostation dort hieß auch Etoile, Stern.<br />

Man nannte das direkt angrenzende Viertel auch so. Hier<br />

wohnte Lucie.<br />

Der Verkehr um den Etoile war völlig chaotisch, es gab<br />

um den Bogen keinerlei Strassenspuren, man fuhr einfach<br />

in den reichlich flisssenden Verkehr, und schaute,<br />

dass man dann wieder rechtzeitig in die Strasse einbiegen<br />

konnte, in die man wollte. Man brauchte sehr gute<br />

Nerven, um den Bogen zu umfahren, die Runde darum<br />

war sechsspurig, und jeder wollte der Erste sein. Hupkonzerte<br />

waren an der Tagesordnung, Unfälle hingegen<br />

äußerst selten.<br />

Lucie nahm mich bei der Hand, und wir spazierten die<br />

Champs Elysées hinunter in Richtung Place de la Concorde,<br />

Parc des Tuileries, wo die sechsspurige Prachtstrasse<br />

von Paris endete.<br />

Wir gingen auf der linken Seite der Strasse, wo wir an<br />

279<br />

teuren Haute Couture Boutiken, Restaurants, Kinos,<br />

Wohnblöcken für ganz Reiche, und vielen anderen Geschäften<br />

vorbeikamen. Die Preise waren gesalzen, für<br />

normal Sterbliche unbezahlbar.<br />

Die Sonne schien warm vom blauen Himmel, tausende<br />

Menschen jeder Kultur begleiteten uns auf dem Spaziergang,<br />

Frühling in Paris ist einfach herrlich. Die Röcke<br />

der hübschen Mädels wurden kürzer, die Menschen<br />

lachten, es lag ein Gefühl von Dauerfeier in der Luft.<br />

Und Lucie an meiner Seite liebte mich, was wollte ich<br />

mehr.<br />

Wir überquerten den Boulevard, und gingen an großen


Autohäusern, internationalen Banken, Botschaften und<br />

Schlossartigen Gebäuden, die von vergoldeten soliden<br />

Eisengittern gesichert waren, vorbei, in denen sicher die<br />

Milliarden Dollars um den Globus geschoben wurden.<br />

Wir tranken Kaffee im Fouqués, wo sich Schauspieler<br />

und andere elustre Gäste zum Drink, oder zum Essen<br />

trafen. Auch wir wollten für einen Augenblick Mitglieder<br />

dieser Komunität sein, und fanden einen Platz auf<br />

der großen Terrasse in der Sonne.<br />

Lucie erklärte mir Alles. Ich kannte ja diesen Teil von Paris<br />

nicht, hatte mich früher immer bei den Bohemiens<br />

im Quartier Latin aufgehalten, den Triumphbogen oder<br />

die Champs nie zu Gesicht bekommen. Ich war ja nur<br />

ein kleiner Pflastermaler, von den Champs d´Ellisées<br />

hätte man mich verjagt. Der gesamte Prunk und Pomp<br />

beeindruckte mich wenig, ich war von solchen Dingen<br />

so weit entfernt wie vom Mond.<br />

Als wir gegen Sonnenuntergang nach hause gingen,<br />

kochte Lucie vegetarisches Essen für uns, später liebten<br />

wir uns herzlich und inniglich wie schon in den vielen<br />

Nächten zuvor.<br />

Einige Tage später bekam Lucie Besuch, ein Mann in<br />

280<br />

meinem Alter, Alain, kam ins Haus, und wunderte sich<br />

über meine Anwesenheit. „Das ist Eric, wir haben uns in<br />

London kennen gelernt, er ist Deutscher“, stellte sie<br />

mich vor. Alain gab mir mit einem abschätzenden Blick<br />

die Hand, „Bon Jours“, sagte er nur, und versuchte eine<br />

Unterhaltung mit Lucie zu beginnen, wobei er mich<br />

nicht beachtete. Ich erntete nur ab und an einen nicht<br />

sehr freundlichen Blick, den ich sehr gut bemerkte.<br />

„Eric ist mein Freund, ich liebe ihn“, erklärte Lucie, und<br />

die Blicke Alains wurden immer dusterer. Er war in Lucie<br />

verliebt, sie wusste das, wie sie mir später mitteilte. Er<br />

tat alles für sie. Er betrieb mit seinem Vater ein großes<br />

Karussell irgendwo in Paris.<br />

Leider wurde die Liebe von Lucie nicht geteilt, er war<br />

nur ein Freund für sie, der sehr hilfreich war, was auch<br />

immer sie zu tun hatte. So renovierte er ihre Wohnung<br />

völlig, hatte Regale angebracht, ihr beim Einzug geholfen.<br />

Er tat alles für Lucie, was ihn aber in der Liebe zu<br />

ihr keinen Deut weiter brachte. Sie hatte kein Interesse<br />

an ihm als Mann.<br />

Er kam nun fast täglich, ich begann irgendwann das<br />

Haus zu verlassen wenn er kam, seine Blicke gingen mir<br />

langsam auf den Geist. Und er sprach kein Wort mit mir.<br />

Was sollte ich also in der Gesellschaft. Ich spazierte dann<br />

über die großen Boulevards am Etoiale, und erfreute<br />

mich an Blicken auf hübsche Mädels, und den Auslagen<br />

der Edelboutiken. Auch ging ich schon mal ins Kino.<br />

Eines Tages kam Alain erneut ins Haus, Lucie öffnete<br />

ihm die Türe, und er kam auf mich zu und zog eine Pistole.<br />

„Bist du irre“, fragte ich ihn, „du machst so alles


nur noch schlimmer“.<br />

„Ich liebe Lucie schon lange, und du hast hier nichts<br />

verloren, ich bring dich um wenn du nicht verschwindest“,<br />

antwortete Alain vor Wut schnaubend. Lucie stand<br />

281<br />

vor Schreck gelähmt in einer Ecke, und beobachtete das<br />

gefährliche Spiel. Bis sie sagte: „ Alain, das hat keinen<br />

Sinn, ich liebe ihn, und nicht dich, du weist das, du bist<br />

nur ein Freund, mach also keinen Unsinn“.<br />

Er schaute zu ihr hinüber, in diesem Augenblick ging ich<br />

auf ihn zu, ergriff seinen Arm mit der Pistole, und entwand<br />

sie ihm. Die Waffe fiel auf den Boden, und schnell<br />

hob ich sie auf. „Das ist doch sinnlos, Lucie wird dich<br />

gar nicht mehr beachten, wenn mir etwas zustößt, und<br />

du landest im Knast. Sie wird dir sicher keine Orangen<br />

bringen“, sagte ich erschrocken.<br />

Er kam auf mich zu, um die Pistole wieder in seinen<br />

Besitz zu bringen. Ich umfasste meine rechte Faust mit<br />

der linken Hand, und stieß ihm meinen Ellbogen mit aller<br />

Kraft in den Magen, als er hinfiel schlug ich ihm<br />

noch mit der Faust in den Nacken, und er fiel zu Boden.<br />

Ich warf die Pistole hinter ein hohes Eckregal, wo sie für<br />

uns beide unerreichbar wurde.<br />

Ich fasste Alain an den Armen, schleppte ihn durch den<br />

Flur zur Türe, und warf ihn hinaus auf den Innenhof,<br />

von wo aus Lucie ihre Wohnung erreichte. „Komm<br />

nicht zurück wenn ich hier bin“, warnte ich ihn, und sah<br />

ihn auch von dem Tag an nie wieder. Dies war die erste<br />

gewalttätige Auseinandersetzung meines Lebens.<br />

Als ich zurück ins Zimmer kam, lief Lucie auf mich zu,<br />

schlang ihre Arme um meinen Hals, und weinte, „ ich<br />

wäre verrückt geworden, wenn dir etwas passiert wäre,<br />

das hätte ich ihm nie zugetraut. Jetzt weis ich noch deutlicher,<br />

dass ich dich liebe, lass mich nie alleine“. Ich<br />

wischte ihre Tränen ab. „Ich werde ihn später anrufen,<br />

und ihm sagen, dass er hier Hausverbot hat, ich will diesen<br />

Blödmann nicht mehr sehen. Er läuft mir schon Jahre<br />

hinterher, und ich hab ihm immer deutlich gemacht,<br />

dass mit Liebe zwischen uns nichts laufen kann“, sagte<br />

282<br />

sie dann ruhiger geworden.<br />

Ich holte die Pistole hinter dem Regal hervor, und legte<br />

sie an einen sicheren Ort, wo sie jedoch für mich erreichbar<br />

blieb. Lucie fand das nicht lustig, aber ich konnte<br />

sie beruhigen. „ Werd´ ich nie benutzen, aber was ist<br />

wenn der Typ das nächste Mal mit einem Gewehr hier<br />

auftritt, dann muss ich der Schnellere sein“, sagte ich lachend,<br />

und umarmte die schöne Frau fest und liebevoll.<br />

War ich froh sie zu haben, ich konnte mein Glück ´mal<br />

wieder kaum fassen.<br />

283<br />

Kapitel 32<br />

Die Zeit ging vorbei, die Sonne stieg höher und höher,


der Frühling erreichte seinen Zenit, und Paris war beautifull.<br />

Viel Liebe, schöne Gänge durch die Stadt, die Lucie<br />

mir aus ihrer Sicht zeigte. Sie besuchte oft ihre Mutter,<br />

die ich aber noch nicht unbedingt kennen lernen<br />

wollte. Das wurde mir dann doch zu familiär, und mit<br />

Familie hatte ich ja so meine Erfahrungen.<br />

Ihre Schwester Sonja kam ab und zu Besuch, eine sehr<br />

freundliche, herzliche und hübsche Person, die langen<br />

hellblonden Haare bis fast zum Hintern gezüchtet. Sie<br />

war um einiges kleiner als Lucie, sie war die mit 1,72 m<br />

die Größte in der Familie, die nur aus Frauen bestand.<br />

Irgendwann sah ich Plakate, die ein Konzert im Olympia,<br />

der größten Konzerthalle von Paris ankündigten.<br />

Crosby, Stills, Nash and Young sollten auftreten. Ich war<br />

sofort entzückt und bat Lucie, sie möge unbedingt Karten<br />

besorgen, diese amerikanische Band war zu dieser<br />

Zeit eine meiner favorisiertesten Rockbands, sie waren<br />

schon Stars und richtig gut im Rock Geschäft. Ich hoffte<br />

sehr dass wir Karten bekommen würden, sie sollten<br />

schon in einer Woche auftreten.<br />

Wir hatten Glück, die Franzosen waren noch ziemlich<br />

im Niemandsland was Rock betraf, und wir erstanden<br />

zwei Tickets in der dritten Reihe. Den Preis hat Lucie<br />

mir nie verraten, er war sicher nicht von Pappe.<br />

Steven Stills kam von einer Band Namens Buffalo<br />

Springfield, holte sich David Crosby, der bei den Birds<br />

sang und Gitarre spielte, Graham Nash von den Hollies,<br />

ein hervorragender Pianist und Sänger und Neil Young,<br />

der alleine unterwegs war. Sie gründeten „Crosby, Stills,<br />

Nash and Young“, eine Supergroup. Und die wollte ich<br />

284<br />

keinesfalls verpassen, wenn sie ´mal in Europa unterwegs<br />

waren, was zum ersten Mal der Fall war.<br />

Der Abend kam, Lucie schmiss sich in ihr Leder und<br />

Stiefel, ich zog Jeans, Lederjacke und Stiefel an, und wir<br />

machten uns auf in´s Olympia.<br />

Es waren doch sehr viele Fans gekommen, ein Ameisenhaufen<br />

von jungen Menschen, viele mit Blumen in den<br />

Haaren, standen vor dem L´Olympia, der größten Konzerthalle<br />

von Paris. Hier waren u.a. schon Edith Piaf, Nina<br />

Simone und Gilbert Becaud aufgetreten. Nun sollte<br />

gerockt werden. Der einzige große französische Rocker<br />

aus Frankreich, Jonny Hollyday war hinter der Bühne<br />

versteckt. Ich hielt stolz meine Lucie im Arm, und freute<br />

mich schon, gleich in Reichweite dieser Band sitzen<br />

zu dürfen.<br />

Die Menge drängelte sich langsam in die Halle, und diese<br />

war überraschenderweise ausverkauft, wir hatten also<br />

richtig Glück gehabt, die guten Karten erstanden zu haben.<br />

Endlich kam die Band auf die Bühne, sie hatten sich<br />

Gastmusiker am Schlagzeug, Bass und Orgel mitgebracht,<br />

und wir erlebten ein Konzert der Superlative.<br />

Als die Musiker zu spielen begannen, hatte ich gleich eine


Gänsehaut, die meinen Körper vibrieren ließ. Ich<br />

schaute zu Lucie neben mir, sie hob lachend ihren rechten<br />

Daumen hoch, es schien auch ihr zu gefallen.<br />

Steve Stills war der Lead Gitarist, und er spielte mal ruhig,<br />

mal wie der Teufel, sein Solo in „Judy Blue Eyes“<br />

brachte mein Blut zum kochen. Er erzeugte ein wahres<br />

Feuerwerk aus Tönen mit seinen schnellen Fingern, die<br />

über die Gitarre flogen.<br />

Graham Nash tanzte barfuss über die Bühne wie ein Boxer<br />

im Ring, wenn seine Stimme gebraucht wurde, sang<br />

er Harmonien wie ein Vogel. David Crosby stand wie<br />

285<br />

versteinert vor seinem Mikrophon, und bewegte nur die<br />

Lippen, ab und zu die Augen weit aufgerissen. Aber er<br />

stand wie in Stein gemeißelt, bewegte sich nur leicht,<br />

wenn auch er zu einer Gitarre griff. Seine Stimme klang<br />

auch Vogelgleich, er kam ja von den „Birds“. Er konnte<br />

jedoch seine Stimme auch sehr energisch bewegen, „a<br />

long time gone“ sang er sehr brutal und wurde laut. Er<br />

wippte nur manchmal leicht mit dem linken Knie, ansonsten<br />

weiter Skulptur.<br />

Neil Young spielte hervorragend Gitarre, und sang mit<br />

wenn seine Stimme gefragt war. Nie hatte ich eine so<br />

harmonisch singende Band gehört, es hielt mich nicht<br />

lange auf dem Sitz, wie alle anderen Zuhörer auch. Ich<br />

war entzückt, bewegte mich in höheren Sphären.<br />

Lucie hatte ich fast vergessen, ab und zu drückte sie mir<br />

einen Kuss auf die Wange, und klatschte freudig mit den<br />

Händen.<br />

Die Musiker waren normal gekleidet, hatten lange Haare,<br />

Steve Stills trug sogar ein Jakett über dem weißen<br />

Hemd und der Jeans. David Crosby trug eine alt und<br />

sehr gebraucht aussehende braune Cordhose, über die er<br />

ein offenes Holzfällerhemd mit hochgekrempelten Ärmeln<br />

trug. Graham Nash trug Jeans und T-Shirt, keine<br />

Schuhe, Neil Young hatte eine lederne Fransenjacke mit<br />

Indianeremblemen bestickt an.<br />

Die Band sang von Frieden, Liebe und Freiheit, sie animierten<br />

ihr Publikum zu friedlich liebevollem Umgang<br />

mit allen Menschen, und baten ihre Botschaft hinaus in<br />

die Welt zu tragen. Was wir auch immer taten, wohin wir<br />

auch gingen. Liebe und Frieden war unser Motto, da<br />

waren sich Lucie und ich schon vor dem Konzert einig.<br />

„We can change the World“, sangen sie, und wir glaubten<br />

daran.<br />

Die Musiker machten auf viele Probleme in der Welt<br />

286<br />

aufmerksam, so brachten sie die Leute in Verachtung vor<br />

der Waljagd, diese urzeitlichen Riesengeschöpfe, friedlich<br />

wie ein Frühlingsmorgen, „ To the last Whale“ hieß<br />

der Song, der diese unmögliche Abschlachterei der aus<br />

Urzeiten übrig gebliebenen friedlichen Kreaturen, die<br />

ermordet und vor allem von Japsen und Norwegern gefressen


wurden, verurteilte.<br />

Das Verklappen von nuklearen Abfällen in der Bai von<br />

San Francisco wurde deutlich gekreuzigt. Auch der<br />

Krieg in Vietnam wurde kritisch unter die Lupe genommen,<br />

„Treetop Flyer“ von Steve Stills. Leider wurden<br />

die Stimmen der Band und die von Millionen von<br />

Menschen von der Politik noch nicht wahrgenommen.<br />

Aber die Botschaft war deutlich, Crosby, Stills, Nash and<br />

Young ließen ihre Fans mit warmen Herzen in den<br />

Abend gehen. Außer dass die Gitarrensounds und die<br />

Stimmen mich faszinierten, swingte die Band in vielen<br />

Stücken lässig los, wobei ich sehr in Bewegung geriet.<br />

Lucie und auch ich kamen mit rot gefärbten Gesichtern<br />

aus dem Konzert, und machten uns, fest umarmt auf ins<br />

Quartier Latin, um die Nacht dort noch gemeinsam mit<br />

fröhlichen Menschen zu genießen. Wir waren im<br />

Rausch, ich auch ohne Joint. Ich war heiß, und so war<br />

Lucie. Diese Nacht sollte für uns in einer Liebesorgie<br />

enden, die ich nie vergessen konnte.<br />

287<br />

Kapitel 33<br />

Es wurde ´mal wieder Zeit für eine Reise, wir hatten<br />

schon mehr als zwei Monate in Paris verbracht, mein<br />

Reisefieber hatte sich erneut eingestellt. Lucie hatte ihr<br />

Studium endgültig an den Nagel gehängt, und wollte<br />

nun mich studieren, also konnte sie mich begleiten.<br />

Wir reisten zunächst nach Brüssel, ja nach Brüssel, ich<br />

wollte den Clan besuchen, und Lucie vorstellen. 3 Stunden<br />

mit dem Zug, und wir waren in der Hauptstadt<br />

Europas.<br />

Als wir beim Clan einflogen war die Freude groß, bis auf<br />

Martin waren alle zu Hause. Luc, mein bester Freund der<br />

Gruppe fiel mir um den Hals und freute sich genau wie<br />

ich über das Wiedersehen.<br />

„Wir haben Champagner kalt“, sagte er, und eilte zum<br />

Kühlschrank. Er wusste dass ich am liebsten diese Edelbrause<br />

trank. Ich erzählte von meiner zeit in London,<br />

und wenn ich die Konzerte erwähnte, hingen alle an<br />

meinen Lippen, wollten alles bis ins Detail wissen. „Du<br />

hast aber auch immer ein Glück“, sagte Luc, „Superkonzerte,<br />

und dann kommst du auch noch mit einer Superfrau<br />

als Souvenir hier an, du bist wahrlich zu beneiden“.<br />

„fahrt auch hin, ihr werdet euer blaues Wunder erleben“,<br />

antwortete ich. „London ist noch stets die Stadt in<br />

der man sein sollte, macht euch schleunigst auf den Weg,<br />

bevor das Fieber verglüht“, konnte ich nur sagen.<br />

„Sollten wir tun, werden wir auch bald“, antwortete<br />

Luc.<br />

„Unsere Platte ist fertig, und kommt bald auf den Markt,<br />

dann müssen wir sowieso auf Promotiontour nach England“,<br />

fügte er hinzu.<br />

Sie legten die neue Scheibe stolz auf, und wir hörten<br />

288


gute solide Rockmusik, die Platte sollte sich gut verkaufen.<br />

Ich machte ernst gemeinte Komplimente, und hörte<br />

auch das Stück, auf dem ich Kongas gespielt hatte,<br />

man hatte den Part draufgelassen, es passte. Ich war stolz,<br />

und Lucie freute sich für mich. „Martin ist dabei eine<br />

Rockoper zu komponieren, er schreibt viel, ist aber auch<br />

viel auf Achse, um Ideen zu sammeln, deshalb ist er heute<br />

auch nicht hier“, erzählte mir Luc, und öffnete eine<br />

zweite Flasche Champagner. Es wurde ein Fest bis in<br />

den Morgen, wir schliefen in Martin´s Zimmer.<br />

Wir gingen nicht aus in Brüssel, ich wollte auf keinen<br />

Fall Maryvonne begegnen, das wäre für uns alle nicht<br />

schön gewesen. Wir gingen lediglich in Cafés, wo ich<br />

wusste, dass keine Begegnung stattfinden würde.<br />

Wir lernten ein junges mit den Clan befreundetes Paar<br />

kennen, Nancy und Frank, die in Brüssel wohnten. Sie<br />

erzählten uns, dass sie bald auf die Reise nach Afrika gehen<br />

wollten, mit dem Zug bis Agadir in Marokko, dann<br />

mit LKWs durch die Sahara bis zum Tschad. Dort waren<br />

sie bei Verwandten zu Weihnachten eingeladen. Sie hätten<br />

fliegen können, aber sie wollten die Reise lieber so<br />

machen wie geplant, um etwas von den Ländern zu sehen.<br />

„Ganz schön mutig, in den Tschad, dort ist doch dauernd<br />

Bürgerkrieg“, wandte ich ein. „Ach was, so viele<br />

Leute die ich kenne waren im Tschad, und alle sind gesund<br />

zurückgekehrt“, entgegnete Frank. „Ihr könnt mitkommen<br />

wenn ihr möchtet“, fügte er hinzu. Ich schaute<br />

Lucie fragend an, sie nickte mutig mit dem Kopf,<br />

„Warum nicht, ich war noch nie in Afrika, ich würde<br />

schon mitkommen“. In fünf Monaten sollte die Reise<br />

losgehen, Frank hatte ein Semester dafür geopfert.<br />

Wir hatten uns vom Clan verabschiedet, Frank hatte uns<br />

zu sich nach Hause eingeladen, die Nacht zu verbringen,<br />

289<br />

bevor wir am nächsten Tag weiterfahren wollten. Wir<br />

wollten über Details der Reise sprechen. Wir kamen in<br />

ein schönes Haus, in dem Frank bei seinen Eltern wohnte.<br />

Er war in meinem Alter, und wollte nach der Reise<br />

sein Studium der Architektur wieder aufnehmen.<br />

Die Eltern begrüßten uns sehr herzlich, sie waren äußerst<br />

freundliche Menschen, die Mutter lud uns zum<br />

Abendessen ein, und bereitete uns sofort ein Zimmer.<br />

Franks Eltern hatten eine große Kleiderreinigung in<br />

Brüssel, es schien ihnen gut zu gehen.<br />

Wir besprachen die Reise in Gesellschaft der Eltern,<br />

Nancy war auch dageblieben, obwohl sie und Frank lediglich<br />

gute Freunde waren, mehr nicht. Die Mutter<br />

sprach sorgenvoll über Frank´s Vorhaben. „Wir kommen<br />

auch mit, haben sie nur keine Angst“, „zu Viert werden<br />

wir das schon schaffen“, versuchte ich die Mutter zu beruhigen.<br />

„Ich kann ihn ja sowieso nicht von seinem Plan<br />

abbringen“, sagte sie leicht besorgt. „Haben sie denn<br />

keine Angst“, fragte sie Lucie. „Nein, ich habe größtes


Vertrauen in mich und vor allem in Eric, wir werden das<br />

schon schaffen, nötigen sie sich nicht“. So wurde die<br />

Reise klargemacht, in fünf Monaten sollten wir Frank<br />

und Nancy von zu Hause abholen. Vorher wollten wir<br />

telefonisch in Kontakt bleiben. Die Eltern verabschiedeten<br />

und aufs sympatichste, solche Eltern hätte auch ich<br />

gerne gehabt. Lucie dachte gleich.<br />

Wir machten einen kleinen Abstecher in meine kleine<br />

Stadt, ich wollte Oma besuchen. Lucie freute sich auf sie,<br />

ich hatte ihr viel von ihr erzählt.<br />

Oma war hoch erfreut als sie mich sah, ordentlich angezogen,<br />

zwar langhaarig, aber das hatte sie nie gestört.<br />

Und von Lucie war sie begeistert, sie spürte die immer<br />

fühlbare Warmherzigkeit meiner Geliebten, Oma hatte<br />

diese Anlagen auch. Sie waren ein Herz und eine Seele.<br />

290<br />

„Da bin ich aber froh für dich, Junge, da hast du aber ei<br />

liebes Mädchen kennen gelernt. Sie konnte kaum fassen,<br />

dass wir uns in London begegnet waren, und Lucie aus<br />

Paris stammte. „Wo du aber auch überall ´rumkommst“,<br />

sagte sie Kopfschütelnd und lächelte. „Und jetzt willst<br />

du auch noch nach Afrika, du musst wirklich verrückt<br />

sein, andere Leute gehen arbeiten“ „Oma, zum Glück<br />

bin ich nicht „andere Leute“. Als wir gingen schaute<br />

Oma Sorgenvoll.<br />

Ich besuchte auch meine Mutter, sah meine Geschwister,<br />

ich hatte meinem Bruder Markus die Jacke von<br />

meinem Beatlesanzug aus der Schweiz geschenkt, die er<br />

immer noch stolz trug. Alle waren hocherfreut über unseren<br />

Besuch, sie staunten ob meiner geliebten Lucie,<br />

mit der sich leider Niemand unterhalten konnte. Aber es<br />

wurde trotzdem ein schöner Tag, Lucie spürte sofort<br />

Sympathie zu meiner Mutter und den Geschwistern.<br />

Es war Osterzeit, und Lucie sah zum ersten Mal bunte<br />

Eier, so was gab’s in Frankreich nicht. Mutter gab uns<br />

noch einige der bunten Eier mit auf die Reise, auch ihre<br />

selbstgebackenen Krötchen, kleines süßes Hefegebäck,<br />

das sie immer hervorragend zu backen verstand.<br />

Die gab es mit- und ohne Rosinen.<br />

Lucie wäre gerne länger geblieben, aber ich wusste nicht<br />

wo wir schlafen sollten, in der Heimatstadt ins Hotel zu<br />

gehen war mir nicht genehm, das hätte ich nur für andere<br />

Zwecke gemacht.<br />

Es gab eine herzliche Verabschiedung, auch meine Mutter<br />

sorgte sich auch über meine Pläne nach Afrika zu reisen.<br />

Jedoch wusste sie, dass ich meinen eigenen Kopf<br />

hatte, und da nichts mehr zu schrauben war.<br />

Schon waren wir weiter, wir hatten uns als Ziel Rom<br />

gesetzt, wollten aber noch kurz nach Österreich, meine<br />

Verwandtschaft dort besuchen. Wir fuhren jetzt mit dem<br />

291<br />

Zug, und hatten einen riesigen roten Koffer dabei, den<br />

Lucie schon lange vor unserer Abreise aus Paris angeschafft


hatte. Er war schwer wie Blei, und ich sollte ihn<br />

noch oft verfluchen ob seiner Größe und Last. Lucie<br />

hatte viel Gepäck, und auch ich hatte mir mittlerweile<br />

Einiges angeschafft.<br />

In Köln stiegen wir in einen Zug nach Salzburg, wir<br />

fuhren natürlich zweiter Klasse, Lucie hatte zwar gutes<br />

Geld, aber das sollte ein Jahr reichen. Ab und an gingen<br />

wir auf der langen Reise in die Toilette, um uns dort zu<br />

lieben. Oft dauerte es länger, und Leute klopften an die<br />

Türe. Wir ließen uns nie stören, wir waren Liebesdiener,<br />

waren in Sachen Liebe unterwegs.<br />

Ab Salzburg fuhren wir zunächst mit einer Berg-Bimmelbahn,<br />

die noch Holzsitze hatte, und hielten mitten in<br />

den Österreichischen Bergen in einem winzigen Dorf<br />

mit fünf Häusern, Eins davon war ein Gasthaus. Wir<br />

wollten die Berge Live erleben, wenn auch nur für einen<br />

Tag und eine Nacht. Lucie war von der grün-grauen<br />

Bergumgebung völlig begeistert, so machten wir uns gegen<br />

14 Uhr auf, die Wiesen und Berge zu erkunden.<br />

Die Sonne schien uns auf die Köpfe, Lucie hüpfte wie<br />

klein Heidi über eine riesige Wiese, die an einem ziemlich<br />

steilen Hang lag. Das Dorf war längst nicht mehr in<br />

Sicht, und ich versuchte zunächst die Orientierung nicht<br />

zu verlieren, und ins Bett zurückzufinden. Lucie ließ sich<br />

treiben, sie war verliebt in diese Landschaft, die auch sie<br />

noch nie erlebt hatte. Wir waren für einen Moment außerhalb<br />

jeder Zivilisation.<br />

Irgendwann ließ sich Lucie in das satt grüne Gras fallen,<br />

und zog mich zu sich herab. Sie schaute sich um, alle<br />

Himmelsrichtungen abcheckend, und machte sich<br />

plötzlich an meiner Hose zu schaffen. Da auch ich nirgendwo<br />

Menschen oder gar Ziegen oder Rinder sehen<br />

292<br />

konnte, ließ ich alles gerne geschehen, und begann an<br />

der Bekleidung meiner liebreizenden Begleitung zu<br />

fummeln.<br />

Wir fanden bald auf und ineinander, liebten uns öffentlich<br />

auf einer österreichischen Wiese. Als ich irgendwann<br />

in den blauen Himmel schaute, sah ich nur eine gut geformte<br />

Silhouette in der gleißenden Sonne über mir sitzen,<br />

stöhnte verzückt, denn es war geschehen, ich hatte<br />

meinen ersten Liebesakt unter der Sonne Österreichs<br />

vollzogen.<br />

Lucie ließ sich mit ihrem schönen Oberkörper auf mich<br />

fallen, und befreite sich von mir. Jetzt lagen wir fast nackt<br />

nebeneinander, und schauten Beide zufrieden zum Horizont,<br />

und ließen uns eine Weile von der Sonne bescheinen.<br />

Dann siegte doch das öffentliche Schamgefühl, und wir<br />

zogen uns die Kleider wieder über die verschwitzten<br />

jungen Körper. Es ging uns richtig gut, auch ich begann<br />

die Bergwelt zu schätzen. Nach viel postkoitalem Geknutsche<br />

standen wir auf, und versuchten den Weg zurück<br />

ins Dörflein zu finden, was sich nicht als einfach


herausstellte, denn um uns herum war nur Grün, ich<br />

kam mir vor wie ein Schiffbrüchiger auf grüner See, um<br />

mich herum nur Gras.<br />

Hätte man das rauchen können, wäre mir nicht so bange<br />

zumute gewesen, ich wäre sicher einfach nur geradeaus<br />

gegangen. Das taten wir dann auch, und entdeckten<br />

einen kleinen Steinhügel, an dem wir uns orientieren<br />

konnten, fanden schnell den rechten Weg, nach einer<br />

halben Stunde auch das Dorf.<br />

Gegen Abend erreichten wir unsere Bleibe dort erwartete<br />

man uns als einzige Gäste schon zum Abendessen.<br />

„Wir dachten schon sie hätten sich vielleicht verlaufen<br />

in unserer schönen Gegend“, scherzte die fette Wirtin,<br />

293<br />

sie wusste glücklicherweise nicht wie Recht sie hatte.<br />

Wir gingen aufs Zimmer, machten uns frisch, lachten<br />

uns fröhlich an, und gingen in den Gastraum.<br />

Die Wirtin servierte uns dampfendes schwarzbraunes<br />

Gulasch mit je zwei dicken Semmelknödeln. Auch stellte<br />

sie uns zwei Schüsselchen mit grünem Salat auf den<br />

rohen Holztisch. „Guten Hunger“, wünschte sie uns,<br />

den hatten wir auch. Lucie hatte noch nie Semmelknödel<br />

gegessen, auch solches Gulasch kannte sie nicht.<br />

Wir verschlangen Beide diese herrliche Speise mit<br />

wachsendem Vergnügen.<br />

Die Frau hatte fantastisch gut gekocht, die sämige Soße<br />

genossen wir bis zum letzten Flecken.<br />

Wir waren satt wie selten zuvor, die Portionen waren<br />

üppig serviert. Wir konnten keinerlei Reste zulassen, dafür<br />

war die Speise zu Gschmakig wie der Österreicher<br />

sagen würde.<br />

In der Nacht gab´s noch mal shakedown in den Bergen,<br />

leider quietschte das Bett dermaassen, dass wir unseren<br />

zügellosen Gefühlen bald Einhalt geboten. Wir wollten<br />

bei den Gottgläubigen Dörflern keinen schlechten Eindruck<br />

hinterlassen.<br />

Das Frühstück am nächsten Morgen war eine echte<br />

Überraschung, der Tisch war so reich gedeckt mit<br />

Schinken, allen Arten von Wurst und Marmeladen, Eier<br />

obligatorisch, selbst ich staunte ob der Vielfalt dieser frühen<br />

Köstlichkeiten. Lucie kannte solche Art von Frühstück<br />

nicht, in Frankreich aß man morgens süß, wie auch<br />

in Italien, Wurst, Käse und solche Dinge wurden ihr erstmalig<br />

vorgesetzt, sie machte reichlich Gebrauch vom<br />

Angebot.<br />

Ich hievte den enormen Koffer hoch zur Bahnstation,<br />

der Schweiß lief mir schon am Morgen den Rücken<br />

´runter. Ich trat gegen das rote Monster. Lucie lachte<br />

294<br />

nur, sie amüsierte sich köstlich, wenn ich mit dem Koffer<br />

kämpfte.<br />

Die schwarze rauchende Bahn kam keuchend den Berg<br />

hoch, wir stiegen schnell ein, und fuhren auf Holzbänken


noch ca. 25 km, bis wir einen zivilisierten Bahnhof<br />

erreichten, und den Zug nach Graz fanden. Das grüne<br />

Meer hatte schöne Emotionen geweckt, war aber nun<br />

überwunden, wir sahen wieder Land.<br />

In Graz bei der Verwandtschaft war die Freude groß, nur<br />

meine richtig geizige Tante rechnete schon, was sie unser<br />

Besuch wohl kosten würde. Meine Cousins feierten<br />

einen Abend mit uns, zeigten uns die Stadt ein wenig.<br />

Wir wurden kurz überall herumgereicht, sagte schön<br />

„Hallo“ , und machten uns weiter auf die Reise Richtung<br />

Milano, wo wir eine Nacht verbrachten, und am<br />

nächsten Morgen den Zug in die ewige Stadt bestiegen.<br />

Nun wurde ich richtig heiß auf Rom, mein Fieber für<br />

die Stadt begann u steigen, je näher wir dieser herrlichen<br />

Metropole kamen. Ich hatte nur gute Erinnerungen an<br />

diese Stadt, Lucie freute sich auch sehr, ich hatte ihr meine<br />

Erlebnisse dort irgendwann zugetragen.<br />

Statione Termini, wir waren angekommen, und wurden<br />

von Sonneschein begrüßt. Mit dem roten Monsterkoffer<br />

nahmen wir ein Taxi in das Viertel um die spanische<br />

Treppe, und mieteten uns in einer Pension für kleines<br />

Geld ein. Es gab auch Essen dort, nach einer ersten<br />

„Zuppa de Verdure“,<br />

Gemüsesuppe vom Feinsten, gingen wir schlafen, einfach<br />

nur schlafen, die Reise hatte uns geschafft.<br />

Vor dem Aufstehen am späten Morgen gab´s zunächst<br />

eine weitere Lektion in Liebe von meiner Lucie, wir waren<br />

für unsere Verhältnisse schon länger nicht mehr zusammengestoßen.<br />

Dann italienisches Frühstück, süß wie<br />

ich es mochte, Lucie vermisste schon den Schinken und<br />

295<br />

Käse, den sie aber von nun an bekommen sollte. Musste<br />

man einfach nur bestellen.<br />

296<br />

Kapitel 34<br />

Die spanische Treppe, ich bekam leichte Gänsehaut als<br />

wir sie erreichten, und ich die vielen nun Hippies genannten<br />

auf den Stufen sitzen sah, wie immer befremdet<br />

von den Touristen betrachtet. Ruck- und Schlafsäcke lagen<br />

neben den Reisenden, ein Bild für die Götter. Lange<br />

Haare flatterten im Frühlingswind, die Mädels waren<br />

schön wie auch früher schon. Meine Erinnerungen<br />

überwältigten mich, wir setzten uns in ein Café gegenüber<br />

den Stufen, und betrachteten das fröhliche Treiben.<br />

Lucie war begeistert, „hier hast du monatelang gelebt“,<br />

fragte sie ungläubig, ich nickte nur ehrfurchtsvoll.<br />

Wir stiegen nach der Stärkung die vielen breiten Stufen<br />

hoch zur Villa Borghese, meinem damals oft genutzten<br />

„Schlafzimmer“. Ich zeigte Lucie die runden Büsche,<br />

zwischen denen ich in meinem Schlafsack genächtigt<br />

hatte. Sie schüttelte nur ungläubig den Kopf. „Wie<br />

konntest du nur im Freien schlafen“, fragte Lucie, „hattest<br />

du nie Angst“? „Angst,(?) damit konnte ich mich nie


eschäftigen, wäre ja nie eingeschlafen“, antwortete ich<br />

lachend. „Später hab´ich ja dann in Pensionen wie der<br />

jetzt unseren schlafen können, die hübschen Mädels<br />

wollten nicht, dass mir etwas zustößt, es wäre ein zu großer<br />

Verlust für sie gewesen. So sorgten sie für mich, und<br />

zogen mich in ihre Betten“, scherzte ich weiter lachend.<br />

„Du bist wirklich ein loser Vogel“, gab Lucie künstlich<br />

pikiert zu bedenken. „So what“, konnte ich nur sagen.<br />

„Deshalb liebst du mich doch, gib´s doch zu“. „Es ist<br />

viel Wasser den Tiber hinunter gelaufen seit der Zeit,<br />

jetzt hab ich ja dich“, beruhigte ich sie. Sie küsste mich.<br />

In der nächsten Zeit zeigte ich Lucie die Stadt, wie ich<br />

sie kennen gelernt hatte, wir besuchten die schönen<br />

297<br />

Plätze mit den fantastischen, mich noch stets beeindrukkenden<br />

Brunnen. Die Piazza del Trevere mit den vielen<br />

vielen Cafés und Restaurants, wo man am schönsten<br />

abends im Mondlicht feiern konnte, was wir später auch<br />

oft taten.<br />

Wir besuchten natürlich auch den Petersdom, konnten<br />

aber nicht hinein, weil Lucie´s Röckchen heute zu kurz<br />

war, und das Top zu knapp. „Beim nächsten Besuch werde<br />

ich mich züchtiger kleiden, ich will da rein“, sagte sie.<br />

Wir gingen zur Via Veneto, der Prachtstrasse Roms, und<br />

tranken Kaffee im Café de Paris. Er war teuer aber gut.<br />

„Hier will ich öfter hin, diese Strasse gefällt mir, sie erinnert<br />

mich an mein Viertel in Paris“, sagte Lucie. Wir<br />

wussten dann noch nicht, dass die Via Veneto unsere<br />

zweite Heimat werden sollte. „Wir suchen uns hier in<br />

der Nähe etwas zum wohnen, von den Hippies haben<br />

wir doch genug gehabt“, schlug Lucie vor. „So viel teurer<br />

kann das doch auch nicht sein, wir finden sicher eine<br />

kleine Pension“.<br />

Wir gingen auf die Suche in den kleineren Strassen um<br />

die Via Veneto herum. Wir fanden einige Pensionen, die<br />

aber noch zu kostspielig waren. Bis wir in ein Haus mit<br />

einem Stern an der Türe kamen, das sich „Pinocchio“<br />

nannte. Wir traten ein, und erkundigten uns nach Preisen.<br />

„Das kommt darauf an, wie lange sie hier bleiben<br />

möchten“, informierte uns die Wirtin des Hauses, eine<br />

freundlich blickende, kleine Frau. „Mindestens einen<br />

Monat“, sagte ich sofort, und wir einigten uns auf einen<br />

sehr resonablen Preis. Wenn man sich für einen Monat<br />

einmietete, bekam man günstige Zimmer, das hatte ich<br />

auf Reisen gelernt.<br />

Wir fuhren erfreut mit einem Bus zurück in unsere Pension,<br />

packten den von mir mit bösen Blicken betrachteten<br />

roten Koffer, ich schleppte ihn erneut in ein Taxi, wir<br />

298<br />

machten uns auf in eine neue Welt, zogen in die Pension<br />

Pinocchio.<br />

Wir bekamen ein sehr schönes großes helles Zimmer<br />

mit Bad und Dusche, Lucie freute sich über das vorhandene


Bidet, wir richteten uns ein. Durch´s große Fenster<br />

hatten wir Blick auf schöne saubere Häuser, und sahen<br />

zudem ein kleines Stück der Via Veneto, wenn wir uns<br />

nach rechts ein wenig aus dem Fenster lehnten. Wir waren<br />

angekommen. Piazza Espagnia geriet zusehends in<br />

Vergessenheit. Hier war ein Flair von Schönheit, die unbedingt<br />

zu Rom gehörte.<br />

So wie ich mittlerweile entwickelt war, passte ich besser<br />

in diese Gegend, der Rest war längst Vergangenheit und<br />

nur noch Nostalgie. Ich war nie Nostalgiker, dafür war<br />

ich sicher zu jung, schaute stets nach vorne. Aber ich bereute<br />

nichts!<br />

Und dann schon eine große Überraschung. Plakate kündigten<br />

einen Auftritt von Jimi Hendrix in einem großen<br />

Kino an. Sofort schaute ich näher auf ein Plakat, um zu<br />

erfahren, wie wir an Karten kamen. Und wir hatten<br />

Glück. In einem Büro Nähe der Via Veneto erstanden<br />

wir zwei Karten für das Konzert, das in einer Woche<br />

stattfinden sollte. Wir freuten uns beide riesig, Jimi Hendrix<br />

in Rom, als wolle man uns gebührend in der Stadt<br />

begrüßen.<br />

Wir erreichten das Kino zu Fuß, es war nicht weit entfernt<br />

von unserer Bleibe. Eigenartigerweise waren nur<br />

wenig Leute vor dem Filmpalast versammelt, wo waren<br />

die Hendrix Fans?<br />

Wir betraten das Kino, und erlebten einen kaum zur<br />

Hälfte gefüllten Saal. Es mögen 600 Fans gekommen<br />

sein, als Jimi Hendrix die Bühne betrat. Sofort begann er<br />

mit seinem Feuerwerk auf der Gitarre, Mitch Mitchel<br />

trommelte das Schlagzeug fast in Grund und Boden. Es<br />

299<br />

war eine unglaubliche Power, die uns von der Bühne<br />

entgegen schlug, ich hatte wieder Gänsehaut und saß<br />

nicht lange auf meinem Sitz. Auch Lucie war begeistert.<br />

Hendrix war gut wie wir ihn schon in London erlebt<br />

hatten, machte seine Spielchen mit der Gitarre auf dem<br />

Rücken, spielte sie mit seinen Zähnen, und tanzte um<br />

sein kleines Feuer wie ein Indianer.<br />

Leider hatten viele der Italiener überhaupt kein Verständnis<br />

für die Musik des Jimi Hendrix, sie applaudierten<br />

nur wenig, und sprachen laut miteinander zwischen<br />

den einzelnen Stücken des genialen Musikers. Sie verstanden<br />

ihn einfach nicht, wussten Nichts von seiner Vita.<br />

Irgendwann wurde er richtig sauer, und schrie von der<br />

Bühne: „Wenn ihr Spagettifresser nicht bald das Maul<br />

haltet höre ich auf zu spielen, und ziehe weiter. Da gibt´s<br />

´ne Menge Fans in Europa, die auf mich warten“. Er tat<br />

mir richtig leid, und beendete das Konzert auch schon<br />

früh. Wir waren enttäuscht, nicht über Jimi Hendrix,<br />

sondern über die italienischen Zuhörer. Weshalb waren<br />

sie gekommen? Warum hatten sie für das Konzert Eintritt<br />

bezahlt, wenn sie es gar nicht hören wollten? Hendrix<br />

setzte sich sicher einige Schüsse mehr in dieser


Nacht, die ihn dem Tode näher bringen sollten. Ein zu<br />

lange verkanntes Genie in Musik trat zu früh von der<br />

Bühne ab. Seine Genialität wurde erst später geschätzt.<br />

Als er für immer gegangen war.<br />

300<br />

Kapitel 35<br />

Nach dem Konzert gingen wir noch über die Via Veneto,<br />

um etwas zu essen. In einer Caféterasse, die fast unbesetzt<br />

war, entdeckte ich, alleine vor einem Drink sitzend,<br />

Horst Frank, einen von mir sehr geschätzten<br />

deutschen Schauspieler. Wir gingen auf seinen Tisch zu,<br />

ich stellte uns vor, als ich deutsch zu ihm sprach, und<br />

vielleicht auch ob der Schönheit meiner Begleitung lud<br />

er uns sehr freundlich ein, ein Glas mit ihm zu trinken.<br />

Ich erzählte ihm von dem traurigen Konzert das wir gerade<br />

erlebt hatten, selbst er kannte Hendrix, und zeigte<br />

absolutes Unverständnis ob der Reaktion der Italiener.<br />

Er erzählte uns, dass er gerade in einem Italowestern, die<br />

zu dieser Zeit in Chinecitta am laufenden Band gedreht<br />

wurden, als Sherrif mitspielte, und großen Spaß in Rom<br />

habe. Er fühlte sich nur manchmal alleine.<br />

„Ich würde gerne in Chinecitta als Figurant, Statist, arbeiten“,<br />

sagte ich ihm, „könnten sie mir einen Tipp geben,<br />

an wen ich mich wenden muss, um eine kleine<br />

Rolle zu bekommen“, fragte ich ihn. „Aber sicher, Typen<br />

wie sie werden gesucht, sie sehen gut aus, haben lange<br />

Haare, sie könnten locker einen wilden Cowboy darstellen“,<br />

sagte er sofort. „Können sie reiten“, fragte er,<br />

worauf ich leider passen musste. „Dann spielen sie einen<br />

Cowboy im Saloon, wird sicher kein Problem“. „Und<br />

für ihre Frau ist bestimmt auch ´was drin, melden sie sich<br />

in Chinecitta im Büro für Kleindarsteller, und fragen sie<br />

nach Frau Bertini“, erklärte er. „Sagen sie ruhig dass ich<br />

sie geschickt habe, sie seien ein Freund von mir, sie ist eine<br />

nette Person, die ich zufällig gut kenne“, füge er hinzu.<br />

„Ich werde morgen sowieso dort sein, und sie avisieren,<br />

das verspreche ich ihnen“.<br />

301<br />

Nun waren wir beide natürlich aufgeregt, und bedankten<br />

uns herzlich. „Wir sehen uns sicher noch“, verabschiedete<br />

sich Herr Frank, und ging einsam in sein Hotel.<br />

„Das war aber ein netter Mann“, sagte Lucie ihm nachschauend,<br />

„und gut sieht er aus“. Ich erzählte ihr, dass<br />

Horst Frank in Deutschland als Schauspieler bekannt<br />

und beliebt war, im Kino sowie im Fernsehen, dass ich<br />

ihn sehr gerne sah. Er war ein Charaktertyp, so einen<br />

gab´s nur einmal, ein solches Gesicht vergaß man nicht.<br />

Als Schauspieler war er in jeder erdenklichen Rolle stets<br />

überzeugend.<br />

Sofort am nächsten Morgen machten wir uns auf nach<br />

Chinecitta, wir konnten kaum erwarten diese weltberühmte<br />

Filmstadt kennen zu lernen, und eventuell Arbeit<br />

zu finden. Mit einem Bus kamen wir direkt bis vor


den großen, rötlich erdfarben gemalten Eingangsbereich,<br />

die gesamte Filmstadt war von einer hohen<br />

gleichfarbigen Mauer umgeben.<br />

„Wir möchten zu Frau Bertini“, meldete ich mich bei<br />

den Pförtnern an, und man bat uns zu warten. „Bitte gehen<br />

sie gleich rechts ins Bürogebäude, Frau Bertini erwartet<br />

sie dort“, teilte man uns nach einem Telefonat<br />

mit.<br />

Herr Frank hatte tatsächlich mit ihr über uns gesprochen,<br />

und sie gebeten, sich um uns zu kümmern. „Gerade<br />

wird ein großes Projekt gedreht, „für eine Handvoll<br />

Dollar“, Clint Eastwood spielt die Hauptrolle“, sagte sie<br />

uns. „Leider ist der Film schon mitten im Dreh, und voll<br />

besetzt, aber ich werde sicher etwas für sie finden“, versprach<br />

sie uns. Dieser Film sollte ein großer Erfolg werden,<br />

und Clint Eastwood weltberühmt machen.<br />

Sie schaute in verschiedene große Bücher, auf Pläne die<br />

in ihrem Büro an den Wänden hingen, teilte uns mit,<br />

302<br />

dass wir am nächsten Tag nochmals vorstellig werden<br />

sollten, sie habe da schon ein paar Ideen, die sie abklären<br />

wolle. Wir könnten uns ja schon mal ein wenig auf dem<br />

Gelände umschauen, nur keine Dreharbeiten stören. Ich<br />

konnte es kaum fassen, wir durften die riesigen Hallen<br />

und Drehgelände von Chinecitta besichtigen.<br />

Ehrfurchtsvoll marschierten wir über das Gelände, und<br />

ich sah ein Schild, das zu dem gerade in Arbeit befindlichen<br />

Western zeigte. Leise gingen wir in die große Halle,<br />

und konnten eine Szene beobachten, in der ein Zugwagon<br />

eine Rolle spielte, von dessen Dach ein Cowboy<br />

durchs Fenster schießen musste, und einen anderen großen<br />

Cowboy tötete, der dann rückwärts in einen sich<br />

drehenden Sessel im Zug fallen musste. Es war ein besonderes<br />

Zugabteil, das extra für irgendwelche Direktoren<br />

der Eisenbahngesellschaft an einen imaginären Zug<br />

angehängt war, wie uns ein Mitarbeiter freundlicherweise<br />

erklärte. Der Zug befand sich in Fahrt, und ich musste<br />

sehr lachen, wie dies dargestellt wurde. Ein fahrender<br />

Zug in einer Halle, und nur die Szene im Abteil sollte<br />

gezeigt werden.<br />

Unter einem an einer Seite völlig offenen Wagon, vor<br />

dem die Kameras aufgestellt waren, wurde der „Zug“<br />

durch Muskelkraft in Bewegung gehalten, unter das Abteil<br />

hatte man dicke Balken gelegt, die von ca. 10 Männern<br />

immer auf und ab gehoben wurden, und so Bewegung<br />

eines Zugs erzeugten.<br />

Es war köstlich anzusehen, der Mann auf dem Dach hielt<br />

seinen Colt auf den im Abteil auch mit Colt bewaffnetem<br />

Mann in perfektem Cowboyoutfit, vor einem<br />

Plüschsessel stehenden, in Richtung Fenster schauenden<br />

Mann gerichtet, und erschoss ihn von oben durchs Fenster.<br />

Nach dem Schuss musste der Mann mit Kraft zurück in<br />

303


den Sessel fliegen, der sich unter der Gewalt des Falls<br />

drehte, seine Arme auseinander schlagen, den Colt fallen<br />

lassen, und tot spielen. Eine Leiche war auf Zeluleud gebannt,<br />

ein toter Cowboy im Zugabteil der Eisenbahndirektion.<br />

Diese Szene wurde sicher 10-mal wiederholt, alles musste<br />

immer neu in Position gebracht werden, ich hätte nie<br />

für möglich gehalten, dass eine solche im Film 10 Sekunden<br />

dauernde Szene so viel Arbeit erforderte. Wir<br />

hatten eine kleine Szene aus dem Film „für eine Handvoll<br />

Dollar“ gesehen, wie wir später erfuhren.<br />

Die Männer an den Balken mussten pumpen und pumpen,<br />

der Zug sollte in Bewegung gehalten werden. Es<br />

war köstlich anzusehen, Lucie und ich wechselten kein<br />

Wort, nur in den Pausen für die Neueinstellungen sahen<br />

wir uns verwundert an und lachten leise. Wir hatten sicher<br />

zwei Stunden in diesem Studio verbracht, die Arbeiten<br />

waren zu interessant. In einer entfernten Ecke der<br />

riesigen Halle wurde ein anderer Film gedreht. Alles war<br />

höchst achtungsvoll zu beobachten.<br />

„Wir werden Schauspieler“, freute sich Lucie, als wir<br />

aus der Halle zurück auf den Weg kamen, und drehte<br />

sich vor Freude im Kreis.<br />

Wir gingen noch in Richtung einer Westernstadtkulisse,<br />

wo auch fleißig gearbeitet wurde, eine wilde Schiesserei<br />

verfeindeter Banden fand vor einem imaginären Saloon<br />

statt. Und Kameras überall, es war wirklich unvorstellbar,<br />

welcher Aufwand notwendig war, Filme zu machen.<br />

Die Filmstadt war wirklich immens großflächig, die Wege<br />

hatten Namen wie Strassen, anders würde man seinen<br />

Drehplatz auch nie finden.<br />

Auf dem Weg zurück zum Ausgang sahen wir von Ferne<br />

ein kleines Bataillon Deutscher Soldaten, die perfekt<br />

in Formation irgendwohin marschierten. Kameras wa-<br />

304<br />

ren nicht auszumachen, aber irgendwo waren sicher<br />

welche, um den Marsch festzuhalten.<br />

Ich war hellauf begeistert, schaute Lucie mit großen Augen<br />

an, „das kann doch alles nicht wahr sein, wir sind<br />

hier beim Film, und dies ist nach Hollywood das bekannteste<br />

Filmstudio der Welt“, rief ich ungläubig.<br />

Durch die Freundlichkeit eines zufällig getroffenen<br />

Deutschen Schauspielers waren wir im Hollywood<br />

Europas gelandet. Danke Horst Frank. R.I.P.<br />

Wir erhielten einen Anruf von Frau Bertini in der Pension,<br />

“Ich hab´schon etwas für Sie Beide, kleine Sachen,<br />

aber es bringt Geld, und sie schnuppern in die Arbeit. Da<br />

wären zwei verschiedene Objekte, in denen sie und auch<br />

ihre Freundin arbeiten könnten“, „kommen sie bitte<br />

morgen gegen neun Uhr ins Büro, dann gebe ich ihnen<br />

die Details“, informierte sie mich sehr engagiert sprechend.<br />

Mit strubbeligem Haar und Gänsehaut auf den Armen<br />

rannte ich hoch in unser Zimmer, Lucie saß mittlerweile<br />

wach im Bett, und ich erzählte ihr die Neuigkeiten.


Unser eigener Film schien anzulaufen, wir spürten Beide<br />

Riesenfreuden, und gingen zur Feier des Tages auf<br />

der Via Veneto im Café de Paris fürstlich frühstücken.<br />

Pünktlich um neun Uhr standen wir am nächsten Morgen<br />

im Büro von Frau Bertini. „Lucie, sie könnten schon<br />

Heute arbeiten wenn sie möchten, wagen sie den<br />

Sprung ins kalte Wasser, und begeben sie sich in die Maske<br />

von Studio 23, ich gebe ihnen einen Plan der Stadt,<br />

sie werden den Weg dann leicht finden. Für sie Herr<br />

Schneider habe ich für morgen Nachmittag eine kleine<br />

Rolle, sie müssten sich die Haare ein wenig schneiden<br />

lassen, nicht zuviel, aber so, dass sie unter ein Matrosenkäppi<br />

passen. Man wird ihre Haare in der Maske hoch-<br />

305<br />

legen, und die Kappe d´raufsetzen“, sagte sie mich fröhlich<br />

anschauend.<br />

Ich konnte es kaum fassen, so schnell hatte diese Frau<br />

uns Arbeit gefunden, ich bedankte mich überschwänglich,<br />

was sie als Italienerin appressieren konnte. Ich ließ<br />

Lucie alleine in Chinecitta zurück, die etwas schüchtern<br />

schaute. „Das wird schon, du bist doch eine starke und<br />

wandlungsfreudige Frau, du hast´s mir schon oft bewiesen“,<br />

machte ich ihr Mut, und mich auf den Weg an die<br />

Piazza d´Espania, ich wollte diesen Tag mit meinen Hippiefreunden<br />

feiern.<br />

Mit zwei Flaschen Chianti, einigen Broten und einem<br />

italienischen Käse begab ich mich auf eine Gruppe von<br />

Hippies zu, stellte die Sachen vor ihnen ab, „Ich habe<br />

hier vor Jahren genau wir ihr gesessen“, erklärte ich den<br />

Blumenkindern, „habe oft Sommernächte in meinem<br />

Schlafsack in der Villa Borghese verbracht“, fügte ich<br />

hinzu.<br />

Sie konnten es kaum glauben, ein junger sauberer Mann<br />

in sauberen Jeans und weißem Hemd über der Hose, die<br />

Stiefel glänzend gewienert, sollte ihr Leben gelebt haben?<br />

Sie wurden schnell warm mit mir, als ich einige<br />

Anektoden aus diesem früheren Leben erzählte, und<br />

wussten, dass ich solche Sachen nicht erfunden haben<br />

konnte. Der Wein und die Speise taten den Rest für einen<br />

schönen Sonnenreichen Tag im Frühling mit guten<br />

Gesprächen auf der spanischen Treppe in Rom 1968.<br />

Am Abend kam Lucie von ihrer ersten Arbeit beim Film<br />

zurück in die Pension. Aufgeregt erzählte sie mir Details<br />

ihrer Tätigkeit, die zum größten Teil aus Warten bestanden<br />

hatte. Man hatte sie zu einer in einem Westernsaloon<br />

herumlungernden Hure gestylt, ihr einen geschnürten<br />

Büstier angepasst, einen langen wallenden<br />

Rock angezogen, der an der Seite bis zur Hüfte ge-<br />

306<br />

schlitzt war, und man so eine Beinbinde aus schwarzer<br />

Seide hervorblitzen sehen konnte.<br />

Sie trug hochhackige Schuhe, und ging mit einer qualmenden<br />

langen Zigarettenspitze in


Einer-, einem kleinen Täschchen an einer Kette in der<br />

anderen Hand langsam von Tisch zu Tisch in einem Saloon,<br />

immer aufreizend lächelnd, und trinkende, Pokerspielende<br />

Cowboys anmachend.<br />

An der Theke spielte sich irgendeine gewalttätige Situation<br />

ab, die in den Kasten musste. Lucie, drei Kolleginnen,<br />

mit denen sie sich schon in der Maske gut verstand,<br />

waren eine reizende Dekoration für die Szene. Man hatte<br />

ihr die Haare hellblond getönt, gelockt, sie behielt die<br />

Frisur, die ihr hervorragend stand, und sie ja glücklicherweise<br />

die nächsten drei Tage noch arbeiten würde. „Ich<br />

war schrecklich bunt geschminkt“, „aber die blonden<br />

Haare stehen mir gut, auch wenn es gewöhnungsbedürftig<br />

ist“, fügte sie hinzu. Ich konnte ihr nur beipflichten,<br />

ich fand sie noch schöner in blond.<br />

Knallrote Lippen, einen schwarzen Punkt auf gebräunter<br />

Wange, ich stellte mir dieses Bild von ihr schön vor, hätte<br />

sie gerne selbst so gesehen. Vielleicht würden wir den<br />

Film ja irgendwann anschauen können. Sie bekam 150 $<br />

pro Tag ausbezahlt, sehr gutes Geld für meistens auf Einstellungen<br />

warten. Die Tage hatten jedoch stets zwölf<br />

Stunden Minimum, konnten sich auch verlängern.<br />

Zwei Tage später war auch ich an der reihe. Ich sollte<br />

nach Mittag gegen 14 Uhr im Büro von Frau Bertini<br />

sein, wo sie mir den amerikanischen Regisseur Michael<br />

Anderson vorstellte. „Herr Anderson dreht einen großen<br />

Film mit Antony Quinn und Laurence Oliver in den<br />

Hauptrollen, „The Shoes of the Fisherman“, in dem sie<br />

eine kleine Rolle spielen können“, erklärte sie mir.<br />

Michael Anderson nickte ihr zu, gab mir die Hand, „my<br />

307<br />

plesure, Eric, I´m Michael, see you at the Set“, sagte er<br />

freundlich, und eilte davon. „Das wird ein Knüller“, sagte<br />

Frau Bertini, „Mr. Quinn und Mr. Olivier sind zum<br />

ersten Mal in Chinecitta zum drehen, der Film soll noch<br />

in diesem Jahr erscheinen, alles ist sehr aufregend“.<br />

Der Film handelte von einem Kardinal aus einer kleinen<br />

Stadt im Ostblock, der unter dem russischen Premier<br />

Jahre in Gefängnissen und im Gulag verbringen musste,<br />

und nun zum Pabst gewählt werden sollte, den Westen<br />

nur wenig kannte, Zweifel am Katholizismus in sich aufkommen<br />

sah, und äußerst nachdenklich und kritisch<br />

wurde. Er konnte sich mit seiner neuen Rolle nur<br />

schwer anfreunden.<br />

Der Film wurde nach der Vorlage eines Romans von<br />

Morris West aus dem Jahre 1963, als er ein Nr.1 Bestseller<br />

wurde, gedreht.<br />

Meine Szene war nur kurz, im Film dauerte sie ca. Zehn<br />

Sekunden. Der Aufwand jedoch war sehr groß.<br />

Der Pabst, Antony Quinn, hatte sich ohne Wachen und<br />

andere Begleiter, die ihn permanent umgaben, alleine<br />

aus einer kleinen Hintertüre des Petersdoms geschlichen,<br />

um seinen persönlichen Gedanken nachgehen zu


können.<br />

Die Kameras waren so eingestellt, dass sie den Tiber, eine<br />

Brücke, und die dahinter liegende<br />

mächtige runde Engelsburg, hinter der die Sonne langsam<br />

unterging, und ein fantastisches Farbenspiel an den<br />

Himmel malte, einfangen konnten.<br />

Vor dieser Szenerie sollte der Pabst in Gedanken versunken<br />

vorbeigehen, ich mit einem Kollegen als Matrose<br />

gekleidet ihm auf dem Gehweg von gegenüber begegnen,<br />

kurz aufschauen, und weitergehen. Das war´s, das<br />

war meine erste Rolle beim Film mit meinem ersten Arbeitskollegen<br />

und Filmpartner Antony Quinn.<br />

308<br />

Die Arbeiten und Vorbereitungen dauerten vier Stunden,<br />

als die Sonne richtig stand gab der Regisseur das<br />

Zeichen, „Roll“. Die Szene wurde drei Mal wiederholt,<br />

dann war sie im Kasten. Länger hätte es auch nicht dauern<br />

dürfen, denn sonst wäre das Farbenspiel der Sonne<br />

vorbei gewesen.<br />

Die Dreharbeiten selbst dauerten eine halbe Stunde, so<br />

lange war man sicher, dass sich der Himmel nicht verändern<br />

würde. Bis es jedoch soweit war, warteten Alle ca.<br />

drei Stunden, um auch wirklich den rechten Moment<br />

abzupassen. Die Maske war schon vor der Fahrt zum<br />

Drehort fertig gestellt, sie wurde in den kleinen Drehpausen<br />

immer nur leicht korrigiert.<br />

Es war eine kurze, aber sehr beeindruckende „Arbeit“,<br />

die ich nie vergessen sollte. Ich sah den Film später im<br />

Fernsehen, unter dem Titel: „ In den Schuhen des Fischers“<br />

wurde er oft wiederholt, und ich wartete jedes<br />

Mal auf meine zehn Sekunden Auftritt, und war immer<br />

ganz stolz, einen solchen „Arbeitskollegen“ gehabt zu<br />

haben. Der Film selbst war sehr interessant, die erzählte<br />

Geschichte spannend und nachvollziehbar. Leider wurde<br />

er kein wirklicher Kassenschlager.<br />

Selbstverständlich las ich später auch das Buch von Morris<br />

West, das mich beeindruckte. Ich sah dann die Gesichter<br />

der beschriebenen Figuren aus dem Film vor mir.<br />

Dies war der einzig anspruchsvolle Film, in dem ich in<br />

Cinecitta mitgespielt hatte, später kamen in den drei<br />

Monaten unseres Aufenthalts in Rom noch einige Italo-<br />

Western-Cowboyrollen, einmal spielte ich einen Deutschen<br />

Soldaten, auch Lucie arbeitete in einigen Filmen,<br />

wir verdienten gutes Geld, sollten die Filme aber nie sehen,<br />

sie liefen meist in billigen Bahnhofskinos auf der<br />

ganzen Welt, finanzierten sich sicher auch recht gut, waren<br />

aber völlig uninteressant für uns.<br />

309<br />

Die Italo-Western-Welle rollte erfolgreich, und war für<br />

eine kleine Zeit in aller Munde, verlief sich jedoch<br />

schnell im Sande der imaginären Wüstenlandschaften.<br />

Durch die Kontakte in Chinecitta kamen wir auch mit<br />

Leuten zusammen, die Fotoromane machten. In Italien


sehr beliebte Comicartige dünne Bücher, die zumeist eine<br />

Liebesgeschichte erzählten, die aber nicht gezeichnet,<br />

sondern fotografiert wurden. Die Hefte waren voller Fotos<br />

mit Sprechblasen oder Untertiteln. Wir spielten Beide<br />

in vielleicht zehn von diesen Romanen mit, auch das<br />

brachte Spaß und Geld für die hohe Kante, für die geplante<br />

Reise nach Afrika.<br />

310<br />

Kapitel 36<br />

Wir trafen Maximilian, einen hochgewachsenen gut und<br />

elegant aussehenden Deutschen, der im ersten Hotel in<br />

Rom, dem Hotel Exelsior an der Via Veneto eine Hotelfachlehre<br />

machte. Er war etwa in unserem Alter, und sehr<br />

unterhaltsam.<br />

Er wusste dass wir in einer Pension lebten, er hatte einen<br />

Vorschlag zu machen. Zunächst stellte er uns seinen<br />

Freund Emilio vor, einen Italiener, der mit ihm im Exelsior<br />

arbeitete, lernte und auch wohnen musste, falls er<br />

unabdinglich gebraucht wurde. Seine Eltern waren Diplomaten,<br />

die dauernd irgendwo in der Welt Italien vertraten.<br />

Sie hatten in Rom eine riesige Wohnung, die leer<br />

stand, weil wieder einmal alle um den Globus jagten,<br />

und Emilio im Exelsior seine Fachlehre machte.<br />

Emilio kannte unsere Wohnsituation aus Gesprächen mit<br />

Maximilian, er bot uns an, für drei Monate die Wohnung<br />

seiner Eltern kostenlos zu nutzen, sie stand ja eh leer. Wir<br />

waren sofort Feuer und Flamme, umsonst wohnen zu<br />

können, egal wie. So konnten wir unsere Gagen auf die<br />

hohe Kante für die Reise nach Afrika legen.<br />

Der fette Koffer war schnell gepackt, wir verabschiedeten<br />

uns von unsrer geschätzten Wirtin, die es aufs Köstlichste<br />

verstand, uns abends mit Zuppa de Verdure zu<br />

verwöhnen, wir versprachen mindestens einmal wöchentlich<br />

zum essen zu kommen.<br />

Emilio kam mit Maximilian und einem großen Auto,<br />

wir wunderten uns über das Schiff, er war doch nur Hotelfachlehrling,<br />

machten uns aber weiter keine Gedanken.<br />

Der Monsterkoffer wurde in den dafür vorgesehenen<br />

Raum gehievt, Maximilian hatte kein Problem mit<br />

dem schweren Teil, ich bewunderte ihn dafür, und wir<br />

311<br />

fuhren zur Wohnung von Emilio´s Eltern.<br />

Wir erreichten schnell ein sehr nobles Viertel, gar nicht<br />

weit von der Via Veneto entfernt war, und Emilio stoppte<br />

vor einem Zweistöckigen, großen Haus. „So, hier<br />

wär´n wir, ihr könnt einziehen“, gab er uns zu verstehen.<br />

Mein Italienisch hatte fantastische Fortschritte gemacht,<br />

ich lernte täglich automatisch viele Worte hinzu.<br />

Dies beinduckte unsere beiden neuen Freunde, und sie<br />

waren doppelt froh, uns vernünftig italienisch unterzubringen.<br />

Wir betraten das elegant aussehende Haus leicht verwundert<br />

durch einen breiten Eingangsbereich, die<br />

Haustüre war eine Pracht! Eine Etage hoch, und wieder


standen wir vor einer ungewöhnlich breiten Türe, die<br />

Emilio aufschloss. Es gab nur noch eine sehr kleine Türe<br />

auf dem großen Flur, die weit in der rechten Ecke angebracht<br />

war. Es war der Dienstboteneingang.<br />

Also gehörte den Eltern Emilios die gesamte Etage.<br />

Wir betraten einen langen breiten Flur, von dem viele<br />

Türen nach rechts und links führten.<br />

„Ich zeig euch schnell die Wohnung, muss zurück zur<br />

Arbeit, macht es euch überall bequem.<br />

Er führte uns in ein Saalartiges Wohnzimmer, dessen<br />

Holzboden von wunderschönen aus dem Orient, Indien<br />

und Japan, stammenden Teppichen bedeckt war.<br />

Seine Eltern hatten dort überall schon gearbeitet, und<br />

brachten stets besondere Dinge mit, die sehr, sehr teuer<br />

aussahen.<br />

Ein riesiger goldener Buddha stand in einer Ecke, er<br />

leuchtete mich an. Die Möbel waren knapp gehalten,<br />

aber nur antik, fantastisch schön gearbeitet. An den Wänden<br />

hingen viele alte Ölgemälde, dessen Werte ich nicht<br />

zu schätzen wagte.<br />

Und dann eine riesenhafte Sitzlandschaft aus Gründer-<br />

312<br />

zeiten, sehr konservativ, zwei mächtige Sessel, und eine<br />

enorm breite Couch. Die Vorhänge waren dunkelrot<br />

und aus dickem Samt. Trotzdem war viel Platz in diesem<br />

Raum, hier hatten Freigeister gearbeitet, die sich mit<br />

nichts zu sehr Raum nehmen ließen.<br />

Uns beiden stockte der Atem ob all der Pracht in diesem<br />

Raum, wir brachten kein Wort hervor, ich sah Maximilian<br />

freundlich lächeln. Dann betraten wir das Schlafzimmer,<br />

und erneut befanden wir uns in einem übergroßen<br />

Raum.<br />

Das Bettgestell war zwei Mal zwei Meter groß, und<br />

stammte aus dem 17. Jahrhundert, wie uns Emilio erklärte.<br />

Ein riesiger Kleiderschrank aus vergangenen Zeiten<br />

mit vier großen Türen stand an einer Wand. Schöne<br />

kleine Nachttische standen an beiden Seiten des Betts,<br />

auf denen nur samtene Schirmlampen und eine Uhr<br />

standen. Alles passte zu den gleichen samtenen Vorhängen,<br />

die auch die drei Fenster des Wohnzimmers<br />

schmückten. Hier gab´s aber nur zwei Fenster, von einer<br />

Größe, wie ich sie nie zuvor live gesehen hatte.<br />

Wir konnten immer noch kein Wort hervorbringen,<br />

nickten nur wenn Emilio uns Funktionen erklärte. Dann<br />

zeigte er uns noch das Bad, sehr, sehr geräumig, völlig<br />

aus weißem Marmor gearbeitet, mit einer riesigen Badewanne,<br />

und einer ein Liter Flasche Chanel Nr.5, die einsam<br />

auf der marmornen Ablage über den zwei Becken<br />

mit goldenen Hähnen in der Ecke stand.<br />

Ich glaube ich schaute ziemlich doof drein, und hatte<br />

nur noch den Mund offen, Maximilian lachte laut. „Das<br />

gefällt die wohl hier“, sagte er scherzend, und klopfte<br />

mir auf die Schultern.


