Ausgerissen - BookRix
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Hermann E. Heinen<br />
<strong>Ausgerissen</strong><br />
Kapitel 1<br />
Es war `mal wieder soweit. Soeben konnte ich<br />
noch in Deckung gehen, als das Marmeladenglasgeschoss<br />
auf meinen hinter mir stehenden Vater zuflog.<br />
Das Glas zischte an meinem Vater vorbei, und hinterließ<br />
einen hässlichen roten Fleck auf der Tapete, der sich zum<br />
Strich entwickelte, je mehr Marmelade langsam die<br />
Wand hinunterfloss. Es war nicht der erste Fleck an der<br />
Wand.<br />
Meine Mutter hatte einen ihrer häufigen Anfälle von<br />
Unzufriedenheit, und wollte meinen Vater auf die eineoder<br />
andere Weise treffen. Sie verlangte sofortige Folge<br />
ihrer unendlichen Wünsche, und wenn dies nicht gleich<br />
geschah, rastete die Frau einfach aus. Sehr oft flog irgendetwas<br />
durch die Räumlichkeit, glücklicherweise<br />
immer an mir vorbei.<br />
Vater arbeitete als Weber in einer großen Stofffabrik am<br />
Rande unserer kleinen Stadt Nähe der holländischen<br />
Grenze. Seine Arbeit war hart und der schier unerträgliche<br />
Krach der vielen riesigen Webstühle machte ihm zu<br />
schaffen.<br />
Er war Schwer behindert, seine rechte Hüfte war einmal<br />
schlecht operiert worden, ein Bein war länger als das andere,<br />
und legte seine Wege humpelnd zurück.<br />
Vater beklagte sich nie über diesen Zustand, der ihm täglich<br />
Schmerzen verursachte, er zeigte sich trotzdem als<br />
fröhlicher Mensch.<br />
Nicht nur die schwere Arbeit musste er leisten, zu Hause<br />
wartete das Chaos auf ihn, wenn er von einem langen<br />
Arbeitstag zurückkehrte. Oft holte ich ihn auf Rollschu-<br />
5<br />
hen von der Arbeit ab, worüber er sich immer freute. Er<br />
zog mich hinten an seinem Fahrrad hängend nach Hause,<br />
das ca. einen Kilometer entfernt war.<br />
Ich fand das immer sehr schön, wir hatten zu dieser Zeit,<br />
ich ging noch nicht in die Schule, ein sehr gutes Vater-<br />
Sohn Verhältnis.<br />
Leider war Harmonie bei meiner Mutter nicht zu finden,<br />
sie hatte an Allem und Jedem etwas zu kritisieren,<br />
sie war einfach nie zufrieden.<br />
Obwohl sich mein Vater immer weiter in Krankheit arbeitete,<br />
- er schickte mich sehr oft in die Apotheke, um<br />
Schmerztabletten zu kaufen -, war meine Mutter einfach<br />
nicht zufrieden zu stellen. Sie glaubte wahrlich etwas
„Besseres“ zu sein, und das sollte möglichst für alle Menschen<br />
in unserer kleinen Stadt sichtbar werden.<br />
Es war gerade einmal 4 Jahre nach diesem von einem<br />
Wahnsinnigen angezettelten Krieg und unser Ort lag<br />
förmlich in Schutt und Asche. Amerikaner und Engländer<br />
hatten die Stadt regelrecht rasiert, es stand kaum ein<br />
Stein auf dem Anderen.<br />
Ausgerechnet jetzt glaubte meine Mutter ein pompöses<br />
Leben führen zu müssen. Ich war 1954 geboren, also<br />
kurz nach Ende des grausigen Gefechts, meine Mutter<br />
war damals erst 17 Jahre alt.<br />
Drei Jahre später wurde meine Schwester Rita geboren<br />
aber die Zufriedenheit von Mutter wollte sich nicht einstellen.<br />
Dann kamen noch ein Bruder Markus und meine kleine<br />
Schwester Marlene zur Welt, wir waren ein sechs<br />
Personen Haushalt.<br />
Weshalb wir uns so vermehrten konnte ich nie nicht<br />
verstehen, denn Mutter war schon mit mir, ihrem ersten<br />
Kind überlastet, was ich auch zu spüren bekam. Die<br />
Streitereien und der Krach zwischen unseren Eltern wa-<br />
6<br />
ren kaum auszuhalten und eines Tages wurde ein<br />
Schlussstrich gezogen.<br />
Jedenfalls verließ meine Mutter die Wohnung heimlich<br />
still und leise, als ich 10 Jahre alt war.<br />
Ich war das älteste von 4 Kindern, dieser plötzlich so<br />
fremde Zustand in unserem Zusammenleben war für<br />
mich schier unerträglich aber ich musste mich damit abfinden.<br />
Wenn die Mutter auch ein nur schwer umgänglicher<br />
Mensch war, so liebte ich sie doch. Ich wollte<br />
nicht verstehen, dass Vater und Mutter nun endgültig<br />
voneinander getrennt sein sollten, und ich keine richtige<br />
Familie mehr hatte.<br />
Mein Vater machte sich auf, seine Frau zu suchen, fand<br />
sie nicht und irgendwann wurden die Beiden geschieden.<br />
Ein Richter hatte dem bunten Treiben ein Ende<br />
gesetzt.<br />
Mein Vater war mit der Situation vier Kinder zu haben<br />
und arbeiten zu müssen, völlig überfordert, und so bekamen<br />
wir eine staatliche Haushaltshilfe. Diese Frau kochte<br />
für uns und besorgte den Haushalt. Diese abnorme Situation<br />
wurde sogar in unserer Lokalzeitung abgelichtet<br />
und beschrieben.<br />
Alsbald stellte sich heraus, dass ich einer zu viel in der Familie<br />
war und man machte Pläne für mich.<br />
Mutter war längst wieder gefunden, sie war mittlerweile<br />
mit einem König, (das war sein Name) zusammen, hatte<br />
sich schon eine andere Bleibe besorgt.<br />
Leider machte der Mann sie aber nicht zu seiner Königin.<br />
Mutter, schmählich verlassen, suchte sich eine andere<br />
Wohnung. Sie nahm uns Kinder wieder auf, Vater war<br />
zu einer Umschulung in den Süden Deutschlands unterwegs.<br />
7
In dieser Wohnung gab es 3 Zimmer, ein sehr Kleinesund<br />
2 große Zimmer. In das kleine Zimmerchen wurden<br />
alle Kinder neben- und übereinander gestopft, und<br />
Mutter sicherte sich die beiden großen Räume.<br />
Einen zum schlafen, und ein Wohnzimmer, mit in den<br />
50gern modischen Möbeln. Sie arbeitete als Verkäuferin<br />
im Supermarkt der Stadt mit dem Namen „der böse<br />
Wolf“. Wer sich einen solch absurden Namen für einen<br />
Billigmarkt ausgedacht hatte litt sicher unter dem Gebrüder<br />
Grimm-Wahn. Oft ging sie abends noch kellnern<br />
was ihr Freude bereitete, sie liebte es unter Menschen zu<br />
sein und bewundert zu werden.<br />
Das Zimmer, in das wir 4 Kinder zumindest ein wenig<br />
mehr Platz gehabt hätten, wurde zum Wohnzimmer erklärt,<br />
stets verschlossen, und nur sonntags geöffnet,<br />
wenn „Queen-Mumm“ Besuch empfing.<br />
Die Gesamtsituation passte mir überhaupt nicht, die Erinnerungen<br />
an diese Zeit fanden sich nur noch sehr verschwommen<br />
in meinem Hirn, sicher war ich schon damals<br />
Querdenker und Freigeist, machte Rabatz, wie<br />
auch immer.<br />
Da meine Mutter damit ja nun gar nichts anfangen<br />
konnte, wurde ich mit den Worten „ich werd´ mit dem<br />
Jung´ nicht fertig“, zum Vater verfrachtet, der aus dem<br />
Süden zurückgekehrt war.<br />
Nun befand ich mich beim Erzeuger, der 5 km weiter in<br />
einem kleinen Dorf wohnte, und nach einer Umschulung<br />
zum Elektrotechniker in einer KFA (Kernforschungsanlage)<br />
arbeitete. Ich dachte jetzt habe ich ein<br />
Zuhause, indem ich problemlos leben könnte, denn mit<br />
meinem Vater hatte ich mich eigentlich immer gut verstanden,<br />
ja ich glaubte dass er mich liebte.<br />
Da hatte ich die Rechnung ohne den Wirt (oder besser<br />
8<br />
die Wirtin) gemacht, dort befand sich schon ein neues<br />
Weib samt mitgebrachtem Kind von 2 Jahren, das Vater<br />
während der Umschulung in Süddeutschland kennen<br />
gelernt hatte, und natürlich heiraten wollte.<br />
Mein Vater war immer für legale Verhältnisse.<br />
Das Weib war hässlich, ich konnte nicht verstehen, weshalb<br />
mein Vater ein solches Monstrum zu sich nach<br />
Hause bringen konnte, es war doch selbst schon für<br />
mich kleinen Knirps erkennbar, dass dieses Weibsbild nur<br />
versorgt werden wollte, um ihrem Job als Krankenschwester<br />
den Rücken kehren zu können.<br />
Schon bald hatte sie meinen Vater reichlich mit den<br />
stärksten Medikamenten versorgt, ihn so völlig abhängig<br />
gemacht. Zudem bekam er auch noch eine Zuckerkrankheit,<br />
die mit Insulin behandelt werden musste.<br />
Die Spritzen verabreichte die Krankenschwester natürlich<br />
selbst. Dies fiel ihr leicht, denn er schluckte ja schon<br />
früh in der Weberei ständig Schmerzmittel, die ihm später<br />
von seiner „lieben“ Frau ohne jede Kontrolle verabreicht
werden konnten.<br />
Später sollte sie dann auch Gelegenheit bekommen, die<br />
Dosis zu erhöhen wie es ihr gefiel, und ich war der festen<br />
Überzeugung, dass mein Vater so zu Tode gebracht<br />
werden sollte. Denn Anna wollte wieder frei sein, und<br />
die hohe Pension meines Vaters einstreichen. Außerdem<br />
gab es eine beachtliche Lebensversicherung abzukassieren.<br />
Auch war er auf dem Weg ein Pflegefall zu werden,<br />
und das wollte Anna auf keinen Fall mitmachen.<br />
Als mein Vater im Alter von 62 Jahren ins Krankenhaus<br />
gebracht wurde, bekam ich einen Anruf von meiner<br />
Schwester Rita, die von mir gehasste Stiefmutter wusste<br />
nichts davon. Morgens um 4 Uhr teilte Rita mir mit,<br />
dass unser Vater im Krankenhaus gegen den Tod kämpfte.<br />
9<br />
Sofort machte ich mich auf den Weg zum Krankenhaus,<br />
und als ich den Flur betrat, kam seine von mir gehasste<br />
Anna schnell auf mich zugerannt, und sagte wörtlich:<br />
„Wir machen aber keine Obduktion, wir wollen doch<br />
unseren Papa so in Erinnerung behalten wie er war“.<br />
Das war pures Gesülze, aber keine konkrete Information.<br />
Zunächst dachte ich mich trifft der Schlag, da kommt<br />
die Alte auf mich zu gerannt, damit wir möglichst alleine<br />
sind und anstatt mir zu sagen wie es um meinen Vater<br />
steht, weshalb er ins Krankenhaus gekommen war,<br />
war ihr erster, und einziger Satz etwas mit „Obduktion“…<br />
Leider war ich vom Tode meines Vaters so hart getroffen,<br />
-wir hatten uns erst vor ca. einem Jahr nach viele, viele<br />
Jahre andauernder, sehr langer Funkstille wieder zusammengefunden-,<br />
dass ich die folgenden Tage in einem komatösen<br />
Zustand verbrachte, ich konnte keinen klaren<br />
Gedanken fassen.<br />
Erst als ich dann wieder strukturierter denken konnte,<br />
war´s schon zu spät, mein Vater war beerdigt, und ich<br />
konnte mich nicht durchringen, jetzt noch eine Obduktion<br />
zu beantragen, obwohl ich erfahren hatte, dass<br />
man diese noch hätte durchführen lassen können.<br />
Alles verabreichte Gift hätte man deutlich entdeckt. Und<br />
nur davor hatte die Hexe Anna eine Heidenangst, wie<br />
mir bei klareren Hirnströmen deutlich wurde.<br />
Eine Überdosis Insulin wäre auf Hinweis gefunden worden.<br />
um dann festzustellen, dass mein Vater VERGIFTET<br />
wurde, eine Überdosis Insulin ist zunächst einmal<br />
nicht erkennbar, weil ein Zuckerkranker das Medikament<br />
ja ständig im Blut hatte. Mit gezielten Hinweisen<br />
auf die Giftküche dieser Anna, Insulin und anderen Giften<br />
im Körper meines Vaters, hätte jeder Arzt festgestellt,<br />
10<br />
ob Überdosiert wurde oder nicht. Ich wünschte, dieses<br />
Biest hätte das Echo meiner Stimme in ihr schmutziges<br />
Hirn bekommen.<br />
Für mich war der Gang zu Gericht einfach nicht mehr<br />
möglich, dieser komatöse Zustand dauerte noch lange
an, ich war kraftlos und wollte kein großes kriminalistisches<br />
Theater veranstalten.<br />
Ansonsten, davon war ich überzeugt, wäre dieses Weib<br />
dahin gekommen, wohin es gehörte, hinter Gitter! Ich<br />
hätte sie gerne pünktlich monatlich besucht und ausgelacht.<br />
Hass ist ein Gefühl, das ich eigentlich nicht kennen<br />
mochte, und es beschränkte sich ausschließlich auf diese<br />
Person. Andere Hassgefühle konnte ich nicht empfinden.<br />
Nur einen Menschen auf dieser Welt hasste ich für immer<br />
abgrundtief, diese Anna!<br />
Sie hatte viel damit zu tun, dass mein Leben nicht so<br />
verlaufen war, wie es hätte laufen können.<br />
Sie war ein durch und durch schlechter Mensch, ein<br />
übles Wesen im schlimmsten Sinne.<br />
Leider war mein Vater zu blind das zu erkennen, oder er<br />
wollte es nicht sehen. Vielleicht war er ja einfach nur<br />
froh, eine Beliebige Frau in seiner Nähe zu haben und<br />
außerdem bekam er von ihr jedes Medikament ohne<br />
Probleme. Er war schon jung süchtig nach jeder Art von<br />
Betäubungsmitteln. Mit Anna hatte er da keine Probleme.<br />
Was mich und mein Verbleiben in ihrer neuen Familie<br />
betraf, so hatte sie schon finstere Pläne geschmiedet und<br />
sie ließ schnell Ihre Maske fallen, als mein Vater sie geheiratet<br />
hatte. Nun war sie die Chefin im Haus und<br />
mein Vater bemerkte es nicht einmal. Ich war ihr ein<br />
Dorn im Auge, das wurde mir sehr schnell deutlich.<br />
11<br />
Eh ich mich versah befand ich mich in einem Hexenkessel,<br />
die Frau war nämlich eine solche üble Zauberin, die<br />
in dem, was man eigentlich Seele nannte, ihre teuflischen<br />
Süppchen zu kochen verstand. (Normales Essen konnte<br />
sie nicht kochen, sie war die schlechteste Köchin unter<br />
dem Herrn). Mit allen möglichen Tricks versuchte sie<br />
mich in ihren Bann zu ziehen aber keine ihrer Intrigen<br />
schlugen bei mir an, ich konnte das Weib einfach nicht<br />
leiden und das spürte sie deutlich.<br />
Sie überredete meinen Vater sogar, ich solle sie Mutter<br />
nennen, was ich strikt ablehnte.<br />
Wenn ich der Frau z.B. Fragen stellte, warum denn… irgendetwas,<br />
bekam ich nur die Antwort „darum“, und das<br />
half mir natürlich überhaupt nicht weiter.<br />
So stellte ich bald keine Fragen mehr, denn die Antworten<br />
blieben immer gleich, niemand wollte mir erklären<br />
warum, wie die Erde sich dreht, „darum“…Ich sollte mir<br />
die Antworten selbst suchen. Und das tat ich dann auch.<br />
In der Schule lernte ich auch nicht wirklich, wie man ein<br />
Leben meistern konnte, der Lehrer war ein Schwachkopf,<br />
ein alter Nazi, der immer nur auf die Uhr schaute,<br />
um zu wissen, wann denn endlich Feierabend war. Meine<br />
deutlichste Erinnerung an die Schule war eine gehörige<br />
Backpfeife, die ich von dem Lehrer bekam, warum<br />
wusste ich nie. Ein alter Nazi eben. Ich fand die Schule<br />
zum kotzen.
Die einzige Person die wirklich auf mich einging war<br />
meine Großmutter, eine wahrhaftig liebevolle Frau, die<br />
immer auf meiner Seite stand.<br />
Wenn zu Hause einmal wieder alles schräg lief, konnte<br />
ich zur Oma laufen, die mich dann liebevoll in ihre Arme<br />
nahm. Und meistens übernachte ich dann auch bei<br />
ihr auf einem alten Sofa, das in der Küche stand und immer<br />
für mich frei war.<br />
12<br />
Kapitel 2<br />
Da nun wirklich all die Annäherungsversuche meiner<br />
Stiefmutter, so eine, die man in Horrormärchenbüchern<br />
findet, fehlschlugen verhexte sie meinen Vater, und dieser<br />
Mann, von dem ich überzeugt war dass er mich liebte,<br />
schnallte mich eines Abends auf sein Motorrad und<br />
verfrachtete mich 100 Kilometer weit weg von zu Hause<br />
in ein Erziehungsheim.<br />
In dem Heim wimmelte es von schwarz- weiß gekleideten<br />
Frauen, die man Nonnen nannte und die nur für Jesus<br />
und für kleine Jungs abgestellt waren. Ich musste<br />
mich erstmal von dem Schreck, hier nun leben zu müssen,<br />
erholen.<br />
Noch völlig verständnislos fügte ich mich zunächst in<br />
mein Schicksal, wurde sogar in dem Heim eingeschult,<br />
und von Patern, die aus einem in der Nähe befindlichen<br />
Kloster kamen, die absoluten Gottesmänner waren, belehrt.<br />
Bis mir das ganze zu blöd wurde, und ich lauthals aufmuckte.<br />
Ich setzte mich einfach auf den Tisch, verschränkte<br />
die Arme und veranstaltete meine erste Demo.<br />
Also wurde ich in einem dunklen Raum gesperrt, bis ich<br />
mich „beruhigt“ hatte. Mann zerrte mich mit vielen erhobenen<br />
Zeigefingern wieder ans Licht und zurück in<br />
das Schulgebäude<br />
Ich wusste dass ich in dieser Umgebung nichts zu suchen<br />
hatte und so aktivierte ich erstmal wieder meinen<br />
Freigeist.<br />
Bei Nacht und Nebel schlich ich mich aus dem Haus<br />
der Nonnen in den angrenzenden Wald, nur mit Hemd,<br />
Hose, und Sandalen bekleidet. Socken hatte ich keine<br />
13<br />
gefunden.<br />
Es war eine besonders dunkle Nacht, der Mond hatte<br />
wohl besseres zu tun als für mich zu leuchten.<br />
Ich war über einen Zaun geklettert, und befand mich in<br />
dem dunklen Waldgebiet. Mir war schon mulmig zumute,<br />
aber ich machte mich auf den Weg, nur weg von diesem<br />
Ort der vielen Gebete.<br />
Dass sich eine Straße links vom Waldstück befinden<br />
musste, wusste ich, so kroch ich aufgewühlt durchs Unterholz.<br />
Ich hatte natürlich keinen Schimmer von dem, was nun<br />
auf mich zukommen könnte. `Ne wilde Sau´ oder ähnliches<br />
stellte ich mir schon schreckhaft vor.<br />
Als ich an der Straße angekommen war hielt ich einfach
ein Auto an. Ein furchtloser Fahrer bremst für mich, und<br />
fragte was ich kleiner Bengel denn so spät noch auf der<br />
Straße zu suchen hätte. Ich gab ihm eine, mir nun nicht<br />
mehr nachvollziehbare Erklärung und er nahm mich mit<br />
bis in die nächste Stadt,<br />
Ich wusste zwar nicht so recht wo ich nun war, aber ich<br />
sah ein Verkehrsschild mit der Aufschrift „Düren 15<br />
km“. Wenn ich bis dort kam, war es nicht mehr weit in<br />
meine Heimatstadt, wo ich bei meiner Oma unterkriechen<br />
wollte.<br />
So hielt ich weiter Autos an, und befand mich gegen<br />
Mitternacht vor der Türe zu Omas Haus, die zwar recht<br />
müde, aber liebevoll wie immer ihr Sofa für mich herrichtete.<br />
Am nächsten Morgen verließ ich Omas Wohnung mit<br />
unbekanntem Ziel. Sie hatte mir noch ein paar Taler zugesteckt,<br />
und verabschiedete mich mit den Worten<br />
„Junge, mach dich nicht unglücklich“. Meine Oma war<br />
ein herzensguter Mensch. Sie sprach niemals negativ<br />
14<br />
über andere Menschen, sie ließ jeden leben wie er wollte.<br />
Täglich saß sie bis ins hohe Alter an ihrer Nähmaschine<br />
und arbeitete für kleines Geld, beklagte sich nie.<br />
Als ich eines Abends völlig durchnässt vom Regen und<br />
frierend von Kälte bei meiner Mutter klingelte, öffnete<br />
sie die Türe, sah mich zitternd stehen und sagte wütend:<br />
„Mach bloß dass du wieder da hin kommst wo du weggelaufen<br />
bist“, und schlug mir die Türe vor der Nase zu.<br />
Das war meine Mutter. Ab und an ließ mich meine<br />
Schwester Marlene abends durch das Fenster ins Kinderschlafzimmer,<br />
ohne dass Mutter es bemerkte und ich<br />
schlief einige Stunden auf dem nackten Fußboden, verschwand<br />
aber schleunigst, wenn sich etwas im großen<br />
Schlafzimmer meiner Mutter zu regen begann. Ausschlafen<br />
konnte ich nie, dafür war die Unterlage auch zu hart.<br />
So stand ich zumeist wieder im nassen Dunkel und<br />
machte mich auf Zurück zur Oma. Dort konnte ich nie<br />
lange verweilen, ich wurde ja von Jugendämtern, Nonnen<br />
und Patern gesucht.<br />
So hatte meine Flucht vor negativen Einflüssen begonnen.<br />
Irgendwie landete ich dann einige Tage später bei der<br />
Polizei, dann wieder bei meinem Vater und seiner Alten,<br />
man hatte mich irgendwo aufgegriffen, und da die Schule<br />
nun vorüber war sollte ich eine Lehre beginnen.<br />
Es war klar, dass mein Vater meinen Beruf bestimmte, er<br />
war Elektrotechniker in der Kernforschungsanlage, (die<br />
man uns in den 60er Jahren heimlich still und leise in<br />
den angrenzenden Wald gebaut hatte), und somit war<br />
klar, „das wirst du auch, es ist ein interessanter Beruf mit<br />
Zukunft, und eine Lehrstelle in der KFA hab ich dir<br />
schon besorgt. Du kannst am 1. anfangen“.<br />
Elektrotechniker, das war überhaupt nicht mit meinem<br />
Gedankengut zu vereinbaren, aber was wollte ich ma-<br />
15
chen, der 1. rückte näher, und ich trat meinen Lehrdienst<br />
in der von Mauern, Stacheldrahtzäunen, und anderen Sicherheitsanlagen<br />
umgebenen Kernforschungsanlage an.<br />
Dort ging es um Forschung an der höllischsten Kraft, die<br />
Menschen kurz vor Ende des 2. Weltkrieges erfunden<br />
hatten, um möglichst effektive und weiträumige Zerstörung<br />
zu erzeugen, was ja auch gegen Ende des Krieges<br />
in Hiroshima und Nagasaki vorgeführt wurde.<br />
Diese Kraft sollte in der Forschungsanlage zu friedlichen<br />
Zwecken als unendlicher Energieerzeuger unter Kontrolle<br />
gebracht werden.<br />
Ich kam in einen Raum mit ca. 10 Werkbänken, und<br />
nach einer Einführungsrede des Meisters stand ich nun<br />
da in einem blauen Kittel mit einer Eisenfeile in der<br />
Hand vor meiner Werkbank. Ein dickes Stück Eisen in<br />
einem auf der Bank befindlichen Schraubstock eingeklemmt,<br />
dieses mir unangenehme Stück Metall sollte ich<br />
nun in eine bestimmte Form bringen. Das Stück Eisen<br />
sollte genauestens auf Millimeter genau vorgegebene<br />
Masse zurechtgefeilt werden. Schon als ich die Feile auf<br />
das Eisenstück legte, war mir klar, dass ich die Vorgaben<br />
niemals einhalten könnte, aber ich feilte drauf los was das<br />
Zeug hielt.<br />
Nach 2 Wochen war das Eisenstück völlig aus der Form<br />
geraten, und ich bekam nur Rüffel vom Meister. Andere<br />
Lehrlinge hatten ihre fertige Arbeit längst abgeliefert.<br />
Ich konnte mit dem Zeug einfach nicht umgehen und<br />
so langsam fasste ich einen Entschluss. Zu Hause war sowieso<br />
nur Frust, die Arbeit war unmöglich für mich zu<br />
bewältigen, es musste sich etwas ändern.<br />
Einer meiner Arbeitskameraden hatte wohl auch keinen<br />
Bock auf den Job den er da ausfüllen sollte und wir kamen<br />
so mit und mit ins Gespräch. „ist doch alles Mist<br />
16<br />
hier, das hatte ich nicht gewollt“ sagte Klaus, ich konnte<br />
ihm nur beipflichten.<br />
Also was tun?<br />
17<br />
Kapitel 3<br />
Meine Gedanken wurden immer klarer, und ich sagte zu<br />
Klaus.“ Wie wär`s wenn wir einfach abhauen?“ „Wie<br />
abhauen, wo sollen wir denn hin?“ „Da wird sich schon<br />
was finden, ich möchte ans Meer, da träume ich schon<br />
lange von“, entgegnete ich Klaus.<br />
„Und wie kommen wir dahin? Geld haben wir auch<br />
nicht“ sagte er darauf.<br />
„Ach lass mich mal machen, ich werde das organisieren“,<br />
sagte ich mit sicherer Stimme.<br />
Ab jetzt waren wir beide nur noch von Gedanken an<br />
„weg aus dieser Eisenschrubberanlage“ besessen.<br />
Einige Tage später war es dann soweit. Wir hatten „Campingbeutel“,<br />
so hießen kleine Transporttaschen aus Plastik,<br />
die man sich mit einer Schnur über die Schulter
hängen konnte.<br />
Mit etwas Wäsche und ein paar Broten bepackt, jeder<br />
von uns hatte sich 10 Mark organisiert, und ab an die<br />
Hauptstrasse in Richtung Holland.<br />
Damals war ich 13 Jahre alt, aber mutig wie ein Tiger.<br />
Das, was mich zu Hause oder auf der Arbeit erwartete,<br />
konnte nur viel schlimmer sein, als hier auf der Strasse zu<br />
steh`n.<br />
Daumen raus, Autos gestoppt, und weit weg, das war<br />
nun die Devise.<br />
Wir waren gegen 9 Uhr morgens losgetrampt und schon<br />
8 Stunden später sah ich zum ersten Mal das Meer.<br />
„Kneif mich `mal“ sagte ich zu Klaus, denn ich konnte<br />
kaum glauben dass ich an einem Strand entlang lief.<br />
Klaus stand der ganzen Sache noch ziemlich skeptisch<br />
gegenüber, er wusste wohl nicht so recht wie es weiter-<br />
18<br />
gehen sollte, zumal es langsam dunkel wurde.<br />
„Komm, wir suchen uns `was zum pennen“ schlug ich<br />
vor, aber der Hunger trieb uns zunächst in eine Pommesbude,<br />
wo wir die größte Portion bestellten. Von unseren<br />
10 Mark hatten wir noch nichts ausgegeben.<br />
Satt und müde sahen wir Strandkörbe, die aber leider<br />
verschlossen waren.<br />
Dann fanden wir doch noch einen ziemlich heruntergekommenen<br />
Strandkorb, der in seinem Zustand nicht<br />
mehr zu verschließen, und auch nicht mehr zu vermieten<br />
war. Wir versuchten uns in den Korb zu zwängen,<br />
aber an gemütlichen Schlaf war nicht zu denken.<br />
Irgendwie hatten wir dann doch noch ein paar Stunden<br />
gepennt, ein wunderschöner Sonnenaufgang stellte uns<br />
auf die Beine.<br />
Die Sonne hatte ich schon immer genossen, und besonders<br />
verehrt, aber einen solch überwältigenden Blick auf<br />
Himmel, Sonne und Meer hatte ich noch nicht erlebt.<br />
Dazu den unendlichen Horizont des Meeres, ich glaubte<br />
die Welt fällt weit in der Ferne nach hinten in ein großes<br />
Loch.<br />
Der Himmel war purpurrot, von gräulichen Schleierwolken<br />
gesprenkelt und da kam sie am Horizont hoch,<br />
ein halbrundes glühendes Etwas, das sich immer höher<br />
aus dem Wasser erhob, immer weiter hoch stieg, und<br />
letztlich rund wie ein Ball aus glühendem Feuer leuchtete,<br />
diese herrliche, majestätisch glänzende Sonne , die<br />
uns in den Tag führen sollte.<br />
Ich fühlte mich gut, ich erkannte ein Gefühl von Freiheit<br />
wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Klaus war<br />
nicht wohl zumute, er konnte unsere Selbständigkeit<br />
nicht so genießen wie ich.<br />
„Gehen wir uns Brötchen kaufen, ich hab Hunger“ sagte<br />
ich zu Klaus und wir wurden erneut satt. Unsere Bör-<br />
19<br />
se begann dramatisch zu schrumpfen, aber darüber
machte ich mir keine Gedanken.<br />
„Komm, wir fahren jetzt einfach nach Paris“ lockte ich<br />
Klaus aus seiner Lethargie, aber der fasste sich nur an den<br />
Kopf, um mir zu verdeutlichen, dass ich spinne.<br />
„Nein“, sagte ich, „wir schaffen das. Wir trampen an der<br />
Nordsee entlang bis Frankreich, und dann links nach Paris“<br />
Also machten wir uns auf, Daumen rausgehalten bis Belgien.<br />
Dort waren wir schnell, nun mussten wir nur noch<br />
nach Frankreich. Übrigens hatte Keiner von uns Personalpapiere,<br />
an solche hätte ich bei unserer Abreise am<br />
Wenigsten gedacht.<br />
Für den Hunger bettelten wir uns durch, immer einen<br />
lockeren Spruch auf den Lippen (was mir Jahre später<br />
noch sehr helfen sollte, -Geld verloren oder so-), es ging<br />
weiter.<br />
Es war nun der dritte Tag seit wir ausgebüchst waren,<br />
mir tat`s gut, aber Klaus wollte zurück nach Hause.<br />
Ihn erwartete ja auch nicht die skrupellose Mischpoke,<br />
mit der ich mich dann wieder auseinandersetzten musste,<br />
sondern nur die Mutter und eine Oma, die Schnaps<br />
trank und ihn liebten. Was ich von meinen Leuten, außer<br />
meinem Vater, mit der Hexe an seiner Seite, leider<br />
nicht sagen konnte.<br />
Was soll’s, dachte ich, lenkte ein, wieder nach links, aber<br />
an Paris vorbei nach Strasbourg an die Französisch-<br />
Deutsche Grenze.<br />
„Na wo kommt ihr Jünglinge denn her“ fragte ein dicker<br />
Deutscher Zollbeamter, bei dem wir uns gemeldet<br />
hatten. „Und zeigt `mal eure Papiere“. „Ham wa nich“,<br />
sagte ich, und erzählte die Geschichte von der großen<br />
Flucht. „Ihr seid mir ja Früchtchen, “ raunzte der Zöllner,<br />
und griff zum Telefon.<br />
20<br />
Nun ging alles seinen geordneten Gang, die Eltern wurden<br />
benachrichtigt, dass man uns an der Zollstation abholen<br />
könne. Jetzt hatte ich richtig Bammel.<br />
Drei Tage Freiheit, dabei war ich doch losgegangen um<br />
nie wieder zurückzukehren.<br />
Nicht unsere Eltern holten uns ab, sonder irgendwelche<br />
unsympathischen ernst dreinblickenden Leute vom Jugendamt,<br />
die uns in die Heimat zurückführten.<br />
Es gab eine dicke Standpauke von meinem Vater, eine<br />
saftige Ohrfeige, einen Blick von seiner Alten, der so voller<br />
Hass war wie ich nie einen gesehen habe, Klaus hatte<br />
ich seitdem auch nicht mehr getroffen.<br />
Nach kurzer Zeit fand ich mich in einem anderen „Erziehung“-<br />
Heim wieder, ca. 150 km von zu Hause entfernt.<br />
Dort waren kleine Häuser für Gruppen a 10 Jugendlichen,<br />
und es war eigenartigerweise nicht mal<br />
unangenehm.<br />
Ich sollte eine Lehre als Polsterer beginnen, und fügte<br />
mich zunächst in mein Schicksal.<br />
Die Arbeit fand ich bescheuert, für mich auch diesmal
völlig unpassend aber ich hatte sehr schnell einige Annehmlichkeiten,<br />
die mich vor einer vorschnellen Flucht<br />
zurückhielten.<br />
Erstmal gab es Musik in der Freizeit die mir gut gefiel.<br />
Twist war gerade modern, und ich liebte es zu tanzen.<br />
Es gab zwischen den einzelnen Häusern Twistmeisterschaften,<br />
die ich schnell alle gewann. Ich konnte die<br />
Hüften schwingen wie Elvis, selbst der hätte meinen<br />
Schwung bewundert.<br />
Da war noch was, eine der im Büro des Heimes angestellte<br />
Sekretärin machte mir schöne Augen, das war<br />
neu, aber nicht unerfreulich.<br />
21<br />
Das Mädel sah gut aus, wohnte in einem Häuserkomplex<br />
der dem Heim angeschlossen, der für die Angestellten –<br />
Erzieher, Arbeitsmeister, und auch für das Büropersonal<br />
vorgesehen war.<br />
In einem dieser Häuser wohnte auch besagtes Fräulein,<br />
Anke, und es ergab sich –ich wusste nicht mehr genau<br />
wie -, dass wir uns plötzlich allabendlich zwischen Hekken<br />
an einen Baum gelehnt trafen, und knutschten was<br />
das Zeug hielt. Wir betatschten uns wo`s auch immer<br />
gefiel, und die zwei Stunden fast täglich wurden eine<br />
geile Angelegenheit. Nur vögeln wollte sie nicht, das war<br />
absolut tabu. Ich war 13-, sie 20 Jahre alt und so fummelten<br />
wir weiter vor uns hin.<br />
Anke hatte ein Auto und eines Tages, es war Sonntag,<br />
dann hatten wir Ausgang ins Dorf bis 6 Uhr, fuhr mich<br />
Anke zu meiner Mutter nach Merschenich.<br />
Die war hoch verwundert mich mit einer jungen Frau<br />
zu sehen aber ich hatte den Eindruck dass sie sich freute<br />
mich zu sehen. Erstaunlich.<br />
Wir tranken Kaffee, aßen Kuchen, und Mutter fragte<br />
wieso ich denn nach Hause kommen konnte. Ich log ihr<br />
vor, dass Anke die Erlaubnis hatte mit mir nach Hause zu<br />
fahren.<br />
Schön und gut, der Tag ging vorbei, und wir bemerkten<br />
zu spät, dass wir längst im Heim sein sollten, und machten<br />
uns schleunigst auf den Weg zurück.<br />
Aber es nützte alles nichts, die Katastrophe war nicht<br />
mehr aufzuhalten.<br />
Erst um kurz nach 8 Uhr abends lieferte mich Anke vor<br />
der Haustür meiner Heimabteilung ab, da stand auch<br />
schon der Obererzieher und klatschte mir seine grobe<br />
Hand mit voller Wucht ins Gesicht.<br />
„Das habt ihr euch ja schön ausgedacht“ sagte er hämisch,<br />
Anke fuhr beschämt die paar Meter weiter bis zu<br />
22<br />
Ihrem Haus.<br />
Eine Woche später war sie entlassen, ich hatte nichts<br />
mehr von ihr vernommen.<br />
Die nächste Flucht wurde schnell in Angriff genommen.<br />
Ich hatte einen guten Kumpel aus einem anderen Haus,
der auch dem Twist verfallen war, und wenn Chubby<br />
Checker grölte waren wir nicht aufzuhalten und twisteten<br />
gemeinsam durch die Häuser.<br />
Mit Gerd besprach ich dann meinen Plan, das Heim<br />
endgültig zu verlassen, es gefiel mir nicht mehr. Hans<br />
überlegte 24 Stunden, dann kam er rüber und nickte nur<br />
mit dem Kopf.<br />
Nachdem es dunkel wurde fehlten 2 Heiminsassen, sie<br />
waren auf dem Weg nach Frankreich, ich wollte endlich<br />
nach Paris.<br />
Natürlich hatten wir erneut keine Papiere bei uns, aber<br />
auch jetzt das Glück nie kontrolliert zu werden.<br />
Am zweiten Abend unserer per Anhalter-Reise erreichten<br />
wir Saarbrücken, ich roch zwar viel Kohlenstaub<br />
aber auch die nahe Grenze nach Frankreich und PARIS.<br />
Beim Bummel durch die Stadt, wir suchten eine Schlafgelegenheit,<br />
kamen wir an einer Eckkneipe vorbei, aus<br />
der hallte laut Twist-Musik.<br />
Wir rein in die Kneipe, und wie´s der Himmel so wollte<br />
befanden wir uns in einem Twist-Kontest, 1.Preis 100<br />
DM, 2. Preis eine Magnum-Flache Sekt, den dritten<br />
Preis wusste ich nicht mehr.<br />
Wir schauten uns auf der Tanzfläche um, und als wir die<br />
Verrenkungen der verschiedenen Teilnehmer sahen<br />
schauten wir uns lächelnd an, und meldeten uns bei der<br />
Jury um mitzumachen.<br />
„Aber normalerweise tanzen nur Junge und Mädchen,<br />
zwei Jungen haben noch nie hier mitgemacht“, sagte ei-<br />
23<br />
ner aus der Jury. Er dachte wohl wir seien schwul.<br />
Wir wurden trotzdem mit in den Wettbewerb eingetragen,<br />
und durften mitmachen. Es waren insgesamt ca. 10<br />
Paare am Start, und schon ging`s los.<br />
Als wir die auftretenden Tänzer sahen, die sich das auf<br />
dem Parket produzierten, waren wir uns eines sehr vorderen<br />
Platzes sicher.<br />
Wir wurden aufgerufen, Chubby dröhnte uns in die<br />
Ohren und gleich in die Glieder. Wir bewegten was die<br />
Knochen hergaben, wir hatten im Heim of gemeinsam<br />
geübt. Twist war unser Leben und meine Hüften waren<br />
für den Tanz gemacht, Niemand sollte besser sein als wir.<br />
Wir hatten so viele Tricks und Kniffe drauf, liessen uns<br />
mit den Knien nach hinten<br />
tragen, dass unsere Köpfe fast den Boden berührten, und<br />
erntete reichlich Applaus.<br />
Logischerweise hatten wir auch Neider. Da kamen zwei<br />
wildfremde Bürschlein ins Lokal und wollten abräumen.<br />
Also bekamen wir nur den 2. Preis, waren echt sauer. Wir<br />
waren einfach die Besten. Was wollten wir mit Sekt, wir<br />
wollten den Hunderter um gemütlich nach Paris zu<br />
kommen.<br />
Aber nix zu machen, oder doch…sehr hübsche Mädels<br />
tauchten bei uns auf, wir griffen uns zwei, von denen Eine
sogar eine eigene Wohnung hatte, und rockten , twisteten<br />
und vögelten die Nacht durch bis es hell wurde.<br />
Wir hatten doch den 1. Preis gewonnen.<br />
Nachdem wir mit unseren süssen Mäusen, die wir uns<br />
immer brüderlich geteilt hatten, mal die, mal jene, jeder<br />
sollte seinen Spaß haben, gefrühstückt hatten, und ihnen<br />
noch 60 Mark aus dem Kreuz geleiert, machten wir uns<br />
weiter auf den Weg Richtung Paris.<br />
Leider hatten wir in unserem Sekt und Sex-Rausch die<br />
Grenze nicht bedacht. Wir gingen ganz normal über ei-<br />
24<br />
ne Brücke, die als Grenze ausgewiesen war, und plötzlich<br />
tönte es in unserem Rücken „Halt, wo wollt ihr hin?“<br />
„Nach Frankreich, eine Tante besuchen“ „dann zeigt<br />
`mal eure Papiere“. „Ja wo hast du sie denn“, fragte mich<br />
Gerd in aller Unschuld, aber es war ein Satz mit X, über<br />
die Grenze kommen war nix…<br />
Die gleiche Prozedur wie schon mal in Stassbourg, Jugendamt,<br />
und ab ins Heim.<br />
25<br />
Kapitel 4<br />
Aber was für ein Heim! 5Meter hohe Mauern, alle Fenster<br />
mit dicken Eisenstäben verrammelt, an Flucht war<br />
zunächst mal überhaupt nicht zu denken. Brauweiler<br />
war der Ort in dem dieses sehr alte Jugendgefängnis mit<br />
angeschlossener Säuferheilanstalt gebaut war. 30 km von<br />
meinem Heimatort entfernt.<br />
Ich war nie kriminell gewesen, hatte keinem Menschen<br />
Böses getan und saß jetzt hinter Gittern.<br />
Jedoch schon am nächsten Tag waren meine Freiheitsgedanken<br />
wieder da, Gitter, Mauern oder nicht, ich wollte<br />
da raus!<br />
Es dauerte genau 4 Wochen, bis ich mit einem Mit-<br />
„Häftling“ die Flucht geplant hatte.<br />
3-mal wöchentlich konnten wir im Hof dieses Knastes<br />
Fußball spielen, nur ein Wächter trottete lustlos seine<br />
Runde.<br />
Es war Herbst, und schon ziemlich früh dunkel aber das<br />
Fußballspiel fand immer von 17- bis 19Uhr statt. (Übrigens,<br />
mit Fußball hatte ich ja gar nichts am Hut), ich<br />
zeigte mich als Stürmer, und plötzlich schoss einer der<br />
Spieler den Ball in eine dunkle Ecke der Mauer.<br />
Fast Alle liefen dem Ball hinterher, und zwei Jung`s liefen<br />
besonders schnell. In Nu hatten sich zwei starke<br />
Männer übereinander gestellt, und Bodo und ich kletterten<br />
an ihnen hoch bis auf die Mauer.<br />
Für den Wächter waren wir unsichtbar, wir spielten nur<br />
Fußball im halbdunklen Hof. Oben an der Mauer angekommen<br />
mussten wir feststellen, dass die Mauer von außen<br />
noch<br />
höher war als von innen aber Augen zu und runter.<br />
Als wir unten angekommen waren, die Knochen heil,<br />
26
liefen wir so schnell wir konnten auf ein grosses Feld zu,<br />
das besonders hohe Furchen hatte, wir brauchten nur eine<br />
kleine Strasse zu überqueren.<br />
Es dauerte nicht lange, als auf der nahen Strasse Scheinwerferpaare<br />
auftauchten, die besonders langsam fuhren.<br />
Es müssten 3 oder 4 gewesen sein. Einer bog auch in einen<br />
Feldweg ein, aber wir legten uns so in die hohen<br />
Ackerfurchen, dass man uns unmöglich sehen konnte.<br />
Nach einer Stunde war die Jagt vorbei, und die Wächter<br />
mussten unverrichteter Dinge wieder hinter ihre Mauer<br />
zurück. Man hatte uns nicht gefunden, und ein weiterer<br />
Fluchtplan war `mal wieder positiv ausgeführt.<br />
Langsam begaben wir und Richtung Strasse, immer<br />
noch wachsam ob der Wächter, die zum Glück keine<br />
Köter hatten, noch auf der Suche waren. Das wäre ja<br />
auch noch schöner gewesen,<br />
schließlich waren wir nicht für irgendwelche kriminellen<br />
Taten im Heim, obwohl in der Bauweise kein Unterschied<br />
zu einem Gefängnis bestand.<br />
Vor dem nächsten kleinen Ort stand ein kleiner Lastwagen,<br />
der hatte Säcke aus Jute geladen. Schon hatten wir<br />
einen Schlafplatz gefunden.<br />
Bodo ging am nächsten morgen seiner Wege, und ich<br />
meine.<br />
Völlig verdreckt von den Säcken fühlte ich mich gar<br />
nicht wohl, und suchte eine Waschgelegenheit. An einem<br />
Neubau sah ich einen Wasserkran, und säuberte mich so<br />
gut es eben ging.<br />
Es mag 6-oder 7 Uhr gewesen sein, noch kaum Betrieb<br />
auf der Strasse, die Bauarbeiter waren noch nicht angerückt.<br />
Ich wusste nicht so recht wo ich war, lief einfach<br />
drauflos.<br />
So ca. 500 Meter war ich gegangen, da lenkte hinter mir<br />
ein Fahrzeug auf den Bürgersteig, und fuhr mir langsam<br />
27<br />
in die Kniekehlen, um mich fast gegen die Häuserwand<br />
zu drücken.<br />
Als ich mich erschrocken umschaute war dies Fahrzeug<br />
grün-weiß angemalt, es war die Polizei.<br />
„ Na junger Mann, wo wollen wir denn hin“? hörte ich<br />
einen Bullen sagen während er sich seine Dienstmütze<br />
auf den Schädel schraubte, und aus dem Auto sprang.<br />
So hatten sie mich wieder erwischt, eine schmutzige<br />
Nacht in Freiheit, und schon landete ich erneut in dem<br />
verhassten Knastgebäude, aus dem ich mit viel Mühe<br />
entsprungen war.<br />
Es gab eine dicke Rüge vom Direktor, Fragen, weshalb<br />
ich denn immer „entweichen“ müsse, da ich keine Antworten<br />
fand sperrte man mich zunächst mal in einen<br />
dunklen Keller, und schloss eine dicke, quietschende Türe<br />
hinter mir zu.<br />
Ich hatte richtig Furcht, dieses dunkle Loch, wo absolut<br />
nichts zu sehen war, eine unheimliche Dunkelheit und
aschelnde Geräusche am Boden. Es waren Ratten, die<br />
sich dort amüsierten, und mir Angst einjagen wollten. Irgendwie<br />
fand ich tastend einen Hocker zum Sitzen und<br />
harrte der Dinge die da komme sollten. Ich sah die<br />
Hand nicht vor den Augen und fror.<br />
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich endlich einen<br />
Schlüssel hörte, die Türe sich öffnete, um mich ans Tageslicht<br />
zurückzulassen.<br />
Ich kam wieder in den Raum meiner Haftgenossen, wir<br />
waren 6 Leute in einem Zimmer, die mir auf die Schultern<br />
klopften, und sagten „ wenigstens bist du ´rausgekommen“,<br />
das konnte mich nicht trösten, ich war ja<br />
wieder „drin“.<br />
Die nächste Flucht war schon in Planung, als ich mich<br />
auf meine Pritsche setzte.<br />
28<br />
Es waren einige Monate ins Land gegangen, als ich dann<br />
meinen 14ten Geburtstag hatte. Meine Mutter kam zu<br />
Besuch, sie brachte mir Süsses, ein halbes Pfund Butter<br />
und eine Schmierwurst mit.<br />
Freuen konnte ich mich auf den Besuch nicht so richtig,<br />
bis einer der Bewacher sagte, dass ich für 2 Stunden<br />
mit meiner Mutter im Dorf spazieren gehen dürfe.<br />
Ich konnte mein Glück kaum fassen, denn ich wusste<br />
sofort, das war die Gelegenheit!<br />
Wir schritten durch das hohe dicke Tor und das Erziehungsheim<br />
lag plötzlich hinter mir.<br />
Meine Mutter brabbelte auf mich ein, ich verstand kaum<br />
ein Wort, und als ich ausser Reichweite des verhassten<br />
Gebäudes kam, sagte ich ihr: „ ich muss jetzt weg“.<br />
Mutter war geschockt, „Junge, mach doch keine<br />
Dummheiten, du kommst sicher bald nach Hause“.<br />
Aber da war ich schon davongerannt, immer weiter weg<br />
aus dem Dorf wo ich mich absolut nicht wohl fühlen<br />
konnte. Am Dorfesrand hielt ich ein Auto an, und der<br />
Fahrer nahm mich mit nach Köln.<br />
Endlich eine grosse, unübersichtliche Stadt, wo ich untertauchen<br />
konnte.<br />
Nun hatte ich wieder ´mal weder Geld noch Papiere,<br />
aber ich sah in Bahnhofsnähe eine kleine Bande junger<br />
Leute, die sich den Tag um die Ohren zu schlagen suchten.<br />
Ich ging auf die Jugendlichen zu, und fragte wo ich ´was<br />
zu beißen kriegen könnte, ich hatte Hunger, die<br />
Schmierwurst war im Heim geblieben.<br />
Sofort bekam ich ein Stück Brot, und man fragte mich<br />
wo ich denn herkomme? „Bin aus ´nem Heim abgehauen,<br />
und muss nun möglichst weit weg von hier“ erklärte<br />
ich mich.<br />
„Kein Problem“ sagte einer der „Gammler“, wie man<br />
29<br />
sie damals nannte, „ich mach mich auf den Weg nach<br />
Süden, du kannst mitkommen“.<br />
Bald marschierten wir Richtung Autobahn, und streckten
wieder ´mal den Daumen in die Höhe.<br />
Es dauerte nicht lange, da hielt ein Wagen an, und nahm<br />
uns mit bis Mainz, Ca. 200km weg von Köln.<br />
Mit jedem Kilometer, den wir uns von Köln entfernten,<br />
wurde ich immer ruhiger, denn jetzt sollten die Verfolger<br />
es verdammt schwer haben, mich noch einzufangen.<br />
„Ich will nach München“, sagte Karl“, und somit war<br />
das auch mein Ziel.<br />
Wir mussten irgendwo noch ´mal eine Nacht in einem<br />
Rasthof verbringen, Karl hatte Geld für Kaffee, und am<br />
nächsten Nachmittag waren wir am Ziel, München.<br />
Karl wusste wo sich „unsereins“ aufhielt, und wir gingen<br />
in den englischen Garten.<br />
Dort befand sich ein Monument, das hiess „Monopturus“,<br />
genau da lagerten viele Leute wie Karl und ich,<br />
und vertrieben sich die Zeit mit Guitarenspiel, Tanz und<br />
Gesang.<br />
Das gefiel mir sofort, zumal es auch einige nette Mädels<br />
zu sehen gab.<br />
Schnell hatte ich mich an das Leben dieser Menschen<br />
gewöhnt, Schnorren geh´n um zu essen, und ´ne Decke<br />
besorgen um nachts im englischen Garten nicht zu frieren.<br />
Es war Frühling, es wurde immer wärmer, und somit<br />
kein Problem im Freien zu nächtigen.<br />
Sehr schnell hatte ich ein mich zusätzlich wärmendes<br />
Mädel unter der Decke. Es war eigentlich ihre Decke,<br />
aber die teilte sie mit mir.<br />
Manche schon besser gestellte „Beatniks“ hatten längst<br />
Schlafsäcke, aber so weit war ich noch nicht. Ich war<br />
noch am unteren Ende der Hierarchie, die es eigentlich<br />
30<br />
nicht gab, aber Einigen ging´s eben besser als anderen.<br />
Trotzdem wurde alles geteilt. Niemand musste Hunger<br />
leiden oder frieren.<br />
Es dauerte nicht allzu lange, da hatte ich mir 30Mark zusammengebettelt,<br />
und konnte von einem amerikanischen<br />
Soldaten einen flammneuen Daunenschlafsack aus<br />
Armeebeständen kaufen. Jetzt war es wirklich mit dem<br />
Frost am Ende, der Schlafsack wärmte kolossal und war<br />
auch noch wasserdicht.<br />
Dieses Teil sollte mich lange begleiten.<br />
Was mich sehr störte waren die unregelmäßigen Polizeikontrollen,<br />
die leider immer wieder stattfanden. Ich roch<br />
jedoch die Polizei meist schon von weitem, und hatte<br />
mich schnell im Dschungel der Großstadt verkrümelt.<br />
Die Zeit ging in angenehmer Lebensform vorbei, der<br />
Sommer kündigte sich an. Ich hatte ein sehr schönes und<br />
genau so liebes Mädel kennen gelernt, sie hatte lange<br />
hellblonde Haare, ein hübsches Gesicht mit strahlend<br />
blauen Augen, in denen man die Sonne flackern sah, einer<br />
kleinen, süssen Stupsnase, und einen Körper, als hätte<br />
Gott persönlich Hand angelegt. Sie bewegte sich immer<br />
mit wiegendem Schritt, so als würde sie über die
Erde tanzen.<br />
Manuela war ihr Name, sie kam fast täglich nach der<br />
Schule zu mir in den englischen Garten, sie wohnte direkt<br />
nebenan bei ihren Eltern.<br />
Wir spielten miteinander, und ich fühlte, dass sie mich<br />
mochte. „wieso heisst du eigentlich Hermann“, fragte<br />
sie mich irgendwann, „der Name passt nicht zu dir“.<br />
Das fand ich auch und zwar schon lange. Es war der Name<br />
meines Nazi-Grossvaters, und der wurde mir von<br />
meinen Eltern aufgedrückt, wie das früher halt so war.<br />
Manuela überlegte ein wenig, indem sie mich ansah, und<br />
sagte plötzlich. „ Eric sollst du heißen, das passt viel bes-<br />
31<br />
ser zu dir, du bist ein nordischer Wickingertyp mit deinem<br />
wilden blonden Haar“.<br />
Warum sie ausgerechnet diesen Namen wählte hatte ich<br />
nie verstanden, aber er gefiel mir, kurz und bündig, ich<br />
hatte einen neuen Vornamen.<br />
Mit Manuela gab es keinerlei sexuelle Beziehung, obwohl<br />
ich dies gerne mögen mochte, zumal sie 3 Jahre älter<br />
war als ich, und sicher wusste wie das so alles funktioniert,<br />
aber zwischen uns gab es nur Spiele wie unter<br />
Kindern.<br />
Wir gingen spazieren, unterhielten uns über dies und jenes,<br />
schaukelten oft auf einer im Garten stehenden<br />
Schaukel, wobei ich ihr oft unters Röckchen gucken<br />
konnte, unter dem ein blitzweißer Slip blinkte aber das<br />
war’s dann auch. Wenn sie sich von mir am frühen Abend<br />
verabschiedete bekam ich einen unschuldigen Kuss, und<br />
schon war Manuela auf dem Weg nach Hause, wo Papa<br />
und Mama mit dem Abendessen warteten.<br />
Bis zum Rand des englischen Gartens durfte ich sie begleiten,<br />
dann gab´s den letzten Kuss, uns weg war mein<br />
Schatz.<br />
Im Laufe der Zeit hatte ich mich in das blonde Mädel<br />
ein wenig verliebt, und ich fand es traurig, als sie plötzlich<br />
verschwunden war. Jedenfalls lebte sie ein „normales“<br />
Leben, ging auf´s Gymnasium, und, was der Liebe<br />
keinen Abbruch tat. Sie kam immer nur gezielt zu mir,<br />
mit den anderen Beatniks wollte sie keinerlei Kontakt.<br />
Irgendwann war Manuela verschwunden, ohne Abschied,<br />
ohne ein letztes Wort, sie kam nicht wieder in<br />
den Park.<br />
32<br />
Kapitel 5<br />
Aber ich gewöhnte mich schnell an die veränderte Situation,<br />
und suchte wieder näheren Kontakt zu den<br />
Beatniks oben zwischen den Säulen des Monopturus.<br />
Irgendwann im Juli 1961, ich war immer noch 13Jahre<br />
alt, gab es das Gerücht, dass eine Filmcrew vom hessischen<br />
Rundfunk 4 Leute suchte, 2 Mädels und 2 Jungs,<br />
die sich in der Beatnikszene herumtrieben.<br />
Schnell hatte ich diese Leute gefunden, und bot mich
an, an dem Film mitzuwirken. Die anderen 3 Personen<br />
waren schon gekastet, Mike, der die längsten Haare hatte,<br />
(das war´s aber auch), Inga aus Frankfurt, und Liesel.<br />
Inga war eine grosse, den Braunhaarigen Kopf immer<br />
stolz hoch tragend und doch sehr lustige Frau von 18<br />
Jahren. Sie kannte die Strasse, war schon 2 Jahre in<br />
Europa unterwegs.<br />
„Ich hab kein Ziel, ich lasse mich von Wind und Sonne<br />
vorwärts treiben“, war ihre Philosophie. Das gefiel<br />
mir.<br />
Liesel war schon 20 Jahre alt, dunkelblonde Locken umgaben<br />
ihren Kopf, sie war schon länger mit Mike unterwegs.<br />
Sie kamen gerade aus Formenterra zurück, einer<br />
kleinen Insel der Balearen, in Spanien.<br />
Das Geld war zuneige gegangen. Und das verdiente<br />
man am besten in Deutschland. Wie, das sagten sie nicht,<br />
Jedenfalls wollten sie so rasch als möglich auf die Insel<br />
zurück, da kam die Gage von 400 Mark gerade recht. Ich<br />
war der Jüngste, sah aber älter aus.<br />
Ich hatte Glück, passte den Typen ins Konzept, und<br />
schon 3 Tage später sollte eine Reise nach St. Marie de<br />
la mer, einem kleinen Dorf an der französischen Mittelmeerküste<br />
losgehen.<br />
33<br />
Wir sollte beim „trampen“ gefilmt werden, und der Weg<br />
nach Süden sollte aus Sicht der Beatniks.<br />
Beatnik war der Ausdruck für Menschen, die mit der<br />
normalen, auf Materialismus ausgerichteten Weltsicht<br />
abgeschlossen hatten und mit wenig Gepäck durch die<br />
Welt reisten. Meist per Autostop, aber am Anfang der<br />
Bewegung hießen die Beatniks noch „Hobos“, und sie<br />
bewegten sich zunächst durch Amerika, indem sie auf<br />
Züge sprangen, und so durchs Land kamen. Frieden und<br />
Liebe waren ihre wichtigsten Gefühle. Und alle hatten<br />
den Blues.<br />
Als die Bewegung dann nach Europa herüberschwappte,<br />
und viele Anhänger fand, wurde der Begriff „Beatniks“<br />
geprägt, gut beschrieben von Jack Kerouac in seinem<br />
Buch „On the Road“. So nannte man uns jetzt<br />
Beatniks, und das sollte dokumentiert werden.<br />
Der Weg ging nach St. Marie de la mer, weil dort alljährlich<br />
eine Madonna von aus allen Himmelsrichtungen<br />
weit angereisten massenhaft erschienenen Zigeunern<br />
(Sinti und Roma), ins Meer gebracht wurde, eine schon<br />
sehr lange bestehende Tradition der Zigeuner, Europaweit<br />
bekannt.<br />
Und dort versammelten sich dann auch viele Beatniks<br />
aus verschiedenen Ländern, die ja auch „Reisende“ waren,<br />
und feierten dieses Ereignis auf ihre Art mit. Es war<br />