„Leute, hier ist noch ein Esszimmer“, auch dies war ausladend<br />

groß, in der Mitte stand eine große Holztafel mit<br />

einer zehn Zentimeter dicken dunklen Holzplatte, die<br />

313<br />

von acht Stühlen umgeben war. Ein niedriger breiter<br />

Schrank barg edles Silber. „Nehmt was ihr braucht, und<br />

stellt die gebrauchten Sachen einfach in die Küche, jeden<br />

morgen kommt ein Mädchen zum spülen und putzen“,<br />

bot uns Emilio an, als er die Anrichte öffnete, um<br />

uns die Silberpracht zu zeigen.<br />

Da waren Platten für Fleisch, Platten wie ein großer<br />

Fisch geformt, die wohl für solche bestimmt war, Soßieren<br />

aus solidem Silber, alles glänzend, dass ich fast nichts<br />

anderes mehr erkennen konnte. Diese Wohnung war ein<br />

Palast. „ Wenn ihr noch etwas benötigt, macht dem<br />

Mädchen eine Notiz, sie weis mich zu erreichen“. „Hier<br />

sind die Schlüssel“, er übergab uns sein Reich.<br />

„Sollte ich herkommen müssen, melde ich mich an, bitte<br />

fühlt euch a Casa, zu Hause“, und schon war er durch<br />

die große Türe verschwunden.<br />

„Macht´s euch gemütlich, es ist doch viel besser, wenn<br />

eine solche Wohnung auch bewohnt wird. Ich hab euch<br />

als liebe Menschen kennen gelernt, und deshalb mit<br />

Emilio gesprochen“ sagte Maximilian, und verabschiedete<br />

sich freundlich lächelnd.<br />

„Lucie, wo sind wir hier“ fragte ich ungläubig schauend,<br />

„wir sind zu Hause“, antwortete sie lachend, und nahm<br />

mich in die Arme. Sie war ja schon einiges mehr gewohnt<br />

als ich, aber auch sie hatte noch nie solche Pracht<br />

gesehen. „Wir dürfen wahrhaftig in diesem Luxus leben,<br />

Irgendjemand da oben meint es sehr gut mit uns“, sagte<br />

ich, und zeigte zum Himmel.<br />

Wir liebten uns spontan und schnell auf dem neuen<br />

Bett, die neue große Matratze war wie für uns geschaffen.<br />

Dann ließ ich uns ein Bad mit den guten Salzen angereichert<br />

einlaufen, und wir wuschen uns gegenseitig<br />

ruhig und liebevoll.<br />

314<br />

Dann legten wir uns in das mit frischen weißen Laken<br />

versehende Bett, und schliefen sehr bald tief und fest. Zu<br />

essen hatten wir wohl vergessen, es fehlte uns an nichts.<br />

Als wir aufwachten hatten wir in der Nacht irgendwie<br />

die Arme umeinander geschlungen, wir waren uns an<br />

diesem morgen sehr nah.<br />

Wir küssten uns herzlich, und schauten uns ungläubig in<br />

der neuen Umgebung um. „Eric, ich muss dir etwas sagen“,<br />

sprach Lucie feierlich, „ich glaube ich bin schwanger“,<br />

und sie schaute mir tief in die Augen. „Wie bitte“<br />

erwiderte ich mit weit geöffneten Augen, „schwanger,<br />

bist du, sicher“? „Meine Periode ist abnorm lange ausgeblieben,<br />

ich denke es ist in den österreichischen Bergen<br />

geschehen, wenn ich richtig rechne, oder im Zug,<br />

anders kann es nicht sein“. „Wenn schon, dann in den


Bergen, das ist wenigstens romantisch“, antwortete ich<br />

noch immer ungläubig. „Wir gehen noch heute zu einem<br />

Arzt, das müssen wir genauer wissen, und uns gegebenenfalls<br />

darauf einstellen“, beschloss ich sofort. Ich<br />

hatte mich erstaunlich schnell mit der völlig neuen Situation<br />

abgefunden und fand es fast normal. Ich wunderte<br />

mich über mich selbst.<br />

Ich rief bei Frau Bertini an, der einzigen Frau, die ich in<br />

Rom kannte, die mir sicher helfen konnte. „Lucie<br />

scheint schwanger zu sein, könnten sie mir einen Gynäkologen<br />

empfehlen“, fragte ich sie. „Was, da gratuliere<br />

ich euch aber von Herzen, das ist ja wunderbar“ freute<br />

sie sich. „Ich kann euch eine Adresse geben, aber arbeiten<br />

wollt ihr doch sicher noch“, sagte Frau Bertini, „ich<br />

hab ´was für euch beide für vier Tage, wieder gutes<br />

Geld“. Sie gab mir eine Adresse nicht weit von unserem<br />

Haus, ich hatte ihr unseren Umzug erklärt, und ihr auch<br />

unsere neue Telefonnummer gegeben.<br />

Also machten wir uns auf zum Onkel Doktor, der sehr<br />

315<br />

schnell Lucies Verdacht bestätigen konnte. Wir bekamen<br />

ein Kind. Lucie zeigte sich glücklich, ich wusste noch<br />

nicht genau, wo ich ein Kind auf meiner Reise hinstekken<br />

sollte, fand aber nichts Verwerfliches an der neuen<br />

Situation. Dies war unser einziger Arztbesuch während<br />

der gesamten Schwangerschaft.<br />

Schnell hatten wir uns in der neuen Wohnung eingerichtet,<br />

den verdammten Koffer ausgepackt, und Kleider<br />

in dem ziemlich leeren Kleiderschrank untergebracht.<br />

Und wahrhaftig, jeden morgen kam eine junge Frau,<br />

schwarz gekleidet, mit kleinem weißen Schürzchen und<br />

Häubchen im schwarzen Haar, reinigte das Geschirr, das<br />

Bad, die Küche, wollte sogar unsere Betten herrichten,<br />

was wir aber ablehnten. Schließlich wussten wir nie wie<br />

lange wir schlafen würden. Wenn wir früh nach Cinecitta<br />

fuhren, waren am Abend trotzdem die Betten gemacht.<br />

Wir hatten´s wahrhaftig gut getroffen.<br />

Ich fand ein dickes Buch in deutscher Sprache, eine Biographie<br />

über Michelangelo, „Inferno und Extase“, von<br />

Irving Stone. Lucie hatte sich einige Bücher für dir Reise<br />

mitgenommen, ich hatte nie welche besessen, kaufte<br />

mir immer Spiegel und Stern. Wir lagen oft abends im<br />

Bett und lasen, das Ausgehen hatten wir zunächst eingestellt,<br />

es gab keinen Grund dazu. Wir fühlten uns in der<br />

wunderbaren Wohnung sehr wohl.<br />

So begann ich das dicke Buch zu lesen, war sehr schnell<br />

am Leben des Michelangelo interessiert. Das Buch war<br />

gut zu lesen, ich hatte es jeden Abend in der Hand, wenn<br />

wir uns nicht zu lange liebten, und Orangen schälten.<br />

Wir hatten uns angewöhnt nach der Liebe Orangen zu<br />

essen, das tat uns sehr gut, und es machte Spaß mit den<br />

Schalen zu spielen, oder uns die saftigen Stücke gegenseitig<br />

in den Mund zu schieben.


Michelangelo begeisterte mich zusehends, zumal ich in<br />

316<br />

der Nähe vieler seiner Arbeiten war. Wenn er eine Statue<br />

geschaffen hatte, rannte ich am nächsten morgen<br />

zum Petersdom, um mir die Kunst zu betrachten, anzufassen.<br />

Es war ein unglaubliches völlig neues Gefühl für<br />

mich zu lesen wie Kunstwerke entstanden waren, und<br />

sie dann mit eigenen Augen sehen und anfassen zu können.<br />

Fasziniert stand ich eines Morgens vor der Pieta,<br />

diese enorme Statue, fein gearbeitet, ausdrucksvoll und<br />

die Glätte des Marmors empfand ich wundergleich, wie<br />

konnte der Meister aus riesigen rohen sehr harten Marmorblöcken,<br />

die mit enormem Aufwand gebrochen,<br />

und hunderte Kilometer transportiert werden mussten,<br />

solche Skulpturen schaffen.<br />

Es war unbegreiflich für mich, obwohl ich sie streicheln<br />

konnte. Als ich irgendwann vor dem fast fünf Meter hohen<br />

David stand versank ich in Ehrfurcht, streichelte seine<br />

großen Füße. Es waren zwar dicke Kordeln als Begrenzung<br />

um die Skulpturen gespannt, die ich nicht<br />

respektierte, ich musste diese Arbeiten mit meinen Händen<br />

berühren.<br />

So kroch ich immer unter den Kordeln durch, checkend<br />

ob ein Wächter in der Nähe war, und legte mich fast auf<br />

die Marmorgebilde.<br />

Als ich las wie der Meister den Auftrag bekam, die Kuppel<br />

des Doms zu bemalen war ich nicht zu halten, ich<br />

stand unter den Fresken, und versuchte mir vorzustellen,<br />

wie Michelangelo mit seinen Jüngern auf primitiven<br />

Holzgestellen liegend die Decke bemalten. Es hatten<br />

sich ja auch einige schwere Unglücke zugetragen. Ich<br />

sah die Szenerie plastisch vor mir, wie sie im Buch beschrieben<br />

war. Ich hatte die Arbeiten ja schon früher gesehen,<br />

nie aber geahnt, oder mir Gedanken gemacht, wie<br />

sie entstanden waren. Dies erfuhr ich erst durch das<br />

Buch.<br />

317<br />

Ich liebte die Lektüre, Lucie musste mich für lange Zeit<br />

mit Michelangelo teilen, sie freute sich sehr ob meiner<br />

Begeisterung für Kultur.<br />

Dieses Buch, und die damit verbundenen Besichtigungen<br />

öffneten mein Herz endlich für Kunst und Kultur,<br />

von da ab sah ich viele Dinge anders, besuchte auch Museen<br />

und Ausstellungen von jüngeren Kunstwerken.<br />

Für Lucie war dies schon lange selbstverständlich, ihre<br />

Mutter hatte ihre Töchter schon früh auf kulturelles Leben<br />

aufmerksam gemacht. Ich nahm das Buch immer<br />

wieder zur Hand, las es sicher drei Mal in der Zeit in<br />

Rom, und konnte mich immer neu begeistern.<br />

Natürlich ließ ich Lucie an meinen Entdeckungen teilhaben,<br />

oft besuchten wir den Petersdom, und ich erklärte<br />

ihr wie und für wen mache Arbeiten geschaffen worden<br />

waren. Sie zeigte die gleiche Begeisterung wie ich,


wir hatten ein schönes Gebiet gefunden, das wir teilen<br />

konnten.<br />

Die Arbeiten für Frau Bertini wurden rarer, es war auch<br />

langsam Zeit, uns für den Trip nach Afrika vorzubereiten.<br />

Wir hatten drei wunderbare Monate in einer fantastischen<br />

Wohnung in Rom verbringen dürfen, viel gesehen,<br />

Geld mit leichter, sehr interessanter Arbeit verdient,<br />

und mein Italienisch war fast perfekt geworden, was natürlich<br />

half Einheimische besser kennen zu lernen. Wir<br />

wurden oft eingeladen, hatten uns viele Freunde gemacht.<br />

Einen einzigen Discothekenbesuch hatten wir gemacht,<br />

wir wollten ´mal sehen, wie die Italiener nachts in Clubs<br />

feierten. Das „Oasis“ war der angesagteste Club in Rom,<br />

hier verkehrte die Chiceria. Wir waren viel zu früh für<br />

den Club, es war absolut nichts los. Nur ein Mann stand<br />

an der gedunkelten Theke. Wir hatten uns an einen<br />

318<br />

Tisch gesetzt, um ein wenig Musik zu hören.<br />

Schon bald konnte ich feststellen, wie Herr Omar Sharif,<br />

der Thekenbesetzer und Film Superstar, meine Lucie<br />

aus der Ferne anzubaggern versuchte, gab ihr kleine Zeichen,<br />

kniff ein Auge zu, bestellte nur ihr ein Glas<br />

Champagner für unseren Tisch.<br />

Der dachte wohl er könne mir mal locker die Frau ausspannen,<br />

weil er ein Star war. Lucie ließ den Champagner<br />

zurückgehen, ohne dass ich sie dazu aufforderte,<br />

und bat mich den Club zu verlassen. Die Musik war sowieso<br />

beschissen, hätte sie meinen Ansprüchen genügt<br />

wäre ich geblieben, Sharif hin Sharif her, ich war mir<br />

meiner Lucie sicher. Also zahlte ich, und wir verschwanden<br />

aus dem langweiligen Club. Lucie machte Omar<br />

Sharif eine lange Nase mit ihrem Daumen, und lachte.<br />

Das hatte der sicher noch nicht erlebt, und ich war stolz<br />

wie Agah Khan.<br />

Wir vereinbarten ein Treffen mit Maximilian und Emilio<br />

im Exelsior, um uns bei den Beiden für ihre Herzlichkeit<br />

und große Hilfe mit einer Flasche Champagner<br />

zu bedanken. Leider durften sie nicht mit Gästen zusammen<br />

sitzen, so verlegten wir das Treffen ins Café de Paris,<br />

wo wir uns immer aufhielten, wenn wir ausgingen.<br />

So trafen wir uns abends mit dem beiden, bestellten den<br />

Champagner, was ihnen unangenehm war, weil die Flasche<br />

teuer war, aber wir bestanden darauf. Wir bedanken<br />

uns sehr herzlich für diese großartige Gastfreundschaft.<br />

„Ach was“, sagte Emilio, „das war selbstverständlich.<br />

Warum solltet ihr Miete in einer kleinen Pension bezahlen,<br />

wenn ich die Möglichkeit hatte, euch unterzubringen.<br />

Es war sehr gut dass die Wohnung endlich wieder<br />

bewohnt war, bald kommen meine Eltern zurück, dann<br />

ist neues Leben darin. Und eure Geister auch“, sagte er<br />

319<br />

lachend.<br />

„Wie kommt ihr den jetzt nach Paris, dort fährt doch im


Moment kein Zug hin, ihr wisst sicher von den Unruhen<br />

in der Stadt“, fragte Maximilian. „Übermorgen geht<br />

der erste Zug, die Lage scheint sich beruhigt zu haben,<br />

und der Verkehr wird sich normalisieren“, antwortete<br />

ich. „Sonst wären wir schon eine Woche früher gefahren“.<br />

„Hattet ihr denn gut zu tun in Cinecitta“, erkundigten<br />

sich die Beiden, und wir erzählten ihnen, dass wir<br />

durch Frau Bertini, der wir auch schon einen Tag früher<br />

Blumen zum Dank gebracht hatten, die uns umarmte,<br />

und Glück mit dem kommenden Baby wünschte, gut<br />

verdient hatten, unser Konto solide gefüllt war. „Herzlichen<br />

Glückwunsch zur Schwangerschaft, wünschten die<br />

Beiden, als sie davon erfuhren. „Dich kann ich mir noch<br />

nicht als Vater vorstellen“, lachte Emilio, „sicher wirst du<br />

diese Rolle auch meistern“, fügte er hinzu. „Lucie als<br />

Mutter zu sehen ist nicht problematisch für mich“, erwähnte<br />

Maximilian auch, „aber du als Vater, ich bin gespannt,<br />

wir werden ja wohl in Verbindung bleiben“. Die<br />

Beiden gaben uns Visitenkarten, wir gaben die Adressen<br />

unserer Eltern.<br />

„Wollt ihr denn trotzdem nach Afrika“, fragte Maximilian,<br />

und ich bejahte seine Frage. „Ich sehe da keine Probleme“,<br />

sagte Lucie, ich will unbedingt die Reise antreten.<br />

Ich freue mich schon so lange darauf“.<br />

Wir umarmten uns sehr herzlich, küssten uns alle auf die<br />

Wangen, und verabschiedeten uns endgültig, auch von<br />

Rom. „Werft die Schlüssel in den Briefkasten, das Mädchen<br />

wird sie mir zukommen lassen“, sagte Emilio beim<br />

Fortgehen. Noch ein Winken, die Beiden begaben sich<br />

auf den Weg in das das nahe gelegene Hotel, wir uns auf<br />

den Weg nach Hause.<br />

320<br />

Kapitel 37<br />

Wir ereichten am nächsten Morgen die Statione Termini,<br />

den Römischen Bahnhof, und nahmen den ersten<br />

Zug nach Paris, der nach den Unruhen in Frankreich<br />

wieder fuhr. Daniel Cohn Bendit, ein in Südfrankreich<br />

geborener Deutsch- Franzose, hatte in Paris als übereifriger<br />

Agitator dafür gesorgt, dass ab dem 3. Mai 1968<br />

Straßenschlachten von Studenten und Arbeitern in Paris<br />

begannen, ein Generalstreik ausgerufen wurde, die Stadt<br />

brannte.<br />

„Dany le Rouge“, wie er genannt wurde, immer nur im<br />

Hintergrund mit einem Megaphon hetzte, nie selbst an<br />

der Front war, ging später den Weg durch die Instanzen,<br />

wurde grüner Politiker, und endete als Abgeordneter der<br />

Deutschen Grünen im Europarat in Brüssel, entpuppte<br />

sich schnell als absoluter Egomane.<br />

Als wir in Paris ankamen, sahen wir noch verbrannte<br />

Autos auf Strassen, entwurzelte Bäume und aufgerissene<br />

Boulevards. Wir waren geschockt über das Bild, das sich<br />

uns bot, in Rom hatten wir die Maiunruhen nur am<br />

Rande mitbekommen, ich hatte lediglich in meinen


Zeitungen darüber gelesen, mir aber nicht vorstellen<br />

können, dass die Schlachten solche Ausmaasse genommen<br />

hatten. Wir waren geschockt.<br />

Wir nahmen ein Taxi, was sich uns auf dem Weg in ein<br />

kleines Hotel im Viertel von Lucie´s Mutter darbot war<br />

nur schwer zu ertragen, die gesamte Stadt hatte schwer<br />

gelitten, die Aufräumungsarbeiten hatten gerade erst begonnen.<br />

Der Taxifahrer verfluchte Cohn-Bendit und<br />

seine Genossen, er hatte starke Verluste seines Einkommens<br />

während der drei Wochen anhaltenden Unruhen<br />

in Paris hinnehmen müssen. Und geändert hatte sich<br />

321<br />

nichts, alles war von Polizei niedergeknüppelt, und von<br />

der Politik als Nichtigkeit behandelt worden.<br />

Wir mieteten ein Zimmer, und begannen schnell, uns<br />

auf die Reise nach Afrika vorzubereiten. Wir besuchten<br />

Marguerite, Lucie´s Mutter, eine äußerst liebenswerte<br />

kleine Frau, die ich nun endlich kennen lernen wollte.<br />

Sie empfing mich sehr freundlich, gab mir gleich ein positives<br />

Gefühl, akzeptierte mich ohne wenn und aber als<br />

Lebensgefährten ihrer Tochter. Wir sagten ihr nicht, dass<br />

Lucie schwanger war, Marguerite war eine hoch moralische<br />

Person. Sie arbeitete als Lektorin in einem Verlag<br />

für wissenschaftliche Bücher.<br />

Bei ihr deponierten wir unsere Wintersachen, und der<br />

rote Riesenkoffer wurde ein klein wenig leichter. Er war<br />

immer noch monströs, ich konnte mich mit dem Ding<br />

einfach nicht anfreunden, er hatte mich schon viel Kraft<br />

gekostet, und jetzt sollte ich das Teil nach Afrika schleppen.<br />

Ich schaute es immer wieder böse an, während Lucie<br />

unsere Kleider einpackte. Glücklicherweise packten<br />

wir nur leichte Sommerkleidung ein, für Notfälle nahm<br />

Lucie für sich einen kleinen Mantel mit, ich meine Lederjacke.<br />

Schließlich sollte es durch die Wüste gehen.<br />

Anfang Juni war es dann soweit, nach einem Telefonat<br />

verabredeten wir uns mit Frank und Nancie in Paris, wo<br />

die Reise starten sollte. Freudig begrüßten wir uns in<br />

dem verabredeten Bahnhofscafé am Gare de Lyon, Nancy<br />

war ziemlich bepackt, Frank trug eine größere Reisetasche.<br />

„Allors, On y vas“, also geht´s los, beschloss Frank, wir<br />

nahmen den nächsten Zug über Lyon, Bordeaux nach<br />

Madrid. Von Madrid sollten wir nach Algeciras an der<br />

südlichsten Mittelmeerküste von Spanien fahren, wo wir<br />

eine Fähre nach Tanger besteigen wollten.<br />

322<br />

In Madrid hatten wir einen ganzen Tag Aufenthalt bis<br />

zum Anschluss nach Algeciras.<br />

Wir gingen in ein billiges Kino, in dem, man den ganzen<br />

Tag bleiben konnte, wollten dort die Wartezeit verschlafen.<br />

Es lief, na was wohl, ein billiger Western, leider<br />

keiner, in dem wir mitgespielt hatten. Egal, wir klemmten<br />

uns in die Sitze, machten es uns so gut es ging gemütlich,<br />

und schliefen ein wenig. Nur bei jeder Ballerei


schreckte ich vom Sitz erschrocken vom Sitz hoch, bis<br />

ich merkte, dass ich im Kino war. Die anderen schliefen<br />

wie die Engel. Auch ich gewöhnte mich an das Geknalle,<br />

und konnte mich einigermaßen ausruhen. Es ging<br />

nur darum Zeit totzuschlagen, bis wir endlich wieder in<br />

einem Zugabteil sitzen durften, und wir weiter Richtung<br />

Afrika weiter reisen konnten. Mein Reisefieber war<br />

einmal wieder auf dem Siedepunkt.<br />

Vom Madrider Bahnhof Atocha ging die Reise um<br />

19.30 Uhr endlich weiter, wir bezogen ein Abteil, das<br />

wir über die gesamte Distanz für uns hatten. Es gab ´ne<br />

Menge zu erzählen, als die Beiden aus Brüssel unsere<br />

Storys aus Rom hörten hingen sie ungläubig an unseren<br />

Lippen.<br />

Die Beiden hatten während dieser Zeit Vorlesungen besucht,<br />

bis die Ferien begannen, ab dann für ein Semester<br />

„ausgecheckt“.<br />

Wir betrachteten die vorbeirauschenden spanischen<br />

Landschaften, und entdeckten viel Interessantes. Die<br />

Reise war äussest angenehm, und für die vielen Kilometer<br />

schnell geschafft.<br />

In Algecieras angekommen, spürten wir schon einen<br />

hauch von Orient, als wir dann den Hafen, und unsere<br />

Fähre nach Tanger sahen, glaubten wir uns in einer anderen<br />

Welt, obwohl wir uns noch stets in Spanien befanden.<br />

323<br />

Hunderte mit Kaftans und Turbanen gekleidete Männer<br />

liefen geschäftig im gesamten Hafengebiet herum, ich<br />

sah zum ersten Mal verschleierte Frauen, es war die totale<br />

Fantasie, was würde uns erst auf der anderen Seite<br />

der Straße von Gibraltar erwarten? man konnte das<br />

Riff-Gebirge Marokkos schemenhaft von der spanischen<br />

Seite der Straße von Gibraltar erkennen, die marrokanische<br />

Küste lag zum Greifen nah.<br />

Wir erstanden Tickets für kleines Geld, und begaben uns<br />

zur Gangway der Riesenbarakasse. Nun waren wir wirklich<br />

in einer fremden Welt. Das Schiff war zu neunzig<br />

Prozent mit Arabern und Afrikanern besetzt, bunte Kaftans,<br />

lange Kleider und orientalische Kopfbedeckungen,<br />

Turbane und kleine runde rote Hüte mit einem schwarzen<br />

Bommel auf der oberen Mitte beherrschten die Szenerie.<br />

Es waren nur wenige Europäer an Bord. Die Marokkaner<br />

hatten alle viel Gepäck unter und auf den<br />

Schultern, große Säcke oder Plastiktaschen aus China in<br />

Händen. Sie trugen soviel Güter aus Europa nach Afrika,<br />

wie sie nur schleppen konnten, um sie auf dem anderen<br />

Kontinent zu handeln.<br />

Die Toiletten waren eine einzige Katastrophe, die Schüsseln<br />

liefen über von Exkrementen und Erbrochenem.<br />

Zum Glück dauerte die Reise nur wenige Stunden, wir<br />

verkniffen uns jede Art von Ausflüssen. Der gesamte Seelenverkäufer<br />

war für unsere Verhältnisse schier unerträglich,<br />

wir waren froh, als wir den Pott in Tanger verlassen


konnten. Fürs Erste war uns die Seefahrt gründlich verdorben.<br />

324<br />

Kapitel 38<br />

In Tanger warteten hunderte von Marokkanern und andere<br />

Araber auf die Brüder, Schwestern und Neffen, ungeduldig<br />

zu sehen, was diesmal aus Europa mitgebracht<br />

worden war. Wir gingen völlig in der Masse von Orientalen<br />

unter, kämpften uns den Weg frei zum Bahnhof.<br />

Auf dem Weg dorthin bekamen wir von allen Seiten Angebote,<br />

„Hasch kaufen“, hörten wir oft, winkten immer<br />

ab. Aber die Typen rückten uns fast auf die Pelle, wir<br />

mussten Viele mit den Händen von uns abstreifen, von<br />

den geilen Blicken auf die Frauen, und die frechen Versuche<br />

sie zu betatschen ganz zu Schweigen. Und den<br />

verfluchten roten Riesenkoffer schleppend war das alles<br />

nicht einfach zu bewerkstelligen.<br />

Wir wollten zum „Marrakesch Express“, der uns nach<br />

Casablanca bringen sollte. Über diesen Zug hatten Crosby,<br />

Stills, Nash and Young einen schönen Song geschrieben,<br />

an den ich mich natürlich gerne erinnerte.<br />

Dann bestiegen wir diese legendäre Eisenbahn, fanden<br />

Platz, und freuten uns darauf, neue Landschaften und<br />

Orte fremder Kultur zu sehen. Wir waren so ziemlich<br />

die einzigen Europäer im Express.<br />

Ich hatte mir auf langen Bahnreisen angewöhnt, durch<br />

die Gänge der Waggons zu laufen, um mir die Reisenden<br />

anzuschau´n, ich liebte es Menschen zu beobachten,<br />

was im Marakesch Express besonders interessant und<br />

fremdartig war. Irgendwann kam ich zwischen zwei Wagen<br />

an einer auf dem Boden hockenden Gestalt vorbei,<br />

die mich an der Hose zog, und mir eine lange dünne<br />

Pfeife mit einem kleinen Tonkopf entgegenhielt. Ich<br />

wusste sofort was ich hier bekam, und da ich Niemanden<br />

anderes sah, nahm ich das Angebot an, und zog kräf-<br />

325<br />

tig an dem Ding. Kaum hatte ich die Pfeife zurückgegeben,<br />

war sie neu gefüllt, ich sollte noch mal rauchen, was<br />

ich gerne tat.<br />

Völlig bekifft kam ich mit einem breiten Grinsen zurück<br />

in unser Abteil.<br />

„Was gibt´s zu lachen“, fragte mich Frank, ich erzählte<br />

meinen Reisegefährten leise von meiner Begegnung der<br />

anderen Art.<br />

„Aha, und mich hast du vergessen“, versuchte Frank sich<br />

lachend zu beschweren, ich schickte ihn auf den Weg<br />

durch den Zug. „Hab niemand gefunden“, kam er ärgerlich<br />

zurück. „Der frühe Vogel fängt den Wurm“,<br />

konnte ich nur antworten, das Grinsen wollte mir nicht<br />

aus den Gesichtszügen weichen, ich fühlte mich großartig.<br />

Lucie lehnte sich gegen mich und flüsterte ängstlich:<br />

„ Sei bitte vorsichtig, es ist schierer Leichtsinn schon<br />

jetzt damit anzufangen, wenn dich jemand beobachtet“.<br />

„Hab alles im Auge Cherie“, antwortete ich sehr selbstsicher


und völlig bekifft.<br />

Die Landschaft war faszinierend zu sehen, Berge und Täler<br />

teilten sich die Strecke mit Wüstenartigen Gebieten,<br />

kleine nie gesehene, völlig fremd aussehende Dörfer<br />

kreuzten unseren Weg. Auf den Trampelpfaden neben<br />

der Bahnstrecke Bauern auf Eseln oder stolze Beduinen<br />

auf Kamelen, in schönste blaue Gewänder gekleidet, die<br />

nur die Augen freiließen, die zumeist mit Sonnenbrillen<br />

verdeckt waren, wir waren angekommen, Europa war<br />

nun sehr weit weg.<br />

Schon bald waren wir fast in Europa zurück, am Bahnhof<br />

von Casablanca erwarteten uns Marokkaner in feinen<br />

Anzügen, zwei Drittel der Menschen waren europäisch<br />

gekleidet. Casablanca entpuppte sich als<br />

europäisiert, wir sahen zwar viele verschleierte Frauen,<br />

die hinter ihren mit bodenlangen Kaftanen mit spitzen<br />

326<br />

Kapuzen gekleideten Männern hertrotteten, ein Großteil<br />

der am Bahnhof befindlichen Menschen trugen<br />

westliche Bekleidung.<br />

Dies änderte sich aber schnell, als wir den Bahnhof verließen,<br />

um ein Taxi zu nehmen. Hier waren die Straßen<br />

von echten Marokkanern bevölkert, die sich nicht verwestlichen<br />

lassen wollten, ihre Kultur stolz zum Ausdruck<br />

brachten. Das freute mich sehr zu sehen, ich wäre<br />

enttäuscht gewesen, hätte es sich anders dargestellt.<br />

Schließlich wollten wir weg aus Europa, Arabien und<br />

Afrika entdecken.<br />

Am Taxistand gab es große amerikanische Autos,<br />

schwarz weiß gestrichen, vielleicht alte Polizeiwagen, die<br />

zu Taxis umfunktioniert waren, und kleine rote „Petit<br />

Taxis“, die nur einen Bruchteil von dem Preis verlangten,<br />

wie die Straßenkreuzer.<br />

Mit all unserem Gepäck mussten wir notgedrungen einen<br />

großen Wagen nehmen, ein Petit Taxi wäre zusammengebrochen.<br />

Wir fragten den Chauffeur, wo es günstige<br />

Pensionen oder Hotel gäbe, er war sehr freundlich,<br />

sicher auch weil er sich schon auf reiche Beute freute. Er<br />

fuhr uns in die Nähe des Boulevards Mohamed 5, der<br />

Prachtstraße von Casablanca, die nach dem regierenden<br />

König Hassan II benannt war. Um sie herum gab es viele<br />

kleine und große Hotels, wir beschlossen uns gleich<br />

die Kleinen anzufahren.<br />

Wir fanden ein hübsches, sauberes Hotel für sehr wenig<br />

Miete, und zogen ein. Wir hatten einige abgecheckt, zu<br />

hohe Preise vorgefunden, oder Schmutz. Alle Zimmer<br />

waren für den Bruchteil des Geldes zu mieten, als in Italien<br />

oder Frankreich.<br />

Lucie, Nancy, Frank und Eric richteten sich auf einen<br />

längeren Aufenthalt in Casablanca ein, in einem Monat<br />

sollte es von Agadir mit LKW´s weiter durch die Sahara<br />

327<br />

in den Tschad gehen.


Die Zimmer waren geräumig, sehr sauber, hatten Bäder<br />

und Duschen, kosteten nach europäischen Gesichtspunkten<br />

Pfennigbeträge. Alle waren zufrieden eingezogen,<br />

und wir trafen uns gegen Abend vor dem Haus, um<br />

nach einem Restaurant Ausschau zu halten. Wir spazierten<br />

über den Boulevard, sahen dort viele westliche Geschäfte,<br />

und begaben uns in Nebenstraßen, wo wir auch<br />

bald ein Restaurant fanden, das nur von Marokkanern<br />

besucht war. Gut besucht war immer ein Zeichen für<br />

gute Küche, also setzten wir uns von den Gästen beobachtet<br />

an einen der wenigen freien Tische.<br />

Sofort kamen zwei Kellner angesprungen, Karaffen Wasser<br />

in Händen, die wir freundlichst ablehnten, wir wollten<br />

bitte Wasser aus der Flasche, man hatte uns gewarnt<br />

offenes Wasser in Afrika zu trinken. „Mais bien sure,<br />

Monsieurs, Dames“, sagten die Kellner, brachten uns sofort<br />

flaches Wasser, (ohne Kohlensäure), in Glasflaschen,<br />

das aus Frankreich stammte, und die Speisekarte. Alle<br />

sprachen perfekt französisch.<br />

Wir wollten KusKus, die marokkanische Nationalspeise.<br />

Hirseartige Unterlage mit viel grob geschnittenem Wurzelgemüse.<br />

Hühner und Hammelfleisch, einem dicken<br />

Klops aus gehacktem Kalbfleisch in Brühe. Die beiden<br />

Kellner brachten schon bald eine riesige Platten mit den<br />

Speisen, stellten sie mitten auf den Tisch, brachten Fladenbrot,<br />

und wünschten und guten Appetit. Frank<br />

kannte sich aus, er zeigte uns, wie wir mit den Fingern<br />

essen sollten, denn Besteck hatte man uns nicht gebracht.<br />

„Ihr nehmt ein Stück Fladenbrot in die rechte<br />

Hand und macht eine Falte. Mit diesem kleinen Stück<br />

gefalteten Brots nehmt ihr die Speisen von der Platte“,<br />

erklärte er uns, und führte es praktisch vor. „Und immer<br />

nur mit der rechten Hand, die linke ist in Arabien<br />

328<br />

und Afrika schmutzig, die Menschen hier haben nur selten<br />

Toilettenpapier, wenn ihr wisst was ich meine“, erklärte<br />

er uns noch lachend.<br />

So versuchten wir die Prozedur zu bewältigen, was sich<br />

als nicht einfach herausstellte. Aber nach einer gewissen<br />

Zeit und Übung hatten wir die Tricks raus, das Fleisch<br />

nahmen wir meist so in die Hand, und das mit dem Fladenbrotbesteck<br />

klappte schließlich auch gut.<br />

Wir wurden Marokkaner, wenn schon, denn schon.<br />

Letztendlich hatten wir einen Riesenspass an dem Essen,<br />

wir lachten viel, wenn uns Hirse aus dem Brot rann,<br />

oder wir versuchten die fettigen Hände zu reinigen. Dafür<br />

lag aber eine große Tuchserviette bereit, die um uns<br />

herum Essenden brauchten so was nicht, sie schleckten<br />

sich die Finger so lange, bis sie sauber waren. Die Servietten<br />

waren für Europäer reserviert. Ich merkte einmal<br />

mehr meine Fähigkeit, mich schnell auf neue Situationen<br />

einzulassen. Den Mädels fiel die Sache ein wenig<br />

schwer, oft steckte ich Lucie ein gutes Stück in den


schönen Mund. Es machte mir einen Heidenspaß, so zu<br />

essen, schon freute ich mich auf kommende Mahlzeiten.<br />

Als wir zu Ende gegessen hatten, waren alle gut gesättigt<br />

und sehr zufrieden. Wir baten um die Rechnung, hatten<br />

am Bahnhof schon Dirham, die marokkanische Währung<br />

eingewechselt. Der Betrag war eine große Überraschung<br />

für uns, umgerechnet hatten wir zu viert für<br />

ca.acht Mark fünfzig gegessen. Ich lud die Gesellschaft<br />

selbstverständlich ein, und gab den freundlichen Kellnern<br />

ein gutes Trinkgeld. Wir wurden mit vielen Dienern<br />

zur Tür begleitet, und fanden zurück auf den Boulevard<br />

„Jetzt Musik“, schlug ich vor, ich wollte sofort sehen, ob<br />

in Casablanca auch meinem zweitgrößten Hobby gefrönt<br />

wurde. Wir sahen eine Leuchtreklame zwischen<br />

329<br />

Geschäften, „Dicocothek“. „Kommt Leute, das schau´n<br />

wir uns an“, schlug ich vor, alle waren einverstanden.<br />

Die Disco hatte einen eigenartigen, für Marokko ungewöhnlichen<br />

Namen, „Roi de la Biere“, König des Biers.<br />

Dabei sollten Moslems doch keinen Alkohol konsumieren,<br />

war von Allah und seinem Gesandten Mohamed<br />

streng verboten.<br />

Wir betraten den Laden, als man und schnell als Europäer<br />

ausmachte, wurden wir zuvorkommend begrüßt, und<br />

ohne Eintritt zahlen zu müssen an einen Tisch geführt.<br />

Das Lokal war gut besucht, ein Großteil der Gäste war<br />

europäisch gekleidet. Auf den ersten Blick machte ich<br />

viele Marokkaner aus, die jedoch vorwiegend französisch<br />

sprachen, arabische Töne hörte ich nur wenig. Hier<br />

war die Haute Volet aus Casablanca zu Gange, ein Gemisch<br />

aus Franzosen und Marokkanern. „So what“,<br />

dachte ich mir, die Musik war zwar nicht sofort mein<br />

Fall, ich liebte es ja rockig, hier wurde schwarze amerikanische<br />

Musik gespielt, James Brown „I feel good“, und<br />

so fühlte ich mich auch, Tina Turner kannte ich, aber<br />

viele andere Musiker, die den gleichen Sound spielten<br />

waren mir völlig unbekannt. Ich gewöhnte mich schnell<br />

an diesen Sound, wir konnten dazu tanzen, es swingte in<br />

dem Laden. Ich war wieder in meinem Element, sah Lucie<br />

freudig lachen, als sie bemerkte, dass ich mich wohl<br />

fühlte. Sie wusste am besten was mir Musik bedeutete,<br />

und ich war in dieser Hinsicht immer für Neues aufgeschlossen.<br />

Selbst die arabische Musik im Taxi zum Hotel<br />

fand ich angenehm, obwohl sie gewöhnungsbedürftig<br />

war. Aber es war halt Musik, und die liebte ich nun in allen<br />

nur möglichen Fassetten.<br />

Nachdem wir gut abgerockt hatten, machten wir uns<br />

satt und müde auf den nur kurzen Weg zurück ins Hotel.<br />

„Tschüss Freunde, es war ein schöner Abend mit<br />

330<br />

Euch“, verabschiedete ich mich von Nancy und Frank,<br />

und verschwand mit meiner schönen Braut im Zimmer.<br />

Nancy und Frank waren ja nur Freunde, schliefen trotzdem


in einem Bett, züchtig, wie Frank mir immer wieder<br />

versicherte.<br />

Bei Lucie und mir ging es ja nun gar nicht züchtig zu,<br />

wir beide fraßen uns gegenseitig fast auf in der ersten<br />

Nacht unter arabischen Sternen. Von Schwangerschaft<br />

war weder etwas zu spüren, noch zu sehen, obwohl<br />

schon einige Monate ins Land gegangen waren. Wir<br />

sprachen auch nie drüber.<br />

Es lebte sich aussserordentlich gut in Casablanca, Tag für<br />

Tag lernten wir neue Plätze, Strassen Cafés und auch<br />

Leute kennen. Wir gaben kaum Geld aus, hier in Marokko<br />

war alles bedeutend preisgünstiger zu haben als in<br />

Europa.<br />

Aus dem Europäischen Teil Casablancas wollten wir hinaus<br />

um den wirklich arabischen Stadtteil der Stadt kennen<br />

zu lernen. Man schickte uns in die „Medina“, dort<br />

fanden wir endlich Marokko pur. Zunächst schritten<br />

wir durch ein hohes sehr breites Tor, schon waren wir im<br />

Orient. Kleine verwinkelte Lehmgassen führten uns vorbei<br />

an Geschäftsleuten, die mit allem Handel trieben,<br />

was man sich im Westen kaum vorstellen konnte. Es gab<br />

sehr viele<br />

Teppichhändler, die nur Berberwahre anboten, Andere<br />

feilschten mit verschiedenen orientalischen Bodenbelägen,<br />

Gewürzhändler die Säckeweise nie gerochene Gewürze<br />

feilboten, Händler für Eisen- und Messingwaren<br />

von prächtiger Schönheit, Gold- und Silberschmuck<br />

wurde an jeder Ecke angeboten, Arbeiten von atemberaubender<br />

Schönheit für wenig Geld. Viele der verschiedenen<br />

Verkaufsartikel kamen von weit her aus den Oasen<br />

der Sahara, oft mit Kamelkarawanen hunderte<br />

331<br />

Kilometer weit von Touareks transportiert, die Sterne,<br />

Sonne und Wind als Wegweiser nutzten, vor der Stadt<br />

Casablanca Rastplätze hatten. Ich freute mich nun noch<br />

mehr über die geplante Reise durch die mich magisch<br />

anziehende Wüste von Afrika.<br />

Es war schier unglaublich, wie enorm sich die Preise hier<br />

von denen in Europa unterschieden. Viele kleine Cafés<br />

und urtypische Restaurants. In einem kleinen, mit einer<br />

Deutschen Imbissbude vergleichbaren Restaurant gab es<br />

„Brochettes“, orientalisch gewürzte Fleischklopse mit<br />

viel Knoblauch und scharfer Soße in einem Brot. Diese<br />

schmeckten mir so gut, dass in der ersten Zeit fast nur<br />

von diesen Dingern lebte, täglich holte ich mir irgendwann<br />

zwischendurch diese köstliche Speise, immer beim<br />

gleichen Händler, Ali, einer der vielen Alis, die wir kennen<br />

lernten, der direkt am Eingang zur Medina seinen<br />

Stand hatte.<br />

332<br />

Kapitel 39<br />

Die Medina war riesig, verschleierte Frauen huschten<br />

schüchtern durch die Gassen, Wohnhäuser aus Lehm


und selbstgebrannten Ziegeln säumten die Gassen. Es<br />

war leicht sich zu verlaufen, was mir Anfangs oft passierte,<br />

wenn ich mich zu tief in die Medina hineinwagte.<br />

Dort suchte ich einen Haschverkäufer. Und bald hatte<br />

ich nach einigem herumfragen, kritischen Blicken der<br />

Gefragten einen Dealer gefunden, der mir mehrere Sorten<br />

von Haschisch anbot. Zunächst kaufte ich leichtes<br />

„Kiff“, Grass, das vom wirklichen Haschisch übrig blieb.<br />

Schon bald wollte ich die besseren Sorten probieren,<br />

und landete beim so genannten „Zero-Zero“, fest in<br />

Platten geprasstes Harz von den Pollen der Haschischpflanze.<br />

Das Zeug haute mich erstmal um, ich musste mehr als<br />

drei Stunden bei Mohamed, meinem neuen Dealer ausharren,<br />

bevor ich mich mit einer kleinen Platte Hasch<br />

zurück auf den Weg ins Hotel machen konnte. Seine<br />

Frau schenkte mir währenddessen immer wieder süßen<br />

Pfefferminztee nach, bis meine Blase fast überfüllt war.<br />

Nach dem Servieren verschwand sie sofort wieder in ihrer<br />

Küche, ihr Gesicht hatte ich nie zu sehen bekommen.<br />

Mit diesem Stoff öffnete sich mein Hirn, was durch Bier<br />

oder Wein stets zugedröhnt wurde. Deshalb trank ich nie<br />

viel, es machte mich dumpf. Hasch beflügelte meine<br />

Fantasie aufs Beste, ich wurde schnell zum Alleinunterhalter<br />

unserer noch kleinen Freundesgruppe, erfand Stories,<br />

die Leute bogen sich vor lachen. Schade dass ich sie<br />

nie niedergeschrieben hatte, ich wurde zu einem echten<br />

„Spacecowboy“, immer mit dem Hirn im All und wie-<br />

333<br />

der zurück auf den afrikanischen Boden.<br />

Lucie freute sich über meine Fantasien, sie profitierte in<br />

jeder Hinsicht davon. Sie sorgte sich nur ein wenig,<br />

wenn ich völlig bekifft mit ihr um die Häuser zog, die<br />

Marrokanische Polizei war immer und überall unterwegs.<br />

König Mohamed 5 hatte sich ein strenges Sicherheitsnetz<br />

über das gesamte Land gespannt, wer drin kleben<br />

blieb hatte mit strengen Strafen zu rechnen. Jede<br />

Regung von Freiheit wurde mit harter Hand sofort im<br />

Keim erstickt. Die schrecklichen Gefängnisse waren mit<br />

armen Leuten überfüllt. Wer Geld hatte konnte sich<br />

leicht freikaufen, Korruption grassierte überall. Aber wer<br />

wollte schon erkennen ob ich bekifft durch die Gegend<br />

zog. Wir Europäer wurden sowieso bevorzugt behandelt,<br />

man ließ uns in Ruhe unsere Devisen unter die Leute<br />

bringen.<br />

Es kam die Zeit, in der wir uns auf den Weg in den<br />

Tschad machen wollten. Frank und Nancy drängelten,<br />

sie wollten endlich nach Agadir und in die Laster durch<br />

die Wüste steigen.<br />

Lucie und ich hatten lange überlegt, ob wir diese Reise<br />

wirklich antreten sollten, sie war mittlerweile im fünften<br />

Monat schwanger, und nicht sicher, ob der Weg durch<br />

die Sahara gut für ihren Zustand sein würde. Man sah ihr<br />

die Schwangerschaft noch immer nicht an, sie hatte ein


minimales Bäuchlein, als hätte sie ein wenig zu viel gegessen.<br />

Sehr verwunderlich und völlig Beschwerdelos.<br />

Wir beschlossen im sicheren Casablanca zu bleiben,<br />

Frank und Nancy hatten volles Verständnis, nach einem<br />

Abschiedsessen machten sich die beiden alleine auf die<br />

Reise nach Schwarzafrika. Wir blieben zurück im Orient,<br />

wo es uns zusehends besser und besser gefiel. Die<br />

Wüste hätte ich gerne durchquert, mit Rücksicht auf<br />

Lucie kämpfte ich erfolgreich gegen ihre Anziehungs-<br />

334<br />

kraft.<br />

Eines Tage wollte ich mir Arbeit zu suchen. Unsere Barschaft<br />

hätte zwar locker für ein weiteres Jahr in Casablanca<br />

ausgereicht, aber ich wollte etwas tun. Wir besuchten<br />

oft das Roi da la Biere, die Diskothek, die wir<br />

schon am Abend unserer Ankunft gefunden hatten. Der<br />

Club hatte Platz für ca. 400 Gäste. Es stellte sich heraus,<br />

dass sie die am besten Besuchte in der Stadt war. Ich hatte<br />

den Besitzer Abou Said gut kennen gelernt, auch einige<br />

seiner Mitarbeiter, die Jobs erledigten, von denen<br />

ich nichts wissen wollte, harte Jungs, aber immer freundlich<br />

zu uns.<br />

Abou Said fragte mich an einem Abend, ob ich Schallplatten<br />

auflegen, und ein Mischpult bedienen könne,<br />

„Das lern ich schnell“, antwortete ich sofort, er wollte<br />

mich als Disc-Jockey einstellen.<br />

Ich erkannte die Chance auf einen guten Job, bei dem<br />

ich mit Musik zu tun haben würde. Abou Said gab mir<br />

eine Chance es zu versuchen.<br />

Der Tag meiner Premiere rückte näher, Lucie fragte sorgenvoll,<br />

ob ich mir das wirklich zutraute. „Logisch Cherie,<br />

das mach ich mit Links“, beruhigte ich sie gleich.<br />

Der vorher beschäftigte Plattenaufleger musste wohl<br />

zum Militär, er erklärte mir, wie die Maschinerie funktionierte.<br />

Ich übte Tagsüber ein wenig mit ihm, hatte<br />

den Bogen schnell raus.<br />

Um 22 Uhr öffnete die Disco, ich war schon um sechs<br />

im Laden hinter dem Mischpult, schaute durch die große<br />

Plattesammlung, testete einige Scheiben die ich nicht<br />

kannte, merkte mir tanzbare Musikstücke, und hatte jede<br />

Menge Lampenfieber, als die ersten Gäste eintrafen.<br />

Ich begann leise, als sich der Laden gefüllt hatte legte ich<br />

richtig los, verstand schnell was die Leute hören wollten,<br />

viele kamen mit Wünschen, und die Sache entwickelte<br />

335<br />

sich hervorragend. Schnell hatte ich raus, wie man Musik<br />

ohne Pausen ineinander übergehen ließ, ich konnte<br />

gut mit dem einfachen Mischpult umgehen. Und ich<br />

wusste was swingte, die Tanzfläche wurde nie leer. Um<br />

drei Uhr morgens war ich geschafft, und die Gäste verließen<br />

langsam den Club. Abou Said kam zu mir, klopfte<br />

mir lachend auf die Schulter und sagte; „ Eric, du hast<br />

den Job“.


Lucie hatte die ganze Nacht in meiner Nähe gesessen,<br />

oft ging sie alleine auf die Tanzfläche, wenn ihr ein Stück<br />

gefiel, und tanzte nur für mich, wie sie mir später im<br />

Bett ins Ohr flüsterte. Ich war geschafft, aber glücklich,<br />

hatte wahrhaftig Arbeit in Casablanca gefunden. „Hier<br />

bleiben wir für immer“, beschloss ich, Lucie hatte nichts<br />

dagegen einzuwenden.<br />

Schnell hatte ich mir Freunde gemacht, die sich dann<br />

immer in der Nähe meines Arbeitsplatzes aufhielten, oft<br />

Musikwünsche äußerten, die ich gerne erfüllte, sobald es<br />

passte. Hauptsache die Leute tanzten, schwitzten und<br />

soffen.<br />

Viele Mädels schauten mich oft verliebt an, einige trauten<br />

sich bald in meine Umgebung, um auch Wünsche zu<br />

äußern, und mich zu bewundern. Ich fand das großartig,<br />

fühlte mich wie der Hahn im Korb. Einige Bordsteinschwalben<br />

hielten sich in der Disco auf, immer auf der<br />

Suche nach Freiern.<br />

Es gab jede Menge Nachtclubs entlang des Strandes von<br />

Casablanca, wo sich die billigen Nuten herumtrieben,<br />

im Roi de la Biere waren die Edelhuren zu Hause, Europäer<br />

fangen, und sich mit Devisen entlohnen lassen.<br />

Bald wurden die Damen auch auf mich aufmerksam, ich<br />

bekam viele Einladungen für Spielchen nach Feierabend.<br />

Ich sagte immer sofort ich sei verheiratet, und<br />

wolle meiner Lucie treu bleiben, „Kannst du doch“, ant-<br />

336<br />

worteten sie nur, „wir spielen ein wenig, ich verwöhne<br />

dich, du bist lieb zu mir, und ich mach dir Geschenke“,<br />

boten sie mir an. Eine völlig hysterische junge Hure verfolgte<br />

mich bis aufs Klo, fiel vor mir auf die Knie und<br />

flehte regelrecht; „ Eric, bitte sei lieb zu mir, ich mach<br />

für dich was immer du möchtest, ich verdiene gut, deine<br />

Frau macht mir nichts aus, nur ab und zu schläfst du<br />

mit mir“.<br />

Ich wusste dass sie eine der guten Freundinnen meines<br />

neu gefundenen Freundes Ariel war, ein arabischer Jude,<br />

der einige Frauen abkassierte. Ein netter Kerl, der sich<br />

gerne mit mir ein Pfeifchen durchzog, immer den besten<br />

Schit anbrachte. Hier lebten Juden und Moslems ohne<br />

die geringsten Schwierigkeiten zusammen. Ich hätte seine<br />

Freundin nie angerührt, obwohl sie eine echte Versuchung<br />

darstellte.<br />

Seit ich in der Disco arbeitete, gab ich kein Geld mehr<br />

für Hasch aus, es kam mir in allen erdenklichen Variationen<br />

zugeflogen. Ich war eine feste Institution im Club<br />

geworden, Abou Said hatte schon zwei Mal meine Gage<br />

erhöht, wenn der Laden brummte gab´s sofort am gleichen<br />

Abend einen Bonus obendrauf. Er ließ sich nicht<br />

lumpen, ich hatte immer die Taschen voller Geld, und<br />

den Schädel voller Dope. Lucie war zufrieden, denn sie<br />

sah gut, dass ich alle Situationen voll im Griff hatte.<br />

„Sollten wir und nicht langsam ´ne Wohnung suchen“,


fragte sie mich eines Tages, ich stimmte sofort ohne<br />

Überlegung zu. Immer nur in dem einen Zimmer im<br />

Hotel zu hocken war langweilig für sie, sie wollte nicht<br />

täglich in den Club.<br />

Also fragte ich unter meinen Freunden herum, und bat<br />

sie um Hilfe bei der Wohnungssuche.<br />

Zwei Tage später konnte ich drei Wohnungen besichtigen,<br />

die Jungs hatten Informanten überall.<br />

337<br />

Wir schauten uns die Angebote an, und entschlossen uns<br />

schnell, eine Drei Zimmer Wohnung mit Bad und Küche,<br />

einfach möbliert, aber mit einer sehr guten neuen<br />

Matratze ausgestattet zu nehmen. Sie war in allen Räumen<br />

mit schönen Mosaiken Fliesenböden ausgestattet,<br />

wie es in feinen Häusern überall in Marokko üblich war.<br />

Und das Haus war fein, Eine Fatma, Hausmeisterin und<br />

billige Putzfrau hielt das Haus sauber und in Ordnung.<br />

Wir zahlte 90 Mark Miete monatlich, inklusive Putzfrau.<br />

Dies war ein hoher Betrag für marrokanische Verhältnisse,<br />

die ich aber in zwei Nächten verdiente. Und immer<br />

wieder gab’s kleine Geschenke der Frauen, ´mal ein Feuerzeug,<br />

Stangen Zigaretten oder andere Aufmerksamkeiten.<br />

Manchmal, wenn´s sich nicht vermeiden ließ, und das<br />

Mädel ein echter Knaller war, Lucie in ihren Träumen<br />

lag, ließ ich mich auch schon ´mal breitschlagen, mit in<br />

ein Hotel zu gehen, und mich für einige Stunden verwöhnen<br />

zu lassen. Lucie erfuhr es nie, ich sagte dann,<br />

wenn ich morgens früh nach Hause kam, dass ich noch<br />

mit Ariel in den Clubs am Strand abgehangen hätte.<br />

In einem dieser Clubs stellte mir Ariel einen Freund vor,<br />

Abdullah, ein für seine erst 32 Jahre schon ranghoher<br />

Polizeioffizier mit besten Kontakten zur Unterwelt und<br />

obendrüber.<br />

„Was soll das“, fragte ich ihn ärgerlich, als Abdullah ´mal<br />

außer Hörweite war, „ich will mit Bullen nichts zu tun<br />

haben“. „Mach dir keinen Kopf, der Mann ist voll in<br />

Ordnung, kann sehr hilfreich sein“, zwinkerte er. Ich<br />

hatte gerade einen sympathischen Polizisten kennengelernd,<br />

der sich in der Schattenwelt zu Hause fühlte. Er<br />

angelte keine Sardinen, er jagte dicke Fische. Wir sollten<br />

gute Freunde werden. Ich war endgültig in die Nebelwelt<br />

von Casablanca eingetaucht, man mochte mich.<br />

338<br />

Ich wusste nicht so recht ob ich da richtig war, aber<br />

Freunde in dieser Gesellschaft zu haben konnte nicht<br />

falsch sein.<br />

Wir zogen zukünftig zu Dritt in die Clubs und Bars,<br />

zahlten nie einen Dirham. Wenn Abdullah irgendwo erschien,<br />

stand sofort eine Flasche auf- und Frauen an der<br />

Bar. Ab und an trank ich Glennfidish, wenn´s den gab,<br />

ein Glas, mehr nicht. Abdullah brachte mir oft ein dickes<br />

Stück feinstes Dope mit, das er mit seiner Truppe irgendwo<br />

einkassiert hatte. Er wusste dass ich gern kiffte,


es machte ihm absolut nichts aus, im Gegenteil, wir<br />

rauchten zusammen. Zu Hause hatte ich fast ein halbes<br />

Kilo Haschisch liegen, alles Geschenke meiner Freunde,<br />

verschiedene sehr gute Sorten.<br />

Es gab einen Türsteher im Roi de la Biere, Kofir. Ein<br />

Berg von Mann, 24 Jahre alt, und aus ärmlichen Verhältnissen.<br />

Er war ein herzensguter Mensch, aber wehe es<br />

brannte, dann entwickelte er sich zu einem ganzen<br />

Löschzug.<br />

Ich bemerkte dass er immer tränende Augen hatte. Eines<br />

Abends fragte ich ihn was denn los sei, ob er traurig sei.<br />

„Nein, Eric“, sagte er in gebrochenem französisch, „ ich<br />

sehe nicht so gut, und habe immer brennende Augen“.<br />

Ich dachte mir sofort, dass er etwas mit den Augen haben<br />

musste, dass man sicher beheben könnte. „Morgen<br />

treffen wir uns hier vor der Türe um neun Uhr, dann gehen<br />

wir zu einem Augenarzt“, sagte ich mit Nachdruck.<br />

„Ein Augenarzt, wie soll ich den bezahlen“, fragte er<br />

schüchtern, dieser Fleischkloß. „Morgen neun Uhr, und<br />

du bist hier“, sagte ich im Befehlston.<br />

Als ich zur angegebenen Zeit zum Club kam, stand Kofir<br />

schon da, in seinem einzigen Anzug, Schlips und Kragen.<br />

Ich hatte mich schon kundig gemacht, wir nahmen<br />

ein Petit Taxi, und fuhren zu Dr. Mathieu, einem franzö-<br />

339<br />

sischen Augenarzt, der seit 10 Jahren in Casablanca praktizierte.<br />

Er war mit einer Marrokanerin verheiratet.<br />

Dr. Mathieu untersuchte meinen Freund, und stellte<br />

schnell fest, dass der Junge dringend eine Brille benötigte,<br />

dann würden sich die Beschwerden von alleine beheben.<br />

„Eine Brille“, sagte Kofir geschockt, „so was will<br />

ich nicht, wie sieht das denn aus, und wie soll ich die bezahlen“.<br />

„Da mach dir mal keine Gedanken“, antwortete<br />

ich, „eine Brille kann sehr gut aussehen, und sie wird<br />

dir helfen, das verspreche ich dir, wir fahren gleich zu einem<br />

Optiker“.<br />

Der Augenarzt hatte gemerkt, dass ich dem Jungen helfen<br />

wollte, und verlangte kein Honorar.<br />

Ich bedankte mich, er gab mir ein Rezept mit den genauen<br />

Daten für die Brillengläser, und wünschte uns alles<br />

Gute.<br />

Wir fuhren zu einem Optikerladen in der Medina, den<br />

hatte ich auf meinen Gängen durch die Gassen dort<br />

schon früher entdeckt, er hatte eine große Auswahl an<br />

schönen Brillenfassungen, und war auch in der Lage, die<br />

geeigneten Gläser zu besorgen.<br />

Wir probierten einige Brillen, „das sieht doch doof aus“<br />

beschwerte sich Kofir, bis er ein Rai-Ban Gestell aus<br />

dünnem Metal aufsetzte, eine Sonnenbrille, die ihm direkt<br />

gefiel. „Die wäre O.K., sagte er, „die gefällt mir gut,<br />

sieht aus wie die Sonnenbrillen, die Viele tragen“. „Die<br />

nehmen wir“, sagte ich dem Optiker. „Können wir die<br />

Gläser auswechseln“, fragte ich, „aber selbstverständlich“,


antwortete der Optiker. „Ist aber nicht billig“, sagte<br />

er besorgt. „Darüber machen sie sich keine Gedanken,<br />

wann können wir die Brille abholen“? „In drei Tagen<br />

sollte sie fertig sein“. „Gut, dann bis Donnerstag“, und<br />

wir verabschiedeten uns. „Meinst du das hilft mir wirklich“,<br />

fragte Kofir zweifelnd, „und wie soll ich die be-<br />

340<br />

zahlen, ich verdiene nicht viel als Portier“. „Du sollst dir<br />

doch keinen Kopf machen, das regeln wir schon“.<br />

Abends sprach ich mit meinen Freunden über die Sache,<br />

sofort waren sie einverstanden Geld zusammen zu legen,<br />

um dem Riesenbaby seine Brille zu bezahlen. In zehn<br />

Minuten hatte ich den Betrag in der Tasche. Ich erzählte<br />

Kofir nichts davon.<br />

Am Donnerstagmorgen trafen wir uns erneut, Kofir kam<br />

aufgeregt zu mir, und streckte mir Geld entgegen. „Das<br />

hab ich gespart, meinst du das reicht aus“, sagte er.<br />

„Steck dein Geld wieder in die Spardose, die Brille ist<br />

schon bezahlt“. Er konnte es kaum fassen, für mich war´s<br />

eine erfreuliche Selbstverständlichkeit.<br />

Wir machten uns auf den Weg in die Medina zum Optiker,<br />

der sich freute uns zu sehen. „Die Brille ist fertig,<br />

exakt wie geordert“, sagte er zur Begrüßung und griff in<br />

eine Schublade unter seiner Theke. Hervor kam eine<br />

wunderschöne goldmetallfarbige Ray-Ban mit Sichtgläsern.<br />

„Na dann setz sie ´mal auf“, forderte ich den Jungen<br />

auf, und mit strahlendem Gesicht nahm er die Brille<br />

ganz vorsichtig in seine große Hand. Er setze sie sich auf<br />

die Nase, klemmte die biegsamen Bügel hinter die Ohren,<br />

die Brille saß perfekt. Der Optiker hielt ihm einen<br />

Spiegel hin, Kofir lachte freudig, „die steht mir ja richtig<br />

gut“, freute er sich, als er sich im Spiegel sah, „und<br />

die ist so leicht, stört überhaupt nicht“.<br />

„Na und, siehst du jetzt besser“, fragte ich. Er schaute<br />

sich im Laden um, und der Mund stand ihm vor Staunen<br />

offen. „Ich kann alles genau erkennen, das gibt´s<br />

doch nicht, ich hatte immer einen Film vor den Augen,<br />

der ist völlig weg“.<br />

„Nun musst du dich langsam an das neue Sehgefühl gewöhnen,<br />

dann tränen deine Augen sicher nicht mehr,<br />

341<br />

aber du musst sie auch immer tragen“, riet ich ihm. „Na<br />

klar, sieht doch super aus“.<br />

Plötzlich nahm er mich in seine riesigen Arme und<br />

drückte mich fast tot. „Danke Eric, das werde ich dir im<br />

Leben nicht vergessen“, sagte er mit Tränen unter der<br />

Brille. Ich hatte einen Freund gewonnen, der für mich<br />

durch´s Feuer gehen würde, solche Reaktionen sind typisch<br />

arabisch. „War mir eine Ehre dir zu helfen, du bist<br />

ein guter Mensch, denen muss immer geholfen werden“,<br />

sagte ich mit voller Überzeugung und rang nach<br />

Atem. Während Kofir mit der Brille beschäftigt war gab<br />

ich dem Optiker das Geld.


Am Abend warteten wir alle, Abou Said, Youssuf, Souad<br />

und Abdullah gespannt auf unseren Portier, und der kam<br />

stolz mit seiner neuen Brille auf der Nase angedackelt.<br />

Wir machten ihm Komplimente, sagten wie gut er jetzt<br />

aussehe, und der Junge freute sich. Seine Augen tränten<br />

nie wieder.<br />

Die Jungs standen um mich herum, schauten mich an,<br />

und sagten „du bist ein guter Mensch, es ist uns eine<br />

große Ehre dich als Freund zu haben“. Jetzt kamen mir<br />

fast die Tränen. „Ihr habt doch alle geholfen, das hab ich<br />

doch nicht alleine gemacht“, versuchte ich zu beschwichtigen.<br />

„Nein, das ist ganz alleine dein Verdienst,<br />

du hast Kofir Licht geschenkt und seine Augen getrocknet“,<br />

sagte Youssuf bestimmt. Nun kam schon etwas<br />

Stolz in mir hoch.<br />

Lucie wusste von der Geschichte, als ich ihr am nächsten<br />

morgen von der abendlichen Begegnung berichtete sah<br />

mir tief in die Augen. „Du bist mein Mann, wie du mit<br />

deinen Freunden umgehst ist immer wieder eine große<br />

Freude für mich“, sie, umarmte mich fest, und küsste<br />

mich lange.<br />

342<br />

Kapitel 40<br />

Mein Job machte mir Spaß, ich konnte auch neue Platten<br />

kaufen, die nach meinem Geschmack waren, mit denen<br />

ich die Gäste richtig zum kochen bringen konnte.<br />

Solange der Club und die Tanzfläche voller gutgelaunter<br />

Menschen waren, hatte ich meinen Job gut gemacht. Ich<br />

heizte ihnen Abend für Abend ein, Montags und Donnerstags<br />

hatte ich frei, an diesen Tagen waren eh nicht<br />

viele Leute unterwegs. Dann legte ein anderer DJ Platten<br />

auf. Die von mir neu gekauften versteckte ich immer<br />

sorgfältig in meiner kleinen Garderobe, die ich abschließen<br />

konnte. Sollte Niemand meinen Styl<br />

übernehmen. Copyright und Tanzfäschenbesiztum!<br />

In den Nächten in denen ich auflegte kamen mittlerweile<br />

viele Leute wegen mir und meiner Art von Musik,<br />

wie mir Abou Said bald erzählte, und erhöhte meinen<br />

Lohn dementsprechend. Die Mädels ließen mich weitgehend<br />

in Ruhe, es hatte sich herumgesprochen, dass ich<br />

eine Frau hatte, die ein Kind erwartete. Einige Unbelehrbare<br />

versuchten es immer wieder mich auf ´ne Matratze<br />

zu zerren, ich blieb meistens standhaft.<br />

Weihnachten feierten wir im Haus von Abou Said, alle<br />

Freunde waren versammelt, und wir lernten neue Leute<br />

kennen, die in Casablanca wichtige Rollen spielten. Unter<br />

ihnen war ein Minister für ich wusste nicht was, der<br />

es scharf auf Lucie angelegt hatte. Er schwirrte dauernd<br />

um sie herum, traute sich aber nicht sie anzusprechen,<br />

ohne vorgestellt worden zu sein. Er flüsterte mit Abou<br />

Said, und blickte in Richtung Lucie. Sie war zwar hochschwanger,<br />

das Kind könnte jeden Augenblick geboren<br />

werden, man sah es ihr aber nicht an. Sie hatte verwunderlicherweise


nur ein kleines Bäuchlein, das zwar deut-<br />

343<br />

lich herausragte, aber als normale Schwangerschaft im<br />

9. Monat war ihr Zustand nicht auszumachen.<br />

Plötzlich kam dieser kleine dicke Minister auf mich zu,<br />

und fragte ernsthaft, ob er mit Lucie schlafen dürfe, er<br />

wolle sie königlich dafür belohnen. Nun fand ich es ja<br />

nicht schlecht einen Minister in meiner Clique zu haben,<br />

aber das ging mir dann doch zu weit, und ich ließ<br />

ihn mit deutlichen, sehr frechen Worten abblitzen. „Sie<br />

sind wohl verrückt geworden, mir eine solche Frage zu<br />

stellen, wie sie sicher wissen ist meine Frau keinen Hure.<br />

Sie gehört nur mir, basta“.<br />

Er fragte nie wieder, schaute sie jedoch weiterhin mit<br />

geilen Blicken an. Er verließ unsere fröhliche Gesellschaft<br />

früh und ich sah ihn nie wieder.<br />

344<br />

Kapitel 41<br />

Es war der 31. Dezember 1968 gegen neun Uhr morgens,<br />

als Lucie mich weckte. „Ich habe Schmerzen“,<br />

stöhnte sie, „mir geht´s nicht gut“. „Cherie, noch ein<br />

Stündchen, ich bin so müde“, sagte ich, und drehte mich<br />

auf die andere Seite. Schon nach wenigen Minuten rüttelte<br />

sie mich erneut an der Schulter, „ich halte das nicht<br />

mehr aus, ich glaube das Kind kommt“. Sofort wurde<br />

ich hell wach, und zog mich schnell an. „Wir fahren<br />

schnellstens in die Klinik, mach dir keine Sorgen“, versuchte<br />

ich Lucie zu beruhigen.<br />

Durch die französische Botschaft war uns ein Platz in der<br />

Privatklinik eines Gynäkologen,<br />

Dr. Burou angeboten worden, wir hatten ihn schon einmal<br />

besucht, um ihm mitzuteilen, dass unser Kind bald<br />

zur Welt käme. Zunächst lachte er nur, als er Lucie´s<br />

kleinen Bauch sah. „Das kann doch nicht möglich sein“,<br />

sagte er, „ wo trägt ihre Frau das Kind denn“? Nachdem<br />

er sie gründlich untersucht hatte, war klar, dass das Baby<br />

wirklich bald kommen sollte, er schüttelte verwundert<br />

den Kopf. „Eine solche Schwangerschaft habe ich noch<br />

nicht erlebt, und sie waren während der gesamten neun<br />

Monate bei keinem Arzt“, fragte er zweifelnd. „Nein, ich<br />

hatte nie Probleme“, antwortete Lucie, „wozu also sollte<br />

ich einen Arzt aufsuchen“.<br />

Dr. Burou war in der dafür bekannt, dass er der beste<br />

Gynäkologe war, der Männer zu Frauen umwandeln<br />

konnte. Aus der gesamten Welt kamen solche Mensche<br />

zu ihm, er hatte viel zu tun, was man an seiner prächtigen<br />

Klinik gut erkennen konnte.<br />

Also jagte ich mit Lucie im Arm schnellstens mit einem<br />

Taxi in die Klinik, und sie bekam sofort ein Zimmer. Dr.<br />

345<br />

Burou war in einer Operation, der letzten vor Silvester.<br />

Eigentlich wollte er dann nach Hause, und sich auf die<br />

kommenden Festlichkeiten vorbereiten.