zu diesem Zeitpunkt das größte Treffen von Beatniks in<br />
Europa.<br />
Und genau da sollten wir hin.<br />
Es gab ein kleines Problem für mich: ich hatte keinen
Ausweis, was ich den Leuten vom Fernsehen natürlich<br />
verschwieg.<br />
Aber es gab da einen Typen, der eigentlich recht bürgerlich<br />
war, aber gerne mit uns abhing, Tilmann.<br />
Und dieser Tilmann sah mir ein wenig ähnlich, nur sei-<br />
34<br />
ne Haare waren kürzer.<br />
Mit dem Mut der Verzweiflung –ich wollte unbedingt<br />
mit nach Frankreich - sprach ich Tilmann an, und erklärte<br />
ihm meine Lage, wo ich herkam, und wo ich hinwollte.<br />
Der liebe Junge überlegte nicht lange, und gab mir seinen<br />
Personalausweis.<br />
Ich konnte mein Glück kaum fassen, von jetzt an hiess<br />
ich „Tilmann Mühlhaus“. Das Foto im Ausweis war<br />
schon älter, und das könnte locker ich gewesen sein.<br />
Tilmann wünschte mir „gute Reise“, und schon war ich<br />
im VW-Bus der Fernsehleute .Als „Eric“, ich sagte der<br />
Name „Tilmann“ wäre doof, und den hätte ich längst<br />
abgelegt, war ich nun Mitglied einer Fernsehproduktion<br />
des hessischen Rundfunks.<br />
Der Trip sollte 2 Wochen lang dauern, wir bekämen Unterkunft<br />
und Essen, und am Ziel auch noch jeder 400<br />
Mark.<br />
Der Deal war perfekt, ich konnte meine klammheimliche<br />
Freude kaum verbergen. Das Deutsche Fernsehen<br />
brachte mich ausser Landes, etwas anderes wollte ich ja<br />
gar nicht.<br />
Wir trafen uns am Siegestor, am Anfang der Leopoldstrasse.<br />
Die Fernsehleute kamen mit 2 Kombifahrzeugen,<br />
einem VW-Bus, und luden uns ein.<br />
Sie fuhren uns zunächst zum Autobahnzubringer Richtung<br />
Süden, wo wir „trampen“ spielten. Wir hatten zwei<br />
Pärchen gebildet, mit Schlafsack und anderem „Beatnik-<br />
Reisematerial“ bestückt, und hielten den berühmten<br />
Daumen raus.<br />
Der erste Kombi der Filmleute nahm Mike und Liesel<br />
mit, und nachdem einige Autos uns glimpflich übersahen,<br />
kam der zweite Kombi und lud Inga und mich ein.<br />
35<br />
Diese Szene wurde auf dem Weg nach Süden noch 2<br />
oder 3 mal wiederholt, wobei die Schilder der verschiedenen<br />
Reiseabschnitte immer mit ins Bild kamen,<br />
schliesslich waren vier Beatniks auf der Reise nach Südfrankreich.<br />
Die Crew nahm den Weg durch die Schweiz, und bog<br />
dann westlich ab in Richtung französischer Mittelmeerküste.<br />
Und „Tilmann Mühlhaus“ hatte keinerlei<br />
Schwierigkeiten an den Grenzkontrollen, obwohl mir<br />
jedes Mal -3-mal, die „Muffe“ zitterte. Bei der Ein –und<br />
Ausreise in - und aus der Schweiz, und bei der Einreise<br />
nach Frankreich.<br />
Ansonsten war alles sehr erfreulich. Wir schliefen in kleinen<br />
Hotels, und an Verpflegung mangelte es uns wahrlich<br />
nicht. Wir speisten alle gemeinsam abends in den
Hoteleigenen Restaurants, und frühstückten auch zusammen.<br />
Die Filmleute waren sehr freundlich, und drehten uns<br />
lediglich beim trampen, schon mal beim „schnorren“,<br />
wobei einer der Mannschaft immer angebettelt wurde.<br />
Auch hielt man das Schlafen im Freien in unseren<br />
Schlafsäcken fest, wobei wir uns immer Parkanlagen hinter<br />
Büschen, ausbreiteten, aus denen wir nach dem Dreh<br />
herauskrochen, um im Hotel zu übernachten.<br />
Es war Traumhaft, es wurde wärmer und wärmer, je<br />
weiter wir nach Süden kamen. Ab und zu machten wir<br />
auch ein kleines Lagerfeuer, über dem wir ein im Supermarkt<br />
gekauftes Huhn brieten. Auch das wurde natürlich<br />
filmisch dokumentiert.<br />
Hat immer Freude gemacht.<br />
Einer der Fernsehleute spielte sehr gut Gitarre, wir sangen,<br />
die Mädels tanzten, wir hatten Spaß ohne Ende,<br />
und die Filmleute gute Szenen im Kasten.<br />
Das Licht im Süden war anders als in Deutschland, Ber-<br />
36<br />
ge, Seen und Häuser leuchteten heller in der südlichen<br />
Sonne, das Spiel von Licht und Schatten kannte ich so<br />
nicht, aber es gefiel mir zusehend besser .Und wenn die<br />
glühende Sonne dann ins Meer fiel, das hatte schon etwas<br />
magisches, und zog mich mehr und mehr in seinen<br />
Bann.<br />
Ich fühlte mich wohl wie nie zuvor im Leben, freundliche<br />
Menschen die mich als einen von ihnen beachteten,<br />
die zunehmend wärmere Sonne, und das Bewusstsein,<br />
schon bald wieder an ein Meer zu gelangen.<br />
Dann kamen wir nach Marseille. Ich war von der Stadt<br />
überwältigt. Hier traf sich die Welt. Schiffe aus aller Herren<br />
Länder, die Ihre Frachten löschten und luden, viele<br />
verschiedenartige Menschen, Marseille war ein<br />
Schmelztiegel aller Kulturen, die friedlich miteinander<br />
in dieser Hafenstadt lebten.<br />
Wir wurden oft gefilmt, am Hafen, wo wir wieder ´mal<br />
schnorren mussten, dann saßen wir alle vier in einem<br />
Hafencafe, um das eroberte Geld mit Rotwein, Baguetten<br />
und Camembert unter die Leute zu bringen.<br />
Alles wurde auf Magnetband gespeichert.<br />
In Marseille blieben wir 4 Tage, und wohnten in einem<br />
kleinen Hotel in der Nähe des Hafens. Wir hatten reichlich<br />
Gelegenheit die Stadt zu erkunden.<br />
Die „Canebiere“, die Hauptstrasse von Marseille, führte<br />
direkt vom Hafen bis weit in die östliche Vorstadt. Auf<br />
der einen Seite der sehr breiten Strasse lebten die Juden,<br />
auf der anderen Seite lebten die Araber.<br />
Diese bekanntlicherweise sehr verschiedenen Kulturen<br />
verbreiteten Gefühle die ich nicht kannte, auch die Gerüche<br />
der verschiedensten Gewürze die von diesen<br />
Menschen genossen wurden waren faszinierend.<br />
Alle anderen Menschen mit den verschiedensten Religionen<br />
hatten sich überall in der Riesenstadt verteilt. Ju-
37<br />
den und Araber hatten die Viertel um die Canebiere und<br />
den Hafen unter sich aufgeteilt, sie lebten in Frieden<br />
miteinander!<br />
Wir waren mit ein wenig Geld ausgestattet worden, und<br />
konnten die unterschiedlichen Viertel der Stadt genau<br />
untersuchen.<br />
Es war das reine Abenteuer. Menschen aus aller Herrn<br />
Länder schauten uns weisshäutige gammelig gekleidete<br />
Gruppe junger Leute oft verwundert an. Wenn sie dann<br />
auch noch deutsch hörten waren sie völlig verwirrt. Außer<br />
Fremdenlegionären in Uniform gab es nur wenig<br />
Deutsche hier.<br />
Bald ging die Reise weiter in Richtung St. Marie de la<br />
mer. Es waren noch ca. 200 km bis dorthin. Wir kamen<br />
an Arles und dann Nimes, wunderschöne und geschichtsträchtige<br />
Städte, vorbei, wobei ich mir fest vornahm,<br />
diese nach dem Dreh zu besuchen.<br />
Ich war schon sehr gespannt was uns in St.Marie de la<br />
mer erwartete.<br />
Eins wusste ich gewiss: wir kamen ans Meer, von dem<br />
in Marseille noch nicht viel zu sehen war. Ich roch das<br />
grosse Wasser förmlich, je weiter wir nach Süden kamen,<br />
und die Luft wurde Salzhaltiger. Ich war glücklich!<br />
Das Zusammensein mit der Filmcrew und den Beatnikbrüdern<br />
und –Schwestern gestaltete sich ohne jeden<br />
Stress, wir kamen sehr gut miteinander aus.<br />
So erreichten wir dann St.Marie de la Mer, kamen an<br />
vielen Campingwagen vorbei, die schon vor dem Ort<br />
geparkt waren, in denen sich die Zigeuner, so nannten<br />
wir sie damals ohne herablassende Vorurteile, auf das<br />
kommende Fest vorbereiteten.<br />
Für die Filmleute war das Fest nicht so wichtig, sie filmten<br />
uns bei der Ankunft in dem kleinen, noch verschlafenem<br />
Ort, und ich verabschiedete mich von Ihnen, na-<br />
38<br />
türlich nicht ohne meine 400 Mark zu bekommen.<br />
Sie blieben zwar noch im Dorf, um einige Bilder des Festes<br />
einzufangen, aber wichtig für den Film war die Reise<br />
der Beatniks und wie sie außerhalb der Gesellschaft<br />
zurechtkamen.<br />
Die anderen drei wollten wieder mit zurück nach<br />
Deutschland, was für mich nicht in Frage kam.<br />
Ich blieb nicht bis zu dem in wenigen Tagen stattfindenden<br />
Fest, es interessierte mich nicht.<br />
Immerhin hatte ich die versprochene Gage bekommen,<br />
so viel Geld hatte ich noch nie in der Tasche gehabt, mir<br />
konnte also nichts mehr passieren.<br />
Ich wollte ein wenig das Meer genießen, wofür ich nach<br />
Cassis trampte, ich hatte gehört, dass dort ein Treffpunkt<br />
von Beatniks war, außerdem wollte ich mir Arles und<br />
Niemes ansehen.<br />
Je weiter ich in Richtung Cassis kam, wurden das Land
und die Meerbuchten schöner und schöner. Das Land<br />
beeindruckte mich außerordentlich, es wurde der<br />
schönste Garten mit „Pool“ von Europa für mich.<br />
Und ich kam gut voran, das trampen war sehr leicht, die<br />
Menschen waren freundlich, und nahmen mich mit bis<br />
zu ihren Zielen.<br />
Dann kam ich nach Cassis. Auch nur ein kleiner Ort,<br />
kaum Touristen, aber jede Menge langhaariger junger<br />
Leute, die im Meer badeten , und sich an vielen Lagerfeuern<br />
an gebratenem Fleisch , Gemüse und rotem<br />
Wein labten.<br />
Als ich mir meinem Schlafsack an einer Gruppe vorbeikam,<br />
rief man mich zu sich an ein Feuer, begrüsste mich<br />
als Bruder, und gab mir zu essen.<br />
„Wer bist du, wo kommst du her“, fragte mich ein nettes<br />
Mädel, das nur mit einem Stück dünnem Stoff und<br />
einem BH bekleidet war, neben dem ich mich niederge-<br />
39<br />
lassen hatte.<br />
. Ich erzählte ihr von den Filmleuten, die mich ja ausser<br />
Landes gebracht hatten, und auch weshalb und warum.<br />
„Hast du gut gemacht“ sagte Rose, eine Französin, mit<br />
der ich in meinen sehr geringen Englischkenntnissen<br />
sprach, „du bist jetzt immerhin 2.000 km von deinem<br />
Knastheim entfernt, nun kann dir eigentlich nichts mehr<br />
geschehen“.<br />
40<br />
Kapitel 6<br />
Ich machte mich dann auf ins Dorf, kaufte ein paar Flaschen<br />
Rotwein, Käse und Brot. Bei meiner Rückkehr<br />
ans Feuer wurde ich laut und herzlich willkommen geheißen.<br />
„Komm, wir gehen schwimmen“ sagte Rose, und rannte<br />
schon in Richtung Meer, ihren Stofffetzen ließ sie<br />
einfach fallen. Auch den BH hatte sie ausgezogen.<br />
Ich zog meine einzige Jacke, die leider nach dem Geschmack<br />
meiner Mutter gekauft war,<br />
ein weinrotes wollenes Trachtenjankerl, und mein<br />
Hemd aus, stürzte mich mit meinen schmuddeligen<br />
Jeans auch ins Wasser. Es war herrlich, denn die Temperaturen<br />
in Cassis hatten die 30 Grad längst erreicht.<br />
Das war alles neu für mich, aber es gefiel mir unsagbar<br />
gut. Ich glaubte dass mir die ersten Flügel wuchsen.<br />
Nun kam ich mit nasser Jeans aus dem Meer, aber das<br />
hatte schon einer der Jungs gesehen. „ Hast du nichts<br />
Trockenes zum umziehen“? fragte Frank, mir dem ich<br />
mich ein wenig unterhalten hatte. „Ne, das ist alles was<br />
ich zum anziehen hab“<br />
Er hatte ungefähr meine Statur, ich war ein dünnes<br />
Hemd und gab mir eine abgeschnittene alte Jeans.<br />
„Kannst Du haben, ich hab noch eine“, bedeutete er<br />
mir. Ich bedankte mich, und hatte eine Hose zum umziehen.<br />
Die Szene am Strand von Cassis war genau mein Fall, jede<br />
Menge Beatniks nach dem Motto „on the road“. Die
Beatniks waren in den 50ern entstanden, als junge<br />
Menschen, die eine so genannte „heile“ und „normale“,<br />
faschistoide Welt und das Leben in derselben nicht<br />
mehr akzeptierten. Und so liessen sie Familie und Ver-<br />
41<br />
wandtschaft und Konsumverhalten hinter sich, und<br />
machten sich auf den Weg in noch unbekannte Richtungen,<br />
die auf Äußerlichkeiten keinen Wert mehr legten,<br />
sich ließen sich „rollen wie Steine“, immer die Liebe<br />
als Gradmesser. Die Tage und Nächte abfeiernd.<br />
Irgendwann in der Nacht lag ich mit Rose in meinem<br />
gemütlichen Schlafsack, und wir vergnügten uns köstlich,<br />
auch wenn es zu Zweit ein wenig eng war. Mit<br />
Kopfschmerzen vom billigen Wein wachte ich morgens<br />
auf, ich lag allein im Schlafsack.<br />
Rose schwamm schon im Meer, mir war es noch ein<br />
wenig zu kalt, um mich in die Flut zu stürzen.<br />
Nach einer Woche, es kann auch später gewesen sein, die<br />
Zeit hatte ich längst vergessen, wollte ich endlich nach<br />
Arles, und fragte ob Jemand mitkommen wollte. Es waren<br />
vier Jungs die sich auch schon langweilten, und die<br />
mit nach Arles kommen wollten.<br />
Zu fünft trampen war unmöglich, so teilten wir uns auf,<br />
Rocky und Jürgen fuhren gemeinsam,<br />
Roger und Marc bildeten auch ein Duo, ich machte<br />
mich alleine auf die Tour, was mir sehr recht war.<br />
Mittlerweile hatte ich schon etwas mehr englisch, und<br />
auch einige Brocken französisch gelernt, irgendwie<br />
konnte ich mich verständlich machen.<br />
Jeden Tag lernte ich dazu, meine Ohren stets gespitzt,<br />
keine Angst die gelernten Worte auch auszusprechen.<br />
Wir hatten uns vor der Kathedrale von Arles verabredet,<br />
wo wir uns dann auch einen Tag später trafen.<br />
Schon die Anfahrt nach Arles war wunderschön, der<br />
Mann der mich mitgenommen hatte fuhr über kleine<br />
Strassen, wo die überschwängliche Natur, Berge von<br />
Blumen und Büschen in allen erdenklichen Farben, zu<br />
sehen und zu riechen waren. Viele große Palmen säum-<br />
42<br />
ten die Straße.<br />
Was mich an der Natur besonders beeindruckte, waren<br />
die links aufragenden, und rechts zum Meer abfallenden,<br />
mit grünen Büschen und Gräsern bewachsenen fast weißen<br />
Felsmassive. Ich fühlte mich im Paradies.<br />
Als wir dann nach Arles kamen sah ich zunächst hohe,<br />
wirklich sehr hohe Mauern aus Sandsteinblöcken gebaut,<br />
eine enorme Festung, die einen weiten Teil der<br />
Stadt umringte.<br />
Wir fuhren durch ein großes Tor in die Stadt, ich stieg<br />
aus dem Wagen, nahm meinen Schlafsack, bedankte<br />
mich bei meinem „Chauffeur“, und ging durch kleine<br />
Strassen und Wege in Richtung Kathedrale, die schon<br />
von Weitem, die Stadt überragend zu erkennen war.
Auf den Treppen des geistlichen Gebäudes waren meine<br />
neuen Bekannten dann auch zwischen vielen anderen<br />
Wanderern aus aller Herren Länder zu erkennen. Sie<br />
winkten mir freudig zu, und ich setzte mich mit meinem<br />
Schlafsack als Kissen zu ihnen.<br />
Da ich noch etwas von der Gage dieser Fernsehleute übrig<br />
hatte, sorgte ich noch einmal für Brot, Käse und<br />
Wein, die obligatorische Malzeit für uns Beatniks. Alles<br />
wurde selbstverständlich gerecht geteilt.<br />
Ein ca. 17 Jahre alter Schweizer hatte sich zu uns gesellt,<br />
er käme aus St. Gallen, und sei nun für einige Zeit auf<br />
die Reise gegangen, um dem Trott in seiner Heimat zu<br />
entfliehen, erklärte er sich.<br />
Irgendwie sah dieser Richard ein wenig anders aus als<br />
wir, er trug sauberere Kleidung, und seine Haare waren<br />
kurz geschnitten.<br />
Aber was soll´s, dachte ich mir, jeder fängt mal an.<br />
schliesslich hatte auch ich sauber gekleidet meine Mutter<br />
in Brauweiler verlassen. Als ich daran dachte, kam mir<br />
43<br />
das so weit vor wie der Nordpool, ich verschwendete<br />
keinen Gedanken mehr an das Heimleben, immerhin<br />
stand in meinem Personalausweis jetzt Tilmann Mühlhaus<br />
und ich wurde nur noch Eric genannt.<br />
Ich hatte mittlerweile längere Haare bekommen, die sich<br />
zottelig um meinen Kopf drapierten, Jeans, Jacke und TShirt<br />
waren nicht mehr sauber zu nennen.<br />
Jedenfalls waren wir nun eine Gruppe von sechs unterschiedlich<br />
jungen Leuten, -Ich war jetzt 14 Jahre alt, und<br />
der Weg sollte weiter gehen mit Ziel Marseille. Dort<br />
wollten wir uns trennen, jeden führte es in eine andere<br />
Richtung.<br />
In Arles blieben wir 3 oder 4 Tage, es war gemütlich<br />
dort, und die Touristen freigiebig.<br />
Außerdem war es heiß, und wir hatten einen schönen<br />
Park zum Schlafen gefunden, unsere Schlafstätten waren<br />
von der Strasse nicht einzusehen.<br />
Am Morgen des vierten Tages kam Roger zu mir, nahm<br />
mich beiseite, und eröffnete mir, dass der „Schweizer“<br />
ein sehr dickes Bündel Geld in der Tasche habe, bisher<br />
aber immer nur von unserem geschnorrten Geld lebte. „<br />
Wie ein dickes Bündel Geld?“ fragte ich nach, und Roger<br />
sagte mir, dass er vor dem Schlafengehen gesehen<br />
habe, wie der Schweizer in seinen Brustbeutel griff, und<br />
Geld zählte.<br />
Wir zogen unsere anderen Reisefreunde zu Rate, und<br />
Marc sagte sofort: „Die Sau, lebt hier auf unseren kleinen<br />
Geldern, und hat anscheinend dicke Kohle im<br />
Sack“.<br />
Wir stellten Richard zur Rede, und er murmelte nur, er<br />
habe dieses Geld gespart, und wolle sich irgendwann ein<br />
Schlagzeug davon kaufen.<br />
Dann ging uns doch allen der Ärger in die Herzen, und
wir wollte wissen, weshalb er sich denn nicht an unseren<br />
44<br />
täglichen Ausgaben beteiligte?<br />
„Ja, ich muss das Geld ja zusammenhalten, sonst krieg<br />
ich mein Schlagzeug nicht“ antwortete er kleinlaut.<br />
Nun sträubten sich unsere Haare, so etwas war uns auf<br />
unserer Wanderschaft noch nie untergekommen. Es war<br />
schon gegen zehn Uhr abends, es war dunkel, wir waren<br />
alleine im Park, da riss Mark dem Schmarotzer seinen<br />
Brustbeutel vom Hals, und zählte 3.000 Schweizer Franken.<br />
Wir waren recht verwundert, denn das war ein Vermögen,<br />
und der Typ lebte von unseren paar Kröten.<br />
„So mein Freund, hier endet für dich unsere gemeinsame<br />
Reise“, sagte Marc zu Richard, und begann das Geld<br />
in fünf Teile zu zählen. Wir liessen dem Schweizer 200<br />
Franken, so dass er nach Hause kommen konnte, den<br />
Rest teilten wir unter uns auf. Alles Jammern und heulen<br />
half Richard nichts, sein Geld war aufgeteilt und<br />
weg.<br />
Wir ließen ihn stehen, und machten uns auf in Richtung<br />
Bahnhof, nun konnten wir uns ja Fahrkarten kaufen,<br />
und brauchten nicht im Dunkel zu trampen, was sowieso<br />
schwierig war.<br />
Wir waren reich.<br />
Auf dem Weg zum Bahnhof sah ich ein größeres Hotel,<br />
ging in die Lobby, und fragte an der Rezeption, ob man<br />
mir Schweizer Franken in Französische Francs umtauschen<br />
könne?<br />
„Aber sicher können wir das, wie viel wollten sie den<br />
wechseln.“? Ich legte 350 Franken auf die Theke, und<br />
der Rezeptionist gab mir anstandslos Französische<br />
Francs.<br />
Und zwar eine grosse Menge an Francs, wir bekamen 5<br />
Francs für einen Franken.<br />
Ich konnte meine Freude kaum verbergen, und meine<br />
45<br />
Kameraden tauschten auch jeder 50 Franken, denn mehr<br />
hatte der gute Mann an der Rezeption nicht flüssig.<br />
Ich hatte wahrhaft 1.650 französische Francs, und noch<br />
150 Schweizer Franken.<br />
Also weiter in Richtung Bahnhof, von dem ein direkter<br />
Zug nach Marseille führte.<br />
Lachend stiegen wir in den Zug, und freuten uns so fette<br />
Beute gemacht zu haben. An den Schweizer verschwendeten<br />
wir keinen Gedanken mehr, der sollte<br />
schauen dass er nach Hause kam, schliesslich hatten wir<br />
ihm das Fahrgeld gelassen, und er hatte auf unsere sehr<br />
beschränkten Kosten gelebt.<br />
Hocherfreut fuhren wir in den Bahnhof von Marseille<br />
ein, wir machten uns fertig zum Aussteigen, aber kaum<br />
waren wir die kleinen Treppen hinunter zum Bahnhof<br />
geschritten, es war sehr viel Verkehr im Bahnhof von<br />
Marseille, da sprang auch schon eine Mannschaft Polizeibeamte
auf uns zu. Wir waren Verhaftet!<br />
46<br />
Kapitel 7<br />
Der Schweizer war in Arles natürlich sofort zur Polizei<br />
gerannt, hatte uns beschrieben, und von unserer Missetat<br />
erzählt.<br />
So wurden wir aufs Polizeirevier am Bahnhof gebracht,<br />
und es wurden Protokolle aufgenommen. Wir waren alle<br />
sehr geknickt, aus der Maus, Reise auf späteren Zeitpunkt<br />
verschieben…<br />
Ich war in der glücklichen Lage, Französische Francs zu<br />
haben, die konnte man mir nicht wegnehmen, es ging<br />
nur um Schweizer Franken.<br />
Hätte ich die restlichen 150 Schweizer Franken nicht<br />
noch in der Tasche gehabt, hätte man mich freilassen<br />
müssen, dann könnte man mir nicht nachweisen, in die<br />
Räuberei verwickelt zu sein. Meine Freunde aber mussten<br />
das Geld abgeben, und hatten nur noch wenig für<br />
die nun folgende Gefangenschaft.<br />
Wir wurden getrennt, ich wusste nicht wo die anderen<br />
Vier hingebracht wurden, mich brachte man in das Marseiller<br />
Gefängnis „Les Baumettes“, das berühmt und berüchtigt<br />
war.<br />
Dort wurde alles reingepackt was nur ging, Räuber oder<br />
Mörder, und auch Taschendiebe, und viele Fremdenlegionäre,<br />
die sich aus Algerien, Dschibuti oder sonst einem<br />
Wüstenort<br />
heimlich entfernt hatten.<br />
Zufälligerweise kam ich mit einem Schweizer aus St.<br />
Gallen zusammen in eine Zelle, er war schon länger da,<br />
und hatte noch einige Monate abzusitzen. Der Bestohlene<br />
kam auch aus St. Gallen.<br />
Gerhard, mein Zellengenosse war ein umgänglicher<br />
Mensch, der wegen Scheckbetrug angeklagt worden<br />
47<br />
war. Dafür hatte er sich zehn Monate eingefangen.<br />
Mit Gerhard kam ich sofort gut aus, wir tauschten uns<br />
aus über unsere Missetaten, und er erklärte mir alles was<br />
ich im Knast zu beachten hätte.<br />
Das Leben in einer vergitterten Zelle kannte ich ja<br />
schon aus Brauweiler, die Gitter waren gleich dick, nur<br />
die Mauer etwas höher.<br />
Was mir ernsthaften Sorgen machte: ich war als „Tilmann<br />
Mühlhaus“ eingeknastet, ich hatte eine Heidenangst,<br />
dass ich auffliegen könnte, denn dann hätte ich einige<br />
Straftaten zusätzlich am Hals gehabt, unerlaubter<br />
Grenzübertritt, Vortäuschung fremder Personalien u.s.w.<br />
Dies war meine größte Sorge.<br />
Aber nichts davon, ich wurde immer als „MÜLHUS“<br />
angesprochen. Mülhaus konnten sie wohl nicht so deutlich<br />
sagen, aber das war mir so was von egal.<br />
Einmal in der Woche war „Einkauf“, und da ich ja mit<br />
Francs gut eingedeckt war, kaufte ich gut ein. Gerhard
hatte leider kein Geld, seinen grossen Scheck hatte man<br />
natürlich einkassiert.<br />
Aber mit meinem Geld kamen wir sehr gut über die<br />
Runden.<br />
Dann kaum ein schiksalsträchtiger Tag. „Mülhus, Besuch“,<br />
rief der Chef, wir nannten die Wachmänner alle<br />
„Chef“.<br />
Besuch? Wer könnte das wohl sein?<br />
Ich wurde in eine Besucherzelle geführt, und nahm an<br />
einem Tisch mit einem mir gegenübersitzenden fein gekleideten<br />
Herrn Platz.<br />
„Ja, Herr Mühlhaus, was haben sie da denn angestellt“?<br />
Ich wusste nicht wer dieser Mann war, und erlaubte mir<br />
die Frage nach seiner Identität.<br />
48<br />
„Ich komme vom Deutschen Konsulat hier in Marseille,<br />
und wenn ein Deutscher ins Gefängnis kommt,<br />
kümmern wir uns um diesen Menschen“<br />
Au weia, jetzt wird´s eng dachte ich bei mir, aber da er<br />
mich als „Herr Mülhaus“ ansprach, war ja nichts geschehen,<br />
was mich hatte auffliegen lassen.<br />
Ich erklärte ihm meinen Fall, und er schien sogar Verständnis<br />
an den Tag zu legen. „ Aber immerhin haben sie<br />
sich an einer Straftat beteiligt, und so werden sie sicher<br />
auch verurteilt werden, wenn auch nicht allzu hoch,<br />
denn sie sind ja sicher nicht vorbestraft“, bedeutete er<br />
mir mit einem scharfen Blick in die Augen.<br />
„Das ist klar“, antwortete ich ihm, „aber bitte benachrichtigen<br />
sie auf keinen Fall meine Eltern, die werden<br />
sich zu Tode sorgen“, bat ich den Konsulatsbeamten.<br />
Drei Tage später wurde die Zellentüre erneut geöffnet,<br />
„Mühlhus, Besuch“.<br />
Da saß dann der gleiche Konsulatsbeamte wie drei Tage<br />
zuvor, und als ich mich setzte schob er seinen Kopf näher<br />
zu mir und fragte leise: „Wer sind sie denn wirklich,<br />
wir haben bei Tilmann Mülhaus in München angerufen,<br />
und da wurde uns vom Vater mitgeteilt, der Sohn sei zu<br />
Hause, was bedeutet denn das?“.<br />
Und so legte ich ihm die Karten auf den Tisch, und erklärte<br />
wie ich zu Tilmann Mühlhaus wurde. Ein gewisses<br />
Lächeln konnte ich in seinem Gesicht erkennen, aber<br />
er bedeutete streng, dass ich mich nach der Haft sofort<br />
beim Deutschen Konsulat melden müsse, damit der Papierkram<br />
in Ordnung gebracht werden könne. Er versicherte<br />
mir, dass er den französischen Behörden keine<br />
Mitteilung machen würde.<br />
Man hätte es eigentlich laut hören müssen, mir war ein<br />
Riesenstein vom Herzen gefallen.<br />
49<br />
So dass ich meine Zeit im „Hotel“ „les Baumettes“<br />
langsam ab, und hatte Glück. Mein Schweizer Zellennachbar<br />
lehrte mich täglich französisch zu sprechen und<br />
schreiben.
Wir hatten ja sowieso nichts anderes zu tun, als einmal<br />
täglich für eine Stunde in einer Hofzelle, rundherum<br />
und auch nach oben mit dicken Eisenstäben gesichert,<br />
Luft zu schnappen.<br />
Es gab viele dieser „Laufzellen“ nebeneinander, so wurden<br />
die einzelnen Täter auseinander gehalten. Es gab da<br />
schon Angsteinflössende Gestalten.<br />
Nach 4 Monaten wurden wir zum Gericht transportiert,<br />
es gab „Hallo“, „wie geht’s“ von meinen ehemaligen<br />
Reisegefährten, aber viel konnten wir nicht miteinander<br />
sprechen, man hielt uns auseinander.<br />
Ein völlig überfüllter kleiner Gerichtssaal war unser<br />
Ziel, ein alter feister Richter mit bösen Augen fragte irgendjemand<br />
ohne uns anzuschauen: „Wie lange sind die<br />
schon drin“? Eine weibliche Stimme antworte 4 Monate“,<br />
„dann kriegen sie 6, der nächste Fall“.<br />
Und so waren wir mal ganz nebenbei zu 6 Monaten<br />
Knast verdonnert worden.<br />
Aus der unübersichtlichen Menge von Menschen trat<br />
eine wunderschöne blonde junge Frau auf mich zu,<br />
und sagte lächelnd: „ Guten Tag Herr Mülhaus, mein<br />
Name ist Beatrice Vanderpol, ich bin ihre Pflichtverteidigerin“.<br />
Mir war als sei mir ein Engel begegnet, so<br />
schön war die Frau, die sicher ihr Studium vor nicht<br />
allzu langer Zeit beendet haben konnte, denn sie war<br />
noch sehr jung.<br />
Ich freute mich natürlich über diesen überraschenden<br />
Umstand, „Ich komme sie demnächst im Gefängnis<br />
besuchen, sie sehen ja was hier los ist, da kann man sich<br />
50<br />
nicht unterhalten“, sagte sie in englischer Sprache.<br />
Und wahrhaftig, 2 Tage später war dieses schöne Wesen<br />
in der Besucherzelle, und unterhielt sich ausführlich<br />
mit mir. Sie war sicher eine Stunde da.<br />
Und sie kam immer wieder. Wenn sie durch die Flure<br />
ging musste sie an einigen von „Bewohnern“ besetzten<br />
Zellen vorbei, das Geschrei und die komplimenten<br />
Rufe und Pfiffe ertrug sie mit lächelnder Fassung.<br />
„Nenn mich Beatrice“, „ich nenn dich Eric“ schlug sie<br />
bei dem dritten Besuch im Gefängnis vor, eine solch<br />
lockere Begegnung mit einer Rechtsanwältin hatte ich<br />
mir nie vorgestellt, aber sie war ja wirklich noch ziemlich<br />
jung.<br />
Ich hatte sie nie nach ihrem Alter gefragt. Diese Frau<br />
war einmalig. Sie brachte mir Zigaretten und Schokolade,<br />
wobei wir im Knast bestens versorgt wurden.<br />
Wir bekamen wöchentlich 5 Schachteln Gauloises, und<br />
2 Büchsen leichtes Bier. Das Bier sparten wir uns einen<br />
Monat auf, dann waren wir wenigstens einmal etwas<br />
besoffen. Und außerdem hatte ich ja noch ein gut gefülltes<br />
Konto im Knast, wovon ich Beatrice aber nichts<br />
erzählte.<br />
Beatrice kam 2-mal wöchentlich zu mir und anderen
Klienten, ich hatte den Eindruck, als hielte mich nicht<br />
für kriminell, sondern für einen dummen, verzweifelten<br />
Mitläufer. Womit sie recht dachte.<br />
Und jedes Mal musste sie durch die johlende Menge.<br />
Sie war aber auch eine besonders schöne Erscheinung,<br />
ihre hellblonden langen Haare leuchteten sogar in der<br />
Besucherzelle. Ich freute mich natürlich jedes Mal riesig<br />
auf ihr Erscheinen, war immer aufgeregt wenn ich<br />
wusste, „sie kommt gleich“. So hatte ich zwei Festtage<br />
in der Woche.<br />
„Wenn Du entlassen wirst hole ich dich ab, sagte sie<br />
51<br />
mir kurz vor Ende der Haftstrafe.<br />
Und wahrhaftig, als ich nach 6 Monaten vor dem Tor<br />
vom „Baumettes“ stand war Beatrice mit einem kleinen<br />
Renault an der Strasse zur Freiheit und winkte mir<br />
lächelnd zu.<br />
„So, jetzt hast du´s geschafft, aber lass die nie wieder auf<br />
solche Dinge ein“, ermahnte sie mich.<br />
Wir fuhren in ein Café, tranken etwas, und Beatrice<br />
musste zurück in Ihre Kanzlei.<br />
Sie gab mir 100 Frans-Sie wusste nicht dass ich noch<br />
ziemlich viel Geld hatte-und sagte“ Mach dir einen<br />
schönen Tag, und sei morgen Mittag bei und zu Hause<br />
zum Essen, meine Mutter wird besonders gut für uns<br />
kochen. schliesslich hattest du ja im letzten halben Jahr<br />
keine besonders gute Küche.“<br />
Sie gab mir ihre Visitenkarte, und rief mir noch zu:<br />
„bis morgen Mittag“. Weg war Beatrice, ich alleine in<br />
Marseille nach sechs Monaten Gitterstäbe vor den Augen.<br />
Nun befand ich mich am Hafen von Marseille, Geld in<br />
der Tasche, und meinen Schlafsack unterm Arm.<br />
Ich ging in die nächste Bar, und bestellte ein Bier.<br />
Dann noch ein Bier, und noch ein Bier, dann fing ich<br />
an Rum zu trinken, und schon am frühen Abend war<br />
ich sturzbesoffen.<br />
Als ich am nächsten Morgen in einem kleinen billigen<br />
Hotelzimmer aufwachte, war ich noch immer blau und<br />
mir war kotzübel.<br />
Ich stellte mich eine halbe Stunde unter die Dusche,<br />
dann ging´s wieder so einigermaßen, aber mein Magen<br />
war völlig rebellisch.<br />
Ich dachte an die Einladung zum Essen bei Beatrice,<br />
das ich unmöglich versäumen durfte.<br />
So machte ich mich auf den Weg zu der auf ihrer Kar-<br />
52<br />
te angegebenen Adresse, und um kurz vor eins stand<br />
ich in einem glänzenden Viertel von Marseille und vor<br />
einer großen hellbraunen Holztüre mit riesigen Messingbeschlägen.<br />
53<br />
Kapitel 8<br />
Es gab 4 Klingeln, sehr wenig für ein so grosses Haus,<br />
und ich drückte meinen Finger auf den Namen „Vanderpol“.
Die Türe öffnete sich wie von selbst, und in der 1. Etage<br />
stand Beatrice und lächelte mich freundlich an.<br />
„Komm rein, das Essen ist gleich fertig“.<br />
Oh je, wenn ich auch nur an Essen dachte würde mir sofort<br />
speiübel, machte aber mit gequältem Lächeln eine<br />
gute Miene zum köstlichen Spiel.<br />
Frau Vanderpol, die Mutter von Beatrice begrüsste mich<br />
sehr herzlich, und ließ mich keinen Augenblick spüren,<br />
dass ich aus dem Knast kam.<br />
Die Dame hatte gekocht, es war eine reine Schlemmertafel<br />
wie in einem Sternerestaurant.<br />
Das beste Silber lag auf weiß gedecktem Tisch, Schüsseln<br />
waren randgefüllt mit Köstlichkeiten, aber so sehr ich<br />
mich auch anstrengte, ich bekam fast keinen Bissen runter.<br />
Ich erklärte meine Sünden vom gestrigen Abend, Frau<br />
Vanderpol lächelte nur, und zeigte Verständnis. „Mein<br />
Mann wird sich über das Essen freuen, wenn er heute<br />
Abend nach Hause kommt“ war ihr Kommentar.<br />
„Jetzt zeig ich dir mein Zimmer, da kannst du die neueste<br />
Musik hören“ (sie wusste dass ich ein Music-Freak<br />
war), und ging mir eine Etage höher, die Treppe befand<br />
sich in der Wohnung. Beatrice hatte außer einem Gästezimmer<br />
die gesamte Etage für sich alleine. Sie platzierte<br />
mich auf eine prachtvolle grosse Couch in einem sehr<br />
geräumigen Zimmer.<br />
Sie legte eine Platte auf, die Musik war rhythmisch, lateinamerikanisch:<br />
„Das ist Salsa, “ versuchte sie mir zu<br />
54<br />
erklären und bewegte sich Barfuss und lachend auf ihrem<br />
dicken Teppich. Sie sagte: „Du weist ja gar nicht<br />
mehr was jetzt so läuft“, und sie begann wahrhaftig vor<br />
mir zu tanzen.<br />
Die Musik, die ich vorher nie gehört hatte, gefiel mir<br />
sehr gut, und auch die Art wie Beatrice ihren Körper lachend<br />
bewegte. Hätte mein Magen nicht so sehr rebelliert,<br />
wäre ich hocherfreut hochgesprungen und hätte<br />
mitgetanzt.<br />
Meine strohblonde wunderhübsche Rechtsanwältin<br />
tanzte für mich und ich hatte nicht einen Gedanken an<br />
Sex, der mir früher sehr schnell gekommen wäre, auch<br />
weil Beatrices Körperbewegungen beim Tanz sehr aufreizend<br />
waren.<br />
Beatrice war einfach nur eine wunderbare Bekanntschaft<br />
für mich, die mir sehr geholfen hatte, das triste Leben<br />
in der Zelle besser zu ertragen.<br />
Leider ich konnte ich all die Freundlichkeiten nicht so<br />
genießen, als wenn ich Idiot nüchtern zu dem Essen gekommen<br />
wäre.<br />
Normalerweise war ich kein Säufer, auch bei den Gelagen<br />
an Lagerfeuern hatte ich die Weinflasche nur sehr<br />
mäßig genossen. Warum ich ausgerechnet am Tag meiner<br />
Entlassung aus dem Knast so saufen musste, war mir lange<br />
schleierhaft. Vielleicht wollte ich mir die letzten Monate
wegsaufen.<br />
Aber das wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Zumal ich<br />
von meinem Schweizer Zellengenossen richtig gut französisch<br />
gelernt hatte. In Sprache und Schrift, wie das in<br />
6 Monaten möglich war. Gerhards Unterricht war sehr<br />
intensiv, und ich hatte den Eindruck, es machte ihm<br />
Freude wenn ich wieder neue Worte gelernt hatte.<br />
Mein musikalisches Gehör hatte mir beim lernen sicher<br />
sehr geholfen. Außerdem hatten wir ja 23 Stunden täg-<br />
55<br />
lich Zeit zum lernen in der Zelle.<br />
Ich war dem Jungen dankbar, und Beatrice war über<br />
meine Fortschritte in ihrer Sprache ziemlich überrascht.<br />
Wir sprachen noch ein wenig, ich entschuldigte mich<br />
nochmals für meinen sehr mageren Appetit, und verabschiedete<br />
mich von den beiden Damen. Ja DAMEN, solche<br />
hatte ich in meinem bisherigen Leben noch nicht<br />
kennen gelernt, und ich dachte immer freudig an sie,<br />
wenn mir die Gedanken an diese Zeit kamen.<br />
Beatrice steckte mir noch 100 Fancs zu, und sagte mir<br />
mit erhobenem Finger und einem freundlichen Lächeln:<br />
„ Keine Dummheiten mehr, wenn wir uns noch mal<br />
treffen, dann ausserhalb dieser schrecklichen Gefängnismauern“.<br />
Sie umarmte mich herzlich, und küsste mich<br />
auf die Wangen.<br />
„ Vielen Dank für Alles, Beatrice, du hast mir das Leben<br />
der letzten Monate verschönt deine Besuche waren immer<br />
sehr besondere Tage für mich, auf die ich mich immer<br />
außerordentlich freute, es tut mir leid dass ich die<br />
Kochkunst deiner Mutter nicht genießen konnte“<br />
„Darüber mach dir die wenigsten Sorgen, am besten du<br />
fährst jetzt erstmal nach Hause“, antwortete sie.<br />
Beatrice Vanderpol winkte mir noch lächelnd hinterher,<br />
und ich ging erst ´mal Richtung Hafen.<br />
Mit meinem Schlafsack unterm Arm machte ich zunächst<br />
in aller Ruhe einen Gang um das grosse Hafenbecken,<br />
kleine Frachter und andere Schiffe lagen dort<br />
vor Anker.<br />
Die meisten dieser Schiffe waren Jachten von reichen<br />
Privatiers, der Hafen für die ganz grossen Kutter war ca.<br />
2 km. weiter.<br />
Dann begab ich mich in die kleinen Gassen, die den Hafen<br />
umsäumten, und wo das wahre Leben pulsierte.<br />
56<br />
Schon nach 200 Metern wurde ich von einer hübschen<br />
Frau angesprochen: „Na wie wär´s, willst du Spaß haben?“<br />
„Nein Danke, ich komm soeben aus dem Knast,<br />
und habe hier schon Spaß genug“, antwortete ich. „Ja<br />
dann erst recht“, sagte die Bortsteinschwalbe, aber ich<br />
winkte lachend ab.<br />
Als ich weiter durch die Gassen wanderte, kam ich auf<br />
einen belebten Platz mit vielen Cafés<br />
und buntem Treiben.
Es gab auch eine kleine Kirche, und dort sah ich erstmals<br />
einen jungen Mann, der ein Bild auf eine Ecke des breiten<br />
Bordsteins malte. Er malte ein religiöses Bild, und am<br />
unteren Ende der Malerei stand ein kleines Kistchen,<br />
über das in vielen Sprachen „Danke“ geschrieben stand.<br />
Etwas Geld hatte ich noch in der Tasche, wusste aber sofort,<br />
dass diese Malerei meine nähere Zukunft werden<br />
könnte.<br />
Ich hatte schon früher in einer Galerie Bilder von „Modegliani“,<br />
sicher Drucke, denn Originale waren schon<br />
damals unbezahlbar, gesehen, der malte oft Porträts von<br />
Frauen, die besonders lange Hälse hatten.<br />
Da ich kein sonderlich guter Maler war, wusste ich aber<br />
doch, dass ich solche Bilder auch auf Bordsteine kopieren<br />
könnte, und ich besorgte mir zunächst ein kleines<br />
Buch mit Bildern von Modegliani.<br />
Dann fand ich einen Laden mit Malutensilien aller Art,<br />
und kaufte mir einen grossen Pappkasten mit 20 verschiedenfarbigen<br />
Kreidestiften. Jetzt wusste ich, dass<br />
mein Überleben gesichert war, man musste mich nur<br />
lassen.<br />
Ich war jetzt arbeitsloser Pflastermaler im Garten Eden<br />
von Frankreich.<br />
Marseille wollte ich nun endgültig verlassen, davon hat-<br />
57<br />
te ich genug.<br />
Mit einem Bus fuhr ich an den Rand der Stadt, wo ich<br />
eine Autobahnauffahrt Richtung Osten fand. Ich wollte<br />
jetzt mehr von der schönen Cote d`azur kennen lernen,<br />
und hielt meinen Daumen Richtung Cannes.<br />
Es dauerte nicht lange bis ein Auto anhielt, der Fahrer<br />
wollte zwar nicht bis Cannes, aber ca. 100 km in diese<br />
Richtung wollte er mich gerne mitnehmen. Schon nach<br />
den ersten Worten die wir austauschten, merkte ich, dass<br />
ich die französische Sprache schon sehr gut gelernt hatte,<br />
ich konnte mich problemlos mit meinem Chauffeur<br />
unterhalten. Schon Beatrice sagte mir verwundert, wie<br />
gut ich ihre Muttersprache in den 6 Monaten unseres<br />
Kontakts gelernt hatte.<br />
58<br />
Kapitel 9<br />
Es war eine wunderschöne Fahrt, ich hatte wirklich einen<br />
wunderschönen Garten Eden gefunden.<br />
Rechts schwappte das blaue Mittelmeer gegen Sand und<br />
Felsen, links sah ich diese faszinierenden weißen Bergmassive,<br />
die mit grünen Bäumen und Sträuchern übersät<br />
waren, die gegen den blauen Himmel ragten. Und<br />
zwischendrin eine Blumenpracht, wie sie schöner nicht<br />
sein konnte. Es beeindruckte mich immer aufs Neue.<br />
Und das Licht über dieser Pracht von Natur war so herrlich,<br />
das wollte ich lange genießen.<br />
Nun verstand ich auch, weshalb Maler wie Van Gogh,<br />
Monet, Renoir und viele andere berühmte Künstler hier
leben und arbeiten wollten.<br />
Dieses Licht der fast immer scheinenden Sonne und die<br />
Natur waren einmalig, ich war voller Begeisterung hier<br />
sein zu können.<br />
Die bösen Begegnungen meiner Kindheit und der Knast<br />
waren schnell vergessen, ich war frei!<br />
Ich war 14 Jahre alt, und konnte mit meinem Leben machen<br />
was MIR beliebte, Niemand zwang mich in irgendwelche<br />
Richtungen, in die ich nicht gehen wollte.<br />
Ich war wieder sehr glücklich.<br />
„All we are is Dust in the Wind“, (Kansas), dies wurde<br />
mein Motto.<br />
Dann stellte ich mich wieder an eine Straße, und hielt<br />
ein Auto an.<br />
Der Fahrer nahm mich mit bis Toulon, einer grossen<br />
Stadt in Richtung Cannes.<br />
Die Stadt sah einladend aus und so beschloss ich eine<br />
Weile hier zu bleiben.<br />
Was mir aber dann schnell auffiel, waren die vielen weiß<br />
59<br />
uniformierten Militärs, und wie ich schnell erfuhr war<br />
ich im größten Kriegshafen von Frankreich gelandet.<br />
Das war mir zwar nicht sehr angenehm, denn gegen Militär<br />
hatte ich schon sehr früh Abneigung.<br />
Trotzdem, die Stadt war schön, das Meer nur 20 Meter<br />
von mir entfernt, und so packte ich meinen neu erstandenen<br />
Zeichenblock und den Bleistift aus, packte das<br />
kleine Buch mit den Malereien von Modigliani aus, und<br />
begann zu zeichnen.<br />
Ich hatte mir überlegt, dass ich nicht ohne jede Kenntnis<br />
von Malerei sofort auf Bordsteine malen konnte, ich<br />
musste erstmal üben.<br />
Das tat ich dann auch. Ich war verwundert, wie leicht<br />
mir die Malerei mit dem Bleistift<br />
gelang, es war wirklich nicht sehr schwer, die langhälsigen<br />
Frauenportaits zu Papier zu bringen.<br />
Nach 2 Stunden üben auf Papier suchte ich mir einen<br />
einigermaßen glatten Platz auf dem breiten Bürgersteig,<br />
der die Kaimauer umgab.<br />
Ich machte ein Viereck von ca. 1 qm bis zu Rand der<br />
Mauer, es waren immer noch 2,5 m Platz für die Fußgänger,<br />
und begann zu malen.<br />
Auf Knien zeichnete ich mit heller Kreide den Umriss<br />
einer dieser langhälsigen Damen zu zeichnen.<br />
Zunächst musste ich mich oft korrigieren, es war gar<br />
nicht so einfach wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber irgendwann<br />
hatte ich die äußere Kontur der Zeichnung<br />
hingekriegt, Nase und Mund waren schon fast fertig.<br />
Dann begann ich mit dem Auge (Ich brauchte ja immer<br />
nur eins zu malen, es waren alles Profile, deshalb hatte<br />
ich mir auch diese ausgesucht)<br />
Ich hatte einen Lappen besorgt, mit dem ich Fehler abwischen<br />
und korrigieren konnte, das mit dem Auge war
echt schwierig.<br />
60<br />
Also begann ich mit der Ausmalung des Gesichts, für das<br />
ich ja nur eine Hautfarbe benötigte.<br />
Aber diese Hautfarbe war auch nicht einfach wiederzugeben,<br />
ich musste mit verschiedenen Farben arbeiten.<br />
Ich verteilte und verrieb die Kreide mit den Händen, die<br />
dann auch dementsprechend aussahen.<br />
Zum Glück malte Modigliani die Hautfarben immer anders,<br />
mal braun, mal grün, mal blau, ich hatte also viele<br />
Möglichkeiten. Aber bei dem Bild, das ich gerade bearbeitete<br />
musste ich schon an gebräunte Hautfarbe kommen.<br />
So legte ich Farben übereinender, was leider viel Kreide<br />
verbrauchte, aber es gelang mir dann doch einen guten<br />
Ton zu finden.<br />
Das sehr schwarze, zu einem strammen Zopf geflochtene<br />
Haar, war auch einigermaassen gut zu kopieren. Jetzt<br />
musste ich nur noch das Auge einsetzen.<br />
Ich suchte mir Höhe von der Nase, und Tiefe von der<br />
Stirn, und malte das Auge auf die schon vorhandene<br />
Hautfarbe. Es war einfacher als ich dachte, ich hatte den<br />
Modegliani in ca. 3 Stunden fast so wie er in meinem<br />
Büchlein stand.<br />
Die Menschen, die hinter mir vorbeiliefen, hatte ich<br />
kaum bemerkt, ich war zu sehr mit der Malerei beschäftigt.<br />
Natürlich hatte ich den Deckel meines Kreidekastens an<br />
den unteren Rand meiner Malerei aufgestellt, und<br />
DANKE in allen mir bekannten Sprachen darunter geschrieben.<br />
Und als ich nachschaute, war zu meiner grossen<br />
Freude eine gute Menge Francs in den Kasten gekommen.<br />
Nun setzte ich mich auf die Kaimauer, und<br />
betrachtete mein Werk.<br />
Gar nicht schlecht für das erste Mal, dachte ich mir, und<br />
alle vorbeiziehenden Menschen schauten hin.<br />
61<br />
Nun wusste ich, überleben war kein Problem mehr, und<br />
ich musste nicht weiter schnorren und betteln. Jetzt erbrachte<br />
ich eine Leistung für das Geld der Fremden.<br />
Als die Sonne unterzugehen begann packte ich meine<br />
Kreide zusammen, schnappte mir den Deckel mit dem<br />
Geld, und begann zu zählen. Ich konnte es kaum fassen,<br />
ich hatte 96 Francs zusammengemalt.<br />
Fast 100 Francs, das kam mir vor wie ein Wunder, ich<br />
hatte nicht gemerkt, dass so viele Leute Francs in mein<br />
Kästchen geworfen hatten. Zunächst war ich ja auch beschäftigt,<br />
und merkte nicht was hinter mir so geschah,<br />
und bei dem fertigen Bild war auch immer wieder ´mal<br />
von der Mauer gestiegen, und tat so als male ich noch,<br />
aber so viel Geld, das ich nicht erwartet.<br />
Ich sah aus wie ein bunter Hund, meine Jeans war mit<br />
allen Farben bedeckt, und meine Hände waren saudrekkig.<br />
Ich musste mich irgendwo säubern, so konnte ich nirgendwo<br />
essen gehen.
Da ich so viel Geld verdient hatte, und außerdem noch<br />
über gute Barschaft aus Marseille verfügte, suchte ich<br />
mir ein kleines Hotel. Die Frau an der Rezeption erschrak<br />
ein wenig ob meiner schmutzigen Gestalt, gab<br />
mir dann aber ein Zimmer mit Dusche für 25 Francs.<br />
Das waren noch die guten Zeiten, wo das Übernachten<br />
an der Coté bezahlbar war.<br />
Frisch geduscht und mit meiner Ersatzhose bekleidet,<br />
die leider nur bis zu den Knien reichte, die ich in Cassis<br />
geschenkt bekommen hatte, machte ich mich fröhlich<br />
auf zu einem Restaurant. Das wollte ich mir Heute leisten,<br />
ich hatte gut gearbeitet, und saugut verdient.<br />
In ein Restaurant zu gehen gehört in Frankreich zum<br />
täglichen Leben, mindestens einmal wöchentlich ging<br />
die Familie im Restaurant essen.<br />
62<br />
Ich fand eine größere Strasse mit vielen Restaurants,<br />
viele waren leer, da wollte ich auch nicht hin, aber dann<br />
sah ich ein kleines Restaurant, das sehr gut gefüllt war.<br />
Ich schaute auf die Karte, und die Preise waren für meine<br />
Verhältnisse sehr angenehm.<br />
Ich bekam ein Menü mit Vorspeise, Pfeffersteak mit Fritten,<br />
und einen guten französischen Pudding zum<br />
Schluss für 16 Franks. Und ich hatte richtig gut gegessen.<br />
Also das Leben in Südfrankreich würde mich sicher<br />
nicht zum armen Mann machen.<br />
Wir schrieben das Jahr 1963.<br />
Ich schlenderte durch die Stadt, fand viele schöne Gebäude<br />
und das Meer war überall zu riechen.<br />
Die vielen Militärs störten mein Bild von Toulon, aber<br />
allzu lange wollte ich eh nicht bleiben.<br />
Auf jeden Fall aber wollte ich noch ein paar Tage „arbeiten“.<br />
Drei Tage später, die Taschen gut gefüllt, eine neue Jeans<br />
und T-Shirt gekauft, machte ich mich auf weiter nach<br />
Osten Richtung Cannes.<br />
In Frejus legte ich eine Pause ein und in St. Tropez, einem<br />
Dorf das ich natürlich sehen musste.<br />
Es war heiß, und viele leicht bekleidete Menschen hatten<br />
das Dorf belagert. Sehr viele außergewöhnlich schöne<br />
Frauen waren zu sehen, meist von älteren Herren begleitet.<br />
Die Yachten am Hafenkai waren fantastisch, ein Riesenschiff<br />
neben dem anderen, fröhliche Leute sprangen an<br />
Deck herum, oder lagen einfach in der Sonne.<br />
Nach Sonnenuntergang waren die Yachten beleuchtet,<br />
Frauen und Männer saßen chic gekleidet an den am<br />
Heck stehenden Tischen, und genossen das Abendessen,<br />
das manche sich von Personal auflegen liessen.<br />
63<br />
Und sie hatten Riesenfreude an all den Bewunderern,<br />
die am Kai entlang spazierten, und sie bei ihrem Treiben<br />
beobachteten. Sie wollten gesehen werden.<br />
Gegen Mitternacht ging ich in eine Discothek, nachdem<br />
ich mir in einem Strandrestaurant, „Le Gorille“, ein
Abendessen geleistet hatte, ich war nicht arm.<br />
Die Disco war noch nicht gut besucht, da ging die Post<br />
erst ab 2 Uhr nachts richtig ab. Ich trank ein Glas Wein,<br />
sauteuer, die Musik war nicht schlecht, aber nach einer<br />
Stunde verließ ich die Tanzbar.<br />
Ich suchte den Platz, wo ich meinen Schlafsack und die<br />
anderen Sachen versteckt hatte, und suchte mir etwas<br />
ausserhalb des Dorfes in Landseite, einen kleinen Park,<br />
wo ich hinter Büschen gut schlief.<br />
Als die Sonne sich gerade blicken ließ, stand ich auf, rollte<br />
meine Habseligkeiten in den Schlafsack, und ging ins<br />
Dorf zurück. Nur ein Café war geöffnet, und dort waren<br />
nur Einheimische zu treffen. Das gefiel mir, und ich<br />
frühstückte mit starkem Kaffee, Croissants und Baguettes<br />
mit Marmelade.<br />
Dann machte ich mich auf in Richtung Cannes zu<br />
trampen. Das sollte dann noch einen grossen Schlag luxurieuser<br />
sein als St. Tropez, oder alles was ich bisher gesehen<br />
hatte.<br />
Riesenhotels, die weiß strahlten , und wie Paläste aussahen.<br />
Das Hotel „Carlton“ beeindruckte mich am meisten,<br />
das war der pure Luxus an Architektur und<br />
Schmuck, kleine rote Stoffdächer über jeden Fenster, es<br />
sah sehr beeindruckend aus. Aber für mich natürlich unerschwinglich,<br />
was mich aber absolut nicht störte. Eigenartigerweise,<br />
ich weis nicht weshalb, ein Gefühl wie<br />
Neid war bei mir nicht im Programm. Und das war gut<br />
so, wie sich noch oft zeigen sollte.<br />
Es war gegen 11 Uhr, als ich mir an der breiten Ufer-<br />
64<br />
promenade ein Stück Boden zum malen suchte. Ich<br />
nahm meine Kreide hervor, stellte mein Kästchen hin,<br />
und begann zu malen.<br />
Es dauerte ca. eine halbe Stunde, da hielt ein Auto an,<br />
und blau uniformierte Herrn gingen auf mich zu. „Bonjours<br />
Monsieur, „votre Passport´s ´il vous plait“ sprachen<br />
sie mich an.<br />
Das hatte ich verstanden, und holte meinen immer noch<br />
auf Tilmann Mülhaus lautenden Personalausweis aus der<br />
Tasche. Die Herren schauten interessiert auf das Dokument,<br />
fanden es in Ordnung, machten mir aber klar, dass<br />
in Cannes nicht auf die Strasse gemalt werden dürfe.<br />
Also entfernte ich die paar Striche, die ich schon gemalt<br />
hatte, und verabschiedete mich von Cannes, ich hatte<br />
genug gesehen.<br />
Eigentlich wollte ich ja sowieso nach Italien, aber das<br />
waren noch einige hundert Kilometer. Ich wollte noch<br />
nach Nizza, wo Strassenmalerei nicht verboten war. Ich<br />
bekam zwar einige Male Besuch von der Polizei, aber<br />
die liessen mich nach Ausweiskontrolle gewähren.<br />
3 Tage verbrachte ich in Nizza, es war eine schöne, ja<br />
wundervolle Stadt, ich hatte ein paar Leute und ein nettes<br />
Mädel, Anne Marie, kennen gelernt. Sie wohnte zwar
in Nizza, verbrachte aber die Nächte mit mir in einem<br />
kleinen Hotel. Preiswerten Hotels waren auch an der<br />
Coté d´azur noch oft zu finden, wenn man sich richtig<br />
umschaute.<br />
Ich verabschiedete mich mit einer festen Umarmung<br />
von Anne Marie, und versprach einmal wiederzukommen.<br />
Sie nahm das ganz locker, wir hatten ein kleines<br />
Abenteuer miteinander gehabt, das war´s. So waren<br />
Französinnen, jedenfalls die, die ich bisher gekannt hatte.<br />
Die klammerten nicht gleich.<br />
Nun musste ich noch durch Monte Carlo und Monaco,<br />
65<br />
sehr imposante Städte und Landschaften mit riesigen<br />
Palmen bestückt, die mich aber nicht sonderlich reizten,<br />
bis ich endlich nach Ventemiglia kam, der Grenze zwischen<br />
Frankreich und Italien.<br />
Ohne Probleme passierte ich die Grenze, und stand mitten<br />
in der wunderschönen Toscana.<br />
Ich war zwar immer noch am Mittelmeer, beschloss aber<br />
in Richtung Mailand zu trampen, ich wusste von Freunden,<br />
dass dort Pflastermalerfreie Zone war. Schliesslich<br />
musste ich Geld verdienen, obwohl ich noch stets gut<br />
bei Kasse war.<br />
Also suchte ich mir eine Autobahn Richtung Mailand.<br />
An der Autobahnauffahrt traf ich einen Deutschen,<br />
„Rainer“ stellte er sich vor, und war fast genau so gekleidet<br />
wie ich, hatte aber einen Bart und einen großen Seesack<br />
bei sich.<br />
„Wo willst du hin“, fragte er mich. „Nach Mailand“,<br />
antwortete ich ihm. „Mann dann komm doch erst einmal<br />
mit nach Genua, eine tolle Stadt, das reine Abenteuer.“<br />
Abenteuer klang gut, und warum nicht, ich hatte alle<br />
Zeit der Welt. „O.K., ich komm mit“.<br />
Und schon bald hielt ein Renault, der uns bis Albenga<br />
mitnahm. Der nächste Anhalter brachte uns bis Savona,<br />
und nun war´s nur noch ein Sprung nach Genua.<br />
66<br />
Kapitel 10<br />
Von der Strasse, die ca. 5-bis 600m hoch nach Genua<br />
hinunterführte, war der Blick über die Stadt mit dem<br />
Riesigen Hafen, alten und neuen Gebäuden, grossen<br />
Strassen und in Hafennähe viele kleine verwinkelte Gassen,<br />
wunderschön zu sehen, und ich wusste, das mein<br />
neuer Freund mich richtig beraten hatte, diesen Abstecher<br />
zu machen.<br />
Der nette Herr der uns mitgenommen hatte, fuhr uns<br />
ein Stück in die Stadt nähe Hafen, und wir bedankten<br />
uns freundlich.<br />
Rainer kannte sich aus. Sofort steuerte er in Richtung<br />
Hafenviertel, und wir landeten in einer schmalen Gasse,<br />
wo das Leben tobte!<br />
Geschäfte aller nur erdenklichen Art reihten sich eins an<br />
das nächste, Marktstände ohne Ende, Fischgeschäfte mit
Exemplaren die ich noch nie gesehen hatte.<br />
Ich mochte leider keinen Fisch, schade, hier hätte ich<br />
schlemmen können. Die Fische und Krustentiere waren<br />
meist noch in Bewegung, also wirklich Fangfrisch.<br />
Eine Mama pries Ihre Waren lauter als die nächste, es war<br />
ein unheimlicher, aber angenehmer, Krach in der Gasse.<br />
Wir setzten uns in eins der vielen kleinen Cafès, die sich<br />
zwischen die Marktschreier gezwängt hatten, tranken<br />
Kaffee und lachten uns an. Das war´s, hier konnte man<br />
Leben lernen!<br />
Es muss gegen 13 Uhr gewesen sein, also Mittagszeit.<br />
„Hast du Hunger“ fragte Rainer. “Klar“ antwortete ich.<br />
„Na dann komm ´mal mit“ .Wir machten uns auf Richtung<br />
Hafenbecken, hier lagen alle grossen Transportund<br />
Passagierschiffe. Rainer rief hoch zu einem Matrosen<br />
auf einem italienischen Schiff und fragte „Posso<br />
67<br />
mangare“? „Si, vieni“ antwortete der Matrose.<br />
„Komm Eric, wir gehen essen“ Ich verstand nur Bahnhof,<br />
folgte ihm aber die Gangway hoch aufs Schiff. Der<br />
Matrose begrüsste uns freundlich, und brachte uns in einen<br />
Raum neben der Kombüse, in die er verschwand.<br />
Zurück kam er mit zwei Riesentellern voll Spaghettis<br />
mit Tomatensosse, und wünschte uns „guten Appetit“.<br />
Ich konnte es kaum fassen. Rainer lachte nur, „das geht<br />
ganz locker hier im Hafen, hier wirst du immer satt“.<br />
Kaum hatten wir die köstlichen Nudeln gegessen, ich<br />
war pappsatt, kam der Matrose mit zwei Tellern dampfenden<br />
Fleischs mit dunkler Soße. „das musst du jetzt essen,<br />
sonst ist der beleidigt“ lachte Rainer mich an, und<br />
so machte ich mich bedächtig an den zweiten Gang. Es<br />
war köstlich, aber ich konnte kaum noch gehen, so vollgefressen<br />
war ich jetzt. Wir verabschiedeten uns freundlich<br />
und dankbar bei dem Smutje der uns hinterher<br />
winkte.<br />
„Das können wir täglich machen, wenn wir hungrig<br />
sind, du kriegst hier auf fast jedem Schiff etwas zu essen“,<br />
erklärte Rainer Das waren natürlich gute Aussichten.<br />
Wir schleppten unsere vollen Bäuche zurück in die lebendige<br />
Gasse, setzten uns in ein anderes Café, von wo<br />
aus wir das bunte Treiben dieser langen Lebensader betrachteten.<br />
So langsam kamen auch die jungen Damen in kurzen<br />
Röckchen, bunt geschminkt, das Handtäschchen<br />
schwingend, eine Zigarette in der Hand, und boten sich<br />
feil.<br />
Seemänner gab´s genug, die von der langen Reise anders<br />
hungrig waren als Rainer und ich, und so florierte das<br />
Geschäft der Mädels hervorragend.<br />
Mein Geschäft lief leider gar nicht mehr, hier gab´s kei-<br />
68<br />
nen Platz zum malen. Ich gab nur noch Geld aus, verdiente<br />
leider nichts. Aber das war nur halb so schlimm,<br />
ich hatte noch Reserven aus Marseille und Nice.