Als er dann kam, untersuchte er Lucie, „ das hat noch<br />

Zeit, das Baby ist noch nicht soweit“. „Aber ich habe<br />

dauernd Schmerzen“, beschwerte sie sich. „Das sind die<br />

ersten Wehen, ich denke dass sie ihr Kind frühestens<br />

morgen bekommen werden, der1. Januar, wäre doch<br />

auch ein schönes Geburtsdatum“, versuchte er meinen<br />

Schatz zu trösten, und machte sich davon.<br />

Eine Krankenschwester kam immer mal wieder ins<br />

Zimmer, um nach Lucie zu schauen. Das Zimmer war<br />

hell, hatte zwei große Fenster, von denen man in einen<br />

prachtvollen Garten schauen konnte, schneeweiß gestrichen,<br />

mit einem weißen Bett aus Metall, neben dem eine<br />

kleine Wiege mit einem Baldachin stand, für das Baby.<br />

An der Wand gegenüber dem Bett hing ein großes,<br />

vielfarbiges Bild, ein Original von einem jungen Künstler<br />

aus Paris.. Es gefiel mir auf Anhieb.<br />

Lucie ging es mittlerweile schon besser, die Schmerzen<br />

kamen nicht mehr so oft, sie fühlte sich in der Klinik<br />

auch sicher. „Ich geh´mich schnell umziehen, dann bin<br />

ich sofort wieder bei dir“, sagte ich Lucie. „Du bist hier<br />

in besten Händen, und schau mal wie ich aussehe, heute<br />

ist ein Festtag, ich zieh meinen Anzug an“ und nahm<br />

ein Taxi nach Hause. Ich duschte schnell, und zog mich<br />

an. Ich hatte mir in Casablanca einen dunklen Anzug<br />

von Cerutti zugelegt. Selbst für einen solchen Anzug bezahlte<br />

man in Marokko einen moderaten Preis.<br />

Zum ersten Mal in meinem bewussten Leben zog ich<br />

auch noch eine Krawatte an, bei der Weihnachtsfeier<br />

hatte ich dies noch abgelehnt, obwohl es die Gelegenheit<br />

gewesen wäre, und Lucie versucht hatte mich dahin<br />

zu bewegen, aber ich wollte, wie immer, Halsfreiheit..<br />

346<br />

Aber dieser Silvestertag sollte Krawattisch gefeiert werden.<br />

Ich zog den Knoten jedoch nicht hoch, hatte es<br />

versucht, fühlte mich aber zu eingeengt. Hauptsache ich<br />

hatte so ein Ding unter dem Kragen meines blitzweißen<br />

Hemdes unter der Anzugjacke.<br />

Ein kurzer Blick in den Spiegel, Mann sah ich gut aus,<br />

und ab zum Taxi, zurück in die Klinik. Es war später<br />

Nachmittag, und die Schmerzen bei Lucie kamen in immer<br />

kürzeren Abständen. Ich hielt ihr die Hand, und<br />

versuchte sie zu trösten, meine in dieser Situation dummen<br />

Sprüche halfen nichts. Ich rief die Krankenschwester,<br />

die sagte, das seien die ersten Wehen, „wenn der<br />

Herr Doktor gesagt hätte es wäre noch nicht soweit,<br />

dann werde das wohl stimmen“, gab sie zur Antwort. Sicher<br />

wollte sie ihren Chef am Silvesterabend nicht mehr<br />

stören. Ich fragte nach Schmerzmitteln, aber die Schwester<br />

konnte Lucie in dieser Situation keine geben.<br />

Gegen 20 Uhr wurden die Schmerzen so stark, dass ich<br />

darauf bestand den Doktor zu rufen, irgendetwas konnte<br />

da nicht mit rechten Dingen zugehen.<br />

Dr. Burou kam um 21.15 Uhr, in Smoking und Fliege,


er hatte sich schon für die Silvesternacht zurechtgemacht.<br />

„Da schau´n wir doch ´mal“, sagte er geduldig,<br />

und die Schwester fuhr Lucie in einen Entbindungsraum.<br />

„Das Baby ist wohl ungeduldig“, sagte Dr. Burou,<br />

als er aus dem Raum herauskam, vor dem ich saß. Er zog<br />

sich die Smokingjacke aus, einen weißen Kittel an,<br />

„dann holen wir das Kind doch noch in diesem Jahr auf<br />

die Welt“, erklärte er mir lächelnd, klopfte mir auf die<br />

Schulter, und verschwand im Entbindungszimmer.<br />

Ich saß genau vor dem Raum, und hörte Lucie laut<br />

schreien: „ arrete, arrete, arrete“, schreie sie sicher eine<br />

halbe Stunde lang. „Hör auf, hör auf, hör auf“. Mir lief<br />

der kalte Schweiß über´s Gesicht in meinen Krawatten-<br />

347<br />

hals, sie tat mir so leid, ich kannte sie so nicht, sie schien<br />

unter entsetzlichen Schmerzen zu leiden.<br />

Ab genau 22 Uhr hörte ich keine Schreie mehr, Dr. Burou<br />

trat aus dem Raum, „herzlichen Glückwunsch<br />

Monsieur, sie haben ein strammes Mädchen, völlig gesund<br />

und normal, sie können ihre Frau jetzt sehen, auch<br />

der geht´s gut. Guten Rutsch ins neue Jahr“ wünschte er<br />

mir noch, zog den Arztkittel aus, die Smokingjacke an,<br />

und verschwand in die Silvesternacht.<br />

Leise ging ich in das Entbindungszimmer, dort lag sie<br />

dann, mit einem kleinen Knäuel auf der Brust, völlig<br />

verschwitzt, aber lächelnd. „Wir haben ein Mädchen“,<br />

sagte sie erfreut, und ich küsste sie herzlich. Ich sah mir<br />

das kleine Wesen genauer an, nackt in ein Laken gewikkelt,<br />

und freute mich riesig. Der Hippie hatte ein Kind<br />

gezeugt, und Lucie hatte es zur Welt gebracht, ich konnte<br />

es noch kaum fassen.<br />

Ich blieb eine Stunde mit Lucie und Fleure, unserer Blume,<br />

wie wir sie nennen wollten, diesen Namen hatte ich<br />

ausgesucht, ich fand der klang sehr schön, und schon<br />

während der Schwangerschaft, wenn ich an das Baby<br />

dachte, sprühten bei mir die buntesten Funken. Es war<br />

kein Allerweltsname. Lucie erklärte sich mit dem Namen<br />

voll einverstanden, „wie kommst du nur auf so einen<br />

schönen Namen“, fragte sie, ich konnte nur die Schultern<br />

heben, und nichtswissend dreinschauen. „Ich muss<br />

jetzt schlafen, die Nachtschwestern sind hier, und es ist<br />

alles in Ordnung, du kannst jetzt mit deinen Freunden<br />

feiern gehen“, bestimmte Lucie. Mit einem Kuss auf die<br />

beiden verabschiedete ich mich, ich konnte den Klinikgeruch<br />

nur schwer ertragen..<br />

Meine Freunde warteten schon vor dem Roi da la Biere,<br />

der Club würde in dieser Nacht eh voll, und es spielte<br />

keine Rolle wer Platten auflegte.„Wo bleibst du denn,<br />

348<br />

wir warten schon eine viertel Stunde auf dich, um elf<br />

waren wir verabredet. „Ich musste noch schnell ein Kind<br />

kriegen“, sagte ich lachend, „Lucie hat eben ein Mädchen<br />

zur Welt gebracht“. Die Jung´s schrieen vor Freude,


und alle umarmten und beglückwünschten mich.<br />

„Mein Mädchen wird Fleure heißen“, sagte ich stolz,<br />

noch aufgeregt. „Jetzt wird aber richtig gefeiert“, beschloss<br />

die Clique. Wir gingen auf den Platz am Ende des<br />

Boulevards Mohamed 5, plötzlich stoppte jeder Verkehr<br />

und es begann ein ohrenbetäubendes Hupkonzert. Ich<br />

wunderte mich sehr, was war hier los? „Frohes neues<br />

Jahr“ riefen Alle, es war genau Mitternacht, das neue Jahr<br />

hatte begonnen. Wenn es so werden sollte wie das Alte,<br />

konnte ich vollauf zufrieden sein. Wir tanzten auf der<br />

Strasse auf Arabisch, die Arme weit ausgebreitet, drehten<br />

uns um uns selbst. Irgendein Autofahrer hatte die Musik<br />

laut aufgedreht, und die Türe geöffnet, arabische Musik<br />

klang über den Platz. Wir nahmen ein großes Taxi, und<br />

fuhren zum Strand in die Clubs.<br />

Diese Nacht sollte unvergesslich für mich sein, die<br />

Freunde feierten das neue Jahr, und meine nun richtige<br />

Familie auf´s Feinste. Es gab nur Filet von allen erdenklichen<br />

Tieren zu essen, der Champagner floss in Strömen,<br />

der Schit qualmte öffentlich und überall, wir hatten<br />

ja einen hochrangigen Beschützer bei uns. Bis ich<br />

irgendwann bei Sonnenaufgang nach Hause kroch.<br />

„Ich muss früh zu Lucie, ich kann sie nicht so lange alleine<br />

lassen“, verabschiedete ich mich, alle zeigten Verständnis<br />

und feierten ohne mich weiter.<br />

Gegen neun Uhr am 1. Januar 1969 machte ich mich<br />

noch leicht müde auf den Weg zurück in die Klinik. Ich<br />

kam an einem offenen Geschäft vorbei, ein kleiner marrokanischer<br />

Markt, wo man so ziemlich alles kaufen<br />

konnte und der das gesamte Jahr über täglich geöffnet<br />

349<br />

war. In einer Ecke sah ich ein kleines Püppchen, ein Baby<br />

auf einem blauen Kissen mit gekreuzten Beinen und<br />

dem Daumen im Mund. Das Teil war aus Gummi, und<br />

wenn man es drückte, kam ein Piepston hervor. Ich<br />

kaufte dieses Gummibaby für ca. eine Mark, mein erstes<br />

Spielzeug für mein Blümchen. Und ich kaufte Menthol-<br />

Kaugummi für Lucie.<br />

Als ich in das Krankenzimmer trat, legte Lucie einen<br />

Finger auf den Mund, mir anzeigend, dass Fleure schlief.<br />

Sie lag friedlich in der Wiege, die nun direkt neben Lucie<br />

´s Bett stand. Ich küsste meine Frau, das Baby, und<br />

gratulierte ihr erstmalig. „Hast du toll hingekriegt, du<br />

wusstest ja dass ich ein Mädchen wollte“, sagte ich ihr<br />

hocherfreut. Als sie das Spielzeug sah lachte sie, „das ist<br />

süß, aber das Kind kann doch noch lange nicht damit<br />

spielen“, erklärte sie mir.<br />

„Ich wollte dem Kind nur etwas mitbringen“, sagte ich<br />

unschuldig. „Und wo sind meine Blumen“, beschwerte<br />

sich Lucie, lächelte mich aber an. „Hab ich natürlich<br />

vergessen, sorry, morgen bringe ich dir einen ganzen<br />

Garten“, versprach ich ihr. „Aber deine geliebten Kaugummi<br />

hab´ich dir mitgebracht, und zog den Streifen


aus der Tasche. Fleure wurde wach und fing gleich an zu<br />

schreien. „Die hat sicher Hunger“, sagte Lucie, „gib sie<br />

mir ´mal“. Ganz vorsichtig versuchte ich das kleine Bündel<br />

Mensch aus der Wiege zu nehmen, „Pass auf das<br />

Köpfchen auf, musst du festhalten“, warnte mich Lucie,<br />

als sie sah wie ungeschickt ich mich anstellte. Ich schaffte<br />

es aber das Kind aus der Wiege zu nehmen, und Lucie<br />

zu übereichen.<br />

Ich sah zum ersten Mal wie ein Baby gestillt wurde. Gestillt,<br />

ein wahrhaft passender Ausdruck für Mutterbrusternährung,<br />

eine geniale Wortfindung, denn als Lucie es<br />

später von der Brust nahm war Fleure still und einge-<br />

350<br />

schlafen. Ich legte sie zurück in die Wiege und deckte sie<br />

ganz zärtlich zu.<br />

„Ich hab dich gestern schreien gehört, war es sehr<br />

schmerzhaft“, fragte ich dummerweise. „Nein, so<br />

schlimm war es auch wieder nicht, es ging ja alles ziemlich<br />

schnell“, antwortete sie mir.<br />

„Wie soll denn nun alles weitergehen, wir sind nicht<br />

mehr alleine, jetzt haben wir ein Kind, und müssen Pläne<br />

machen“, begann ich ein serieuses Gespräch. „Erst<br />

´mal bleibt alles beim Alten, wir müssen nur schnell ein<br />

Bettchen und Kleidung besorgen“, erklärte Lucie, „ uns<br />

geht´s doch gut hier“. Ich war mir da nicht so sicher,<br />

plötzlich zu dritt, mit einem winzigen Baby, ich konnte<br />

mir noch keine Zukunft in Casablanca vorstellen, obwohl<br />

eigentlich alles gut war.<br />

Ich hatte Freunde, einen gut dotierten Job, aber viele<br />

Weiber am Hals. Ich hätte Großzuhälter werden können<br />

und reich, auch mit Lucie als meiner Frau, die Mädels<br />

akzeptierten sie, hatte jedoch keinerlei Ambitionen einen<br />

solchen „Beruf“ zu ergreifen. Außerdem hätte Lucie<br />

solche Tätigkeiten nie akzeptiert, sie hätte mich sicher<br />

verlassen. „Wir lassen erst´mal alles wie es ist, ich<br />

kümmere mich um die kleine Fleure, du gehst weiter<br />

Geld verdienen“, sagte Lucie bestimmt, ich hatte nichts<br />

zu entgegnen.<br />

Ich verbrachte den gesamten 1. Januartag mit den Beiden<br />

in der Klinik, um neun musste ich zur Arbeit. Dort<br />

waren alle versammelt, und ließen mich erneut hochleben.<br />

Kefir steckte mir ein hartes kleines Paket zu, „das ist<br />

für dich, hab ich von einem Onkel, der im Rif Gebirge<br />

als Bauer lebt, geschenkt bekommen.“ Als ich es in der<br />

Garderobe öffnete hielt ich 100 Gramm bestes Haschisch<br />

in Händen. Mein Stock war auf fast ein Kilo angewachsen.<br />

Ich selbst rauchte schon viel weniger, mor-<br />

351<br />

gens auf dem Klo, weil´s meine Verdauung auf´s beste<br />

förderte, und abends vor der Arbeit, weil´s meine Fantasie<br />

beflügelte.<br />

Lucie war mit dem Baby nach Hause zurückgekehrt,<br />

meine Freunde hatten uns Babywäsche im Überfluss geschenkt,


und ein tragbares Kinderbettchen. Ich brauchte<br />

nicht ´mal Windeln zu kaufen, sie hatten wirklich an Alles<br />

gedacht. Wir luden Alle in unsere Wohnung ein, damit<br />

sie das Kind zu sehen bekamen, und tranken zwei<br />

mitgebrachte Flaschen Veuve Clicot, „die Witwe“ wie<br />

wir den guten Champagner zu nennen pflegten, rauchten<br />

ein paar Pfeifchen weit weg vom Schlafzimmer, wir<br />

wollten schließlich das Baby nicht high machen.<br />

Die Bordsteinschwalben ließen mich nun weitgehend in<br />

Ruhe, als sie erfuhren, dass ich jetzt Familienvater war.<br />

Nur zwei besonders schöne, gutausehende und sehr freigiebige<br />

Frauen hielt ich in meiner Nähe, Salome hatte<br />

mir zu Weihnachten heimlich eine pur goldene Uhr geschenkt.<br />

Als Lucie fragte, wo ich die herhätte, sagte ich<br />

es sei Hehlerware, und ich habe sie für kleines Geld erstanden.<br />

Oft musste ich lügen dass sich die Balken bogen,<br />

glücklicherweise schaute Lucie dann nicht hoch an<br />

die Decke. Die Uhr verkaufte ich später in Europa, eine<br />

goldene Uhr passte irgendwie nicht zu mir.<br />

Unser Leben hatte sich kaum verändert, außer dass wir<br />

nun ein Baby bei uns hatten, um das sich Lucie rührend<br />

und intensiv bemühte. Es schrie nur wenn es Hunger<br />

hatte, ansonsten war Fleure ein sehr ruhiges Kind. Wenn<br />

sie dann doch ´mal aus irgendeinem Grund zu schreien<br />

begann, hatten wir eine wunderbare Methode gefunden,<br />

sie zu beruhigen.<br />

Wir stellten unser Radio neben das Bettchen, drehten<br />

einen arabischen Sender ein, und sobald die orientalische<br />

Musik begann, wurde Fleure automatisch still, sie<br />

352<br />

schien diese Musik zu lieben, sie war vollkommen beruhigt.<br />

Wir konnten das Kinderbettchen auch als Tragetasche<br />

benutzen, wir gingen oft zu dritt am Strand spazieren,<br />

setzten uns in Cafés, und tranken gesunden<br />

Pfefferminztee.<br />

Meine Gedanken spielten ziemlich verrückt, ich hatte<br />

nun Verantwortung für zwei Frauen, konnte mich mit<br />

einer Dauerhaften Bleibe in Marokko nicht so recht anfreunden,<br />

wie auch immer ich es drehte.<br />

Irgendwann im Februar führte ich erneut ein Gespräch<br />

mit Lucie, und teilte ihr meine Gedanken und Zweifel<br />

mit. Sie überlegte nicht lange, und sagte: „Das musst du<br />

entscheiden, ich bin mit Allem einverstanden. Wenn du<br />

glaubst wir seien hier nicht optimal untergebracht, dann<br />

fahren wir zurück nach Europa, egal wohin, du sagst wo<br />

es lang geht“.<br />

Und ich entschied. Ich meldete mich bei Abou Said ab,<br />

berichtete ihm von meinen Bedenken , nun als Vater in<br />

der Fremde, obwohl es eigentlich keine mehr war, zu leben,<br />

dass ich Sicherheit nur in Deutschland würde finden<br />

können. Meine Nachricht machte ihn traurig, „dir<br />

geht´s doch blendend hier, und mein Laden lief noch nie<br />

so gut wie mit dir als Disc-Jockey“, versuchte er mich zu


überzeugen. „Du weist, wir sind alle immer für dich da“,<br />

ergänzte er deutlich, wobei er mir fest in die Augen sah.<br />

„Es hat keinen Sinn, mit dem Kind dabei finde ich keine<br />

wirkliche Ruhe mehr, ich flieg nach Deutschland,<br />

und schaue wie es mir dort ergeht, vielleicht kehre ich<br />

ja zurück. Außerdem habe ich Ali gut angelernt, er<br />

macht einen guten Job, mit dem geht dein Geschäft weiterhin<br />

gut“, erklärte ich Abou Said.<br />

„Du musst es wissen, wir werden dich sehr vermissen“,<br />

sagte er mit traurigem Unterton, so hatte ich ihn noch<br />

nie sprechen gehört, er war eigentlich ein harter Typ.<br />

353<br />

Ali war ein junger Marokkaner, den ich lieb gewonnen<br />

hatte, er interessierte sich für meine Musik, und stand<br />

fast jeden Abend neben mir an der Discothek, beobachtete<br />

was ich tat. Manchmal ließ ich ihn alleine Musik<br />

machen, und setzte mich zu Gästen, er machte seine Sache<br />

gut, er war der Einzige, der auch meine Platten anrühren<br />

durfte.<br />

Als alle meine Freunde im Laden versammelt waren,<br />

teilte ich ihnen meinen Entschluss nach Deutschaland zu<br />

gehen mit, sie zeigten sich enttäuscht und traurig, akzeptierten<br />

mein Vorhaben aber schnell. „Ein Mann muss tun<br />

was ein Mann tun muss“, sagte Abdullah, „ich werde<br />

deine Gesellschaft sehr vermissen“. Auch die anderen<br />

zeigten Enttäuschung, aber auch Mitgefühl, und hofften,<br />

dass ich zurückkehren würde. „Dann machen wir alle<br />

noch ´ne große Abschiedsfeier, Lucie ist mit dabei“, sagte<br />

Abou Said, „meine Frau wird auf euer Kind aufpassen,<br />

wir haben drei wie du weist“.<br />

Einige Tage später kam Abdullah unangemeldet zu uns<br />

nach Hause mit einem Paket unter dem Arm. „Hier<br />

hab´ich noch ´was für dich, wird dir sicher helfen, in<br />

deiner Heimat einen Start zu ermöglichen“. Er öffnete<br />

das Paket, und heraus fielen viele Platten Haschisch. „Es<br />

sind genau vier Kilo, hab´ich aus der Asservatenkammer<br />

mitgehen lassen, merkt kein Mensch, da liegen hunderte<br />

Kilo herum“, sagte Abdullah lachend. „Am Flughafen<br />

hier in Casablanca wirst du keinen Schwierigkeiten bekommen,<br />

du teilst mir deine Abflugszeit mit, ich sorge<br />

für den Rest“, bot er mir erneute Hilfe an. „Dann bist<br />

dann bist du auf dich alleine gestellt, ich wünsche dir viel<br />

Glück, auch mit deiner Familie, hoffentlich kehrst du<br />

zurück“, sagte er noch, und verabschiedete sich endgültig.<br />

Ich hatte seine Telefonnummer. Abdullah war ein<br />

besonderer Freund, er hatte sich stets um mich bemüht,<br />

354<br />

sehr genau auf meine Sicherheit geachtet, was ich nicht<br />

als Selbstverständlichkeit sehen konnte.<br />

Lucie rief in der französischen Gesandtschaft an, bedankte<br />

sich nochmals bei dem Diplomaten für die Kostenübernahme<br />

des Klinikaufenthalts, der Tagessatz lag<br />

hoch und Lucie hatte immerhin vier Tage dort verbracht.


Dann berichtete sie von unseren Plänen zurück<br />

nach Europa zu gehen. „Die Reisekosten übernehmen<br />

wir, teilen sie uns mit wann und wohin sie fliegen wollen,<br />

dann werden die Flugtickets für sie am Flugschalter<br />

bereit liegen“, versprach der Konsulatsbeamte.<br />

Als Lucie mir dies mit erfreutem Gefühl mitteilte dachte<br />

ich hier sei das Paradies, war mir immer weniger sicher,<br />

ob wir wirklich gehen sollten. So viele gutmeinende<br />

Freunde und Bekannte zu haben war nicht überall so,<br />

ob wir eine derartige Situation jemals wieder antreffen<br />

würden?<br />

Mein Entschluss stand fest, wir sollten nach Deutschland.<br />

Zu diesem Zweck telefonierte ich das erste Mal<br />

nach ca. drei Jahren mit meinem Vater, und erklärte ihm<br />

die Situation. „Ich hab jetzt Frau und Kind, jetzt könnte<br />

ich ´mal einen Rat von dir gebrauchen“, sagte ich<br />

ihm. „Wo bist du denn überhaupt“, fragte er zunächst,<br />

und ich sagte in Casablanca. „Wo ist das denn“, fragte er<br />

erneut. „In Marokko, Vater, das ist in Nord Afrika“. Zunächst<br />

hörte ich für einen längeren Augenblick nichts<br />

mehr, bis er sagte: „Dann komm halt erst ´mal nach<br />

Hause“.<br />

355<br />

Kapitel 42<br />

Als wir dann mit einem großen Taxi zum Flughafen aufbrachen,<br />

den roten Riesenkoffer voll gepackt, unser<br />

Bündel Fleure in dem tragbaren an zwei Henkeln zu<br />

transportierenden Kinderbettchen, dessen Matratze zwischen<br />

der Grasfüllung mit den 5 Kilo Shit gefüllt war,<br />

schauten wir noch einmal wehmütig zurück in die<br />

Stadt, in der es uns so gut gegangen war. „Das war´s<br />

dann wohl, good bye Casablanca, welcome in Germany“,<br />

sagte ich zum Abschied.<br />

Wahrhaftig, als wir den Flugschalter der Lufthansa erreichten,<br />

lagen dort drei Tickets erster Klasse nach Düsseldorf.<br />

Die Franzosen hatten sich nicht lumpen lassen.<br />

Unser Flug ging zunächst bis Malaga in Spanien. Die<br />

Zöllner schauten immer nur auf das Baby, das Lucie in<br />

der Tragetasche trug, und freuten sich stets über das süße<br />

Kind. Hätten sie geahnt, auf was Fleure schlief, wäre<br />

die Reise schnell beendet gewesen.<br />

Von dort ging es weiter bis Brüssel, von da sollten wir<br />

Düsseldorf erreichen. Wir waren die wohlige Wärme aus<br />

Marokko gewohnt, und waren nichts ahnend leicht bekleidet.<br />

Es war fast Ende Februar, und wir kamen in die<br />

Eiseskälte Deutschlands. Eigentlich sollten wir in Düsseldorf<br />

landen, wo mein Vater uns erwartete. Dort war<br />

die Landebahn derart vereist, dass der Flug nach Köln<br />

umgeleitet wurde.<br />

Man hatte die in Düsseldorf wartenden Angehörigen der<br />

Fluggäste der Maschine aus Brüssel wohl informiert,<br />

denn mein Vater stand in Köln bereit. Auch hier waren<br />

die Zollbeamten entzückt über den Blick auf unser


Kind, winkten uns schnell durch. Fleure hatte während<br />

des gesamten Fluges geschlafen, bis auf eine Brüstliche<br />

356<br />

Nahrungsaufnahme zwischen Malaga und Brüssel.<br />

Das Dope war ohne jede Schwierigkeit mit uns in<br />

Deutschland gelandet.<br />

Mein Vater schaute recht erstaunt als er uns kommen sah,<br />

mich im Cerutti Anzug, das Hemd offen, mit dem roten<br />

Koffer in der Hand, dann meine wunderschöne Lucie<br />

mit Lucie. „Na da seid ihr ja“, sagte er zur Begrüßung,<br />

ich konnte leichte Freude bei ihm entdecken. „Und du<br />

bist also Lucie“, begrüßte er auch meine Frau, und<br />

schaute gespannt in das Kinderbettchen. „Ist die aber<br />

süß“, sagte er ehrlich, er liebte Kinder über alles. „Dann<br />

woll´n wir ´mal nach Hause fahren“. Nach „Hause“,<br />

dachte ich nur, und schon an das Schreckgespenst von<br />

Stiefmutter, das uns dort erwartete.<br />

Sie tat sehr freundlich als wir ankamen. „Ich hab´euch<br />

schon ein Zimmer vorbereitet, es ist alles für euch geregelt“,<br />

sagte sie mit einem bösen Blick auf mich, der mir<br />

nicht entgangen war.<br />

Wir legten unser schlafendes Kind in das Zimmer, und<br />

begaben uns ins Wohnzimmer, wo auch mein Lieblingsonkel<br />

Konny, aus der Familie meines Vaters auf dem Sofa<br />

saß. „Tach Jung, du Weltenbummler“, begrüßte er<br />

mich freundlich lächelnd, und umarmte mich. „Hast du<br />

aber eine schöne Frau mitgebracht, sie ist aus Paris wie<br />

ich gehört habe, solche Frauen gibt´s bei uns nicht, sonst<br />

hätte ich mir auch so eine ausgesucht“, scherzte er.<br />

Die Alte hatte für uns gekocht, „sicher habt ihr doch<br />

lange nichts gutes mehr zu essen bekommen“, sagte sie.<br />

Wenn die wüsste. „Wir haben gespeist wie die Könige“,<br />

antwortete ich sarkastisch. Sie setze uns Schweinebraten<br />

mit ihrer bis zu einem Liter verlängerten Soße vor, mit<br />

Kartoffeln und Mischgemüse. Sie hatte noch immer<br />

nicht kochen gelernt. Die Soße schmeckte nach Nichts,<br />

das Fleisch war verkocht, die Kartoffeln ungenießbar.<br />

357<br />

Aber ich machte gute Miene zum geschmacklosen Spiel,<br />

und aß ein wenig. „Wir haben im Flugzeug gut gegessen“,<br />

sagte ich, „ich hab´ kaum noch Hunger“, und ließ<br />

die Hälfte stehen. Lucie hatte sich nicht viel aufgelegt,<br />

und aß alles brav auf.<br />

„Ich muss dringend ein Telefonat führen“, sagte ich zu<br />

meinem Vater, „es dauert nicht lange, und ich bezahle es<br />

dir natürlich“, sagte ich meinem Vater, und zog eine<br />

Rolle Hundert Dollar Noten aus der Hosentasche, die<br />

ich in Casablanca auf dem Schwarzmarkt eingetauscht<br />

hatte. Er staunte nicht schlecht als er das Geld sah, die<br />

Hexe warf einen giereigenen Blick darauf. „Respekt“,<br />

sagte Onkel Konny nur. „Ich habe auch noch genügend<br />

Geld auf einer französischen Bank in Casablanca, das mir<br />

überwiesen wird, wenn ich hier ein Konto eröffnet habe“,


eruhigte ich meinen Vater, der sicher glaubte, dass<br />

wir erstmal auf ihn angewiesen sein würden.<br />

Ich wählte Abdullah´s Nummer in Casablanca, und teilte<br />

ihm mit, dass wir zu Hause seien, alles gut gelaufen sei.<br />

„Ich habe den ganzen Tag zu Allah gebetet, um euren<br />

Schutz gefleht, er hat meine Gebete sicher erhört“, sagte<br />

Abdullah am anderen Ende der Leitung. „Jetzt hab´ich<br />

Ruhe, ich wünsche euch viel Glück in Deutschland,<br />

kommt bald wieder zurück“, fügte er hinzu, und beendete<br />

das Gespräch. „Du sprichst aber gut französisch“,<br />

bemerkte mein Onkel. „Das ist mittlerweile fast meine<br />

Muttersprache“, antwortete ich. Lucie verstand von allem<br />

kein Wort, sie war zum ersten Mal in Deutschland.<br />

Sie schaute sich nur in dem recht bürgerlich primitiv<br />

eingerichteten Wohnzimmer um.<br />

Oben im ersten Stock hörten wir dann Fleure schreien,<br />

und Lucie rannte sofort die Treppe hoch. Sie stille das<br />

Kind und brachte es danach mit hinunter ins Wohnzimmer.<br />

„Ist das Baby süß“, schleimte Anna, mein Onkel<br />

358<br />

und mein Vater waren echt begeistert von dem Kind.<br />

Lucie behielt es in ihren Armen, setzte sich in einen Sessel.<br />

„Da gibt´s doch so´n Zeug in Marokko, das man rauchen<br />

kann, und von dem man wie besoffen wird“, begann<br />

Onkel Konny ein neues Gespräch, „das würde ich<br />

sicher auch ´mal probieren“.<br />

Ich begab mich in das für uns hergerichtete Zimmer,<br />

griff ins Bettchen unseres Babys, riss die Matratze an einer<br />

Ecke auf, und brach ein Stück Haschisch von einer<br />

der vielen Platten ab.<br />

Als ich wieder hinunter ins Wohnzimmer kam, warf ich<br />

das nicht kleine Stück Dope auf den Tisch, „na dann<br />

probier´´mal“, forderte ich den Onkel auf. „Bist du verrückt<br />

geworden, solches Zeug in meinem Haus, steck<br />

das bloß schnell wieder weg“, sagte mein Vater erschrokken,<br />

auch Onkel Konny traute sich nicht wirklich das<br />

Hasch zu probieren. Also ließ ich es sofort in meiner<br />

Hosentasche verschwinden. Hätten die gewusst, wie viel<br />

ich von dem „Zeug“ mitgebracht hatte, währe ihre<br />

Nachtruhe zum Teufel gewesen. Ich sagte natürlich keinen<br />

Ton.<br />

Lucie schüttelte lächelnd den Kopf, „wie konntest du<br />

nur“, sagte sie, keiner im Raum verstand ein Wort von<br />

ihr. Meine heißgeliebte Fleure schaute hellwach staunend<br />

durch die Räumlichkeit.<br />

„ Fleure-Elektra, was ist das eigentlich für ein Namen<br />

für das Kind“, fragte die Alte, und ich antwortete ihr, dass<br />

dieses Baby eine elektrisch geladene Blume sei, und von<br />

Außenstehenden nicht berührt werden dürfe, außer Lucie<br />

oder ich würden es nachdrücklich erlauben, und den<br />

in ihr fließenden positiven, aber starken Strom abschalten.<br />

Das hatte gesessen. Ich konnte das Weib einfach<br />

nicht leiden, schon mit ihr in einem Raum sitzen zu


359<br />

müssen war mir zuwieder. Sie hat unser Baby nie angerührt.<br />

Wir waren schon fast eine Woche im Haus meines Vaters,<br />

zwischendurch hatten wir kurz meine Mutter und<br />

die Oma besucht, die völlig aus dem Häuschen und sehr<br />

erfreut über das Baby waren, aber die Stimmung im<br />

Haus meines Vaters war geladen.<br />

Ich wollte so schnell als möglich raus aus dieser Situation,<br />

und hatte die Möglichkeiten in der Hosentasche<br />

und der Matratze des Kinderbettchens.<br />

Also schob ich mir 300 Gramm Haschisch unter die<br />

Achselhöhle, packte zwei sehr schön gearbeitete marokkanische<br />

Krummdolche, die ich schon vor längerer Zeit<br />

in der Medina von Casablanca erstanden hatte, in eine<br />

Zeitung, und machte mich auf den Weg zur Autobahnauffahrt<br />

nach Düsseldorf, um dorthin zu trampen. Lucie<br />

musste ich alleine mit Fleure zurücklassen, sie kam aber<br />

mit ihrem toleranten Lebensgefühl gut mit allen aus, ich<br />

brauchte mich nicht zu sorgen.<br />

360<br />

Kapitel 43<br />

In Düsseldorf hatte ich einen Bekannten, den ich in Paris<br />

kennen gelernt hatte, und der eine Disco, „Le Pirat“<br />

in der Nordrheinwestfälischen Hauptstadt besaß.<br />

Schon mehr als zwanzig Minuten stand ich an der Autobahnauffahrt,<br />

keiner nahm mich mit. Plötzlich hielt<br />

ein kleiner VW Käfer an, der, wie ich erschrocken feststellen<br />

musste, grün- weiß gestrichen war, solche Autos<br />

kannte ich nur zu gut, es war die Polizei. Ich dachte nur,<br />

`schon ist alles vorbei, bevor es begonnen hat`, und<br />

presste meinen linken Arm stärker an meinen Körper,<br />

das Hasch festklemmend. Wäre ich doch nur mit einem<br />

Taxi gefahren, Geld hatte ich genügend, jedoch ich<br />

wollte sparen.<br />

„Na wo wollen wir denn hin“, fragte mich der ausgestiegene<br />

Polizist recht freundlich. „Ich will nach Düsseldorf,<br />

Freunde besuchen“, antwortete ich. „Und was haben<br />

wir da in der Zeitung“, fragte der Beamte weiter, ich<br />

zeigte ihm die Dolche. „Die will ich in Düsseldorf verkaufen,<br />

hab´ich aus Marokko mitgebracht“, erklärte ich<br />

unschuldig. Die dicke Haschplatte unter meinem Arm<br />

begann förmlich zu glühen, war für die Polizisten jedoch<br />

nicht sichtbar. „Dann zeigen sie mal ihren Ausweis“, befahl<br />

der Polizist, „und steigen sie bitte in den Wagen“. Er<br />

hielt mir die Beifahrertüre auf, klappte den Vordersitz<br />

vor, und ich zwängte mich auf den Rücksitz.<br />

Per Funk gaben die Beamten meine Daten durch ans<br />

Polizeirevier, man wollte wissen, ob etwas gegen mich<br />

vorlag. „Negativ“ hörte ich aus dem Lautsprecher, und<br />

der Polizist gab mir den Ausweis zurück. Er stieg aus, ließ<br />

auch mich aussteigen, und sagte: „ Dann noch gute<br />

Fahrt, und viel Glück in Düsseldorf“. Und weg waren<br />

361


die Bullen.<br />

Ich konnte es kaum fassen, ich hatte noch stets das Dope<br />

unter der Achselhöhle, die Dolche waren mir zurückgegeben<br />

worden, und ich war frei. So viel Glück, das war<br />

die Hilfe Allahs, der hatte nichts gegen Haschisch.<br />

In Düsseldorf angekommen fand ich schnell das „le Pirat“,<br />

der Laden war proppevoll, es war Karnevallszeit. Ich<br />

drängelte mich durch die Menge bis an eine Theke, und<br />

sah Piere, meinen Bekannten aus Paris hektisch Bier<br />

zapfen. „Hallo Piere“, begrüßte ich ihn, „Hey Eric, wo<br />

kommst du denn her“, fragte er mich. „Aus Marokko“,<br />

antwortete ich vielsagend, „bin gleich bei dir, stell dich<br />

an die Ecke der Theke, ich habe nachher eine Pause“,<br />

bedeutete er mir.<br />

Ich brauchte nicht lange zu warten, schon war Piere an<br />

meiner Seite. „Sag bloß du hast ´was mitgebracht“, fragte<br />

er aufgeregt. „Natürlich, nur vom Feinsten, und nicht<br />

zu knapp“, antwortete ich. „Komm mit ins Büro, ich hab<br />

mir ein wenig Zeit genommen, aber nicht zuviel, du<br />

siehst ja was hier los ist“. Als er die Platte sah fielen ihm<br />

fast die Augen aus dem Kopf, „das sind doch sicher 200<br />

Gramm“, sagte er. „Dreihundert“, antwortete ich, „und<br />

das ist Zero Zero, das beste Material auf dem Marokkanischen<br />

Markt“. „Wie viel willst du dafür haben“, fragte<br />

er sofort, und ich nannte meinen Preis. „Ist aber teuer“,<br />

kritisierte Piere, worauf ich die Platte wegstecken<br />

wollte. „Nein warte, ich nehme dir das ab“. „Ich kann<br />

dir jetzt 500 Mark geben, den Rest bekommst du in einer<br />

halben Stunde“, sagte er. Ich hatte 1000 Mark verlangt,<br />

das war billig für diese Qualität in Deutschland.<br />

Ich machte es auch nur, weil es mein erster Deal, und<br />

Piere sympathisch war.<br />

Für mich war es immerhin hundert Prozent Gewinn.<br />

Ich begab mich zurück in die Menge, hatte noch ein<br />

362<br />

dickes Stück Hasch für meinen Gebrauch in der Tasche,<br />

und nahm einen Drink. Die Musik war grauenhaft, Karnevallslieder,<br />

die immer die primitivsten Töne und Texte<br />

hatten, ich fühlte mich absolut unwohl.<br />

Plötzlich griff eine Hand aus der Masse an der Theke<br />

nach mir, ich nahm die Hand in meine, und wurde in<br />

Richtung Theke gezogen. Ich stand vor einer sehr schönen<br />

Frau, blond, chic gekleidet, die mich fragte; „ Wer<br />

bist du denn, ich hab dich hier noch nie gesehen“. Sie<br />

musste schreien ob der lauten Musik, damit ich sie verstand.<br />

„Eric heiße ich, bin auch zum ersten Mal hier“,<br />

entgegnete ich. „Gut siehst du aus, du gefällst mir,<br />

komm, wir trinken ´was zusammen“, bot sie an. Da sie<br />

außergewöhnlich gut aussah folgte ich ihrem Wunsch<br />

mit Vergnügen, so konnte ich mir die Zeit vertreiben, bis<br />

Piere mit dem restlichen Geld kam. Ich sah ihn nirgendwo,<br />

er war unterwegs. Lange konnte es nicht dauern, er<br />

wurde hinter dem Zapfhahn gebraucht.