Eine Woche hielt es mich in Genua, eine Bordsteinschwalbe,<br />
Francine, schon der Name war ein Genuss,<br />
hatte es auf mich abgesehen, und versüßte nach Feierabend<br />
mein Leben. Auch kaufte sie mir Hose und<br />
Hemd, und lud mich oft zum Essen ein, also brauchte<br />
ich nicht immer auf die Schiffe um Essen zu schnorren.<br />
Aber das reizte mich doch noch ab und zu, und so ging<br />
ich eines Tages ´mal wieder runter zum Hafen, und wurde<br />
von Franzosen eingeladen, natürlich immer nur nach<br />
der Frage:“gibt´s noch ´was zu essen bei euch“? Und die<br />
Antwort war fast immer ein freundlicher Wink nach<br />
oben.<br />
Bei den Franzosen hatte ich herrlich gegessen, und verabschiedete<br />
mich von den Seeleuten. Satt war ich längst,<br />
kam aber dann an einem russischen Schiff vorbei. Essen<br />
beim „Klassenfeind“, das wäre doch ´mal ´was.<br />
Und so rief ich hoch zu den Matrosen, und stellte die<br />
obligatorische Frage. „Komm hoch Junge, hier gibt´s<br />
was für dich“ rief mir einer in gebrochen deutscher<br />
Sprache zu. Und so klomm ich die Gangway hoch, und<br />
wurde in den Raum neben der Kombüse geführt. Es<br />
waren auch zwei Frauen an Bord, was auf den anderen<br />
Schiffen nie der Fall war.<br />
Und ich bekam zu essen…einen riesigen Teller mit grobem<br />
Kraut und Kümmel, dann folgte Wodka, jemand<br />
kam sofort mit einer Flasche. Dies lehnte ich freundlich<br />
ab, und machte mich weiter über das grobe Essen her.<br />
Dann kam noch ein Teller mit Nudeln und Hackfleisch<br />
gemischt, und ich stand kurz vorm platzen.<br />
Schon aus Höflichkeit musste ich alles wegputzen, verabschiedete<br />
mich dann aber schnell. Die Matrosen ver-<br />
69<br />
sorgten mich noch mit Lektüre, –in russisch-, gaben mir<br />
Faltblätter über den Kommunismus, und endlich war ich<br />
unten an der Gangway angelangt.<br />
Ich konnte wirklich kaum noch laufen, so schwer lag<br />
die gesamte französische und russische Kost in meinem<br />
Magen. Wäre ich doch nur nicht zu den Russen gegangen,<br />
die Franzosen hatten mich schon reichlich gut bewirtet.<br />
Ich schleppte mich bis zu einem leeren Güterwaggon,<br />
und schob mich hoch, um direkt umzufallen, und mindestens<br />
eine Stunde nicht mehr aufstehen zu können.<br />
Bevor ich Francine kennen lernte, schlief ich oft in solchen<br />
Waggons, wenn sie offen waren. Dann war man<br />
auch sicher am nächsten Morgen noch da zu sein, denn<br />
die Züge fuhren nur beladen aus dem Hafen. Man musste<br />
zwar immer früh raus, denn der Hafenmeister kontrollierte<br />
die Züge gegen 8 Uhr morgens, und teilte die<br />
Wagen ein.<br />
Einmal hatte er uns erwischt, mit viel italienischem Geschrei<br />
jagte er uns zum Teufel.<br />
Rainer war abgefahren, als ich meine Hafenmaus kennen<br />
gelernt hatte, ich hatte nur noch wenig Zeit für ihn,
nur wenn Francine „arbeitete“, mit der ich in einem<br />
schnuckeligen Hotel wohnte.<br />
Im Hotel zu wohnen war für die meisten der Nachtfalter<br />
normal. Rainer wollte sowieso weiter nach Milano,<br />
wo wir uns für 10 Tage später vor der Kathedrale verabredet<br />
hatten. Da war wieder „Malgebiet“, und ich konnte<br />
Geld verdienen. Aber im Augenblick war das meine<br />
geringste Sorge.<br />
Ich hatte noch stets den Personalausweis des Tilmann<br />
Mülhaus in der Tasche, ich brauchte dringend ein auf<br />
mich lautendes Reisedokument.<br />
Schweren Herzens machte ich mich auf Richtung<br />
70<br />
Deutschland. Ich wollte erstmal zu Hause die Lage<br />
checken.<br />
71<br />
Kapitel 11<br />
Es dauerte 2 Tage, und ich stand vor der Türe meiner<br />
Mutter. Mit Tränen in den Augen nahm sie mich in die<br />
Arme, und sagte nur:“bin ich froh dass es dir gut geht“.<br />
Zuerst sprang ich in die warme Badewanne, und genoss<br />
das heisse Wasser ausgiebig. Ich hatte noch Kleidung bei<br />
der Muter, meine drei Reisehosen und die anderen Klamotten<br />
kamen in Mutters Waschmaschine.<br />
Beim Kaffee erklärte mir die Mutter, dass dieses Heim in<br />
Brauweiler (der „Knast“), nicht mehr existierte, und die<br />
Jugendlichen nun in einem neuen Heim in Hennef untergebracht<br />
worden seien, und die Form Heim wie<br />
Brauweiler aufgelöst worden sei.<br />
Sie riet mir, in das Heim nach Hennef zu fahren, um<br />
wieder auf eine „legale“ Schiene zu kommen.<br />
Obwohl selbst eine Gudrun Enslin sich „ein Produkt radikaler<br />
Heimerziehung „bezeichnete, die in Brauweiler<br />
ja auch praktiziert wurde.<br />
Ich war 15 Jahre und ein paar Monate, und dachte mir,<br />
zunächst ´mal zur Stadtverwaltung zu gehen, um einen<br />
Personalausweis zu beantragen.<br />
Den mit bunter Kreide beschmierte, kaum noch lesbare<br />
Ausweis von Tilman Mülhaus schickte ich mit der<br />
Post zurück an seine Adresse, und steckte einen Zettel<br />
mit „Danke schön, du hast mir sehr geholfen“ mit in<br />
den Umschlag.<br />
3 Tage später, die ich wieder auf Oma´s Sofa verbrachte,<br />
die hocherfreut war mich zu sehen. Es war ja kein Platz<br />
bei Mutter…,holte ich mir einen nagelneuen auf meinen<br />
Namen ausgestellten grauen Personalausweis beim<br />
Einwohnermeldeamt ab. Ich küsste das Teil, und verstaute<br />
es gut in meiner Hosentasche.<br />
72<br />
Endlich war ich wirklich frei, ich war legal registriert,<br />
und ich konnte das überall beweisen.<br />
West Europa wartete nun auf mich, alle Grenzen waren<br />
für mich geöffnet, ohne mulmiges Gefühl im Magen.
Tilman Mülhaus lebte nun wieder bei Papa und Mama<br />
in München.<br />
Nur das mit dem Heim musste noch geregelt werden.<br />
Mit allem Mut den ich aufbringen konnte machte ich<br />
mich auf den Weg nach Hennef, meine „Beatnik“-<br />
Ausstattung hatte ich bei Oma verstaut, man konnte ja<br />
nie wissen…<br />
Ich traute meinen Augen nicht, als ich in Hennef ankam,<br />
an einem grünen leicht ansteigenden Berghang sah ich<br />
ca. 10 kleine Häuser, nagelneu, und das sollte der Ersatz<br />
für das Erziehungsheim Brauweiler sein.<br />
In jedem Haus waren 8 Jugendliche untergebracht, die<br />
von einem Ehepaar geleitet auf´s Leben vorbereitet werden<br />
sollten.<br />
Keine Gitter, offene Türen, ich konnte es kaum fassen,<br />
als ich in die Verwaltung ging, und mich zurückmeldete.<br />
Ich war 9 Monate unterwegs gewesen.<br />
„Na das ist ja schön, dass du wieder da bist, du kannst in<br />
Haus 5 bei Herrn und Frau Müller ein Zimmer beziehen“,<br />
sagte der Direktor freundlich. Freundlich!!!<br />
Ein Zimmer, ich konnte es nicht glauben, ein Zimmer<br />
für mich alleine, das war´s doch.<br />
Herzlich wurde ich von Herrn und Frau Müller willkommen<br />
geheißen, und sie zeigten mir mein Zimmer.<br />
Meine Kameraden aus Brauweiler machten ein Riesenwillkommensgeschrei,<br />
und lobten mich endlos, dass ich<br />
9 Monate „Freiheit“ geschafft hatte.<br />
Es ging gut ab in Hennef, das Essen war gut, und die<br />
„Eltern“ waren immer freundlich.<br />
Oft war ich in ihrer Wohnung, und half beim spülen<br />
73<br />
oder so. Die Frau Müller gefiel mir auch physisch sehr<br />
gut, und Herr Müller zwang mir nicht irgendeine Arbeit<br />
auf, sondern brachte mir nach ca. 4 Wochen einen grossen<br />
Zeichenblock und Malstifte. „Lass dich da mal aus,<br />
ich glaube malen geht in deine Richtung“ stellte er fest.<br />
Ich hatte ihm nie von meiner Pflastermalerei erzählt.<br />
Und überhaupt, hatte ich von meiner Zeit auf der Strasse<br />
nichts erzählt, wenn man mich fragte, antwortete ich<br />
nur „ich war „on the Road“, mehr nicht. Dass ich im<br />
Knast war hat niemand erfahren!<br />
Der Mann hatte Gefühl, er merkte schnell wie ein Jugendlicher<br />
„drauf“ war. Trotzdem war ich erstaunt über<br />
das Zeichenmaterial, und fing schon bald damit an, es zu<br />
benutzen.<br />
Ich bemalte Blatt für Blatt, in allen möglichen Richtungen,<br />
die Malerei so mit sich bringt. Und so verbrachte<br />
ich mein Leben wieder im Heim.<br />
Abends konnten wir auch einige Stunden in den Ort<br />
gehen, man ließ uns viel Freiheit. (zum Glück!)<br />
Schnell hatte ich eine nette dunkelhaarige Frau von 17<br />
Jahren kennen gelernt. Sie war Friseuse, und wir trafen<br />
uns allabendlich in einem kleinen Park, und knutschten
uns die Seele aus dem Leib. Es wurde auch schnell sexuell,<br />
erst Gefummel, und dann war´s soweit, wir poppten<br />
miteinander. Renate konnte meinem Gedränge nicht<br />
mehr wiederstehen.<br />
Immer im Park, wir hatten uns eine uneinsehbare Bank<br />
gefunden. Das war zwar nicht besonders gemütlich, aber<br />
unsere „Nummern“ waren stets schnell abgefeiert.<br />
Dann kam der Hammer: Renate erklärte mir nach ca. 7<br />
Wochen unserer Popperei, sie sei schwanger. Mir fuhr<br />
erstmal der Schreck in die Hose, worin sich nun wörtlich<br />
nichts mehr bewegte.<br />
Mein Vater hatte davon erfahren, und mir wütend er-<br />
74<br />
klärt:“die heiratest du jetzt, da gibt´s nix“.<br />
Ich, erst nahe am 15ten Lebensjahr sollte heiraten, ich<br />
dachte nur „der hat ein Rad ab.“Ich hatte Renate ja<br />
wirklich sehr gerne, war sogar schon ´mal bei ihr zum<br />
Sonntagskaffee eingeladen, aber heiraten, das war mir<br />
zuviel des Guten.<br />
Also war es wieder soweit, die nächste Flucht wurde geplant.<br />
Ich sagte mir `steh auf, jetzt oder nie, es kann nicht sein<br />
dass du dich jetzt schon festnageln lässt, mach dich auf,<br />
jetzt oder nie mehr, die Welt wartet auf dich, hau wieder<br />
ab, das kann nicht alles gewesen sein´.<br />
Und so machte ich mich eines Abends auf, ohne irgendjemand<br />
etwas zu sagen, ohne mich zu verabschieden,<br />
und trampte nach Jülich, wo ja mein Beatnikgepäck bei<br />
der Oma lag.<br />
Für die Müllers tat´s mir leid, sie hatten sich echt Mühe<br />
mit mir gegeben, aber heiraten, nein danke!<br />
Die Oma begrüsste mich mit überschwänglicher Freude,<br />
aber als ich ihr klarmachte, dass ich wieder auf die<br />
Reise ging, gefiel ihr das überhaupt nicht.<br />
„Nix zu machen, Oma, ich muss weg“.<br />
Und so zog ich mit 2 Jeans, 2 T-Shirts, meiner Kreide, es<br />
war noch viel übrig, und meinem Schlafsack, gut gereinigt,<br />
Richtung Autobahn nach Süden.<br />
Ich erwischte einen Fahrer, der auf dem Weg nach<br />
St.Gallen in der Schweiz war, das war ein Ruf des<br />
Schicksals, und so stieg ich bei ihm ein, um ihn bei seiner<br />
gesamten Reise zu begleiten. Gültige Papiere hatte<br />
ich, den Ausweis trug ich immer nah am Herzen (!), und<br />
somit gab es keinen Grund, nicht ´mal in die Schweiz<br />
zu fahren, die kannte ich schliesslich noch gar nicht. Ich<br />
kannte nur Schweizer Franken, aber davon hatte ich natürlich<br />
keine mehr.<br />
75<br />
Oma hatte mir 100 Mark zugesteckt, damit ich mir etwas<br />
zu essen kaufen konnte.<br />
Aber unterwegs lud mich der nette Herr Baltus, so hiess<br />
mein „Chauffeur“, er war ungefähr 60 Jahre alt, ein äusserst<br />
freundlicher, gut gekleideter Herr mit einem amerikanischen,<br />
grossen Wagen, in Autobahnraststätten 2
mal zum Essen ein, so hatte ich keinerlei Ausgaben.<br />
Mein Hunderter wurde nicht unnötig strapaziert, und<br />
die Reise gestaltete sich als sehr gemütlich.<br />
Wir sprachen über dies und jenes, und ich erklärte ihm,<br />
dass ich ein Beatnik auf Reisen war, was ihm Respekt<br />
abzollte. „Das hätte ich nie gekonnt, obwohl ich in meinem<br />
Leben oft alles hingeschmissen hätte, meine gesellschaftliche<br />
Sicherheit erlaubte keine Ausflüge“, sagte<br />
Herr Baltus.<br />
Nach ca. 12 Stunden waren wir in St. Gallen, ich war in<br />
der Schweiz.<br />
Ich verabschiedete mich herzlich von Herrn Baltus, bedankte<br />
mich für die angenehme Reise, und da es schon<br />
23Uhr war, suchte ich etwas „Lebendiges“ in dieser für<br />
mich fremden Stadt.<br />
Ich wusste wohl, dass der „Bestohlene“ in Arles von<br />
hierher kam, aber das machte mir absolut nichts aus.<br />
Ich irrte durch die Strassen, bis ich einen sehr großen<br />
hellen Punkt sah, auf den ich zuging.<br />
Dieser helle “Punkt“ gestaltete sich als Discothek, die<br />
im Keller eines Apartmenthauses angesiedelt war. Die<br />
Disco hiess „LÖWE“, aber da ich vor grossen Tieren nie<br />
Angst hatte, ging ich hinein.<br />
Und hier tanzte der Bär, hier war richtig ´was los. Jede<br />
Menge junge Frauen und Männer, wobei mich die<br />
Frauen am meisten interessierten.<br />
Meine Klamotten legte ich in einer dunklen Ecke ab,<br />
und begab mich auf die Tanzfläche. Ich hatte soviel Spaß<br />
76<br />
wie lange nicht, die Monate zu Hause und im Heim in<br />
Hennef hatten mich etwas „steif“ gemacht. Als mir dann<br />
aber die Laute der grossen Musikboxen in die Glieder<br />
fuhr, war ich wieder voll der alte Twister, ich rockte ab<br />
was das Zeug hielt.<br />
So nach dem 3. oder 4. Stück guter Musik bemerkte ich<br />
Blicke von Mädels, die mich bei Augenkontakt anlächelten.<br />
´ Hier bist du richtig´dachte ich mir, und ging auf das<br />
Mädel zu, was mir am besten gefiel. „Hallo, ich bin<br />
Eric“, stellte ich mich vor, „und ich bin Stefanie“, bekam<br />
ich zur Antwort. „Du bist wohl Deutscher“, stellte<br />
Stafanie richtig fest, das „Schwitzer Dütsch“ sollte ich<br />
erst noch lernen.<br />
So kamen wir ins Gespräch, und tanzten auch ein paar<br />
Runden. Sie hatte offensichtlich Spaß an dem was sie<br />
mit mir erlebte, und nach ca. 1 Stunde lud sie mich zu<br />
einem Getränk ein.<br />
„Das ist doch eigentlich meine Aufgabe, einen auszugeben“,<br />
sagte ich auf das Angebot reagierend, aber Stefanie<br />
machte mir klar, dass es in der Schweiz auch andersrum<br />
ging. Dagegen hatte ich gar nichts einzuwenden, und<br />
bestellte mir einen „Cuba-Libre“, Rum mit Cola, und<br />
wir prosteten uns mit Blick in die Augen lächelnd zu.<br />
Wir tanzten weiter, liessen völlig los. Und wenn ich die
männlichen meist steifen Tänzer beobachtete, sprach ich<br />
nachher einen an und sagte:“ Junge, zieh den Stock aus<br />
dem Arsch und ergib dich dem Fieber der Musik, dann<br />
klappt das von alleine“. Der Typ schaute mich erstaunt<br />
an, wer redet so zu einem Fremden, aber er hatte es gefressen.<br />
77<br />
Kapitel 12<br />
Stefanie und ich setzten uns in eine Ecke, wo die Musik<br />
nicht ganz so laut war, und unterhielten und ein Wenig.<br />
Echt wenig, denn mit dem Schweizer dütsch kam ich<br />
erstmal gar nicht klar. Dafür kamen wir uns aber körperlich<br />
sehr schnell näher, und fingen an zu knutschen. Ich<br />
war nur einmal jung.<br />
Als ich mal auf die Toilette ging, bemerkte ich mehrere<br />
Mädels um Stefanie verteilt, die miteinander tuschelten.<br />
Kaum kam ich zurück an den Platz, verstoben die Mädels<br />
lachend in alle Richtungen, nicht ohne mich genauer<br />
zu mustern.<br />
Ich dachte mir nur `Junge, du bist angekommen`, und<br />
hier in dieser Stadt wollte ich eine Weile bleiben.<br />
Stefanie krallte sich sofort wieder an mir fest, und das<br />
gefiel mir gut, schüchtern schienen die Frauen hier nicht<br />
zu sein, was mir sehr entgegen kam.<br />
Es war schon fast halb vier, als ich merkte müde zu werden.<br />
Ich fragte Stefanie unschuldig, wo man denn hier<br />
übernachten könne, darauf lachte sie nur, und sagte.“Ich<br />
hab ein Zimmer im Haus meiner Oma, da könnten wir<br />
zusammen hingeh´n“.<br />
Ich glaubte meinen Sinnen nicht zu trauen, so schnell<br />
ging das hier.<br />
Wir traten aus der Disco, meine Sachen hatte ich in einer<br />
Ecke der Garderobe verstaut, und Stefanie ging auf<br />
ein Riesenauto zu, einem Oldsmobile, schloss den Wagen<br />
auf, lächelte ob meinem überrascht aussehenden<br />
Gesichtsausdrucks. Sie forderte mich auf: “Steig ein, wir<br />
fahren jetzt zur Oma, das sind ein paar Kilometer“.<br />
`Die hab wohl alle grosse Autos, die Schweizer`, dachte<br />
ich bei mir, und stieg ein in das Schiff. Der vordere Sitz<br />
78<br />
war durchgehend, also nicht von einer in der Mitte befindlichen<br />
Handbremse gestört, so war ich kaum eingestiegen,<br />
da hing das Mädel schon über mir, gab mir einen<br />
ausgiebigen Schmatzer, und fasste ohne weiters<br />
zwischen meine Beine. Das wär ja eigentlich meine Aufgabe<br />
gewesen, als erster hin zu langen, Stefanie schien<br />
vom ganz harten Schlag, oder alle Schweizer Frauen waren<br />
so.<br />
Nach dem kurzen, sehr angenehmen Intermezzo, fuhr<br />
Stefanie lachend aus der Stadt heraus, nicht ohne eine<br />
kräftige Stereoanlage einzuschalten, für diese Zeit längst<br />
nicht normal, aus der James Brown klang.<br />
Sie hielt nach ca. 4 km an einem ziemlich grossen Haus<br />
aus der Gründerzeit, indem nur reiche Menschen leben
konnten.<br />
Sie öffnete die Türe, und hielt ihren Zeigefinger vor die<br />
geschlossenen Lippen, was mir bedeutete, ich soll leise<br />
sein. Logisch, ich war Katzenleise, und wir schlichen in<br />
den 1. Stock, wo ihr Zimmer war.<br />
„Wir müssen leider leise sein, meine Oma darf nicht<br />
mitbekommen, dass ich nicht alleine komm“. Sie schlief<br />
nur ab und an bei der Oma im Haus, ansonsten lebte sie<br />
noch bei ihren sehr gut situierten Eltern. Sie war gerade<br />
18 Jahre alt geworden, und ich hatte demnächst meinen<br />
16ten Geburtstag noch vor mir.<br />
Wir kamen in ihr Zimmer, dort stand ein antiker<br />
Schrank für die Kleidung, sehr imposant, und ein Einzelbett,<br />
auch antik, jedenfalls der Rahmen, und ein kleiner<br />
alter Nachttisch.<br />
Ich zog mich schnell aus, und kuschelte mich unter ein<br />
dickes Plümot. Stefanie lächelte mich schon wieder an,<br />
sie konnte wohl nur lächeln, und zog sich betont langsam<br />
aus.<br />
Sie hatte mittelblondes Haar, das ihr weit über die süs-<br />
79<br />
sen Schultern reichte, feste kleine Brüste, einen wohlgeformten<br />
Hintern, und lange schöne Beine. Ihr kleines<br />
Dreieck zwischen den Beinen lachte mich an, und ich<br />
freute mich auf das, was da kommen sollte.<br />
Und da kam ´ne Menge, wir fielen übereinander her wie<br />
hungrige Wölfe, es war eins der schönsten Sexerlebnisse<br />
meiner Jugend.<br />
Und davon sollte ich noch reichlich erhalten, ich war in<br />
der richtigen Lehranstalt angekommen. Eine wichtige<br />
Sache lernte ich mit Stefanie, wir fögelten jede Nacht<br />
unsere Seelen aus dem Leib, erst die Frau kommen zu<br />
lassen, und sich als Mann zurückzuhalten.<br />
Nach einiger –nicht leichten – Übung konnte ich das<br />
ganz gut praktizieren, aber diese Lehre war erstmal nicht<br />
leicht. Als ich die Sache in den Eiern und im Griff hatte,<br />
war ich für jede Frau gerüstet!<br />
Und dass Fögeln und Musik meine Hobbys werden sollten<br />
stand da schon fest.<br />
Es war März, und mein 16er Geburtstag kam auf mich<br />
zu.<br />
Mittlerweile hatte Stefanie ein Appartement in dem<br />
Haus mit der Disco gemietet, wir konnten es nicht länger<br />
nur bei der Oma treiben. Außerdem war es viel genüsslicher,<br />
zusammen aufzuwachen, Brötchen und<br />
Croissants zu holen, und gemeinsam zu frühstücken.<br />
Wir lebten in den Tag hinein, machten Spaziergänge<br />
durch St. Gallen, und liessen es uns gut gehen.<br />
Dass ich kein Geld hatte war Stefanie schnell klar, aber<br />
das war absolut kein Problem für sie. „Meine Alten haben<br />
genug davon, und ich kann immer „nachtanken“,<br />
beruhigte sie mich.<br />
Ich war Beatles- Fan, und eines Tages kamen wir an einer
Boutique vorbei, indem es original<br />
Beatles Anzüge gab, grau, mit Stehkragen, schwarz ein-<br />
80<br />
gefasst, und mit schwarzen Knöpfen.<br />
Ich blieb bewundernd vor dem Laden steh´n, und Stefanie<br />
fragte mich, ob mir etwas gefalle. „Au ja, der graue<br />
Anzug „ antwortete ich sofort. Kaum ausgesprochen zog<br />
mich das süße Mädel in den Laden, und sagte: „Such dir<br />
´was aus“. Ich ging sofort zu den grauen Anzügen, und<br />
probierte einen an. Der erste war zu gross, aber der<br />
Nächste passte sofort.<br />
Stefanie ging zur Kasse, erledigte die Bezahlung, und ich<br />
war stolzer Besitzer eines „Beatles-Anzugs“. Ich konnte<br />
meine Freude kaum fassen, und bedankte mich überschwänglich.<br />
„Das erledigen wir heute Abend“ sagte<br />
Stefanie lachend.<br />
Ich hab nie erfahren was das Teil gekostet hatte, aber der<br />
Anzug war sicher nicht billig. Ich trug ihn manchmal,<br />
fühlte mich aber letztendlich in meinen Jeans wohler.<br />
Der Anzug landete in einer Ecke des Appartements, und<br />
das war gut so, ich war nicht der Anzug-Typ. Stefanie<br />
war das völlig egal.<br />
Jeden Abend gingen wir in die Disco tanzen bis in den<br />
frühen Morgen, wir hatten Beide Späße daran. Und<br />
wenn die Disco schloss, wurde die Fete meistens im Appartement<br />
weitergefeiert, bis Alle umfielen, oder nach<br />
Hause gingen. Es hatte sich eine Clique von ca. 10 Leuten<br />
gebildet, die alle Freude an den gleichen Dingen<br />
hatten.<br />
Mit dem Suff hielt ich mich glücklicherweise zurück,<br />
ich wollte einfach nicht permanent benebelt sein. Eines<br />
Tages brachte jemand einen lange Pfeife und Hasch mit<br />
ins Appartement, und ich hatte meinen ersten Kontakt<br />
mit der Droge.<br />
Es gefiel mir erst recht gut, bekifft zu sein, aber ich<br />
musste später kotzen. Ich wollte es nicht immer haben.<br />
Mein Geburtstag wurde sehr schön gefeiert, Stefanie lud<br />
81<br />
mich erst am frühen Abend in ein Luxusrestaurant ein,<br />
und wir labten uns köstlich an gutem Essen und gutem<br />
Wein. Auch dies war meine erste Erfahrung dieser Art.<br />
Dann gingen wir in die Disco, suchten uns nette Menschen<br />
aus, mit denen wir dann eine tolle Party im Appartement<br />
feierten. Stefanie hatte mir sehr schöne, sehr<br />
teure Schuhe zum Geburtstag geschenkt, Naturfarbenes<br />
Leder, das sich weich um meine Füße legte. Genau das<br />
Richtige zum Reisen, aber das war noch geheim, ich bekam<br />
langsam die Nase voll von dem reinen Sex- und<br />
Konsumentenleben. Übrigens begegnete mir in einer<br />
Einkaufstrasse von St.Gallen der Typ, dem wir in Arles<br />
das “Wasser abgegraben“ hatten, er schaute mich erstaunt<br />
an, und verschwand schnell um die nächste Ecke,<br />
er hatte wohl Angst. Ich aber hätte ihm sowieso nichts
getan, der Fall war für mich erledigt.<br />
Ich hatte mich irgendwann telefonisch bei meinem Vater<br />
gemeldet, und ihm gesagt, dass ich in St. Gallen sei.<br />
„Ja, ich habe auch hier einen Schrieb vom Jugendamt<br />
bekommen, du bist wegen Unverbesserlichkeit aus der<br />
Fürsorgeerziehung entlassen“.<br />
Etwas Schöneres hätte mir mein Vater nicht sagen können,<br />
ich war FREI, mein eigener Herr!<br />
Eine Woche nach diesem Telefonat bekam ich Besuch in<br />
St. Gallen, Renate stand auf der Matte. Ich konnte es<br />
kaum fassen, wie war die nur an meine Adresse gekommen,<br />
und wollte sie mich jetzt zur Vaterschaft überreden?<br />
„Nein, du brauchst dich nicht zu Sorgen, das Kind habe<br />
ich im 3. Monat verloren, du wirst also kein Vater“,<br />
erklärte mir Renate.<br />
Mir fiel ein ganzer Schweizer Berg vom Herzen, als ich<br />
dies vernahm. Das hatte sich also von Selbst erledigt. Ich<br />
hatte ´mal wieder Glück gehabt, jedenfalls in meinem<br />
82<br />
Alter.<br />
Renate sagte mir, dass sie in Konstanz, auf der Deutschen<br />
Seite des Bodensees, ein Hotelzimmer gemietet, ob ich<br />
nicht Lust habe für eine Nacht und einen Tag mit ihr rüberzufahren?<br />
Erst mal überkam mich ein Schrecken, ich war noch<br />
misstrauisch. Aber es sollte so sein wie Renate wollte, ich<br />
fuhr mit ihr auf einer Fähre nach Konstanz.<br />
Stefanie hatte diese Begegnung gar nicht mitbekommen,<br />
ich war einfach zwei Tage verschwunden.<br />
Wir lebten gut in Konstanz, auf Renates Kosten, schliefen<br />
zusammen in ihrem Hoteldoppelzimmer, das sie so<br />
gemietet hatte, sie war sich wohl sicher, dass ich mit ihr<br />
nach Konstanz reisen würde.<br />
Am nächsten Mittag, nach einem ausgiebigen Frühstück<br />
brachte ich Renate zum Bahnhof, sie nahm den Zug<br />
Richtung Heimat, mit einer kleinen Träne im Auge, aber<br />
der Fall war erledigt, für sie und für mich.<br />
Ich nahm die nächste Fähre nach St. Gallen, zurück in<br />
die Schweiz, als ich schon wusste, dass dies ein Abschiedsbesuch<br />
von Stefanie sein würde. Ich wollte wieder<br />
zurück in meinen schönen Garten am Mittelmeer.<br />
Stefanie mitzunehmen kam mir nicht in den Sinn, sie<br />
wäre auch sicher nicht mitgekommen, sie fühlte sich<br />
wohl in ihrer Konsumgesellschaft, und das war gut so.<br />
Ich musste wieder auf meine Reise, wohin sie mich führen<br />
würde war nie wirklich geplant, zum planen von was<br />
auch immer im Leben hatte ich leider den Startschuss<br />
verpasst.<br />
Wir feierten noch eine Riesenfete im Haus von Verwandten<br />
Stefanies, die auf Reise waren, und soffen den<br />
halben Weinkeller leer, wir waren zu 18 Leuten da eingefallen,<br />
und am nächsten Morgen war ich verschwunden<br />
aus St. Gallen.<br />
83
Meine Sachen hatte ich vorsichtshalber schon am Bahnhof<br />