Ihr Name war Victoria, und schon bald fing sie an mir<br />

herumzufummeln, legte ihren Arm um meinen Hals<br />

und küsste mich. Sie roch nach Alkohol, und hatte sicher<br />

schon einen sitzen. Ich ließ es geschehen, hatte schließlich<br />

schon immer gerne schöne Frauen geküsst, und Lucie<br />

für den Moment aus meinem Hirn gebannt.<br />

Schon kam Piere zu uns, und drückte mir fünf Hundertmarkscheine<br />

in die Hand. „Alles klar, ist Superdope“,<br />

sagte er mit dem bekannten bekifften Lächeln im Gesicht.<br />

„Davon wollen wir mehr“.<br />

Victoria hatte wohl genug getrunken, und auch die Nase<br />

voll von der schrecklichen Musik. „Ich komme aus<br />

Dortmund, möchtest du mit mir kommen“, fragte sie<br />

mich, und da es schon sehr spät war, und ich keine Gelegenheit<br />

hatte, zurück zu meines Vaters Haus zu kommen,<br />

und sicher auch aus sehr nahe stehenden Gründen,<br />

363<br />

willigte ich in das Angebot ein. Dass Victoria blau war<br />

störte mich wenig, man merkte es ihr kaum an.<br />

Wir verbrachten die Nacht in einem Dortmunder Nobelhotel,<br />

Victoria war die Tochter eines Zahnarztes, hatte<br />

Geld, ich ließ sie bezahlen, schließlich hatte sie mich<br />

in die Herberge geschafft, mein Geld blieb unangetastet<br />

in meiner Tasche. Ich und mein Körper nicht, die Frau<br />

entwickelte Energien, es war kaum zu glauben. Müde<br />

und erschöpft schlief ich ein, als ich aufwachte, war sie<br />

zum Glück verschwunden, ich wollte sie auch nicht unbedingt<br />

wieder sehen, hatte ein schlechtes Gewissen Lucie<br />

gegenüber. Drückte ich aber schnell weg, und ging<br />

gemütlich frühstücken.<br />

Dann machte ich mich auf, Dortmund ein wenig zu erkunden,<br />

ich war noch nie vorher in dieser Stadt.<br />

Ich fand ein Café, das „Roma“, ein italienisches Bistrot,<br />

das von jungen Leuten besetzt war, und aus dem mir angenehme<br />

Musik erklang. Die Leute stellten sich als Studenten<br />

heraus, viele von der Uni Bochum, einige, langhaarigere<br />

besuchten die Werkkunstschule in Dortmund.<br />

Ich stellte mich einfach bei einer Gruppe mir symphatisch<br />

vorkommender Leute vor, und lernte Atze, Krabbel<br />

und Egon kennen, eine verschworene Gemeinschaft von<br />

Kunststudenten.<br />

Als ich erzählte, woher ich vor einer Woche gekommen<br />

war, kam die obligatorische Frage: „Hast du ´was mitgebracht“?<br />

„Aber ja“, antwortete ich, und legte ein Stück<br />

meines Privatvorats auf den Tisch. „Das ist ja Spitzendope“,<br />

sagte er gleich mit Kennerblick, und fragte, ob er eine<br />

Tüte drehen dürfe. „Dafür liegt das Zeug ja hier“,<br />

antwortete ich, und Atze klebte drei Zigarettenpapierblättchen<br />

zusammen, füllte Tabak darauf, machte das Dope<br />

heiß, „das riecht ja tierisch gut“, war sofort sein<br />

Kommentar, als ihm der süße Duft des warmen zum<br />

364<br />

krümeln gebrachte Dope in die Nase stieg, und verteilte


ein wenig davon auf den Tabak. „Mach mehr ´rein“,<br />

forderte ich ihn auf, er war sehr sparsam gewesen. Also<br />

machte er das Stück noch mal heiß, brach mehr davon<br />

ab, so dass der Joint gut gefüllt war. Ich hatte in Marokko<br />

nur Pfeife pur geraucht, mit Tabak gemischt kannte<br />

ich das nur aus vergangenen Zeiten.<br />

Der Joint wurde angezündet, und ich wunderte mich,<br />

dass die Jungs das hier so öffentlich tätigten. „Das geht in<br />

Dortmund ganz locker ab“, sagte Egon, „ wir rauchen<br />

überall, und in den Kneipen, in denen wir verkehren,<br />

riecht es immer nach Dope, die Joints sind oft so dick<br />

wie Cohiba Zigarren aus Kuba“. Das war mir natürlich<br />

sehr recht, so konnte ich locker mit meinem gebunkerten<br />

Hasch umgehen.<br />

Ich beschloss schnell, hier her zu ziehen, eine Wohnung<br />

zu finden. Die Stadt gefiel mir. „So breit war ich schon<br />

lange nicht mehr, das Dope ist ja super“, lallte Krabbel<br />

unter seiner runden Nickelbrille und den krolligen Haaren.<br />

Er hatte bisher am wenigsten gesprochen. Auch die<br />

anderen beiden ließen sich wohlig zurück in die Sitze<br />

fallen, und lächelten nur noch.<br />

„Hast du noch mehr davon“, fragten sie mich, worauf<br />

ich mit einer positiven Antwort aufwarten konnte.<br />

„Dann kannst du hier in Dortmund richtig Kohle machen,<br />

Kundschaft für diese Qualität gibt´s hier zu<br />

Hauff“.<br />

„Könnt ihr mir helfen eine Wohnung zu finden“, fragte<br />

ich die Runde, „natürlich, wir machen uns gleich auf die<br />

Suche, wird überhaupt kein Problem“. „Ich habe aber<br />

auch noch eine französische Frau und ein Baby“, fügte<br />

ich hinzu. „Französische Frau ist immer gut, und Kinder<br />

lieben wir auch“, betonte Atze sofort.<br />

365<br />

Ich machte mich zurück auf den Weg zum Haus meines<br />

Vaters, und berichtete, dass wir nun nach Dortmund ziehen<br />

würden, ich habe dort sehr schnell Freunde gefunden,<br />

die uns helfen wollten, eine Wohnung zu finden.<br />

„Dortmund“, fragte mein Vater zweifelnd, „ was wollt<br />

ihr denn da“. „Ein neues Leben in Deutschland beginnen“,<br />

antwortete ich, Lucie war glücklich über die<br />

Nachricht, und umarmte mich. „Endlich raus hier“, sagte<br />

sie erleichtert, „ ich halte das hier nicht mehr aus, es<br />

ist so duster hier, und die Stimmung gefällt mir gar nicht<br />

mehr, ich bekam den Eindruck, als sei ich nicht besonders<br />

willkommen bei der Frau deines Vaters. Er war immer<br />

freundlich zu mir“.<br />

Ich nahm zunächst Fleure aus dem Bettchen, ganz vorsichtig,<br />

sie strahlte mich an, als ob sie mich erkannte, was<br />

ich mir nicht vorstellen konnte, war aber sehr glücklich,<br />

unser Baby endlich wieder im Arm haben zu können.<br />

Sie war einfach süß, ich liebte sie mehr und mehr, hätte<br />

mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen können.<br />

Lucie beobachtete, wie ich mich um das Kind bemühte,


und lächelte, sie schien auch wieder glücklich zu sein,<br />

dass ich zurückgekehrt war. Ich erzählte ihr von der Aktion<br />

mit der Polizei bei meiner Abfahrt, sie erschrak<br />

fürchterlich. „Da wäre ich dich ja fast losgeworden, was<br />

hätte ich alleine gemacht“. „Ist ja alles gut gegangen, Allah<br />

ist uns bis hierher gefolgt, und gibt auf uns Acht, sorg<br />

dich nicht“. Auch erzählte ich ihr, dass das Geschäft mit<br />

unserer Wahre gut angelaufen sei, und zeigte ihr die 10<br />

Hundertmarkscheine. „Wo hast du denn das viele Geld<br />

her“, fragte mein Vater, der das mitgekriegt hatte, ich sagte,<br />

ich habe einige Dollar gewechselt.<br />

Nach zwei Tagen rief Atze an, „wir haben eine Wohnung<br />

für euch gefunden, nichts besonderes, zwei Zimmer,<br />

kleine Küche, leider kein Bad, aber sehr günstig, wir<br />

366<br />

können dir später etwas besseres finden, komm erstmal<br />

her, wir haben dir ein Bett, ein Kinderbett, eine Garderobenstange,<br />

und Geschirr in die Bleibe geschafft, es<br />

wird dir an nichts fehlen“.<br />

Ich war mit allem einverstanden, nur weg aus der Hölle.<br />

Ich verabschiedete mich vom Vater, er war richtig besorgt<br />

um uns, die Alte von ihm bekam keinen Blick zum<br />

Abschied, nur Lucie gab ihr die Hand und bedankte sich<br />

für die Gastfreundschaft, die sie erleben durfte.<br />

Wir fuhren mit der Bahn, ich hatte Atze angerufen, und<br />

uns angemeldet. Als wir in Dortmund aus dem Zug stiegen,<br />

ich mit dem roten Riesenkoffer, den ich noch stets<br />

mit bösen Blicken bedachte, und Lucie mit unserer<br />

Fleure im Tragebettchen, standen Atze, Krabbel und<br />

Egon am Bahnsteig, und begrüßte uns freudig. „Hast du<br />

dir aber ´ne tolle Frau von deiner Reise mitgebracht“,<br />

sagte Egon, mit Blick auf Lucie, „so was fehlt uns hier in<br />

der Stadt“. Krabbel nahm mir den Koffer ab, und<br />

schleppte ihn bis zu einem Kombiauto, das vor dem<br />

Bahnhof im Halteverbot geparkt stand.<br />

Schnell waren wir alle im Wagen verstaut, und wir fuhren<br />

in den Dortmunder Norden, dem Arbeiterviertel der<br />

Stadt.<br />

In der Kleinen Freudstraße hielten die Jungs vor einem<br />

alten Haus. „Wir sind da, hier könnt ihr erstmal wohnen“,<br />

sagte Atze, und öffnete eine beschmierte Haustüre.<br />

Wir wohnten im Erdgeschoß, als wir die Wohnung betraten,<br />

waren wir geschockt, kleine Räume, eine winzige<br />

Küche, alte Tapete an den Wänden, so was waren wir<br />

nicht gewöhnt, wir hatten uns an einen gewissen Komfort<br />

gewöhnt. Und kein Bad, wir musste heißes Wasser<br />

kochen, und uns in der Küche waschen. Die Freunde<br />

bemerkten unsere Abneigung. „Wir finden bald etwas<br />

367<br />

anderes für euch, jetzt seid ihr erstmal hier, die Werkkunstschule<br />

ist 30 Schritte entfernt“, und er zeigte sie<br />

mir bei einem Blick aus einem Fenster.<br />

Lucie schaute ziemlich traurig drein, als sie die fast leere


Wohnung betrachtete, sagte aber schnell, dass wir uns<br />

schon einrichten würden können.<br />

Wir waren in der Arbeiterstadt Dortmund angekommen,<br />

ich war froh weit weg von Familie und Anna zu<br />

sein, gab mich schnell zufrieden mit dem was ich hier<br />

sah. Ich hatte schon anders gehaust, unter freiem Himmel,<br />

ohne Dach über dem Kopf. Und das für lange Zeit,<br />

obwohl diese Situationen lange her und weit, weit weg<br />

waren. Wir hatten mittlerweile in Palästen gewohnt, und<br />

waren nun hart auf den Boden der Tatsachen gezogen<br />

worden.<br />

Wir richteten uns so gut es ging in der neuen Wohnung<br />

ein, das Bett bestand aus sechs Matratzen, die auf einem<br />

Holzgerüst lagen, und so ein Doppelbett bildeten. Bettwäsche,<br />

Handtücher, und Küchengeschirr hatten die<br />

Kunststudenten irgendwo zusammengesammelt, es war<br />

rührend zu merken, dass man hier wirklich versuchte<br />

uns ein Leben zu ermöglichen. Wir waren ja nur mit<br />

Kleidung und Kind hier eingetroffen, mussten bei Null<br />

anfangen. Glücklicherweise waren wir nicht arm, und<br />

wussten nach einer kurzen Beratung, dass wir hier nicht<br />

alt zu werden brauchten. Das Geld aus Casablanca war<br />

auch schon eingetroffen, wir hatten gute Barschaft, und<br />

4,7 kg Haschisch.<br />

Abends zeigten mir die Jungs die Brutstätten des Anarchismus,<br />

die Münsterstraße mit ihren vielen Kneipen<br />

und Geschäften. Hier lebten viele Italiener und Türken,<br />

die wir uns für niedrige Arbeiten ins Land geholt hatten.<br />

Aber auch die Dortmunder Arbeiterschaft war hier zu<br />

Hause, alle Fußballfans des Borussia Dortmund Bundes-<br />

368<br />

ligaclubs, der hoch an der Spitze der Liga stand.<br />

Eine Kneipe hieß „Oma Plüsch“, dort standen viele junge<br />

Leute vor der Türe, und harte Rockmusik klang aus<br />

der Gaststätte. „Hier ist deine Kundschaft“, sagte Atze lachend,<br />

er meinte alle kifften hier. Schon am Eingang<br />

roch ich den Duft von Grass und Haschisch, etwas anders<br />

als meines, aber direkt sympathisch.<br />

Ich hatte natürlich eine dicke Platte Hasch in der Tasche,<br />

Atze kam mit zwei Unbekannten, stellte mich vor, und<br />

sagte, dass die Beiden eine größere Menge Dope kaufen<br />

wollten. Sie kämen aus Lünen, und verteilten dort den<br />

Stoff in kleinen Portionen an Interessenten. Und es<br />

schien Viele zu geben, denn sie wollten 500 Gramm<br />

kaufen. 200 g. hatte ich bei, nannte ihnen einen Preis.<br />

„Das ist aber teuer“, regten sie sich auf. „Dann probiert<br />

erst mal“, sagte ich, und gab ihnen ein kleines Stück<br />

Schit. Auch Atze gab ich ein gutes Stück, damit er endlich<br />

etwas rauchen konnte, er wartete schon ungeduldig.<br />

Er ging in´s Oma Plüsch, setzte sich an die Theke, und<br />

begann auf dem Tresen ohne Hemmungen einen dicken<br />

Joint aus fünf Zigarettenblättchen zu drehen. Der Wirt<br />

schaute nicht hin, es saßen noch mehr Leute in der gemütlichen


Kneipe, und rauchten Hasch. Mir kam es so<br />

vor, als sei das hier legal, und freute mich.<br />

Die zwei Typen aus Lünen kamen wieder auf mich zu,<br />

„das ist ja Spitze, so was haben wir noch nie geraucht“,<br />

sagten sie völlig high, „wir kaufen das Zeug“. „dann<br />

muss ich noch mal schnell weg, ich hab nicht genug bei,<br />

bin aber in zwanzig Minuten zurück“. „O.K. wir warten“.<br />

Als ich in die erbärmliche Wohnung kam, stillte Lucie<br />

gerade unser süßes Baby, und lächelte zufrieden. „Ich<br />

hab schon Kunden, gleich komm ich mit viel Geld zurück“,<br />

sagte ich ihr freudig. „Pass bloß auf, hoffentlich<br />

369<br />

erwischt man dich nicht“, wandte Lucie sorgenvoll ein.<br />

„Keine Sorge, das geht hier alles cool ab, alle Leute hier<br />

kiffen wie die Weltmeister, offen und ohne Stress, mach<br />

dir keine Sorgen“, beruhigte ich sie. Ich ging an mein<br />

Versteck, nahm noch´mal 400 Gramm Dope an mich,<br />

ich hatte nun 600 Gramm unter der Lederjacke. Das Taxi<br />

wartete vor der Türe, und ich fuhr zurück in die Kneipe.<br />

Die Lünener warteten schon auf mich, sie kamen<br />

gleich auf das Taxi zugelaufen. „Locker Jungs, geht aufs<br />

Klo vom Plüsch, ich komme sofort“. Ich ging langsam<br />

auf die Kneipe zu, musste mich durch eine Menge Leute<br />

vor der Türe schieben, von denen mich viele erstaunt<br />

anschauten, ein Neuer in Dortmund.<br />

Auf der Toilette warteten die Kunden schon ungeduldig<br />

auf mich, „zeigt ´mal das Geld“, verlangte ich, und sie<br />

zählten mir 2.000Mark in die Hand. Ich verkaufte das<br />

Dope für vier Mark das Gramm, ein guter Preis für meine<br />

Qualität, den ich bald erhöhen wollte, nachdem ich<br />

die Preise für schlechtes Material von anderen Dealern<br />

mitbekommen hatte. Die Jungs freuten sich über das halbe<br />

Kilo gutes Hasch, „können wir in den nächsten Tagen<br />

mehr kaufen“, fragten sie, und ich antwortete: „<br />

Wenn ich dann noch ´was habe, kein Problem, ihr findet<br />

mich hier“, und verabschiedete mich. Meine Dealerkarriere<br />

machte sehr einträgliche Fortschritte.<br />

Ich ging in die Kneipe, Egon war mittlerweile auch eingetroffen,<br />

er saß bekifft und zufrieden lächelnd mit Atze<br />

an der Theke. „Ich hab noch hundert Gramm“, sagte ich<br />

zu Atze und Egon,<br />

„meint ihr die werde ich noch los“? „Aber ohne Probleme,<br />

ich hab den Joint schon kreisen lassen, schau dir die<br />

Leute an, so´was haben die hier noch nie geraucht“, bekam<br />

ich zur Antwort.<br />

Es hatte sich herumgesprochen, dass der fremde Typ mit<br />

370<br />

der braunen Lederjacke gutes Dope bei sich hatte, und<br />

die Leute kamen in Trauben auf mich zu. „Kann ich ´nen<br />

Zehner haben“, fragte ein großer junger Mann. „ Sammle<br />

Geld von deinen Freunden, dann komm zurück, du<br />

bekommst 10 Gramm für ´nen Fuffziger“, sagte ich. „Das<br />

ist das Minimum, das ich verkaufe, ich kann keine einzelnen


Grämmer abwiegen, will ich auch nicht. Und wenn<br />

du noch mehr Kundschaft siehst, sag das bitte weiter“. Im<br />

Nu hatte ich den Rest meines Vorrats verkauft, behielt jedoch<br />

ein Stück für mich, weil ich noch in der Kneipe<br />

bleiben wollte, etwas rauchen, und Musik hören.<br />

„Danke Jungs“, sagte ich zu Egon und Atze, ihr habt mir<br />

wirklich sehr geholfen“. „Selbstverständlichkeit, wer uns<br />

so optimal füttert bekommt unsere geballte Energie“,<br />

lachte er.<br />

Ich legte ihm noch die Hälfte meines Stückes auf die<br />

Theke, „für euch, aber bitte dreht noch ´nen Dicken“.<br />

Und dann setzte ich mich völlig bekifft in eine Ecke der<br />

Kneipe auf einen Stuhl, ließ die Umgebung und die Musik<br />

auf mich einwirken. Es gefiel mir hier ausgesprochen<br />

gut, und hatte die Tasche voller Geld.<br />

Mit geschlossenen Augen saß ich sicher eine halbe Stunde<br />

in meiner Ecke, lauschte der wirklich fantastischen<br />

Rockmusik, fühlte mich richtig gut, als ein Mädel auf<br />

mich zukam, und mich aus meine Träumen riss. „Hast du<br />

noch ´was“, fragte mich eine dunkelhaarige Schönheit.<br />

„Aber sicher, setz dich zu mir“. Meine zweite Begegnung<br />

mit der Dortmunder Weiblichkeit. `Schöne Frauen hier`,<br />

dachte ich bei mir, und ließ meiner Phantasie freien Lauf.<br />

„Drehst du einen“, fragte ich das Mädel, und legte mein<br />

letztes Dope zu ihr auf den Tisch. Sie setzte sich hin. „Ich<br />

bin Monika“, stellte sie sich vor, ich nannte ihr meinen<br />

Namen. In dieser Stadt schien es von gut aussehenden<br />

Frauen zu wimmeln, hier jedenfalls hatte ich schon Viele<br />

371<br />

entdeckt.<br />

Schnell kam wieder der geile Bastard in mir hoch, der<br />

Gangster of Love. Aber ich konnte mir nicht helfen, die<br />

Frauen reizten mich einfach, der kleine Freund in meiner<br />

Hose meldete sich deutlich. Ich landete mit Monika<br />

in einem billigen Hotel, direkt gegenüber vom Oma<br />

Plüsch. Nach zwei Stunden standen wir wieder auf der<br />

Straße, die Menschen vor der Kneipe hatten sich verzogen,<br />

ich machte mich auf den Weg nach Hause.<br />

Der Zustand in der kleinen Wohnung ohne Bad wurde<br />

schnell unerträglich. Mittlerweile hatte ich mehr Leute<br />

näher kennen gelernt, als ich erfuhr, dass in der Uhlandstraße<br />

eine Wohnung frei werden sollte. Sofort machte<br />

ich mich auf, diese zu besichtigen, sie lag zwar in der 4.<br />

Etage, hatte auch nur zwei Zimmer, aber ein geräumiges<br />

Bad.<br />

Wir zogen in die Wohnung ein, sie kostete nicht viel<br />

Miete, so konnten wir weiterhin sparen, für eine optimalere<br />

Wohnung in kommender Zeit. Lucie war sehr froh<br />

über den Wohnungswechsel, die vier Etagen schienen Ihr<br />

nichts auszumachen. Wir hatten nun auch einen Kinderwagen,<br />

so konnten wir mir Fleure, die sich prächtig entwickelte,<br />

durch die Stadt spazieren. Sie war zwar einigermaassen<br />

schmutzig von den vielen Kohleschloten


außerhalb Dortmunds, wir gewöhnten uns aber daran.<br />

Wir waren halt in einer Schwerindustriestadt. Die<br />

freundliche Dortmunder Bevölkerung entschädigte uns<br />

für alle Nachteile, die diese Stadt zu haben schien.<br />

Meine Geschäfte entwickelten sich prächtig, schon bald<br />

hatte ich den größten Teil des Dopes verkauft. Die Nachfrage<br />

war groß, selbst die Dortmunder Dealer kauften<br />

mein Hasch für ihren Eigenbedarf, sie verkauften zumeist<br />

gestrecktes Material.<br />

372<br />

Kapitel 44<br />

Eines Abends, ich hatte gerade zehn Gramm Dope von<br />

einem Türken gekauft, der mir versicherte, es sei sehr<br />

gut, hatte es in die hintere Tasche meiner Jeans gesteckt,<br />

es war eine kleine sehr dünn gepresste Platte, lichtete<br />

sich der Pulk von Käufern um mich herum, und ich war<br />

von korrekt gekleideten ältern Herrn umzingelt. Ich<br />

wurde verhaftet.<br />

„Sie verkaufen hier Drogen“, sagte einer der Beamten, „<br />

wir beobachten sie jetzt schon eine Weile“. „Ich verschenke<br />

das Hasch, habe es von einer Reise mitgebracht“,<br />

log ich. Die Bullen lachten nur, „dann wollen<br />

wir ´mal zu ihnen nach Hause fahren, und sehen, was da<br />

noch so alles zu finden ist“, forderten sie mich auf. Sie<br />

stopften mich in einen Zivilwagen, zwei andere folgten<br />

uns, wir fuhren in die Uhlandstrasse. Sie trappelten mit<br />

mir die vier Etagen hoch, ich dachte nur `die arme Lucie,<br />

sie wird einen gehörigen Schreck bekommen`.<br />

Und so war´s dann auch. Die Bullen klingelten an der<br />

Wohnungstüre, Lucie öffnete nichts ahnend, Fleure auf<br />

dem Arm, und erschrak fürchterlich, als die acht Polizisten<br />

anfingen, die Wohnung zu durchsuchen. „Sorg dich<br />

nicht“, sagte ich auf französisch, „ das kommt schon in<br />

Ordnung, ich hab ja nicht mehr viel, mehr können sie<br />

mir nicht nachweisen“, versuchte ich sie<br />

Zu beruhigen. „Hier wird deutsch gesprochen“, rief einer<br />

der Bullen, „geht nicht“, antwortete ich,<br />

„meine Frau spricht leider kein deutsch“.<br />

Auf einer Fensterbank fanden sie den Rest des von mir<br />

mitgebrachten Schits, der Beamte hob es hocherfreut<br />

hoch, „ hier Leute, ich hab´was gefunden, das ist Haschisch“.<br />

„Na und „, sagte ich in die Runde, „ das ist für<br />

373<br />

mich, ich rauche halt“. „Ist aber leider verboten in<br />

Deutschland“, triumphierte der Bulle, er schien der<br />

Chef zu sein, Parschau hieß der alt Knabe. „Wo ist der<br />

Rest, machen wir es uns doch nicht so schwer“, versuchte<br />

er in leisem Ton mich zu provozieren. „Es gibt<br />

nicht mehr, ich sagte doch das ist für mich“, antwortete<br />

ich unschuldig.<br />

Sie untersuchten weiter die Wohnung, dann mich, und<br />

fanden die kleine Platte in meiner Hosentasche. „Und<br />

was ist das“, fragte einer, „für mich, ich wollte ´mal ´was


anderes probieren“.<br />

Nachdem sie ärgerlicherweise kein weiteres Haschisch<br />

fanden, machten sie sich frustriert mit mir auf die Wache.<br />

„ Bin gleich wieder da“, sagte ich noch zu Lucie,<br />

die ängstlich in einer Ecke stand, und Fleure fest an sich<br />

drückte. „Bitte komm bald zurück, alleine komm ich<br />

hier nicht zurecht, ich brauche dich, ich liebe dich“, rief<br />

sie mir nach.<br />

Auf der Wache angekommen wurde ich verhört, man<br />

fragte wo ich das ganze Hasch her hätte, das ich in den<br />

letzten Wochen verkauft hatte, ich antwortete, dass ich<br />

nichts verkauft hätte, Basta. „Aber sie haben doch immer<br />

dicke Joints geraucht im Oma Plüsch, das haben wir genau<br />

gesehen“. „Sicher, gebe ich zu, aber ich habe nichts<br />

verkauft“. Sie konnten mir nichts nachweisen, kassierten<br />

das Dope, und mussten mich laufen lassen, es war zu wenig<br />

für einen Haftbefehl. „Wir sehen uns vor Gericht“,<br />

riefen sie mir wütend nach, als ich schmunzelnd aus dem<br />

Polizeirevier verschwand.<br />

„Ich werde nicht mehr auf der Straße verkaufen“, versprach<br />

ich Lucie, als ich zurück zu ihr kam. Sie war überglücklich<br />

mich zu sehen, hatte sich mächtig geängstigt.<br />

Am nächsten Abend ging ich wieder ins Oma Plüsch,<br />

die Freunde waren froh mich zu sehen,<br />

374<br />

„ wir dachten schon du kommst nicht mehr da raus“,<br />

sagte Waldi, ein anderer Kleindealer aus Dortmund, mit<br />

dem ich mich angefreundet hatte. Er verkaufte gutes türkisches<br />

Dope. „Ich brauche Nachschub und Verkäufer“,<br />

sagte ich ihm. „Kein Problem, ich mache dich mit meinem<br />

Türken bekannt, das Kilo besten Stoffs für 1.200<br />

Mark“, sagte er mir. „Korrekter Preis, wenn´s wirklich<br />

Harz ist, kaufe ich drei“, entgegnete ich.<br />

Wir fuhren tief in das Nordviertel, in einem fast Abbruchreifen<br />

Haus klingelte Waldi an einer Wohnungstüre,<br />

eine Frau mit Kopftuch öffnete die Türe. „Hallo Ali“,<br />

begrüßte Waldi einen älteren Mann mit riesigem grauem<br />

Schnauzbart. „Hi Waldi, wer ist das“, er schaute mich<br />

misstrauisch an. „Das ist Eric, ein Freund, er braucht drei<br />

Kilo“, sagte Waldi. „Kein Bulle“, fragte der Türke noch<br />

immer misstrauisch. „Nein, nein, mach dir keine Sorgen“.<br />

Die Frau hatte drei kleine Gläser und ein Kännchen<br />

Tee hereingebracht. Sie servierte uns das Getränk,<br />

holte noch Zucker, und verschwand schnell in der Küche,<br />

wie in Casablanca bei meinem Dealer, nur dass sie<br />

nicht verschleiert war. „Dann rauchen wir erst ´mal eine<br />

Pfeife“, sagte der Türke, und packte ein kleines Stück<br />

braunes Hasch, dünn, vielleicht 2 Millimeter stark gepresst<br />

aus der Tasche, und eine Pfeife unter dem kleinen<br />

Tisch hervor. Er erwärmte das Stück, bröselte etwas in<br />

die Pfeife, und gab sie zuerst mir. Ich zündete sie an, zog<br />

zweimal kräftig, es roch sehr gut, und schmeckte fast wie<br />

das, was ich mitgebracht hatte. Dann ging die Pfeife


´rum, nach ca. zwei Minuten hatten ich das Gefühl, im<br />

nächsten Augenblick von dem Lederkissen zu fallen, auf<br />

dem ich saß. Das Dope war erste Sahne, ich war high<br />

wie ein Flieger nach Amerika.<br />

Waldi lachte, „na, hab ich dir zuviel versprochen“, fragte<br />

er. „Nein, das Zeug kaufe ich sofort, aber nicht zu<br />

375<br />

dem Preis“, sagte ich entschlossen. „1.300 Mark, sagte<br />

der Türke“, ich lachte, „900 Mark gebe ich dir“, antwortete<br />

ich. „Auf keinen Fall, ich muss mindestens 1.200<br />

haben, handelte Ali. „Wir einigen uns auf 1.000“, das ist<br />

ein guter Preis, gab ich zurück. „1100, das ist mein letztes<br />

Wort“, meinte Ali, 1050, und ich kaufe drei Kilo“, gab<br />

ich zurück. Er reichte mir die Hand, „du bist ein Schlitzohr,<br />

wo hast du das gelernt“, fragte Ali, „ im Orient“,<br />

antwortete ich lächelnd. Wir waren uns einig geworden,<br />

das Dope war gut, ich konnte locker 5- bis- 600 Mark<br />

pro 100 Gramm erzielen, weniger wollte ich nicht mehr<br />

verkaufen, ich wollte von nun an vorsichtiger sein.<br />

„Morgen früh 11 Uhr hole ich den Stoff ab, und bringe<br />

das Geld“, einigte ich mich mit Ali, und wir verabschiedeten<br />

uns. „Ich hab´ bisher immer 1.200 Mark gelöhnt“,<br />

sagte Waldi beim Hinausgehen, „du bist echt ein guter<br />

Händler“, bemerkte er respektvoll.<br />

„Du wirst Pulver bekommen, weist du wie man das<br />

presst“, fragte Waldi. „Keine Ahnung, ich hab´ noch nie<br />

Pulver gekauft“, gab ich zurück. „Ich zeig´s dir das morgen“,<br />

und wir spazierten zurück ins Oma Plüsch. Die<br />

Bude war voll, die Musik sehr gut, die Joints kreisten, ich<br />

fühlte mich wohl, hatte auch mein Kapital wieder gut<br />

eingeplant.<br />

Wir wollten aus der Wohnung in der Uhlandstrasse heraus,<br />

sie war zu klein, und zu hoch, außerdem brauchte<br />

ich unbedingt ein Telefon. Lucie meinte zwar es sei o k,<br />

billig, und die Treppen machen ihr nichts aus. Ich hatte<br />

meine eigenen Vorstellungen.<br />

Am darauf folgenden Tag holte ich den dicken Beutel<br />

mit dem Haschpulver, das Ali vor meinen Augen genau<br />

abgewogen hatte. Ich zahlte den Preis, „du kannst jederzeit<br />

wiederkommen“, freute sich Ali, und ich sagte ihm,<br />

dass ich dann aber maximal 1000 Mark zahlen wollte, Ali<br />

376<br />

nickte mit dem Kopf und schmunzelte.<br />

Als ich nach Hause kam, war Waldi schon eingetroffen,<br />

und unterhielt sich mit Lucie auf Englisch. „Dann<br />

woll´n wir ´mal“, sagte Waldi, und zog eine Tageszeitung,<br />

und Zellophanbeutel hervor. „Heiz ´mal ´ne Kochplatte<br />

ein, schön heiß“, forderte er mich auf. Er füllte Pulver in<br />

einen Beutel, verteile es gleichmäßig ca. einen cm dick<br />

in dem Zellophan, wickelte das Ganze in ein Zeitungsblatt,<br />

nässte es ein wenig, und legte alles auf die Kochplatte.<br />

Es roch fürchterlich nach Angekokeltem Papier,<br />

Lucie ging mit Fleure ins Schafzimmer, und schloss die


Türe.<br />

Waldi drehte das Paket öfters herum, bis das Hasch innendrinn<br />

auch heiß war, legte das Paket auf den Boden,<br />

und trat feste mit seinen Schuhen auf das heiße Paket.<br />

Dann wickelte er es auseinander, und hervor kam eine<br />

fein und hart gepresste Platte Hasch, schön in Zellophanpapier<br />

eingepackt. „Super“, sagte ich, „ aber stinkig“,<br />

fügte ich hinzu. „Damit musst du leben, Pulver ist<br />

immer besser als Platten zu kaufen, die könnten gestreckt<br />

sein“. Nach einer Stunde hatten wir das gesamte<br />

Hasch gepresst, zu Ende machten wir dickere Platten, es<br />

war zuviel Arbeit, sie alle dünn zu machen. Wenn sie<br />

dünn waren, konnten die Kleindealer mehr Geld herausschlagen,<br />

denn ein Gramm sah nach viel aus, da ich aber<br />

nur größere Mengen verkaufen wollte, war mir das egal.<br />

Die Haschplatten waren Steinhart, ein gutes Zeichen für<br />

gutes Türkendope, pures Harz, das sich bei Erwärmung<br />

und pressen in hartes Material verwandelte, dass man<br />

zum rauchen dann wieder heiss machen musste.<br />

Ich nahm am Abend nur ein kleines Stück Hasch mit ins<br />

Plüsch, der Rest war im dunklen Keller gut versteckt.<br />

Wenn jemand etwas wollte, ließ ich ihn probieren,<br />

machte einen Platz für die Übergabe mit ihm oder ihr<br />

377<br />

aus, und holte das Hasch Platte für Platte. Es hatte sich<br />

herumgesprochen, dass ich keine kleinen Stücke mehr<br />

verkaufen konnte, und so sammelten die Leute ihr Geld<br />

zusammen, bis sie eine Platte kaufen konnten. Eine Platte<br />

verkaufte ich für 600 Mark, wenn jemand mehr als<br />

dreihundert Gramm wollte, nahm ich fünf Mark für das<br />

Gramm.<br />

Die Geschäfte liefen gut, manchmal tauchten die Bullen<br />

im Plüsch auf, ich lachte immer nur und grüßte freundlich.<br />

Die wussten genau was ich trieb, konnte mir aber<br />

nicht an die Wäsche, ich war sehr vorsichtig geworden.<br />

In unserem Keller waren Dielenböden, ich hatte unter<br />

zwei Brettern ein Loch gegraben, und den Sack Hasch<br />

dort hineingelegt, Diele drüber, alles sah unschuldig aus.<br />

Die Dielen waren über dem Loch lose, so kam ich leicht<br />

an meine Vorräte.<br />

Lucie sorgte sich um meine Sicherheit, außerdem fühlte<br />

sie sich alleine mit dem Baby nicht wohl. „Ich muss für<br />

Geld sorgen, so ist das nun ´mal“, erklärte ich ihr.<br />

Nach ca. einem halben Jahr eröffnete sie mir so ganz nebenbei<br />

beim Essen, dass sie erneut schwanger sei, es haute<br />

mich fast vom Stuhl. „Noch ein Kind, bist du verrückt“,<br />

sagte ich sauer. Sie fing an zu weinen, ich tröstete<br />

sie schnell, „ist nicht schlimm, noch ein Baby, ich freu<br />

mich drauf, wir werden schon irgendwie klarkommen“,<br />

sagte ich ihr, „außerdem hat Fleure dann einen Spielkameraden“,<br />

fügte ich hinzu. Lucie fiel mir um den Hals,<br />

beruhigt, dass ich das locker weggesteckt hatte.<br />

Ich kümmerte mich nur noch wenig um die Beiden, war


voll auf die Dealerei konzentriert, und jeden Abend außer<br />

Haus. Das Oma Plüsch wurde mein allabendliches<br />

Zuhause, ich saß mit Bekannten an der Theke, trank Tee,<br />

und unterhielt mich mit den Leuten über Drogen und<br />

Politik.<br />

378<br />

Dann fragte ich den Besitzer, Gerd, ob ich ´mal Platen<br />

auflegen dürfe, ich wollte meine Musik spielen, Platten<br />

waren genug vorhanden. Zwei Plattenspieler und ein<br />

Mischpult am Anfang der Theke. „Sicher, wenn du Lust<br />

hast, ich zahl dir aber nichts, bis ich höre, dass du auch<br />

gut bist“, sagte Gerd.<br />

„Klar, ich will auch nichts, nur Musik machen“. Es waren<br />

immer andere DJ´ s hinter der Maschine, und eines<br />

abends durfte ich dann ´ran. Es klappe vorzüglich, ich<br />

legte Rockplatten auf, die Leute freuten sich, und ich<br />

mich erst, endlich konnte ich den ganzen Abend das hören,<br />

was mir gefiel. Gerd war zufrieden, und bot mir 8<br />

Mark die die Stunde. Ich war sofort einverstanden, wir<br />

einigten uns, dass ich an drei Tagen die Woche arbeiten<br />

konnte.<br />

Meine Geschäfte liefen weiter, und ich hatte endlich einen<br />

plausiblen Grund für die Schmiere, im Oma Plüsch<br />

zu sein.<br />

Es war Mode, in den Wohnungen tief am Boden zu sitzen,<br />

die Leute sägten ihre Stuhl- und Tischbeine ab, um<br />

so niedriger zu sitzen. Ich machte die Mode mit, Lucie<br />

freute sich auch, so begann ich zu sägen. Wenn ich dann<br />

´mal ein Bein zu kurz geschnitten hatte, musste ich die<br />

andren auch kürzen, so saßen wir bald ziemlich tief, was<br />

uns aber nichts ausmachte. Es war fast wie in Marokko<br />

auf den Kissen, am Boden essend.<br />

Pitt, ein Fotograf, der sehr gut im Geschäft war, unter<br />

anderem für die Lufthansa arbeitete, hatte mir ein Tonbandgerät<br />

geschenkt. Dies hing ich an vier Fäden an der<br />

Decke auf, dass es frei im Raum schwebte. Ich kam auf<br />

die verrücktesten Ideen. Lucie hatte Spaß daran. Oft<br />

gingen wir jetzt zusammen mit Fleure gemeinsam nachmittags<br />

ein paar Stunden spazieren, eine Freude für Lucie,<br />

die mich kaum noch zu Gesicht bekam. Wenn ich<br />

379<br />

nachts nach Hause kam schlief sie meistens schon tief<br />

und fest.<br />

380<br />

Kapitel 45<br />

Irgendwann tauchte ein junger Mann in meinem Alter<br />

auf, Schallplatten unter dem Arm, „ich bin Jürgen, legst<br />

du von den Platten ´mal welche auf“, stellte er sich vor.<br />

„Klar, ich hör ´mal ´rein“, sagte ich, und merkte schnell,<br />

dass der Junge ´was drauf hatte, die Scheiben stellten sich<br />

als ausnahmslos meinem Geschmack entsprechend heraus.<br />

„Wer bist du, wo kommst du her“, fragte ich den<br />

gutausehenden chic gekleideten Typ, eine Ausnahmeerscheinung


in der Kneipe.<br />

„Eigentlich war ich schon oft hier, ich bin aus Gelsenkirchen,<br />

wohne aber jetzt in Dortmund Scharnhorst“,<br />

erklärte er mir. „Ich bin verheiratet, und habe einen<br />

Sohn von neun Monaten, Roman“, fügte er lächelnd<br />

hinzu. „Ich bin nicht verheiratet, habe aber eine Frau<br />

und eine Tochter von acht einhalb Monaten“, antwortete<br />

ich lachend. Wir gaben uns die Hand. „Rauchst du“,<br />

fragte ich, während ich ihm ein Stück Schit hinschob.<br />

„Ist ja super, klar rauch ich, und das hier sieht richtig gut<br />

aus, danke“, freute sich Jürgen, und drehte einen Joint,<br />

den wir zusammen rauchten.<br />

Ich hatte einen Freund gefunden, der mir in allem ähnlich<br />

war. „Übrigens ist meine Alte wieder schwanger, in<br />

sieben Monaten krieg ich noch ein Kind“, erklärte mir<br />

Jürgen. Ich fiel fast von meinem Barhocker, den ich mir<br />

vor das Mischpult gestellt hatte. „Meine Frau hat mir<br />

auch eben eine weitere Schwangerschaft angemeldet“,<br />

antwortete ich, „ könnte sein dass wir die Kinder zur<br />

gleichen Zeit bekommen werden“. „Das gibt´s doch<br />

nicht“, wunderte sich Jürgen.<br />

Von nun an sahen wir uns täglich, schon bald lud ich ihn<br />

zum Tee ein, und er lernte Lucie und Fleure kennen, die<br />

381<br />

schon über den Boden zu robben begonnen hatte. Lucie<br />

mochte Jürgen sofort, „ihr seid euch wirklich ähnlich“,<br />

sagte sie, „ sicher werdet ihr gute Freunde, ich freu mich<br />

für dich Eric“. „Du musst meine Frau kennen lernen“,<br />

sagte Jürgen auf Englisch zu Lucie, „die spricht gut englisch,<br />

und ist viel alleine mit dem Kind“.<br />

Jürgen war viel auf Achse, er stahl in Geschäften was<br />

nicht Niet und Nagelfest war, wie er mir bald eröffnete.<br />

„Besonders bei Schallplatten bin ich gut“, lachte er, „ ich<br />

habe immer die neuesten Scheiben“. Ein harmloser<br />

Dieb also, kein Einbrecher oder so was, hätte ich mir<br />

auch nicht angetan. Jürgen stellte sich als sehr sympathischer<br />

Junge heraus, geschmackvoll und witzig. Er rauchte<br />

genau so gerne Dope wie ich, er wurde immer von<br />

mir versorgt, er gab mir Schallplatten dafür. Und er<br />

kannte sich gut aus was Musik betraf, ich lernte viel von<br />

ihm.<br />

Meine Geschäfte liefen weiterhin gut, langsam begann<br />

ich andere Dealer zu kennen, die auch an Kiloweise Stoff<br />

interessiert waren. Endlich war ich da, wo ich hinwollte,<br />

die Kleindealerei mit hundert Gramm ging mir auf den<br />

Geist, und ich hatte mit zu vielen Leuten zu tun, jeder<br />

konnte mich in die Pfanne hauen, wenn´s drauf ankam.<br />

Ich verdiente zwar nicht mehr soviel, weil ich natürlich<br />

bei solchen Mengen nur noch einige Hundert Mark pro<br />

Kilo aufschlagen konnte. Aber ich hatte das beste Dope,<br />

und diese Tatsache hatte sich in der Szene herumgesprochen.<br />

Ali lieferte was immer ich benötigte.<br />

Bald machte ich meinen ersten Zehn Kilo Deal, machte


ichtig Asche, und ging mit Jürgens Familie, Lucie und<br />

Fleure gut essen. Wir tranken Champagner, und feierten<br />

das Geschäft.<br />

Edith und Lucie verstanden sich sofort, sie waren beide<br />

überzeugte Mütter, auch Edith kümmerte sich rührend<br />

382<br />

um ihren kleinen Sohn. Tagsüber jedoch ging sie arbeiten,<br />

und ließ Roman bei der Mutter, die nur ein Haus<br />

weiter von ihr wohnte. Sie war auch gewerkschaftlich<br />

engagiert, und wir konnten über Politik sprechen.<br />

Jürgen scherte sich nicht um Politik, er war hinter anderen<br />

Frauen her wie der Teufel, wieder eine Ähnlichkeit<br />

mit mir, denn auch ich hatte wieder begonnen, schöne<br />

Frauen zu lieben, wenn auch meist nur für zwei oder<br />

drei Stunden. Jürgen war nicht anders, seine Frau war zu<br />

Hause, es ging nur um Sex, um Skalps, die wir uns virtuell<br />

an unsere Gürtel hängten. Und war abends ´mal<br />

nur eine Frau zu haben, teilten wir sie uns. Wir waren<br />

beide rechte Sexgangster.<br />

Nun suchte ich ernsthaft eine neue Wohnung, ich wollte<br />

Lucie nicht zumuten, schwanger, und mit Fleure und<br />

Einkäufen am Arm die vielen Treppen zu steigen. Lucie<br />

hatte sich auch Freundinnen gefunden, da war unter anderen<br />

Burga, die sie sehr liebte. Mit Edith traf sie sich<br />

seltener, manchmal am Wochenende, sie arbeitete ja in<br />

einem Büro bei Hoesch, einem Riesenstahlkonzern in<br />

Dortmund. Hauptsache Lucie war nicht länger alleine,<br />

auch begann sie ganz langsam Deutsch zu lernen. Viel<br />

aus dem Fernseher, den ich angeschafft hatte. Auch Burga<br />

half ihr dabei, ich machte mir die Mühe nicht, sprach<br />

weiterhin französisch mit ihr.<br />

Ich hatte die Bullen immer im Kreuz, sie versuchten Alles,<br />

um mir etwas nachzuweisen, was ihnen glücklicherweise<br />

nicht gelang.<br />

Aus Jux fuhren Waldi, Meike, Jürgen und ich nach Brüssel,<br />

um dort Kongo-Grass zu kaufen, das sollte sehr gut<br />

und billig sein. Wir wollten nur hundert Gramm für unseren<br />

Bedarf kaufen, wie gesagt, es war eine reine Vergnügungsreise.<br />

So machten wir uns mit Waldi´s Auto auf nach Brüssel,<br />

383<br />

kauften dort das Grass, schauten uns ein wenig in der<br />

Stadt um, ich nahm keinen Kontakt zu Bekannten auf.<br />

Auf der Rückfahrt pafften wir einen Joint nach dem anderen,<br />

im Auto war eine Rauchwolke von biblischen<br />

Ausmaassen.<br />

Es stank fürchterlich, und so gut war das Zeug gar nicht,<br />

man hatte uns einen Bären aufgebunden.<br />

Als wir zurück an die Deutsche Grenze kamen, hatten<br />

wir vierzig Gramm von dem Grass aufgeraucht, die<br />

Zöllner schauten sehr kritisch, als sie Waldi baten auszusteigen.<br />

Der Qualm zog aus dem Auto, genau in die Nasen<br />

der Zollbeamten. „Bitte steigen sie Alle aus“, forderten<br />

uns die Zöllner auf, und mir wurde flau zumute. Wir


hatten das Grass nicht besonders gut versteckt, die Beamten<br />

fanden es schnell.<br />

Nun waren wir erst einmal festgenommen, die Zöllner<br />

telefonierten hektisch irgendwohin. Nach ca. drei Stunden<br />

stand Kollege Parschau mit seinen Untergebenen<br />

vom Rauschgiftdezernat in Dortmund vor uns. „Na da<br />

haben wir euch ja endlich, Eric und Waldi, euch suchen<br />

wir doch schon lange“, freute sich Parschau, die Hände<br />

reibend. „Na und, wir haben uns nur etwas für uns zum<br />

rauchen geholt, wir dealen nie“, sagte ich deutlich, damit<br />

meine Freunde es auch hören konnten. „Auch das<br />

ist verboten wie ihr wisst, jetzt geht´s in den Knast“.<br />

Und wahrhaftig, die Typen fuhren uns direkt ins Dortmunder<br />

Untersuchungsgefängnis, und die Zellentüren<br />

knallten hinter uns zu. Der Schock meines Lebens, ich<br />

hatte zwar schon Gitter erlebt, aber auf zwei mal vier<br />

Metern Raum zu hocken, war doch eine weitere<br />

schreckliche Erfahrung.<br />

Am nächsten Morgen kamen die Beamten zum Verhör.<br />

Ich sagte nicht mehr, als ich schon am Vorabend gesagt<br />

hatte. „ Ihr wolltet das Zeug doch sicher verkaufen“,<br />

384<br />

sagte Parschau hämisch grinsend. „Nix verkaufen, rauchen“,<br />

antwortete ich, „außerdem hab ich das Zeug<br />

nicht gekauft“. „Na wer denn dann“? „Weis ich nicht,<br />

hab ich nicht mitgekriegt“. Und zurück ging es in die<br />

Zelle.<br />

Eine Woche saß ich jetzt schon in der Kiste, hörte nichts<br />

von Niemand, und beschloss einen Brief an Lucie zu<br />

schreiben. Ich erklärte dass ich zufällig in diese Situation<br />

geraten war, sie sich nicht sorgen sollte, ich käme sicher<br />

bald wieder frei.<br />

Nach vier Tagen kam der Brief zurück, „Adressat unbekannt“.<br />

Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als<br />

ich das las, und bestellte sofort die Bullen, ich hätte etwas<br />

zu sagen. Sie kamen sehr schnell. „Na dann mach<br />

´mal reinen Tisch, Eric, du dealst doch schon seit du in<br />

Dortmund bist, und nicht zu knapp, sag endlich was los<br />

ist, dann wird deine Strafe nicht so streng ausfallen“.<br />

„Ich deale nicht, ich möchte nur wissen, wo meine Frau<br />

abgeblieben ist“. „Die ist ausgewiesen worden, sie war<br />

hier nicht angemeldet, und vielleicht mit in deine Dealereien<br />

verwickelt“. „Nie haben wir gedealt, meine Frau<br />

raucht nicht einmal“, gab ich erschrocken zur Antwort.<br />

Mir stand der kalte Schweiß auf der Stirne. Lucie ausgewiesen,<br />

wie konnte das sein? Ich war ernsthaft gründlich<br />

am Ende. „Deine Freunde haben ausgesagt, dass du<br />

den Stoff gekauft hast, sie sind alle frei“, sagte einer der<br />

anderen Beamten. Ich konnte es kaum fassen, die Typen<br />

hatten mich verraten, sich so freigekauft. „Der Jürgen<br />

Rose hat keine Aussage gemacht, gegen den liegt ja auch<br />

nichts vor, Waldi und du ihr seid die Übeltäter“, sagte<br />

Parschau. „Euch beiden haben wir schon lange im Auge“.


„OK, was geschieht, wenn ich eine Aussage mache“,<br />

fragte ich. „Dann kannst du noch heute gehen“,<br />

bekam ich zur Antwort. „Ich hab das Zeug gekauft“,<br />

385<br />

sagte ich, „aber wirklich nur zum Eigenverbrauch“, fügte<br />

ich hinzu.<br />

„Und was ist mit der Dealerei“, fragte Parschau? „Nix<br />

Dealerei, ich hab nie ´was verkauft, das müssen sie mir<br />

glauben“, log ich.<br />

„Na ja, wir können es dir leider nicht beweisen, aber<br />

wenigstens hast du gestanden, den Stoff in Brüssel gekauft,<br />

und über die Grenze geschmuggelt zu haben, dafür<br />

kriegst du ein Verfahren an den Hals“, resignierte<br />

Parschau. „Du kannst gehen, der Prozess wird später<br />

stattfinden“.<br />

Schnellstens machte ich mich auf den Weg nach Hause,<br />

sah aus wie ein Penner, hatte mich im Knast nie rasiert<br />

und kaum gewaschen, meine Kleidung war verdreckt.<br />

Die Wohnung war leer, Lucie und Fleure waren verschwunden.<br />

Ich konnte es nicht fassen, wusste erstmal<br />

nicht was ich machen sollte. So wie ich entlassen wurde<br />

ging ich ins Oma Plüsch, dort traf ich Waldi und Jürgen.<br />

„Waldi du Sau, hast mich angezinkt“, schrie ich ihn an,<br />

und wollte auf ihn los. „Nein Eric, wir haben gesagt, wir<br />

alle hätten das Grass gekauft, die haben dich verarscht“.<br />

Jürgen bestätigte dies, ihm glaubte ich sofort.<br />

Sie wussten dass Lucie ausgewiesen war, und versuchten<br />

mich zu trösten. „Was mach ich denn jetzt, ich will meine<br />

Frau und das Kind zurück“.<br />

Am nächsten Morgen begab ich mich zur Ausländerpolizei<br />

im Rathaus von Dortmund, „Was ist mit meiner<br />

Frau“, fragte ich. Man schaute mich angeekelt an. „Das<br />

ist nicht ihre Frau, das ist eine Französische Staatsangehörige,<br />

die in Drogensachen verwickelt ist, solche Ausländer<br />

weisen wir aus. Das können sie vergessen, die ist<br />

für immer aus Deutschland ausgewiesen“. „Aber sie hat<br />

doch nichts mit Drogen zu tun, ich habe gekifft, sie niemals“.<br />

„Ausgewiesen, da können wir nichts mehr ma-<br />

386<br />

chen“ sagte einer der Beamten. „Wer ist ihr Vorgesetzter“,<br />

fragte ich sofort. „Der Stadtdirektor, aber der kann<br />

ihnen auch nicht helfen“. „werden wir sehen“, und raus<br />

war ich aus der Türe, auf der Suche nach dem Büro des<br />

Stadtdirektors.<br />

Den hatte ich schnell gefunden, wurde aber abgewiesen.<br />

„Das ist alleine Sache der Ausländerbehörde, wir können<br />

ihnen nicht helfen“, wurde mir mitgeteilt.<br />

`Jetzt hilft nur noch der Bürgermeister, der hat doch hier<br />

zu sagen`, dachte ich mir, und fragte auf dem Flur, wo<br />

ich den finden könnte. Ich bekam die Auskunft, und eilte<br />

in den zweiten Stock des Rathauses, wo das Büro des<br />

Bürgermeisters lag. Ich klopfte nicht an die Türe, flog<br />

hinein, und befand mich in einem Raum mit drei Sekretärinnen.


„Ich muss den Bürgermeister sprechen“, sagte<br />

ich laut. „Das geht so nicht, sie brauchen einen Termin,<br />

der Bürgermeister hat zu tun“, bekam ich zu hören. Sicher<br />

dachten die Weiber, dieser Penner, was will der<br />

beim Bürgermeister.<br />

Ich sah die große Türe, die in das Zimmer des Bürgermeisters<br />

führen musste, ich ging auf die Türe zu, und<br />

griff nach der Klinke. „Das geht nicht“, riefen die Frauen<br />

aufgeregt, „sie können da nicht einfach ´reingehen“.<br />

Aber ich war schon drin, sah ca. zehn Meter vor mir einen<br />

großen Mann hinter einem riesigen Schreibtisch sitzen.<br />

Bevor die Frauen mich aufhalten konnten, stand ich vor<br />

dem Schreibtisch. „Man hat meine Freundin ausgewiesen,<br />

ohne jeden Grund“, erklärte ich dem bulligen Bürgermeister.<br />

„Setzten sie sich“, sagte er freundlich, und<br />

schickte die Sekretärinnen hinaus. Ich erklärte ihm die<br />

Sachlage, betonte, dass Lucie nichts mit Drogen zu tun<br />

habe, und man sie nicht wegen meiner Vergehen einfach<br />

ausweisen könnte. „Können schon“, antwortete der<br />

387<br />

Bürgermeister, „aber wir werden sicher eine Lösung finden,<br />

sie scheinen ihre Freundin ja wirklich zu lieben,<br />

sonst säßen sie nicht hier vor mir“. Er überlegte einen<br />

Augenblick, der mir wie Stunden vorkam. „Wenn sie ihre<br />

Situation legalisieren, das heißt, wenn sie ihre Freundin<br />

heiraten, gibt es die Möglichkeit, dass sie zurückkommen<br />

kann, ich sorge dafür“, versprach er mir.<br />

Mir fiel ein Stein vom Herzen, also gab es doch Hoffnung,<br />

die mir Ausländerpolizei und Stadtdirektor genommen<br />

hatten.<br />

„Ich bestelle sofort das Aufgebot“, sagte ich. „Dann kann<br />

ihre Frau schon jetzt zurückkommen, ich werde alles<br />

veranlassen“, sagte mir der Bürgermeister, und griff zum<br />

Telefon.<br />

„Rufen sie ihre Frau an, sie kann zurückkommen“, sagte<br />

der Bürgermeister nach dem Gespräch, als er den Hörer<br />

auflegte. „Ihr müsst aber wirklich heiraten“, betonte<br />

er nachdrücklich.<br />

„Ist klar, warum auch nicht“, antwortete ich, „ sie können<br />

sich drauf verlassen“.<br />

Ich ging zu einem Telefon, und rief in Paris bei Lucie ´s<br />

Mutter an. Dort war sie auch. Sie freute sich riesig meine<br />

Stimmen zu hören. „Du kannst zurückkommen“,<br />

sagte ich ihr. „Aber ich habe einen Riesenstempel im<br />

Pass, dass ich Lebenslang nicht mehr nach Deutschland<br />

kann“, weinte sie am Telefon. „Ich hab alles geregelt, du<br />

kannst zurück“. Sie konnte es kaum glauben, beruhigte<br />

sich aber bald. „Nimm den nächsten Zug“, sagte ich ihr,<br />

aber sie wollte noch zwei Tage bei ihrer Mutter bleiben,<br />

sie hatte an der Grenze bei der Abschiebung Schreckliches<br />

erlebt, man hatte ihr sogar angedroht, das Baby in<br />

ein Heim zu geben, wenn sie mit Drogen zu schaffen<br />

hätte.


„Die Drogengeschäfte hören auf“, sagte mir Lucie sehr<br />

388<br />

bestimmt, und ich versprach ihr mich zu bessern.<br />

Lucie kam bald zurück, eine Woche später, am 4. März<br />

1970, wurde geheiratet. Jürgen und ich nahmen ab und<br />

zu LSD, eine Droge, die unsere Gedanken ins Weltall jagten.<br />

Wir fühlten uns wohl dabei, und führten lange sehr<br />

mystische Gespräche, lernten viel über uns selbst.<br />

Zur Feier des Hochzeitstages hatten wir auch LSD geschluckt,<br />

Jürgen streckte im Trauungszimmer die Zunge<br />

raus, auf der das Blättchen mit der darauf geträufelten<br />

Droge lag. Ein anwesender Fotograf hatte die Szenen im<br />

Trauungszimmer sehr interessiert festgehalten, später<br />

konnte ich das Papier auf Jürgens Zunge auf einem Foto<br />

deutlich wieder sehen. Lucie hatte keine Ahnung, sie<br />

merkte es uns nicht an. Jürgens Frau Edith war Trauzeugin,<br />

und ein Freund, Mike war der Trauzeuge. Es war eine<br />

richtige Hippiehochzeit, Lucie mit ihrem dicken<br />

Bauch, Stiefel unter einem engen Kleid, das ihren enormen<br />

Bauch betonte, Fleure auf dem Schoß. Ich mit einem<br />

indischen Hemd, Cordhose, hellbrauner Lederweste<br />

und Stiefeln. Jürgen trug einen schwarzen,<br />

breitkrempigen Schlapphut und eine rote Lederjacke.<br />

Wir hatten noch einige Freunde als Begleitung, alles<br />

überzeugte Hippies, der Standesbeamte wusste wohl<br />

nicht so recht wie ihm geschah. Draußen warteten „normale“<br />

Bürger festlich gekleidet auf ihre Trauung.<br />

Wir wurden getraut, ich war verheiratet, was ich eigentlich<br />

nie sein wollte. Aber für Lucie hätte ich jede Mauer<br />

durchbrochen, auch die in mir. Diese Mauern waren sowieso<br />

nur dünn, bald völlig verschwunden. Glücklicherweise<br />

war ich früh genug von zu Hause und aus den<br />

Heimen geflüchtet, so konnte Niemand dicke Mauern<br />

in mir aufrichten.<br />

Nach der Hochzeit blieben wir alle länger in einem Ca-<br />

389<br />

fé, unterhielten uns, dann machte sich Lucie mit Fleure<br />

und Edith auf den Weg nach Hause, ich ging mit Jürgen<br />

im LSD-Rausch auf die „Piste“. Wir waren auf unserem<br />

eigenen Trip, die Hochzeit war gegessen.<br />

390<br />

Kapitel 46<br />

Bald nach unserer Heirat fand ich ein Haus außerhalb<br />

der Innenstadt von Dortmund, einen Kilometer vor<br />

Dortmund-Hörde. Das Zweifamilienhaus war alt, aber<br />

sehr schön. Es war von einem riesigen Garten umgeben,<br />

in dem sich viele Obstbäume befanden. Im Erdgeschoß<br />

wohnte noch eine alte Frau, schon seit ihrer Kindheit,<br />

wie sie uns später erzählte.<br />

Wir hatten die erste und zweite Etage gemietet, wir zogen<br />

in die erste Etage. Lucie war begeistert, sie hatte einen<br />

Garten, den sie seit ihrer Kinderzeit in den Ardennen<br />

Nähe Sedan in einem kleinen Dorf, wo sie bis zum


elften Lebensjahr bei einer Schwester ihrer Mutter lebte,<br />

bis sie nach Paris zog, immer sehr vermisst. „Das ist ja<br />

paradiesisch“, schwärmte sie, als sie erstmals das Haus<br />

sah. Ich hatte Möbel gekauft, ein großes Bett, einen neuen<br />

Fernseher, und natürlich eine dicke Stereoanlage. Lucie<br />

konnte es kaum fassen, endlich vernünftig wohnen,<br />

einen Garten für sie und Fleure, sie war überglücklich.<br />

Ich auch!<br />

Nun hatten wir endlich eine Bleibe gefunden, die über<br />

alles verfügte was wir uns wünschten, und sogar noch eine<br />

Etage zum vermieten.<br />

Die Etage hatte vier Zimmer, eine große Küche, ein<br />

großes Bad, und drei Räume waren schon sehr schön<br />

möbliert. Ich hatte viel Geld ausgegeben, auch einen<br />

Makler bezahlt, unser Konto war zwar noch nicht auf<br />

Null, aber große Sprünge konnte ich nicht mehr machen.<br />

Eineinhalb Kilo Dope hatte ich noch als Kapitalanlage<br />

gut verbunkert, Parschau konnte kommen, er würde es<br />

auf dem großen Anwesen niemals finden. Lucie hatte<br />

391<br />

nun eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wir waren<br />

ordnungsgemäß angemeldet, ihr und unserem Blümchen<br />

konnte nichts Böses mehr geschehen.<br />

Nun musste ich mit der Straßenbahn in die Stadtmitte<br />

fahren, das war mir aber egal, die Haltestelle war nicht<br />

weit, und Dortmund nicht sonderlich groß. Ich hatte<br />

stets nur ein kleines Stück Schit in der Tasche, zur Probe,<br />

falls ich einen Kunden hatte, und für mich und Jürgen.<br />

Dope spielte ab meiner Ankunft in Dortmund eine<br />

große Rolle, es hielt uns wirtschaftlich am Leben, und<br />

ich rauchte täglich, wie schon in Casablanca.<br />

Dann nahte der Tag der Gerichtsverhandlung. Ich machte<br />

mir keine große Angst, für die kleinen Mengen Hasch<br />

würde es sicher nicht viel Strafe geben, Handel konnte<br />

man mir nicht nachweisen.<br />

Ich war sehr überrascht, als ich das Gerichtsgebäude in<br />

Dortmund betrat, da hatten sich ca. 20 junge Leute eingefunden,<br />

die laut „gebt Haschisch frei“ skandierten, sie<br />

hatten es sogar auf Schilder geschrieben. Ich konnte in<br />

der Menge einige Freunde aus dem Oma Plüsch ausmachen,<br />

Jürgen war natürlich auch dabei, er war es, der die<br />

Demonstration angezettelt hatte.<br />

Zunächst fand ich das ja sehr sympathisch, dass man sich<br />

so sehr für mich einsetzte, dachte aber auch gleichzeitig,<br />

dass diese Aktion auch schaden könnte, der Richter<br />

würde sicher nicht „amused“ sein.<br />

Alle traten in den Gerichtssaal, die Demonstranten riefen<br />

weiter die Parolen, bis der Richter den Saal räumen<br />

ließ. Waldi und ich mussten auf der Anklagebank Platz<br />

nehmen, die Polizisten kamen als Zeugen, machten ihre<br />

Aussagen, und wir bekamen Beide acht Monate auf Bewährung.<br />

Parschau machte ein saures Gesicht, ich ihm eine lange<br />

Nase, konnte als freier Mann den Gerichtssaal wieder


392<br />

verlassen. Die Menge tobte, als wir aus der Türe traten,<br />

und umringten uns. Parschau kam in meine Nähe und<br />

flüsterte mir zu: „ Ich krieg dich noch Bürschchen“, und<br />

zog mit seinen Kollegen ab zurück ins Polizeipräsidium,<br />

weiter ermitteln. Er sollte mich nie wieder kriegen!<br />

Neben dem Oma Plüsch gab es ein großes Kino, das<br />

schon lange geschlossen war. Ein Holländer aus Amsterdam<br />

war nach Dortmund gezogen, Ruud van Laar, Hippie<br />

Ruud, wie wir ihn nannten.<br />

Er hatte das Kino gemietet, und begann es umzubauen,<br />

keiner von uns wusste so recht, was er da machen wollte,<br />

bis er uns eines Tages eröffnete, dass er vorhatte, eine<br />

Rock´n´Roll Halle daraus zu machen, Live Musik anzubieten,<br />

und eine große Diskothek einzubauen.<br />

Wir waren Alle begeistert, endlich ein Mensch, der sich<br />

voll und ganz um unsere Belange und Wünsche kümmern<br />

wollte. Wir halfen ihm so gut wir konnten, er hatte<br />

auch professionelle Arbeiter eingestellt, richtig investiert.<br />

Als dann alles soweit fertig war, Teppichboden<br />

überall, der Saal wie ein Amphitheater nach oben hoch<br />

gebaut, wo sich eine zweite Theke befand, die Diskothek<br />

in der Mitte des Saals, von einer riesigen runden Theke<br />

umgeben. Als wir sahen wie die riesenhaften Lautsprecherboxen<br />

in den Saal transportiert wurden, konnten<br />

wir unserer Freude kaum Halt gebieten, die würden einen<br />

Monstersound erzeugen. Sitzplätze waren rund um<br />

den Saal in zwei Etagen einfach aus langen, breiten Stufen<br />

gebaut, mit Teppich überzogen, auf denen Kissen lagen,<br />

auf Tische hatte Ruud verzichtet, er wollte maximalen<br />

Platz für Tänzer und Zuschauer der zu<br />

erwartenden Konzerte.<br />

„Fantasio“ nannte er den Laden, und schon bald blinkte<br />

eine große Leuchtreklame vor dem Eingang mit dem<br />

Namen. Nach ca. drei Monaten Umbauzeit wurde das<br />

393<br />

Fantasio eröffnet, an diesem Abend war das Oma Plüsch<br />

leergefegt.<br />

Es spielte eine Band mit Namen „Epitaph“, was soviel<br />

hieß wie Nachruf. Vier junge, langhaarige Musiker, zwei<br />

Gitarren, Bass und Schlagzeug.<br />

Edith hatte Fleur zu sich genommen, sie interessierte<br />

sich nicht sonderlich für Musik, so konnte Lucie, zwar<br />

hochschwanger, mit mir zum Eröffnungskonzert mitkommen.<br />

Es war ein großartiger Abend, die Band war<br />

super, alles Jungs aus dem Ruhrgebiet, bis auf den Lead<br />

Gitarristen, Cliff Jackson, der aus England stammte, aber<br />

schon lange in Dortmund lebte, und die Band gegründet<br />

hatte. Er und Klaus, der zweite Gitarrist spielten oft<br />

zweistimmig, was fantastisch klang, Bernie, der Bassist<br />

war der Sänger, der mit Stimmgewaltigem Gesang durch<br />

das Programm führte. „Ochse“, sein Spitzname, spielte<br />

Schlagzeug. Er drosch dermaassen fest auf die Trommeln,


dass man glauben konnte, sie würden gleich in Stücke<br />

fallen. Taten sie aber nicht. Das Konzert entwickelte sich<br />

zu einem Orkan von Rockmusik, das gesamte Publikum<br />

war aus dem Häuschen. Es waren sicher 500 Leute zur<br />

Eröffnung des Fantasio gekommen, Ruud hatte die Promotionstrommel<br />

gut gerührt.<br />

Das Fantasio entwickelte sich schnell zu einer festen Institution<br />

in Dortmund, Leute kamen aus dem gesamten<br />

Ruhrgebiet hierher.<br />

Das Oma Plüsch litt in keinster Weise unter der Konkurrenz,<br />

im Gegenteil, die Menschen waren froh, den Platz<br />

ab und zu wechseln zu können, und gingen zum Nachbarn,<br />

wo sie weiter mit guter Rockmusik unterhalten<br />

wurden. Und der Umsatz florierte.<br />

Nach dem Konzert gingen Jürgen und ich zu den Musikern,<br />

die an der Theke saßen. „Hallo, ich bin Eric, das<br />

ist mein Freund Jürgen“, stellte ich mich vor. „I´m<br />

394<br />

Cliff“, antwortete der Lead Gitarrist freundlich, und<br />

stellte uns seine Mitstreiter vor. „Das war ein Superkonzert“,<br />

machte ich den Musikern ehrlich gemeinte Komplimente.<br />

Auch Jürgen war begeistert. Wir rauchten einen<br />

Joint zusammen, den Jürgen dick und lang<br />

vorbereitet hatte. Ziemlich high erzählten wir uns noch<br />

lange Geschichten, Ruud legte Musik auf, er war ein äußerst<br />

begabter DJ.<br />

Lucie war schon mit einem Taxi zu Edith gefahren, holte<br />

Fleure ab, und fuhr dann nach Hause.<br />

Sie wollte das Kind nicht zu lange alleine lassen, schon<br />

kurz nach dem Zweistündigen Konzert war sie verschwunden.<br />

Sie war schließlich auch kurz vor der Geburt<br />

unseres zweiten Kindes, und musste dringend heim.<br />

Sie fühlte sich in unserem Haus sehr wohl.<br />

Cliff Jackson hatte keine Wohnung, er schlief Zeitweise<br />

im Bus der Band. Ich bot ihm an in unserem Haus ein<br />

Zimmer zu beziehen, wir hatten die obere Wohnung an<br />

zwei junge Leute vermietet, so fast die gesamte Miete<br />

für das Haus zusammen, aber es war noch ein Zimmer<br />

ungenutzt.<br />

Cliff freute sich sehr über das Angebot, das er gerne annahm.<br />

Er zog schon einige Tage später bei uns ein,<br />

brachte seine drei Gitarren mit, einen kleinen Verstärker,<br />

und komponierte neue Songs.<br />

So langsam ging es auf den neunten Monat der Schwangerschaft<br />

von Lucie zu, sie hatte diesmal einen enorm<br />

dicken Bauch, sehr viel anders als bei Fleure. Diesmal<br />

war sie oft zum Arzt gegangen, wir wollten keinerlei Risiko<br />

eingehen, waren ja auch nicht auf Reise. Sie hatte<br />

einen sehr guten und menschlich wertvollen Gynäkologen<br />

gefunden.<br />

Am 16. März 1970 wurde uns wieder ein Mädchen geboren,<br />

ich freute mich riesig. Ich liebte kleine Mädchen,<br />

395


mit einem Jungen hätte ich vielleicht nicht so gut umgehen<br />

können. Fleure hatte eine Schwester bekommen,<br />

ein zweites Kinderbettchen stand schon bereit. Wir hatten<br />

ja nun ein richtiges Kinderzimmer, das Lucie sehr<br />

liebevoll eingerichtet und geschmückt hatte.<br />

Diesmal hatte Lucie den Namen für unser neues Baby<br />

ausgesucht, sie nannte es Laura. Nun hatten wir ein<br />

Blümchen, das sich langsam zur Blume entwickelte, und<br />

eine winzige Laura, in die ich mich schnell verliebte.<br />

Der Sommer kam und wir hielten uns meist im Garten<br />

auf. Die alte Dame hatte uns wohl lieb gewonnen,<br />

brachte uns oft große Töpfe mit Eintopf, Linsen- oder<br />

Erbsensuppe. Die Gerichte schmeckten köstlich, so richtig<br />

von Oma gekocht.<br />

Oft brachte ich meine Stereoanlage in den Garten, Leute<br />

versammelten sich bei uns, ich unterhielt sie mit lauter<br />

Musik. Es wurde getanzt, geraucht und getrunken,<br />

wir feierten den Sommer.<br />

Jürgen brachte immer die neueste Musik, seine „Raubzüge“<br />

waren sehr erfolgreich, er wurde nie erwischt. Wir<br />

wurden richtig dicke Freunde, machten fast alles gemeinsam.<br />

Ich fühlte mich sehr wohl mit ihm, er war<br />

auch gerne in meiner Nähe.<br />

Ein gewisser Georg Langer hatte in der Stadt eine Teestube<br />

eröffnet, wo sich schnell junge Studenten und<br />

Klienten aus dem Fantasio und dem Plüsch einfanden.<br />

Es gab hervorragenden Tee, und süße Leckereien zum<br />

essen. Wir besuchten die Teestube oft, und ich freundete<br />

mich bald mit Georg an. Er war aus Schwerte, 20 km<br />

weg von Dortmund, einem Ort, der im Grünen lag, und<br />

von Wäldern umgeben war. Er hatte Wirtschaftswissenschaften<br />

studiert, fand aber keinen rechten Spaß an dem<br />

Job, er war lieber mit Hippies und Musikern zusammen.<br />

396<br />

Nach den Konzerten im Fantasio kamen die Musiker<br />

meist zu ihm in die Stube, wo sich viele in der Küche<br />

aufhielten. Eines Tages kam ich in die Küche, und musste<br />

miterleben, wie ein schwarzer amerikanischer Musiker<br />

Opium in einem großen Löffel aufkochte, diese<br />

schwarze Brühe dann in eine Injektionsspritze aufzog,<br />

sich den Oberarm abband und das Zeug in die Vene injizierte.<br />

Er verdrehte die Augen, und hing dann kraftlos<br />

in dem Stuhl. Dies war das erste Mal, dass ich mit harten<br />

Drogen in Berührung kam, es erfüllte mich gleich mit<br />

Abscheu.<br />

Ich fragte Georg, wie er so was zulassen konnte, er sagte<br />

nur: „ Jeder muss wissen was er tut, ich habe kein Recht<br />

irgendjemandem irgendetwas zu verbieten“. „Aber in<br />

deiner Küche, du wirst Schwierigkeiten bekommen“,<br />

erwiderte ich. „Solche Aktionen werde ich auch zukünftig<br />

unterbinden, ich konnte diesem Musiker seinen<br />

Schuss nicht verbieten, er war mein Gast“. Georg hatte<br />

auch einen großen Freigeist, aber so weit ging meiner


nicht, ich verfluchte harte Drogen, die sich auch in der<br />

gesamten Dortmunder Szene zu verbreiten begannen.<br />

Von Freunden hörte ich, dass man in Frankfurt und Heidelberg<br />

sehr gut Hasch verkaufen konnte, wenn die dort<br />

stationierten amerikanischen Soldaten „Pay-day“, Zahltag<br />

hatten, jeweils am 15.- und 30. des Monats. Sie zahlten<br />

hohe Preise, und da mir der Boden in Dortmund in<br />

dieser Hinsicht zu heiß wurde, machte ich mich auf<br />

nach Frankfurt. Hinter der Oper war ein großer Park,<br />

wo sich Dealer und Kundschaft aufhielten.<br />

Ich hatte mir in Dortmund zwei gleiche kleine schwarze<br />

Reisetaschen gekauft, aus Einer den Boden herausgeschnitten,<br />

und aus der Zweiten eine Tasche mit doppeltem<br />

Boden gebastelt. Es fiel absolut nicht auf, da es<br />

gleiche Materialien waren, und ich mich geschickt ange-<br />

397<br />

stellt hatte. Ich wollte das Risiko des Transports nach<br />

Frankfurt so klein wie möglich halten, und steckte ein<br />

Kilo Hasch in zweihundert Gramm Platten zwischen die<br />

doppelten Böden.<br />

Ich nahm den Zug nach Frankfurt, steckte mir eine Platte<br />

Hasch in den Hosenbund, Hemden trug ich sowieso<br />

nur über der Hose, die Reisetasche mit dem Rest legte<br />

ich in ein Schließfach am Bahnhof, und nahm ein Taxi<br />

zur alten Oper.<br />

Dann ging ich an dem prächtigen Gebäude vorbei, und<br />

erreichte den Park. Es war der 15., und viele Leute waren<br />

im Park versammelt. Ich hatte gehört, dass die<br />

Frankfurter Dealer ihren Stoff zu strecken pflegten, den<br />

Amis nur schlechtes Material verkauften. Dies sollte sich<br />

ändern. Ich setzte mich auf eine Bank im Park, und<br />

machte mir ein Bild der Situation. Ständig kamen junge,<br />

englisch sprechende Männer eiligen Schrittes an meiner<br />

Bank vorbei, und nahmen Kontakt mit wartenden<br />

Dealern auf. Alles ging schnell, Hasch und Geld wurden<br />

ausgetauscht, und schon waren die Amis wieder raus aus<br />

dem Park. Als wieder zwei von den Soldaten in Zivil an<br />

mir vorbeieilten, sagte ich leise: „Hasch“? Die Beiden<br />

blieben sofort stehen, und fragten nach dem Preis. Ich<br />

sagte „ sechs Mark das Gramm“, sie lächelten. „Thats to<br />

much“, das ist zuviel, ich sagte es sei reiner Stoff, sie sollten<br />

probieren, und gab ihnen eine kleine Ecke Dope.<br />

Sie verschwanden für kurze Zeit, kamen aber schnell zurück,<br />

und fragten, wie viel ich davon habe. „Genug“,<br />

antwortete ich, sie nahmen die gesamten zweihundert<br />

Gramm, und sagten, dass sie Freunde vorbeischicken<br />

würden, sie hätten noch nie so gutes Dope gekauft.<br />

Dann fragten sie mich noch ob ich Frankfurter sei, was<br />

ich verneinte. Ich sagte ich sei aus Köln, und wenn sie<br />

und ihre Kameraden Interesse hätten, würde ich öfters<br />

398<br />

kommen. Es dauerte nur Augenblicke, bis die Nächsten<br />

kamen, und 100 Gramm kauften. Sie gingen direkt auf


mich zu, und stellten die Frage: „You got Dope Man?“.<br />

An ihrer Aussprachen konnte ich erkennen, dass es Amerikaner<br />

waren, und verkaufte mein Hasch. Immer Neue<br />

kamen zu mir, man hatte mich und meinen Platz im<br />

Park wohl beschrieben, denn sie gingen nicht weiter zu<br />

Dealern, die sie vielleicht schon kannten, sondern blieben<br />

direkt bei mir.<br />

Bald verwickelte ich die Kommenden in ein kurzes Gespräch,<br />

um sicher zu sein, dass es wirklich Amerikaner<br />

waren, jeder Deutsche hätte ein Fahnder sein können,<br />

die kleinen Ängste ergriffen seit meiner ersten Verhaftung<br />

langsam Besitz von mir. Ich wollte auf keinen Fall<br />

mehr in einer Zelle landen.<br />

Das Kilo hatte ich nach 3 Stunden verkauft, ich fuhr bei<br />

jeder größeren Bestellung zurück zum Bahnhof, und<br />

holte neues Material, bis ich passen musste. Die Amis<br />

fragten ob ich am nächsten Pay-Day wieder hier sein<br />

würde, was ich bejahte.<br />

Aus dem Kilo hatte ich mehr als Neuntausend Mark gemacht.<br />

Da ich nichts abwog, die Stücke jeweils groß waren,<br />

hatte ich einen viel höheren Preis herausgeschlagen<br />

als geplant.<br />

Mit meinem erzielten Gewinn war ich überaus zufrieden,<br />

und nahm den nächsten Zug zurück nach Dortmund.<br />

Ich hatte wieder Kapital, dass ich gezielt zu platzieren<br />

gedachte. Ich wollte auf keinen Fall wieder arm<br />

werden, hatte schließlich Frau und zwei Kinder, und keinerlei<br />

Chance auf eine mir zusagende Arbeit.<br />

Ali hatte ich gebeten, das Dope für mich zu pressen, ich<br />

wollte nicht mehr mit dem Zeug in unserem Haus herumhantieren,<br />

Parschau lag sicher immer auf der Lauer.<br />

Ich bekam die gleiche Qualität, jetzt gepresst, zahlte Ali<br />

399<br />

dafür einhundert Mark mehr. So war ich sicher, immer<br />

erste Sahne zu bekommen, ich war der beste Kunde<br />

Ali´s. Diesmal kaufte ich direkt wieder drei Kilo, er ließ<br />

sie mir für dreitausend Mark, gepresst, der Rest meines<br />

Gewinns landete auf einem Bankkonto.<br />

Ich sagte Niemandem dass ich nach Frankfurt fuhr, auch<br />

Jürgen nicht. An jedem Zahltag war ich dort, und verkaufte<br />

den Stoff schnell und diskret. Mit meinen<br />

Stammkunden hatte ich einen anderen Übergabeplatz<br />

ausgemacht, ging nicht mehr in den Park, es war mir auf<br />

die Dauer zu heiß, die Schmiere lauerte auch dort, wie<br />

ich bald erfuhr, und mir selbst ausmalen konnte.<br />

Unter den Amerikanern hatte sich schnell herumgesprochen,<br />

dass da einer war, der sauberes Dope verkaufte,<br />

und ich bekam immer neue Kunden. Schnell erzielte ich<br />

Gewinne von bis zu zehntausend Mark pro Kilo, ich gab<br />

immer ein bisschen Weniger, als bestellt, Niemand hatte<br />

eine Waage, um die geforderte Menge zu überprüfen, das<br />

nutzte ich natürlich aus. Trotz meines hohen Preises hatten<br />

die Soldaten immer einen guten Deal gemacht, denn


sie erhielten gutes Material für ihre Dollars, die ich in<br />

dicken Bündeln nach Hause schleppte.<br />

Lucie war jedes Mal besorgt wenn ich auf die Reise<br />

ging, ich versuchte sie zu beruhigen, was mir nur<br />

schwerlich gelang. Aber ich war stets schnell zurück in<br />

Dortmund, so hielten sich ihre Ängste in Grenzen. Ich<br />

machte richtig Geld, verkaufte in Dortmund kein<br />

Gramm mehr. Wenn mich jemand darauf ansprach, sagte<br />

ich stets, ich habe aufgehört zu dealen, es sei mir zu<br />

gefährlich geworden.<br />

Das Plüsch und das Fantasio besuchte ich weiterhin sehr<br />

gerne, machte in beiden Läden Musik, was mir auch<br />

noch etwas Geld einbrachte, aber in erster Linie Spaß.<br />

Geld hatte ich genug. Mehr als genug.<br />

400<br />

Wir lebten gut und teuer, ich kaufte stets nur die feinsten<br />

Lebensmittel, und Lucie bekam fürstliches Haushaltsgeld.<br />

Ich sah die Kinder langsam aufwachsen, leider<br />

kümmerte ich mich nicht so intensiv um sie, wie es sich<br />

für einen Vater gehört hätte. Ich war dauernd auf Achse,<br />

hatte Hummeln im Arsch. Auch die Mädels lockten<br />

mich noch immer, ich nahm mir hin und wieder ein<br />

Opfer mit in ein Hotel.<br />

Mittlerweile hatte ich mir ein Kapital von ca. siebzigtausend<br />

Mark angesammelt, das ich bar zu Hause gebunkert<br />

hatte. Auf der Bank hatte ich nur die Neuntausend<br />

Mark, konnte immer beweisen, dass wir nicht auf den<br />

Staat angewiesen waren. Das waren Ersparnisse, sagte<br />

ich, wenn Jemand offiziell Fragen stellte. Das gebunkerte<br />

Geld konnte ich unmöglich auf das Konto einzahlen,<br />

man hätte sicher peinliche Fragen gestellt, Parschau hätte<br />

sicher irgendwie Lunte gerochen. Er hatte eine feine<br />

Nase, ich die besseren Ideen, mich zu tarnen.<br />

Irgendwann machten wir eine kurze Reise nach Paris,<br />

um Lucie´s Mutter und ihre Schwestern zu besuchen.<br />

Außerdem hatte ich ´mal wieder Lust auf eine Reise, Paris<br />

war immer ein schönes Ziel für mich.<br />

Das gesamte Geld nahm ich mit nach Frankreich, Sonja,<br />

eine Schwester von Lucie eröffnete ein Konto, von dem<br />

aus sie das Geld auf meine Bank in Dortmund überwies.<br />

So hatte ich das Geld „gewaschen“, es war ein Geschenk<br />

von Lucie´s Familie, Niemand konnte mir das Gegenteil<br />

beweisen. Wir spazierten durch Paris, und immer kamen<br />

Erinnerungen an alte Zeiten in mir hoch. Poppoff hatte<br />

geschlossen, dort war nun ein Hamburgerrestaurant eingezogen,<br />

die gesamte Rue de la Huchette war zum Touristenmagnet<br />

geworden, ein Restaurant neben dem<br />

nächsten. Es war nicht schön anzusehen, die Bohemiens<br />

waren vertrieben worden.<br />

401<br />

Eine Woche verbrachten wir in Paris und reisten zurück<br />

nach Dortmund. Ich begab mich des Öfteren in Georg´s<br />

Teestube, es war gemütlich dort, ich konnte mich mit


Georg sehr gut unterhalten, wir rauchten gemeinsam,<br />

und wurden langsam Freunde. Jürgen sah ich täglich,<br />

entweder er kam zu uns nach Hause, oder wir trafen uns<br />

in der Stadt, wo ich ihn bei seinen genialen Raubzügen<br />

beobachtete. Er war ein Meisterdieb, hatte keine anderen<br />

Einkünfte.<br />

Ich machte noch zwei Reisen nach Frankfurt, die Dollarbündel<br />

machten meine Taschen dick und rund, alles<br />

lief wie geschmiert. Dann zog es mich nach Heidelberg,<br />

ich hatte gehört, dass diese Stadt sehr schön sei, und von<br />

nach Hasch gierigen Amerikanern übervölkert. Als ich<br />

in der Stadt ankam, war ich zunächst enttäuscht, der<br />

Bahnhof war klein und unscheinbar, es war nichts Schönes<br />

auszumachen. Als ich dann aber mit dem Taxi näher<br />

in die Stadt kam, konnte ich nur staunen, alte Gebäude,<br />

schöne Brücken, und ein altes Schloss über der von Bergen<br />

umgebenen Stadt. Viel Natur, kleine verwinkelte<br />

Gässchen, die Stadt war wirklich ein wahres Kleinod.<br />

Und die Amerikaner hatten diese wunderschöne Stadt<br />

regelrecht besetzt, sie waren überall, in den Geschäften<br />

konnte man mir Dollar bezahlen. Die Amis hatten einen<br />

riesigen Stützpunkt ausserhalb Heidelbergs. Ich ging in<br />

die untere Strasse, dort waren viele Cafes, Restaurants<br />

und Boutiquen. Hier fand auch der Haschischhandel<br />

statt. Es dauerte nicht lange, bis ich suchende Blicke in<br />

den Augen von in Hawaihemden gekleideten Burschen<br />

mit Kurzgeschorenen Haaren erblickte, und ich sagte das<br />

Zauberwort.<br />

Schnell hatten sich die Soldaten mit mir geeinigt, und<br />

auch bald Freunde zu mir geschickt. Der Handel florierte<br />

auch hier, und ich war unbekannt, was in Frankfurt<br />

402<br />

mittlerweile nicht mehr der Fall war. Hier war ich erstmal<br />

gut aufgehoben. Ich hatte soviel Stoff mitgebracht,<br />

dass ich mich in ein Hotel einmietete, von wo aus ich<br />

auf den Fluss sehen konnte. Ich blieb zwei Tage in Heidelberg,<br />

und hatte noch mehr Geld gemacht als je in<br />

Frankfurt.<br />

An einem Pay-Day nahm ich Jürgen mit nach Heidelberg,<br />

wir mieteten ein Doppelzimmer, und zogen gemeinsam<br />

um die Häuser. Er war sehr froh, dass ich ihn<br />

mitgenommen hatte, ich erzählte ihm auch von meinen<br />

Reisen nach Frankfurt. „Deshalb warst du andauernd<br />

fort“, wunderte sich Jürgen. „Ich wollte zunächst alles<br />

alleine checken“, antwortete ich ihm, „deshalb die Geheimniskrämerei“.<br />

„Aber mir hättest du doch trauen<br />

können“, war Jürgen enttäuscht, ich erzählte ihm einfach,<br />

dass ich ihn nicht in möglicherweise gefährliche<br />

Situationen bringen wollte.<br />

Als ich von einem Deal ins Hotel zurückkam, erhielt ich<br />

einen Schock. Jürgen war gerade dabei, sich eine Spritze<br />

mit brauner Soße in die Vene zu praktizieren. Ich<br />

schrie ihn an, „hör sofort auf damit, du machst dich kaputt“.


„Lass mich in Ruhe, ich weis was ich tue, das<br />

Zeug törnt total geil“, gab er zu Antwort. „Jürgen, lass es<br />

sein, ich hasse dieses Zeug, von Opium wirst du schnell<br />

abhängig, das ist nicht mit Haschisch zu vergleichen“.<br />

„Meinst du das weis ich nicht“, sagte Jürgen. Als ich weiter<br />

auf ihn einredete, nahm er einen Stuhl, und schaute<br />

mich bedrohlich an. „Ich hau dir das Ding über den<br />

Schädel, wenn du mich jetzt nicht in Ruhe lässt“, rief er<br />

wütend, und ich ließ ihn gewähren.<br />

Dies konnte nicht mein Freund Jürgen sein, was hatte er<br />

nur angestellt, wie war er an das Zeug gelangt, fragte ich<br />

mich, während ich durch die untere Straße ging. Opium<br />

die anderen harten Drogen waren für mich absolut tabu,<br />

403<br />

ich wusste aus Gesprächen mit Georg, was dieses Zeug<br />

aus einem Menschen machen konnte. Von Haschisch<br />

konnte man für eine Zeit vielleicht psychisch abhängig<br />

werden, es aber sofort lassen, ohne Entzugserscheinungen<br />

zu bekommen, mit Opium war das anders, da<br />

brauchte man den täglichen Schuss, dann zwei, dann<br />

drei, und so weiter. Und die Junkies taten Alles, um an<br />

das Geld für diesen gefährlichen Stoff zu gelangen.<br />

Mir war nie aufgefallen, dass auch Jürgen dem Zeug verfallen<br />

war, aber die Szene im Hotel war überdeutlich.<br />

Ohne viel zu reden, Jürgen lag sowieso apathisch mit<br />

dem Kopf ans Fenster des Zugs gelehnt, fuhren wir zurück<br />

nach Dortmund. Ich sah Jürgen die nächsten Tage<br />

nicht wieder.<br />

Als ich Lucie von meiner Erfahrung berichtete war auch<br />

sie geschockt und verärgert. „Lass dich bloß nicht auf so<br />

was ein“, bat sie mich flehend. „Da mach dir mal keine<br />

Sorgen, ich fass solches Zeug nicht an“, versprach ich<br />

ihr. Und ich blieb dabei, ich rauchte mein Haschpfeifchen,<br />

und war völlig zufrieden damit. LSD nahm ich<br />

schon lange nicht mehr, von dieser Droge hatte man ja<br />

auch behauptet, sie mache abhängig, was sich als falsch<br />

herausstellte. Aber Opium, Heroin und Cocain, das in<br />

Dortmund jetzt die Runde machte, waren andre Kaliber,<br />

solche Drogen lehnte ich strickt ab, und versuchte<br />

andere Leute davon abzuhalten, was mir leider nur selten<br />

gelang. Heroin wurde aus Opium gemacht, man fügte<br />

Chemikalien hinzu, und heraus kam Heroin, das<br />

zehnmal stärker war als das pure Opium, und die Menschen<br />

erst recht schnell und sicher abhängig machte.<br />

Irgendwann war Ali verschwunden. Als ich an seiner<br />

Wohnungstüre klingelte wartete ich umsonst auf seine<br />

Frau, die mir sonst die Türe öffnete. Die Wohnung war<br />

offen, als ich gegen die Eingangstüre drückte, alle Möbel<br />

404<br />

waren weg, Ali hatte sich wohl in die Heimat abgesetzt.<br />

Ich war nicht sein einziger Kunde, sicher war Parschau<br />

auf ihn aufmerksam geworden, Ali hatte dies mitgekriegt,<br />

er hatte Informanten überall, plötzlich hatte ich


keinen Lieferanten mehr.<br />

Andere Türken waren längst auf den Trichter gekommen,<br />

dass sie mit verschnittenem Stoff mehr verdienen<br />

konnten, als mit purer Wahre, die waren für mich nicht<br />

akzeptabel. Ich wollte auch weiterhin nur gutes Material<br />

verkaufen, dafür war ich in der Szene bekannt. Dies<br />

sollte sich nicht ändern.<br />

Von Bekannten hatte ich gehört, dass es in Hamburg gutes<br />

Haschisch zu erstehen gab, also machte ich mich auf<br />

den Weg dorthin. Ich hatte einen Tipp bekommen, an<br />

wen ich mich dort wenden konnte.<br />

Ich traf Tim, einen Unterhändler zwischen den Dealern<br />

und Aufkäufern, es war sehr schwer in Hamburg, die<br />

Dealer direkt zu kontaktieren, alle hatten Schiss vor den<br />

Drogenfahndern, die Haschisch, Heroin und andere<br />

Drogen gleichermaasen behandelten, für sie gab´s keinen<br />

Unterschied zwischen den Stoffen.<br />

So stand´s halt im Deutschen Gesetzbuch, Droge ist<br />

Droge, Basta. Und die Junkies arbeiteten schnell mit der<br />

Polizei zusammen, wenn sie geschnappt wurden, machten<br />

sie spätestens bei den ersten Entzugserscheinungen<br />

den Mund auf, und verrieten Alle und Jeden, den sie als<br />

Verkäufer kannten, nur um sofort wieder auf die Straßen<br />

zu kommen, neuen Stoff besorgen. Also begaben sich die<br />

Dealer in den tiefen Untergrund.<br />

Tim wusste, wo es frischen Stoff für mich gab, schnell<br />

hatte ich wieder drei Kilo Hasch erstanden, fuhr mit der<br />

Bahn zurück nach Dortmund, dann nach Heidelberg,<br />

wo ich schnell alles loswurde. Der Stoff kam nun aus Afghanistan,<br />

war schwarz, mit einer Schimmelschicht um-<br />

405<br />

geben. Wenn man darauf drückte, floss harzige Flüssigkeit<br />

aus den dicken Brocken, dies war ein Zeichen für<br />

gute Qualität. Aber längst nicht so gut, wie das harte türkische<br />

Material.<br />

406<br />

Kapitel 47<br />

Nun fuhr ich regelmäßig nach Hamburg, kaufte Hasch,<br />

und blieb manchmal noch einen Tag, um die Stadt zu erkunden.<br />

Hamburg war sehr schön und interessant, oft<br />

ging ich auf der Reeperbahn, der unzüchtigen Meile<br />

Hamburgs spazieren, schaute auf die Bordsteinschwalben,<br />

und die Bars, vor denen Männer standen, die mit<br />

lockeren Sprüchen versuchten, das Publikum zu locke<br />

wie in Soho London. Mich lockte niemand<br />

Ich besuchte jedoch den „Star Club“, in dem die Beatles<br />

ihre Karriere begonnen hatten. Hier gab´s immer gute<br />

Musik, und nette Leute.<br />

Eines Abends ging ich schon früh in den Star Club, war<br />

der einzige Gast. Ich blieb trotzdem, um ein wenig Musik<br />

zu hören. Ich stand mit dem Rücken zur Bar, hatte<br />

meine Ellbogen darauf gestützt, und wippte mit der Musik,<br />

mit Blick auf den Eingang. Als sich die Türe öffnete,


kam eine schöne blonde junge Frau mit einem jungen<br />

Mann in den Club.<br />

Das Mädel steuerte geradeaus auf die Theke zu, stellte<br />

sich nah neben mich, ihr Begleiter stand neben ihr. „Wer<br />

bist du, ich bin Angelica“, sprach sie mich unverblümt<br />

an, und ich stellte mich lächelnd vor. „Eric ist mein Name,<br />

du bist hübsch“, antwortete ich. „Ich möchte dich<br />

kennen lernen, habe aber heute Besuch aus Hannover“,<br />

sagte sie dann. „Können wir uns morgen treffen“, fragte<br />

mich Angelica, und ich schlug vor, um zehn Uhr am<br />

nächsten Morgen in einem benachbarten Café gemeinsam<br />

zu frühstücken. „Einverstanden“, ging sie auf meinen<br />

Vorschlag ein, „bis morgen früh“, sagte sie mit einem<br />

zuckersüßen Lächeln, nahm ihren Begleiter bei der<br />

407<br />

Hand, und verschwand so schnell aus dem Club, wie sie<br />

gekommen war. Ich schaute ihr verwundert nach. Das<br />

war ´mal wieder eine schnelle schöne Bekanntschaft, ich<br />

freute mich auf den kommenden Morgen.<br />

Ich übernachtete in einem Hotel, mein Dope lag schon<br />

in einem Bahnhofsschließfach. Am nächsten Morgen saß<br />

ich vor dem ´Café auf einer kleinen Terrasse, und bestellte<br />

mir Kaffee und süßes Gebäck. Um fünf nach zehn sah<br />

ich Angelica winkend heraneilen, sie gab mir einen Kuss<br />

auf die Wange. „Guten Morgen Eric, hast du gut geschlafen“,<br />

begann sie sofort die Konversation, und ich<br />

sagte ihr, dass ich mich in der Nacht schon auf unsere<br />

Begegnung gefreut hatte. „das ist nett“, sagte sie lächelnd,<br />

schaute mir in die Augen. „Mann siehst du gut<br />

aus“, sagte sie. „Und du erst“, antwortete ich, der Funke<br />

war gesprungen, es kam mir vor, als kenne ich die Frau<br />

schon ewig lange. Sie war in einem rosafarbenen sehr<br />

engen Cordanzug gekleidet, der ihre herrliche Figur voll<br />

zu Geltung brachte, `Da hast du dir aber ein schönes<br />

Stück Frau gefunden`, dachte ich mir, als ich sie betrachtete,<br />

ihr Gesicht war Engelgleich, ein kleines Stubsnäschen<br />

schmückte ihr Gesicht mit großen blauen Augen<br />

und einem volllipigen Mund.<br />

Sie nahm einen Kaffee, ließ mich zu Ende frühstücken,<br />

und sagte: „Wie wär´s, fahren wir zu mir“? „Klar<br />

doch“, antwortete ich sofort. Wir verließen das Café,<br />

gingen in eine Seitenstraße, wo ihr Pinkfarbener VW<br />

Käfer geparkt stand. Sie setzte sich hinter das Steuer, und<br />

raste, ja raste in voller Geschwindigkeit zu einem Vorort<br />

von Hamburg, wo sie eine Wohnung besaß.<br />

Als ich die Wohnung sah staunte ich nicht schlecht. Ich<br />

ging schon im Flur über wertvolle Teppiche, die auch im<br />

Wohnzimmer, das mit einigen Antiquitäten geschmückt<br />

war, übereinander herumlagen. Viele indisch bunte Kis-<br />

408<br />

sen lagen verstreut herum, eine schöne Couchgarnitur<br />

stand in einer Ecke. Angelika nahm mich bei der Hand,<br />

und zog mich schnell in das angrenzende Schlafzimmer,


und begann mich und sich gleichzeitig auszuziehen.<br />

„Ich will dich jetzt auf der Stelle ganz spüren“, sagte sie<br />

hechelnd, und drückte mich auf das breite Bett, das mit<br />

einer Decke aus Tigerfell geschmückt war, die um das<br />

Bett herum bis auf den Boden reichte. Da hatten viele<br />

Großkatzen ihr Fell lassen müssen. Sie setzte sich auf<br />

mich und begann den Liebestanz, der mich schier verrückt<br />

machte, wenn ich zu ihr hoch schaute, ihre schönen<br />

Brüste bewegten sich kaum, sie war überall sehr<br />

stramm gebaut. Sie hatte wunderschöne Katzenaugen<br />

und volle Lippen, die mich immer wieder zum küssen<br />

reizten. Wir liebten uns bis zum späten Nachmittag, bis<br />

ich völlig am Ende war. Angelica hätte sicher noch bis<br />

zum nächsten morgen weitergemacht, ich brauchte eine<br />

Pause.<br />

„Was machst du so“, fragte sie mich, als wir gemütlich<br />

mit einem Glas Saft im Bett saßen. „Ich bin Dealer für<br />

Hasch“, sagte ich voller Vertrauen, sie lachte, „Hab ich<br />

mir gedacht, als ich dich da so stehen sah“, sagte sie,<br />

„Hast du ´was dabei“, fragte sie. Ich drehte uns einen<br />

Joint, wir waren schnell völlig bekifft, die Liebe nahm<br />

ihren Fortlauf, sicher bis Mitternacht. Als sie dann auch<br />

ziemlich fertig war, fragte sie mich, „hast du Hunger“?<br />

„Natürlich“, antwortete ich, Angelica stand auf, ich hörte<br />

sie in eine Küche werkeln, sie kam zurück mit zwei<br />

großen Steaks und Brot.<br />

„Das war eine gute Idee, ich liebe gute Steaks“, sagte ich<br />

ihr, wir setzten uns nackt an einen Tisch und verschlangen<br />

das Fleisch.<br />

„Kommst du wieder“, fragte mich Angelica, als ich sie<br />

am nächsten Morgen verließ, ich bejahte die Frage. „Si-<br />

409<br />

cher, was glaubst du denn, ich mag dich, habe sowieso<br />

einmal die Woche in Hamburg zu tun“. Sie lächelte<br />

glücklich, „bitte komm bald, ich kann´s schon jetzt<br />

kaum erwarten, dich wieder zu sehen“. Zufrieden und<br />

ziemlich geschafft machte ich mich auf zum Bahnhof,<br />

war am Nachmittag zu Hause bei Lucie und den Kindern.<br />

Von da ab telefonierte ich fast täglich mit Angelica, sie<br />

schmachtete jedes Mal, ich solle bald kommen, und ich<br />

kam auch. Wir rauchten Hasch, nahmen auch schon<br />

´mal LSD, das unsere Orgien kolossal verstärkte, und<br />

liebten uns heftig in jeder Ecke der Wohnung.<br />

Sie stellte mich ihren Freunden an der Rotenbaumchaussee<br />

vor, wo es die elegantesten Clubs und Cafés der<br />

Stadt gab. Hier war die Hamburger Hanse- und Großkapitalgesellschaft<br />

zu Hause, Angelica kannte sie alle, und<br />

ich wurde ohne wenn und aber in ihrer Gesellschaft akzeptiert.<br />

Natürlich wusste Niemand, dass ich nur ein<br />

Dealer war, ich wurde als Geschäftsmann vorgestellt.<br />

Später mietete sich Angelica eine große Wohnung in der<br />

Alsterchaussee, einer Seitenstraße der Rotenbaumchaussee.<br />

So war ich dann über ca zehn Monate drei Tage die Woche


in Hamburg, und vier Tage in Dortmund und Heidelberg.<br />

Eines schönen Tages kam ich an einem billigen<br />

Kino in der Brückstraße in Dortmund vorbei, ein großes<br />

Plakat hing in einem Schaukasten. Normalerweise<br />

beachtete ich diese Schaukästen nie, aber an diesem Tag<br />

kam mir etwas bekannt vor. Als ich dann genauer hinschaute,<br />

sah ich den riesig vergrößerten Kopf von meiner<br />

Angelica Baumgart auf dem Plakat, das für einen<br />

Film der Reihe „Hausfrauenreport“, Werbung machte.<br />

Ich begab mich ins Kino, wo ich dann Angelica als Reporterin,<br />

die für die sexuellen Bedürfnisse der Hausfrau-<br />

410<br />

en tätig war, auch sie sprang manchmal nackt auf der<br />

Leinwand herum, oder saß mit einem imaginären<br />

Freund in einer Badewanne. Diese Luder, nie hatte sie<br />

mir gesagt was sie so tat, wenn ich sie fragte, wich sie immer<br />

aus, behauptete von ihren Eltern zu leben.<br />

Nun wusste ich auch, weshalb ich sie oft am Flughafen<br />

abholen sollte, sie kam dann aus München, wo diese Filme<br />

produziert wurden.<br />

Als ich sie bei unserem nächsten Treffen darauf ansprach,<br />

sah ich sie zum ersten Mal beschämt, „das bringt gutes<br />

Geld“, sagte sie mit errötetem Kopf, „ich weis dass die<br />

Filme primitiv sind, aber vielleicht komme ich ja so ins<br />

Filmgeschäft, ich möchte gerne Schauspielerin werden“,<br />

erklärte sie mir. Wir sprachen nie weiter darüber. Von<br />

diesen Filmen wurden vier Folgen gedreht. Im ersten<br />

Aufklärungsfilm von Oswald Kolle hatte sie auch eine<br />

Rolle gespielt. Irgendwann konnte ich nicht mehr mit<br />

Angelica. Das hatte mit ihrer Arbeit nicht das Geringste<br />

zu tun, im Gegenteil, sie gefiel mir auf der Leinwand.<br />

Einmal war ich einen ganzen Film lang in einem Kino<br />

gesessen, hatte mir eine Hausfrauenstory angeschaut. Die<br />

Handlungen waren unmöglich, primitiv bis zum letzten<br />

Take. Angelica jedoch sah ich gerne über das Bild hüpfen.<br />

Sie war wirklich eine besonders schöne Frau.<br />

411<br />

Kapitel 48<br />

Ich konzentrierte mich wieder auf meine Familie, liebte<br />

Lucie, der keine andere Frau das Wasser reichen konnte.<br />

Ich höret mit er Dealerei auf, kaufte nur noch Hasch für<br />

meine Bedürfnisse, meist bei Waldi, der fleißig weiter<br />

Schit verkaufte, vor dem Rauschgiftdezernat schien er<br />

keine Angst zu haben.<br />

In einer der vielen Musikzeitschriften die ich las, dem<br />

Musik Express, war ein Preisausschreiben, man musste<br />

nichts raten, sonder bekam eine Aufgabe gestellt. Die Leser<br />

sollten beschreiben, wie sie eine unbekannte Band<br />

aus ihrer Umgebung in die Charts bekommen, und bekannt<br />

werden lassen würden. Dies nahm ich als echte<br />

Herausforderung, ich musste einen Aufsatz schreiben.<br />

Der erste Preis war eine einwöchige Reise für zwei Personen<br />

nach Ibiza auf den spanischen Baleareninseln.