hinterlegt, ich brauchte nur ein Schliessfach zu öffnen,<br />
und ich war wieder der Beatnik von vorher, ausser<br />
dass ich jetzt eine kleine Strecke mit dem Zug bis Mailand<br />
fahren konnte.<br />
Ich war zu feige mich von Stefanie zu verabschieden, sie<br />
hatte mir 6 wunderschöne Wochen in St. Gallen ermöglicht,<br />
ich verspürte auch ein grosses Gefühl von Dank an<br />
das Mädel, sie hatte mir mehr beigebracht und gegeben<br />
als jede andere Frau bisher, aber ich wollte kein Abschiedsgeheule,<br />
ich wäre trotzdem losgefahren.<br />
84<br />
Kapitel 13<br />
Mein Beatnikherz war größer als jede art von Liebesbezeugungen.<br />
In Mailand angekommen, machte ich mich auf den Weg<br />
zur Kathedrale, wo der Sammelpunkt der „Reisenden“<br />
war. Ich traf ca. 20 Leute meines Schlags, Rainer war natürlich<br />
nicht mehr bei ihnen, es war einige Zeit ins Land<br />
gegangen.<br />
Ich sah Jemand in der Nähe der Kathedrale aufs Parkett<br />
malen, und sofort suchte auch ich mir einen Platz zum<br />
arbeiten.<br />
Ich legte mir die restliche aber genügend vorhandene<br />
Kreide auf den Boden, stellte mein Kästchen auf, schrieb<br />
wieder „DANKE“ darunter, nahm mein Büchlein von<br />
MODEGLIANI zur Hand, dass ich immer bei meinem<br />
kargen Gepäck mittrug.<br />
Und so wurde ich ganz schnell wieder zum Pflastermaler,<br />
als wäre nie etwas anderes dazwischengekommen.<br />
Ich verdiente in ca. 6 Stunden genügend Lire, um im<br />
Hotel zu schlafen, und am nächsten morgen zu frühstükken.<br />
Es hielt mich 3 Tage in Mailand, mir fehlte das Meer, das<br />
ich so lange nicht gesehen hatte.<br />
Also begab ich mich mal wieder an eine Autobahnauffahrt,<br />
diesmal nur bis Ventemiglia, ich wollte mehr von<br />
Italien sehen.<br />
2 Tage später lag mir das herrliche Mittelmeer zu Füssen,<br />
es war April, und die Sonne tat schon ihren Dienst. Es<br />
war fantastisch.<br />
Ich machte einen kleinen Ausflug nach Genua, wo ich<br />
wenigstens noch einmal auf einem Frachter essen wollte,<br />
um dann in Richtung Carrara, La Spezia zu trampen.<br />
85<br />
In La Spezia konnte ich noch einige tausend Lire verdienen,<br />
ich wollte nun weiter nach Rom.<br />
Aber ich kam noch nach Firenze (Florenz), dort verdiente<br />
ich auch ganz gut, dann nach Livorno, alles Zufallstreffer<br />
der Fahrer, die mich an den Autobahnauffahrten<br />
auflasen.<br />
Aber mein Ziel war Rom, viele Beatnikfreunde hatten<br />
mir von dieser Stadt vorgeschwärmt.<br />
Ich nahm dann für eine ca. 100km weite Strecke nicht<br />
die Autobahn, sondern trampte über eine kleinere Strasse,
am Meer entlang, zunächst nach Cecina, wo die Autobahn<br />
sowieso erstmal endete.<br />
Von Cecina kam ich nach Grosseto, einem herrlichen,<br />
mit wunderschönen erdfarbenen und weißen Häusern<br />
bebauten Ort am Rande der Toskana mit Verbindung<br />
zum Ligurischen Meer.<br />
Es war die E 80, der Autostrada del Sole, auf der ich mich<br />
bewegte, und Rom war nicht mehr weit.<br />
Ab Tarquinia war es wieder eine Schnellstrasse, und ich<br />
kam auch schnell nach Rom!<br />
Von der Stelle in Rom, wo mich mein letzter Chauffeur<br />
abgesetzt hatte, hatte ich einen herrlichen Blick auf die<br />
Engelsburg, hinter der die Sonne langsam verschwand.<br />
Es war für mich wie Kino, ich wusste noch nicht dass ich<br />
an dieser Stelle noch echtes Kino erleben sollte.<br />
Ich wusste natürlich wo ich meine Beatniks finden würde,<br />
da gab´s spezielle nur den Beats bekannte Plätze in<br />
jeder Großstadt Europas, selbst bis hin nach Istanbul.<br />
(Weiter reichten meine Kenntnisse noch nicht).<br />
Also machte ich mich durch fragen auf den Weg zur<br />
Piazza d`Espagnia, der spanischen Treppe.<br />
Und dort saßen sie hochgereiht auf der Treppe, ca. 20oder<br />
30 „Reisende“, die die spanische Treppe und die<br />
Umgebung genossen.<br />
86<br />
Oberhalb der Treppe befand sich die „Villa Bohrghese“,<br />
ein riesiger, mit allen nur erdenklichen Büschen, Bäumen<br />
und Blumen bewachsener sehr gepflegter Park.<br />
Dieser Park sollte für die nächste Zeit mein „Schlafzimmer“<br />
werden.<br />
Ich setzte mich zunächst von allen Leuten entfernt auf<br />
die sehr belebte Treppe, und genoss die letzten Sonnenstrahlen.<br />
Mein Schlafsack, der auch mein „Koffer“ war lag neben<br />
mir, und es dauerte nicht lange, bis mich ein langhaariger,<br />
etwas schmuddeliger ca. 25 Jahre alter Mensch ansprach,<br />
und mich fragte wer ich denn sei, woher ich käme,<br />
und wohin ich wolle. „Woher ich komme, das kann<br />
ich dir erzählen, auch wer ich bin brauch ich nicht zu<br />
verheimlichen, aber wohin ich gehe, das weis ich nicht,<br />
ich bin „auf dem Weg“.<br />
John, ein Amerikaner hatte mich sehr gut verstanden,<br />
und lud mich ein, mit seinen Freunden ein Glas Wein zu<br />
trinken. Ich sagte nicht nein, denn ich war ganz froh,<br />
schon jetzt ein paar Leute kennen zu lernen.<br />
Halli, Hallo, ich kam in eine ca. 10 Frauen und Männer<br />
starke Clique, alle verschiedener Nationalität, und verschiedenen<br />
Alters, und wurde herzlich begrüßt.<br />
Ich hatte den Eindruck, ich war einer der Jüngsten, und<br />
fast der einzige Deutsche unter meinen neuen Bekannten.<br />
Wir sprachen englisch, dass ich ja schon einigermaassen<br />
gut beherrschte, und wir tranken Wein auf der berühmten<br />
Spanischen Treppe.<br />
Unterhalb der Treppe befand sich mitten auf einer breiten
verkehrsreichen Strasse ein wunderschöner Brunnen,<br />
aus dem an allen Ecken Wasser plätscherte. Solche<br />
Brunnen sollte ich noch viele in Rom finden, die Stadt<br />
war voll davon.<br />
87<br />
In der Mitte dieses Brunnens befand sich eine männliche<br />
Statue, die ein Grosses Füllhorn schulterte, aus dem<br />
auch Wasser lief. Dieser Brunnen hatte mich sofort begeistert.<br />
Und überhaupt, die ganze Situation in die ich in Rom<br />
gekommen war, machte mich glücklich, ich hatte ´mal<br />
wieder ´ne Heimat gefunden, und das wusste ich schon<br />
nach den ersten 2 Stunden, die ich in der Stadt war.<br />
Wir stellten uns einander vor, aber ich konnte nicht sofort<br />
Jedem seinen Namen zuordnen, dafür waren es zu<br />
viele.<br />
Einen Namen jedoch konnte ich mir direkt sehr leicht<br />
merken, „Francesca“, eine sehr hübsche Spanierin, die<br />
aus Barcelona war, und auch „auf dem Weg“.<br />
Sie hatte pechschwarzes lockiges Haar, das ihr so gerade<br />
bis an die Schultern reichte. Sie war etwas kräftig gebaut,<br />
aber nur an den richtigen Stellen. Ihr Gesicht war<br />
das einer schönen Zigeunerin, wie Sophia Loren sie<br />
schon ´mal gespielt hatte. Langsam bekam ich den Eindruck,<br />
dass von den Göttern für mich nur Engel reserviert<br />
waren, schwarze und blonde.<br />
Sie schien auch alleine zu sein, jedenfalls war kein männlicher<br />
Begleiter zu sehen, oder zu spüren. Also sprach ich<br />
sie an, und sie unterhielt sich mit mir, während sie permanent<br />
lächelte, was mich tierisch antörnte. Ihr spanischer<br />
Akzent in Englisch war so kräftig, er war nicht zu<br />
überhören. Aber gerade das gefiel mir bei unserem Gespräch<br />
besonders gut.<br />
Francesca war 22 Jahre alt, und schon seit 5 Jahren auf<br />
der Reise. Sie war sogar bis Indien gekommen, aber zum<br />
Glück keinem Guru in die Hände gefallen.<br />
Sie sah die Dinge locker, gestern ist tot, heute leben wir<br />
so intensiv es eben geht, und morgen sehen wir ´mal<br />
weiter.<br />
88<br />
Damit konnte ich gut leben, und Indien war schon lange<br />
mein fernes Ziel. Aber wirklich fernes Ziel, das nur ab<br />
und an in meinem Hinterkopf vorhanden war.<br />
So erinnerte mich Francesca wieder daran, als sie das<br />
Land erwähnte, es war jedoch schnell vergessen. Ich hatte<br />
ganz andere Gedanken im Kopf, wenn ich auf die<br />
Frau schaute.<br />
Francesca stickte kleine schmale bunte Armbänder, wie<br />
sie in Indien aber auch in den Anden Südamerikas hergestellt<br />
wurden. Es waren Glücksbringer, die Francesca<br />
den Leuten mit einem „Zauberspruch“ ums Handgelenk<br />
band, und davon lebte sie.<br />
Es dauerte nicht lange, da hatte ich schon ein solches<br />
Armband am Handgelenk, was sie beim Anbinden brabellte,
hab ich nicht verstanden, sie sagte später nur: „<br />
Das soll dir Glück bringen“.<br />
Den „Zauberspruch“ wollte sie nicht hersagen, „sonst<br />
könnte er sich in Luft auflösen“, erklärte sie mir.<br />
Ich hatte ein besonders schönes, ca. 1 cm breites, sehr<br />
buntes Armband bekommen, das sollte mich auf meiner<br />
Reise begleiten, bis es von selbst abging, bedeutete mir<br />
Francesca.<br />
Wir waren so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir die<br />
Gruppe um uns herum fast vergessen hätten.<br />
Jemand hatte eine neue Flasche Wein ergattert, und wir<br />
sollten mittrinken. Logisch, ein Glas Wein kann nicht<br />
schaden, und das lenkte uns ein wenig voneinander ab,<br />
Francesca sprach mit Leuten aus der Gruppe, die sie<br />
schon länger kannte.<br />
Sie war schon zwei Wochen in Rom, ihr Geschäft florierte,<br />
Touristen gab es auf der spanischen Treppe täglich<br />
en masse. Manchmal schlief sie in einer kleinen Pension,<br />
bei gutem Wetter oft auch im Park. Sie konnte immer in<br />
dieser Pension duschen gehen.<br />
89<br />
Später, als wir uns in ein Café setzten, um Cappuccino<br />
anstatt Wein zu trinken, sagte sie mir, wo diese besonders<br />
preisgünstige und von freundlichen Menschen geführte<br />
Pension war, aber ich solle es Niemand auf der<br />
Treppe sagen.<br />
Ich war erst ´mal stolz, dass sie mir die Adresse der<br />
Pension verraten hatte, und merkte bald, dass sie mich<br />
wohl auch sympathisch fand.<br />
Sie glaubte ich sei 18 Jahre alt, bei dem Glauben ließ ich<br />
sie auch, denn dass ich erst 16 war, wollte ich nicht unbedingt<br />
preisgeben. Dieser Altersunterschied wäre ihr ja<br />
vielleicht zu gross gewesen, man konnte nie wissen.<br />
Sie fragte mich natürlich wie ich mich am Leben hielt,<br />
ich erklärte ihr, dass ich Pflaster bemalte. „Da wirst du in<br />
Rom nur wenig Chancen haben“, sagte mir Francesca,<br />
„es ist so gut wie überall in der Stadt verboten auf die<br />
Bürgersteige zu malen, da kriegst du echt Probleme mit<br />
den Bullen“.<br />
Klar, die Römer hatten Ihre mannigfaltigen Monumente,<br />
die einzigartigen Gebäude aus längst vergangener<br />
Zeit, die bunten Piazzas an jeder Ecke, mit Cafes , von<br />
denen wir Resteuropäer nur träumen konnten, und die<br />
mannigfaltigen, fantastischen Brunnen, sie wollten sich<br />
die Stadt nicht durch Kreidemalerei verschandeln lassen.<br />
Das konnte sogar ich verstehen, obwohl so meine Einkunftsquelle<br />
ausgetrocknet war. Jetzt musste ich mir ´was<br />
anderes einfallen lassen, für die nächste Woche war ich<br />
noch bei Kasse. Ich war sicher, eine Möglichkeit zum<br />
leben zu finden. Viel brauchte ich eh nicht.<br />
Und schliesslich gab´s die schier endlose Reihe von<br />
Frauen, die nicht abgeneigt waren, ein Stück ihrer Lebensstrecke<br />
mit mir zu laufen, und mich dafür gesund
und am Leben zu erhalten<br />
Francesca war plötzlich verschwunden, sie hatte wohl<br />
90<br />
zunächst besseres zu tun, als sich weiter mit mir abzugeben.<br />
Es wurde dunkel, ich war müde, und da die Nacht nicht<br />
kalt werden sollte, begab ich mich in den Park, um meinen<br />
Schlafsack auszurollen, um ´ne Mütze Schlaf zu<br />
nehmen.<br />
Ich fand einen runden Busch, der in der Mitte frei war,<br />
praktisch eine runde Hecke. Ich zwängte mich durch das<br />
Grün, und war von Außen nicht zu sehen. Hier würde<br />
ich eine friedliche Nacht verbringen, und so war es<br />
auch.<br />
Als ich am nächsten Morgen aufwachte stand die Sonne<br />
schon einigermassen hoch, ich rollte den Schlafsack zusammen,<br />
verstaute mein „Gepäck“ darin, und zwängte<br />
mich wieder raus aus dem Gebüsch.<br />
Nach wenigen Schritten stand ich schon oberhalb der<br />
spanischen Treppe, und sah, dass sich schon einige Leute<br />
dort eingefunden hatten, viele mit einem Sandwich zwischen<br />
den Zähnen.<br />
Ich ging noch ziemlich verschlafen auf eine kleine<br />
Gruppe, die man sofort als „Reisende“ erkannte, zu, und<br />
fragte, wo ich so ein Sandwich bekommen konnte.<br />
John, ein langhaariger Amerikaner aus Tulsa, Oklahoma;<br />
zeigte mir einen kleinen Laden auf der anderen Seite der<br />
Strasse am unteren Ende der Treppe, und erklärte mir,<br />
dass man dort wunderbare Brote mit Mortadella für<br />
kleines Geld kaufen könne.<br />
91<br />
Kapitel 14<br />
So ging ich die Treppe runter, überquerte die Strasse,<br />
nicht ohne mir am Brunnen etwas Wasser aufs Gesicht<br />
zu werfen, und kaufte mir ein Riesensandwich mit herrlicher<br />
Mortadella.<br />
Das sollte zunächst ´mal meine preferierte Speise werden,<br />
denn es schmeckte richtig gut, und ich wurde satt,<br />
und es war nicht teuer.<br />
In einem Café einige Häuser weiter leistete ich mir einen<br />
Milchkaffee, und schon war ich für einen neuen Tag<br />
bereit.<br />
Und da kam auch schon Francesca, frisch und sauber,<br />
und sie kam wahrhaftig sofort auf mich zu, gab mir einen<br />
Kuss auf die Wange, und wünschte mir mit ihrem<br />
unnachahmlichen Lächeln einen guten Morgen. In mir<br />
kam gleich Freude auf, denn das Mädchen gefiel mir<br />
ausgesprochen gut.<br />
„Sollen wir Heute etwas zusammen unternehmen“?<br />
fragte sie mich, und ich nickte freudig. Etwas Netteres<br />
konnte mir nicht geschehen.<br />
Was sollte ich in der mir noch völlig unbekannten Stadt<br />
schon alleine machen. Arbeiten ging nicht, also machte<br />
ich mich mit Francesca auf zu einer Bushaltestelle.
„Wir fahren zunächst ´mal zum Petersdom, da bekommst<br />
du deinen Segen, den du in dieser Stadt benötigst“,<br />
sagte Francesca lächelnd. Ich hatte langsam den<br />
Eindruck, als könne diese Frau nur lachen, das Leben<br />
schien ihr gut mitgespielt zu haben.<br />
Ticket brauchten wir nicht, Kontrollen waren in römischen<br />
Bussen nur sehr selten der Fall.<br />
Als wir am Ziel ankamen, und ich aus dem Bus stieg,<br />
hakte sich Francesca bei mir ein, und ich war bei dem<br />
92<br />
Blick auf den Petersdom und dem grossen Platz davor<br />
sehr beeindruckt, so `was hatte ich noch nicht gesehen,<br />
eine Pracht, die automatisch Respekt einflösste.<br />
„Na, hab ich dir zuviel versprochen“, fragte Francesca,<br />
und ich konnte nur mit „nein“ antworten.<br />
Wir gingen über den Platz in Richtung Dom, Francesca<br />
hatte einen hübschen Rock an, der ihr bis zu den<br />
Knien reichte, und ein leichtes, aber undurchsichtiges<br />
Top.<br />
Sie erklärte mir, dass für Frauen der Eintritt in den Dom<br />
nur korrekt gekleidet möglich war. War der Rock zu<br />
kurz, oder zeigte die Oberbekleidung zu viel weibliches<br />
Fleisch, wurden die Mädels nicht ´reingelassen.<br />
Ich fand das zwar sehr übertrieben, aber so waren halt<br />
die Gesetze des päpstlichen Ordinariats. Als wir durch<br />
das riesige Portal in den Petersdom gingen konnte ich<br />
nur noch staunen, eine solche Pracht war wohl nur für<br />
den lieben Gott reserviert.<br />
Langsam schritten wir respektvoll in den Dom hinein,<br />
und es gab viel zu sehen!<br />
Links und rechts war der Dom mit vielen Heiligenfiguren<br />
geschmückt, aber als ich hoch an die Decke schaute,<br />
bekam ich fast Gänsehaut, die Fresken von Altmeister<br />
Michelangelo waren prächtig. Ich blieb lange an einer<br />
Stelle stehen, um mir die aussergewöhnlichen Gemälde<br />
zu betrachten.<br />
Und davon gab es reichlich, der gesamte hintere Altarbereich<br />
war über und über mit Fresken bemalt.<br />
Dann schaute ich mich weiter im Altarbereich um, die<br />
schwarzen Säulen, von denen die Decke um den Altar<br />
gehalten wurden, waren mächtig, und gaben dem in<br />
weißlich gehaltenem Bild des Doms einen besonderen<br />
Aspekt.<br />
Die Dinger waren wahrhaft mächtig, Francesca, die ich<br />
93<br />
fast vergessen hatte, und die mich alleine den Dom entdecken<br />
ließ, erklärte mir, dass diese Säulen von einem<br />
römischen Imperator aus Ägypten hierher geschleppt<br />
worden waren. Ein Geschenk Ägyptischer Könige, die<br />
von Kleopatras Gnaden Ländereien und genug Sklaven<br />
besaßen., um die Säulen nach Rom zu verschiffen.<br />
Genug der Geschichte, ich kam langsam wieder auf den<br />
Boden zurück, über den ich mit der hübschen Frau am
Arm langsam und noch stets respektvoll eine große<br />
Runde durch den Dom schlenderte.<br />
Bis ich an einer mächtigen Skulptur Halt machte, aus<br />
hellem, grünlich schimmernden Marmor gearbeitet, sah<br />
ich die Maria mit dem toten Jesus auf ihrem Körper liegend,<br />
ich stand vor der Pieta, einer der feinsten Arbeiten<br />
des grossen Meisters Michelangelo.<br />
Ich war dermassen beeindruckt, ich musste erstmal wieder<br />
raus in die Realität des 20. Jahrhunderts.<br />
Francesca hatte deutlich gemerkt, dass ich ein ganz besonderes<br />
Erlebnis hinter mir hatte, und sie schlang ihre<br />
Arme um meinen Hals, gab mir einen Kuss, und sagte in<br />
ihrem so schön spanisch klingenden englisch:“Das hat<br />
dir wohl gefallen“. Ich bekam kaum noch ein Wort heraus,<br />
und konnte nur nicken.<br />
„Komm, wir brauchen jetzt etwas Speed, der Tag ist<br />
noch lang“, sagte Francesca.<br />
Es war gegen Mittag. Wir uns in ein kleines Café und<br />
bestellten doppelten Espresso. Der Kaffee tat mir gut,<br />
und ich versuchte die hinter mir liegenden Eindrücke zu<br />
realisieren, was mir nur sehr schwer fiel. So viel antike<br />
Kunst auf einen Schlag war nicht leicht zu verarbeiten.<br />
„Ich glaube, ich sollte jetzt eine Dusche finden, ich<br />
hab´die Nacht im Park noch auf dem Fleisch“, bedeutete<br />
ich Francesca. „Na dann los, wir fahren in meine Pension“.<br />
94<br />
Wir sprangen in den nächsten Bus Richtung spanische<br />
Treppe. Francesca führte mich durch kleine Gassen bis<br />
zu einem sehr sauberen Haus, das erdfarben gestrichen<br />
war, und blitzsaubere Fenster hatte.<br />
Neben der Eingangstür prahlte ein Stern, die Pension<br />
hiess „picola Casa“, und ich folgte meiner neuen Freundin<br />
hinein. „Bonjorno“ rief eine kleine schwarz gekleidete<br />
freundlich lachende alte Frau, die eine bunte Schürze<br />
trug.<br />
„Das ist Eric, er muss duschen, ist das möglich, Maria?“<br />
fragte Francesca. „Si, naturalmente“, antwortete die<br />
Frau, und gab mir einen Schlüssel.<br />
Da ich noch einigermaassen bei Kasse war, und nicht<br />
unbedingt jede Nacht im Park verbringen wollte, und<br />
die Nähe Francescas sehr zu lieben begann, fragte ich<br />
nach einem freien Zimmer.<br />
Es gab noch zwei freie Zimmer, jedes hatte ein Waschbecken,<br />
Dusche auf dem Flur. So war der Preis auch<br />
leicht bezahlbar, und ich mietete mich erstmal für eine<br />
Woche ein.<br />
Ich bekam den Eindruck, dass Francesca, die die ganze<br />
Zeit neben mir stand, diese meine Idee gut fand, denn<br />
sie strahlte mich an. „Ich hab ab Gestern auch ein Zimmer<br />
genommen, du wohnst jetzt direkt neben mir“ sagte<br />
sie freudig mit einem etwas schüchternen Lächeln.<br />
Jetzt war ich erst den zweiten Tag in Rom, hatte schon<br />
eine Freundin und ein Zimmer, was wollte ich mehr.
„Jetzt geh erstmal duschen, deine Sachen holen wir später<br />
aus dem Park“, bedeutete Francesca.<br />
Nichts lieber als das, aber ich wollte vorher Unterwäsche<br />
kaufen, einen kleinen Laden dafür hatte ich drei Häuser<br />
weiter gesehen. „Klopf an meine Türe wenn du zurück<br />
bist“, sagte Francesca.<br />
Also holte ich mir zwei paar Boxer-Shorts, zwei weisse<br />
95<br />
T-Shirts, und kehrte in die Pension zurück.<br />
Ich hatte Zimmer 5, also musste Francesca in der 6 wohnen,<br />
es gab auf diesem Flur nur zwei Zimmer, und die<br />
Dusche. Ich nahm mir ein bereitliegendes Handtuch,<br />
und klopfte an Francescas Tür, die sofort öffnete, und mit<br />
einem grossen Handtuch umwickelt herauskam. „Sicher<br />
hast du keine Seife“ lächelte der Engel mich an, und ich<br />
konnte nur nicken. „Siehst du, hab ich alles hier, sogar<br />
eine noch neue Zahnbürste hab ich für dich“.<br />
„Ja möchtest du zuerst duschen“, fragte ich sie? „Das<br />
können wir doch gemeinsam erledigen“ erhielt ich als<br />
Antwort. Meine Freude ließ sich kaum noch verbergen.<br />
Als Francesca neckisch lächelnd die Dusche aufdrehte,<br />
das Handtuch von ihrem Körper fallen ließ, wähnte ich<br />
mich im 7. Himmel. War das eine schöne Frau. Braun<br />
gebrannt, nur unter dem Nabel und am Po ein wenig<br />
weiß, sprang sie in den kräftigen Strahl der Dusche, und<br />
zog mich zu sich hinein.<br />
Aus dem Engel wurde ein Teufel in Frauengestalt, das<br />
zum Weib verwandelte Wesen nahm sich von mir was sie<br />
wollte, und ich ließ alles gerne geschehen. Der Petersdom<br />
und seine Heiligkeit waren vergessen.<br />
Das nun folgende Vergnügen dauerte ziemlich lange,<br />
Francesca lachte viel, und stöhnte oft lustvoll auf, was<br />
mir nicht anders ging. Jetzt war die heißblütige Spanierin<br />
in Francesca geweckt.<br />
Das Liebemachen war auf die Dauer im Stehen ungemütlich,<br />
so seiften wir uns gegenseitig ab, trockneten<br />
unsere Haut, putzten uns die Zähne, wofür vor dem Duschen<br />
keine Zeit blieb, die Lust hatte es verhindert.<br />
Dann führte mich Francesca schnell in ihr Zimmer, zog<br />
mich auf ein grosses Bett, und wir vergnügten uns ausgiebig<br />
bis in den späten Nachmittag.<br />
Diese Frau gehörte jetzt mir, hatte ich beschlossen, etwas<br />
96<br />
Besseres konnte mir erstmal nicht begegnen. Schwarzes<br />
Haar und spanisches Temperament kamen mir gerade<br />
recht.<br />
Ich ging in mein Zimmer, und zog mir frische Wäsche,<br />
eine saubere Jeans, und ein sauberes Hemd an. Die Klamotten<br />
hatte ich mir auf dem Weg zur Pension aus dem<br />
Gebüsch der Villa Borghese geholt, der Schlafsack lag<br />
nun ungenutzt in einer Ecke meines neuen Zimmers.<br />
Eine Woche ging schnell ins Land, Francesca und ich<br />
hingen meist aneinandergekettet auf der spanischen
Treppe und verbrachten unsere Tage gemeinsam, besuchten<br />
schöne Plätze in Rom, sie kannte sich wirklich<br />
aus in dieser Stadt, die ich durch ihre Führung gut kennen<br />
lernte. Wir liebten und täglich und nächtlich ausgiebig.<br />
Dann war sie plötzlich verschwunden. Ohne ein Wort<br />
des Abschieds hatte sie sich davongemacht. Als ich Maria<br />
fragte, ob sie wisse, wohin Francesca gegangen war,<br />
schüttelte sie nur den Kopf, sie sagte mir dass sie nicht<br />
gemerkt hätte wie oder wann Francesca das Haus verlassen<br />
hatte. Sie sagte nur, dass ihr Zimmer geräumt sei.<br />
97<br />
Kapitel 15<br />
Ich war schon etwas traurig, dass die Frau einfach so gegangen<br />
war, schluckte diesen Umstand aber schnell. So<br />
meldete auch ich mich ab aus der Pension, denn erstens<br />
wollte ich nicht alleine dort bleiben, und zweitens ging<br />
mein Geld auch langsam aber sicher zu Neige.<br />
Viel zu schleppen hatte ich eh nicht, und ich machte<br />
mich mit meinen Habseligkeiten auf den Weg zur spanischen<br />
Treppe.<br />
Ich ging zur Clique um John, der mich herzlich begrüsste,<br />
und fragte, wo die Frau denn sei, er hatte uns fast täglich<br />
miteinander gesehen. „Gone with the Wind“ antwortete<br />
ich, damit war der Fall erledigt.<br />
Nun lebte ich wieder auf der spanischen Treppe mit den<br />
anderen „Homeless Peoples“, aber es war immer lustig.<br />
Täglich kamen neue Beatniks zur Treppe, andere zogen<br />
weiter in eine andere Stadt. Ich war wieder ein „Rolling<br />
Stone“, wie ich es von Bob Dylan, dem grossen musikalischen<br />
Meister für uns Beatniks, gehört hatte, und fühlte<br />
mich gut dabei.<br />
Meine Geldreserven waren so gut wie aufgebraucht, ich<br />
musste mit was einfallen lassen.<br />
Eine Zeitlang lebte ich von Schulbroten der Gymnasiastinnen,<br />
und den Spenden der Studenten, die immer<br />
reichlich auf der Treppe versammelt waren, sie fanden es<br />
chic, mit den „Reisenden“ zusammen zu sein, und ihre<br />
Geschichten zu hören. Die hörten sie lieber als die Arbeiten<br />
an der Schule, oder die Vorlesungen an der Uni.<br />
Schlafen musste ich im Park, was meiner guten Laune<br />
keinen Abbruch tat. Duschen konnte ich immer noch in<br />
Marias Pension, wenn auch nicht täglich. Bald waren alle<br />
meine Bekannten in alle Himmelsrichtungen unter-<br />
98<br />
wegs, und ich war schon fast 6 Wochen in Rom, wobei<br />
ich ziemlich gut italienisch sprechen lernte.<br />
Eines Tages, es ging langsam auf herbstliche Zeiten zu,<br />
sah ich ein neues Gesicht auf der Treppe, alleine sitzen.<br />
Natürlich ein Frauengesicht, kurze blonde Haare, ein<br />
nettes aber durchschnittliches Gesicht, in Jeans und engem<br />
Pulli machte sie eine gute Figur.<br />
Ich merkte schon bald, dass sich die Männer aus der Clique<br />
an der Frau zu interessieren begannen.