Geschrieben hatte ich noch nie wirklich, stellte mich<br />

trotzdem der Herausforderung. Ich erklärte was die<br />

Band an Material brauchte, wie ich sie promoten würde,<br />

Radio und Fernsehen einschaltend, allen Medien die<br />

zur Verfügung standen so lange auf die Füße trat, bis über<br />

meine Band geschrieben wurde, und nach vier Wochen<br />

flatterte ein Schreiben der Musikzeitung ins Haus, ich<br />

hatte den ersten Preis gewonnen. Ich hatte noch nie etwas<br />

gewonnen, die Freude war umso größer.<br />

Drei Wochen später sollte die Reise losgehen. Wir<br />

brachten unsere Kinder zu meiner Schwester Rita, die<br />

selbst zwei Kinder hatte, und ein überzeugtes, sehr gutmütiges<br />

und liebevolles Muttertier war. Bei Ihr wussten<br />

wir die Kinder für die eine Woche in guten Händen.<br />

Wir flogen nach Ibiza, wohnten in einem schönen Hotel,<br />

und fuhren täglich mit kleinen Booten an die herr-<br />

412<br />

lichen Strände rund um die Insel. Das Wasser war glasklar,<br />

wir konnten bis auf den feinen Sandboden schauen,<br />

das Meer war blau und grün gefärbt. Ein solch sauberes<br />

Meer hatte ich vorher nie gesehen, um die Inseln<br />

im Mittelmeer waren von den Verdreckungen dieses<br />

schönen Meeres nichts zu sehen, es leuchtete majestätisch.<br />

Wir wohnten in San Antonio, fuhren auch mit dem Bus<br />

in die 15 Km entfernte Ibiza-Stadt, die sehr schön war.<br />

Festgefahrene Lehmstrassen überall, nur der Weg hinauf<br />

in die Altstadt war noch gepflastert, aber dies schon vor<br />

tausend Jahren. Eine hohe Mauer umgab die gesamte<br />

Altstadt, deren Einwohner sich in früheren Zeiten vor<br />

Mauren, Römern und Piraten schützen mussten. Die<br />

Stadt wurde aber immer erobert, die verschiedenen Einflüsse<br />

der Eroberer waren überall deutlich auszumachen.<br />

Wir lernten das Café Mont e Sol kennen und lieben, auf<br />

der Terrasse konnte man die vorüber schlendernden<br />

Touristen und viele Hippies betrachten. Ich verliebte<br />

mich auf Anhieb in dieses Kleinod von Insel, und war sicher,<br />

dass dieser Gewinn nicht meine letzte Reise nach<br />

Ibiza werden sollte.<br />

Unsere Kinder freuten sich riesig über unsere Rückkehr,<br />

sie hatten meine Schwester täglich mit Fragen nach unserer<br />

Rückkehr gepiesackt. Ich freute mich, meine Mädels<br />

in die Arme nehmen zu können, ich liebte meine<br />

Kinder, auch wenn Lucie die meiste Arbeit mit ihnen<br />

hatte, weil ich andauernd unterwegs war.<br />

Jürgen meldete sich zurück, ich sah ihm an den Augen<br />

und seinem Verhalten an, dass sich etwas geändert hatte.<br />

„Der Entzug war höllisch“, gestand er mir, „ich fass das<br />

Zeug nicht mehr an, rauch nur einen Joint ab und an“.<br />

Ich war sehr froh, meinen Freund so wieder gefunden zu<br />

haben.<br />

413<br />

Wir besuchtengemeinsam Konzerte im Fantasio, und in<br />

der Gruga Halle in Essen, sahen viele großartige Bands


aus Amerika und England.<br />

Die schönen Frauen ließen mir leider keine Ruhe, so<br />

lernte ich im Oma Plüsch Doris kennen, ein wunderhübsches<br />

Mädchen von siebzehn Jahren, die Apothekerin<br />

wurde. Als ich das erste Mal richtig auf sie aufmerksam<br />

wurde, schlug bei mir ein Blitz ein, die Frau sah aus<br />

wie die Sängerin Stevie Nicks von Fleetwood Mac, die<br />

ich schon 1967 in London, dann erneut mit Jürgen in<br />

der Essener Gruga Halle gesehen und in die ich mich<br />

verliebt hatte. Eine schöne Frau mit langen lockigen<br />

Haaren, die über die Bühne tanzte, als ob sie schwebte,<br />

aber mit sehr energischer Stimme ihre Lieder vortrug.<br />

Doris war gleich schön, nur zarter, hatte eine schmälere,<br />

schönere Nase als die Nicks, sie hatte nicht die energische<br />

Ausstrahlung wie die amerikanische Sängerin, aber<br />

ihr Lächeln war sehr verführerisch. Als ich sie ansprach,<br />

sie zum Drink einlud, war sie sofort einverstanden, und<br />

wir landeten am gleichen Abend im Bett. Doris war etwas<br />

Besonderes, die verließ ich nicht so einfach wie die<br />

anderen Frauen aus den Kneipen. Wir verabredeten uns<br />

auf ein Wiedersehen.<br />

Wir sahen uns sehr oft, sie war schön wie die Sonne,<br />

schliefen miteinender. Eines Tages gestand sie mir, dass<br />

sie schon sehr lange in mich verliebt sei, mir in jede<br />

Kneipe, die ich abends besuchte gefolgt war. Leider war<br />

sie zu schüchtern mich anzusprechen, mir war sie nie<br />

aufgefallen, weil ich stets mit irgendetwas beschäftigt<br />

war. Unsere Affäre dauerte sechs Monate, bis sie sich im<br />

Klaren darüber wurde, dass Lucie immer die Nr. 1 für<br />

mich bleiben würde.<br />

Sie lernte einen Amerikaner in meinem Alter aus Los<br />

Angeles kennen, der eine Pferdezucht besaß, und als<br />

414<br />

Filmproduzent arbeitete. Sie folgte ihm nach LA, die<br />

Beiden heirateten, bekamen zwei Mädchen, und waren<br />

wohl einige Jahre glücklich. George Braunstein, so hieß<br />

der Mann, kaufte ihr einen knallroten Ford Mustang aus<br />

den Fünfziger Jahren. Doris schrieb mir Briefe, und erzählte<br />

in ihnen, wie es ihr erging. Einmal hatte sie sich<br />

kurz von ihrem Mann getrennt, und ein Appartement<br />

am Rodeo Drive, der teuersten Straße Amerikas genommen.<br />

George hatte alles zu bezahlen, er schwamm im<br />

Geld. Liebe oder Geld, das war Dorises Devise geworden.<br />

Und von letzterem Hatte sie reichlich, aber auch<br />

Liebe von ihren Kindern, wie sie mir in Briefen versicherte.<br />

415<br />

Kapitel 49<br />

Kalle war immer in Schlips und Kragen gekleidet, hatte<br />

kurzes Haar, er war Bankkassierer in der Bank für Beamte<br />

und Angestellte in Dortmund. In dieser Bank hatten<br />

die meisten Polizisten, aber auch andere Beamte ihr<br />

Geld gehortet.<br />

Kalle liebte Rockmusik, kiffen und lockeres Leben, er


hängte sich an mich. Gemeinsam mit Jürgen zogen wir<br />

in Dortmund um die Häuser, und spielten verrückt. Kalle<br />

konnte nicht genug von uns abschauen, auch wie wir<br />

mit den Frauen umgingen und so. Er war wohl unglücklich<br />

verliebt, hatte eine eigenartige Frau, die mehr von<br />

Äußerlichkeiten hielt, als von inneren Werten.<br />

Er wusste, dass ich gedielt hatte, glaubte dass ich dies<br />

noch immer tat, ohne dass jemand es bemerkte. So sollte<br />

ein solcher Job ja auch ablaufen. Wir hatten immer<br />

Hasch in der Tasch, Kalle profitierte von unseren dicken<br />

Joints. Ab und zu kaufte er auch ein Stück von Waldi,<br />

den ich ihm empfohlen hatte.<br />

Er eröffnete mir eines Abends, dass er sich gerne an meinen<br />

Geschäften beteiligen wolle, er könne Geld besorgen,<br />

und so am Gewinn teilhaben. Zunächst antwortete<br />

ich ihm mit einer Absage, ich mache keine krummen<br />

Geschäfte mehr. Dann jedoch dachte ich mir, ich könnte<br />

ja diesbezüglich einmal abchecken, und sprach ihn auf<br />

die von ihm angedachte Summe an. „Ich kann jeden<br />

Betrag besorgen“, meinte Kalle. Ich überlegte, ob ich<br />

nicht doch noch einige Geschäfte einfädeln sollte, ohne<br />

eigenes Geld einzusetzen.<br />

In Hamburg bekam ich ein Kilo Afghane oder roten Libanon,<br />

auch schwarzen Schit aus Pakistan für 1.500<br />

Mark. In Frankfurt konnte ich locker das Doppelte dar-<br />

416<br />

aus machen, wenn ich es Kiloweise verkaufte. Dies erklärte<br />

ich Kalle, und versprach ihm, den Gewinn zu teilen.<br />

„Das wären 750 Mark Gewinn für mich pro Kilo“,<br />

rechnete Kalle richtig, und ich sah seine Augen leuchten.<br />

„Da bin ich dabei“, sagte er sofort, „ wann brauchst<br />

du das Geld, und wie viel“, fragte er. Es war kurz vor<br />

dem 15. des Monats, „übermorgen können wir nach<br />

Hamburg fahren, drei Kilo kaufen“, sagte ich ihm.<br />

„Dann bringe ich 4.500 Mark mit“, antwortete Kalle.<br />

Er kam freitags abends mit der Kohle und seinem Opel<br />

Kadett. „Wir können fahren“, sagte er freudig, wir nahmen<br />

Jürgen mit. In Hamburg hatte ich nach zwei Telefonaten<br />

die drei Kilo im Sack, Kalle hatte mir die großen<br />

Lappen vorher gegeben, nur drei Tausender, und<br />

drei Fünfhunderter. `Der Typ hat ja echt Geld`, dachte<br />

ich mir, als ich die dicken Scheine in der Hand hielt.<br />

Wir fuhren zurück nach Dortmund, ich bat Kalle, das<br />

Dope mit zu sich nach Hause zu nehmen, am nächsten<br />

Tag müssten wir nach Frankfurt. Bei Kalle war der Stoff<br />

besser aufgehoben als bei mir, ihn kannte Niemand in<br />

der Szene, auch Parschau ganz sicher nicht.<br />

Wir fuhren am nächsten Tag früh morgens nach Frankfurt,<br />

wo ich die drei Kilo schnell verkauft hatte. Mittlerweile<br />

waren mir Telefonnummern von amerikanischen<br />

Gis zugeflogen. So hatte ich schnell mal 2.250 Taler gemacht,<br />

ohne Risiko für eigenes Kapital. Kalle freute sich<br />

wie ein Schneekönig über seinen Gewinn. Er kaufte seiner


Geliebten eine goldene Kette. Ich gab Jürgen 250<br />

Mark für seine Begleitung, der arme Junge hatte eh<br />

kaum Geld, seine Raubzüge stagnierten momentan.<br />

2.000 Mark landeten in meiner Kasse.<br />

Diese Aktionen machten wir jedes zweite Wochenende<br />

des Monats. Immer die gleiche Tour, immer der gleiche<br />

Gewinn. Ich hatte nun in Frankfurt nur noch einen Ab-<br />

417<br />

nehmer, der alles aufkaufte, was ich anbrachte. War besser<br />

so, nun wäre Aussage gegen Aussage gestanden, man<br />

hätte mir nie etwas anhaben können, außer man erwischte<br />

mich mit dem Dope unter dem Arm.<br />

Dieses Risiko musste ich eingehen, aber mit dem soliden<br />

Kalle am Steuer eines immer sauberen Autos fielen wir<br />

nicht auf.<br />

Der Ami bestellte eines Tages 10 Kilo, ich sagte Kalle,<br />

dass er jetzt 15.000 Mark anschleppen müsse. „Kein Problem,<br />

wann fahren wir“, war sein Kommentar. Kalle sah<br />

nur den zu erzielenden Gewinn, und wie glücklich er<br />

seine Freundin damit machen konnte.<br />

Auch dieser Deal ging sauber über die Bühne, ich bekam<br />

den Stoff sogar um 150 Mark pro Kilo billiger, weil<br />

ich gleich zehn Kilo einkaufte. Der Ami bezahlte den<br />

Preis wie immer, das machte für uns einen hohen Reingewinn.<br />

Kalle konnte es kaum fassen, er dachte nur, er<br />

würde bald reich. So weit dachte ich nie, ich wusste, dass<br />

ich irgendwann Schluss machen wollte, die Sache wurde<br />

doch etwas heiß für meine Gefühle.<br />

Letztendlich gestand mir Kalle im bekifften Kopf, wie er<br />

an das Geld kam. Er brachte freitags abends die Kasse in<br />

den Tresor der Bank, in der er arbeitete, alleine. Er nahm<br />

sich dann das benötigte Geld aus dem Tresor, und legte<br />

es montags morgens, wenn er seine Kasse holte, wieder<br />

hinein.<br />

Der Typ hatte gar kein eigenes Geld, er holte sich wahrhaftig<br />

immer Geld von Polizisten und anderen Beamten,<br />

um damit Haschischgeschäfte zu finanzieren. Dieses Geständnis<br />

haute mich fast um, brachte mich dann doch<br />

sehr zum schmunzeln, wenn ich dachte, dass ich mit dem<br />

Geld von Polizisten illegale Geschäfte tätigen konnte.<br />

Leider hat Kalle diese Sache nach einigen Fahrten übertrieben.<br />

Er wollte seiner Geliebten wohl ein besonderes<br />

418<br />

Geschenk machen, ich glaubte er wollte ihr ein Auto<br />

kaufen, hatte aber noch nicht genug Bares zusammen,<br />

weil er mit den Gewinnen aus unseren Deals immer Geschenke<br />

für seine blöde Freundin kaufte, nahm er sich<br />

selbst einen Kredit , fälschte dafür Unterschriften seiner<br />

Vorgesetzten, und flog damit auf. Er wurde fristlos entlassen.<br />

Von unseren Geschäften mit dem Geld der Bank<br />

hatte nie jemand etwas mitbekommen. Wir hätten diese<br />

Geschäft lange fortführen können und richtig absahnen.<br />

Zwei Kilo Shit hatte ich mir beiseite gelegt, als Vorrat für


mich und meine Freunde.<br />

Das war dann doch ein wenig viel, und ich beschloss, es<br />

in Dortmund verkaufen zu lassen. Da war der kleine<br />

Ede, ein sehr lieber Junge, der winzig und dünn war.<br />

Aber er konnte flitzen wie kein Zweiter. Ede verkaufte<br />

für andere Dealer Stoff, immer nur Hasch, darauf war ich<br />

sehr bedacht. Ich fragte ihn, ob er für mich laufen würde,<br />

ich gäbe ihm den Stoff günstig, und er könne sicher<br />

gutes Geld machen.<br />

„Klar, Eric, für dich immer“, sagte Ede sofort zu, und ich<br />

gab ihm gleich 1.500 Gramm des Dopes. „So viel hat<br />

mir noch nie einer gegeben“, sagte Ede stolz, „ ich werde<br />

dich nicht enttäuschen“. Ich wusste, ich konnte Ede<br />

vertrauen, auch was die Polizei betraf. Es gab mittlerweile<br />

in der Dortmunder Szene ein ungeschriebenes Gesetz.<br />

Wenn Einer in den Knast geht folgt ihm kein Zweiter!<br />

Das hieß soviel, dass der Erwischte keinerlei<br />

Aussagen über seine Lieferanten oder andere mit im<br />

Boot sitzende Leute machte. Und jeder hielt sich daran.<br />

Ich kannte nicht einen Fall, wo einer einen anderen verraten<br />

hätte, um sich möglicherweise freizukaufen. Ede<br />

folgte diesem Ehrenkodex ohne mit der Wimper zu<br />

zucken. Er wurde häufiger erwischt, dann war er nicht<br />

schnell genug gelaufen, aber er hatte immer nur kleine<br />

419<br />

Mengen bei sich, die Verfahren wurden stets eingestellt.<br />

Ede war ein lieber Kerl, er verkaufte meinen Bestand bis<br />

auf ein halbes Kilo, das irgendwo in unserem Garten in<br />

der Semmerteichstrasse gut gelagert war, und von dem<br />

ich immer nur kleine Stücke für mich und für Freunde<br />

abbrach.<br />

Leider geriet Ede irgendwann auch an die Nadel, er tat<br />

mir leid wenn ich ihm begegnete. Er fragte mich nie<br />

mehr nach Hasch, hatte einen traurigen Blick bekommen,<br />

er war vorher ein so fröhlicher Mensch gewesen.<br />

Wir grüßten uns nur noch kurz, und jeder ging seiner<br />

Wege, Ede auf der Jagd nach dem Todbringenden Stoff<br />

Heroin.<br />

420<br />

Kapitel 50<br />

Georg hatte seine Teestube geschlossen, und sich in der<br />

Brückstrasse, der Einkaufsstrasse im Dortmunder Norden<br />

in der ersten Etage eines Hauses eine große Räumlichkeit<br />

angemietet. Hier war der ehemalige „Wintergarten“<br />

zu Hause, ein Cabaret, das mit verklemmtem<br />

Sex die Leute zu unterhalten verstand. Als die Sexualität<br />

dann aber überall für Jedermann offen dalag, hatte diese<br />

Art von Unterhaltung keine Chance mehr, der Schuppen<br />

wurde geschlossen.<br />

Georg schälte die sicher 400qm großen Räumlichkeiten<br />

vollkommen aus, bis auf eine Bühne, und einen Balkon<br />

die er Beide zu nutzen gedachte.<br />

Er errichtete in den durch eine halbrund nach oben in


eine Etage gehenden Räumlichkeiten eine Superdiscothek,<br />

investierte richtig viel Geld, es entstand das „JARA“,<br />

was in der Brasilianischen Mystik soviel hieß wie<br />

: Die Göttin der Flussmündung. Georg war schon immer<br />

ein mystischer Mensch, ruhig, sehr überlegt handelnd,<br />

trotzdem risikofreudig.<br />

Das Jara wurde ein Knaller. Meine Diskothek war auf<br />

dem Balkon aufgebaut, ich hatte die feinsten Plattenspieler,<br />

in einem angrenzenden Raum war eine Riesenhafte<br />

Technikanlage für Sound und Licht aufgetürmt. Das<br />

Mischpult war riesig und auf den neuesten Stand, ich<br />

brauchte eine Weile, bis ich mit dieser Monsteranlage<br />

zurechtkam. Aber ich hatte Zeit zum trainieren.<br />

Die Disco erreichte man über eine schmale Treppe, die<br />

in der hinteren linken Ecke der Bühne hochging, mit einer<br />

Türe, die ich abschließen konnte, so dass mich niemand<br />

stören, oder ich Leute zu mir hinauflassen konnte,<br />

die mir genehm waren.<br />

421<br />

Der Balkon war nach vorne hin abgerundet, mit einem<br />

wunderschönen, einhundertzwanzig cm. hoch ragenden,<br />

einem güldenen Handlauf bedeckten, Metallgitter<br />

eingefasst. Dahinter standen Links und rechts neben den<br />

Plattenspielern zwei große schwarze Kisten, in denen je<br />

150 Schallplatten, LPs, hintereinander standen, so dass<br />

man sie einfach aussuchen, herausnehmen und auf die<br />

Plattenteller legen konnte. Drei Meter hinter mit war<br />

ein großes Regal angebracht, in dem noch´mal tausend<br />

LPs bereitstanden. Vor diesem Regal war eine fünf Meter<br />

breite Sitzgelegenheit für besondere Gäste aufgebaut<br />

Alles war schwarz gestrichen.<br />

In den offenen Kästen neben den Plattenspielern waren<br />

nur die neuesten und angesagtesten Scheiben untergebracht.<br />

Die Theke war sicher zwanzig Meter lang, und besonders<br />

breit. Im Hintergrund standen Flaschen und Gläser,<br />

die vielen Flaschen beinhalteten soweit alle Drinks, die<br />

man auf diesem Planeten erstehen konnte. In der Mitte<br />

zwischen den bunten Flaschen und blitzenden Gläsern<br />

war eine Neonleuchte mit dem Wort JARA angebracht,<br />

die das Ganze nochmals in herrlichen Farben leuchten<br />

ließ. Alles war mit Teppichboden ausgelegt, gegenüber<br />

der Bühne ca. sechzig Meter weit, waren drei große Stufen<br />

hochgebaut, die mit schönen Kissen belegt eine<br />

wunderbare Sitzgelegenheit für Gäste bot, das Treiben in<br />

der Räumlichkeit zu betrachten.<br />

Die ein Meter hohe Bühne war die Tanzfläche, drei Meter<br />

hohe und eins fünfzig breite Lautsprecherboxen donnerten<br />

aus zwei Ecken auf die sich dort produzierenden<br />

Tänzer ein, hier gab es kein Stillstehen, man musste einfach<br />

tanzen. Und das wollten die Leute. Und das wollte<br />

auch Georg, hier sollten die Menschen die Möglichkeit<br />

haben, sich so zu geben, wie sie es in anderen Unterhal-<br />

422


tungseinrichtungen nicht wagten, Egomanie pur, wenn<br />

auch nur für eine Nacht.<br />

Man konnte auch Ruhe finden. Hinter einer dicken<br />

Schwingtüre befand sich eine Weistube, in afghanischem<br />

Styl eingerichtet, die Decke von einer Rumänischen<br />

Malerin, einer Freundin Georgs, Freskenartig ausgemalt.<br />

Hier lief leise Musik, mal klassisch, mal Chansons, Georg<br />

hatte ein breites Spektrum an Musik in seinem Kopf. Es<br />

gab erlesene Weine zu trinken.<br />

Und der Laden brummte! Aus dem gesamten Ruhrgebiet<br />

verlangten bald viele junge Menschen Eintritt, es<br />

ging oft so weit, dass sie sich die Treppe hinunter bis auf<br />

die Brückstraße drängelten, um Einlass zu bekommen.<br />

Zeitweise musste das Jara, das immerhin bis zu sechshundert<br />

Menschen Platz bot, schließen, bis einige Schwitzende<br />

das Lokal verließen, und den Wartenden Platz<br />

machten. Zwei breite Türsteher sorgten für ordentlichen<br />

Ablauf am Eingangsbereich, der mal eine Garderobe beinhaltete.<br />

Oft gingen sie im Chaos unter, und verschlossen<br />

einfach die Türen.<br />

Es war wunderbar, die unten Tanzenden zu beobachten,<br />

und genau zu wissen, was man als Nächstes auflegte, damit<br />

die Szenerie am kochen blieb. Dies gelang mir sehr<br />

gut, und bereitete mir außerordentliches Vergnügen.<br />

Hinter mir saß Jürgen, mein „Türöffner“, und Pausenfüller,<br />

der nur schöne Frauen auf den Balkon ließ, oder<br />

gute Freunde. Wenn ich einmal hinunter an die Theke<br />

ging, um eine Pause einzulegen, machte er die Musik.<br />

Die Leute tanzten mittlerweile im gesamten Lokal, auf<br />

den Tischen, auch auf den Ecken der Theke bewegten<br />

sich schöne Frauen verzückt. Man drehte Joints auf meinem<br />

Balkon, an denen ich ab und zu auch mal zog, es<br />

beflügelte meine Fantasie aufs Feinste, ich spürte dann<br />

noch besser, wie ich den Leuten unten einheizen konn-<br />

423<br />

te. Jeder Tanzende wurde zum Star, und so war das auch<br />

vorgesehen.<br />

Es war ständig Fiesta auf meinem Balkon. Ich genoss<br />

diesen Zustand zusehends. Und bekam auch noch ein<br />

gutes Gehalt dafür. Wenn´s richtig voll wurde, die Stimmung<br />

den Siedepunkt erreichte, bekam ich von Georg<br />

einen Bonus, er ließ sich nicht lumpen, wusste seine<br />

Freunde gut zu motivieren.<br />

Der verklemmte Sex des ehemaligen Wintergartens war<br />

wie weggeblasen, die Menschen tanzten jetzt orgiastisch<br />

und frei. Auf den rechts von mir oberen Stufen, die nur<br />

spärlich beleuchtet waren, fand so Einiges statt, nicht offensichtlich,<br />

aber trotzdem richtig.<br />

Die Partys endeten irgendwann in den frühen Morgenstunden,<br />

waren für uns aber oft längst nicht vorbei.<br />

Georg lud nimmermüde, gut angetörnte schöne Menschen<br />

zu sich nach Hause ein, wo die Orgie dann offener<br />

wurde. Auf einem von Wald umgebenen Berg außerhalb


Dortmunds hatte er ein Haus, aus der nackte<br />

Schöne aus der im Untergeschoß liegenden Sauna über<br />

die Terrasse auf eine große, am Hang liegendes Wiese liefen,<br />

die bis zum Waldrand reichte, und auf der bei unserer<br />

Ankunft Rehe friedlich ästen, bis sie von lauter Musik<br />

und den herumtollenden Menschen gestört wurden,<br />

und wieder im Wald verschwanden.<br />

Georg war ein außergewöhnlicher Gastgeber, der Alles<br />

tat, um friedliche Menschen zufrieden zu stellen. Die<br />

Göttin der Flussmündung hatte freundlich lächelnd ihre<br />

Hände über ihm und uns allen ausgebreitet.<br />

Oft bekamen mich Lucie und die Kinder Tagelang nicht<br />

zu sehen, wenn ich erst gegen Mittag Ruhe fand, schlief<br />

ich in Georgs Gästezimmer, und fuhr später von dort aus<br />

mit ihm zurück zur Arbeit. Lucie ließ mich gewähren,<br />

424<br />

sie beschwerte sich nie, war vollkommen auf unsere Kinder<br />

konzentriert. Bis wir irgendwann dazu kamen, den<br />

Club Montags geschlossen zu halten, sieben Tage die<br />

Woche waren dann doch zu hart, um diese stets stattfindenden<br />

Feste zu feiern, uns nur auf Gäste einzulassen.<br />

Gewinne warf das Jara auch in sechs Tagen reichlich ab.<br />

Bis dann eines Tages die Post kam, die uns einen Brief<br />

ablieferte, der uns überhaupt nicht gefiel, Lucie und<br />

mich förmlich aus den Sesseln hob. Man hatte uns das<br />

Haus gekündigt. Wir hatten zwei Monate Zeit unser geliebtes<br />

Anwesen zu räumen, da es abgerissen werden<br />

sollte, auf dem großen Grundstück war ein dreißig<br />

Stockwerke hohes Haus mit einhundertzwanzig Wohnungen<br />

geplant.<br />

Wir versuchten etwas dagegen zu unternehmen, hatten<br />

jedoch keinerlei Chancen gegen die Wohnungsbaugesellschaft.<br />

Die Kinder waren nun drei und vier Jahre alt,<br />

würden bald in die Schule kommen, ein Rückzug in die<br />

Innenstadt von Dortmund war für uns inakzeptabel. Wir<br />

hatten uns an das Leben im Grünen gewöhnt, wollten<br />

auch Fleure und Laura nicht in eine Dortmunder Schule<br />

gehen lassen. Die Aussichten, die Kinder in einer<br />

Großstadtschule erzogen werden zu lassen war für uns<br />

nur negativ. Außerdem grassierten immer mehr harte<br />

Drogen in der Stadt, diese Szene wollte ich auf keinen<br />

Fall länger miterleben.<br />

So beschlossen wir nach reiflicher Überlegung, uns eine<br />

Wohnung oder ein kleines Haus in der ruhigen Umgebung<br />

meiner ehemaligen Heimatstadt zu suchen, Großstadtleben<br />

hatten wir eh reichlich in all seinen Formen<br />

genossen.<br />

Georg war nicht sonderlich begeistert von meinen Plänen,<br />

wir einigten uns darauf, dass ich nur noch am Wochenende<br />

von Freitags bis einschließlich Sonntags im Ja-<br />

425<br />

ra arbeiten sollte. Gute DJs waren im Ruhrgebiet für die<br />

Tage zwischen Dienstag und Donnerstag leicht zu finden.<br />

426


Kapitel 51<br />

Nun war es nicht gerade einfach, so schnell eine neue<br />

Wohnung in Merschnich zu finden, also zogen wir zunächst<br />

in eine kleine Ein Zimmer Wohnung über einer<br />

Bäckerei. Es war eng, Bad und Toilette befanden sich auf<br />

dem Flur, Lucie jedoch arrangierte sich sehr schnell mit<br />

der neuen Situation, immer mit Blick auf Verbesserung<br />

der Lebensbedingungen. Lucie schaute immer automatisch<br />

positiv in die Zukunft, sie wusste, dass sie sich zumindest<br />

in dieser Hinsicht auf mich verlassen konnte.<br />

Wir fanden eine Wohnung am westlichen Rand von<br />

Merschnich, eine Parterrewohnung, mit einem riesigen<br />

Wohn- Schlafzimmer, einem kleinen Kinderzimmer,<br />

Küche und Bad. Besonders gefiel uns die große Terrasse,<br />

die in einen Garten führte. Eine große Wiese von Sträuchern<br />

und Bäumen umgeben. Diese Wohnung gefiel uns<br />

allen sehr gut, wir richteten uns ein. Leider musste Lucie<br />

zum Einkaufen immer weit in die Stadt laufen, es<br />

war für sie nicht unbedingt leicht, mit den beiden Kindern<br />

und Einkaufstüten die langen Wege zurückzulegen.<br />

Ich war ihr keine große Hilfe, war ein fauler Hund, verließ<br />

mich völlig rücksichtslos auf ihre unendlichen Kräfte.<br />

An drei Tagen war ich sowieso nicht zu Hause, sie führte<br />

den Haushalt praktisch alleine. Manchmal mähte ich<br />

den Rasen, auf dem die Kinder wunderbar spielen<br />

konnten.<br />

Sie fanden sich schnell Freunde in der kleinen Straße, oft<br />

waren Haus und Garten mit Kindern überfüllt. Auch wir<br />

fanden bald Anschluss an eine Gemeinde junger Leute,<br />

es sprach sich schnell herum, dass in Merschnich eine<br />

Frau aus Paris, mit einem Mann, der etwas von moder-<br />

427<br />

ner Musik verstand, zugezogen waren. Bekannte, die ich<br />

noch aus Kinder- und Schulzeiten kannte entwickelten<br />

sich zu Freunden, die wieder ihre Freunde zu uns mitbrachten.<br />

Bei uns war immer etwas los, open House schnell hatte<br />

sich unsere Wohnung zu einem Sammelplatz für Musikliebhaber<br />

und andere nach Freiheit drängende junge<br />

Leute entwickelt, Lucie lernte nette Frauen kennen, die<br />

sie in jeder Hinsicht unterstützten, ihr halfen deutsch zu<br />

lernen, und das Leben allgemein in Merschnich zu meistern.<br />

Die Wohnung wurde fast zu einer Kneipe, die<br />

Leute liebten meine Musik, von der nur wenig bis nach<br />

Merschnich gelangt war. Die kleine Stadt lag in dieser<br />

Hinsicht hinter den sieben Bergen.<br />

Unsere Kinder verwandelten das Haus Tagsüber in einen<br />

Kindergarten. Die Nachbarskinder mochten ihre freie,<br />

lockere art mit dem jungen Leben umzugehen, Lucie<br />

backte ihnen Waffeln am Nachmittag. Die Eltern schauten<br />

zwar zu Anfang misstrauisch auf das bunte Treiben,<br />

merkten jedoch schon bald, dass ihre Kinder bei uns gut<br />

aufgehoben waren. Der Hippievater, der zunächst kritisch<br />

beobachtet wurde, war eh am Wochenende nicht


zu Hause, Lucie war in der gesamten Nachbarschaft beliebt.<br />

Die Kinder entwickelten sich prächtig. Fleure war etwas<br />

schüchtern, und voll auf ihre Muter konzentriert. Laura<br />

wurde ein rechter Wildfang, rannte viel herum, war bald<br />

die „Chefin“ der Kinderbande, und kam oft mit Taschen<br />

voller gesammelter Steine nach Hause, die sie in einer<br />

Ecke des Kinderzimmers auftürmte. Wenn ihr etwas<br />

nicht passte, oder ihr der Weg zurück aus der Stadt zu<br />

lang wurde, ließ sie sich einfach auf dem Gehweg auf<br />

den Po fallen, verschränkte die Arme und schmollte. Es<br />

war oft nicht einfach für Lucie, Laura zum weitergehen<br />

428<br />

zu bewegen.<br />

Ich gab den Job nach einiger Zeit auf, Georg hatte einen<br />

guten DJ gefunden, ich fuhr nur noch ab und zu nach<br />

Dortmund, freute mich dann immer, wieder eine Masse<br />

von Musikhungrigen gutgelaunten Menschen zu unterhalten.<br />

In unserer Wohnung war ich der Unterhalter von einer<br />

Menge Freunden, Rainer, Willibert, seine Freundin Petra,<br />

Claus „Banan“, Theo, Ottmar, Bacchus, Regina, Ritchy,<br />

der leider jung verstarb R.I.P. ,Ralf und Annemie,<br />

die auch jung von uns ging R.I.P., Irene, Margit, Bobby,<br />

die irgendwann plötzlich aus der Stadt verschwunden<br />

war, ihre Sachen in unserem Keller untergebracht hatte,<br />

wurde nie wieder gesehen, Falco und Theo, Wicke und<br />

Lydia, Heinz, den wir „Schlangenhein“ nannten, weil er<br />

oft in Schlangenleder gekleidet war, an Drogen verstarb<br />

R.I.P., Klaus und Michael, zwei Brüder, Elke, Bärbel,<br />

„Smitty“, „Man“ Breuer, der Musik studierte, ein guter<br />

Schlagzeuger wurde, Erfolg hatte, und Heinz Seidemann,<br />

der auch den verdammten Drogen zum Opfer fiel<br />

R.I.P., und noch Andere mehr bevölkerten unsere Wohnung<br />

regelmäßig.<br />

Ich erzählte Geschichten von meinen Reisen, und versorgte<br />

die Freunde mit Musik. Alle rauchten Hasch, das<br />

sie sich selbst in Holland besorgten, dort war diese Droge<br />

vom Gesetzgeber erlaubt, in jeder Hinsicht ein fortschrittliches<br />

kleines Land, das zwanzig Kilometer von<br />

Merschnich entfernt war.<br />

Dort bezog ich Stoff, wenn einmal ein größerer Deal<br />

angesagt war. Ich hatte durch einen Betrug 50.000 Mark<br />

eingebüßt, mein Sparkonto war zwar noch gut gefüllt,<br />

für einen Lebensabend, an den ich bis zur Geburt unserer<br />

Kinder niemals einen Gedanken verschwendete,<br />

reichte es nicht aus. Deshalb machte ich ab und an den<br />

429<br />

Haschsack auf, und verschob das Zeug Zentnerweise ins<br />

Ruhrgebiet. Niemand in Merschenich bemerkte etwas<br />

von meinen Unternehmungen.<br />

Frankfurt war nicht zuletzt durch die sich immer weiter<br />

verbreitende harte Drogenszene indiskutabel geworden.<br />

Hier war ich auch dem Betrug aufgesessen, man hatte<br />

mich bewaffnet beraubt, als die Übergabe von 35 Kilo


Haschisch stattfinden sollte. 50.000 Mark Investition<br />

futsch, in drei Minuten.<br />

Ich trauerte nicht lange, Geld kommt, Geld geht, wie<br />

auch immer. Nur Lucie fand die Sache nicht lustig. Sie<br />

war geschockt, weil ich hätte erschossen werden können,<br />

von der Polizei verhaftet, und das schöne Geld war<br />

weg. Sie dachte sehr wohl schon zeitig an die Zukunft,<br />

sie war diesbezüglich eine sehr vernünftig denkende<br />

Frau, von Vernunft hatte ich in meinem Leben nicht viel<br />

gelernt. Ich verstand es jedoch sie zu trösten. Und wurde<br />

noch sehr viel vorsichtiger.<br />

Eines Tages machten Einige von uns eine Reise nach<br />

Hamburg, Bärbel, die mir sowieso schon immer gefiel,<br />

Dick, Heinz und ich fuhren mit einem VW Käfer die<br />

500 Kilometer nach Hamburg. Wir wollten eigentlich<br />

nur Falco und Regine besuchen, die es dorthin verschlagen<br />

hatte.<br />

In Hamburg angekommen gingen wir durch die schönen<br />

Einkaufstrassen. Einer von uns kam auf die glorreiche<br />

Idee, „wer nachher das Meiste geklaut hat, ist Gewinner“.<br />

Sollte ein Joke sein. Ich tat mich mit Bärbel<br />

zusammen, der ich während der ganzen Fahrt nach<br />

Hamburg an der süßen kleinen, samtweichen Brust herumgefummelt<br />

hatte. Sie ließ es gerne geschehen.<br />

So gingen wir von einer Boutique in die Nächste, und<br />

Jeder stahl was das Zeug hielt. Hemden, Hosen, irgendwelche<br />

Figürchen, die für Dekorationszwecke bestens<br />

430<br />

geeignet waren. Einmal stand ich direkt vor einer Kasse,<br />

rechts neben mir Bärbel und während ich freundlich mit<br />

der Verkäuferin über das Wetter sprach, steckte ich mit<br />

der linken Hand, die sie nicht sehen konnte, sehr teure<br />

Socken ein, die an einem Ständet neben der Kasse standen.<br />

Ich stopfte 10 Paar in meine Tasche, bevor wir uns<br />

freundlich aus dem Laden verabschiedeten. Bärbel lachte<br />

sich schlapp als wir auf der Straße waren, sie hatte<br />

meine Aktion gut mitbekommen, nur die Verkäuferin<br />

nicht. Dann gingen wir zu Viert in ein großes Geschäft,<br />

in dem es orientalische und indische Sachen aller Art zu<br />

kaufen gab. Das Geschäft war bis unter die Decke mit<br />

bunten Waren angefüllt.<br />

Jeder steckte sich etwas ein, das ihm oder ihr gefiel, ich<br />

hatte es auf einen wunderschönen bunten Teppich aus<br />

Indien abgesehen, den ich mir nie hätte leisten können.<br />

„Du bist verrückt“, sagte Bärbel, „wie willst du den hier<br />

raus bekommen“? „Lass mich mal machen“, sagte ich sicher,<br />

begann den dünnen Teppich zu falten, während die<br />

Anderen die Verkäuferin beschäftigten, indem sie durch<br />

verschiedene Gänge liefen die Auslage betrachteten und<br />

trotz Anwesenheit der Chefin Dinge in ihren Taschen<br />

verschwinden ließen. Die Verkäuferin immer hinter ihnen<br />

her, nicht hinter Bärbel und mir, wir befanden uns<br />

am hinteren Ende des Ladens. Die Händlerin konnte


immer nur ein Paar von uns unter Beobachtung halten.<br />

Am Ende des Geschäfts war ein Fenster, das auf eine<br />

freie Fläche führte, die man von der Straße aus leicht erreichen<br />

konnte, wenn man über einen niedrigen Zaun<br />

stieg.<br />

Ich schickte Bärbel hinaus, sie möge zum Fenster schauen<br />

und aufpassen, dass keiner der Passanten sah, wie ich<br />

den Teppich durch das Fenster warf. An der Verkäuferin<br />

wäre ich mit dem großen Ding nie vorbeigekommen.<br />

431<br />

Also hievte ich das Teil aus dem Fenster, warf es auf die<br />

freie Fläche außerhalb des schönen Ladens. Ich verabschiedete<br />

mich freundlich lächelnd von der Verkäuferin,<br />

hätte leider nichts Passendes gefunden und verschwand<br />

auf die Strasse, wo Bärbel auf mich wartete. Die anderen<br />

hatten die Aktion nicht mitbekommen, sie waren damit<br />

beschäftigt, kleine Figürchen in ihren Taschen verschwinden<br />

zu lassen. Ich ging um das Haus herum, sah<br />

über den Zaun, da lag mein Teppich, wartete darauf abgeholt<br />

zu werden. Sehr schnell war ich über den Zaun<br />

geklettert, nahm mich umschauend den schönen Teppich<br />

auf, zurück über den Zaun auf die Straße, und ab<br />

Richtung weit weg vom Geschäft. Ich hatte für den Tag<br />

genug geklaut. Die Aktion hatten wir als Gag angefangen,<br />

aus Langeweile, dass ein solcher Triumph mit dem<br />

indischen Teppich daraus werden würde hatte Niemand<br />

vorausgesehen. Jedenfalls war ich am Abend der Sieger<br />

im Klaugeschäft, daran gab es keinen Zweifel. Der Teppich<br />

war fast 8 qm groß. Die anderen hatten auch gut<br />

zugeschlagen, Heinz hatte sogar irgendwo eine Lederjacke<br />

mitgehen lassen. Jeder war zufrieden mit seiner<br />

Ausbeute dieses einmalig bleibenden Tages in Hamburg.<br />

Es ging eigentlich nicht wirklich um die erbeuteten Waren,<br />

es war der Thrill, der stets Hitze in mein Herz<br />

brachte, wenn ich wieder einen Verkäufer trickreich<br />

überlistet hatte. Nun konnte ich Jürgen als Raubritter<br />

der Großstadt verstehen, er stand ständig unter Adrenalin,<br />

wenn er sich fremdes Eigentum aneignete. Leider<br />

brauchte er später zuviel davon und ging den Weg eines<br />

überzeugten Junkies, den Weg ohne Wiederkehr.<br />

Eine solche Tour machte ich nie wieder. Es sollte eine<br />

einmalige Raubtour werden. Ich musste an Jürgen denken,<br />

der so seinen Lebensunterhalt bestritt. Da dealte ich<br />

lieber mit Hasch. Im Dunkel der Nacht, oder während<br />

432<br />

geschäftigen Treibens auf offener Straße, ein Deal mit<br />

dem süße Träume bescherenden Stoff war einfacher,<br />

wenn auch mit unruhigen Gefühlen verbunden. Der<br />

bunte, Handgeknüpfte Teppich sollte mich ein Leben<br />

lang begleiten. Ich hatte Qualität geraubt, der Teppich<br />

war sicher von armen Menschen für einen Hungerlohn<br />

in Indien gefertigt und wurde hier in Europa teuer verkauft.<br />

Er war ja von den Händlern schon bezahlt, so


mussten die Hersteller nicht unter meinem illegalen Geschäft<br />

leiden.<br />

433<br />

Kapitel 52<br />

Nach einiger Zeit machte ich dann mit Bacchus ein<br />

Musiklokal auf, das ich „Joker“ nannte. Den Namen hatte<br />

ich von einem Song der Steve Miller Band und<br />

„Spaßmacher“ passte sehr gut zu mir. Das Lokal hatte<br />

ich von Werner Merks gemietet, einem Schweizer<br />

Staatsbürger, der auf einer Landstrasse noch einen Puff<br />

besaß. Robby war ein begnadeter Kunstmaler, der uns<br />

die Wände mit Nordamerikanischen Indianermotiven<br />

bemalte. Der Laden lief gut, bis wir mit Werner Differenzen<br />

bekamen, und das Lokal schließen mussten. Meine<br />

letzten Ersparnisse von 25.000 Mark blieben dabei<br />

auch noch auf der Strecke, mein Konto war geplündert.<br />

Ich machte schnell ein paar Haschgeschäfte mit Vorkasse,<br />

so blieben wir zunächst noch gut am Leben.<br />

Eines Tages wurde mir von einem Junkie aus einem<br />

Nachbardorf John präsentiert, ein Amerikaner, stets in<br />

Jeansklamotten und Cowboystiefel gekleidet, krolliges<br />

langes Haar im Afrolook, so wie man sich einen Dealer<br />

aus Amerika gut vorstellen konnte. Er sprach auch perfekt<br />

den Dealerslang, und wollte 50 Kilo Haschisch kaufen.<br />

Zunächst war ich von Natur aus misstrauisch, wenn<br />

es um so große Mengen ging, aber der Typ verstand es<br />

mich zu überzeugen. Das Hasch sollte für amerikanische<br />

Soldaten im Rhein-Main Gebiet sein. Das kannte ich ja.<br />

Eigentlich hatte ich mich mittlerweile geweigert, noch<br />

Drogen zu verkaufen, aber für amerikanische Soldaten,<br />

war mir das egal. Das amerikanische Verteidigungsministerium<br />

konnte ich nie leiden, sollten die Militärs sich<br />

doch mit dem Zeug die Köpfe durchknallen, und in Vietnam<br />

danebenschießen, wenn sie auf den Vietcong zielten.<br />

434<br />

„Zuerst will ich Geld sehen“, verlangte ich von John.<br />

Zwei Tage später kam er dann mit 80.000 Mark in ein<br />

Handtuch eingewickelt in ein Hotelzimmer, packte sie<br />

aus, und legte gleichzeitig eine Riesenkanone darauf.<br />

„Komm nicht auf dumme Gedanken“, warnte er mich,<br />

auf seine Knarre deutend, „die ist sechszehnschüßig und<br />

neun Millimeter stark“, beschrieb er die automatische<br />

Waffe drohend. „Keine Sorge, ich fass das Geld nicht an,<br />

bis du deinen Stoff bekommst“, beruhigte ich ihn lässig.<br />

Nach Holland wollte er nicht, wo ich den Stoff hätte besorgen<br />

können, die Grenze sei hm zu heiß<br />

Ich dachte an den hohen Gewinn, den ich bei dem Deal<br />

würde machen können, ein Drittel der Summe wäre in<br />

meine Tasche geflossen. Ich war pleite, und unvorsichtig,<br />

brauchte frisches Geld.<br />

In Hamburg waren meine Quellen versiegt, in Berlin<br />

hatte ich noch einen Kontakt für solche Quantitäten,<br />

und telefonierte. „Kein Problem“, sagte Michael aus


Berlin, „ ich kann jede beliebige Menge besorgen“. Er<br />

nannte mir den Preis für das Kilo, und meine Freude<br />

wurde größer. Einen solchen Gewinn konnte ich jetzt<br />

gebrauchen.<br />

Wir verabredeten uns in Berlin. „Eigentlich will ich<br />

nicht über „Kommi“-Land fliegen“, sagte John ärgerlich.<br />

„Die Kommunisten haben bisher noch keine westliche<br />

Maschine abgeschossen“, entgegnete ich höhnisch,<br />

„also mach dir keine übertriebenen Sorgen“. „Es gibt<br />

keine Zollkontrollen, wir fliegen praktisch innerdeutsch“,<br />

erklärte ich ihm noch. `Ist der Typ doof, oder<br />

´etwas anderes´, fragte ich mich, einen kleinen Verdacht<br />

auf irgendetwas nicht ganz astreines hatte ich langsam<br />

bekommen. Aber ich dachte in erster Linie an das Geld,<br />

hatte es ja schon gesehen und brauchte es dringend. So<br />

schob ich jeden Verdacht weit weg von mir.<br />

435<br />

Claus „Banan“ fuhr mit mir in seinem Auto nach Berlin,<br />

ich gab ihm Sprittgeld, und versprach 500 Mark, falls<br />

der Deal über die Bühne gehen sollte. John nahm das<br />

Flugzeug. Wir waren nach zwei Tagen an dem verabredeten<br />

Treffpunkt Nähe des Berliner Flughafens Tempelhof.<br />

Ich hatte alles vorbereitet, das Haschisch lag bereit, wir<br />

warteten in einer Kneipe auf den Dealer.<br />

Michael war noch vorsichtiger als ich, wollte sich den<br />

Käufer erst einmal anschauen, man konnte ja nie wissen.<br />

Das Geschäft sollte folgendermaßen ablaufen: Mit John<br />

saß ich ja schon in der Kneipe, deren Namen und Standort<br />

ich Michael telefonisch miteilte. Er erklärte mir, dass<br />

ich mit dem Ami an einem Tisch sitzen sollte, er käme<br />

in fünfzehn Minuten, würde an der Theke ein Bier trinken,<br />

sich im Laden umschauen, dann wieder hinausgehen,<br />

ich sollte ihm einige Minuten später folgen, und er<br />

würde mir dann mitteilen, ob er dem Typ trauen könnte.<br />

Es ging immerhin um möglicherweise zehn Jahre<br />

Knast.<br />

Ich sah Michael zur Türe hereinkommen, ein Fremder,<br />

der sich ´mal eben ein Bier an der Theke trinken wollte.<br />

Das tat er auch, schaute sich um, wie das Jeder tun<br />

würde, trank sein Glas langsam leer und verließ das Lokal<br />

dann wieder. Ich wartete ein paar Minuten und sagte<br />

zu John, dass ich von einer Telefonzelle noch einmal<br />

anrufen müsse, es würde ja wohl Zeit für die Lieferung.<br />

„Mach dich vom Acker“, sagte Michael aufgeregt, „du<br />

sitzt da mit einem amerikanischen CID Agenten, der hat<br />

hier in Berlin schon einige Dealer hochgehen lassen“,<br />

fügte er hinzu. „Sag dem Typen einfach, der Deal könnte<br />

nicht laufen, kurz vor deinem letzten Anruf hätte dir<br />

ein anderer Dealer die gesamte Ware für einen besseren<br />

Preis vor der Nase weggekauft“, „ dann kann er dir gar<br />

436<br />

nichts“.<br />

Das CID, Criminal Investigation Department war eine


amerikanische Einrichtung mit Sitz in Heidelberg, die<br />

Agenten durch Deutschland schickten, um Deals zu provozieren,<br />

was hier absolut verboten war. Aber Deutsche<br />

Polizei- und Zollbehörden spielten mit, wenn Befehle<br />

aus den USA kamen, wurden diese auch hier von der<br />

Politik befolgt. Eine Schweinerei, die aber so im Dunkel<br />

ablief, dass man sie nie hätte beweisen können.<br />

Es wurde der amerikanischen Armeeführung zuviel, dass<br />

die Soldaten nur noch high durch die Kasernen stolperten,<br />

auch mit harten Drogen versorgt wurden, die in Vietnam<br />

ja Gang und Gäbe waren. Es gab von Anbeginn<br />

des Krieges in Vietnam immer mehr Soldaten, die als<br />

Junkies aus der schmutzigen Schlacht zurückkamen.<br />

Das CID in Deutschland glaubte wahrhaftig, es könnte<br />

den Fortlauf der Sucht in Deutschland mal so eben stoppen,<br />

naiv waren Amerikaner ja immer schon. So nahmen<br />

sie alle Drogen ins Ziel, die sie vom Markt nehmen<br />

konnten, darunter leider auch Haschisch, das keinerlei<br />

Sucht hervorrief, wie wissenschaftlich bewiesen war.<br />

Wenn ein solcher Deal dann von Statten ging, stand das<br />

Deutsche Rauschgiftdezernat oder die Zollbehörde mit<br />

vielen Beamten bereit, um den Dealer zu schnappen.<br />

Der Ami gab irgendein Zeichen an die ihn beobachtenden<br />

Deutschen Agenten, und verschwand schnell. Er<br />

tauchte in keinem Prozess auf, wurde zwar von den<br />

Dealern als Agent Provokateur benannt, die deutschen<br />

Beamten jedoch taten immer so, als wüssten sie von<br />

nichts.<br />

Ausgerechnet an so einen miesen Provokateur war ich<br />

geraten. Welch ein Glück für mich, dass Michael diesen<br />

Umstand noch so gerade vor dem Deal gecheckt hatte,<br />

ich wäre sicher für lange Jahre in den Bau gewandert. Ab<br />

437<br />

zehn Kilo gab es keine Späße mehr.<br />

Als ich zurück in die Kneipe kam, teilte ich John mit,<br />

dass der Deal nicht ablaufen würde, es sei leider nichts<br />

mehr da, alles schon verkauft. „Und dafür lockst du mich<br />

nach Berlin“, schrei er laut und schwer sauer. „Ich kann<br />

nichts dafür, man hatte mir den Stoff zugesagt, nun ist er<br />

halt weg“, antwortete ich unschuldig. „Das machst du<br />

nicht noch einmal mit mir“, sagte er ärgerlich, und verschwand<br />

aus dem Lokal. Ich folgte ihm schnell bis zur<br />

Türe und konnte noch beobachten, wie plötzlich unauffällige<br />

Herren aus allen Ecken um die Kneipe herum<br />

auftauchten, mit John sprachen, und sich dann in alle<br />

Winde verstreuten. Wir waren von Polizei umzingelt.<br />

Hätte ich den Deal durchgezogen, säße ich jetzt im Berliner<br />

Knast.<br />

Banan war im Hotel geblieben, ihn bekam niemand zu<br />

Gesicht. Als ich ihm nach meiner Rückkehr von der Geschichte<br />

berichtete, fiel ihm ein Stein vom Herzen. „Ein<br />

Glück dass ich nicht mit zu der Übergabe gegangen bin,<br />

so kennt mich jetzt niemand von den Bullen“, sagte er


erleichtert, auch denkend, was ihm hätte passieren können,<br />

wenn er dabei gewesen sei, und der Deal doch abgelaufen<br />

wäre. Er hätte mit mir in einem Boot gesessen,<br />

dann im gleichen Knast.<br />

Dieser Sündenfall war an uns vorbeigezogen, und niemand<br />

konnte uns das Geringste anhaben. Das CID hat<br />

nie wieder versucht mich zu einem Deal zu provozieren,<br />

und John musste sich erstmal von seinem mit einer weiten<br />

Reise verbundenen Misserfolg erholen. Ich gönnte<br />

es ihm, Agents Provokateurs hatten bei uns nichts verloren.<br />

Ich sah ihn nie wieder. Von da ab wollte ich keinen<br />

Deal mehr machen, es war einfach zu heiß geworden.<br />

Ich musste eine andere Möglichkeit finden, Geld für<br />

mich und meine Familie zu verdienen.<br />

438<br />

Wir fuhren gemütlich mit Banan´s Käfer nach Merschnich<br />

zurück, und lachten viel über das dumme Gesicht,<br />

das John jetzt sicher eine Zeitlang zur Schau tragen<br />

würde.<br />

Irgendwann hatte ich Angst in Banan´s Augen aufblitzen<br />

sehen. Angst vor was? Er war doch bei der Aktion sicher<br />

im Hotel aufgehoben, hatte wohlweislich nicht am Deal<br />

teilnehmen wollen.<br />

Angst hatte ich keinen Augenblick! Ich war schon früh<br />

vor mir Angst machen wollenden Menschen weggelaufen.<br />

Erst vor der Kreatur in meines Vaters Haus, dann vor<br />

den Schergen Gottes, die mir Angst vor einer Hölle machen<br />

wollten, und vor den Erziehern, die mir Angst vor<br />

einer verkorksten Zukunft machen wollten.<br />

Angst war ein Gefühl, das mir fremd war. Angst hatte nie<br />

auch nur einen Zipfel meiner Seele angeknabbert, weder<br />

als mir der CID Freak die dicke Knarre auf die Kohle<br />

legte, noch als ich in Berlin von Bullen umzingelt war.<br />

Angst war in mir nie hochgekommen. Ich wusste immer,<br />

dass ich mir überall raushelfen konnte, mit Herz<br />

und Verstand. Ich hatte weder vor dem Ami das Geld zu<br />

klauen, noch einen Deal mit ihm zu machen, der mich<br />

für viele Jahre in den Knast gebracht hätte. Ein Himmelsboote<br />

der Götter, diesmal war es Michael, hatte<br />

mich rechtzeitig gewarnt, warum also Angst haben. Ich<br />

sollte immer Angstfrei leben, was später viele Menschen<br />

um mich herum nicht verknusen konnten.<br />

Auf meinen Reisen Hatte ich viel mit klugen Freunden<br />

über dieses Thema diskutiert, und gelernt, dass Ängste<br />

sich in die Seele schleichen könnten, und sich dann<br />

langsam zu Paranoia entwickelten. Paranoid wurde ich<br />

nie, hatte aber viele Paranoiker um mich herum sehen<br />

müssen. Paranoia war schon fast eine Volkskrankheit.<br />

439<br />

Kapitel 53<br />

Öfters flog ich für zwei Wochen nach Ibiza. Die Reise<br />

war nicht teuer, und die Unterkünfte leicht bezahlbar.<br />

Anfang der Siebziger Jahre, war die Insel von Hippies


esetzt, die Touristen kamen nur spärlich, wenn, dann<br />

waren es reiche, sich langweilende Menschen, die am<br />

freien Leben der Hippies teilhaben wollten.<br />

Das war überall so, diese Menschen folgten den Hippies<br />

überall hin, versuchten zu lernen, auch so frei und<br />

Angstlos zu leben wie sie, was ihnen nie gelang, sie hatten<br />

am Ende zu große Sorge vor Verlust ihres Reichtums,<br />

als hätten sie Freiheit lernen können.<br />

Sie feierten mit uns, versuchten auch losgelöst zu tanzen<br />

und zu lachen, aber sie blieben steif, konnten nie wirklich<br />

loslassen, und ihr Lachen war gequält, was deutlich<br />

erkennbar war.<br />

Wir profitierten von ihnen, indem wir ihnen Shit zur<br />

Auflockerung verkauften, oder viele von Fernreisen mitgebrachte<br />

Waren wie bunte Kleider, Tücher, besonders<br />

Schmuck war sehr gefragt. Das Angebot war reichlich,<br />

die Touristen kauften wie verrückt.<br />

Irgendwann suchten zwei schon ältere Franzosen eine<br />

Mannschaft für eine neue Diskothek, die schon bald am<br />

Rande von Ibiza Stadt eröffnen sollte. Sie hatten riesige<br />

Räumlichkeiten von Ibizencos gekauft, die gesamten<br />

Gebäude eine ehemaligen Pferderennbahn, die nun<br />

brach lag.<br />

Sie ließen diese Räume umbauen, und errichteten eine<br />

Riesendiscothek, von Ausmaassen, wie ich sie nie zuvor<br />

gesehen hatte.<br />

Daniel und Christian waren ehemalige OAS Offiziere,<br />

die in Algerien große Besitztümer hatten. Bis dann De<br />

440<br />

Gaulle den Algeriern die Freiheit gab, und die Okkupanten<br />

das Land verlassen mussten.<br />

Einige wollten sich mit dieser Politik nicht abfinden. Von<br />

hohen Militärs geleitet bildete sich die OAS, eine gut<br />

bewaffnete Geheimorginisation, die den Kampf gegen<br />

diese für sie inakzeptable Regelung der französischen<br />

Politik aufnehmen wollten.<br />

Sie Alle waren in Algerien reich geworden, wollten ihre<br />

großen Farmen und Felder behalten. Die schon zurückgekehrten<br />

Franzosen, die sich mit der Freiheit Algeriens<br />

abgefunden hatten, und nun Angst vor Rache der Araber<br />

hatten, ließen ihre Besitztümer zurück, lebten von<br />

dem, was sie sich schon während ihrer Zeit in Algerien<br />

eingeheimst hatten. Und das nicht zu knapp. Die Algerische<br />

Bevölkerung lebte in Armut, wurde von den Invasoren<br />

praktisch ausgesaugt.<br />

Die OAS wurde dann zerschlagen, viele Mitglieder kamen<br />

in Gefängnisse, einige aber konnten den Französische<br />

Militärbehörden entwischen, brachten so viel als<br />

möglich an Geld und Gut aus Algerien in andere Länder,<br />

so auch Daniel und Christian, die ihr Geld in Spanien<br />

investiert hatten. Beide besaßen schon Restaurants<br />

in Valencia und Barcelona.<br />

Sie kamen genau im rechten Augenblick auf die Insel


Ibiza, hatten die sich immer stärker entwickelnde Touristik<br />

gut erkannt.<br />

Es gab die in der ganzen Welt bekannte Dicothek „Pascha“<br />

auf Ibiza, wo sich jede Nacht sicher achthundert<br />

Gäste die Nächte um die Ohren schlugen. Wirklich um<br />

die Ohren, denn das Pascha hatte eine exzellente Musikanlage,<br />

die laut gefahren wurde. Die Menschen tanzten<br />

im gesamten Dicothekenbereich. Die Anlage war zwar<br />

auf die Tanzfläche gerichtet, aber so laut, dass die gesamte<br />

Räumlichkeit vom Sound erreicht wurde. Die Bar-<br />

441<br />

männer waren die Vortänzer, sie mixten die Drinks im<br />

Rhythmus der Musik.<br />

Diesem Pascha wollten Daniel und Christian Paroli bieten,<br />

sie bauten das „Gloris“ und ich sollte dort Musik<br />

auflegen. Ich wohnte in der Altstadt von Ibiza, in einem<br />

großen, tausend Jahre altem Haus, das einem spanischen<br />

Künstler gehörte, der auf Weltreise war, und einen Teil<br />

des Anwesens an Monika, einer 24jährigen, sehr liebenswerten,<br />

aber total verrückten Deutschen aus Köln überlassen<br />

hatte und die mir dort ein Zimmer zur Verfügung<br />

stellte. Es wohnte noch drei andere Leute im Haus, zwei<br />

Spaniereinnnen und ein Deutscher. Monika hatte mich<br />

auch mit Daniel und Christian zusammengebracht, und<br />

so hatte ich den Job gefunden. Sie sollte als Kellnerin im<br />

Gloris arbeiten.<br />

Vom Dach der immens großen Dachterrasse des Hauses<br />

hatte ich einen Blick über die gesamte Stadt Ibiza und<br />

auf den Hafenbereich, bis hin nach Formenterra, das bei<br />

der meist klaren Sicht weit in der Ferne als Schatten auszumachen<br />

war. Im Garten auf der Dachterrasse stand eine<br />

riesige dicke sehr gesunde Palme, die man von unten<br />

aus der Stadt gut erkennen konnte, so fand ich Anfangs<br />

meinen Weg durch das große Tor zur Altstadt, durch verwinkelte<br />

Gässchen und über kleinen Treppen, die mich<br />

dann zum Haus hochführten.<br />

„Wir müssen nach London, neue Platten kaufen“, sagte<br />

Daniel bei einem Treffen auf der Terrasse des Mont e<br />

Sol, eines sehr alten Hotels am Fuße der Altstadt von Ibiza.<br />

Hier trafen sich alle Nachtschwärmer ab elf Uhr<br />

morgens zum Frühstück, an diesem Tag war die mittlerweile<br />

auf fünfzehn Mitarbeiter angewachsene Crew des<br />

Gloris versammelt. „Wir werden in zehn Tagen eröffnen,<br />

und wollen die neuesten Schallplatten für dich haben,<br />

du fliegst also mit, und suchst die Musik aus“, sag-<br />

442<br />

te Daniel zu meiner großen Freude.<br />

Wir flogen am nächsten Tag nach London, fanden einen<br />

riesigen Plattenladen in der Nähe des Picadilly Circus,<br />

und ich kaufte dreihundert Platten, das Neueste und Beste,<br />

was auf dem Musikmarkt zu finden war. Vier Stunden<br />

fegte ich durch das Geschäft, und suchte mir Schallplatten<br />

fürs Gloris aus. Ich war natürlich glücklich, dass


ich mir meine Musik selbst auswählen konnte, so war ich<br />

sicher, den Gästen so einheizen zu können, wie ich es<br />

schon im Jara in Dortmund getan hatte. Am Abend flogen<br />

wir schwer beladen zurück nach Ibiza.<br />

Bis zur Eröffnung vertrieb ich mir die Zeit mit Monika,<br />

die nur eine Freundin war, keine Geliebte. Sie kannte die<br />

Insel schon sehr gut, zeigte mir die schönsten Strände<br />

und Plätze des wunderschönen, noch unschuldigen Eilands.<br />

Ich sah alte Männer, die ihre Ernten noch mit<br />

Eselskarren transportierten, schwarz gekleidete Frauen<br />

mit Strohhüten arbeiteten auf den Feldern mit Oliven,<br />

Orangen und Zitronenbäumen.<br />

Wir besuchten Sascha und Mora, die einst in Düsseldorf<br />

die erste Diskothek am Platz in der Kö-Passage besessen<br />

hatten, aus Steuergründen nach Spanien geflohen waren,<br />

und nun in einem Haus in den Bergen ohne Strom und<br />

fließend Wasser lebten. Sascha ging mit einer Harpune<br />

täglich auf Jagt nach Fischen in dem klargrünen Wasser<br />

des Meeres, das er durch viel Kletterei über Felsenmassive<br />

in einer unbewohnten wunderschönen Bucht erreichte.<br />

Eines Tages hatte Monika Pilze in unseren morgendlichen<br />

Joghurt gemischt, wir wollten die Bucht am anderen<br />

Ende der Insel besuchen, vielleicht Sascha beim Fischen<br />

beobachten.<br />

Die Pilze wirken schnell, ich befand mich auf einem<br />

Trip, der LSD gleichkam, ging regelrecht neben mir, und<br />

443<br />

konnte mein Inneres beobachten. Die Berge und Felder<br />

kamen mir unwirklich vor, alles war von Diamantfarbenem<br />

Leuchten überstrahlt. Als wir die riesigen Felsen erreichten,<br />

begannen wir hinunter zu der Bucht zu klettern,<br />

Monika sagte irgendwann: „ Ich bleib hier liegen,<br />

ich werde Eins mit den Felsen“.<br />

Ich stieg weiter den beschwerlichen Weg hinunter Richtung<br />

Wasser, bis ich auf einem großen Felsplatteau Halt<br />

machte, mich an den vorderen Rand setzte, und einen<br />

fantastischen Blick weit hinaus auf das strahlend blaue<br />

Meer hatte. In der Ferne sah ich ab und zu ein Schiff auf<br />

seiner Reise über die Weite des Mittelmeeres fahren, es<br />

war Romantik pur, die ich stundenlang ruhig mit gekreuzten<br />

Beinen sitzend genoss.<br />

Bis dann die Sonne langsam ins Meer zu fallen drohte,<br />

ein solch brillantes Farbenspiel am Himmel über dem<br />

Meer hatte ich vorher nie gesehen, sicher wurde dieser<br />

Blick von den Pilzen in meinem Kopf noch verstärkt, es<br />

war ein großartiges Abenteuer.<br />

Bevor es völlig dunkel wurde machte ich mich zum<br />

Aufstieg zurück auf den Weg zur Straße, und auch um<br />

Monika wieder zu finden, die noch als Stein irgendwo<br />

zwischen den oberen Felsen liegen sollte. Ich rief nach<br />

ihr, bekam leider keine Antwort von nirgendwo her.<br />

Hatte ich mich vielleicht verstiegen? War ich in die falsche<br />

Richtung gelangt?


Ich kletterte hin und her, rief immer wieder nach meiner<br />

Begleiterin, hörte jedoch nur mein Echo.<br />

Als ich dann oben angekommen war, fand ich mich auf<br />

einem Feld wieder, ein Weg auf dem wir her gelangt waren,<br />

war nicht zu erblicken. Ich sah nach der untergehenden<br />

Sonne, und machte mich in die entgegengesetzte<br />

Richtung auf, in der die Strasse liegen musste. Ich<br />

ging über das Feld, das an einer aus Handgroßen aufein-<br />

444<br />

ander getürmten Steinen Mauer endete, die etwa einen<br />

Meter hochragte. Alle Felder auf der Insel waren so begrenzt.<br />

So stapfte ich sicher einige Kilometer über mit<br />

schwarzbrauner Erde bedeckte Felder, musste viele<br />

Mauerchen überklimmen, erreichte schließlich einen<br />

großen in Blüte befindlichen Olivenhain.<br />

Ich ging an sehr schön zu betrachtenden Olivenbäumen<br />

vorbei, und erreichte schließlich einen festen Weg. Dieser<br />

führte mich auf die Strasse, die nach Ibiza Stadt führte.<br />

Ich hielt Autos an, bis endlich eine alte, rostige Ente<br />

anhielt, in der eine junge Frau am Steuer mit zwei Kindern<br />

auf dem Rücksitz saßen. „Wo willst du hin“, fragte<br />

mich die Frau freundlich, und ich erklärte ihr mein<br />

Ziel. „Ibiza Stadt“, sie nickte nur und forderte mich auf<br />

einzusteigen. Die Kinder hinter mir hatten schmuddelige<br />

von Rotze bedeckte Gesichter, sie lachten laut und<br />

unablässig. Ich sah doch ganz normal aus, vielleicht<br />

brachte genau das sie so zum lachen. Ich war mit einer<br />

Hippiefamilie unterwegs.<br />

In Ibiza angekommen ging ich zum Montesol, wo Monika<br />

mich lächelnd erwartete. „Na, hast du also doch zurückgefunden,<br />

ich wollte schon eine Vermisstenanzeige<br />

aufgeben“, höhnte sie. „Wo warst du denn abgeblieben,<br />

ich habe nach dir gerufen, nie Antwort erhalten“, beschwerte<br />

ich mich. „Ich hab mich zwischen den Felsen<br />

unter der Sonne sehr wohl gefühlt, und bin eingeschlafen“.<br />

Dann hatte sie nach mir gesucht, mich nirgendwo<br />

entdeckt, und war zurück in die Stadt gefahren. Wir hatten<br />

beide einen sehr schönen und außergewöhnlichen<br />

Tag erlebt.<br />

Ich fuhr täglich mit einem Bus an den langen Strand<br />

hinter den Salinas, den Salzfeldern von Ibiza. Dort wurde<br />

Meerwasser in von 20 cm hohen Lehmmauern umgebenen<br />

Flächen eingeleitet, bis das Wasser in der Sonne<br />

445<br />

verdunstet war und man reines weißes Meersalz vom getrockneten<br />

Boden abkratzen konnte, das sich zu hohen<br />

Bergen auftürmte.<br />

Über Dünen aus feinstem Sand und durch darauf wachsenden<br />

Pinienbäumen erreichte man den langen Strand<br />

dort gab es reines blau-grünes Meerwasser, und einige<br />

Buden, die Essen und trinken verkauften. Hier konnte<br />

ich fantastisch schwimmen gehen, und mir die Sonne<br />

auf den Pelz brennen lassen. Meine Haut nahm bald eine


dunkelbraune Farbe an, meine blonden Haare bleichten,<br />

ich dachte immer wenn ich mich in einem Spiegel<br />

betrachtete, dass mir die Farbe gut zu Gesicht stand, erreichte<br />

eine unerschütterliche Selbstsicherheit.<br />

Daniel und Christian rührten die Werbetrommel für das<br />

Gloris. Sie hatten sechs junge hübsche Mädels, von denen<br />

es sehr viele auf der Insel gab, angestellt, die Flyer in<br />

den vielen Cafes am Hafen, aus denen Musik klang, in<br />

denen sich junge Touristen versammelten, verteilten und<br />

überall Plakate aufhängten, welche die Eröffnung des<br />

Gloris ankündigten.<br />

Der Club war mittlerweile fertig gestellt, hatte einige<br />

Ebenen vor den Außenmauern, die mit dicken dunkelroten<br />

samtigen Sitzflächen ausgelegt waren, vor denen<br />

kleine Tische standen. Alles sah sehr arabisch, äußerst gemütlich<br />

aus und war dezent beleuchtet. Es gab drei Bars,<br />

die sich an den Rändern der Räumlichkeiten verteilten.<br />

In der Mitte befand sich die große Tanzfläche, die von<br />

vier enormen, eingemauerten Bässen, über denen feinste<br />

Hochtöner hingen, beschallt wurde. An den ziemlich tief<br />

liegenden, glatten, erdfarben gestrichenen Decken hingen<br />

über der Tanzfläche viele Scheinwerfer, die im<br />

Rhythmus der Musik verschiedenfarbig aufleuchteten.<br />

Ansonsten gab es nur indirekte Beleuchtung, die Alles<br />

leicht dunkel hielt. Nur die Bars waren etwas heller an-<br />

446<br />

gestrahlt.<br />

An der Wand vor der Tanzfläche war die Musikanlage installiert,<br />

man hatte die besten Verstärker und Plattenspieler<br />

gekauft, die auf dem internationalen Markt zu finden<br />

waren. Die Bässe waren knackig, die Höhen klangen<br />

perfekt, ich hatte eine solche Anlage noch nie bedient,<br />

die im Jara konnte sich weit dahinter verstecken. Der<br />

Klang war laut und genau richtig, um Tanzenden das<br />

Blut zum kochen zu bringen. Meine Spezialität.<br />

Ich rief Lucie an, die ich nur selten und sporadisch, mit<br />

der ich vielleicht einmal wöchentlich telefonierte, um<br />

mich nach dem Befinden der Familie zu erkundigen,<br />

und berichtete ihr von meinem neuen Job. Da die Kinder<br />

noch nicht in die Schule gingen, hatte Lucie alle<br />

Zeit der Welt, um dorthin zu gelangen, wo ich mich gerade<br />

aufhielt. Ich sagte ihr, dass ich mich sofort um eine<br />

Wohnung für uns Alle bemühen würde, sie dann mit den<br />

Kindern zu mir nach Ibiza kommen könnte. Sie freute<br />

sich sehr über die Nachricht, und bat mich zur Eile, sie<br />

und die Kinder vermissten mich sehr. Ich war nun schon<br />

fast zwei Monate auf der Insel, sprach schon Einigermassen<br />

gut spanisch, konnte mich verständigen. Es war wohl<br />

einmal mehr mein feines Ohr für Musik, das mich<br />

Fremdsprachen schnell begreifen ließ.<br />

An einem Samstag im Juni wurde dann die Diskothek<br />

geöffnet. Wir verlangten umgerechnet 20 Mark Eintritt,<br />

das Pascha berechnete 25 Mark. Gute Bekannte und


selbstverständlich schöne Frauen wurden kostenfrei hereingelassen.<br />

Es gab zwei Türsteher, die genau instruiert<br />

waren, die in Ibiza Bekannten Leute ohne Eintritt einzulassen<br />

und der Abend wurde ein voller Erfolg. Natürlich<br />

spielte die Neugier eine große Rolle, wer hatte es<br />

hier gewagt, es dem Pascha gleich zu tun, und eine gro-<br />

447<br />

ße Diskothek zu eröffnen, die von 23Uhr bis in die<br />

Morgenstunden Menschen unterhalten wollte.<br />

Und sie wurden unterhalten. Schon um Mitternacht war<br />

das Gloris brechend voll. Ich machte Musik die swingte,<br />

die einzelnen Lieder flossen ineinander über, so dass nie<br />

ein Moment der Stille aufkam, die Tanzfläche war immer<br />

gefüllt. Die Türsteher hatten viel zu tun, das Publikum<br />

so auszuwählen, das es ein faszinierendes Ensemble bildete.<br />

Es kamen schöne Frauen in Scharen, mit und ohne<br />

Begleitung, Interessant aussehende Männer machten<br />

den Frauen den Hof, spendierten Drinks und tanzten, als<br />

würde es kein Morgen geben. Die Theken und alle Tische<br />

waren bis auf den letzten Platz besetzt, an den Theken<br />

standen die Gäste in Dreierreihen, um Drinks zu erlangen.<br />

Viele wandelten in den Gängen umher, um das<br />

Treiben aus allen Winkeln zu verfolgen.<br />

Daniel hatte gegen 2Uhr Spione ins Pascha geschickt, sie<br />

berichteten, dass dort fast gähnende Leere herrschte. Die<br />

Betreiber des Gloris freuten sich natürlich, am frühen<br />

Morgen als die letzten Gäste das Lokal verließen, waren<br />

die Kassen reichlich gefüllt. Es herrschte Goldgräberstimmung.<br />

Dieser Zustand hielt vom ersten Tag der Eröffnung an,<br />

es hatte sich bald eingebürgert, zwischen Pascha und<br />

Gloris hin und her zu pendeln, so blieb in den Kassen<br />

genug für beide Betreiber. Nach einiger Zeit der Mundpropaganda,<br />

der immerwährenden Werbung, Themenabenden,<br />

wurde das Gloris zu einem grandiosen Erfolg.<br />

Bei Vollmond z.B. wurden die Gäste aufgefordert, ganz<br />

in weiß gekleidet ins Lokal zu kommen, wer den Aufruf<br />

beachtete, hatte freien Eintritt, und bekam einen Gratisdrink.<br />

Fast alle Gäste spielten mit, es war ein herrliches<br />

Bild, die Farben der bunten Scheinwerfer auf den weißen<br />

Kleidern der Leute leuchten zu sehen. Der Mond<br />

448<br />

besorgte den Rest.<br />

Es gab arabische Nächte, Frauen in arabischer Bekleidung,<br />

Männer im Kaftan und Turban kamen zu Hauff<br />

und amüsierten sich prächtig. Diese Themenabende waren<br />

eine Erfindung der Manager des Gloris, an die sich<br />

das Pascha bald anschloss. Von da ab gab es immer einen<br />

Konkurrenzkampf zwischen den beiden Clubs, es gab<br />

zunächst viel Geheimniskrämerei, bis dann die Mädels<br />

mit den entsprechenden Flyern durch die Cafe´s schlenderten.<br />

Große Plakate kündigten die verschiedenen Feste<br />

an.<br />

Das Gloris hatte mit dieser Art von Unterhaltung begonnen,


so waren wir bald dem Pascha immer einen<br />

Schritt voraus, und der Club musste Umsatzeinbußen<br />

hinnehmen. Wir hatten es nach zwei Monaten geschafft,<br />

im Gloris waren mehr gut zahlende Gäste unterwegs, als<br />

im Pascha.<br />

Die gesamte Mannschaft, erst recht Daniel und Christian,<br />

waren vollauf zufrieden, wir hatten wirklich erreicht<br />

was vorgesehen war, dem Pascha so viel als möglich Gäste<br />

abspenstig zu machen.<br />

Es gab die erste Lohnerhöhung. Jeder Kellner erhielt<br />

tausend Pesetas mehr pro Woche, die Barmänner wurden<br />

am Umsatz beteiligt. Ich bekam dreitausend Pesetas<br />

mehr.<br />

Inzwischen hatte ich durch Beziehungen eine große<br />

Wohnung in der Unterstadt in einem Neubau gefunden,<br />

drei Schlafzimmer, zwei Bäder, ein großes Wohnzimmer,<br />

alles eingerichtet mit guten Betten und Sitzmöbeln, für<br />

den Preis eines Wochenlohns der ersten Woche. Die Küche<br />

war mit Töpfen und Tellern bestückt, zwar nur spartanisch,<br />

und für vier Personen, aber völlig ausreichend.<br />

Das Haus gehörte einem alteingesessenen Eisenwahrenhändler,<br />

der auch noch Felder mit Oliven und Orangen-<br />

449<br />

bäumen hatte. Außerdem betrieb die Familie, früher Fischer,<br />

zwei Boote, die Touristen zu den entlegenen<br />

schönsten Stränden fuhren.<br />

Ich telefonierte mit Lucie, sie könne Jederzeit auf die Insel<br />

kommen, ich hatte alles für die<br />

Ankunft meiner Frau und die Kinder bestens vorbereitet.<br />

450<br />

Kapitel 54<br />

Sie kamen zehn Tage später. Mit der Bahn waren sie bis<br />

Barcelona gefahren, dort auf die Fähre nach Ibiza gestiegen,<br />

das Schiff sollte gegen zehn Uhr morgens ankommen.<br />

Ich hatte für Alle Silberschmuck als Begrüßungsgeschenke<br />

gekauft, hohle Kugeln, die fantastisch<br />

gearbeitet waren und aus Mexiko stammten. Jede Kugeln<br />

hing an einer fünf Millimeter dicken Kette. Für Lucie<br />

hatte ich ein Eiförmiges Gebilde ausgesucht, die<br />

Kinder sollten Runde bekommen. Die wunderschönen<br />

und sehr ungewöhnlichen Schmuckstücke hatte ich in<br />

Kästchen gepackt. Ich stand ganz in weiß gekleidet,<br />

mittlerweile von der Sonne schwarzbraun gebrannt am<br />

Kai, und sah das Schiff langsam näher kommen.<br />

Eine unsagbare Freude hatte sich in meinem Herzen<br />

breit gemacht, je näher das Schiff dem Hafen kam, erhöhte<br />

sich mein Glücksgefühl. Als die Gangway heruntergelassen<br />

wurde, sah ich die Drei schon von oben, und<br />

winkte. Niemand winkte zurück. Als sie unten angekommen<br />

waren, sie hatten nur wenig Gepäck mitgebracht,<br />

liefen sie zunächst an mir vorbei, bis ich sie rief.<br />

„Hallo, hier bin ich“. „Ich hätte dich fast nicht erkannt“,<br />

sagte Lucie, ließ die Koffer fallen, und rannte auf mich


zu. Auch die Kinder liefen sofort zu mir, und sprangen<br />

mir auf die Arme. „Wir haben dich so sehr vermisst“,<br />

sagten sie ein wenig traurig, „nun seid ihr hier, und<br />

bleibt es auch, von jetzt an kann uns nichts mehr trennen“,<br />

versprach ich ihnen lachend. Ich gab ihnen freudig<br />

die Geschenke, sie waren sehr erstaunt über den silbernen<br />

Schmuck. „Die sind aber besonders schön“, sagte<br />

Lucie als erste, alle drei hängten sich die Ketten sofort<br />

um den Hals. „Papa, du siehst so anders aus“, stellte Fleu-<br />

451<br />

re sehr erstaunt fest, als sie mich genauer betrachtete. Ich<br />

bemerkte die überraschten Blicke der Kinder sehr gut<br />

und freute mich. Lucie kannte mich von der Sonne verbrannt,<br />

meine Kinder hatten mich so nie zuvor gesehen.<br />

Wir nahmen ein Taxi zu dem nicht allzu weit gelegenen<br />

Haus, wo sich in der 4. Etage unsere Wohnung befand.<br />

Sie waren sehr überrascht, dass ich eine so schöne, helle<br />

und große Bleibe für uns gefunden hatte, und das um einen<br />

Bruchteil der Miete, die wir in Deutschland hätten<br />

bezahlen müssen. Alles ohne Mietvertrag, ein Handschlag<br />

genügte. Es gab auch keine Kündigungsfrist. Die<br />

Wohnung lag direkt neben dem Glockenturm einer Kirche,<br />

dort war das Wohnzimmer. Die Schlafzimmer lagen<br />

nach hinten hinaus, so dass wir das allmorgendliche Gebimmel<br />

kaum mitbekamen.<br />

Ich war sehr glücklich meine Mädels alle bei mir zu haben,<br />

trotz all meiner Aktivitäten auf der Insel hatte ich<br />

sie schon vermisst, mir wurde bald bewusst, wie sehr ich<br />

sie liebte. Meine Freude wurde geteilt, ich sah in lächelnd<br />

erregte Gesichter. „Du bist ja so braun geworden“,<br />

wunderte sich Fleure erneut. „Das seid ihr bald<br />

auch, wir werden täglich an den Strand fahren“, versprach<br />

ich ihnen.<br />

Nachts arbeitete ich, am Vormittag lag ich mit Frau und<br />

Kindern am Strand. Sie liebten das Meer, waren kaum<br />

aus dem Wasser zu kriegen. Lucie konnte nicht schwimmen,<br />

sie traute sich immer nur einige Meter ins Meer,<br />

aber die See war am Rand nur maximal zwanzig cm tief,<br />

so konnte auch sie davon profitieren.<br />

Daniel und Christian verstanden es vorzüglich, unsere<br />

Mannschaft zusammenzuschweißen. Oft gingen wir alle<br />

zusammen abends vor der Öffnung des Gloris gemeinsam<br />

essen, wir stellten in Restaurants Tische zusammen,<br />

452<br />

bildeten so eine lange Tafel und saßen gemeinsam an einem<br />

langen Tisch, aßen und scherzten miteinander. Daniel<br />

übernahm stets die Rechnung. Wir waren mittlerweile<br />

17 Mitarbeiter, wurden bald zu einer<br />

verschworenen Gemeinschaft, die nur das Vorankommen<br />

des Clubs im Kopf hatten.<br />

Außerdem besaßen die Chefs ein großes Motorschiff,<br />

mit dem wir tagsüber nach Formenterra schipperten,<br />

um dort in noch klarerem Wasser als an Ibizas Stränden


zu schwimmen. Lucie und die Kinder waren immer mit<br />

dabei. Daniel liebte Kinder. Die Strände von Formenterra<br />

waren klar und mit weißem Sand bedeckt, wie auf jeder<br />

Insel in der Karibik. Lucie verliebte sich in die kleine<br />

Insel, sie war nur sieben km lang und drei km breit.<br />

Nach einiger Zeit lernte Lucie ein französisches Ehepaar<br />

kennen, das am Hafen ein Restaurant betrieb. Sie hatten<br />

sehr viel Arbeit, meist bis tief in die Nacht hinein. Sie<br />

fragten Lucie, ob sie einen Job übernehmen könne, nicht<br />

im Restaurant, sondern sie sollte tagsüber auf die zwei<br />

Kinder der Restaurantbesitzer aufpassen, einen Jungen<br />

und ein Mädchen, beide fast im gleichen Alter wie Fleure<br />

und Laura. Bisher hatte die Oma den Job gemacht, es<br />

wurde ihr jedoch zuviel mit den Kindern zum Strand zu<br />

fahren. Dafür bekäme Lucie einen guten Lohn, und<br />

könne im Haus mit den Kindern wohnen. Auch ich sei<br />

herzlich willkommen, das Haus sei groß genug.<br />

Wir überlegten nicht lange, kündigten die Wohnung in<br />

der Stadt, und zogen in das Haus der Familie Fauche. Es<br />

lag an einem Hang vor San Antonio, der zweitgrößten<br />

Stadt von Ibiza, fünfzehn km entfernt. Das Haus war eine<br />

alte wunderschöne Finka, ein Ibizenkisches Bauernhaus.<br />

Es hatte eine große Terrasse, von der man die<br />

Bucht von San Antonio überblicken konnte, in der jeden<br />

Abend die Sonne ins Meer versank. Eine fantastische<br />

453<br />

Aussicht, die wir alle sehr genossen. Bis hoch zur Terrasse<br />

wuchs ein Zitronenbaum, von dem pflückte ich stets<br />

Blätter ab, die ich im Haus verteilte, so roch es immer<br />

frisch und leicht säuerlich.<br />

Einen Stromanschluss hatten wir nicht. In einem kleinen<br />

Verschlag, zehn Meter vom Haus entfernt stand ein Generator,<br />

der mit Benzin angetrieben wurde, so erhielten<br />

wir Elektrizität.<br />

Die Restaurantbesitzer bekamen wir nie zu Gesicht, sie<br />

schliefen in einem Zimmer unterhalb des Hauses, und<br />

arbeiteten nur. Im Morgengrauen fuhren sie auf die<br />

Märkte, frische Produkte für die Restaurantküche kaufen,<br />

dann bereiteten sie den Betrieb vor und arbeiteten<br />

weiter bis tief in die Nacht.<br />

Lucies Aufgabe war es, mit den Kindern zu einem Strand<br />

bei St. Antonio zu fahren, und dort auf sie zu achten. Das<br />

war´s. Die Oma sorgte für´s Essen und hielt das Haus in<br />

Ordnung, Lucie hatte einen leicht zu bewältigenden Job<br />

gefunden, konnte sich mit vier Kindern am Strand amüsieren<br />

und wurde dafür fürstlich entlohnt. Außerdem<br />

hatten wir keine Mietkosten mehr. Dazu noch den Allabendlichen<br />

Sonnenuntergang, so gut war es uns noch<br />

selten gegangen.<br />

Es gab ein Auto vor dem Haus, in dem immer die<br />

Schlüssel steckten. Mit dem fuhr ich zur Tankstelle, um<br />

Sprit zu holen wenn das Licht mal ausging. Ich hatte<br />

zwar keinen Führerschein, fuhr trotzdem oft über die


Insel, und abends zur Arbeit. Das Auto war eigentlich für<br />

Lucie bestimmt, um mit den Kindern zum Strand zu gelangen,<br />

da sie jedoch auch keine Fahrerlaubnis besaß,<br />

auch nicht mit einem Auto umgehen konnte, fuhr sie<br />

natürlich mit dem Bus, wenn ich ´mal zu lange schlief.<br />

Meistens aber begleitete ich sie. Es ging uns richtig gut<br />

und Oma Marie kochte fantastisch gute Lyoneser Kost.<br />

454<br />

Eines schönen Tages fuhr ich gegen Mittag alleine in die<br />

Stadt Ibiza. An den Strand zu gehen hatte ich keine besondere<br />

Lust an diesem Tag. Die Sonne hatte ich reichlich<br />

genossen und meine Nase leuchtete rötlich von einem<br />

leichten Sonnenbrand.<br />

455<br />

Kapitel 55<br />

Es waren gerade Fußballweltmeisterschaften. In einem<br />

Café, das ich oft besuchte, in dem fast nur ältere Ibizenkos<br />

verkehrten, lief ein Fernseher. Holland spielte gegen<br />

Deutschland. Eigentlich hatte ich mit Fußball wenig im<br />

Sinn, die Weltmeisterschaft jedoch verfolgte ich gerne.<br />

An die Eingangstüre gelehnt an einem schattigen Platz<br />

stand ich interessiert das Spiel im Fernseher verfolgend.<br />

Plötzlich stand eine dunkelhaarige Frau fünf Meter von<br />

mir entfernt auf der Straße. Sie hörte den Klang der<br />

Glotze, schaute mich an und fragte auf Englisch: „Wer<br />

soll gewinnen“? Ich schaute mich um, Niemand anderes<br />

auf der Straße zu erblicken. Sie hatte mich gefragt. „Holland“,<br />

antwortete ich. „Bist du Holländer“, fragte mich<br />

die sehr hübsche junge Frau, die ihr dunkles Haar hochgesteckt<br />

auf dem schönen Kopf mit einer großen Klammer<br />

gebändigt hielt. „Nein, ich bin Deutscher“. „Wie<br />

kannst du dann wollen, dass Holland gewinnt, bist du<br />

kein Patriot“? „Nein, die Holländer sind mir sympathischer<br />

als meine Landsmänner und –Frauen“. „So etwas<br />

habe ich noch nie gehört, du bist ja ein sehr ungewöhnlicher<br />

Zeitgenosse, Respekt“, sagte die Frau. „Woher<br />

kommst du denn“, fragte ich sie. „Ich komme aus Stockholm<br />

in Schweden, bin im Urlaub hier“, bekam ich zur<br />

Antwort.<br />

„Dass Stockholm in Schweden liegt weis ich auch“, sagte<br />

ich lächelnd.<br />

Die Frau gefiel mir zusehends besser, sie war in meine<br />

unmittelbare Nähe gekommen. Sie roch sehr gut, hatte<br />

dunkle Augen und ein schönes Gesicht. Ihr Körper sah<br />

reizvoll aus, sie war mit Jeans und einem dünnen Hemd<br />

bekleidet, unter dem man die Konturen ihrer Brust<br />

456<br />

erahnen konnte. Sie trug keinen Büstenhalter, den benötigte<br />

sie auch nicht, die Brüste standen fest da wo sie<br />

hingehörten. Die Anziehungskraft der Erde hatten sie<br />

noch nicht erfasst.<br />

Plötzlich wollte ich die Frau unbedingt berühren. Wie<br />

magisch angezogen wandte ich mich vom Fußball ab,


der schönen Schwedin zu. „Eric ist mein Name“, stellte<br />

ich mich vor. „Ich heiße Linnéa“, nannte sie ihren Namen.<br />

„Welch wunderschöner Name, woher kommt<br />

der“, fragte ich interessiert. „Meine Freunde haben ihn<br />

mir irgendwann gegeben, ich weis nicht mehr, als das es<br />

etwas wie Linie bedeutet, immer gerade aus“. „Mein<br />

Name wurde mir auch von einer Freundin gegeben, eigentlich<br />

heiße ich anders“, erklärte ich verdutzt. „Geradeaus<br />

bin ich auch, darf ich dich küssen“, sagte ich sofort.<br />

Sie kam näher und streckte mir ihre vollen roten<br />

Lippen entgegen. Ich küsste sie zunächst nur leicht, als<br />

ich dann spürte, dass Linnéa ihren Mund auf meinem<br />

ruhen ließ, küsste ich sie innig und lange. Es waren gerade<br />

einmal zehn Minuten vergangen, seit die ersten<br />

Worte verklungen waren.<br />

So standen wir auf der Terrasse des Cafés in der Mittagssonne,<br />

hielten uns mittlerweile eng umarmt und küssten<br />

uns immer wieder ohne ein weiteres Wort zu wechseln.<br />

Ging auch nicht, unsere Zungen waren ineinander verschlungen.<br />

Wie selbstverständlich ließen wir uns nebeneinander<br />

auf zwei Stühle des Cafes sinken und hielten<br />

unsere Hände. Wir schauten uns nur glücklich lächelnd<br />

an, hier lag Magie in der heißen Luft. Ich hatte alles um<br />

mich herum vergessen, war nur auf diese Frau konzentriert.<br />

Wir unterhielten uns über das Dasein auf der Insel,<br />

sie machte zwei Wochen Urlaub, sie erfuhr von mir,<br />

dass ich schon länger hier war. „Das sieht man Dir an“,<br />

lachte sie mich an. „Du bist aber auch nicht erst seit ge-<br />

457<br />

stern hier, deine Haut ist schon gut von der Sonne geküsst“,<br />

stellte ich fest. „Seit fünf Tagen bin ich in San Antonio,<br />

wohne dort in einem Hotel und wollte einmal<br />

Ibiza Stadt kennen lernen“. „Schön dass du gekommen<br />

bist, ich glaube ich mag dich“, sagte ich. „Ich mag dich<br />

auch, vom ersten Augenblick unserer Begegnung an“,<br />

gestand sie mir. Schöner konnte es jetzt nicht sein.<br />

Es wurde Nachmittag, wir tranken Wasser, waren in uns<br />

vertieft, als Lucie mit den Kindern vom Strand kam. Sie<br />

setzte sich an unseren Tisch, lächelte und fragte wer denn<br />

mein Gast sei. Ich erklärte ihr wer sie war, woher sie gekommen<br />

sei, hatte Linnéas Hand losgelassen. Ich stellte<br />

die Beiden und die Kinder vor. Die Situation störte keinen<br />

von uns Beiden auch nur einen Hauch. „Kommst<br />

du mit nach Hause“, fragte Lucie ungeduldig werdend,<br />

und feindliche Blicke auf die Schwedin werfend. „Ich<br />

möchte noch hier bleiben, fahrt ihr schon mal vor“,<br />

konnte ich nur sagen. Ohne dass Lucie es mitbekam<br />

krabbelte ich mit einer Hand an Linnéas Knien herum.<br />

Ich war absolut schamlos meiner Frau gegenüber, konnte<br />

einfach nicht anders. Die schwedische Schönheit hatte<br />

mir völlig den Kopf verdreht. Lucie machte sich entnervt<br />

mit den Kindern auf den Heimweg. „Hoffentlich<br />

bist du bald zu Hause“, waren ihre Abschiedsworte.


Ich fühlte mich wieder als freier Mann, der machen<br />

konnte was ihm beliebte. „Kommst du mit mir nach San<br />

Antonio“, fragte Linnéa. „Sicher, warum nicht“, gab ich<br />

sofort und ohne jede Überlegung zur Antwort. Sie<br />

scherte sich auch nicht darum, dass ich eine Frau hatte,<br />

eine Liebe war geboren, stärker als jede Gewohnheit und<br />

Bindung. Ob sie einen Mann hatte fragte ich nie, wir<br />

waren Beide im Hier und Jetzt, es sollte so geschehen,<br />

wie es automatisch abzulaufen begann.<br />

Wir nahmen einen Bus nach San Antonio, von der Sta-<br />

458<br />

tion war es nicht weit bis zu ihrem Hotel. Hand in<br />

Hand, uns andauernd anschauend begaben wir uns in ihr<br />

Zimmer. Sie wohnte mit zwei anderen Schwedinnen zusammen,<br />

die sich gerade bereit machten, die Nacht der<br />

Stadt zu erobern. Unsere Nacht war ohne viele Worte<br />

vorgeplant, wir sollten uns lieben, sonst nichts. Als die<br />

Freundinnen das Zimmer verlassen hatten, zogen wir<br />

uns ganz selbstverständlich beide aus und legten uns in<br />

ihr schmales Ein-Personen Bett. Ihr wunderschöner<br />

Körper hielt was er mir schon in Ibiza Stadt versprochen<br />

hatte. Ich küsste sie, wollte gleich mit dem Liebesspiel<br />

beginnen, als sie sagte: „Nicht so schnell bitte, ich drehe<br />

mich noch ein weinig auf die andere Seite, möchte dass<br />

auch du den Rücken an mich legst, dann sehen wir weiter“.<br />

Das hatte ich noch nicht erlebt. Normalerweise begann<br />

das Spiel schon vor den Betten, mit Linnéa jedoch war<br />

das anders. ´Warum nicht´, dachte ich mir, ´soll sie es so<br />

haben wie sie will´ und drehte mich mit dem Gesicht<br />

zur Wand. Ich war einfach nur froh sie neben mir zu<br />

spüren. So lagen wir sicher zehn Minuten, Rücken an<br />

Rücken, bis die Frau sich langsam umdrehte, mir ihre<br />

prallen Brüste zuwandte. Ich küsste sie herzlich, wir hatten<br />

unvergessliche Stunden miteinander. Wir liebten uns<br />

mit einer Selbstverständlichkeit, als ob wir uns schon<br />

Jahre kannten.<br />

Irgendwann sagte sie mir, dass sie nun ein Zimmer in einem<br />

anderen Hotel mieten wollte, um mit mir alleine zu<br />

sein. Ich fuhr kurz nach Hause, sagte Lucie klipp und<br />

klar, dass ich jetzt für zwei Wochen ausziehen würde, um<br />

dann zurückzukehren. „Das kannst du doch nicht machen“,<br />

ereiferte sie sich, „was hat diese Schwedin was<br />

ich nicht habe“? „Ich kann mir nicht helfen, ich muss<br />

das jetzt durchziehen, ich bin vom Blitz getroffen, das<br />

459<br />

werde ich nun auskosten“. „Dann nimmst du Laura mit,<br />

ich sehe nicht ein, dass du dich vergnügen gehst, während<br />

ich hier mit vier Kindern sitze und warte, das geht<br />

so nicht“.<br />

Laura war drei Jahre alt, ich liebte sie wie auch Fleure,<br />

die aber mehr der Mutter zugewandt war. „Kein Problem,<br />

dann kommt Laura eben mit“, gab ich bestimmt<br />

zur Antwort. Ich packte ein paar Sachen für Laura und


mich, viel würden wir eh nicht benötigen, machte mich<br />

auf den Weg zum neuen Hotel von Linnéa, die mir die<br />

Adresse schon gegeben hatte. Es gab zwei Zimmer, die<br />

durch eine Türe verbunden waren. Laura konnte eins davon<br />

beziehen.<br />

Sie war zwar etwas erstaunt ob der neuen Situation, verstand<br />

sich aber schnell gut mit der kinderlieben Linnéa.<br />

Während wir uns liebten schlief die kleine Laura in dem<br />

angrenzenden Zimmer friedlich, sich bewusst, dass der<br />

Papa bei ihr war. Wir verbrachten die Tage an verschiedenen<br />

Stränden, gingen abends miteinander essen, alles<br />

war himmlisch. Laura bekam von unserer Liebe sicher<br />

etwas mit, stellte aber nie Fragen. Mich hatte wirklich<br />

wieder der Teufel geritten, ich war schwer verliebt in die<br />

schwedische Schönheit, der es nicht anders zu ergehen<br />

schien. Nach zwei Wochen war der Zauber vorüber, ihre<br />

drei Wochen Urlaub waren zu Ende. Linnéa verabschiedete<br />

sich von uns, fuhr zum Flughafen Richtung<br />

Schweden. Wir hatten wundervolle Tage erlebt, keinem<br />

von uns tat irgendetwas leid. Wir tauschten Adressen aus,<br />

wollten uns unbedingt in naher Zukunft wieder sehen.<br />

„By, by sweet Child, see you my Man“, verabschiedete<br />

sich Linnéa von uns, weg war sie Richtung Stockholm<br />

im hohen Norden Europas. Schon einen Monat später<br />

sollte ich sie in Kopenhagen wieder sehen.<br />

460<br />

Kapitel 56<br />

Als ich zurück nach Hause kam, war Lucie verschwunden.<br />

Sie hatte sich einige Zeit frei von ihrer Arbeit mit<br />

den französischen Kindern genommen, sich einen Geliebten<br />

angelacht und genau so vergnügt wie ich in San<br />

Antonio. Sie wohnte mit einem jungen Deutschen Touristen<br />

in einem Hotel in Ibiza Stadt. Ich machte ein Heidenteather,<br />

als ich sah, dass Lucie das gleiche gemacht<br />

hatte wie ich. „Was soll das, du bist doch einfach der<br />

Schwedin hinterhergelaufen, da habe ich mir etwas Tröstung<br />

gegönnt“, sagte sie frech. Ich schimpfte trotzdem,<br />

zeigte mich eifersüchtig, wollte sie sofort nach Hause<br />

zurückholen. „Nichts da, ich bleibe noch bis übermorgen<br />

bei Norbert, dann ist sein Urlaub auch vorbei, erst<br />

dann komme ich zurück“. Nun stand ich äußerst verärgert<br />

da, packte mir aber die Kinder und fuhr in das Haus<br />

der Fauches. Die Oma hatte für die Kinder gesorgt, sie<br />

vermissten Lucie jedoch sehr. „Wann kommt Lucie zurück“,<br />

fragten die beiden französischen Kinder, „ wir<br />

waren fast nie am Strand, mit Oma geht das nicht so<br />

gut“. Ich vertröstete die Beiden noch zwei Tage, dann sei<br />

Lucie wieder für sie da. Ich war eifersüchtig wie ein Tiger,<br />

verfluchte diesen Norbert, Lucie gleich mit, dachte<br />

aber nicht darüber nach, was ich angestellt hatte.<br />

Das Gloris lief gut, Konkurrenz belebte das Geschäft,<br />

und so pendelten die Nachtfalter von einer<br />

Disco in die andere, jede lebte sehr gut. Der anfängliche


Machtkampf war vorbei, Pascha und Gloris standen sich<br />

in nichts nach, es gab nun ein gutes Miteinander.<br />

Es machte mir wieder Riesenspass, die Nächte mit verrückten<br />

und gut angetörnten Leuten zu verbringen, sie<br />

461<br />

mit meiner Musik anzustacheln, bis sie sich fast in Trance<br />

tanzten. Während ich die Nächte in San Antonio verbracht<br />

hatte, gab mir die Gloris Mannschaft frei, ein anderer<br />

DJ war für diese Zeit eingesprungen. „Gut dass du<br />

zurück bist“, freute sich Daniel, der Ersatz DJ war wohl<br />

nicht so feinfühlig wie ich. Daniel und Christian waren<br />

sehr zufrieden mit meiner Arbeit, oft bekam ich unter<br />

der Hand einige tausend Pesetas zugesteckt.<br />

Seit Lucie auf der Insel war, betrachtete ich die vielen<br />

außergewöhnlich schönen Frauen nur noch heimlich,<br />

ich schaute sie gerne beim tanzen an, ließ sie aber nicht<br />

an mich ran, obwohl es viele gab, die gerne mit mir Späße<br />

gemacht hätten. Ich war nur ein einziges Mal ausgebrochen,<br />

das aber richtig. Das war höhere Gewalt, gegen<br />

die ich mich einfach nicht zu wehren verstand. Hätte ich<br />

auch nicht gewollt, die schwedische Erfahrung war zauberhaft,<br />

ich bereute nichts.<br />

Dann war ich wieder zum treuen Ehemann geworden,<br />

obwohl die Versuchung oft groß war, so viele exeptionel<br />

schöne Frauen aller Couleur hatte ich noch nie auf einem<br />

Haufen gesehen.<br />

Ich rauchte ab und zu eine Pfeife, nicht oft, und trank<br />

keinen Alkohol, war ein von Drogen und Schnaps nüchterner<br />

Zeitgenosse geworden, obwohl die Angebote in<br />

jeder Hinsicht täglich groß waren. Die magische Insel<br />

und meine wunderbare Familie machten mich so high,<br />

ich brauchte keinerlei Einflüsse durch Drogen.<br />

462<br />

Kapitel 57<br />

Der Beginn des Monats Oktober war nun deutlich auf<br />

dem Kalender zu erkennen, er zeigte sich auch am Himmel,<br />

immer öfter schwebte langsam eine dunkelgraue<br />

Wolke vor die Sonne, und ließ seine feuchte Fracht auf<br />

die Erde der Insel fallen. Im gesamten Sommer hatte ich<br />

keinen Regen über mir gespürt, doch jetzt setzte er immer<br />

öfter ein. Die Cafés am Hafen schlossen eins nach<br />

dem anderen, auch das Restaurant der Fauches wurde<br />

zugemacht. Hier fand der Betrieb zu neunzig Prozent<br />

unter freiem Himmel statt, wer wollte schon im Regen<br />

essen?<br />

Sie boten uns an, das Haus über den Winter weiter zu<br />

bewohnen, eine äußerst freundliche Geste, sie machten<br />

sich fertig für die Reise zurück nach Frankreich, um im<br />

nächsten April ihr Geschäft wieder aufleben zu lassen.<br />

Auch Daniel und Christian beschlossen, das Gloris Ende<br />

Oktober zu schließen, lediglich das Pascha wollte<br />

über Winter für die paar Touristen, die sich dann auf die<br />

Insel verirrten, den Club offen lassen.


Ich wusste dass eine alte Finca im Winter feucht und<br />

schwer beheizbar werden konnte, sprach mit Lucie, wir<br />

waren uns schnell einig, nach Schließung des Gloris zurück<br />

nach Deutschland zu reisen. Der Flug für vier wäre<br />

teuer geworden und obwohl wir ihn uns hätten leisten<br />

können, wollten wir lieber mit Schiff und Bahn<br />

fahren. Es war schön, sich auf einem Schiff von der Insel<br />

zu verabschieden, und eine kleine Seereise machte uns<br />

immer Spaß.<br />

Daniel fragte mich, ob ich im nächsten Jahr meine Arbeit<br />

wieder aufnehmen wolle, ich war nicht sicher, versprach<br />

ihm, spätestens im Februar bei ihm in Barcelona<br />

463<br />

anzurufen, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen, so<br />

hätte er möglicherweise Zeit genug, einen anderen DJ<br />

zu finden. „Einen wie Dich“? fragte er, „findest du sicher“,<br />

antwortete ich ihm. „Dann muss ich mich in Barcelona<br />

und Madrid umhören, bitte sag rechtzeitig Bescheid“.<br />

Ich versprach es ihm in die Hand, er hatte mich<br />

immer sehr gut behandelt.<br />

Also packten wir unsere sieben Sachen, und fuhren zum<br />

Hafen nach Ibiza Stadt. Die Kinder waren vor Freude<br />

sehr aufgeregt, auch Lucie fuhr sehr gerne mit einem<br />

Schiff.<br />

Am Abend legte die Fähre mit über tausend Menschen,<br />

Autos und Transportgütern beladen vom Kai ab. Es gab<br />

die obligatorische Klopapiersession, hunderte Rollen<br />

davon verbanden Angehörige und Reisende miteinander,<br />

bis die Papierrollen endgültig abrissen. Wir schipperten<br />

in die Nacht Richtung Barcelona.<br />

Fleure und Laura blieben lange an Deck, sie schauten<br />

zurück auf die Insel, bis das letzte Licht unsichtbar wurde.<br />

Auch ich verabschiedete mich mit einer Träne im<br />

Auge von der Insel, auf der ich einen herrlichen Sommer<br />

verbracht und spanisch gelernt hatte. Ich wusste<br />

nicht, ob ich den folgenden Sommer hierher zurückkehren<br />

wollte, die Schule für Fleure würde im nächsten Jahr<br />

beginnen, damit wollte ich Lucie auf keinen Fall alleine<br />

lassen.<br />

Lucie und die Kinder schliefen irgendwann ein, ich<br />

konnte keine Ruhe finden, saß in der Bar oder spazierte<br />

unter dem klaren Sternenhimmel übers Deck.<br />

Die Kinder waren in Ibiza immer erst dann ins Bett gegangen,<br />

wenn sie wirklich müde waren, sie spielten so<br />

lange, bis sie von alleine gähnend schlafen gingen.<br />

Am frühen Morgen kamen wir in Barcelona an. Glücklicherweise<br />

hatten wir nicht allzu viel Gepäck, der rote<br />

464<br />

Koffer stand im Keller unserer Wohnung in Merschenich.<br />

Nach zwei Stunden ging ein Zug direkt bis Köln,<br />

wir hatten während der gesamten Reise ein Abteil für<br />

uns alleine, so konnten wir ab und zu ein wenig schlafen.<br />

Lucie und die Kinder waren nun auch braun gebrannt,


sie sahen gesund und wunderschön aus. Ich wäre<br />

fast als Afrikaner durchgegangen, so sehr hatte mich<br />

die Sonne geküsst.<br />

Wir freuten uns wieder zu Hause zu sein, Fleure und<br />

Laura rannten sofort zu den Nachbarskindern, um mit<br />

ihnen zu spielen, und ihnen von einem Leben auf einer<br />

Insel im Mittelmeer zu berichten. Sie brachten viele<br />

Kinder mit nach Hause, um ihnen ihre Schätze vorzuführen.<br />

Der neue Schmuck, den sie nur bei besonderen<br />

Anlässen anlegten, Steine und Muscheln, die sie an den<br />

Stränden gesammelt hatten. Laura hatte ihren halben<br />

Koffer voller Steine, hatte ein ausgeprägtes Faible dafür.<br />

Sie schleppte täglich Neue ins Haus.<br />

Das Leben nahm langsam wieder seinen normalen Lauf,<br />

aber ich war unzufrieden. Ich hatte keine Arbeit, keinerlei<br />

Chance darauf, mir ging es nicht allzu gut.<br />

Eins Tages dachte ich an Maryvonne, freundschaftlich,<br />

und wollte sie anrufen. Ich hatte ihre Nummer verlegt,<br />

so rief ich ihre Eltern in Brüssel an. Der Vater meldete<br />

sich. „Würden sie mir bitte die Nummer von Maryvonne<br />

geben, ich habe sie leider verloren“, bat ich ihn, nachdem<br />

ich mich vorgestellt hatte. „Die können sie auf dem<br />

Friedhof besuchen“, antwortete er wütend, und legte<br />

sofort ohne weitere Erklärung auf. Es traf mich wie ein<br />

Blitz, Maryvonne tot? Wie konnte das sein? Aber sie war<br />

wirklich nicht mehr auf unserer Erde, wie ich von einer<br />

Bekannten von ihr erfuhr, ich hatte eine gute Freundin<br />

und Geliebte für immer verloren. R.I.P.<br />

Diese Nachricht beschäftigte mich eine ganze Weile, ich<br />

465<br />

sagte Lucie zunächst nichts von diesem Telefonat, sie<br />

hätte sicher falsch gedacht, dass ich wieder mit ihr anbändeln<br />

wollte oder ähnliches.<br />

Aber ich war erst ´mal fertig mit den Nerven, in meiner<br />

sowieso schon schwarzen Situation bekam ich auch<br />

noch eine solche Nachricht, auf dies Weise, ich konnte<br />

es lange nicht begreifen.<br />

Ein halbes Jahr später, ich war zufällig in Hamburg, wollte<br />

Angelica guten Tag sagen, klingelte an ihrer Türe. Ein<br />

Mann öffnete. „Könnte ich bitte Angelica sprechen“,<br />

fragte ich freundlich. „Ja wissen sie denn nicht“, sagte<br />

der Mann stotternd, „Angelica ist gestorben“. Peng, es<br />

versetzte mir einen Schlag in die Magengrube, ins Herz.<br />

So einfach konnte ich das doch nicht glauben, ich wollte<br />

mehr erfahren. Ich ging in eine Boutique gegenüber<br />

Angelica´s Wohnung, die betrieben zwei Frauen, die ich<br />

noch aus den Zeiten kannte, als ich jede Woche in Hamburg<br />

war.<br />

„Was ist mit Angelica“, fragte ich. „Sie ist vor kurzer<br />

Zeit gestorben, die näheren Umstände kennen wir leider<br />

nicht“, sagten sie traurig.<br />

Ich lief wie betäubt die Alsterchaussee und die Rothenbaumchaussee<br />

entlang, ging zurück zur Wohnung.


„Wie ist sie gestorben“, fragte ich den neuen<br />

Mieter. „Das kann ich ihnen leider nicht sagen, ich<br />

kannte sie nicht, habe nur diese Wohnung gemietet,<br />

und von ihrem Ableben erfahren“.<br />

Eine große Trauer übermannte mich, ich konnte es<br />

nicht fassen. Innerhalb eines Jahres waren zwei meiner<br />

intensivsten Erinnerungen an Liebe gestorben. Tot,<br />

weg, für immer, ich würde sie nie wieder sehen, es war<br />

unfassbar für mich, und zog mich noch tiefer in den<br />

Sumpf, in dem ich mich sowieso schon befand.<br />

Über die Umstände des Sterbens der Beiden machte<br />

466<br />

ich mir so meine Gedanken. Maryvonne trank gerne<br />

und viel, sicher hatte sie einige Gläser zuviel erwischt.<br />

Angelica experimentierte mit Drogen herum, zu meiner<br />

Zeit waren Hasch und LSD normal für sie. Sicher<br />

hatte sie auch von den härteren Sachen probiert, war<br />

vermutlich daran kleben geblieben und hatte sich irgendwann<br />

den finalen Schuss gesetzt. Andere Erklärungen<br />

fand ich nicht. Traurig, aber sicher wahr. R.I.P.<br />

beloved Ladys.<br />

467<br />

Kapitel 58<br />

Ich fuhr nach Dortmund, wollte Jürgen und Georg<br />

besuchen. Zunächst fuhr ich nach Herdecke, um mir<br />

mein Bett bei Georg zu sichern, er freute sich über<br />

mein kommen, „Hier hast du immer ein Bett, weist<br />

du doch“, begrüßte er mich lachend. „Nimm mich<br />

mit in die Stadt, ich will ´mal sehen wie es Jürgen<br />

geht“, bat ich ihn. Wir fuhren in die Innenstadt von<br />

Dortmund, ich machte mich auf den Weg zu Jürgens<br />

Ein-Zimmer Appartement. „Wer ist da“, klang es aus<br />

dem Lautsprecher an der Haustüre, „Eric“, und ein<br />

Summen öffnete mir dir Türe.<br />

Als ich Jürgen im Eingang stehen sah, war mir sofort<br />

klar, dass hier etwas nicht stimmte. Aschfahl im Gesicht,<br />

die Augen mit stecknadelkopffgroßen Pupillen,<br />

ich erkannte sofort, Jürgen war „drauf“, er war Heroinsüchtig.<br />

„Hallo Jürgen, wie geht’s“, „gut, komm<br />

´rein“, lallte er, und mein erster Eindruck bestätigte<br />

sich schnell. Auf dem Tisch lagen Löffel, ein dreieckiges<br />

Papierpäckchen, eine schmale Spritze, Junkiebesteck.<br />

Eine Kerze erleuchtete die Szenerie auf dem<br />

Tisch.<br />

Zunächst wollte ich es nicht glauben, musste mich<br />

aber schnell mit einer Realität abfinden, die mir gar<br />

nicht gefiel. Jürgen hielt den Löffel über die Kerze,<br />

achtete nicht auf mich, kochte sich braunes Pulver mit<br />

Wasser gemischt über der Kerze auf, bis es brodelte,<br />

sich das Pulver auflöste. Dann legte er den Inhalt eines<br />

Zigarettenfilters in die Brühe, hielt die Spritze in das


Papier, und zog die braune Brühe hinein. Er legte sich<br />

einen schmalen Gürtel um den Oberarm, zog ihn mit<br />

den Zähnen fest, bis die Adern an seinem linken Arm<br />

468<br />

anschwollen, und spritze sich das Zeug in die Vene.<br />

Ein makaberes Schauspiel für mich.<br />

„Muss das wirklich sein“, fragte ich naiv. „So ist das<br />

eben“, antwortete Jürgen mit einem Hochrücken der<br />

Schultern. „Probier doch ´mal“, bot er mir an, „du<br />

brauchst das Zeug ja nicht zu spritzen, schnief einfach<br />

´mal ein bisschen durch die Nase“, „dann weist du<br />

endlich wie sich das anfühlt“. Er legte ein wenig braunes<br />

Pulver auf einen Spiegel, hackte es mit seinem<br />

scharfen Messer klein, drückte es mit der Klinge fast<br />

zu Staub, und hielt mir das Ganze hin. `Warum nicht,<br />

ich muss doch einmal wissen, was da so besonders an<br />

dem Stoff ist`, dachte ich schnell, rollte einen Geldschein<br />

zusammen, steckte ihn in die Nase, bückte<br />

mich über den kleinen Spiegel, und zog das Heroin<br />

hinein. Zunächst brannte es nur in dem Nasenloch,<br />

ein fürchterliches Gefühl.<br />

Dann jedoch begann sich alles um mich herum zu<br />

verändern. Die Konturen der Möbel wurden weicher,<br />

ich sah Jürgen lächeln, auch sein aschfahles Gesicht<br />

wurde mir mit einem Schlag sympathisch, ich hatte<br />

keinen Sinn mehr für seine Sucht, ich akzeptierte sie<br />

einfach. Ich war nun auf seiner Ebene. „Na, ist das<br />

nicht gut“, fragte er lachend, ich konnte nur zustimmen.<br />

Alle schwarzen Gedanken, mit denen ich mich<br />

seit langem herumplagte waren wie weggeblasen, ich<br />

sah die Welt rosarot, fühlte mich wohl und aufgelokkert<br />

wie lange nicht. `So schlimm scheint das ja gar<br />

nicht zu sein, eigentlich viel besser als Hasch`, der gesamte<br />

Körper fühlte sich gesund an, kein Schmerz im<br />

Rücken, den ich oft verspürte, keine Gedanken an<br />

morgen, ab und zu kann man sich so was ´mal gönnen`,<br />

dachte ich ohne viel Nachdenken. `Ich werde<br />

bestimmt nicht süchtig, ich werde die Nadel nie an-<br />

469<br />

rühren, dann kann mir nichts passieren`, waren meine<br />

nächsten Überlegungen. Ich ließ mich aufs Bett zurückfallen<br />

und genoss die Musik, die Jürgen so vortrefflich<br />

zu mischen verstand.<br />

So lag ich sicher zwei Stunden, ohne ein Wort zu sagen,<br />

ich träumte vor mich hin, alles war plötzlich<br />

leicht und wohlig gewärmt. Ich hatte meine erste Erfahrung<br />

mit einem Mittel, das ich Jahrelang streng<br />

verurteilt hatte, war immer sicher, dass ich so was nie<br />

anrühren würde. Augenblicklich war ich sicher, so lange<br />

ich mir das Zeug nicht injizierte, könne mir nichts<br />

geschehen, ich würde bestimmt nicht abhängig werden.


Was ich nicht wusste, ich war soeben in die Falle getappt,<br />

mein bester Freund hatte sie mir gestellt.<br />

Als ich Jürgen verließ, schwebte ich wie auf rosa Zukkerwatte<br />

in Richtung Taxistand, mein Körper war in<br />

wohlige Wärme gehüllt, ich spürte nicht einmal die<br />

Schritte, die ich machte, um zurück in Georg´s Haus<br />

zu kommen. Ich hatte schon lange einen Schlüssel,<br />

ging in das von Wald und Wiesen umgebene Haus,<br />

setzte mich vor den Fernseher, und schaute irgendeinen<br />

gerade laufenden Film. Es war mir völlig egal was<br />

sich da in der Glotze tat, ich schaute einfach zu, ohne<br />

irgendetwas zu verstehen. Mein Hirn war so gut wie<br />

abgeschaltet. Normalerweise legte ich sofort Musik<br />

auf, wenn ich in ein Haus kam, aber diesmal war mir<br />

der Fernseher genug. Ich spürte so gut wie gar nichts<br />

mehr, und es war mir Scheißegal. Ich war in eine weiche<br />

Wolke gehüllt, die mich gefühllos durch die Gegend<br />

trug. Heroin war doch nicht so schlecht, meine<br />

Sorgen waren wie weggeblasen, mein Hirn reagierte<br />

nur noch positiv auf alles, was mir begegnete. Oder es<br />

reagierte überhaupt nicht.<br />

470<br />

Man sagte ja immer, dass man bei nachlassen der Wirkung<br />

dieser Droge sofort Entzugserscheinungen ausgesetzt<br />

sei, dies war bei mir nicht der Fall, ich fühlte<br />

mich sauwohl am nächsten Tag, hatte einfach nur einen<br />

angenehmen Trip verspürt, und keinerlei Verlangen<br />

nach Mehr. Ich heftete die Erfahrung als „gut“ ab,<br />

und machte mir weiterhin Sorgen um meine Zukunft.<br />

Dealen wollte ich nicht mehr, das war mir zu<br />

gefährlich geworden. Bei den letzten Deals hatte ich<br />

auch so etwas wie Paranoia in mir aufkommen gespürt,<br />

sobald ich das Zeug in Händen trug. Dies wollte<br />

ich auf keinen Fall weiter zulassen, meine positiven<br />

und angstfreien Gefühle behalten. Ich hatte genügend<br />

paranoide Dealer erlebt, die machten mir schlechte<br />

Laune, ich war immer heilfroh, wenn ich denen aus<br />

dem Weg gehen konnte. Diese Möglichkeit zum Geld<br />

verdienen schloss ich für die Zukunft aus, ich musste<br />

mir etwas Neues ausdenken.<br />

Wie ich meine Frauen versorgen sollte, wusste nicht<br />

wie. Also machte ich mich auf zum Sozialamt von<br />

Merschenich, um einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen.<br />