Also war ich der Schnellste, ging ein paar Stufen hoch zu<br />
ihr, setzte mich neben sie und stellte mich vor. Liesa hieß<br />
das Mädel, war 19 Jahre alt und Österreicherin. Sie war<br />
sehr sauber gekleidet, und roch nach gutem Parfüm.<br />
„Was macht ein so hübsches Mädel hier auf der spanischen<br />
Treppe, und das noch ganz alleine“, fragte ich sie.<br />
„Ich war eigentlich bei einer Freundin eingeladen, eine<br />
schon etwas ältere Malerin, bei der ich einen Monat<br />
bleiben wollte“, ging sie sofort auf meine dumme Frage<br />
ein. „Aber wir haben Krach bekommen, und ich weis<br />
nun nicht ob ich zurück nach Hause fahre, oder sonst<br />
was unternehme“. „Wie wär’s, ich will nach Athen,<br />
möchtest Du mitkommen?“ fragte ich sie.<br />
Sie überlegte nicht lange und sagte „ja, ich komme mit<br />
dir, ich hab Zeit“.“Wir müssen trampen, ich hoffe das ist<br />
dir klar“, sagte ich. „Ich bin nicht von Gestern, Eric, das<br />
weis ich doch“. Sie verabschiedete sich kurz, und sagte,<br />
dass sie bei ihrer Freundin Ihr Gepäck holen wolle.“<br />
Nicht zuviel, das stört nur“, rief ich ihr nach. Sie<br />
nickte lächelnd.<br />
John kam auf mich zu, und sagte mir freundlich: „Daran<br />
war ich auch interessiert, du Hund warst nur ein wenig<br />
schneller als ich“. „Ja, so ist das“, antwortete ich schmunzelnd<br />
und stolz. „Wir sehen uns in spätestens 2 Wochen<br />
in Athen auf der Akropolis“, verabredeten wir uns.<br />
99<br />
Es war nun mal immer von Vorteil, eine Frau beim<br />
trampen dabei zu haben. Und überhaupt, es war ´ne nette<br />
Frau, und für nette Frauen war ich immer offen.<br />
Ca. 2 Stunden später stand Liesa mit einer kleinen Reisetasche<br />
in der Hand neben mir auf der Treppe und lächelte<br />
mich an. „Ich bin soweit, wir können los“ bedeutete<br />
sie mir. „Ich hatte noch ein wenig Stress mit meiner<br />
Freundin, sie wollte mich nicht so einfach gehen lassen,<br />
ohne zu wissen, wo die Reise hingeht. Ich hab ihr nicht<br />
gesagt, dass ich mit dir nach Athen trampen werde, sie<br />
hätte mich niemals so gehen lassen, und hätte sich möglicherweise<br />
mit meinen Eltern in Wien abgesprochen,<br />
und das wollte ich auf keinen Fall“.<br />
Das Mädel kam aus gutem Hause, das war stark zu merken.<br />
Sie war noch nie mit ´nem Beatnik unterwegs gewesen.<br />
Aber einmal ist immer das erste Mal. Jedenfalls<br />
war ich froh sie bei mir zu haben.“ Sollen wir noch essen<br />
geh´n, ich lad dich ein“, sagte Liesa und schaute<br />
mich fragend an. „Klar, ein guter Teller Spagetti wäre<br />
nicht zu verachten“, antwortete ich ihr.<br />
Natürlich kannte ich ein immer offenes Restaurant, wo<br />
es die besten Spagettis in Rom gab.<br />
Und die waren nicht ´mal teuer.<br />
Ich wollte Liesas Geldbeutel auch nicht überstrapazieren,<br />
sie wusste schon, dass ich so gut wie Pleite war. Aber<br />
dieser Umstand schien ihr absolut nichts auszumachen.<br />
Ich bekam so eine Ahnung, dass ich mir wegen Kohle
keine grossen Gedanken machen musste, und das war<br />
gut so!<br />
Die Reise würde schwerlich genug sein. Wir mussten<br />
zunächst in den tiefen Süden, Napoli wollte ich unbedingt<br />
mitnehmen, und dann auf die andere Seite nach<br />
Bari, von wo aus uns eine Fähre nach Patras bringen<br />
sollte, und dann nach Athen trampen.<br />
100<br />
Ich hatte mich von allen Freunden auf der Treppe verabschiedet,<br />
John schenkte mir noch einen lächelnd „bösen<br />
Blick“, und wünschte „gute Reise, du Abstauber“.<br />
Also machten wir uns erstmal mit dem Bus auf, um zu<br />
einem Autobahnzubringer zur Autostrada del Sole zu<br />
gelangen.<br />
Schnell hatten wir einen Anhalter, ein Italienischer<br />
Gentleman wollte nach Frosinone, das lag genau auf unserem<br />
Weg in den Süden. Und ein gemütliches Gefährt<br />
hatte er auch. Ich kann nicht sagen, ob er mich ohne<br />
Liesa mitgenommen hätte.<br />
Jetzt waren es nur noch ca. 100 km bis Napoli. Ich wollte<br />
versuchen, mit meiner Kreide dort ein paar tausend<br />
Lire zu machen, und auf keinen Fall nur von Liesas Börse<br />
leben.<br />
Es war früher Nachmittag, und wir hatten Hunger bekommen.<br />
Lisa hielt mit Leichtigkeit einen Anschlusswagen<br />
an, und wir kamen bis zum 30 km weiteren Cassino.<br />
Dort aßen wir etwas, und wollten uns weiter auf die<br />
Reise Richtung Napoli machen. Es sollten noch genau<br />
82 Km sein, wie ich auf einem Schild lesen konnte.<br />
Aber da es schon ziemlich dunkel war, beschloss Lisa ein<br />
kleines Hotel zu finden, wo wir die Nacht verbringen<br />
wollten. Nachts in Napoli anzukommen hielten wir Beide<br />
nicht unbedingt für angebracht.<br />
Wir fanden auch ein preiswertes Hotel, und Liesa bestellte<br />
ein Doppelzimmer, ich hatte kein Geld um eins<br />
zu bezahlen.<br />
Und um draussen zu schlafen war es schon zu kalt. Wir<br />
bezogen das Zimmer, und Liesa die Klamotten aus. Ich<br />
machte mich auch Bettfertig, ich war ernsthaft müde.<br />
Liesa kroch ins Bett, zog die Decke hoch, und sagte<br />
selbstverständlich „gute Nacht, Eric, bis morgen“. Und<br />
101<br />
schon war sie eingeschlafen.<br />
Ich legte mich auf die noch freie Seite des Betts, und<br />
schlief auch bald ein. Eine neue Erfahrung, ich lag mit<br />
einer süssen Frau im Bett, und nichts geschah, ausser dass<br />
wir schliefen. Das ist wohl der Ausdruck für<br />
„ miteinander schlafen“. Ich war halt noch in der Lehre.<br />
Am nächsten morgen gegen 9 Uhr wurde ich wach, Liesa<br />
stand schon nackt am Waschbecken, und wusch sich<br />
ausgiebig.<br />
„Na, hast du gut geschlafen“ fragte sie mich ohne sich<br />
irgendwie zu bedecken. „Schamloses Weibstück“, dachte
ich mir, am liebsten hätte ich sie sofort zurück ins Bett<br />
gezogen, hielt mich jedoch bedeckt.<br />
Ich betrachtete im Bett liegend die „Wäscherei. `Sehr<br />
reizvoll` konnte ich nur denken, und schaute weiter auf<br />
das Spiel mit der Seife und dem Wasser auf Liesas zarter<br />
Haut über dem makellosen Körper.<br />
Jedenfalls war sie ein sehr sauberes Wesen, was man von<br />
mir in manchen Situationen nicht sagen konnte. Wenn<br />
z.B keine Dusche oder eine andere Waschgelegenheit in<br />
Reichweite waren, zog ich trotzdem immer weiter meinem<br />
jeweiligen Ziel entgegen.<br />
Unser Ziel für Heute war Napoli, und nach einem ausgiebigen<br />
Frühstück machten wir uns auf den Weg zur<br />
Autobahn.<br />
Schon gegen Mittag waren wir in angekommen, ein<br />
netter Herr hatte uns abgesetzt.<br />
Kaum waren wir aus dem Auto ausgestiegen, waren wir<br />
von einer Riesenbande Kinder umringt, die alle ihre<br />
Hände aufhielten, und irgendetwas von uns wollten.<br />
Nach ca. einem Km waren wir die Bande los, und begaben<br />
uns in die Innenstadt von Napoli.<br />
Schnell hatte ich einen belebten Platz ausgemacht, und<br />
fand ein glattes Stück von einem breiten Bürgersteig, auf<br />
102<br />
dem ich malen konnte.<br />
Lisa fand das gut, und setzte sich auf eine kleine Mauer,<br />
die einen Teil der Piazza umgab.<br />
Es dauerte nicht lange, und schon war die Polizei angerückt.<br />
Sie kontrollierten unsere Papiere, und liessen uns<br />
gewähren. „Cool“, sagte ich zu Liesa, ich konnte weiter<br />
Lire machen, und das reichlich.<br />
Es gab ´ne menge Touristen , die über die Piazza schlenderten,<br />
und Geld in mein Kästchen warfen, auch Einheimische<br />
blieben stehen, um mir bei der Arbeit zuzusehen,<br />
und warfen ein paar Lire in meine Kasse.<br />
Die Polizei kam immer wieder, es waren immer andre,<br />
die unsere Ausweise sehen wollten, und nach der Kontrolle<br />
abzogen. Mein schöner Ausweis wurde immer<br />
bunter und abgenutzter von der Kreide, die ich an den<br />
Händen hatte.<br />
Am Abend gegen 22 Uhr stellte ich die Arbeit ein, es<br />
wurde dunkel, und die Piazza war nicht sonderlich gut<br />
beleuchtet Lisa hatte fast den ganzen Nachmittag bei mir<br />
gesessen, ab und zu holte sie ein Stück Pizza, oder Wasser<br />
zum trinken.<br />
„Das ist schön, was du da gemalt hast, ich mag Modegliani“,<br />
komplimentierte mich Liesa.“ Und deine Kopie<br />
ist wahrlich gut gelungen“.<br />
In Napoli wollten wir auf keinen Fall im Freien übernachten,<br />
das war uns dann doch zu kriminell. Also<br />
machten wir uns nach einem sehr wohlschmeckenden<br />
Teller Spagetti auf die Suche nach einer günstigen<br />
Schlafgelegenheit.
Es waren nur einige hundert Meter, dann hatten wir ein<br />
kleines Hotel gefunden. Nachdem ich mit einem lustigen<br />
Portier den Preis um die Hälfte heruntergehandelt<br />
hatte, bekamen wir ein Doppelzimmer für wenig Geld.<br />
Die Dusche war natürlich auf dem Flur, was unserer<br />
103<br />
Freude auf ein gutes Bett keinen Abbruch tat.<br />
Ich duschte als erster, denn ich sah aus wie ein bunter<br />
Kalender, dauernd auf den Knien in der Kreide. Meine<br />
Hände hatte ich schon einigermassen sauber gekriegt,<br />
bevor wir essen waren, aber der Rest von mir war von<br />
der Kreide übermalt.<br />
Ich blieb recht lange in der Dusche, es war nicht gerade<br />
einfach so richtig sauber zu werden, und das heisse Wasser<br />
tat mir richtig gut.<br />
„Du warst aber lange weg“, sagte Liesa, „aber du siehst<br />
jetzt wieder wie ein normaler Mensch aus. Ich hätte es<br />
nicht für möglich gehalten, dass du noch´mal sauber<br />
wirst“, scherzte sie<br />
Als Liesa in die Dusche ging, fiel ich in das grosse Bett,<br />
ich war eigentlich müde, freute mich aber schon auf Lisas<br />
Rückkehr ins Zimmer.<br />
Und da kam sie dann, nur mit Handtüchern um den<br />
Leib und auf dem Kopf bekleidet, ihre Kleider hatte sie<br />
in der Hand.<br />
Etwas schüchtern ließ sie das grosse Handtuch fallen,<br />
kroch auch sofort unter die Decke, die sie sich bis zum<br />
Hals hochzog. „Na, geht’s Dir gut“? fragte ich sie. „Ja, es<br />
könnte besser nicht sein, ich hatte einen schönen Tag<br />
hier in Napoli, und es hat mir Freude bereitet, Dir beim<br />
malen zuzuschauen, und nun haben wir auch noch ein<br />
schönes Bett“.<br />
Ich kroch näher an sie heran, und legte ihr meine Hand<br />
auf den Bauch. Liesa lächelte schüchtern, sah mich fragend<br />
an, und nahm sich das nasse Handtuch vom Kopf.<br />
Ihre kurzen Haare waren strubbelig zerzaust, aber sie sah<br />
zum Anbeissen aus. Und das tat ich dann auch, ich küsste<br />
sie.<br />
Zunächst auf die mir zugewandte Schulter, ich bemerkte<br />
etwas Steifigkeit, aber schon hatte ich sie auf den<br />
104<br />
Mund geküsst. Sie ließ es geschehen, ich küsste sie drängend,<br />
und ließ meinen Händen freien Lauf über Liesas<br />
Körper.<br />
Sie fühlte sich noch etwas feucht von der Dusche an, was<br />
mich erregte, aber auch sonst wurde Lisa sehr feucht.<br />
Ich spielte mit Ihr, sie ließ es geschehen, streichelte mich<br />
auch zärtlich, aber sie war wohl nicht so auf Sex aus wie<br />
ich es war.<br />
Ich konnte mit ihr machen was ich wollte, sie reagierte<br />
auch, und stöhnte lustvoll. Nachdem ich dann gekommen<br />
war, sprang sie schnell aus dem Bett, und ging sich<br />
waschen.
´Eigenartige Reaktion auf unser Spielchen, `dachte ich<br />
mir, aber ich konnte sie selbstverständlich nicht mit der<br />
heißblütigen Francesca vergleichen.<br />
Einen Vergleich wollte ich auch nicht wirklich ziehen,<br />
aber Liesa benahm sich schon anders, als all die Frauen,<br />
die ich bisher kannte.<br />
Lächelnd kam sie zurück ins Bett, und schmiegte sich an<br />
mich, wobei sie ihren Arm auf meine Brust legte. „Sicher<br />
hast du dich gewundert, dass ich nicht so bei der<br />
Sache war, aber ich muss dir gestehen, ich bin lesbisch,<br />
dass ich mit dir geschlafen habe, habe ich für dich getan,<br />
ich hatte gemerkt, dass ich dir auch als Frau gefalle“. erklärte<br />
Liesa.<br />
„Aber dies war das einzige und letzte mal, dass wir Sex<br />
hatten, ich kann einfach nicht gut mit Männern, ich liebe<br />
Frauen, bitte versteh das“.<br />
Zunächst war ich natürlich etwas befremdet über Lisas<br />
Geständnis, ich hatte noch keine lesbischen Frauen kennegelernd.<br />
„Das ist O.K.“, antwortete ich auf Liesas Geständnis,<br />
„wir können ja trotzdem Freunde sein, und unsere Reise<br />
fortsetzen.“<br />
105<br />
Lisa schien sehr erleichtert, sie umarmte mich nochmals<br />
herzlich, küsste mich fest auf den Mund, legte sich auf<br />
ihre Seite des Bettes, und war auch schon eingeschlafen.<br />
So schnell konnte ich in dieser Nacht nicht einschlafen,<br />
ich machte mir die verrücktesten Gedanken.<br />
Aber ich war einfach froh Liesa bei mir zu haben, sie<br />
hatte sich mir sogar bereitwillig hingegeben, was für eine<br />
Lesbe nicht einfach ist, wie ich später erfahren konnte,<br />
und schon war ich irgendwann zufrieden einschlafen.<br />
Ich erwachte schon früh am nächsten morgen, Lisa<br />
schleif noch tief und fest, und so verließ ich leise das<br />
Bett, ging in ein Café in der Nähr unseres Hotels, und<br />
bestellte einen starken Kaffee.<br />
Ich besorgte ein paar Croissants, die noch warm und<br />
frisch waren, und kehrte ins Hotel zurück. Liesa war aufgewacht,<br />
sie hatte einen etwas traurigen Blick in den<br />
Augen.<br />
„Ich dachte schon du hättest dich alleine weiter auf die<br />
Reise gemacht, ich wurde richtig traurig, als ich eben alleine<br />
im Zimmer war, als ich aufwachte. Ich hätte es aber<br />
trotzdem verstanden, nach meinem Geständnis von gestern<br />
Abend“, sagte Liesa leise.<br />
„Nein, nein, das ist schon in Ordnung“ entgegnete ich<br />
ihr, „ Sex ist schliesslich nicht die einzige Freude im Leben,<br />
ich bin sicher, wir werden noch ´ne menge davon<br />
haben, auch ohne Sex“. „Da bin ich aber froh, ich hätte<br />
es nur schwer ertragen, dich schon jetzt verloren zu<br />
haben“.<br />
„Ich möchte weiter mit dir reisen, ich mag dich nämlich,<br />
sonst wäre ich gestern nie soweit gegangen“, sagte<br />
Liesa noch, und steckte sich ein Stück vom Croissant in
den hungrigen Mund.<br />
„Ich brauche dringend Kaffee“, „sonst werd ich nicht<br />
richtig wach“, bedeutete Lisa während sie sich anzog.<br />
106<br />
`Mann ist das ´ne geile Braut`, dachte ich während Lisa<br />
ihre Schuhe anzog und sich dafür bücken musste. `na ja,<br />
es gibt noch viele andere Frauen für meine sexuellen<br />
Bedürfnisse, Liesa wird auf jeden Fall erstmal weiterhin<br />
meine Reisebegleiterin bleiben, sie ist ein richtig süsses<br />
Wesen lesbisch oder nicht`.<br />
Also gingen wir wieder in ein nahe gelegenes Café, um<br />
Liesas Kaffeedurst zu stillen. Auch ich trank noch einen<br />
doppelten Espresso mit etwas Milch und Zucker, und<br />
sah dann eine Musikbox an der Wand.<br />
Ich ging auf die Box zu, und sah, dass auch Songs von<br />
den Beatles zu hören waren. Sofort steckte ich eine<br />
Münze in den Musikapparat, und schon klangen mir die<br />
so sehr geliebten Songs um die Ohren.<br />
„Du magst Musik“, fragte Liesa. „Musik ist ein Lebenselixier<br />
für mich“, entgegnete ich. „ Ich bin auch ein<br />
Beatles – Fan“, erklärte Liesa, „Zu hause in Österreich<br />
hab´ich ´ne grosse Plattensammlung, Musik ist auch für<br />
mein Leben äusserst wichtig“.“ Ich höre aber auch gerne<br />
klassische Musik“, erwähnte sie noch.<br />
Damit konnte ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens<br />
noch gar nichts anfangen, aber das sagte ihr nicht.<br />
„All you need is Love“, klang es aus der Musikbox, wir<br />
hatten beide Freude an dem Song, während wir uns<br />
zärtlich anschauten.<br />
Es war schon einige Zeit her, dass ich Beatles und andere<br />
englische Musik gehört hatte, ausser der selbstgemachten<br />
Gitarenmusik von der spanischen Treppe, wo<br />
schon mal einige recht gute Musiker aufspielten.<br />
Manche brachten uns sogar zum tanzen auf der Treppe,<br />
was die vorbeiflanierenden Leute verwunderte. Aber die<br />
waren sowieso über unseren Lebensumstand erstaunt.<br />
Da waren mit Sicherheit viele dabei, die gerne auch so<br />
gelebt hätten wie wir Beatniks.<br />
107<br />
„So, Liesa, jetzt geht Eric ´mal wieder ein wenig arbeiten,<br />
ich hab das Geld für die Fähre nach Griechenland<br />
noch nicht zusammen“. Wir machten uns auf an den<br />
Platz, an dem ich schon gestern gemalt hatte. Die Farben<br />
von meinem Gemälde waren etwas verblasst, aber es genügte<br />
eine halbstündige Reparatur mit frischer Kreide,<br />
und die Lady von Meister Modegliani leuchtete wieder<br />
in frischem Glanz.<br />
Warum sollte ich ein neues Bild malen, die Touristen<br />
von gestern waren längst weiter gezogen, und es kamen<br />
immer neue. Ich setzte mich auf das Mäuerchen neben<br />
Liesa, und betrachtete das schon zu so früher Stunde lebendige<br />
Treiben auf der Piazza.<br />
Aber so früh war es auch wieder nicht, als ich auf Lisas
Uhr schaute sah ich, dass es schon fast Mittag war. Wir<br />
hatten wohl lange geschlafen.<br />
Liesa erzählte mir von ihrem Aufenthalt in Rom, die römische<br />
Malerin, bei der sie zunächst bleiben wollte, war<br />
auch ´ne Lesbe, aber mit der schon 38 jährigen Frau, die<br />
sie schon länger kannte, kam sie nicht mehr klar.<br />
Und deshalb hatte sie sich zunächst ´mal auf die spanische<br />
Treppe gesetzt, um zu überlegen, ob sie nun zurück<br />
nach Wien fahren sollte.<br />
Doch dann war ich in ihre Überlegungen eingefallen,<br />
und so entschied sie sich für „Abenteuer“. Sie hatte<br />
noch einen Monat Urlaub von der Universität, wo sie<br />
Architektur studierte.<br />
Der Monat Oktober rückte gnadenlos näher, und es<br />
wurde auch in Napoli kalt am Abend.<br />
Wir blieben 5 Tage in der Stadt, die wir auch zusammen<br />
zu entdecken suchten. Sie gefiel uns sehr, Napoli war eine<br />
schöne Stadt, mit vielen Sehenswürdigkeiten.<br />
Genau am 1. Oktober machten wir uns wieder auf die<br />
Reise. Wir fuhren mit dem Bus bis an den Rand der<br />
108<br />
Stadt, fanden eine Autobahnauffahrt in Richtung Bari,<br />
das war einmal über den unteren Teil des italienischen<br />
Stiefels, und schon war diese Hafenstadt erreicht.<br />
Wir kamen schon mit dem ersten Auto nach Barletta,<br />
dann bis Molfetta, das lag schon an der Adria, was wir einen<br />
Tag genossen.<br />
Eine schöne süditaliänische Stadt, in der ich noch´mal<br />
einige Tausend Lire verdiente. Wir schliefen gemeinsam<br />
in meinem Schlafsack, lagen also sehr nah aneinander,<br />
was mich zwar reichlich erregte, aber ich schob meine<br />
Wünsche in dieser Situation schnell weg, und zufrieden<br />
lächelnd legte Lisa ihren Arm um mich, wir schliefen<br />
friedlich ein.<br />
Am nächsten morgen, es war wohl Sonntag, denn die in<br />
Molfetta reichlich vorhandenen Kirchen läuteten uns<br />
laut aus dem Schlaf. Es war erst sieben Uhr, so früh waren<br />
wir noch selten aufgewacht.<br />
Wir pellten uns aus dem Schlafsack, Liesa lächelte mich<br />
freundlich an, das Mädel war so gut wie täglich morgens<br />
sofort gut drauf und wir suchten ein Cafe´, um uns etwas<br />
frisch zu machen, und einen grossen, starken Kaffee<br />
zu schlürfen.<br />
Zum Glück hatten wir ein Café gefunden, in dem die<br />
Sanitären Anlagen geräumig und sauber waren, so konnten<br />
wir uns den Schlaf richtig gut aus den Augen wischen.<br />
Dann waren wir sehr schnell in Bari, das nur wenige km<br />
von Molfetta entfernt war.<br />
Ich hatte das Geld für die Fähre nach Patras zusammengemalt,<br />
und war recht froh, nicht von Liesa abhängig zu<br />
sein. Wie es dann in Griechenland weiter gehen sollte<br />
war nicht klar, aber das war mir – wie immer – scheissegal.<br />
Hauptsache wir kamen bis Athen wo wir ja mit
John und anderen Freunden verabredet waren.<br />
109<br />
Der Hafen von Bari war riesig und sehr beeindruckend,<br />
er war fast genau so gross wie der in Genua. Es gab sehr<br />
viele grosse Frachtschiffe, Fähren in alle Richtungen,<br />
und Jachten, bei deren Anblick man nur staunen konnte.<br />
Schon in Napoli hatte ich mir einen kleinen Seesack<br />
gekauft, worin ich meine wenigen Kleider, die Kreide<br />
und den Schlafsack verstauen konnte.<br />
Die gesamte Atmosphäre in Bari regte uns so sehr an,<br />
dass wir beschlossen, diese Stadt ein wenig genauer zu<br />
mustern.<br />
Also deponierten wir unser Gepäck in einem Schliessfach<br />
am Ticketschalter des Hafens.<br />
Wir erkundigten uns noch nach den Verbindungen für<br />
Patras, und machten uns auf, die Stadt zu erobern.<br />
Es war ein ziemlich weiter Weg bis in die Innenstadt von<br />
Bari, aber es hatte sich gelohnt, diese Stadt näher kennen<br />
zu lernen. Wunderschöne, sehr beeindruckende Gebäude<br />
und Kirchen schossen vor uns wie Pilze aus dem Boden.<br />
Wir sahen Paläste, in denen auch Menschen wohnen<br />
müssten, überaus wohlhabende Menschen, sicher grosse<br />
Reeder und Fabrikanten, und bestimmt auch die Oberschicht<br />
der gnadenlosen Mafiosi. Es verschlug uns schier<br />
den Atem, wenn wir uns ausmalten, wie diese Leute leben<br />
konnten.<br />
Aber sicher nicht so frei wie wir jetzt, das hatten wir ihnen<br />
mit Sicherheit voraus. Wahre Freiheit war mit Geld<br />
nicht zu bezahlen, dessen waren wir uns einig, und lachten<br />
laut.<br />
Als es langsam Abend wurde, beschlossen wir die Nacht<br />
in Bari zu verbringen.<br />
Direkt am Hafen gab es ein grosses „Hotel“, eine Halle,<br />
in die man dünne Holzbretter gezogen hatte, die aber<br />
110<br />
nicht bis zur Decke reichten, und als Zimmer zurecht<br />
gemacht worden waren. Somit hatten wir quasi kein<br />
Dach über dem Kopf, denn man konnte alle Nachbarn<br />
hören.<br />
Es waren nur kleine 3 Meter hohe und 8qm große Zellen<br />
mit Waschbecken, die nach oben hin offen waren.<br />
Das Hallendach lag 10 Meter höher.<br />
Dafür waren die Zimmer sehr preisgünstig, mehr Geld<br />
hätte ich sowieso nicht ausgeben können.<br />
Hauptsache wir hatten ein Bett, und mussten nicht im<br />
Freien schlafen.<br />
Liesa schien Probleme zu haben, schon auf dem Rückweg<br />
zu unserer Unterkunft stöhne sie öfters leise, hatte<br />
dann einen schmerzhaften Ausdruck im Gesicht.<br />
Als wir dann in unserem Verschlag ankamen, zog sich<br />
Liesa sofort ihre Hose aus, und ich sah die Bescherung.<br />
Lisas Slip war dunkelrot gefärbt, sie blutete sehr stark. Sie<br />
nahm sich ein Handtuch, und versuchte sich zu reinigen,
ihren Slip hatte sie schon auf den Boden fallen lassen.<br />
Das Handtuch, mit dem Lisa das Blut wegzuwischen<br />
versuchte war auch schon nach einer Minute voller Blut,<br />
das aus ihrem Unterleib heraus lief.<br />
Sie stöhnte jetzt laut vor Schmerzen, und das Blut lief ihr<br />
die Beine hinunter, als ob man ihr ein Messer in den<br />
Unterleib gestochen hatte. Liesa weinte vor Schmerz, ich<br />
war geschockt, und fragte was ich tun könnte.<br />
„Bitte besorge mir mehr Handtücher, ich habe meine<br />
Periode bekommen, und diese Schmerzen und der Blutlauf<br />
sind leider immer so wie jetzt“, erklärte sie mir.<br />
Ich lief in das Büro dieser Unterkunft, und bat den Vermieter<br />
nach Handtüchern, oder anderen sauberen Lappen.“<br />
Meiner Freundin geht es richtig schlecht, “ informierte<br />
ich den Vermieter, „sie ist sehr krank im<br />
Augenblick“.<br />
111<br />
Der Mann ging in einen ans Büro grenzenden Raum,<br />
und kehrte schnell mit Handtüchern und einem frischen<br />
Bettlaken zurück. „Hier, das ist alles, was ich dir geben<br />
kann“, sagte der Mann mit unruhigem Ausdruck im Gesicht.<br />
So schnell es ging lief ich zu Lisa zurück, die mit sehr<br />
starken Schmerzen zu kämpfen schien.<br />
Das Bettlaken unseres Betts war schon Blutgetränkt. So<br />
etwas hatte ich noch nie gesehen, Liesa schien es sehr<br />
dreckig zu gehen, und ich wusste nicht, wie ich mit der<br />
Situation fertig werden könnte.<br />
Lisa krümmte sich vor Schmerzen, sie lag zusammen gekauert<br />
auf dem Bett mit einem weiteren Blutgetränkten<br />
Handtuch zwischen den Beinen.<br />
„Das ist bei mir jeden Monat gleich“, stöhnte Liesa, „ eigentlich<br />
habe ich Schmerztabletten zum beruhigen dieser<br />
Pein, die sind aber leider in Rom bei der Künstlerin<br />
geblieben, ich hab sie vergessen“.<br />
„Was kann ich nur für dich tun“, fragte ich Lisa, die mit<br />
sehr heftigen Schmerzen zu kämpfen hatte. „Nichts,<br />
Eric, da muss ich jetzt durch. Das Schlimmste ist nach ca.<br />
24 Stunden vorbei“, erklärte sie mir. Ich hielt ihre Hand,<br />
und sie drückte sie kräftig. Aber schon nach 2 Minuten<br />
waren die Schmerzen wieder da, sie schrie förmlich vor<br />
Pein. Ich sorgte mich sehr ob der Situation, es war schon<br />
früher Morgen, und an Schlaf nicht zu denken. Das Bett<br />
überall voll Blut, und Lisa wand sich in dem nicht aufzuhaltenden<br />
roten Lebenssaft.<br />
Ich bekam langsam Angst dass Liesa verbluten könnte,<br />
einen so unaufhaltsamen Blutfluss kannte ich nicht, und<br />
ich fragte Lisa, ob ich einen Arzt holen solle.<br />
„Nein, das geht bald vorbei, sorg dich nicht, ich bin das<br />
gewohnt“ .So hatte ich noch Niemand leiden sehen.<br />
Ich machte mir Sorgen um das Mädchen, aber wie soll-<br />
112<br />
te ich Herr der Lage werden?<br />
Es war mittlerweile 5 Uhr morgens geworden, unsere
Fähre nach Patras sollte um 9 Uhr ablegen.<br />
„Mir geht’s bald besser, mach dir ´mal keinen Kopf“, sagte<br />
Liesa. Ich ließ sie einen Moment alleine, um Kaffe<br />
und Brot zu kaufen, ich hatte Kaffe bitter nötig, und Liesa<br />
auch, wie ich wusste.<br />
Auf dem Weg zu einem Café suchte ich eine Apotheke,<br />
und erklärte einer Apothekerin die Sachlage. Sie verkaufte<br />
mir „Parazetamol“ Tabletten, „ das wird der Frau<br />
ein wenig helfen, die Schmerzen zu ertragen“, sagte die<br />
Apothekerin.<br />
Ich besorgte noch eine Flasche Wasser, und machte mich<br />
mit Brot und Tabletten auf den Rückweg zu Liesa.<br />
„Den Kaffee müssen wir in einem Café trinken gehen,<br />
man wollte mir keine Tassen geben“, sagte ich zu Liesa,<br />
die auf dem Bettrand saß. Es war eine unmögliche Situation,<br />
überall lagen Blutgetränkte Tücher und Bettlaken<br />
herum, die Matratze war voller Blut.<br />
„Lass uns aufbrechen Eric“, sagte Liesa, „wir bekommen<br />
möglicherweise noch Trouble mit dem Verwalter, wenn<br />
er diese Chaos sieht, die Schmerztabletten werden mir<br />
helfen, gleich wird’s mir besser gehen“. „Wir müssen nur<br />
noch Binden oder Tampons besorgen“.<br />
Daran hatte ich bei meinem Ausflug in die Apotheke natürlich<br />
nicht gedacht, war halt keine Frau. Liesa konnte<br />
nun langsam aufstehen, und sie legte das letzte Handtuch<br />
auf den Boden. Sie zog sich an, und wir gingen gemeinsam<br />
zur Apotheke, um die richtigen Dinge für Liesa zu<br />
erstehen. Es war jetzt 8 Uhr morgens.<br />
Pünktlich um 14 Uhr standen wir am Kai, wo eine riesige<br />
Fähre auf uns wartete. Ein weiß-blau gefärbtes, gosses<br />
Schiff, das schon mit Autos und vielen Passagieren<br />
113<br />
beladen wurde.<br />
Liesa ging es besser als in der Nacht zuvor, und wir freuten<br />
uns schon sehr auf die Reise. Liesa liebte die Seefahrt<br />
genau so wie ich.<br />
Auch wenn es nur den Abend und die Nacht dauern<br />
würde, wir waren froh nach Griechenland zu gelangen.<br />
Wir hatten beide dieses Land der vielen Inseln noch nie<br />
gesehen.<br />
Das Schiff hiess „MS Tesalonica“, wo wir auch hinwollten,<br />
wenn wir Athen abgegrast hatten. Sehr viele Menschen<br />
hatten sich an der Rehling, und auch unten am<br />
Kai eingefunden, hielten als Verbindung zum Schiff Toilettenpapierrollen<br />
in den Händen, um eine letzte Verbindung<br />
mit ihren Lieben zu haben, bis sie sich mit dem<br />
Meer einließen.<br />
Hunderte Papierrollen hielten Verbindung mit der „MS<br />
Tesalonica“, die gegen 16 Uhr 30 langsam ablegte.<br />
Passagiere und Bekanntschaften mit den Leuten am Kai<br />
wurden bald getrennt, eine Rolle nach der anderen riss<br />
einfach ab. Liesa winkte den Menschen an der Kaimauer<br />
freudig zu, es ging ihr endlich besser.