War ganz einfach. Ich musste viele Formulare ausfüllen,<br />

mich beim Arbeitsamt melden, schon floss die<br />

Kohle. Jeden Monat wurde die Miete pünktlich überwiesen,<br />

und ich bekam noch einen ausreichenden betrag<br />

auf´s Konto, womit Lucie Lebensmittel kaufen<br />

konnte. Sogar Geld für neue Kleider wurde gezahlt, so<br />

leicht war ich noch nie zuvor an Geld gekommen.<br />

Unsere Ansprüche waren nicht mehr groß, so kam


Lucie, die hervorragend wirtschaften konnte, mit dem<br />

Geld vom Staat gut aus.<br />

Ich schämte mich kein Bisschen über die Unterstützung,<br />

die wir regelmäßig erhielten, dachte einfach nur<br />

471<br />

daran, wie viel Geld in den Militärapparat oder die<br />

hohen Diäten der Politiker floss, da konnte der Staat<br />

auch meine Familie am Leben halten. Das Geld war je<br />

eigentlich Kleingeld, wenn man an die Entlohnungen<br />

von Abgeordneten unserer Belange in Bonn dachte.<br />

Und erst das Militär, an dem ich Trickreich vorbeigekommen<br />

war. Ein Panzer kostete soviel wie das Überleben<br />

von tausenden Familien jährlich. Also her mit<br />

dem Geld. Das Arbeitsamt konnte keine Jobs für mich<br />

finden, obwohl ich Fremdsprachen aufweisen konnte.<br />

Europa war erst gegründet, da sollten Sprachen doch<br />

eigentlich gefragt sein aber das war nicht so. Ich konnte<br />

mir auch nur sehr schlecht vorstellen, in einem Büro<br />

zu hocken, und einen Boss über mir zu haben, ich<br />

war immer mein eigener Boss. Also war ich recht froh,<br />

dass die Leute vom Arbeitsamt stets Ruhe behielten,<br />

und kein Papier für Briefe an mich verschwenden<br />

mussten.<br />

Etwa zwei Wochen nach der ersten Erfahrung mit<br />

Heroin ergab sich wieder eine Gelegenheit, ein wenig<br />

davon zu schnupfen, Ein Bekannter, der nicht als Junkie<br />

auszumachen war, brachte ein Briefchen davon<br />

mit. „Willst du auch“, begann er fragend das Papier zu<br />

öffnen. „Ja klar, warum nicht“. Und wieder der gleiche<br />

Prozess, das grobe Pulver klein machen, auf einer<br />

glatten Kachel zu Staub zerdrücken, eine Linie ziehen<br />

und rein in die Nase. Er machte es genau so, in die<br />

Nase, seine Venen waren so jungfräulich wie meine.<br />

Wieder stellte sich zunächst das wohlig warme Körpergefühl<br />

erneut ein. Aber das Zeug war stärker als der<br />

Stoff bei Jürgen, ich musste nach wenigen Minuten<br />

kotzen. Das ging leicht, mein Mageninhalt war schnell<br />

und ohne Würgeprobleme in die Kloschüssel gespuckt,<br />

ich spülte ab, und die Sache war vergessen. Das<br />

472<br />

Gefühl von Heroin im Körper blieb, ich fiel zurück<br />

auf die Couch und ließ mich gehen. Mein Hirn sagte<br />

nicht mehr viel, konsumierte die gerade laufende Musik,<br />

ich fühlte mich körperlich einfach gut.<br />

Auch nach diesem Konsum stellten sich keine Entzugserscheinungen<br />

ein, ich lebte weiter wie vor dem<br />

letzten Schnief der Teufelsdroge, wie ich sie immer<br />

bezeichnet hatte. Ich war mir sicher, dass es nur an der<br />

Nadel lag, die Leute süchtig machte, der Weg, auf dem<br />

ich Heroin genoss war wohl anders, machte sicher<br />

nicht abhängig. Ich rauchte weiterhin Hasch, mäßiger


als früher, ich musste nicht zehn Joints am Tag in mich<br />

hineinsaugen, zwei oder drei taten es auch.<br />

Wir wollten unsere Wonhnsituation ändern, die Kinder<br />

hatten nicht mehr genug Platz, das Kinderzimmer<br />

war einfach zu klein. Meine Mutter half uns ein Reihenhaus<br />

zu finden. Über einen örtlichen Wohnungsverein,<br />

in dem man für 600 Mark Mitglied sein musste,<br />

fanden wir ein Haus, drei Zimmer, eine große<br />

Küche, und ein riesiges Dachboden. Außerdem hatten<br />

wir einen Garten, in dem die Kinder im Sommer<br />

spielen konnten. Der Vermieter renovierte das gesamte<br />

Haus, baute auch das Dachgeschoß nach meinen<br />

Plänen fein mit Naturholzbolzboden und bis in den<br />

Dachfirst voll weiß lasiertem Holz aus. Auch zu Wärmedämmungszwecken,<br />

denn aus dem Dachgeschoß<br />

wehte der Wind durchs ganze Haus, was und saftige<br />

Heizkostenrechnungen in den Briefkasten flattern<br />

ließ. Ich hatte die genauen Pläne gemacht, wie das<br />

Ganze aussehen sollte, damit wir möglichst viel Raum<br />

behielten. Wir bekamen ein herrliches zusätzliches<br />

Zimmer, mit zwei großen Fenstern, eins nach Osten,<br />

das andere gegenüber nach Westen. Ich konnte die<br />

Sonne auf- und unter gehen sehen. Außerdem hatte<br />

473<br />

ich viele Steckdosen für meine Stereoanlage und viele<br />

Lampen einbauen lassen, wir hatten Kabelfernsehen,<br />

richteten uns oben vollkommen gemütlich ein.<br />

Auch die Küche wurde sehr schön, mein Cousin Paul<br />

baute uns alles wie es uns gefiel. Paul war Installateur,<br />

hatte aber Handwerklich beste Fähigkeiten in allen erdenkbaren<br />

Bereichen.<br />

Die Kinder bekamen ein großes Zimmer in der ersten<br />

Etage, wo sie sich nach Gutdünken einrichten konnten.<br />

Lucie und ich hatten ein etwas kleineres Schlafzimmer,<br />

das uns aber vollauf zufrieden stellte. Wir hatten<br />

sogar ein Zimmer zuviel, das wir als<br />

Eingangsbereich und Büro einrichteten. Wir waren<br />

angekommen.<br />

Ich verteile alle meine bisher gesammelten Buddhas<br />

im Haus, alle in von der Wand hervorragende dicke<br />

Eichenrahmen gestellt, unter dem Dach standen sicher<br />

sechs von den schönen Figuren aus allerlei Materialien,<br />

aus Indien und anderen Fernöstlichen Ländern<br />

importiert, von mir auf Flohmärkten und bei anderen<br />

Gelegenheiten gefunden und gekauft. Nachdem ich<br />

das Buch „Siddartha“ von Hermann Hesse gelesen<br />

hatte, war ich dem Buddhismus näher gekommen. In<br />

allen Zimmern stand zumindest ein Buddha, meist<br />

aber zwei oder drei. Bald zählte ich zwölf Buddhas im<br />

Haus.<br />

Das Dachzimmer schmückte ich mit Bildern, Drukken


von van Gogh und Paul Goguin, eigenen, zu Din<br />

A 1 aufgeblasenen Fotos von Berberkriegern aus Marokko.<br />

Popstars wie Prince, Tina Turner, Rod Steward<br />

und vielen Anderen, die ich bei Live Konzerten fotografiert<br />

und an den Wänden der Treppe aufgehängt<br />

hatte. Alles sah einladend wohnlich aus.<br />

Eine große neue Stereoanlage hatte ich angeschafft,<br />

474<br />

wenn ich sie laut drehte, dachte man das Dach könne<br />

abheben. Lucie mahnte mich stets zum leise hören, sie<br />

dachte an die Nachbarn. Aber die waren sehr freundlich<br />

und nett, neben uns wohnte Günter, ein Polizeikommissar<br />

mit seinen Kindern. Nathalie und Oliver,<br />

Frau Wirtz, eine ältere Dame von weit über siebzig<br />

Jahren, die ihren Garten sehr pflegte, Rosen und viele<br />

andere Blumen gepflanzt hatte, wohnte im Haus<br />

nebenan. Elisabeth, wie wir sie nennen sollten lieh uns<br />

ab und zu Eier, oder was uns sonst so fehlte. Dann war<br />

da noch eine Familie mit drei Kindern, die professionelle<br />

Camper waren. Sie fühlten sich nur an der frischen<br />

Luft richtig wohl, und hatten einen großen<br />

Campingwagen irgendwo im Grünen, in dem sie sich<br />

immer aufhielten, wenn das Wetter es einigermaßen<br />

zuließ.<br />

Unser Garten war eine große Rasen-Unkrautfläche,<br />

ein Stück umgegrabene Erde, die Lucie in einen wunderschönen<br />

Blumengarten verwandelte. Sie bepflanzte<br />

das ganze sehr geschmackvoll, sie wurde zur Blumenfee.<br />

Wen das Unkraut gemäht war, sah es aus wie<br />

ein schöner Rasen. Ich pflanzte Küchenkräuter, Thymian,<br />

Rosmarin, Oregano, Petersilie und andere gut<br />

riechende Kochzutaten. Ich hatte kochen gelernt, es<br />

machte mir Riesenspaß, neue Rezepte zu kreieren.<br />

Ich machte den Führerschein, und fuhr mit Lucie<br />

schon zwei Tage nach der Aushändigung des rosafarbenen<br />

Papiers mit unserem ersten Auto, einem kleinen<br />

Simca, nach Paris, Schwiegermutter und Schwägerinnen<br />

besuchen. Auch fuhr ich alleine an all die<br />

Plätze, an denen ich früher gelebt und gemalt hatte.<br />

Die Kinder kamen in die Schule, die nur 500 Meter<br />

von unserem Haus entfernt war. Sie wurden von Anfang<br />

an gute, fleißige Schüler, die wir nie zu Hausauf-<br />

475<br />

gaben anregen musste, sie machten sie sofort nach<br />

dem Essen, und rannten dann über die Straße, wo sich<br />

eine große Wiese befand, und spielten mit vielen<br />

Nachbarskindern. Schnell hatten sie eine Bande gebildet,<br />

die auf der Wiese spielte und in der Laura das Sagen<br />

hatte.<br />

Plötzlich kam wieder Heroin in mein Leben, irgendwo<br />

befand sich das Zeug immer, und ich lehnte einen


kleinen Schnief nicht ab. Bis ich irgendwann spürte,<br />

dass mir am nächsten Tag alle Knochen wehtaten und<br />

mein Hirn nach dem Stoff verlangte. Nun war ich<br />

doch süchtig geworden, es ging schnell und ohne Vorankündigung.<br />

Ich rannte nun täglich nach dem Stoff,<br />

bekam ihn auch Anfangs günstig von Bekannten. Ich<br />

tat alles, um Lucie nichts merken zu lassen, ich konnte<br />

meinen Zustand jedoch nicht lange verbergen.<br />

476<br />

Kapitel 59<br />

Eines Abends saß ich in einer Kneipe, „le Bistrot“, die<br />

einem Jugoslawen gehörte. Es war schon spät, ich hatte<br />

einige Biere intus, es saß nur noch eine Frau acht<br />

Meter entfernt von mir an der Theke. Ich bewunderte<br />

ihre sehr langen Haare, die bis zu ihrem Hintern<br />

reichten. Sie war dicklich, eigentlich überhaupt nicht<br />

mein Typ, aber ich ging zu ihr, und lud sie schon leicht<br />

lallend zum Drink ein. Sie nahm lächelnd an, wir sprachen<br />

ein wenig, zehn Minuten später saßen wir inniglich<br />

knutschend an der Theke. Meine Hände fuhren<br />

überall über ihren Körper, sie hatte festes Fleisch, war<br />

aber dick, eigentlich viel zu dick für mich. Aber in<br />

meinem besoffenen und von Heroin ausgeschalteten<br />

Kopf machte mir das nicht aus. Wir fuhren mit ihrem<br />

Mini Cooper bald ins Grüne, in die Nähe des<br />

Schwimmbads, wohin sich in der Nacht niemand hin<br />

verirrte, und fögelten im Freien. Ein kurzer schneller<br />

Fick, nach dem ich sofort nach Hause wollte. Lydia<br />

fuhr mich dann auch zu meinem Haus und gab mir<br />

ihre Telefonnummer.<br />

Sie war Arzthelferin in einem Dorf nahe Merschenich,<br />

ihrem Schmuck nach zu urteilen hatte sie Geld.<br />

Das alles kam mir gerade recht, ich war pleite und<br />

Medikamente, an die sie leicht gelangte konnten meine<br />

Schmerzen beim Entzug sicher lindern.<br />

Als ich sie zwei Tage später in der Praxis anrief, war sie<br />

hocherfreut, wir verabredeten uns für den Abend. Als<br />

erstes sagte sie mir auf den Kopf zu, dass ich doch<br />

wohl süchtig sei, meine kleinen Pupillen verrieten ihr<br />

meinen Zustand sofort. Sie zeigte mir, wie man Valeron,<br />

ein starkes Schmerz-Betäubungsmittel, vergleich-<br />

477<br />

lich mit Morphium, schluckt. Sie hatte immer ein Flasche<br />

dabei, ließ Tropfen in ihre Hand, von der sie den<br />

Daumen anhob, so dass sich eine kleine Kuhle oberhalb<br />

bildete, fallen, und saugte das Zeug in ihren<br />

Mund. „Das wirkt wie Heroin“, sagte sie mir lächelnd,<br />

und bot mir Tropfen an. Ich probierte das saumäßig<br />

bittere Zeug, und schon nach wenigen Minuten<br />

war mein Entzug verschwunden. „Kannst du<br />

mehr davon besorgen“, fragte ich sie, sie nickte nur


mit dem Kopf. „Immer und jede Menge“. Sie war genau<br />

so süchtig wie ich, nur eben auf Valeron, ich auf<br />

Heroin, der edleren, wie ich damals glaubte, und weit<br />

wirksameren Droge.<br />

Genau die wollte sie dann auch bald probieren.<br />

„Kannst du uns ein Gramm besorgen“, fragte sie. „Ich<br />

gebe dir das Geld“. „Logisch“, antwortete ich, nahm<br />

150 Mark, und machte mich auf den Weg zu einem<br />

Junkie. „Das Gramm kostet aber 200 Mark“, sagte er<br />

sofort, so bekam ich kein ganzes Gramm, was mir in<br />

diesem Augenblick völlig egal war. Ich hatte trotzdem<br />

eine große Menge erhalten, von der ich mir erstmal<br />

ein Drittel in meine eigene Tasche steckte. Den Rest<br />

gab ich Lydia, die das Ganze dann mit mir teilte. Wir<br />

waren high bis unter die Schädeldecke, Lydia fand den<br />

Zustand wunderbar, wie sie sagte. „Ist ja viel besser als<br />

Valeron“, sagte sie, „ das kannst du öfter besorgen, ich<br />

hab Geld genug, und teile den Stoff mit dir“.<br />

Georg rief eines Morgens an. „Doris ist hier, sie<br />

möchte dich sehen, und dir kleine Menschen vorstellen“,<br />

sagte er am Telefon. „Komm her, sie wartet<br />

schon ungeduldig, obwohl sie erst zwei Tage hier ist“.<br />

Ich packte mir genug Heroin ein, hielt mich aber mit<br />

dem Konsum zurück, nahm stets nur ein Wenig,<br />

wenn´s absolut nicht mehr ging. So sah ich nicht ganz<br />

478<br />

so schlimm aus, als wenn ich Unmengen, was ich<br />

mittlerweile tat, geschnieft hätte. Ich hoffte, dass es<br />

Doris und Georg nicht auffallen würde.<br />

Wir trafen uns im Roma in Dortmund. Doris war mit<br />

ihren zwei wunderhübschen Mädchen von zwei und<br />

drei Jahren aus Los Angeles gekommen, um die Kinder<br />

ihren Eltern, und auch mir, wie sie ausdrücklich<br />

betonte, vorzustellen. Die Mädels waren zum Anbeißen<br />

schön, wie die Mutter, alle sehr luxurieus gekleidet,<br />

es schien Doris sehr gut zu gehen, sie lächelte unablässig.<br />

Die Kinder sprachen nur englisch, das saßen<br />

drei Grazien vor mir, wie man sie wohl nur in Los Angeles<br />

zu sehen bekommt, es sei denn sie kämen nach<br />

Deutschland, um mich zu besuchen.<br />

„Bleibst du die Nacht über hier“, fragte Doris lüstern,<br />

„wir gehen in das beste Hotel von Dortmund, ich<br />

möchte unbedingt wenigstens einmal mit dir schlafen,<br />

bevor ich übermorgen nach LA zurückfliege“. Sie<br />

hatte eine unbegrenzte Kreditkarte, mit der sie sich alle<br />

Wünsche erfüllen konnte. Heroin hatte ich bis zum<br />

nächsten Tag genug, also stimmte ich sofort zu. Dieser<br />

Frau einen Korb zu geben wäre mir im Traum nicht<br />

eingefallen.<br />

So verbrachten wir eine herrliche Nacht im Hotel,<br />

hielten den Zimmerservice auf Trab, Doris bestellte


Champagner, wir feierten unser Wiedersehen. Sie<br />

liebte mich wohl noch immer, ließ es mich deutlich<br />

spüren, und sagte es auch in einem Moment der Extase.<br />

Sie bemerkte nichts von meiner Sucht. Ich verschwand<br />

öfters auf dem Klo, wo ich mir schnell das<br />

braune Pulver in die Nase zog. Obwohl ich ziemlich<br />

zu war, hatte mir Doris in dieser Nacht die Seele poliert,<br />

ich fing wieder an zu denken. Und was mir dabei<br />

durchs Hirn fuhr, war nicht sehr angenehm. Also<br />

479<br />

drückte ich meine Gedanken schnell mit einer großen<br />

Portion Heroin wieder fort, es war noch nicht so<br />

weit, dass ich einfach damit aufhören konnte.<br />

Am nächsten Morgen fuhr ich zurück nach Merschenich,<br />

Doris hatte eine Träne im Auge, als sie sich von<br />

mir verabschiedete. „Es ist nicht alles so schön da drüben<br />

in Amerika wie es scheint“, sagte sie traurig, und<br />

schaute mir tief in die Augen. Ich machte mir über<br />

diesen Spruch keine weiteren Gedanken.<br />

Ich eilte zurück nach Merschenich, mein Briefchen<br />

mit Heroin war fast leer. Ich wusste, dass Lydia noch<br />

Vorrat hatte, sie ging sparsamer mit dem Stoff um als<br />

ich, war einfach disziplinierter. Von Disziplin hatte ich<br />

nie etwas gelernt, das Gefühl war mir fremd.<br />

So war ich schnell bei Lydia angelangt, fragte nach<br />

Stoff, sie meuterte, „das muss doch noch drei Tage<br />

reichen“. Aber ich hatte sie schnell überredet, sie<br />

konnte meinen Bitten nie widerstehen. Fünf Minuten<br />

später lag ich high auf dem Sofa in der kleinen Dachgeschoßwohnung<br />

im Haus ihrer Eltern.<br />

Trotz meiner Heroinsucht fuhr ich auch weiterhin zu<br />

Rockkonzerten. Ich sah Peter Gabriel und die Eurythmics<br />

in der Düsseldorfer Phillipshalle, Ted Nugend,<br />

schon fast taub und laut wie Niemand zuvor in<br />

der Essener Grugahalle, und viele andere Bands in<br />

Clubs und auf Open Air Konzerten.. Rock´n´Roll<br />

bestimmte noch stets einen großen Teil meines Daseins.<br />

Ein Highlight waren Chuck Berry und Jerry Lee Lewis<br />

auf einem Open Air Festival im Norden Deutschlands,<br />

die sich hinter der Bühne mit vollen Bierdosen<br />

bewarfen, und dann auf der Bühne gemeinsam auftraten,<br />

jeder behauptete dort vom anderen er sei der<br />

Größte. Vierzig Tausend Fans glaubten den Quatsch.<br />

480<br />

Alles Lüge, schierer Futterneid, und nichts als Showbiz.<br />

Um Lucie, Fleure und Laura kümmerte ich mich<br />

kaum. Sie hatten ihr Auskommen, ich jagte der Droge<br />

und meinem Vergnügen hinterher.<br />

Mit Lydia war es leicht an Heroin zu kommen, sie<br />

plünderte ihr Sparkonto von dreißig Tausend Mark<br />

innerhalb eines halben Jahres, wir verballerten das


Geld für Heroin und oft auch Cocain. Irgendwann<br />

wurde ihr klar, dass sie mich nie für sich haben konnte,<br />

dass ich immer mit Lucie und den Kindern bleiben<br />

würde.<br />

Sie hatte noch einen Kredit über fünftausend Mark<br />

aufgenommen, zu dem ich sie überredet hatte, wir<br />

wollten zusammen weg aus Merschenich in Richtung<br />

Süden, zum „Abkicken“, clean werden, wie ich ihr<br />

sagte. Ich wollte einfach nur wieder einmal in die<br />

Sonne, glaubte wirklich, dass ich dort von der Droge<br />

wegkommen könne. Mit ihrem Auto war das am einfachsten,<br />

sie willigte sofort in die Reise ein. Wir kauften<br />

noch fünf Gramm Heroin in Holland, „für Unterwegs“,<br />

das Zeug war stark wie Hölle. Schon vor der<br />

Belgischen Grenze wollte ich anhalten, erstmal Pause<br />

machen. Ich sah ein Hilton Hotel, „ Hier machen wir<br />

Rast für Heute, morgen fahren wir weiter“, bestimmte<br />

ich. „Das ist doch viel zu teuer, wir müssen doch<br />

sparen“, meckerte Lydia, aber ich setzte meinen Willen<br />

durch. Wir bekamen ein Doppelzimmer im 14<br />

Stockwerk des Hotels, dort stand ein Doppelbett. Lydia<br />

schaute schon lüstern. Ich sagte ihr, dass ich Höhenangst<br />

hätte, wir bräuchten ein Zimmer weiter unten.<br />

Wir fuhren zurück in die Rezeption, und ich<br />

sagte auf Englisch: „ Ich brauche ein Zimmer mit zwei<br />

Betten, am besten gleich hier unten“. Wir bekamen<br />

481<br />

ein Zimmer in der dritten Etage, dort standen zwei<br />

Betten. Ich war erleichtert, hatte absolut keinen Bock<br />

mit der Frau zu schlafen.<br />

Sie roch den Braten sofort. Es wurde ihr schlagartig<br />

klar, dass ich nicht wegen ihr eine Reise machen wollte,<br />

sondern ausschließlich eigennützige Ideen verfolgte.<br />

So doof war sie dann doch nicht. Ich ging<br />

noch´mal raus aus dem Zimmer, als ich zurückkam<br />

gestand mir Lydia, dass sie ihren Bruder angerufen<br />

hätte, der käme sie in zwei Stunden abholen.<br />

Mir fuhr der Schreck in die Glieder, ihr Bruder kam?<br />

„Bist du durchgeknallt“, fragte ich sie, „was soll der<br />

Scheiß, was will dein Bruder hier, weshalb hast du ihn<br />

angerufen“? „Ich mach das nicht mehr mit“, sagte sie,<br />

„du willst doch nur mein Geld für den Stoff und die<br />

Reise, ich interessiere dich doch gar nicht“, erklärte<br />

sie leise. „Das ist doch Quatsch, ich will nur jetzt nicht<br />

mit dir schlafen, das Zeug hat mich impotent gemacht“,<br />

behauptete ich. „Das ist doch Blödsinn, ich<br />

glaube dir kein Wort mehr, ich fahre zurück nach<br />

Hause“. „Ok, dann gib mir Geld und die Hälfte vom<br />

Stoff, ich fahre mit dem Zug weiter“ verlangte ich. Sie<br />

gab mir die Hälfte des Heroins, und wollte mir ein<br />

paar Hunderter in die Hand drücken. „Wie weit soll


ich denn damit kommen“, fragte ich frech, „ ich brauche<br />

mindestens dreitausend Mark, um einige Wochen<br />

ans Meer zu fahren, um clean zu werden“. „Ich muss<br />

den Kredit zurückbezahlen, ich gebe dir maximal tausend<br />

Mark“. Am Ende hatte ich ihr zweitausendfünfhundert<br />

Mark abgeluchst, und machte mich schnell<br />

weg aus dem Hotel, um ihrem Bruder nicht begegnen<br />

zu müssen.<br />

482<br />

Kapitel 60<br />

Am Maastrichter Bahnhof angekommen löste ich eine<br />

Fahrkarte nach Paris. Ich wollte erstmal zu Lucies<br />

Schwester fahren, und mir den Kopf in Ruhe zurechtrücken.<br />

Zurück nach Hause wollte ich auf keinen<br />

Fall, die Familie der Lydia würde sicher kommen und<br />

mir das Geld abverlangen, außerdem wollte ich wirklich<br />

clean werden, mit einer Menge starkem Heroin<br />

und einer fetten Lüge in der Tasche.<br />

Vom Nordbahnhof in Paris fuhr ich mit der Metro zu<br />

Lucie´s Schwester Sonja. Sie mochte mich schon immer<br />

sehr, und würde mich sicher beherbergen, bis ich<br />

bereit war, weiter Richtung Süden zu fahren. Ich war<br />

völlig fertig, voll gepumpt mit Heroin, brauchte dringend<br />

Ruhe. Sonja hatte eine sehr kleine Wohnung,<br />

nicht weit von ihrer Mutter entfernt. Dort saßen die<br />

Kinder von Katherine und eine Freundin Sonja´s mit<br />

einem enormen Busen. Sonja hatte Hackfleisch gebraten,<br />

alle saßen auf dem Teppich, und gabelten die<br />

halbrohe Masse in sich hinein. „Du kannst auch mitessen,<br />

setz dich zu uns“, forderte Lucies Schwester<br />

mich auf. „Danke, ich habe keinen Hunger“, sagte ich,<br />

dieses rohe blutige Zeug konnte ich in meinem Zustand<br />

nicht runterwürgen. Ich legte mich aufs Bett. Als<br />

die Kinder fort waren, erklärte ich Sonja meinen Zustand,<br />

und die Situation in der ich mich befand, dass<br />

ich nach Süden in die Sonne wollte, um clean zu werden.<br />

„Ruh dich erst mal aus“, tröstete sie mich mit einem<br />

freundlichen, verständnisvollen Lächeln. Aber ich<br />

hielt es in der kleinen Wohnung mit den beiden Frauen<br />

nicht aus. Die mit dem dicken Busen schaute auch<br />

schon lüstern auf mich, als ob sie mich gleich verna-<br />

483<br />

schen wollte. So floh ich in ein Hotel, um alleine zu<br />

sein, um nachzudenken.<br />

Der Bruder meiner Heroinsponsorin hatte sicher alles<br />

erfahren. Dreißigtausend Mark Ersparnisse seiner<br />

Schwester zum größten Teil in meine Birne geschnupft,<br />

dann der Kredit, der Typ war bestimmt<br />

ziemlich sauer auf mich. Sie hatten einen Freund der<br />

Anwalt war, mit dem würden sie sicher reden, wie das<br />

Geld aus mir ´rauszuleiern wäre. Hatten natürlich keine


Chance, ich hatte keinen Pfennig auf keinem Konto.<br />

Die zweieinhalb Tausend, die mir Lydia gegeben<br />

hatte, besaß ich noch fast ganz, außer der Fahrkarte<br />

nach Paris hatte ich nichts davon gekauft. Sicher dachten<br />

sie, ich habe die Frau auf Droge gebracht. Aber sie<br />

wusste als Arzthelferin von dem Risiko, außerdem<br />

schluckte sie schon vor unserer ersten Begegnung Valeron,<br />

das stark süchtig machende Mittel. Ich hatte mir<br />

nichts vorzuwerfen. Ich war halt ein abgefuckter Junkie,<br />

der jede Möglichkeit nutzte, um an Stoff zu gelangen.<br />

Lydia kam mir gerade recht. Aber ich hatte sie<br />

nicht süchtig gemacht, das war sie schon vor unserer<br />

ersten Begegnung in der Bar des Jugoslawen.<br />

Ich fuhr zum Gare de Lyon, kaufte eine Fahrkarte<br />

nach Marseille, und machte mich auf den Weg dorthin.<br />

Der Zug brauchte 9 Stunden, ich war nachts gefahren,<br />

und stand am nächsten Morgen auf dem Marseiller<br />

Bahnhof. Sofort kamen Erinnerungen in mir<br />

hoch. Ich dachte an den Abend vor vielen Jahren, als<br />

ich hier verhaftet und eingeknastet wurde. Jetzt kam<br />

ich hier her als freier Mann, nur süchtig bis unter die<br />

Schädeldecke. Im Zug hatte ich ab und zu ein wenig<br />

geschnupft, hatte noch fast zwei Gramm von dem guten<br />

Stoff aus Holland. Das beruhigte mich.<br />

Das nächste Taxi war meins, ich fuhr zum alten Hafen,<br />

484<br />

wo ich mich ja noch ein wenig auskannte, wo ich immer<br />

sehr gerne war. Ich setzte mich in ein mir von<br />

Früher bekanntes Café, bestellte Croissants und Kaffee.<br />

So gestärkt betrat ich die Toilette des Cafés, und<br />

schnupfte eine Prise Heroin. Ich hatte eine gute Möglichkeit<br />

gefunden, das Zeug zu Puder zu machen. Ich<br />

legte die kleinen Brocken zwischen einen Geldschein,<br />

faltete ihn, und fuhr so lange mit den Messer, das ich<br />

immer bei mir trug, über den Schein, bis ich spürte,<br />

dass die Brocken puderig waren. Das Heroin haftete<br />

an den Seiten des Scheines, ich kratzte es zusammen,<br />

und schnupfte es gleich mit einem zusammengerollten<br />

anderen Schein, den ich mir in die Nase hielt, aus dem<br />

Geldschein in die Nase. Ich brauchte keine Unterlage,<br />

und keine Rasierklinge, um den Stoff zu Puder zu<br />

verarbeiten.<br />

Aus einer internationalen Telefonzelle rief ich zu<br />

Hause an. Lucie wusste schon von ihrer Schwester,<br />

dass ich kurz in Paris gewesen sei. Ich erklärte ihr, dass<br />

ich mich in Südfrankreich befand, und clean nach<br />

Hause zurückkommen werde, sie solle sich nicht sorgen.<br />

„Der Bruder dieser Lydia war hier, und hat nach<br />

dir gefragt, was ist denn da los“, fragte mich Lucie sorgenvoll.<br />

„Mach dir keinen Kopf, ich regele alles, wenn<br />

ich zurück in Merschenich bin“, versuchte ich sie zu


eruhigen. Ich wusste, dass sie sich trotzdem weiter<br />

Sorgen würde, aber was sollte ich nun machen? Ich<br />

hatte meinen Weg zu gehen, konnte mich um die Familie<br />

nicht kümmern.<br />

Ich fuhr hinaus zum Prison de Baumettes, wo ich die<br />

sechs Monate abgesessen hatte. Ich wollte das Gebäude<br />

endlich von außen sehen. Als ich entlassen wurde,<br />

hatte ich mich ja nicht umgedreht um das Haus zu sehen.<br />

Das brachte Unglück, hatten mir Mitgefangene<br />

485<br />

erzählt, wenn man zurückschaute fuhr man sicher irgendwann<br />

wieder ein.<br />

Von einem Hügel aus, den ich aus meinem Zellenfenster<br />

immer sehen konnte, und schaute ich auf die Gefängnisanlage.<br />

Sie war riesig, und bestand aus mehreren<br />

Gebäuden, ich dachte immer es sei nur eins. Ich<br />

sah die Käfige für den täglichen Freigang an der Luft,<br />

klein und unheimlich sahen sie aus. Und dann die vielen<br />

vergitterten Fenster, mich schauderte, wenn ich an<br />

die Zeit in der Zelle dachte.<br />

Schnell verabschiedete ich mich vom Knast, dachte<br />

noch kurz an Beatrice Vanderpool, meiner süßen Anwältin,<br />

ich wollte sie nicht kontaktieren, sicher hätte<br />

sie gleich bemerkt, was mit mir los war. Als Junkie<br />

sollte sie mich nicht zu sehen bekommen.<br />

Ich war ziemlich durcheinander, wusste nicht ob ich<br />

nach Osten oder Westen fahren sollte, in Marseille<br />

wollte ich nicht lange bleiben. Ich fuhr Richtung<br />

Osten, nach Cassis, mietete mich in ein kleines Hotel<br />

ein, und beschloss, hier einige Tage zu bleiben. Die<br />

Sonne brannte vom Himmel, der herrlich blau über<br />

mir lag. Meine Heroinvorräte gingen langsam zu Neige,<br />

aber ich wollte ja clean werden, somit machte ich<br />

mir zunächst keine Gedanken.<br />

Ich ging zum Strand, dort waren noch immer Reisende<br />

versammelt, wie früher tanzten sie zu selbstgemachter<br />

Musik, zwei Gitarren klangen sehr gut, ein<br />

Trommler schlug auf eine Konga.<br />

Ich hielt mich abseits der Leute, beobachtete sie nur,<br />

und trauerte vergangenen Zeiten nach, als ich noch<br />

mit klarem, positiv denkendem Kopf durch die Lande<br />

reiste.<br />

Jetzt hatte mich die Droge im Besitz, positiv denken<br />

war äußerst eingeschränkt.<br />

486<br />

Ich verkroch mich in mein Hotelzimmer, legte mich<br />

aufs Bett, und schaltete den Fernseher ein. Früher hatte<br />

es keine in diesen kleinen Hotels gegeben, brauchte<br />

ich auch nie, aber nun waren alle Zimmer mit einer<br />

Glotze verziert. Ich schaute Nachrichten, wusste<br />

dass mehr als vierzig Kriege in der Welt tobten, dann


kam ein lustiger Film.<br />

Meine letzten Krümel Heroin hatte ich geschnupft.<br />

Nun wartete ich auf das Nachlassen der Wirkung, und<br />

war fest entschlossen, alles Kommende auszuhalten.<br />

Ich hatte Geld genug, das Zimmer war für eine Woche<br />

im Voraus bezahlt.<br />

In der Nacht hatte ich ruhig geschlafen, doch als ich<br />

am Morgen aufwachte, schüttelten mich Frostschübe,<br />

dann brannte mein Körper wie Feuer. Ich bekam<br />

Rückenschmerzen, mein Magen wurde von Krämpfen<br />

heimgesucht, wie ich sie nie erlebt hatte. Der Entzug<br />

hatte voll eingesetzt. `Da musst du jetzt durch`,<br />

sagte ich zu mir selbst, ohne wirklich daran zu glauben.<br />

Es war kaum auszuhalten, die Beschwerden verstärkten<br />

sich von Stunde zu Stunde.<br />

Den gesamten Tag hatte ich im Bett verbracht, nichts<br />

gegessen oder getrunken. Es ging mir sauübel, die folgende<br />

Nacht war die Hölle. Ich hatte nicht einen ruhigen<br />

Moment, mein Körper verlangte nach der Droge.<br />

Am Morgen lief ich hinaus aus dem Hotel, dachte dass<br />

ich vielleicht irgendwo Heroin finden könnte. Aber da<br />

war nichts. Das kleine Dorf war noch im Schlaf, und<br />

ich wusste schnell, dass ich hier keine Dealer finden<br />

würde. Ich versuchte Kaffe zu trinken, rannte sofort<br />

weg von der Caféterrasse, und kotzte alles aus, hatte<br />

das Gefühl, mein ganzer Magen würde aus mir heraus<br />

487<br />

kommen. Ich kaufte eine große Flasche Wasser, und<br />

begab mich zurück ins Hotel. Hier hielt ich es nicht<br />

lange aus, die Schmerzen wurden unerträglich.<br />

Also suchte ich in meiner Verzweiflung einen Doktor,<br />

fand auch schnell die einzige Praxis im Dorf, und setze<br />

mich in das Wartezimmer. Die Minuten wurden zu<br />

Stunden, bis ich endlich einen Arzt zu sehen bekam.<br />

Ich erklärte ihm meinen Zustand, der Arzt zeigte sich<br />

verständlichvoll, „ich kann ihnen leider nicht sehr helfen“,<br />

sagte er mir, „ das müssen sie nun aushalten“. Er<br />

gab mir fünfzig Tabletten Valium 10 und ein Schmerzmittel,<br />

und sagte: „Falls es sehr viel schlimmer wird,<br />

müssen sie nach Marseille ins Krankenhaus, mehr<br />

kann ich nicht für sie tun“. Ich wollte in kein Krankenhaus,<br />

ich wollte Drogen. Zurück im Hotel<br />

schluckte ich fünf Valium, drei der starken Schmerztabletten,<br />

schlief auch nach einer halben Stunde ein.<br />

488<br />

Kapitel 61<br />

Als ich mitten in der Nacht Schweißgebadet aufwachte,<br />

schüttelten mich die Krämpfe erneut, nichts hatte<br />

sich verändert. Wieder schluckte ich Tabletten, die<br />

meinen Zustand ein Wenig beruhigten. Aber tief in<br />

mir schrie es nur: Heroin, Heroin, Heroin.


Ich war nun drei Tage im Entzug, trank nur Wasser,<br />

und fühlte mich immer noch elend.<br />

Am vierten Tag konnte ich mich einigermaßen bewegen,<br />

verließ das Hotel, fuhr nach Marseille und dann<br />

mit dem Zug nach Paris. Ich ging jedoch nicht zu<br />

Sonja, nahm direkt einen Anschlusszug vom Gare du<br />

Nord nach Aachen. Ich quälte mich während der ganzen<br />

Reise, nicht mehr so schlimm wie in den ersten<br />

Tagen, aber mir ging es immer noch sehr schlecht. Ich<br />

sah aus wie der letzte Penner, hatte auch im Hotel<br />

nicht geduscht, stank fürchterlich nach Schweiß, und<br />

hatte wieder einen Bart.<br />

Die Reise wollte kein Ende nehmen, ich wollte so<br />

schnell als möglich nach Aachen, wo ich Heroin kriegen<br />

konnte. Ich hatte den körperlichen Entzug eigentlich<br />

schon fast geschafft, aber mein Hirn schrie<br />

nach der Droge.<br />

Jetzt erfuhr ich am eigenen Körper, weshalb ich diesen<br />

Scheiß früher immer verurteilt und gemieden hatte.<br />

Aber es war zu spät, ich war ein Junkie, wie auch<br />

Jürgen und sehr viele Andere.<br />

In Aachen angekommen fuhr ich sofort zum Kaiserplatz,<br />

der Szene für Drogen aller Art. Schnell hatte ich<br />

einen Dealer gefunden, der mir für fünfzig Mark eine<br />

kleine Menge Heroin verkaufte. Ich lief sofort in eine<br />

Telefonzelle, schüttete den gesamten Inhalt eines klei-<br />

489<br />

nen Plastikbeutels in einen Geldschein, Drückte es zu<br />

Pulver, schnupfte zitternd das Zeug in meine Nase und<br />

schon nach drei Minuten waren meine Beschwerden<br />

verflogen. Das braune Dope war nicht sonderlich stark,<br />

mit irgendwelchen Mitteln gestreckt, aber es tat seine<br />

Pflicht. Ich setzte mich zufrieden auf eine Bank und<br />

ließ das Heroin meinen Körper erobern. Ich war wieder<br />

drauf, war zu schwach gewesen, den Entzug völlig<br />

über mich ergehen zu lassen. War halt ein richtiger verdammter<br />

Junkie.<br />

Ich kaufte noch mehr Stoff von einem anderen Dealer,<br />

der sein Heroin als rein und stark anpries. „Will ich testen,<br />

wenn´s gut ist, kaufe ich ein Gramm“. Er gab mir<br />

ein wenig von seinem Dope, es war wirklich stärker als<br />

das, was ich zuerst gekauft hatte. „Dreihundert Mark,<br />

das Gramm ist korrekt abgewogen“, verlangte der<br />

Dealer. Ich gab ihm das Geld, ich hatte noch mehr als<br />

tausend Mark in der Tasche.<br />

Mit dem Heroin, von dem ich mir zuerst eine gute<br />

Portion eingefahren hatte, fuhr ich nach Hause. Lucie<br />

erschrak als sie mich in der Türe sah, die Kinder spielten<br />

mit ihren Freunden draußen auf der Wiese. „Geh<br />

sofort in die Wanne, du riechst fürchterlich, und rasiere<br />

dich bitte“, begrüßte mich Lucie. Ich folgte ihrem Rat


sofort, fühlte das wohlig warme Wasser meinen Körper<br />

umspülen. Ich blieb eine halbe Stunde in der Badewanne,<br />

als ich hinausstieg war braune Brühe übrig geblieben,<br />

die ich sofort auslaufen ließ, und die Wanne vom<br />

Dreck einer langen Woche befreite. Dann rasierte ich<br />

mir die Stoppeln ab, zog frische Wäsche an, die Lucie<br />

für mich bereitgelegt hatte. Saubere Kleidung fand ich<br />

auch, ich fühlte mich wie ein neuer Mensch, leider<br />

noch immer mit der Droge im Kopf. Mein Versuch<br />

clean zu werden war gründlich daneben gegangen.<br />

490<br />

Kapitel 62<br />

Eines Morgens, ich war wohl seit einer Woche wieder<br />

zu Hause, klingelte es um sieben Uhr<br />

ziemlich lange. Ich hatte gerade meine letzte Dosis<br />

Heroin geschnupft, wollte mich noch einmal umdrehen<br />

und weiterschlafen. Lucie hatte die Haustüre geöffnet,<br />

als ich lautes Getrappel auf der Treppe ins<br />

Schlafzimmer hörte. Ehe ich mich versah, hatte ich<br />

kalten Stahl am Kopf, ein rothaariger Typ hielt mit eine<br />

schwarze Pistole an den Kopf, mit der freien Hand<br />

griff er energisch unter mein Kopfkissen, zog sie beruhigt<br />

wieder hervor, steckte die Knarre weg, „ Zollfahndung,<br />

sie sind festgenommen“. Sieben Zollfahnder<br />

durchsuchten das Haus, nach einer Stunde kamen<br />

sie in die Küche, wo ich mittlerweile angezogen mit<br />

dem Rothaarigen saß, und sagten: „Nichts gefunden,<br />

das Haus ist sauber“. Der neben mir sitzende machte<br />

ein säuerliches Gesicht. „Wo hast du den Stoff versteckt“,<br />

provozierte er mich. „Stoff, welchen Stoff“,<br />

fragte ich mit unschuldiger Miene. „Na das Heroin,<br />

wo ist es“, fragte er erneut. „Heroin, hab ich nicht“.<br />

„Abrücken“, befahl der Typ, „und du kommst mit, wir<br />

werden ja sehen“. Lucie weinte. „Beruhige dich, ich<br />

bin gleich wieder zurück, die können mir gar nichts“,<br />

versuchte ich sie zu trösten. Die Kinder hatten von<br />

dem Schauspiel auch etwas mitbekommen, man<br />

durchsuchte auch ihr Zimmer. Ängstlich standen sie<br />

an Lucie festgeklammert.<br />

Ich wurde in ein Zivilfahrzeug verfrachtet, zwei Weitere<br />

folgten uns, es ging Richtung Aachen. In einem<br />

Büro der Zollfahndung gab man mir einen Stuhl, und<br />

Müller, der Rothaarige, sagte: „ Lydia hat ausgesagt,<br />

491<br />

ihr habt jede Menge Heroin von Holland nach<br />

Deutschland geschmuggelt, was hast du dazu zu sagen“.<br />

„Nichts habe ich zu sagen, alles Quatsch, die<br />

Frau wollte mich anbaggern, ich ließ sie abblitzen,<br />

jetzt versucht sie mir irgendwas reinzuwürgen“. „Hier<br />

ist eine klare Selbstanzeige, von einem Anwalt verfasst,<br />

in der die Frau alles zugibt“. Das Aas, hatte sich auf


Rat ihres Anwaltfreundes fein aus der Affäre gezogen,<br />

behauptete sogar, ich hätte sie auf Droge gebracht.<br />

„Ich sag gar nicht mehr, ist alles gelogen“, behauptete<br />

ich weiter. „Dann geht’s jetzt in den Knast, wir werden<br />

ja sehen, du wirst schon noch reden“. Der Typ<br />

kannte mich wohl nicht, hatte noch nicht mit Parschau<br />

geplaudert, Eric redete nie.<br />

Sie fuhren mit mir durch ein großes schwer gesichertes<br />

Tor in ein dunkles, steinaltes Gefängnis von Aachen.<br />

Ich war Untersuchungsgefangener, konnte meine<br />

Privatkleidung behalten. Man verfrachtete mich in<br />

eine Zelle, peng, die dicke Türe flog zu, ein Schlüssel<br />

machte ekelige Geräusche, ich saß erneut im Knast.<br />

Noch war ich angetörnt, die Droge wirkte. Aber ich<br />

wusste, dass es mir schon bald saudreckig gehen würde,<br />

was dann? Ich machte mir weiter keine Gedanken,<br />

setzte mich auf das ein Meter breite und zwei Meter<br />

lange Bett mit einer dünnen Schaumstoffmatratze, die<br />

mit blau gestreiftem Stoff überzogen war, und harrte<br />

der Dinge, die da mit Sicherheit kommen sollten. Man<br />

hatte mir zwei graue kratzige Decken gegeben, eine<br />

aus dickem Porzellan bestehende weiße Schüssel,<br />

stumpfes Besteck, eine Tasse, und blau-weiß kariertes<br />

Bettzeug. Die Zelle war schmuddelig, aus Vorkriegszeiten,<br />

vier Meter lang und zwei Meter breit. Am gegenüberliegenden<br />

Ende der Türe mit einem Kuckloch<br />

befand sich ein hoch liegendes Fenster, aus dem ich<br />

492<br />

auf dem Stuhl stehend auf den Gefängnishof blicken<br />

konnte. Ein großes Terrain mit einem rund am Gebäude<br />

entlang laufenden festgetretenen Weg, der Rest<br />

war kurzgeschorenes Gras. Überall vergitterte Fenster,<br />

aus manchen schauten Leute auf den Hof wie ich.<br />

Als erstes stopfte ich das Kuckloch in der Türe mit<br />

grauem Klopapier zu, ich wollte nicht beobachtet<br />

werden. Gleich neben der Türe war eine Toilettenschüssel,<br />

ein kleines Waschbecken war Seitwärts angebracht.<br />

Zum Glück hatte man mich in eine Einzelzelle<br />

gebracht, ich wollte auf keinen Fall mit anderen<br />

Knackis zusammen wohnen müssen. Alleine kam ich<br />

immer am Besten klar.<br />

Am Nachmittag setze langsam der Entzug ein. Die<br />

Krämpfe begannen, ich zitterte von den eisigen Kälteschüben,<br />

und brannte wenn die Hitze kam. Ich<br />

kannte das, und wusste schon, das würde dauern. Ich<br />

klingelte nach dem Wärter. Wieder dieses Schlüsselrasseln,<br />

die Türe flog auf, „was gibt’s“, fragte ein junger<br />

Mann in grüner Uniform. „Ich hab Turkey, Entzug,<br />

ich brauch ´nen Arzt“. „Der ist schon weg, morgen<br />

früh können sie auf die Krankenstation“, sagte der<br />

Grüne. „Mann ich sterbe hier“, beschwerte ich mich,


„ich brauch sofort ärztliche Hilfe“. „Mal sehen was<br />

ich machen kann“, er entfernte das Papier aus dem<br />

Guckloch, die Türe wurde wieder geschlossen. Sofort<br />

steckte ich ein neues Stück Papier in das Loch der Türe.<br />

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis der Typ zurück<br />

war, „mitkommen“. Ich folgte dem Mann über<br />

schmale Gänge, wir gingen durch einige Tore, die er<br />

immer auf- und abschloss, bis wir einen weißen<br />

Raum erreichten. Ein älterer Herr in weißem Kittel<br />

fragte: „Was haben wir denn“? „Wir haben gar nichts,<br />

493<br />

ich habe Entzug, ganz schlimm, ich brauche irgendwas<br />

um die Schmerzen auszuhalten“. „Da kann ich nur<br />

wenig für sie tun“, sagte der Arzt, „ich gebe ihnen etwas<br />

zum Beruhigen, und Schmerztabletten. Das wird<br />

sicher nicht viel nützen, bringt aber Erleichterung,<br />

mehr kann ich nicht machen“. Er gab mir drei grüne<br />

Tabletten, einen cm lang, vierteilig. Und fünf<br />

Schmerztabletten. „Die grünen Tabletten nehmen sie<br />

alle fünf Stunden eine, die Schmerztabletten nach Bedarf“.<br />

Man führte mich zurück in die Zelle. Da saß<br />

ich nun mit den Tabletten in der Hand. Ich überlegte<br />

nicht lange, warf mir die ganze Ladung auf einmal ein,<br />

trank einen Schluck Wasser aus der Leitung, und legte<br />

mich aufs Bett.<br />

Ich schief ein, aber schon nach drei Stunden wurde<br />

ich wieder wach, der Entzug war stärker als die Tabletten<br />

des Doktors. Ich quälte mich die ganze Nacht, bis<br />

morgens um sieben die Türe aufging. „Frühstück“,<br />

sagte der Wärter, ein Wagen stand vor der Türe, ein<br />

großer Stahlbehälter enthielt Malzkaffee, ein mit weißer<br />

Jacke bekleideter Mitgefangener gab mir drei<br />

Scheiben Kommissbrot. „Wo ist deine Marmeladenschüssel,<br />

und dein Teller“, fragte er mich lauernd anschauend.<br />

Ich hielt ihm Teller, Glasschälchen und Tasse<br />

hin. Ich bekam ein kleines Sternchen Margarine,<br />

ein wenig Marmelade, und die Plörre, die sie Kaffee<br />

nannten, die Türe wurde abgeschlossen. Ich hörte andauernd<br />

die Schlüssel rasseln, es begann mich zu nerven.<br />

Es gab sicher fünfzig Zellen auf meiner Etage,<br />

und jede Türe musste mit lauten Geräuschen geöffnet<br />

und verschlossen werden. Das ging so den gesamten<br />

Tag über.<br />

Ich war auf Entzug, es war unerträglich. In meinem<br />

Wahn suchte ich jeden Winkel der Zelle ab, suchte im<br />

494<br />

Staub nach eventuell verstecktem Stoff, vielleicht hatte<br />

ja ein anderer Junkie irgendwo etwas liegen gelassen.<br />

Eine völlig schwachsinnige Idee, ich suchte trotzdem,<br />

bis ich endlich einsehen musste, dass ich nichts<br />

finden würde.


Erneut meldete ich mich zum Arzt, der wunderte<br />

sich, dass ich schon alle Pillen gefressen hatte, er gab<br />

mir Neue. „Gehen sie sparsam damit um, heute gibt´s<br />

nichts mehr“, ermahnte er mich. „Aber mir geht´s<br />

dreckig“, flehte ich ihn an. „Das müssen sie aushalten,<br />

sterben werden sie nicht“. Das war ja schon mal beruhigend,<br />

ich sollte diesen Horror überleben. Ich glaubte<br />

nicht daran, dachte wirklich meine letzten Stunden<br />

hätten geschlagen.<br />

Drei Tage lag ich im Bett, von Fieberkrämpfen geschüttelt.<br />

Ich aß nichts, trank nur diesen Malzkaffee, und zitterte<br />

vor mich hin. Jeden Tag sollte ich zum Freigang, eine<br />

Stunde Runden drehen im Hof, aber dazu hatte ich<br />

überhaupt keine Lust. Ich blieb im Bett.<br />

Am vierten Tag fing es an mir etwas besser zu gehen, ich<br />

ging mit in den Hof. Ca. sechzig Gefangene drehten<br />

dort ihre Runden, manche hielten sich fit und joggten<br />

um das Gras. Ich blieb alleine, kümmerte mich nicht um<br />

Andere. Bis mich Jemand ansprach. „Dir geht es wohl<br />

nicht gut“, stellte er richtig fest. „Ich bin auf Turkey“,<br />

sagte ich Hans, der sich vorgestellt hatte. Ein Baum von<br />

Mensch, stark muskulös und voll durchtrainiert. Ich stolperte<br />

mehr als ich ging, Hans redete auf mich ein. „Ich<br />

habe eine Bank überfallen, hatte eine Schießerei mit den<br />

Bullen, die mich dann doch erwischt haben“. Ein harter<br />

Knochen, wie sich später wirklich herausstellte. Er hatte<br />

eine Tätowierung am Oberarm, einen sehr schön gestochenen<br />

Indianerkopf. „Ich liebe die Indianer“, sagte ich<br />

ihm, so hatten wir ein gemeinsames Thema gefunden,<br />

495<br />

und ich hatte sofort einen starken Beschützer.<br />

Die Zelle öffnete sich erneut nach dem Freigang, „ Sie<br />

haben Besuch vom Zoll“. Man führte mich erneut<br />

durch viele vergitterte Tore bis in einen Raum mit Tisch<br />

und vier Stühlen. Dort saß Müller mit einem Kollegen.<br />

„Na, wie geht´s“, „ hast du den Turkey hinter dir“?<br />

„Nee, ich bin noch voll krank“, antwortete ich wahrheitsgemäß.<br />

„Willst du endlich reden, mach reinen<br />

Tisch, dann bist du bald hier raus“, schleimte mich Müller<br />

an, und schob mir Zigaretten hin. Ich nahm eine Zigarette,<br />

bat um Feuer, steckte die Packung ein, und rief.<br />

„Schließer, bitte in die Zelle zurück, mir geht´s nicht<br />

gut“. Ein Grüner kam, schüttelte den Zollbeamten gegenüber<br />

den Kopf, und nahm mich mit. „Du wirst<br />

schon noch reden“, rief Müller mir wütend nach. „Du<br />

kennst mich nicht“, rief ich zurück ohne mich umzudrehen,<br />

hob meine Hand, und zeigte ihm meinen rechten<br />

Mittelfinger. Die Typen sollten wissen was es hieß,<br />

Eric verhören zu wollen, ich wusste, hier kam ich so<br />

schnell nicht wieder ´raus.<br />

Es ging mir schon viel besser, die Entzugserscheinungen<br />

flachten mehr und mehr ab.<br />

Als ich in die Zelle kam, legte ich mich erneut aufs Bett,


und schaute lange gegen die Decke. `Hier kommst du so<br />

bald nicht wieder raus´, wusste ich, musste mich irgendwie<br />

arrangieren. Ich konnte schon fast klar denken, das<br />

machte mir Mut, die Schmerzen würden sicher bald<br />

vorüber sein.<br />

Beim Doktor holte ich mir wieder eine Portion Pillen<br />

ab. „Noch zwei Tage, dann gibt´s keine Medikamente<br />

mehr“, sagte er mir beim Hinausgehen. Das gefiel mir<br />

nicht so gut, aber ich würde mir schon zu helfen wissen.<br />

Mut kehrte langsam in meine Seele zurück. Ich hatte<br />

mir sofort eine starke Faust gefunden, im Knast immer<br />

496<br />

hilfreich. Als Nächsten ließ ich den Bibliothekar zu mir<br />

kommen, Bücher konnten Rettung in Momenten der<br />

Schwäche sein, das hatte ich in Marseille gelernt. Ich bat<br />

ihm mir viele Bücher zu bringen. „Es gibt aber nur zwei<br />

die Woche“, sagte er mir. „Wir werden uns schon einigen“,<br />

antwortete ich und gab ihm Zigaretten.<br />

Lucie kam mit Tränen in den Augen zu Besuch. Sie hatte<br />

mir frische Wäsche und Kleidung mitgebracht. „Wie<br />

geht es dir gesundheitlich“, war ihre erste Frage. „Viel<br />

besser, ich habe den Entzug überstanden“. „Es ist sicher<br />

nicht schön hier, aber so konnte das nicht weiter gehen,<br />

du wärst sicher bald gestorben“, sagte Lucie. „Ich hatte<br />

immer Angst um dich, als du voll mit dem Zeug warst“.<br />

„Pack ich nicht mehr an, das schwöre ich dir, diesen<br />

Dreck will ich nicht mehr haben“. „Hoffentlich“, sagte<br />

Lucie. „Ich soll dich von den Kindern grüßen, sie machen<br />

sich große Sorgen, ich wollte sie jetzt noch nicht<br />

mitbringen“. „Das war gut so, die können ja bei einem<br />

nächsten Besuch mitkommen, ich würde mich sehr<br />

freuen“. „Du siehst schon viel besser aus als noch vor einer<br />

Woche“, sagte meine Frau, ich freute mich über dieses<br />

Kompliment. „Ich fühle mich auch besser, gesünder“,<br />

antwortete ich, obwohl mein Hirn noch stets nach<br />

dem Stoff verlangte. Aber die Schreie wurden immer leiser.<br />

Bevor Lucie gegangen war, hatte ich ihr mitgeteilt,<br />

sie solle mir Beruhigungstabletten beim nächsten Besuch<br />

mitbringen, sie in die Nähte der Hemden kleben.<br />

Sie wollte das nicht, sie regte sich sofort auf. „Ich brauch<br />

etwas, sonst halte ich das hier nicht aus“. „Mal sehen“.<br />

Zurück in der Zelle wurde ich erneut zum Verhör abgeholt.<br />

Der gleiche Prozess, die gleiche Handbewegung,<br />

nur ließen sie jetzt die Zigaretten nicht auf dem Tisch<br />

liegen, die gönnten sie mir wohl nicht mehr. Eine boten<br />

sie mir doch an. „Schließer, zurück in den Bau“. Die<br />

497<br />

Zöllner zogen erneut unverrichteter Dinge von dannen.<br />

Ich wurde in meine Zelle zurückgeführt, freute mich<br />

über die wütenden Häscher vom Zoll.<br />

So langsam gewöhnte ich mich an das Leben im Knast.<br />

Lucie hatte mir Geld auf ein Konto eingezahlt, so konnte<br />

ich mich mit Allem eindecken, was man hier so


auchte. Tabak, löslichen Kaffee, die Gläser nannte man<br />

Bombe Kaffee, eine gültige Währung im Gefängnis, mit<br />

der man sich alles Notwendige kaufen konnte. Erst einmal<br />

bestach ich den Bibliothekar, damit er mir mehr als<br />

nur drei Bücher die Woche brachte. Lesen war mein Weg<br />

nach draußen.<br />

Woche für Woche erschienen die Zollbeamten, sie hörten<br />

kein Wort von mir.<br />

Lucie hatte mir einen Rechtsanwalt besorgt, Böhm hieß<br />

der Mann, kam aus Bonn, und war Spezialist in Sachen<br />

BTM, Betäubungsmittel. Er kam mich besuchen, er hatte<br />

mehrere Klienten hier in Aachen. „Das mit der Aussageverweigerung<br />

hast du richtig gemacht“, sagte er mir<br />

sofort, „Vielleicht fällt die Zeugin ja um, nimmt die Aussage<br />

zurück, dann bist du frei“, erklärte er mir. Er hatte<br />

meine Akten schon eingesehen.<br />

„Ist mir klar“, wusste ich. „Der Staatsanwalt kocht vor<br />

Wut, dass du nichts aussagt, das erlebt er bei Junkies selten,<br />

die meisten sagen aus sobald sie den Entzug nicht<br />

mehr aushalten“, sagte mir Böhm und lachte. Er war<br />

ziemlich jung für seine Position, war bei Gericht gefürchtet<br />

für seine Kenntnisse bei Rauschgiftprozessen.<br />

Das beruhigte mich kolossal.<br />

Lucie kam alle zwei Wochen zu Besuch. Ich hatte das<br />

Recht auf eine halbe Stunde Besuch in vierzehn Tagen.<br />

Nicht viel, aber es reichte. Sie hatte sich doch erbarmt,<br />

wenn ich meine sauberen Hemden in der Kammer abholte,<br />

faltete ich sie gleich auseinander, in Einem kleb-<br />

498<br />

ten dann den Innenseiten der Ärmelnähte Valiumpillen<br />

schön übereinander, Pille für Pille mit Heftpflaster angeklebt,<br />

nicht auffindbar für die Beamten des Wachdienstes.<br />

Die schauten nur auf die sauber gefalteten Hemden,<br />

meist fünf Stück an der Zahl, zählten sie eine Ecke anhebend<br />

durch, und übergaben sie mir. In der Zelle zählte<br />

ich dann meinen Schatz, meist hatte ich für jede<br />

Nacht eine Pille, und konnte zumindest einige Stunden<br />

davon schlafen.<br />

Die meiste Zeit lag ich auf dem Bett und las meine Bücher.<br />

In diesen Momenten war ich nicht eingesperrt, ich<br />

flog mit jeder Zeile weiter in die Geschichten hinein,<br />

und hinaus aus dem vergitterten Zellenfenster, erlebte<br />

alles mit, was die Figur, mit der ich mich in den Büchern<br />

identifizieren konnte, darstellte.<br />

Nur das Rasseln der Schlüssel den ganzen Tag über ging<br />

mir tierisch auf den Geist, es wurde immer unerträglicher.<br />

Krack, Türen flogen auf, krack, Türen flogen wieder<br />

zu. Schrecklich. Bis ich beschloss mich daran zu gewöhnen,<br />

als gegeben hinzunehmen, bald hörte ich es<br />

kaum noch. Hätte ich mich weiterhin zu sehr auf dieses<br />

eklige Geräusch konzentriert wäre ich sicher bald<br />

durchgedreht.<br />

Böhm kam regelmäßig, wir duzten uns vom ersten Tag


an, das war mir sympathisch. Er hatte längeres gelocktes<br />

dunkles Haar, und gab sich äußerst locker. „Wir kriegen<br />

das schon hin, sag weiterhin nichts aus, ich mache den<br />

Rest“, riet er mir.<br />

Bei den täglichen Hofgängen hatte ich mittlerweile<br />

mehr Knastgenossen kennen gelernt, viele saßen wegen<br />

der gleichen Sache wie ich, Rauschgiftvergehen. In dieser<br />

Zeit, 1978, machte man um Drogen noch ein Riesenteather,<br />

die Behörden hatten keine Ahnung was diese<br />

Dinge bedeuteten, und alles was damit zusammen<br />

499<br />

hing. Außerdem stellte man alle Drogen auf eine Stufe,<br />

Hasch oder Heroin, das war gleich für die Justizbehörden.<br />

In Holland hatte man Hasch längst legalisiert, aber<br />

das interessierte in Deutschland Niemanden.<br />

Ich lernte den kleinen Willi kennen, er kam aus der Nähe<br />

von Merschenich, hatte wahrhaftig neun Banken<br />

überfallen. Er hatte sich ein Bombenähnliches Gebilde<br />

gebastelt, einen Stahlzylinder, mit einem kleinen Schalter<br />

und einer kleinen Lampe obendrauf, die legte er immer<br />

auf die Theke der Kasse in der jeweiligen Bank.<br />

„Geld raus, oder das Ding geht hoch, mir ist es egal<br />

wenn ich mit sterbe, ich bin total verzweifelt“, bedrohte<br />

er die Kassierer. Das hatte neun Mal geklappt, bis man<br />

ihm auf die Schliche kam, ihn verhaftete. Ich freundete<br />

mich mit ihm an, er war ein netter und witziger Zeitgenosse.<br />

Abends konnte man für zwei Stunden in die Zelle eines<br />

Anderen gehen, und Karten spielen, oder sonst was machen.<br />

Willi und ich waren oft zusammen, obwohl wir<br />

eingesperrt waren, lachten wir uns in Tränen. Er war sehr<br />

lustig, seine Geschichten unglaublich, aber wahr.<br />

Später gesellte sich Sacco zu uns, man wollte ihm vierzig<br />

Kilo Haschschmuggel nachweisen. Er hatte den gleichen<br />

Anwalt wie ich, machte auch keinerlei Aussage.<br />

Seine langjährige Freundin Isabella, eine wunderschöne<br />

Frau kam ihn oft besuchen. Wir saßen einmal gemeinsam<br />

im Besucherraum, dort hatte ich sie zu ersten Mal<br />

gesehen. Eine dunkelhaarige Grazie mit traurigen Augen.<br />

Sacco, Willi und ich spielten gemeinsam Poker um Zigaretten<br />

oder andere Kartenspiele, lachten viel, die Zeit<br />

verging wie im Flug. Von einem Mithäftling lernte Sacco<br />

Gitarre spielen, schnell wurde er richtig gut. Was immer<br />

er anfasste machte er präzise und perfekt, lernte flei-<br />

500<br />

ßig und ausdauernd. Anders als ich faule Sau. Später<br />

lernte er Architektur, wurde ein großartiger Bambuszüchter,<br />

baute ein haus zu einem Schmuckstück um und<br />

kochte für seine Frau, die den Dr. gemacht hatte und in<br />

einem großen Betrieb für Formmaschinen in der Nähe<br />

von Merschenich als Pressereferentin arbeiten ging. Sacco<br />

führte den Haushalt, perfekt wie Alles was er tat.. Leider<br />

musste er sich irgendwann einer Herzoperation unterziehen,<br />

man legte ihm sechs Beipässe. Ich besuchte


ihn oft, hielt stets Kontakt zu ihm und seiner schönen<br />

Frau. Mehr als 25 Jahre nach unserer Entlassung aus dem<br />

Gefängnis im Dezember 2007, rief ich an, um ihn an eine<br />

gemeinsam geplante Party zu erinnern, hatte ich Isa<br />

am Telefon. Wir hatten uns länger nicht gesehen. „Wie<br />

geht´s Sacco“, fragte ich sie. „Sacco gibt es nicht mehr,<br />

er ist vor einem Jahr verstorben“, antwortete sie mit tieftrauriger<br />

Stimme. Es war unfassbar, als er mit einem geliebten<br />

Hund zu Tierarzt fahren wollte, bekam er an einer<br />

Ampel einen Herzinfarkt und starb sofort. R.I.P.<br />

mein geliebter Freund.<br />

Hans war immer mit den härteren Knackis zusammen,<br />

Schläger, andere Raubritter, die seinem kriminellen Niveau<br />

entsprachen. Wir sahen uns nur auf dem Hofgang,<br />

unterhielten uns über amerikanische Indianer und ihr<br />

Schicksal. Ich liebte die bunte Kultur der Indianer schon<br />

immer, hasste die europäischen Siedler, die dieses Volk<br />

mit effektiveren Waffen Millionenfach massakriert hatten.<br />

Nun lebten sie in ihrem eigenen Land in kleinen<br />

Reservaten, viele vegetierten im Alkoholrausch am<br />

Rande dieser für sie bestimmten Lebensgebiete. Ich verurteilte<br />

die Amerikaner dafür. Hans war meiner Meinung,<br />

das war gut für mich, Niemand traute sich mir etwas<br />

anzutun, es gab genug kriminelle Zeitgenossen, die<br />

501<br />

mir an die Wäsche wollten, viele verstanden einfach<br />

nicht, weshalb ich oft lachte, mir der Knastalltag nicht<br />

mehr viel ausmachte. Trauern half mir nicht weiter. Ich<br />

hatte mich nach drei Monaten mit meinem Schicksal<br />

abgefunden, es war mir klar, dass dieses vergitterte Gebäude<br />

meine Heimat für längere Zeit sein würde.<br />

Lucie kam regelmäßig, oft brachte sie die Kinder mit, die<br />

mich immer traurig ansahen. Ich versuchte sie aufzumuntern,<br />

ihnen zu erklären, dass ich schon bald wieder<br />

zu Hause sein würde, und es mir gut ginge, mich wie in<br />

einem Krankenhaus fühlte, was ich leider nötig hatte. Ich<br />

erklärte ihnen, dass ich ein Jahr lang sehr krank war, und<br />

nun gesund werden müsse. Es tröstete sie ein wenig. Sie<br />

waren noch klein, und ich konnte ihnen solche Märchen<br />

erzählen.<br />

Meine schöne Frau hatte mir einen kleinen Fernseher<br />

gekauft, zehn cm großes Bild. Er wurde mit Batterien<br />

betrieben, Strom gab es in diesem alten Gefängnis nicht.<br />

Ein teurer Spaß, ich musste wöchentlich für viel Geld<br />

Energie für das Gerät kaufen, Lucie besorgte das Geld<br />

dafür. Sie tat alles Menschenmögliche für mich. Aber es<br />

war schön, durch den Fernseher in die reale Welt nach<br />

draußen blicken zu können, auch unterhaltsam, wenn<br />

mal ein guter Film gezeigt wurde. Trotzdem blieben Bücher<br />

meine favorisierte Beschäftigung. Ich verschlang sie<br />

hundertfach.<br />

Irgendwann bekam ich von Lucie keine Tabletten mehr.<br />

Sie erklärte mir, dass sie jedes Mal große Angst hatte,


wenn sie mir die Dinger einschmuggelte. Hätte man sie<br />

erwischt, hätte sie nie wieder zu Besuch kommen dürfen,<br />

das wollte sie unbedingt vermeiden. So hörte sie mit<br />

der Schmuggelei auf, und ich saß ohne Pillen da. Ich gewöhnte<br />

mich schon bald daran. Ab und an hatte ich die<br />

Chance, von Mitgefangenen Pillen für Tabak oder Kaffe<br />

502<br />

zu kaufen, dann hatte ich wieder eine ruhige Nacht.<br />

Ohne diese Schlafmittel lag ich oft die Nächte wach, bis<br />

ich gegen Morgen erschöpft für zwei Stunden einschlief.<br />

Diese Nächte waren immer endlos lang.<br />

Oft machte mir Eifersucht zu schaffen, ich dachte mir alle<br />

möglichen Situationen aus, in denen Lucie mich<br />

draußen betrog. Dies machte ich ihr dann bei Besuchen<br />

zum Vorwurf, ich war mir sicher, dass sie Liebschaften<br />

hatte, und machte sie mit meinen Verdächtigungen fertig,<br />

bis sie weinend den Besucherraum verließ. Sie hatte<br />

mich nie betrogen, ich bildete mir das nur ein.<br />

Um den Anwalt zu bezahlen ging sie bei fremden Menschen<br />

putzen, um das Geld für Böhm zu verdienen. Ansonsten<br />

lebte sie von Sozialhilfe, trotzdem brachte sie mir<br />

immer Geld für Batterien, und was ich sonst so brauchte.<br />

Sie war einfach nur ein mich liebender Engel, meine<br />

Zweifel waren völlig unbegründet.<br />

Willi war ein ganz gewiefter Hund, er versuchte aus dem<br />

Knast auszubrechen. Er wollte sich ein Loch in die Mauer<br />

bohren, und sich mit Bettlaken nach unten hangeln.<br />

Wir waren im vierten Stockwerk, ein gefährliches Unterfangen.<br />

Mit seinem Löffel versuchte er die Steine der<br />

Mauer unter dem Fenster zu lösen, sich so ein Loch zu<br />

baggern. Er wurde natürlich erwischt, nahezu täglich kamen<br />

die Beamten zur Zellenkontrolle, klopften die Gitter<br />

ab, und hatten auch bald Willi´s Loch in der Wand<br />

entdeckt. Er kam in Dunkelhaft, und wir bekamen ihn<br />

dann lange nicht zu sehen. Bis er endlich wieder auf die<br />

Etage kam, und wir weiter lachen konnten. Hauptsächlich<br />

zunächst über seine Schnapsidee, flüchten zu wollen.<br />

Aber Willi gab nicht auf, er versuchte es insgesamt<br />

drei Mal, wofür er einen zusätzlichen Prozess wegen<br />

Sachbeschädigung an den Hals bekam. Noch mal ein<br />

Jahr, zu den neun Jahren, die er in seinem Prozess wegen<br />

503<br />

mehrfachen Bankraubs schon gekriegt hatte. Er war in<br />

Revision gegangen, so blieb er Untersuchungsgefangener.<br />

Wir lachten weiter.<br />

Jemand hatte Hasch in den Knast geschmuggelt, wir legten<br />

genug Tabak und Kaffee zusammen, und kauften uns<br />

ein Stück. Wir schnitten das Dope mit einer Rasierklinge<br />

zu sehr kleinen Stücken, die wir auf die Glut einer<br />

brennenden Zigarette legten. Mit dem unteren Teil eines<br />

Kugelschreibers saugten wir den Rauch des glühenden<br />

Haschstückchens in die Lunge, das war die effektivste<br />

Methode richtig high zu werden. Und wenn wir dann


eit Geschichten erzählten, lachten wir umso mehr und<br />

lauter. Oft kam ein Beamter, fragte was hier los sei, denn<br />

man hörte unser Lachen auch bis auf den Gang. „Wir<br />

spielen verrückt, ist doch nicht verboten“, sagten wir<br />

dem verdutzten Schließer. „Riecht komisch hier“,<br />

schnüffelten die Grünen, entdeckten jedoch nie, was wir<br />

geraucht hatten. Was wir im Kopf hatten, konnte uns<br />

Niemand nehmen, beim Rauchen stand immer Einer<br />

von uns an der Türe und lauschte. Die Gucklöcher waren<br />

sowieso zugestopft, das Papier wurde zwar Anfangs<br />

immer entfernt, aber wir stopften die Löcher stets wieder<br />

zu. Bis die Wachhabenden schließlich aufgaben, und<br />

alles so ließen, wie wir es wollten. Alle Löcher auf der<br />

Etage waren bald nicht mehr einsehbar für die Schließer.<br />

„Ihr wollt uns doch bloß beim kakken zuschauen“, begründeten<br />

wir die Blenden. Wir hatten richtig Spaß, und<br />

das im Knast.<br />

So ziemlich genau alle drei Wochen kamen die Zollfahnder<br />

erneut zu mir, und wollten wissen, was und an<br />

wen wir denn verkauft hätten, das Einzige was ich deutlich<br />

machte war, dass ich nie auch nur einen Krümel<br />

harter Drogen verkauft hatte. Von meinen Geschäften in<br />

Dortmund wussten sie natürlich, sie hatten meine Spu-<br />

504<br />

ren zurückverfolgt, und waren auf Parschau gestoßen,<br />

der mich als Drogenlumpen hinstellte, mir aber so gut<br />

wie nichts nachweisen konnte.<br />

Unverrichteter Dinge zogen die Schergen der Staatsanwaltschaft<br />

von dannen. Es wäre mir im Traum nicht eingefallen,<br />

einen Freund oder guten Bekannten an diese<br />

Typen auszuliefern. Und gedealt hatte ich ja nie mit den<br />

Drogen, die sie mir zu Last zu legen versuchten. Es gab<br />

nur das Geständnis der Monika, und ein Wichtigtuer, der<br />

sich so freikaufte, hatte behauptet, ich habe drei Kilo<br />

Hasch nach Duisburg verschoben. In Duisburg war ich<br />

nie gewesen.<br />

Nach sechs Monaten kam der erste Haftprüfungstermin,<br />

das hieß, der Untersuchungsrichter hatte zu prüfen, ob<br />

noch stets Haftgründe vorlagen. Nachdem der Staatsanwalt,<br />

der mich böse anschaute, seine Sicht der Dinge<br />

vorgetragen hatte, mein Anwalt die nun schon lange Untersuchungshaft<br />

bemäkelte, gewann der Staatsanwalt. Er<br />

hatte nun zwei Aussagen gegen mich, es erging Beschluss,<br />

Eric bleibt in U-Haft. Etwas anderes hatte ich<br />

auch nicht erwartet.<br />

So gingen die Spielchen mit den Schließern weiter, die<br />

mich besonders auf dem Kieker hatten, wie konnte ich<br />

nur immer so fröhlich sein?<br />

Etwa drei Monate später hieß es erneut „Besuch“. Lucie<br />

konnte es nicht sein, sie war erst vor einigen Tagen bei<br />

mir gewesen und hatte mir frische Hemden gebracht. Als<br />

ich in den Besucherraum kam traute ich meinen Augen<br />

nicht. Dort saßen Doris mit ihrer Schwester Juliane, die


es nach Hawaii verschlagen hatte. Die beiden Hatten<br />

sich in Los Angeles getroffen, und waren gekommen, um<br />

mich im Gefängnis zu besuchen. Doris liebte mich wohl<br />

noch immer, sie war nur für diesen Termin nach<br />

Deutschland gekommen, flog am nächsten Tag zurück.<br />

505<br />

Sie beugte sich über die kleine Brüstung zwischen uns,<br />

küsste mich fest, und schob mir mit der Zunge etwas in<br />

den Mund. Ich spürte einen Knoten, der in Plastik eingewickelt<br />

war. Wir unterhielten uns Hände haltend, was<br />

eigentlich verboten war, die Beamten waren von dieser<br />

schönen Frau so verdutzt, dass sie Alles durchgingen ließen.<br />

Als sie nach einer halben Stunde gehen musste,<br />

weinte sie bitterlich, ich rief ihr nach, dass ich die Situation<br />

im Griff hätte, sie sich nicht sorgen sollte, irgendwann<br />

müsste man mich entlassen. Das konnte sie wohl<br />

nicht trösten, ich hörte sie lange schluchzen.<br />

Zurück in der Zelle spuckte ich das in Plastik gewickelte<br />

auf meine Hand, hatte einen zwei Gramm großen<br />

Knubbel Feinstes Hasch erhalten. Sofort schickte ich einen<br />

Schließer zu Willi und Sacco, sie mögen am Abend<br />

zu mir kommen. Und wieder hatten wir Heidenspaß,<br />

waren bald zugedröhnt wie lange nicht. Ich machte mir<br />

so meine Gedanken, Doris au LA nach Aachen, um Eric<br />

zu sehen. Es schien mit ihrer Liebe in Kalifornien nicht<br />

weit her zu sein. Später schickte sie mir regelmäßig große,<br />

sehr schöne Karten und Briefe aus LA mit Liebesbezeugungen.<br />

Ich freute mich immer sehr über ihre Post<br />

aus Amerika.<br />

Auch Lucie schrieb mir viele Briefe, sie wusste, dass jeder<br />

Tag im Knast ohne Nachricht von draußen ein<br />

schwarzen Tag werden konnte.<br />

Die Kinder kamen in die Schule, ich konnte es nicht<br />

miterleben. Dann gingen sie zur ersten Kommunion,<br />

auch dieses Fest wurde ohne mich gefeiert. Lucie<br />

schickte mir regelmäßig Fotos von den Beiden, über die<br />

ich mich immer besonders freute.<br />

Nun war ich schon ein Jahr in Untersuchungshaft, wie<br />

ein Schwerverbrecher. Dabei war ich nur Drogenabhängig<br />

geworden, was später als Krankheit anerkannt wur-<br />

506<br />

de. Die andere Sache mit den drei Kilo war Aussage gegen<br />

Aussage, ich vermutete jedoch, dass der Staatsanwalt<br />

alles daran setzen würde, mir auch dies an die Backe zu<br />

kleben. Einen so sturen Hund wie mich hatte er noch<br />

selten erlebt. Andere Junkies plapperten fröhlich drauf<br />

los, rissen Freunde und wen immer sie kannten mit in<br />

ihre Sache mit rein, und kauften sich so frei. Das wollte<br />

ich auf jeden Fall vermeiden, außerdem gab es noch die<br />

Chance, dass die Zeugen beim Gerichtstermin anders<br />

aussagten, als bei der Polizei oder beim Zoll. Am Ende<br />

galt immer nur das, was bei Gericht gesagt wurde. Und<br />

demnach würde ich verurteilt werden.


Es kam ein neuer Haftprüfungstermin, wieder waren<br />

sechs Monate vergangen.<br />

Die gleiche Prozedur wie sechs Monate vorher, Besuch<br />

beim Untersuchungsrichter, Staatsanwalt noch immer<br />

sauer, beantragte Haftfortdauer, mein Anwalt beantragte<br />

Freilassung, Beratung.<br />

Während der Beratungsdauer wurde ich in eine enge<br />

dunkle Zelle gesperrt, musste warten. Dann klopfte ein<br />

Wärter an die Türe: „Sie werden freigelassen, alles Bestens“.<br />

Ich sprang auf, stieß mir fast den Kopf, und jubelte.<br />

Endlich frei, raus aus der Zelle, ab in die Freiheit,<br />

mein Herz schlug wie verrückt vor Freude. Dann kam<br />

der gleiche Schließer zurück, klopfte erneut: „ War ein<br />

Versehen, nicht sie kommen frei, war ein Anderer“. Ich<br />

fiel in mich zusammen und fing an zu heulen. Das konnte<br />

doch nicht war sein, was wollten die noch von mir?<br />

Ich hatte nie mit harten Drogen gedielt, nie auch nur einen<br />

Krümel verkauft, und sollte trotzdem weitersitzen.<br />

Ich war völlig außer mir, konnte die neue Nachricht<br />

nicht verarbeiten, mein Herz schlug Purzelbäume. Aber<br />

es war so, wie der Grüne zuletzt gesagt hatte. Es war ein<br />

Versehen. Der Typ wusste wohl nicht, was man einem<br />

507<br />

Gefangenen mit solchen Nachrichten antun konnte. Der<br />

sollte am Besten gleich gefeuert werden.<br />

So wurde ich zurück in meine Zelle transportiert. Abend<br />

erzählte ich meinen Kumpels von meinem Tag, sie fragten<br />

sofort, welcher Schließer das gewesen sei, ich hatte<br />

ihn nicht zu Gesicht bekommen, er hatte immer nur<br />

durch die verschlossene Türe gesprochen. Hans hätte<br />

ihm im Dunkeln eine Lektion in Namenslehre verpasst.<br />

Meine Freunde verstanden gut, wie mir jetzt zu Mute<br />

war. Dieser Zustand dauerte eine Weile, bis ich die Verwechslung<br />

bei dem Haftprüfungstermin verdaut hatte.<br />

Jetzt war ich schon ein Jahr in Untersuchungshaft, nun<br />

hatte ich erst recht keine Lust mehr, den von mir eingeschlagenen<br />

Weg der Nichtaussage zu ändern. Man konnte<br />

ja nie wissen. Es konnte immer noch geschehen, dass<br />

die Zeugen wirklich umfielen, ihre Aussagen zurückzogen,<br />

dann wäre ich frei, der Staatsanwalt endgültig angepisst.<br />

Die Hoffnung starb zuletzt.<br />

Bald hatte ich die Gewohnheit und meine gute Laune<br />

zurückgefunden, es gab wieder viel zu lachen. Über die<br />

Schließer, meistens Dummschädel, die ja eigentlich Lebenslänglich<br />

hatten. Tag für Tag und Nacht für Nacht<br />

mussten sie sich wegschließen lassen, um uns auf und ein<br />

zu schließen. Kein lustiger Job. Die paar Stunden die sie<br />

in Freiheit verbringen durften waren sicher auch nicht<br />

gerade angenehm, wir stellten uns vor, wie sie von ihren<br />

Weibern behandelt wurden. Dummschädel waren fette<br />

Beute für Frauen, sie konnten mit ihnen machen was<br />

immer sie wollten. Sicher hatten sie die Oberhand in<br />

den Beziehungen, machten ihren Ernährern das Leben


schwer. Wir lachten uns schlapp darüber. In den Knastgängen<br />

spielten sie dann die großen Macker und klapperten<br />

mit den dicken Schlüsseln.<br />

Ein weiteres halbes Jahr Zellenaufenthalt war vorüberge-<br />

508<br />

gangen, der große Prozess wurde angekündigt. Ich hatte<br />

nun gründlich die Schnauze voll vom Aachener Knast,<br />

Willi war weg, in einen anderen Knast verschoben, Sacco<br />

hatte sich vier Jahre eingefangen, war auch weg, nur<br />

Hans war noch da, er hatte einen größeren Gerichtstermin<br />

zu erwarten, bei der Schießerei hatte er einen Polizisten<br />

verletzt.<br />

Mein Anwalt kam ein letztes Mal zu mir, wir besprachen<br />

mein Verhalten im Prozess, weiterhin keine Aussage, nur<br />

Reaktion auf die Aussagen der Zeugen. Lucie kam noch<br />

immer regelmäßig zu Besuch, ich machte sie mit meiner<br />

Eifersucht fertig, meist verließ sie weinend den Besucherraum.<br />

Ich benahm mich wie der letzte Arsch. Tabletten<br />

brachte sie nicht mehr, das war ihr zu heiß geworden.<br />

Ich schlief mittlerweile auch Ohne.<br />

Der Prozess begann. Ich hatte mich fein angezogen,<br />

wollte die Richter positiv beeindrucken. Dann kam<br />

meine erste Zeugin, Monika heulte bitterlich, als sie<br />

mich auf der Anklagebank sah. Sie hatte wohl begriffen,<br />

dass sie mir zu unrecht Jahrelanges Knastschieben eingebracht<br />

hatte. Sie sagte dass es nicht meine Schuld gewesen<br />

sei, dass sie süchtig wurde, erzählte wahrheitsgemäß,<br />

dass sie schon süchtig auf Valeron war, bevor sie mich<br />

kennen lernte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, diese Aussage<br />

sollte mir positiv angerechnet werden. Glaubte ich.<br />

Dann kam der nächste Zeuge, dieser Typ Robert, der<br />

mir drei Kilo Schit anhängen wollte, die ich nie nach<br />

Duisburg gebracht hätte. Aber er erzählte den Gleichen<br />

Scheiß wie bei der Vernehmung durch die Polizei, bestätigte<br />

seine Aussage vor dem Richter. Ich sprang von der<br />

Bank, schreie laut: „ Lügner“, man rief mich zur Ordnung,<br />

der Typ konnte gehen.<br />

Der Staatsanwalt hielt sein Plädoyer, bezichtigte mich als<br />

Haschdealer, und als den, der eine unschuldige Arzthel-<br />

509<br />

ferin süchtig gemacht, und um ihre Ersparnisse von dreißigtausend<br />

Mark gebracht hatte. Dies sei ein schwerer<br />

Fall von Betäubungsmittelvergehen, er beantragte Fünf<br />

Jahre und drei Monate Gefängnis. Er hatte die vielen<br />

Fahrten nach Holland, das Einschmuggeln von Heroin<br />

zusammengerechnet, jedes Mal ein Schmuggel, das ergab<br />

dann vierzig Mal Grenzvergehen, so kam er auf die hohe<br />

Strafe. Aber auch nur, weil ich mich als sturer Hund<br />

gezeigt hatte, des konnte er nicht verknusen.<br />

Bevor mein Anwalt sein Plädoyer hielt, gab es eine Pause.<br />

Auf dem Gang stand Lucie. „Bitte kauf mir ein Kotelett<br />

in der Kantine“, bat ich sie, „ hier gibst so gut wie<br />

kein Fleisch“. „Wie kannst du jetzt an Fleisch denken“,


egte sich mein Anwalt auf, „hast du nicht gehört, was<br />

der Staatsanwalt gerade beantragt hat“? „Doch, aber du<br />

wirst die Sache schon schaukeln“, vertraute ich ihm.<br />

Der Antrag hatte mich kaum getroffen, eine Etage unter<br />

mir im Knast saß ein älterer Gefangener, der seine Frau<br />

mit einem großen Küchenmesser erstochen hatte, und<br />

nur fünf Jahre dafür bekommen hatte, ich würde doch<br />

sicher nicht mehr bekommen, als ein Mörder.<br />

Böhm lief auf dem Flur im Kreis, fasste sich mit geschlossenen<br />

Augen an den Kopf, und überlegte wohl angestrengt,<br />

wie er mich da ´raushauen könnte. Ich verzehrte<br />

in aller Ruhe mein Kotelett, Lucie betrachtete<br />

mich Sorgenvoll, nur ich hatte die Ruhe weg.<br />

Dann ging die Chose weiter. Böhm fing mit seinen<br />

Sprüchen an, erklärte, dass Monika ja wohl von ihrem<br />

Risiko hätte wissen müssen, und ich nie Hasch nach<br />

Duisburg geschleppt habe, hier ständen Aussage gegen<br />

Aussage. Es läge ein minder schwerer Fall vor, er beantragte<br />

Bewährung.<br />

Der Richter entschied auf Lokaltermin, das Auto sollte<br />

überprüft werden, man wolle feststellen, ob die Zöllner<br />

510<br />

beim Schmuggel das Versteck hätten sehen müssen, oder<br />

ob wir das Heroin so raffiniert versteckt hätten, dass kein<br />

Zollbeamter es hätte sehen können.<br />

Ich kam noch einmal für eine Woche zurück in meine<br />

Zelle, dann sollte das Auto vorgeführt werden.<br />

Und es wurde vorgeführt. Im Hof des Gerichtsgebäudes<br />

stand der kleine Mini Cooper, Monika am heulen, als sie<br />

sah, wie ich in Handschellen in den Hof geführt wurde,<br />

ich dachte mir meinen Teil.<br />

Wir hatten die kleinen Päckchen immer innen unter das<br />

Dach des Autos platziert, indem wir einen Teil herunterzogen.<br />

Die Lücke war so winzig, dass kein Zöllner sie<br />

hätte sehen können. Aber Monika hatte das Teil so weit<br />

hinuntergezogen, dass es jedem Idioten hätte auffallen<br />

müssen, dass da etwas nicht stimmte.<br />

So sah es auch der Richter, und entschied auf minder<br />

schweren Fall. Staatsanwalt war wieder sauer, ich bekam<br />

jedoch ein hübsches Päckchen zu tragen, vier Jahre und<br />

drei Monate.<br />

Ich saß ja schon ein und halbes Jahre, somit blieben einundzwanzig<br />

Monate, die ich zu noch zu bleiben hätte.<br />

Wir gingen in Revision, das Urteil sollte von übergeordneten<br />

Richtern geprüft werden. Eine so hohe Strafe<br />

wegen Eigenkonsums von Betäubungsmitteln schien<br />

mir und auch meinem Anwalt viel zu hoch. Ich hatte<br />

mich jedoch schon so sehr an das Leben im Knast gewöhnt,<br />

es machte mir schon fast nichts mehr aus.<br />

Lucie war heilfroh, dass der Staatsanwalt mit seinem Antrag<br />

nicht durchgekommen war, und ich bei guter Führung<br />

noch etwas über ein Jahr eingesperrt bleiben würde.<br />

Das wären zwei Drittel von der Gesamtstrafe. Also


fast genau drei Jahre insgesamt. Ganz schön viel, dafür<br />

dass ich süchtig war, und das Zeug eben nur in Holland<br />

zu einem einigermaßen günstigen Preis angeboten wur-<br />

511<br />

de. So musste ich schmuggeln, das einzige Delikt, für das<br />

ich im Endeffekt verurteilt wurde.<br />

Monika hatte ein Jahr auf Bewährung erhalten, weil sie<br />

mich den Bullen ans Messer geliefert hatte. Sie waren ja<br />

schon lange hinter mir her, nun hatten sie endlich einen<br />

Grund, mich festzusetzen.<br />

Wenn ich bedachte, was ich so alles angestellt hatte, das<br />

man mir nie beweisen konnte, war ich eigentlich gut<br />

weggekommen, mein einziger Trost. Nun konnte ich<br />

mich für einen „Verschub“ fertig machen, ich würde sicher<br />

bald in einem anderen Knast landen, Aachen war<br />

nur für Untersuchungshäftlinge zuständig, jetzt war ich<br />

verurteilt, und würde mich sonst wo wieder finden.<br />

So ein Verschub war das Letzte. Man kam in einen großen<br />

grünen Bus, indem sich kleine Zellen befanden, in<br />

die man eingeschlossen wurde. Die hölzernen Sitzbänke<br />

waren schmal und nicht für längere Reisen konzipiert.<br />

Aber die Reise wurde sehr lang. Zunächst ging es von<br />

Aachen nach Köln, in den Knast natürlich. Dort gab´s<br />

Erbsensuppe, und Wartezeit. Bis dann von dort andere<br />

Gefangene in den Transporter geladen waren, ging´s<br />

weiter nach Duisburg.<br />

Duisburg-Hamborn war die Knastverteileranlage für<br />

Strafgefangene, also Verurteilte. Hier wurde geprüft, wer<br />

was begangen hatte, wie lange die Strafe war, dann wurde<br />

man auf einzelne Gefängnisse im Raum NRW weitergeleitet.<br />

Dieser Prozess dauerte zwei Monate, also<br />

musste ich mich erneut einrichten, den Bücherfritzen<br />

bestechen, mir eine Leibwache organisieren, und warten.<br />

Nach ca. drei Wochen, ich ahnte nichts Böses, rief ein<br />

Idiot auf dem Weg zum Hofgang zu mir hoch: „Hey<br />

Eric, hast du das Dope auch nicht vergessen“? „Du<br />

Scherzkeks“, antwortete ich nur, und ging die drei Treppen<br />

hinunter in den Hof. Ich hatte den dummen Spruch<br />

512<br />

längst vergessen, als ich bei der Rückkehr vom Kreise<br />

laufen an der Eingangstüre angehalten wurde. „Bleiben<br />

sie ´mal stehen“, befahl ein Beamter. Und schon war ich<br />

von Polizisten in Zivil umringt, die sogar einen Schäferhund<br />

bei sich führten. „Ausziehen“, orderte einer der<br />

Bullen. „Was wollt ihr von mir, ich hab doch nichts getan“.<br />

„Schnauze, ausziehen“.<br />

Ich war mir keiner Schuld bewusst, und fing in dem<br />

kleinen Flur, der zu den Treppen führte, an, mich auszuziehen.<br />

Als ich dann meine Klamotten um mich verteilt<br />

hatte, musste ich die Unterhose auch noch ausziehen,<br />

stand nackt vor den an mir vorbeilaufenden Mitknästlingen,<br />

und schaute sicher dumm auf meine Wäsche am<br />

Boden, und auf die Beamten, die sich daran zu schaffen


machten. Sie drehten alles auf links, checkten jede Naht<br />

meiner Kleidung, ließen ihren Köter darüber laufen und<br />

schnüffeln, fanden natürlich nichts.<br />

„Was soll der Scheiß“, fragte ich in die Runde, der Hund<br />

schaute mich blöde an, ich ihn auch.<br />

„Ab in die Zelle“, war das nächste Kommando. Ich zog<br />

mich also wieder an, verabschiedete mich freundlich von<br />

den ziemlich dumm dreinschauenden Zivilen, auch vom<br />

Hund, und begab mich auf den Weg in die Zelle.<br />

Oben angekommen fand ich ein totales Chaos vor. Die<br />

hatten jeden Winkel meiner Zelle abgesucht, all meine<br />

Sachen lagen verstreut auf dem Boden, das Bett war völlig<br />

auseinander genommen, man hatte sich hier richtig<br />

vergnügt.<br />

Also musste ich erstmal Ordnung schaffen, und fragte<br />

mich dauernd, wie es zu dieser Situation gekommen<br />

war. Nach langer Überlegung wusste ich plötzlich, es<br />

war der doofe Spruch von einem mir völlig unbekannten<br />

Mithäftling, als ich in die Freistunde ging. `Hast du<br />

das Dope…`. Nur wegen eines solchen Spruchs hatte<br />

513<br />

man alles auf den Kopf gestellt, glaubte ernsthaft ich<br />

deale mit Schit im Knast. Die mussten ja sehr unmögliche<br />

Anweisungen vom Staatsanwalt bekommen haben,<br />

wenn sie einen solchen Zirkus mit mir veranstalteten.<br />

Ich konnte letztlich nur den Kopf schütteln, mich in<br />

mein Buch vertiefen, den Tag herumkriegen. Ich hatte<br />

die Sache schnell vergessen, ein Buch hatte mich einmal<br />

mehr aus der Zelle katapultiert.<br />

Nach den zwei Monaten in Duisburg hatte man beschlossen,<br />

mich in das Gefängnis Willich zu verlegen,<br />

dort sollte ich den Rest meiner Strafe absitzen. Willich<br />

lag bei Mönchengladbach, und war als übler Knast berüchtigt.<br />

Dort saßen nur die ganz harten Jungs, bis hin<br />

zu Mördern, die zu Lebenslänglich absitzen mussten. Was<br />

sollte ich in einem solchen Gefängnis, ich war doch eigentlich<br />

nur ein kleiner Fisch. Sicher wieder eine<br />

schmutzige Maßnahme vom Aachener Staatsanwalt, der<br />

mir keine gute Zeit wünschte. Anders konnte ich mir die<br />

Sache nicht erklären.<br />

Der Knast war ziemlich neu, die Zellen sehr sauber, und<br />

es gab auch ein Haus für weibliche Strafgefangene. Ich<br />

hatte ein sehr ungutes Gefühl, als ich das erste Mal zur<br />

Freistunde in den Hof kam. Die Knackis schaute ich mir<br />

Alle genau an, viele ziemlich üble Gestalten liefen da im<br />

Kreis herum. Aber was sollte es schon, irgendwie musste<br />

ich mich arrangieren, zog meine Runden jedoch erstmal<br />

wieder alleine. Bis ich dann einige Tage später einen Bodo<br />

kennen lernte, der auch wegen BTM verurteilt war.<br />

Er hatte sieben Jahre für Schmuggel von Heroin aus der<br />

Türkei nach Deutschland eingefangen. Er wurde schon<br />

am Flughafen verhaftet, hatte seinen Einsatz sofort verloren.<br />

Eigentlich eine gute Sache, dachte ich mir, denn


mit solchen Drogen dealt man nicht. Er war aber einigermaßen<br />

nett, so unterhielt ich mich ab und an mit<br />

514<br />

ihm.<br />

Eines Tages gab er mir ein paar Pillen, „zum Schlafen“,<br />

sagte er mir. So waren sie auch. Zunächst probierte ich<br />

eine Halbe, schlief nach einigen Minuten tief und fest<br />

ein. `Gute Sache`, dachte ich, und nahm dann schon<br />

Tagsüber die Schlafkanonen. Bald wirkten sie jedoch<br />

nicht mehr nur zum schlafen, ich fühlte mich high von<br />

den Dingern, wenn ich mich wach hielt. Ich kaufte von<br />

Tabak und Kaffe mehr Tabletten, täglich war ich high bis<br />

unter die Schädeldecke, nachts schlief ich gut.<br />

So war der Knast auch in dem berüchtigten Willich erträglich,<br />

bis ich nur noch die Treppen ´rauf und ´runterfiel,<br />

so viele Pillen hatte ich mir eingefahren. Kaffee<br />

brauchte ich eh nicht, also versetzte ich meinen ganzen<br />

Bestand, den ich in Aachen angesammelt hatte für „Medinox“<br />

ein, so hießen die Dinger.<br />

Es dauerte keine drei Wochen, da wurde ich zum Direktor<br />

zitiert. „Sie laufen ja kaum noch gerade, habe ich von<br />

meinen Beamten gehört, was schlucken sie denn da“,<br />

fragte der Direktor sofort. „Ich, ich schlucke nichts, fühle<br />

mich nur oft sehr schwach, kann am Essen liegen“,<br />

antwortete ich lallend. Das war dem Obermacker der<br />

Anstalt aufgefallen. „Hören sie auf mit dem Mist, sonst<br />

muss ich Maßnahmen ergreifen“, warnte er mich. Man<br />

führte mich in meine Zelle zurück.<br />

Ich hörte nicht auf, torkelte weiter durch die Gefängnisgänge,<br />

fiel nun wirklich oft aufs Maul, machte mir aber<br />

nichts draus. Durch die Pillen flog ich auch aus der engen<br />

Zelle, ich merkte nicht mehr wo ich mich befand.<br />

Lesen konnte ich nicht mehr. Als ich keinen Kaffee mehr<br />

hatte, versetzte ich die Gitarre, die Lucie mir schon in<br />

Aachen besorgt hatte. Sie erfüllte mir jeden Wunsch, und<br />

ich benahm mich wie ein Bescheuerter. Immer belagerte<br />

ich ihre Gedanken mit meinen Eifersüchteleien, mal-<br />

515<br />

te mir in der Zelle Sonst was aus, das sie vielleicht draußen<br />

trieb. Ich wurde schier verrückt bei dem Gedanken,<br />

dass sie vielleicht mit einem Anderen im Bett läge, was<br />

aber nie der Fall war, wie ich später erfahren konnte.<br />

Meine Eifersucht trieb mich zum Wahnsinn, und ich<br />

Lucie auch.<br />

Als die Anstaltsleitung sah, dass ich meinen Tablettenkonsum<br />

in keiner Weise einschränkte, wurden Maßnahmen<br />

getroffen. „Hier können sie nicht bleiben“, sagte<br />

ein Sozialarbeiter eines Tages. „Wir werden sie in ein anderes<br />

Gefängnis überführen, wir können die Verantwortung<br />

für sie hier nicht weiter übernehmen“. Ich war jetzt<br />

schon zehn Wochen in Willich, und immer high.<br />

„Aufstehen, Sachen packen, sie werden verlegt“, schrie<br />

eines Morgens ein Beamter, nachdem er meine Zellentüre


krachend aufgerissen hatte. „Was ist los“, fragte ich<br />

völlig benommen, der Typ hatte mich aus Tiefschlaf geweckt.<br />

„Sie gehen nach Münster“, informierte mich der<br />

Schließer.<br />

Münster? Was sollte ich in Münster, das war ja noch weiter<br />

weg von Merschenich. Wie sollte mich da Lucie besuchen<br />

kommen? Und überhaupt.<br />

Mir half kein Gezeter, keine Beschwerde, ich wurde einfach<br />

aus der Zelle in einen großen Raum geführt, in<br />

dem schon andere Häftlinge saßen.<br />

Meine Klamotten mussten die Grünen packen, ich hatte<br />

das nicht geschafft, war viel zu benommen von den sicher<br />

fünf Tabletten, die ich am Vortag geschluckt hatte.<br />

Ich hatte noch einige Pillen in meiner Unterhose versteckt,<br />

die hatte man nicht gefunden. Zwei schmiss ich<br />

mir ein, ließ gleich meinen Kopf hängen. Es war mir<br />

völlig Gleichgültig, was man nun mit mir anstellte.<br />

Mit Hilfe von zwei Kopfschüttelnden Beamten wurde<br />

ich in den großen Bus gepackt, in eine der kleinen Zel-<br />

516<br />

len geschlossen, und ab ging die Reise, ca. 120 Kilometer<br />

weit. Ich merkte nichts von der langen fahrt, plötzlich<br />

war ich angekommen, durch viele Gänge geführt, in<br />

eine Zelle gesperrt, die sich in nichts von den Vorherigen<br />

unterschied. Vier mal zwei Meter, gleiche Ausstattung,<br />

eben Knast. Ich schluckte die letzten Pillen, und<br />

schlief erst mal zwei Tage. Dann wurde ich zitternd<br />

wach, spürte Entzugserscheinungen. Ich kannte das Gefühl<br />

vom Heroin, nur nicht ganz so stark, trotzdem heftig.<br />

„Einen Arzt“, verlangte ich, nachdem ich die Klingel gedrückt<br />

hatte, und ein Beamter erschien.<br />

„geht jetzt nicht, melden sie sich morgen früh“. Türe<br />

flog zu. Morgen Früh war lange hin, ich malte mir schon<br />

jetzt aus, wie der Tag und die folgende Nacht verlaufen<br />

würden.<br />

Nach vier Stunden klingelte ich erneut, ein Beamter erschien,<br />

es war die Ablösung für die Nachtwache, er<br />

kannte mich nicht. Ich erzählte ihm gequält von meinen<br />

Beschwerden, dass ich dringend einen Arzt brauche, sterben<br />

würde. „Mal sehen“, sagte der Mann und schloss die<br />

Türe.<br />

Dreißig Minuten später kam er zurück. „Mitkommen“.<br />

Ich folgte ihm durch die langen Gefängnisflure und Etagen,<br />

stand dann einem älteren bärtigen Herrn in Zivil<br />

gegenüber.<br />

„Wo sind die Beschwerden“, fragte er mich, ich erzählte<br />

ihm wie lange ich die Pillen geschluckt hatte, mich<br />

nun sauelend fühle. „Selbst Schuld, sie kennen sich doch<br />

mit Betäubungsmitteln aus, wie ich aus ihrer Akte entnehme“.<br />

„Ja klar, aber das Zeug hat mir in Willich geholfen<br />

die Zeit halb ohnmächtig zu überleben, es war<br />

die Hölle“. „Ich gebe ihnen jetzt ein Beruhigungsmittel,<br />

nicht so stark wie die Mandrax, aber es sollte ihnen hel-


517<br />

fen“. Er gab mir zwei von den grünen Würmern, die ich<br />

schon aus Aachen kannte. „Danke, ich denke das wird<br />

mir über die Nacht helfen“. „Morgen früh melden sie<br />

sich wieder, dann sehen wir weiter“, verabschiedete<br />

mich der freundliche Mensch.<br />

Die Zwei Tabletten beruhigten mich wirklich, ich fiel<br />

nach einer halben Stunde in Schlaf. Sie hatten wohl einen<br />

Wirkstoff, der auch in den Teufelspillen aus Willich<br />

war, jedenfalls war ich fürs Erste fast gesund. Morgen<br />

würde ich weiter sehen.<br />

Am nächsten Morgen jedoch kamen die körperlichen<br />

Horroreffekte zurück, ich meldete mich erneut beim<br />

Doktor. „Das wird auch noch einige Tage dauern, bis sie<br />

das Zeug aus dem Körper haben, nehmen sie weiterhin<br />

diese (grünen) Tabletten, eine Morgens, Mittags und<br />

Abends“, empfahl mir der Arzt. Ich nahm die drei Tabletten<br />

mit auf die Zelle, nahm Eine, es ging mir schon<br />

bald etwas besser. Nach drei Tagen war ich geheilt, ich<br />

spürte keinerlei Entzug mehr. Das war geschafft, nun<br />

musste ich mich in Münster zurecht finden.<br />

Ich hatte noch ein Jahr abzusitzen.<br />

Ein Sozialarbeiter meldete sich bei mir. „Wir haben hier<br />

in Münster eine Therapieabteilung für Drogenabhängige,<br />

wäre das nichts für sie“, erklärte er mir. „Doch, ich<br />

bin ja sowieso für ein Jahr hier, ich würde das Angebot<br />

gerne annehmen“. „Ich melde mich wieder bei ihnen“,<br />

verabschiedete sich der junge Mann. Nun war ich gespannt<br />

was da kommen sollte.<br />

Herr Meuser kam am nächsten Tag, um mich abzuholen.<br />

Wir gingen über einen Hof in ein anderes, kleineres<br />

Gebäude, Gitter vor den Fenstern, also war ich immer<br />

noch im Knast. Wäre ja auch zu schön gewesen. Hier<br />

war die Therapieabteilung. Eine ältere Dame empfing<br />

mich freundlich lächelnd an der Eingangstüre, „Ich bin<br />

518<br />

Dr. Rau, ich leite diese Abteilung“. Sie nahm mich mit<br />

in den Bau, ein großer breiter Flur, eine Küche, und<br />

sechs Zellen. Es liefen einige junge Leute herum, sicher<br />

Junkies, die nun hier therapiert werden sollten.<br />

„Sie müssen zunächst an einem Aufnahmegespräch teilnehmen,<br />

dann werden wir Alle entscheiden, ob sie zur<br />

Therapie geeignet sind“, erklärte mir Dr. Rau. Ich sah<br />

noch zwei Frauen, die wohl auch Sozialarbeiterinnen<br />

waren. Ich durfte mich umschauen, lugte in die Zellen,<br />

sie waren viel größer als die normalen zwei mal vier<br />

Knastzellen, fast schon Zimmer, die auch nett eingerichtet<br />

waren. Drei der Zimmer waren für je zwei Mann,<br />

drei Einzelräume. Es befanden sich sieben Häftlinge auf<br />

der Station, sie war für acht ausgerichtet. In einem<br />

Gruppenraum hatten sich die dort wohnenden, die Ärztin<br />

und zwei Sozialarbeiter im Kreis zusammengesetzt,<br />

ich musste in der Mitte des Kreises Platz nehmen.


Schon prasselten Fragen aus allen Richtungen auf mich<br />

ein. „Willst du wirklich Drogenfrei leben“? „Warum“?<br />

„Was hast du draußen alles genommen“? „Wieso bist du<br />

hier“? „Meinst du das auch wirklich ernst, oder willst du<br />

dich nur vom Knast drücken“? Ich antwortete wahrheitsgemäß,<br />

wie ich an die Drogen geraten war, wie ich<br />

in Willich nur herumgetorkelt war, ich sagte einfach Alles.<br />

Auch dass ich vorhatte die Therapie durchzuziehen,<br />

um draußen clean zu bleiben. Dann gab es eine kurze<br />

Beratung, bei der ich nicht anwesend sein durfte, wurde<br />

zurück in den Raum gerufen, „herzlichen Glückwunsch,<br />

wir haben beschlossen sie hier aufzunehmen“,<br />

sagte die Ärztin freundlich. Erfreut war ich auch, hier<br />

würde ich für das Jahr, das ich noch brummen musste, sicher<br />

besser aufgehoben sein, als in einer kleinen Zelle.<br />

Die Leute, die mich vorher ziemlich aggressiv angemacht<br />

hatten, kamen nun zu mir, gaben mir die Hand,<br />

519<br />

stellten sich vor, waren wie verwandelt, alles nette Zeitgenossen,<br />

die den gleichen Weg gegangen waren wie<br />

ich. Nur Einer schaute mich kritisch an, Ingo aus Düsseldorf,<br />

ein großer, sehr drahtiger Kerl, der sicher das<br />

Kommando hatte. „Benimm dich hier, dann kommen<br />

auch wir klar“, brummte er bei unserer Begrüßung.<br />

Ich ging mit Isa, einer der Sozialarbeiterinnen in meine<br />

Zelle, holten alle meine Klamotten ab, ich wurde gründlich<br />

durchsucht, ob ich nicht eventuell etwas Verbotenes<br />

einschmuggeln wollte, dann kam ich in einen Raum mit<br />

Bodo, der war schon drei Monate hier. Er hatte Poster<br />

über seinem Bett, ein Regal an der Wand, sich einigermaßen<br />

gemütlich eingerichtet.<br />

Ich bekam das zweite Bett im Raum, Bodo sagte mir, ich<br />

könne mich einrichten wie ich wolle, wenn er mir helfen<br />

könne, solle ich ihn fragen.<br />

Beim Essen am Abend saßen wir Alle zusammen im<br />

Gruppenraum, ein sehr viel anderes Gefühl, als in einer<br />

Zelle alleine zu essen. Auch die Toiletten waren außerhalb<br />

der Räume, das Leben hier war völlig anders als im<br />

richtigen Knast. Ich war nun sehr froh hier zu sein, auch<br />

wenn es weit von meiner Heimat war. Ich hatte Lucie<br />

schon gesagt, dass sie mich nicht mehr so oft zu besuchen<br />

brauchte, es war zu weit für sie, und ich kam auch<br />

alleine klar. Trotzdem freute ich mich über jeden Brief<br />

von ihr und den Kindern, wartete täglich ungeduldig auf<br />

Post. Besuch war natürlich der Höhepunkt eines Monats,<br />

auf den wir uns geeinigt hatten.<br />

Auch bekam ich regelmäßig Post aus Los Angeles, immer<br />

sehr schöne, große geschmackvoll bunte Karten von<br />

Doris. Aus Stockholm, schrieb mir Linnéa, mit der ich ja<br />

in Ibiza sehr stark aneinander geraten war, die dort mein<br />

Herz elektrisiert hatte. Nun berichtete sie mir auch von<br />

ihrem Job in Schweden, über den wir im Liebesrausch<br />

520


auf der Insel im Mittelmeer nie gesprochen hatten. Sie<br />

war Einkäuferin für Filme für das Schwedische Fernsehen,<br />

flog permanent von einem Filmfestival zum Anderen<br />

und suchte das Spielfilm-Unterhaltungsprogramm<br />

für die Schwedischen Fernsehzuschauer. Eine äußerst<br />

verantwortungsvolle Tätigkeit, die sie mit aller Hingabe<br />

ausübte. Ich mochte sie noch immer sehr, nach unseren<br />

Liebestagen und -Nächten auf Ibiza waren wir immer<br />

gute Freunde geblieben. Sie schrieb mir regelmäßig von<br />

wo sie gerade war. Berlin, Cannes, Venedig, Los Angeles,<br />

Tokio und alle Städte, die Filmfeste veranstalteten wurden<br />

mir so bekannt.<br />

Jürgen schrieb mir ab und an einen Brief, aus dem ich<br />

immer erlesen konnte, dass er ein überzeugter Junkie geblieben<br />

war, nichts daran zu ändern suchte. Trotzdem<br />

freute ich mich über seine Post, Jürgen war mein Bruder.<br />

Jeder Brief in den Knast behandelte man beim Eintreffen<br />

wie einen Schatz.<br />

Mein Leben als Gefangener hatte sich in der Therapieabteilung<br />

völlig verändert. Hier war ich ein Mensch,<br />

kein „Knacki“. Es gab Gruppengespräche, Einzelgespräche<br />

mit der Ärztin und anderen Psychologen, Kontakte<br />

zu den Sozialarbeiterinnen, alles Maßnahmen, mich aus<br />

der Sucht hinauszuführen.<br />

Mit Ingo freundete ich mich dann doch so langsam an.<br />

War er zuerst ein Brummbär, der mir nicht über den<br />

Weg trauen wollte, so begann nach ungefähr zwei Monaten<br />

eine sehr intensive Freundschaft zwischen uns<br />

Beiden. Wir spielten täglich Backgammon, wurden richtig<br />

gut, unschlagbar. Auch machten wir viel Sport, ich<br />

wurde fast zur Fußballkanone, was ich früher nie gespielt<br />

hatte. Es machte mir einen Heidenspaß, ich wurde richtig<br />

fit.<br />

Eines Tages wurde uns Arbeit angeboten. Wir sollten<br />

521<br />

draußen in Münster in einer Gärtnerei arbeiten, die einen<br />

Großauftrag erhalten hatte. Sofort waren wir waren<br />

sofort einverstanden, wollten den Job machen. Bodo, Ingo<br />

und ich fuhren morgens hinaus in eine neu anzulegende<br />

Parkanlage, wo wir Rollrasen verlegen sollten. Es<br />

war Sommer, die Arbeit machte richtig Spaß. Oft fuhr<br />

ich sogar mit einem kleinen Traktor über das Gelände,<br />

und verteilte die Rollen Rasen, fünf cm hoher Boden,<br />

auf dem kurzer Rasen angewachsen war. Dieses jungfräuliche<br />

Gras wurde vor- und nebeneinander gelegt,<br />

gewässert, so entstand eine große Rasenfläche.<br />

Abends fuhren wir zurück in den Knast, wo man mit Essen<br />

auf uns wartete. Mittlerweile hatte ich einen Raum<br />

für mich alleine bekommen, den ich mir wohnlich eingerichtet<br />

hatte. Nach Feierabend spielte ich mit Ingo<br />

weiterhin Backgammon, und las später bis zum Einschlafen<br />

in meinen vielen Büchern, die ich stets vom Bibliothekar<br />

erhielt. Das Lesen war Freiheit für mich, ich


eiste weiter durch die Welt, wie früher als Beatnik.<br />

An Drogen verschwendete ich keinen Gedanken mehr,<br />

ich war richtig gesund geworden. Selbst simples Aspirin<br />

gegen manchmal aufkommende Kopfschmerzen wurde<br />

Tabu, ich regulierte die Beschwerden mit Chinesischer<br />

Salbe. Die Arbeit draußen unter der Sonne half mir sehr,<br />

die Vergangenheit zu bewältigen. Meine Haut war schon<br />

so braun gebrannt, als sei ich im Urlaub am Mittelmeer<br />

gewesen. Geld verdiente ich auch, jeden Monat wurden<br />

mir dreihundert Mark aufs Konto gutgeschrieben. Nicht<br />

viel, aber schon der Aufenthalt außerhalb der Gefängnismauern<br />

war Belohnung genug.<br />

Eines Tages erhielt ich einen Brief von Lucie, der mich<br />

in Mark und Bein traf, mein Herz zum bluten brachte.<br />

Sie hatte Jemand kennen gelernt, in den sie sich verliebt<br />

522<br />

hatte, und der sie wohl auch liebte. Ich war sehr aufgeregt,<br />

so etwas hätte ich mir im Traum nicht vorstellen<br />

können, ich war mir der Liebe von Lucie so sicher, dass<br />

mir ein Gedanke an einen neuen Geliebten für sie im<br />

Traum nicht gekommen wäre. Dass sie sich vielleicht<br />

vergnügte, was meine Eifersucht anstachelte, konnte ich<br />

mir schon vorstellen, hatte ich ja auch oft genug unbegründet<br />

getan. Dass sie sich jedoch völlig von mir abwenden<br />

würde, wäre mir niemals in den Kopf gekommen.<br />

Und doch schien es so zu sein, nie hätte sie mir so etwas<br />

im Scherz geschrieben. Ich war außer mir, konnte keinen<br />

klaren Gedanken mehr fassen, zudem völlig machtlos,<br />

ich konnte nicht eingreifen, war eingesperrt. Ich<br />

dachte sogar an Flucht, schnellstes nach Hause, und die<br />

Sache irgendwie beenden, Es wäre mir leicht gefallen,<br />

mich von der Arbeit zu entfernen, nach Merschenich zu<br />

fahren, aber dann hätte ich die vier Jahre und drei Monate<br />

voll absitzen müssen, meinen Chance nach zwei<br />

Dritteln der Strafe entlassen zu werden wäre vertan.<br />

Ich hatte bald die Möglichkeit, dass mich Lucie besuchen<br />

konnte, ich mit ihr nach draußen gehen, einen Tag<br />

alleine mit ihr verbringen dürfe.<br />

Sie kam dann auch. Sie war kühl, sagte mir dass es mit<br />

uns vorbei sei, und sie nun ein neues Leben beginnen<br />

würde. Ich redete auf sie ein. „Wie kannst du mir das antun,<br />

wir sind schon so lange zusammen, und was ist mit<br />

den Kindern“, sagte ich in meiner Verzweiflung. „Die<br />

Kinder bleiben natürlich bei mir, du wiest sicher nicht<br />

mit ihrer Erziehung zurechtkommen“, sagte sie klar und<br />

deutlich. Sie lud mich zum Kaffee ein, „ wenn du möchtest,<br />

können wir in ein Hotel gehen, du hast ja nun lange<br />

keine Frau mehr gesehen“, lud sie mich ein. Ich nahm<br />

das Angebot gerne an, dachte auch, dass ich sie so auf an-<br />

523<br />

dere Gedanken bringen könne. Außerdem hatte ich mir<br />

schon vor dem Besuch vorgestellt, wie es wäre, endlich<br />

wieder mit ihr schlafen zu können.


Wir gingen in ein Hotel, Lucie bezahlte, mieteten ein<br />

einfaches Zimmer mit einem großen Bett. Sofort begann<br />

Lucie sich auszuziehen, legte sich aufs Bett. Keinerlei<br />

Zärtlichkeit vorher, einfach nur ins Bett. Auch ich<br />

legte mich auf die Schlafstädte, und fasste sie zärtlich an.<br />

Sie ließ alles geschehen, war auch lieb zu mir, ich stellte<br />

jedoch eine Kälte fest, die ich bei ihr nie gespürt hatte.<br />

Ich stand auf und zog mich wieder an. „So nicht, das<br />

kann ich nicht, ich bin doch nicht im Puff“, regte ich<br />

mich auf. Sie schüttelte nur lächelnd den Kopf, zog sich<br />

an, wir verließen das Hotel. „Es tut mir leid, mehr gibt’s<br />

nicht mehr von mir“, sagte sie klar. „Dann hau ab“, sagte<br />

ich ihr, und ging alleine zurück in den Knast. Drei<br />

Stunden früher als ich noch frei hatte.<br />

Heulend erzählte ich Ingo von der Begegnung. „So sind<br />

die Weiber“, sagte er nur, „ mach dir nichts draus, du findest<br />

dir zwanzig Neue wenn wir hier raus sind“, versuchte<br />

er mich zu trösten. Das gelang ihm nicht. Ich legte<br />

mich in mein Zimmer, verschloss es von innen, und<br />

ließ mich nicht mehr blicken. Ich weinte, war sehr traurig.<br />

Am meisten über die Stunden im Hotel, wo eine<br />

Eiswand zwischen Lucie und mir gestanden hatte. Das<br />

hätte ich nicht erwartet. Wieso hatte sie mich in ein Hotel<br />

eingeladen, wollte sie mich verhöhnen, oder tat ich<br />

ihr nur leid? Beide Motive fand ich zum kotzen, wusste<br />

erstmal nicht weiter.<br />

Am nächsten Morgen meldete ich mich krank. Wenn ich<br />

mit zur Arbeit gegangen wäre, wäre ich sicher geflüchtet,<br />

soviel war mir klar. Dieses Risiko wollte ich nicht<br />

eingehen.<br />

Ich schrieb viele Briefe an Lucie, durfte auch mit ihr te-<br />

524<br />

lefonieren.<br />

Irgendwann kam sie erneut zu Besuch, nahm meine<br />

Hand, „ich will mit dir zusammen bleiben, ich habe mit<br />

dem Anderen Schluss gemacht, ich liebe dich doch noch<br />

mehr als andere Männer“, gestand sie mir mit einem<br />

ehrlichen Lächeln im Gesicht. „Außerdem mochten die<br />

Kinder ihn nicht“. Sie hatte nie seinen Namen ausgesprochen.<br />

Mir fiel mal wieder ein Stein vom Herzen.<br />

Froh und glücklich kam ich vom Besucherzimmer zurück,<br />

sprach mit Ingo, der sich mit mir freute. „Heute<br />

backen wir einen Kuchen für dich“, sagte er freudig. Wir<br />

konnten in der Abteilung kochen und backen, eine große<br />

Errungenschaft für Menschen im Gefängnis. Ingo<br />

machte uns einen schönen Apfelkuchen, wir feierten das<br />

glückliche Zusammenkommen von mir mit Lucie.<br />

Am 21. September 1981 wurde ich aus dem Gefängnis<br />

entlassen. Es gab ein großes Abschiedsfest am Abend zuvor,<br />

wir versprachen, dass wir in Kontakt bleiben wollten,<br />

die Ärztin wünschte mir Glück, warnte mich ein<br />

letztes Mal vor Drogenkonsum, und beschied mir eine<br />

schöne Zukunft.


Nur Hasch hatten wir ab und zu geraucht. Am unteren<br />

Ende des Parks, den wir angelegt hatten, stand ein kleines<br />

Haus, in dem Hippies wohnten. Die versorgten uns<br />

manchmal mit Dope, das wir dann gemeinsam abends,<br />

wenn die „Bewacher“ fort waren, zusammen mit den<br />

anderen Kumpels rauchten. Dann war die Freude aller<br />

Therapierten immer groß. Shit rauchen wollte jeder von<br />

ihnen auch draußen weiter. Schließlich tranken selbst die<br />

Ärztin und die Sozialarbeiter abends ihr Bier. Daran fanden<br />

sie nichts Verwerfliches. Von Haschisch war noch<br />

Niemand süchtig oder gar abhängig geworden. Vom Bier<br />

schon eher.<br />

525<br />

Lucie stand mit dem zweiten Mann meiner Mutter vor<br />

dem großen Tor des Münsteraner Gefängnisses an einem<br />

Auto, und erwartete mich freudig lachend. Sie kam auf<br />

mich zugelaufen und umarmte mich herzlich, was ich<br />

deutlich spürte. „Ich liebe nur dich“, sagte sie sofort, „ fast<br />

hätte ich einen großen Fehler gemacht“. „Und jetzt<br />

komm nach Hause, die Kinder warten schon ungeduldig<br />

auf dich“.<br />

Mit nur einem Karton, einigen selbst gebastelten Rahmen<br />

und Kupferbildern, selbstverständlich waren alle Briefe<br />

und Fotos, die ich in den drei Jahren bekommen hatte,<br />

auch darin enthalten, stand ich vor dem hässlichen Tor der<br />

Haftanstalt in Münster. Das war Alles, was von drei Jahren<br />

Leben übrig geblieben war. Endlich war ich frei, ich<br />

konnte es noch kaum fassen, gleich mit Lucie und meinen<br />

Kindern zu Hause an einem Tisch sitzen zu können.<br />

Die Kinder freuten sich sehr mich zu Hause zu sehen. Sie<br />

liefen auf mich zu und umarmten mich lange. „Jetzt<br />

bleibst du für immer bei uns“, sagte Fleure mit einem Lachen<br />

im Gesicht. „Natürlich, nun bleib ich bei euch, ich<br />

war lange sehr krank, deshalb musste ich fort sein“, sagte<br />

ich wahrheitsgemäß. Ich war ja auch krank gewesen, die<br />

Drogen hätten mich fast aufgefressen. Nun aber war ich<br />

clean und voller Kraft für das, was da kommen sollte.<br />

Ich meldete mich sofort beim Arbeitsamt. Die schickten<br />

mich zum Sozialamt, da es keine Arbeit für mich gab.<br />

Beim Sozialamt stellte ich einen Antrag, darauf hin bekam<br />

ich monatlich Geld zu Überleben. Das war natürlich nur<br />

wenig befriedigend, ich wollte etwas tun. Nur in eine Fabrik<br />

wollte ich nicht. Alles hätte ich gerne gemacht um<br />

etwas Geld zu verdienen, um beschäftigt zu sein, nur der<br />

Gedanke in einer Fabrik an irgendeinem Fließband zu<br />

stehen war mir überaus unangenehm.<br />

526<br />

Kapitel 63<br />

Es wurde Frühling, ich saß mit zwei Freunden am Flussufer,<br />

wir hatten einen Joint geraucht, als ich plötzlich auf<br />

die Idee kam, ein Rock-Festival in Merschenich zu veranstalten.<br />

Gegenüber dem Fluss war ein großer Platz,<br />

festgetretener Lehm, von alten Kasematten umgeben.


Diese hatten Napoleon dazu gedient, deutsche Feinde<br />

abzuhalten, er war schon bis hierher vorgedrungen, war<br />

dann aber später weitergezogen Richtung Osten, hatte<br />

die Stellungen verrotten lassen. So standen die Reste der<br />

Festung noch stets als ruinöse Reste um den Platz herum.<br />

Brückenkopf nannte sich das Gelände, eingezäunt wäre<br />

es der ideale Platz für ein Festival, 10.000 Menschen<br />

würde er aufnehmen. Banan und Andy waren sofort<br />

Feuer und Flamme von meinem Vorschlag, wir malten<br />

uns schon aus, wie das Ganze aussehen sollte. Ich hatte<br />

durch meine Bekanntschaften aus Dortmund, und die<br />

vielen Konzertbesuche einige Kontakte zu Musikagenturen,<br />

die ich nutzen wollte. Als wir dem Projekt einen<br />

Namen gaben, sich das Ganze zu einer wirklich realisierbaren<br />

Sache herausstellte, bekam Andy kalte Füße, und<br />

verabschiedete sich von unserem Projekt.<br />

Nun waren nur noch Banan und ich die voraussichtlichen<br />

Veranstalter, wir wollten das Ding einfach angehen.<br />

Zunächst kramte ich einige Adressen von Agenturen<br />

hervor, wir machten uns mir Banans klapprigem Auto<br />

auf den Weg nach Hamburg, wo die meisten Musikervermieter<br />

ansässig waren. Wir wollten ein Zugpferd mit<br />

bekanntem Namen und drei oder vier andere Bands engagieren.<br />

Wir hatten keinen Pfennig Geld, außer der<br />

Kohle für den Sprit fürs Auto nach Hamburg und zu-<br />

527<br />

rück. Das war aber meine geringste Sorge, ich war mir<br />

sicher Sponsoren zu finden, wenn wir Namhafte Musiker<br />

aufweisen könnten.<br />

Bei der ersten Agentur erhielten wir sofort eine Abfuhr,<br />

„wer sind sie denn überhaupt, haben sie so was den<br />

schon mal gemacht“? Natürlich nicht, dies war unser erstes<br />

Konzert, was wir aber nicht sagten. Wir behaupteten,<br />

dass wir schon kleine Konzerte mit lokalen Musikern in<br />

unserer Umgebung veranstaltet hätten. „das reicht<br />

nicht“, war die Antwort eines dicklichen Managers einer<br />

großen Agentur. „Wir müssen sicher sein, dass unsere<br />

Künstler in gute Hände kommen, da könnte ja Jeder<br />

Konzerte veranstalten“. Ich betrachtete uns nicht als Jeder,<br />

immerhin hatte ich schon mal Adressen, die nicht<br />

Jeder hatte. Ich hatte die Adressen, war auch die Lokomotive<br />

bei der Veranstaltung, Banan war lediglich mein<br />

Helferlein und Fahrer, hatte keine Ahnung vom Musikgeschäft.<br />

Jedenfalls hatte er Mut genug, sich auf die Sache<br />

mit mir einzulassen.<br />

Übrigens war unser Startkapital 80 Pfennige, wir<br />

brauchten 90-, um einen ersten Brief nach Hamburg zu<br />

versenden. Die restlichen zehn Pfennige für die notwendige<br />

90er Briefmarke schnorrten wir vor der Post. So<br />

fing Alles an.<br />

Nachdem wir vier Agenturen abgeklappert hatten, nur<br />

Absagen erhielten, fuhren wir noch zu einem Agenten,<br />

der seinen eigenen Ein Mann Betrieb hatte. Er freute


sich über unseren Besuch, erklärte uns, dass er der Agent<br />

für Mitch Ryder in Deutschland sei. Mitch Ryder klang<br />

gut, er hatte im Rockpallastfernsehen ein skandalöses<br />

Konzert hingelegt, war ziemlich besoffen fast von der<br />

Bühne gefallen. Trotzdem wurde das Konzert ein Riesenerfolg,<br />

Joe Cocker sang auch gut, wenn er Schnaps in<br />

der Birne hatte. So hatte er sich in Deutschland einen<br />

528<br />

Namen gemacht. Das Konzert war gut, Ryder war Vollprofi<br />

im Rockbuiseness. Er hatte eine sehr gute Band im<br />

Rücken, die „Detroit Weels“, die auch schon in Amerika<br />

mit ihm Erfolge hatten.<br />

„15.000 Mark kostet der Gig“, verlangte Rick, ein englischer<br />

Staatsbürger, der schon lange in Deutschland lebte.<br />

15.000 Mark, für uns eine kaum vorstellbare Summe.<br />

Wir sagte Rick, dass wir die Sache durchrechnen müssten,<br />

wir uns bald bei ihm melden würden. „Wartet nicht<br />

zu lange, Mitch kommt nur für bislang drei Konzerte<br />

nach Deutschland, ich muss bald wissen wie ihr euch<br />

entscheidet“. „Klar“.<br />

Eigentlich hatten wir uns Joe Cocker oder die Simple<br />

Minds als Zugpferde vorgestellt, die waren zwar auch in<br />

Deutschland unterwegs, leider preislich und organisatorisch<br />

unerreichbar für uns. Die wollte man uns sowieso<br />

nicht zur Verfügung stellen.<br />

In Frankfurt hatte ich noch einen Bekannten, der bei<br />

Lippmann und Rau arbeitete. Die größten Konzertveranstalter<br />

Deutschlands wollten wir nicht direkt angehen,<br />

sicher hätten sie uns ausgelacht. Aber über Dietmar, den<br />

ich noch aus Dortmund kannte, wäre vielleicht etwas zu<br />

machen. Ich rief in Frankfurt an, Dietmar war cool, erklärte,<br />

dass er Herrn Rau nicht behelligen könne, gab<br />

uns aber eine Adresse eines anderen Agenten in München,<br />

der eventuell etwas für uns tun könnte.<br />

Mike Berger, so hieß der Mann in München, bot und eine<br />

Raggee-Band aus Jamaika an, die im Juni auf<br />

Deutschlandtournee sein würden. „Challice“, eine acht<br />

Mann Raggee Band aus Kingston, Jamaica.<br />

Sollten in Deutschland promotet werden und 3,5 Tausend<br />

Mark kosten.<br />

Wir hatten mittlerweile schon mit dem Ordnungsamt in<br />

Merschenich gesprochen, die uns den Platz für den 30.<br />

529<br />

Juni 1984 für 1.000 Mark vermieten wollten, uns die<br />

Genehmigung für das Konzert zusagten. Nun waren wir<br />

wirklich mittendrin, das Ding würde laufen. Ich war voller<br />

Energie, war mir sicher, dass ich die Sache auf die<br />

Beine stellen konnte.<br />

Wir riefen Rick in Hamburg an, bestätigten das Engagement<br />

von Mitch Ryder als Top Act, er wollte 7.500,-<br />

Mark vorab, die andere Hälfte der Gage vor dem Konzert<br />

am Platz.<br />

Ich rief bei Brauereien an, erklärte das geplante Projekt,


trug dick auf, bot ihnen die Möglichkeit, ihre Getränke<br />

exklusiv bei unserem Konzert anbieten zu können,<br />

prahlte mit sicher 10.000 Zuschauern, verlangte Geld<br />

vorab. Eine Brauerei ließ sich auf die Sache ein, schickte<br />

uns einen Vertreter mit Vertrag auf Exklusivrechte und<br />

10.000,- Mark. „Eine Mark für jeden angekündigten<br />

Zuschauer“, lachte der Mann der Brauerei. Wir waren<br />

zufrieden, logen ihm das Blaue vom Himmel herunter,<br />

wie erfolgreich das Konzert sein würde. Wir hatten keine<br />

Ahnung, wie viele Leute wirklich kommen würden.<br />

Als nächstes waren Imbissbudenbesitzer an der Reihe,<br />

denen wollte ich auch Geld vorab aus dem Kreuz leiern.<br />

Ein Metzger aus einem Dorf nahe unsrer Stadt besaß<br />

zehn Fressbuden, von denen er fünf auf unserem Gelände<br />

aufstellen wollte. Auch er war nach meinen großartigen<br />

Geschichten über ein erfolgreiches Rockfestival begeistert<br />

und schickte auch 10.000,- Mark auf mein<br />

Konto.<br />

Drei weitere Bands waren schnell gefunden. Eine Hardrock-<br />

Band aus Holland, die für lau spielen wollten, froh<br />

waren, einen Auftritt zu bekommen. Eine Rockabilly<br />

Gruppe mit zwei Sängerinnen für 1.500 Mark aus dem<br />

Ruhrgebiet, und eine gerade angesagte Band aus Aachen,<br />

die 2.000 Mark haben wollten. Wir engagierten<br />

530<br />

Alle, überwiesen jeweils die Hälfte der Gage.<br />

Nun besorgten wir von einer holländischen Firma „Boels,<br />

vermietet Alles“, die Abzäunung, Zelte, Stühle für<br />

die Künstler, Toilettenwagen und einen Aufzug für die<br />

jeweiligen Anlagen der Gruppen. Die Bühne bekamen<br />

wir auch günstig aus Holland, 2 Meter hoch, 30 Meter<br />

breit und acht Meter tief, für 3.000 Mark. Wir brauchten<br />

nur noch die Soundanlage, die auch aus Holland<br />

kam, zwei mal 10.000 Watt versprach, und 5.000 Mark<br />

kostete.<br />

Das Geld war uns längst ausgegangen, wir fanden aber<br />

einen Freund von Banan, der uns mit einem Knebelvertrag<br />

den noch gebrauchten Rest des Geldes, 15.000<br />

Mark lieh. Dafür wollte er natürlich auch noch am Gewinn<br />

beteiligt sein, und sein Geld schnellstens zurückerhalten.<br />

Jedenfalls glaubte er an unser Unternehmen,<br />

sonst hätte der Geizhals, Lehrer und Mietshausbesitzer,<br />

keinen Heller rausgerückt.<br />

Nun hatten wir Alles soweit beieinander, bezahlt und gut<br />

geplant. Wir ließen 10.000 Plakate<br />

Din A1 drucken, hängten sie mit Hilfe vieler Freunde<br />

im Umkreis von fünfzig Kilometern um Merschenich,<br />

von Köln, Düsseldorf bis hin nach Holland und Belgien<br />

auf. 1.000 Programmhefte, das ich selbst zusammengebastelt<br />

hatte, ließen wir zudem drucken und verteilen.<br />

Auch wusste ich Radiostationen zu überzeugen, für unser<br />

Konzert Werbung zu machen, ich hatte Alles getan,<br />

um die Sache bekannt zu machen. Außerdem war für


fast jeden Geschmack eine Band im Programm.<br />

Wir hatten 25 Vorverkaufsstellen eingerichtet, Kulturämter,<br />

Schallplattenläden und Musikalienhandlungen.<br />

Eigentlich sollte Nichts mehr schief gehen. Wir hatten<br />

ausgerechnet, dass wir mit dreitausendfünfhundert zahlenden<br />

Zuschauern die Kosten eingefahren hätten, mehr<br />

531<br />

wollte ich auch nicht. Nur ein erfolgreiches Konzert<br />

veranstalten, dann eine Agentur gründen und so weiter<br />

arbeiten. In einem Bereich, den ich liebte, und für den<br />

ich auch 20 Stunden täglich zu schaffen bereit war.<br />

Im Vorverkauf sollten die Karten 18 Mark kosten, an der<br />

Kasse 22 Mark. Das war sehr günstig, andere Veranstalter<br />

verlangten zu dieser Zeit mindestens 40 Mark für einen<br />

Nachmittag und Abend Musik. OK, dafür boten sie<br />

auch die Stars, die man mir verweigert hatte.<br />

Eine Rockergruppe, 20 Leute, die überzeugte Harley-<br />

Davidson Fahrer waren, und deren Boss ich gut kannte,<br />

engagierten wir als Ordner. Friedliche Zeitgenossen, die<br />

leider grundlos einen schlechten Ruf in der Öffentlichkeit<br />

hatten. Ihnen hatte ich im Programmheft einen extra<br />

Artikel gewidmet, um mit Vorurteilen aufzuräumen.<br />

Alleine dafür waren sie bereit für mich zu arbeiten.<br />

Und für Freibier natürlich.<br />

Am 27. Juni kamen die Zäune, die Toilettenwagen, der<br />

Aufzug, Zelte, Tische und Stühle von Boels. Wir stellten<br />

die Zäune mit Hilfe von fünf Freunden auf, bekamen<br />

Elektro- und Wasseranschlüsse vom örtlichen Stadtwerkeamt,<br />

dann kam die Bühne. Sie war innerhalb von<br />

sechs Stunden aufgebaut. Hatte sogar ein Stoffdach in<br />

acht Metern Höhe, bei den hiesigen Wetterverhältnissen<br />

unvermeidbar. Wir hatten uns beim Wetteramt in Bochum<br />

nach den Voraussichten für den 30. Juni erkundigt,<br />

dem Tag der Veranstaltung, bekamen die Nachricht<br />

„leicht bewölkt mit Sonne, kein Regen“. Super. Leider<br />

hatten die Leute von der Bühne eine Treppe für die Musiker<br />

vergessen, lieferten sie jedoch am nächsten Tag.<br />

Für jede Bands hatten wir 5 Wohnwagen gemietet, die<br />

wir hinter der Bühne neben den Zelten aufstellen ließen.<br />

Abends kam Mitch Ryder mit Band angereist. Er war<br />

532<br />

kein bisschen blau, ein fröhlicher, lustiger Mann, der sich<br />

auf seinen Gig freute. Wir hatten für sieben Leute Hotelzimmer<br />

gemietet, wohin wir sie verfrachteten. Rick<br />

war natürlich mit von der Party. Er wollte ja noch die<br />

zweite Hälfte der Gage einstreichen, ich konnte nur hoffen.<br />

Der Vorverkauf lief sehr schlecht, ich telefonierte täglich<br />

mit den Stellen, erhielt nur recht unbefriedigende Nachrichten.<br />

Wir mussten mit den Geldern des Vorverkaufs<br />

und der Tageskasse die restlichen Gagen bestreiten. Es<br />

war keine Mark mehr in meiner Tasche.<br />

Am 29. Juni, einen Tag vor dem großen Ereignis kamen<br />

die Leute mit der Soundanlage. Sie türmten Riesenlautsprecher


über- und nebeneinander auf die linke und<br />

rechte Seite der Bühne. Als sie den ersten Test durchführten,<br />

ein Mikrophon einsteckten, dachte ich eine<br />

Bombe wäre hochgegangen, so laut war nur das Geräusch.<br />

Als sie dann die erste Musik auflegten, um den<br />

Stereosound zu testen, ging mir das Herz auf. Sehr laute,<br />

äußerst klare Musik klang über den Platz bis in die<br />

Stadt hinein. So liebte ich es, laut und klar, ich war fasziniert,<br />

machte Luftsprünge, die Manni, der die gesamte<br />

Aktion auf Video aufnahm, filmisch festhielt. Nach fünf<br />

Minuten Musiktest kamen Leute aus dem nahe gelegenen<br />

Restaurant gelaufen, sagten dass eine Versammlung<br />

stattfinde, wir uns bitte eine Stunde ruhig verhalten sollten,<br />

man höre kein Wort mehr. Gut so, aber wir beendeten<br />

die Testphase für eine Stunde.<br />

Als die Nacht hereinbrach, musste irgendjemand auf das<br />

nun sehr wertvolle Gelände achten, ich war mit meiner<br />

Kraft am Ende, schon beim Arzt gewesen. „Stress“, sagte<br />

der nur, machte ein EKG, gab mir Pillen, „mach langsamer“,<br />

riet er mir.<br />

Paulchen, mein Cousin, eigentlich Paul, etwas klein ge-<br />

533<br />

raten, unser Oberelektriker und Installateur stellte sich<br />

zu Verfügung, die Nacht auf der Bühne im Schlafsack zu<br />

verbringen, aufzupassen.<br />

In der Nacht hatte er eine Begegnung der dritten Art.<br />

Das Terrain war ja nun abgeschlossen, trotzdem wollte<br />

ein benachbarter Pferdehallenbesitzer über den Platz<br />

fahren, was Päulchen nicht erlaubte. Es war sowieso<br />

durch die Umzäunung unmöglich, was der Herr aber<br />

nicht begreifen wollte. Er war stinksauer, wollte unseren<br />

Wachmann einfach umfahren, was ihm aber nicht gelang,<br />

er lief schnell hinter einen Zaun.<br />

Päulchen wurde zum großen Paul, verwies den Mann in<br />

seine Grenzen. Der war schon stinkig, weil seine Pferde<br />

durch den Krach am nächsten Tag sicher nervös werden<br />

könnten. „Dann bringen sie die weg“, maulte Paul. Der<br />

unfreundliche Mann legte den Rückwärtsgang ein.<br />

Paulchen schlief weiter auf der Bühne.<br />

Banan kümmerte sich um unseren Star, Mitch Ryder,<br />

führte ihn durch die kleine Stadt, erzählte von Napoleon,<br />

dem Hexenturm, Mitch war begeistert ob der steinalten<br />

Kultur unsrer Stadt. Zusammen gingen sie dann<br />

noch gut essen, auf meine Kosten, aber so war das nun<br />

mal mit den Stars. Die Band war erst drei Tage vorher direkt<br />

aus Detroit gekommen, machten ihr erstes Konzert<br />

in Deutschland bei uns. Und Mitch rührte keinen Tropfen<br />

Alkohol an, er würde wohl völlig nüchtern auftreten.<br />

Das konnte mir nur recht sein, denn er war ein guter<br />

Musiker. Besoffen war er ein schwierig umgänglicher<br />

Scheißkerl.<br />

Am nächsten Morgen stand ich um acht Uhr an der<br />

Bühne. Es gab einen Regenschauer. Ich war geschockt,


würde das Wetter so bleiben? Um zehn Uhr sollte das<br />

Spektakel beginnen, um neun kam die Sonne hervor.<br />

534<br />

Regen ade, der Platz war schnell trocken.<br />

Die holländischen Musiker waren schon eingetroffen,<br />

wollten die Bühne mit riesigen Eisengeräten bestücken,<br />

„notwendig für die Show“, meinten sie und dann<br />

Soundcheck machen. „Nix da, das Zeug von der Bühne,<br />

und Soundcheck nur maximal 15 Minuten“, befahl<br />

ich den Jünglingen, die auf ihre große Chance hofften.<br />

Bisher hatten sich nur wenige Zuschauer eingefunden,<br />

aber es war ja noch früh, tröstete ich mich. Die Holländer<br />

machten maximalen Heavy Mattel- sehr laut Sound,<br />

ein Glück, dass ich denen nur 45 Minuten zugestanden<br />

hatte. Sie sollten den Tag eröffnen.<br />

Um zehn Uhr waren alle eingeladenen Presseleute,<br />

Freunde und Bekannte eingetroffen, wir hatten 300 Einladungen<br />

verschickt. Natürlich für kein Geld. Und ein<br />

Pressezelt mit kaltem Buffet aufgebaut. Auch umsonst.<br />

Die Holländer begannen zu rocken, so laut und schräg,<br />

dass es sogar mir in den Ohren klingelte. Unangenehm,<br />

aber was sollte es, die jungen Musiker sollten auch ihre<br />

Freude haben. Zuschauer kamen nur sehr spärlich, ich<br />

schaute immer auf den nicht voll werdenden Eingangsbereich.<br />

Hatte sehr auf die Tageskasse gehofft. Als die Aachener<br />

Band auftreten sollte, fehlte die zweite Hälfte der<br />

Gage. Der Boss stellte sich stur. „Schau was du bisher an<br />

der Kasse eingenommen hast, wir wollen unser Geld,<br />

sonst spielen wir nicht“. Das Theater begann. Mit einem<br />

Fahrrad fuhr ich zur Kasse, wartete auf eine Freundin<br />

der Band, die Zeichen geben sollte, wenn sie das fehlende<br />

Geld in Händen hielt. Zum Glück waren schon tausend<br />

Mark in der Kasse, die ich dem Mädel übergab. Ich<br />

mich fast auch. Sie gab das Zeichen, die Band begann zu<br />

spielen, leider nur eine halbe Stunde, das war´s. „Mehr<br />

war nicht ausgemacht“, sagten sie mir, als ich mich beschweren<br />

wollte.<br />

535<br />

Banan hatte den Vertrag mit ihnen abgeschlossen, nicht<br />

einmal mit Brille diesen Passus gelesen. „Haut ab“, sagte<br />

ich nur und legte ein Band mit guter Rockmusik ein,<br />

die durch die große Anlage sehr gut klang. Ich hatte die<br />

Bänder für die Pausen noch in der Nacht zusammen geschnitten.<br />

Mittlerweile waren vielleicht 1.200 zahlende<br />

Zuschauer auf dem Gelände, die Immbissbuden kaum<br />

gefragt, Getränkestände fast leer. Aber ich hatte ja schon<br />

kassiert, Unternehmerrisiko.<br />

Dann kamen die „Ace Cats“, die Band aus dem Ruhrgebiet.<br />

Zwei aufgedonnerte Weiber, ein Kontrabassist,<br />

ein Gittarist und ein Schlagzeuger. Die hängten sich auf<br />

deutsch an den großen Welterfolg der „Stray Casts“, was<br />

ihnen nur mäßig gelang. Aber sie waren bezahlt, unterhielten<br />

die Leute 60 Minuten lang.


Chalice, die Band aus Jamaika hatte ich schon in der<br />

Phillipshalle einige Tage vorher sehen können, 8.000<br />

Fans in der Düsseldorfer Halle waren von Anfang bis<br />

Ende des Konzertes völlig aus dem Häuschen. Ich dachte<br />

mir an dem Tag, dass wir mit dieser Band alles rausreißen<br />

könnten. Eine Tag vor dem Konzert hatte der Manager<br />

mich angerufen. „Ich habe durchgerechnet, du<br />

kannst die Band um tausend Mark günstiger haben, also<br />

brauchst du nur 2,5 Tausend zu zahlen“. So etwas hatte<br />

ich noch nie erlebt, dass ein Projekt günstiger verkauft<br />

wurde, als vertraglich vereinbart. Ich liebte den Mann.<br />

Als der Bus mit den Rasta Männern dann ankam, war<br />

ich hoch erfreut, sie hatten bei einem anderen Festival,<br />

200 km weiter, von dem ich bei meiner Planung natürlich<br />

nichts wissen konnte, den Eröffnungs- Act gemacht.<br />

Dort waren Joe Cocker und die Simple Minds, die Veranstalter<br />

hatten mir kräftig in die Suppe gespuckt.<br />

Acht bekiffte Reggae-Musiker stolperten aus dem Bus,<br />

ein kleiner Rasta Mann, mit Dreadlocks bis zum Hin-<br />

536<br />

tern fuhr mit einem mitgebrachten Fahrrad über den<br />

fast leeren Platz. Er war der Tourmanager der Gruppe.<br />

Dann aber kam der Buchhalter, ein serieus aussehender<br />

junger Engländer in Jeans und Jackett, der die zweite<br />

Hälfte der Gage einforderte. Die hatte ich natürlich nur<br />

zum Teil, es fehlten immerhin 600 Mark. „Dann werden<br />

wir nicht auftreten“, beharrte der Buchhalter. „Das<br />

könnt ihr nicht machen, das wäre eine Katastrophe“,<br />

klagte ich. „Ich werde telefonieren“, sagte der Mann. Er<br />

telefonierte mit dem Manager, ich raufte mir schon ´mal<br />

die Haare, dann kam er zu mir, „wir spielen“, sagte er lächelnd,<br />

„du bist ein Glückspilz, der Chef scheint dich zu<br />

mögen“. Mir fiel mal wieder ein Stein vom Herzen, ausgerechnet<br />

diese Spitzenband sollte mir nicht durch die<br />

Lappen gehen.<br />

Mitch Ryder saß mit seiner Band in einem der Zelte an<br />

einem großen Tisch, und aß Sauerbraten mit Knödeln,<br />

das hatte er sich bestellt, die Tochter des Metzgers, der<br />

uns 10.000 Mark vorgestreckt hatte, kochte die Sachen<br />

am Platz und ausgezeichnet. Lucie und eine Freundin<br />

servierten den Künstlern die Urdeutschen Speisen.<br />

Mitch war noch immer nicht auf Alkohol, er tank Wasser<br />

zum Essen. Die Band trank roten Wein.<br />

Ich hatte einen Live Anruf von einem belgischen Radiosender<br />

erhalten, ich sollte sagen wie es bei uns lief.<br />

Nochmals konnte ich im letzten Augenblick Werbung<br />

machen, erzählte den Zuhörern sie sollen schnell kommen,<br />

das Konzert sei ab jetzt frei, gleich tanze der Bär.<br />

Der Sender war im gesamten Umkreis Aachen, Düren,<br />

Merschenich zu hören, ich hoffte dass noch viele Leute<br />

kommen würden, so wäre die Sache nicht ganz umsonst<br />

gewesen. Die Kassen wurden geschlossen, so konnten<br />

auch die Leute, die vor dem Eingang nur auf die Musik


hörten, weil sie vielleicht kein Geld hatten, auch etwas<br />

537<br />

sehen. Denn gleich ging´s erst richtig los. Es war 18 Uhr<br />

geworden. Nun waren ca. 2.000 Menschen auf den Gelände,<br />

ich sah dass die Getränkefritzen endlich Geld verdienten,<br />

auch Bratwürste wurden gegessen. Und es kamen<br />

immer noch Leute auf den Platz. Schmarotzer,<br />

dachte ich mir, ich geh Pleite und ihr könnt euch vergnügen.<br />

Aber egal, Hauptsache die Bands, die jetzt noch<br />

spielen sollten hatten einigermaßen viele Zuschauer.<br />

Die acht Rastamänner aus Jamaika betraten die Bühne.<br />

Ein Feuerwerk aus Reggae-Musik der karibischen Insel<br />

beschallte die Fans, die, wie in der Phillipshalle, bis auf<br />

den Letzten zu tanzen begannen. Ein wunderbarer Anblick<br />

für mich. Ich bemerkte auch Mitch Ryder und seine<br />

Band unter den Zuschauern, die fröhlich hin und her<br />

wippten. Es wurde ein großartiges eineinhalbstündiges<br />

Konzert, die Leute schrieen immer wieder nach Zugaben,<br />

bis Chalice ausgepumpt war.<br />

Der Obermacker vom Ordnungsamt war mit seinem<br />

Untergebenen eingetroffen, mit hochrotem Kopf schrie<br />

er mich an. „Wir haben schon vierhundert Beschwerdeanrufe<br />

aus der gesamten Umgebung, ihr seid zu laut“.<br />

„Wir haben auch kein Beethovenkonzert beantragt, sondern<br />

ein Rockkonzert“, antwortete ich ihm. „Um<br />

Punkt Zehn ist Schluss, sonst hacke ich euch die Kabel<br />

mit einer Axt durch“, warnte mich der Ordnungshüter.<br />

„Dann kriegst du aber einen riesigen elektrischen<br />

Schlag und jede Menge Stress mit den Leuten hier“, antwortete<br />

ich frech, der Typ ging mir auf den Geist. Wenn<br />

laute Marschmusik durch den Ort zog, oder drei Tage<br />

laute Kirmes war, regte sich Niemand auf, einen Tag<br />

Rockkonzert brachte die Meute auf die Barrikaden.<br />

Und es war das Erste in dieser Stadt.<br />

Ich hatte natürlich die Zweite Hälfte der Gage für Mitch<br />

538<br />

Ryder nicht, Rick nervte mich dauernd mit dem Thema.<br />

„Wir spielen nicht, wenn ich keine Kohle sehe“,<br />

warnte er. Mich konnte jetzt nichts mehr schocken, ich<br />

ließ ihn stehen, ging zu Mitch, erklärte ihm die Lage.<br />

„No Problem, we play“, sagte er mir lachend. Wusste ich<br />

doch, der Mann wartete schon drei Tage auf eine Bühne,<br />

war ein Vollblutmusiker und das wollte er den Leuten<br />

zeigen.<br />

Hätten die nun auf dem Gelände Versammelten alle gezahlt,<br />

wäre ich aus den Unkosten gekommen, hätte zwar<br />

nichts verdient, das war ja auch nicht unbedingt mein<br />

Ziel. Jedenfalls hätte ich ein erfolgreiches Unternehmen<br />

durchgezogen. Persönlich betrachtete ich es als Erfolgreich,<br />

kein Trouble unter den Leuten die Bühne brannte<br />

nur von der Musik, eigentlich konnte ich mit meiner<br />

Organisation zufrieden sein. Dass am gleichen Tag noch<br />

ein anderes Festival in Münster mit großem Staraufgebot


stattfand konnte ich nicht ahnen.<br />

Mitch Ryder hielt was er versprach, er sang mit kräftiger<br />

Stimme seine Rocksongs, die Band schubste ihn aus<br />

dem Hintergrund in immer neue Höhen, das versammelte<br />

Volk tobte.<br />

Und wieder kam der Typ vom Ordnungsamt, sein Schädel<br />

brannte mittlerweile. „Hört auf, ich drehe noch<br />

durch, dauernd rufen Leute an“. „Kann ich nichts für,<br />

lass mich in Ruhe, das Ding wird bis zum Ende durchgezogen,<br />

basta“. „Dann stell ich euch den Strom ab“,<br />

warnte er mich erneut. Dazu hätte er an den Elektrokasten<br />

kommen müssen, der stand hinter der Bühne, und<br />

wurde vorsichtshalber von zwei breiten Ordnern bewacht.<br />

Keine Chance für das Ordnungsamt.<br />

Von denen würde ich mir mein Fest nicht versauen lassen,<br />

was auch immer später geschehen sollte. Für Heute<br />

waren die ausgeschaltet.<br />

539<br />

Mr. Ryder rockte weiter über die Bühne, brachte die<br />

Zuschauer von einer Höhe in die Nächste. Nach drei<br />

Zugaben war das Spektakel zu Ende. Die Leute schrieen<br />

und pfiffen, Mitch war geschafft, seine Kleidung von<br />

Schweiß durchtränkt, die Haare klebten nass an seinem<br />

Schädel, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen.<br />

„See you next Jear“, verabschiedete er sich endgültig<br />

und verließ die Bühne. Dann wurde es sehr still auf dem<br />

Platz. Die Leute gingen zivilisiert in Richtung Heimat,<br />

kein Theater, außer dem Ordnungsgeist, der schnauzte<br />

immer noch. „Gieb endlich Frieden, ich bin geschafft“,<br />

sagte ich ihm noch.<br />

Manni hatte alles auf Video festgehalten, vom Beginn des<br />

Aufbaus bis zum letzten Takt der Musik. Ich freute mich<br />

schon auf die Aufnahmen. So hatte ich ein Dokument<br />

meiner Tat.<br />

Banan saß in unserem Bürowagen. Er hatte die Tageskasse<br />

bei sich. Wir waren alleine, er zeigte mir eine Menge<br />

Scheine, die er gebunkert hatte. Es gab für jeden von uns<br />

600 Mark, wenigstens etwas Geld für all die Mühe, die<br />

mir aber einen Riesenspaß gemacht hatte. Sicher hatte er<br />

sich schon Einiges eingesteckt, der Kerl war Geldgierig,<br />

seine Leidenschaft. Ich bereute nicht einen Augenblick<br />

der vier Monate Organisation für die Sache.<br />

Die Rocker wollten plötzlich auch noch Geld, was nicht<br />

vereinbart war. „Ihr habt doch gesehen, dass wir nichts<br />

verdient haben“, erklärte ich den nun angetrunkenen<br />

Bikern. Ich sprach mit Bodo, dem Chef der Bande, er<br />

beruhigte seine Freunde, sie zogen murrend ab. 20 Harley-<br />

Davidson Maschinen brausten krachend auf und<br />

verschwanden in der Nacht.<br />

Am nächsten Tag, es war Sonntag, trafen wir uns, um den<br />

540<br />

Platz in Ordnung zu bringen. Die guten Freunde, die<br />

sich zur Mithilfe angeboten hatten blieben weg, sicher


schliefen sie irgendeinen Rausch aus.<br />

Lucie, meine Kinder, Banan, zwei weitere Bekannte,<br />

Paulchen und ich brachen die Umzäunungen ab, Die<br />

Mädels kehrten den riesigen Platz von all den Abfällen<br />

der 2,5 Tausend Zuschauer sauber. Die Arbeit war überraschend<br />

schnell getan, schon am Nachmittag saßen wir<br />

alle in unserem Garten, tranken den von Lucie gekochten<br />

Kaffee, aßen Kuchen, und ließen die Show Revue<br />

passieren. „War doch super“, sagte Paul, der für seine<br />

viele Arbeit nicht einen Pfennig verlangt hatte. „Sicher,<br />

das Ding ist gut gelaufen, aber nun sitzen wir auf einem<br />

Berg Schulden“, wandte ich ein. „Scheiß egal“, maulte<br />

Banan, er hatte gut reden, die Verträge hatte ich unterschrieben.<br />

Der von ihm gemachte Super-Vertrag mit<br />

der Aachener Band war erfüllt. Dann noch möglicher<br />

Stress mit den in Vorkasse gegangenen Getränke- und<br />

Imbissfritzen, ich sorgte mich schon etwas.<br />

Ich stieß die Nöte aus meinem Hirn und feierte den<br />

vergangenen Tag. War sowieso kein Geld bei mir zu holen,<br />

einem nackten Mann konnten sie schlecht in eine<br />

Tasche greifen. Es lagen noch zwei Flaschen von sehr<br />

gutem französischem Champagner auf Eis, die wurden<br />

geköpft, wir tranken auf ein gelungenes Rockfestival.<br />

Mein Bestreben eine Musikagentur zu gründen war jedoch<br />

erstmal hinfällig.<br />

541<br />

Kapitel 64<br />

Fortan kümmerte ich mich mehr um meine Familie, die<br />

ich in den vielen vorherigen Jahren nicht sonderlich beachtet<br />

hatte. Vielleicht weil ich nie wirklich Eine wollte,<br />

einen Horror bekam, wenn ich an das dachte, was ich als<br />

Junge Familie nennen musste. So glaubte ich stets, dass<br />

Familie nicht für mich bestimmt war, ich ein einsamer<br />

Wolf mit wechselnden Beziehungen sein sollte.<br />

Die Heirat war mir ja aufgezwungen worden, sonst hätte<br />

ich Lucie und meine erste Tochter sicher Niemals<br />

wieder gesehen, hatte mich letztlich jedoch auch damit<br />

abgefunden. Was hieß das schon, verheiratet zu sein, für<br />

mich war das immer nur ein Fetzen Papier, der irgendwo<br />

tief im Keller vergraben lag, ich wusste sehr lange<br />

Zeit nicht, wann unser Hochzeitstag war, selbst später<br />

musste ich immer wieder nach dem Datum fragen, wenn<br />

es Frühling wurde.<br />

Das war Alles, an das ich mich erinnerte, dass es irgendwann<br />

im Frühling war. Die Situation selbst hatte ich nie<br />

vergessen, es war eine wirkliche Hippie- Hochzeit, wir<br />

hatten die Standesbeamten in Dortmund reichlich geschockt.<br />

Eine Meute wilder langhaariger Menschen,<br />

bunt und schrill gekleidet, die Braut hochschwanger mit<br />

Laura, die eine Monat später auf die Welt rutschte, kamen<br />

da zwischen drei ganz bürgerlichen Brautpaaren<br />

mit Gefolge und wollten schnell mal getraut werden.<br />

Wir Männer hatten alle LSD im Hirn, gingen bald nach


der Zeremonie unsere eigenen Wege, ließen die Frauen<br />

unter sich Hochzeit feiern. Wir hörten Frank Zappa und<br />

Velvet Underground in irgendwelchen Kommunen und<br />

rauchten Joints. Zum Glück hatte Lucie Freundinnen,<br />

sonst wäre sie am Hochzeitstag alleine mit Fleure gewe-<br />

542<br />

sen. Ich war ein totaler Egomane.<br />

Das war einmal, jetzt war alles anders. Ich liebte Lucie,<br />

Fleure und Laura, wollte mich ganz auf sie konzentrieren.<br />

Hatte sowieso nichts Besseres zu tun, der Film vom<br />

Impressario war abgelaufen, ich war wieder arbeitslos.<br />

Lucie ging Geld verdienen, leitete die Filiale eines großen<br />

Textilienkonzerns, Fleur machte Abitur, sie wurde<br />

eine fabelhafte Lehrerin für Deutsch und französisch an<br />

einer Schule in der Nähe von Köln, wo sie auch lebte.<br />

Laura wurde Tänzerin. Sie war schon mit 17 Jahren an<br />

die Folkwangschule in Essen gegangen, studierte Bühnentanz.<br />

Dann beschäftigte sie sich mit Pina Bausch und<br />

gründete eine Compagnie BLICKE, zog nach Paris, von<br />

wo aus sie sehr erfolgreich um die Welt tanzte. Beide<br />

Kinder schenkten mir Enkel, Fleure gebar einen Jungen,<br />

Finn, der mein bester Freund wurde. Laura bekam die<br />

kleine Matilda, ein wunderschönes, sehr lebendiges<br />

Mädchen, das schon mit drei Jahren in drei verschiedenen<br />

Sprachen reden konnte.<br />

Ich lernte gut zu kochen, Lucie wurde nach Feierabend<br />

stets gut von mir beköstigt. Der Beatnik und Hippie endete<br />

als Hausmann, feierte irgendwann den 40ten Hochzeitstag.<br />

Mein größtes Hobby blieb die Musik, meine<br />

letzte und einzige Droge, von der ich ein sehr weites<br />

Spektrum in meiner Seele gespeichert hatte. Ich besuchte<br />

weiterhin Live Konzerte, die erreichbar waren, die<br />

Bands, die ich nicht zu sehen bekam holte ich mir per<br />

DVD ins Haus, wo ich sie dann über meine brachialen<br />

Lautsprecher und meinem großen Bildschirm losrocken<br />

hören und sehen konnte. Die Nachbarn zitterten mit im<br />

Takt, wenn ich mal wieder neue Musik in mein schön<br />

gestaltetes und von vielen Buddhas geschmücktes Haus<br />

bekam. Sie beschwerten sich nur sehr selten. Ich nahm´s<br />

543<br />

immer leicht, hatte meinen inneren Frieden gefunden.<br />

Für alle meine Freundinnen und Freunde die mein Leben<br />

bereichern.<br />

544<br />

Ende<br />

545<br />

Biografie<br />

Im März 1948 in Rödingen Nähe Holländischer<br />

Grenze geboren.<br />

Acht Jahre Volksschule in verschiedenen Schulen,<br />

Heimen.<br />

Lehre als Elektrotechniker nach drei Monaten abgebrochen.


Wegen Wiedrigkeiten in der Familie Heimaufenthalte.<br />

Immer wieder auf der Flucht aus den Heimen, Reisen<br />

durch Europa<br />

In Nordafrika 1968 erste Tochter von französischer<br />

Frau geboren.<br />

Zweite Tochter wurde 1970 in Dortmund geboren.<br />

Arbeiten zunächst als Pflastermaler überall in Europa,<br />

später als<br />

Disc-Jockey gearbeitet.<br />

2 Jahre lebte ich auf Ibiza in Spanien, dann in Jülich<br />

bei Aachen.<br />

Wurde Konzertveranstalter und führte zwei Bistrots<br />

in Jülich.<br />

Arbeitete zwei Jahre für die Jülicher Zeitung und anderen<br />

Print-Medien als freier Schreiber und Fotograf.<br />

Seit 2.000 arbeitsloser Hausmann und Autor, lebe<br />

seit vierzig Jahren mit meiner französischen Frau zusammen.<br />

546

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!