Wir hatten selbstverständlich die billigste Form der Reise<br />
mit dem Schiff gebucht, konnten uns auf grossen, gemütlichen<br />
Sesseln einrichten, direkt vor den Fenstern<br />
am Bug, die uns einen ungetrübten Blick auf das vor uns<br />
liegende unendliche Meer erlaubte.<br />
Ich war ´mal wieder überglücklich.<br />
Wir verstauten unser karges Hab und Gut unter den<br />
Sesseln, und machten es uns gemütlich. Liesa legte den<br />
Kopf an meine Schulter, und war schnell eingeschlafen.<br />
Ihre „Frauenkrankheit“ hatte sie wohl sehr mitgenommen,<br />
aber das Schlimmste war überstanden.<br />
Ich legte Lisas Kopf vorsichtig an die Kopfstütze ihres<br />
Sessels, und machte mich auf, das Schiff näher unter die<br />
114<br />
Lupe zu nehmen. zunächst lief ich auf Deck des Schiffes,<br />
wo ich gerade noch den letzten Rest des Sonnenuntergangs<br />
miterleben konnte, wie dieser riesige Ball aus<br />
Feuer hinten im Meer versank, und es jetzt dunkel wurde.<br />
Lichter gingen auf der gesamten Fähre an, was dem<br />
Schiff in ein romantisches Flair zauberte.<br />
Dann zog es mich in den „Bauch“ der Fähre, ich wollte<br />
alles sehen. Ich kam bis zum Ladedeck, wo fleißige Matrosen<br />
die geladenen Güter nochmals festzurrten, damit<br />
das Schiff auch stabil seine Fahrt machen konnte.<br />
Die vielen Autos, und auch Laster waren Reihe an Reihe<br />
geladen. Es roch nach Oel, und Undefinierbarem was<br />
sicher von den Autos und den getauten Gütern kam.<br />
Durch viele enge Gänge ging ich zurück zu meinem<br />
Sessel, neben dem Liesa friedlich schlief. Auch ich war<br />
müde, und ließ mich auf meinem Sitz nieder. Ich lehnte<br />
mich zurück, und war schnell eingeschlafen.<br />
Am nächsten Morgen weckte mich Liesa mir einem<br />
Kuss auf die Wange, und ich sah, wie ein Matrose die für<br />
die Nacht zugezogenen Vorhänge an den Bugfenstern<br />
öffnete.<br />
Ein faszinierender Blick aus den Fenstern liess mich<br />
vollends wach werden, vor uns lag eine Kulisse wie ich<br />
sie nie zuvor wahrgenommen hatte.<br />
Das Schiff steuerte auf eine grüne, kegelförmige Insel zu,<br />
hinter der die Sonne langsam aufging. Es war ein wahrhaft<br />
großartiges Bild vor meinen Sinnen, das ich nie<br />
vergessen sollte. Wir steuerten auf Kreta zu, und ich<br />
dachte schon, wir würden die Insel rammen, aber wir<br />
waren weit entfernt, der Kapitän steuerte unsere Fähre<br />
östlich an der Insel vorbei, auf der ich aus der Ferne kleine<br />
Häuser zwischen dem Grün der Insel ausmachte.<br />
Strände waren an dieser Seite der Insel nicht zu erken-<br />
115<br />
nen. Dies war also das Eiland, wo Odesseus den Sirenen<br />
in die Falle gegangen war.<br />
Der Anblick war wunderschön, und als die Sonne vollends<br />
aufgegangen war, Kreta in der Ferne hinter uns lag,<br />
machten wir uns ein Frühstück.
Wir setzten uns auf Stühle, die an Deck reichlich vorhanden<br />
waren, und Liesa packte unser mitgebrachtes Essen<br />
aus. Brot und Käse hatten wir reichlich mitgebracht,<br />
es fehlte nur Kaffee, den Lisa nach einigen Minuten in<br />
zwei großen Tassen heranbrachte.<br />
Wir lachten viel, und freuten uns schon auf unser bald<br />
erreichtes Ziel, Patras. Apollon, der Gott der Sonne<br />
meinte es gut mit uns.<br />
Am Kai dieses enorm großen Hafens standen schon viele<br />
Menschen versammelt, die unserer Fähre zuwinkten,<br />
und wohl auf Freunde und Bekannte warteten.<br />
Ich konnte reichlich riesenhafte Frachter, enorme Fähren<br />
und auch viele Jachten im Hafengebiet angelegt sehen.<br />
Wie von Genua gingen hier die Schiffe in alle<br />
Richtungen der Welt, eine für mich immer wieder aufregende<br />
Vorstellung.<br />
Als wir die Gangway hinuntergegangen waren, mussten<br />
wir zunächst durch eine Zollstation, wo wir aber kaum<br />
beachtet wurden, und man uns ohne Schwierigkeiten<br />
passieren ließ.<br />
Nun waren wir in Griechenland, wo wir beide noch nie<br />
gewesen waren, und eine völlig unbekannte Sprache<br />
schlug mir aus allen Winkeln entgegen.<br />
Ich mochte es eigentlich nicht mehr, ein Land zu besuchen,<br />
dessen Sprache ich nicht wenigstens ein klein wenig<br />
beherrschte, aber diese Gedanken hatte ich schnell<br />
aus dem Hirn gewischt, wir würden uns schon mit englisch<br />
oder französisch verständlich machen können.<br />
So begaben wir uns auf den Weg in die Stadt Patras, ei-<br />
116<br />
nem auf den ersten Blick sehr schönen, mit vielen Kirchen<br />
und Kathedralen geschmückten Ort.<br />
Liesa wollte unbedingt eine dieser Kathedralen von innen<br />
besichtigen, auch ich hatte Interesse an einem solchen<br />
Ausflug.<br />
So öffneten wir eine kleine Türe, die in ein enorm großes<br />
Portal, aus mit wunderschön geschnitzten Ornamenten,<br />
rötlichem Holz eingelassen war.<br />
Ich kam mir sehr klein vor, als ich die überschwängliche<br />
Pracht dieser sehr hohen Kirche<br />
bestaunen konnte.<br />
Es verschlug mir schier den Atem, ob der fantastischen,<br />
sehr vielen gülden und vielfarbig gestalteten Ikonen, die<br />
sich rund um die Kathedrale verteilten. Es gab kleine, in<br />
eingelassenen Nischen hängende, zauberhafte Ikonen, als<br />
wir dann den Altar erreichten, sahen wir eine wahre<br />
Pracht.<br />
Riesenhafte Ikonen über und über mit Gold geschmückt,<br />
umgaben den mächtigen Altar, an dem in<br />
schwarz, mit bis auf den Boden reichende Gewänder gekleidete<br />
Priester ihren Dienst an Gott taten. Alle hatten<br />
hohe, steife schwarze Hüte auf dem Kopf, und ihre Bärte<br />
gingen bis fast auf die Brust. Viele graue Bärte, junge
Priester konnte ich nicht ausmachen.<br />
Lisa hatte sich an mich gelehnt, und studierte diese äußerst<br />
prachtvolle Szene, die am Altar ihren Höhepunkt<br />
erreicht hatte. Heiligenstatuen standen klein und groß<br />
bis fast zum marmornen, auch reichlich geschmückten<br />
Tisch. Eine Szenerie, die ich in anderer Form nur im Petersdom<br />
zu Rom gesehen hatte.<br />
Rita war hin und weg, sie bestaunte diese Kathedrale respektvoll<br />
und inbrünstig. Für sie, als Studentin der Architektur<br />
war diese hohe Kirche natürlich besonders interessant,<br />
und sie machte mir einen sehr verinnerlichten<br />
117<br />
Eindruck.<br />
Oft drückte sie meine Hand, und zeigte auf bestimmte<br />
Szenerien an Wänden und in Nischen.<br />
Wir konnten uns von diesem prachtvollen Gotteshaus<br />
kaum lösen, aber wir mussten ja weiter nach Athen.<br />
Zunächst setzten wir uns in ein Strassencafé, und tranken<br />
etwas, versuchten die gesehenen Eindrücke zu verarbeiten.<br />
Wir sprachen kaum, die aufgenommenen Situationen<br />
waren doch ziemlich schwere Kost, die man erstmal verdauen<br />
musste. Wir waren sicher über eine Stunde in der<br />
Kathedrale, aber um sie richtig zu entdecken, hätte es einen<br />
Tag gebraucht.<br />
Uns reichte das Gesehene, und wir machten uns auf, um<br />
die in einem Schließfach liegenden Gepäckstücke abzuholen.<br />
Es war später Nachmittag, als wir an einer Strasse in<br />
Richtung Athen ankamen. Lisa hielt ihren Daumen<br />
hoch, der in Richtung unseres Ziels deutete, und schon<br />
hatten wir wieder einen freundlichen Herrn angehalten,<br />
der uns einige Kilometer mitnahm.<br />
Als er an seinem Ziel angekommen war, stiegen wir aus<br />
seinem Wagen, und machten weiter Autostopp, den Liesa<br />
mittlerweile perfekt ausführte.<br />
Kaum hatte sie ihre Hand hochgehoben, hielt schon ein<br />
Lastwagen, der glücklicherweise direkt bis Athen fahren<br />
wollte. Der Fahrer lud uns ein, auf der Ladefläche mitzufahren.<br />
Dieser Umstand war zwar neu, wir entschlossen<br />
uns trotzdem, das Angebot anzunehmen. Es war heller<br />
Sonnenschein<br />
Also machten wir es uns auf der Ladefläche so gemütlich<br />
es ging, ich breitete meinen Schlafsack aus, und los<br />
ging die Reise als Ladung eines LKW´s.<br />
Liesa legte sich lang hin, ihre Tasche unter dem Kopf,<br />
118<br />
und schaute in die Sonne, die noch, obwohl der Oktober<br />
langsam seinem Ende zuging, war´s noch recht<br />
warm<br />
Ich legte mich neben sie, wir rüttelten unserem Ziel entgegen.<br />
Als es Abend wurde, waren wir beide eingeschlafen,<br />
wir merkten nichts mehr.<br />
Plötzlich wurde ich wach, Liesa schlief den Schlaf der<br />
Gerechten, als ich merkte, dass der LKW etwas schaukelte,
und ich hörte Wasser plätschern.<br />
Ich stand auf, die Situation war mir etwas ungeheuer,<br />
und ich wusste schnell, dass wir uns mit dem Laster auf<br />
einem Schiff befanden.<br />
Mir schoss ein ängstlicher Schreck in die Glieder, ich<br />
ahnte nicht was hier vorging. Mir kamen gleich die verrücktesten<br />
Gedanken ins Hirn, Entführung oder so was,<br />
und ich sprang vom Wagen. Ich wollte genauer erfahren,<br />
weshalb wir uns auf Wasser bewegten.<br />
Es war pechschwarze Nacht. Irgendwo weiter vorne erkannte<br />
ich ein Licht, das aus einem kleinen Fenster<br />
schien. Ich machte mich auf den Weg Richtung Lichtquelle,<br />
das Schiff schaukelte gemütlich vor sich hin.<br />
Ich entdeckte eine Türe mit einem kleinen Fenster, die<br />
zu einem erleuchteten Raum führte, und trat in eine<br />
kleine Kantine. Ich sah viele Männer, die alle Getränke<br />
in den Händen hatten, und sich angeregt unterhielten.<br />
Schnell entdeckte ich unseren Fahrer, und ging auf ihn<br />
zu. Ich fragte wo wir denn seien? Einer seiner Kameraden<br />
übersetzte für mich, er hatte einige Jahre in<br />
Deutschland gearbeitet, und freute sich, einen Deutschen<br />
zu sehen.<br />
„Wir sind auf einer Fähre“, erklärte mir der Mann, „so<br />
kommen wir schneller nach Athen, als wenn wir den<br />
Landweg nähmen“. Schnell war ich beruhigt, die Männer<br />
lachten alle, als mein Übersetzer ihnen die Ängste,<br />
119<br />
die in mir aufgekommen waren, erklärte.<br />
Sie drückten mir ein Glas roten Wein in die Hand, und<br />
prosteten mir lachend zu. Nun war´s mir wesentlich<br />
leichter ums Herz.<br />
Der nahende Morgen hatte wieder eine herrliche Überraschung<br />
für uns bereit, Lisa war jetzt auch wach geworden,<br />
und wir sahen am Horizont die uns wärmende ,<br />
glühende Sonne aus dem Meer erscheinen, sehr langsam<br />
stieg der Feuerball höher und höher, spendete immer<br />
mehr Licht und Wärme , wischte die dunkle Nacht einfach<br />
weg. Es war für mich, und auch für Liesa, ein immer<br />
wieder neuer, faszinierender Moment, wenn die<br />
den Tag freigebende Sonne in den Himmel stieg, und die<br />
Erde zum leben brachte.<br />
Natürlich war auch Lisa überrascht, dass wir uns auf einem<br />
Schiff befanden, aber ich konnte sie mit der Erklärung<br />
der Umstände schnell beruhigen. Sie umamte mich<br />
zärtlich, und gab mir einen Morgenkuss. Sie war ein sehr<br />
liebes, positiv eingestelltes Wesen, das mir immer wieder<br />
Freude bereitete.<br />
Wir konnten uns in einem Toilettenraum etwas frisch<br />
machen, ich ließ mir Wasser über den Kopf fließen, und<br />
konnte mir dank dem von Lisa mitgebrachtem Schampon<br />
die Haare waschen.<br />
Nun konnte der Tag kommen, ich war frisch und gestärkt,<br />
nachdem wir in der Kantine gefrühstückt hatten,
die Transportfahrer hatten uns eingeladen.<br />
Lisa war die einzige Frau an Bord.<br />
Im Hafen von Piräus fuhr unser Laster in eine andere<br />
Richtung als wir wollten, also bedankten wir uns herzlich<br />
bei dem Fahrer, und machten uns auf den Weg nach<br />
Athen, das nicht mehr weit von Piräus entfernt war.<br />
Der Hafen von Piräus war auch sehr ausladend, wir gingen<br />
durch eine sehr große Menge von Dockarbeitern,<br />
120<br />
die Schiffe auf-und abladenen mussten.<br />
Riesige Gestapelte Transportgüter standen überall herum,<br />
und wurden von den hart arbeitenden Dockarbeitern<br />
bewegt.<br />
Wir Verstauten unser kleines Gepäck wieder in einem<br />
Schließfach, und machten uns auf, Piräus zu erkunden.<br />
Man hörte so viel von dieser großen Hafenstadt, sie<br />
wurde sogar besungen, und so wollten wir mehr sehen,<br />
als nur den Hafen.<br />
Niemand konnte wissen, ob wir jemals in diese schöne<br />
Stadt zurückkommen würden. Es war schon äussest verwunderlich,<br />
wie sehr sich die Kulturen der einzelnen<br />
Orte in den verschiedenen Ländern Europas unterschieden.<br />
Die Häuser waren anders, Strassen und Verkehr waren<br />
überall ungleich, obwohl sie sich bei genauerer Betrachtung<br />
doch ähnelten.<br />
Die vielen Kirchen hatten andere Kreuze auf den Dächern<br />
und Türmen, die grieschich ortodogsenen Kreuze<br />
hatten einen waagerecht, etwas geneigten zusätzlichen<br />
Balken an den Kreuzen.<br />
Natürlich wollte Liesa erneut eine der Kathedralen von<br />
innen sehen, und so tat ich ihr den Gefallen, sie zu begleiten.<br />
Mein Interesse an Kirchen und Kathedralen war<br />
minder als Lisas.<br />
Und doch, wenn ich in so ein Gotteshaus eintrat, war ich<br />
immer wieder sehr beeindruckt. Diese die Kirchengebäude<br />
schmückenden Fresken, Ikonen und Heiligenfiguren<br />
zeigten sich fantastisch und ergreifend.<br />
Die grieschich-ortodoxen Gotteshäuser waren bunter<br />
und güldener als die rein katholischen Kirchenpaläste.<br />
Das kam wohl durch die massenhaft an allen Wänden<br />
verteilten Ikonen. Lisa betrachte diese überschwängliche<br />
Pracht ohne Worte, sie staunte einfach nur.<br />
Erst als wir wieder auf die sehr lebendige Strasse traten,<br />
121<br />
sprach sie von den sie besonders beeindruckten Sehenswürdigkeiten<br />
der Kathedrale.<br />
„Los, wir wollen nach Athen“, erinnerte ich Liesa, die<br />
noch andächtig in den Erinnerungen schwelgte. „Klar,<br />
los geht’s“, antwortete sie, “John wartet sicher schon auf<br />
uns“. Lisa hatte sich zum Beatnik entwickelt, die großen<br />
Entfernungen und die lange Zeit zwischen den Treffen<br />
der Freunde nahm auch sie nun als gegeben an.<br />
Wir holten unser Gepäck, und begaben uns an die nächste
Strasse Richtung Athen, auf das ich schon sehr gespannt<br />
war. Auch in dieser Stadt war Geschichte geschrieben,<br />
und wir wollten natürlich alles übrig<br />
Gebliebene selbst in Augenschein nehmen.<br />
So machten wir uns auf nach Athen, ich war zwar immer<br />
noch nur 16 Jahre alt, ob meiner bisherigen Reisen<br />
aber sehr an Geschichte interessiert.<br />
Besonders Rom hatte meinen Geist dafür geöffnet. Der<br />
große Meister Michelangelo sollte mir später noch sehr<br />
deutlich zu Gemüte geführt werden.<br />
Auf dem Fußmarsch zur Akropolis kamen wir an einem<br />
Café vorbei, wir hatten beide Hunger, und wollten noch<br />
´mal frühstücken. Wir hatten zwar auf der Fähre schon<br />
zu essen und trinken bekommen, aber jetzt wollten wir<br />
´mal ein grieschiches Frühstück probieren.<br />
Und da erlebte ich eine sehr freudige Entdeckung, die<br />
Griechen aßen wahrhaftig Vanillepudding zum Frühstück,<br />
der war in einer einsehbaren Theke in kleinen<br />
Plastikschälchen zu sehen.<br />
Oh wie freute ich mich, hatte ich doch schon sehr lange<br />
keinen Pudding zu essen gefunden, ich bestellte mir<br />
sofort zwei Portionen. Oma hatte mir oft Pudding gekocht,<br />
ich liebte diese Speise. Liesa freute sich für mich<br />
mit, aber sie aß nur Brot mit Marmelade, und spülte das<br />
Gekaute mit starkem Kaffee hinunter.<br />
122<br />
Weiter ging´s in Richtung Akropolis, die wir gegen Mittag<br />
ereichten. Eine äußerst beeindruckende riesige Ruine,<br />
die leider nur noch aus enorm dicken hohen Säulen,<br />
und einigen darüber legenden Dachstützen bestand.<br />
Dieser Rest eines sicher einmal prachtvollen Gebäudes<br />
stand auf einem Hügel, so ragte die Akropolis über der<br />
Stadt.<br />
Viele Menschen hatten sich dort versammelt, Touristen<br />
und Beatniks, aber von John war nichts zu sehen. Wir<br />
hatten noch Bares, und mieteten uns in einer kleinen,<br />
preisgünstigen Pension ein.<br />
Man gab uns ein ziemlich großes, sauberes Zimmer, mit<br />
einem sehr breiten Bett für zwei Personen. Wir waren<br />
sehr erfreut ob dieser schönen Wohnstat, legten das Gepäck<br />
ab, und gingen erstmal wieder duschen. Wir hatten<br />
schon einige Tage kein fließendes Wasser gefunden, und<br />
so ließen wir uns, jeder für sich, das wärmende Nass lange<br />
über die Körper laufen.<br />
Wir zogen frische Wäsche an, von der jeder von uns zum<br />
Glück noch etwas hatte. Wir fanden in Piräus einen<br />
Waschsalon, indem wir all unsere schmutzige Wäsche<br />
reinigten.<br />
Athen war sehenswert, wir streiften durch die Stadt, und<br />
besichtigten viele Altertümer, die noch aus langen Jahren<br />
vor Christi Geburt stammten. Es waren leider nur Ruinen,<br />
trotzdem mächtige, sehr beeindruckende Vermächtnisse<br />
dieser Zeit.
Immer wieder gingen wir zurück zur Akropolis, und<br />
zwei Tage nach unserer Ankunft kam auch John mit zwei<br />
Freundinnen an.<br />
Mit seinem breitkrempigen Cowboyhut, seiner speckigen<br />
Lederhose und seinem breiten, aus geflochtenem<br />
Leder berstenden Gürtel, an dem eine flache Ledertascheasche<br />
hing, seinem Spitzbart unter der Lippe, sah er<br />
123<br />
aus wie Buffalo Bill.<br />
Die Mädels hatte er in Piräus aufgelesen. John war 27<br />
Jahre alt, und schon sehr lange auf der Reise, er hatte den<br />
Erdball bestimmt schon einmal umrundet.<br />
Wir freuten uns alle ob des Wiedersehens, und erzählten<br />
uns natürlich unsere Erlebnisse der Reise. John lachte<br />
laut, als ich ihm von unserer „Entführung“ berichtete, er<br />
war mit den Mädels auf dem Landweg nach Athen gelangt.<br />
Irgendwann zog eine dicke Rolle Geldscheine aus der<br />
Tasche, und gab mir die Hälfte. „Hier, das sind brasilianische<br />
„Cruseros“, da stehen zwar große Zahlen drauf,<br />
10er, 20ger, 50er und 100er, aber die Scheine sind das<br />
Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurden“ , erklärte<br />
mir John.“Eventuell kannst du sie ja bei irgendeiner<br />
Gelegenheit gebrauchen, keiner hier weis, was die Scheine<br />
wirklich wert sind, außer natürlich den Banken“, fügte<br />
er hinzu.<br />
Ich steckte die Scheine in meinen am Gürtel hängenden,<br />
flachen Stoffbeutel, indem auch unsere Pässe verstaut<br />
waren, und vergaß sie dann schnell.<br />
Auch in Athen war es verboten, Straßenmalerei zu betreiben,<br />
es gab hohe Geldbußen wenn man erwischt<br />
wurde. Also ließ ich das sein. Leider keine Kohle zu machen,<br />
das ärgerte mich schon, denn die Barschaften gingen<br />
langsam zu Neige. Nur Liesa hatte noch etwas gebunkert,<br />
für Notfälle.<br />
Nun waren wir in der Stadt der Göttin Athena, die vom<br />
Himmelsgott Zeus, und seiner Frau Matis gezeugt worden<br />
war.<br />
Wir waren über das Reich des Poseidons, dem unendlichen<br />
Meer hier hergelangt.<br />
Über den Wolken herrschten in Urzeiten, den Griechischen<br />
Sagen zu Folge, auch Dione, die Mutter der<br />
124<br />
Aphrodite, Hera, die gleichzeitig die Schwester des Zeus<br />
war.<br />
Hades beherrschte die Unterwelt, Hermes war der Götterbote,<br />
und Bacchus wachte über den Wein, dem Diogenes<br />
in seiner Tonne reichlich zugetan war, und dem alle<br />
Griechen reichlich zusprachen.<br />
Und so gab es Liesa zu Folge dutzende von Göttern, die<br />
alle für irgendeinen Bereich im Leben zuständig waren.<br />
Apollon, Gott der Sonne war mir der liebste.<br />
Und all diesen Göttern waren in Athen und Umgebung<br />
Tempel errichtet worden, deren Ruinen wir besichtigen
wollten.<br />
Besonders Liesa wollte alles sehen, sie war die Person<br />
unserer kleinen, verschworenen Gemeinschaft, die unbedingt<br />
alle Tempelreste begutachten wollte. Ich begleitete<br />
sie gern, und lernte etwas über die Mythologie der<br />
Griechen.<br />
Ich war immer noch nur 16 Jahre alt, und mit den griechischen<br />
Sagen nie in Berührung gekommen.<br />
Jedem dieser Götter wurden noch bis ins 18te Jahrhundert<br />
von vielen Herrschern dieser Welt Opfergaben dargebracht,<br />
und es wurden Lieder zu ihren Ehren komponiert,<br />
in alten Opern wurde oft über griechische Götter<br />
gesungen.<br />
Die Typen hatten also schwer Eindruck in der Welt der<br />
Menschen hinterlassen, so auch die vielen Tempel. Besonders<br />
die Kraft des Bachus war bis in die Heutige Zeit<br />
zu spüren, ihm wurde reichlich zugeprostet.<br />
Wir waren nun schon fast 10 Tage in Athen, hatten viel<br />
gesehen, und ich hatte dank Lisa viel über die Mythologie<br />
griechischer Götter gelernt.<br />
Irgendwann hatte Lisa genug von Athen, auch mir war<br />
nach anderen Orten zumute. Lisa beschloss, zurück nach<br />
Wien zu fahren, sie wusste, dass man sich in Ihrer Fami-<br />
125<br />
lie Sorgen machte, man hatte schließlich schon fast drei<br />
Wochen kein Lebenszeichen von ihr bekommen.<br />
Also verabschiedeten wir uns von John, Marie und Monika,<br />
der einzigen Deutschen in unserer Gemeinschaft,<br />
und machten uns auf den Weg nach Norden.<br />
Wir hatten mit Ach und Krach das Geld für unser Zimmer<br />
bezahlen können, wir waren ziemlich pleite.<br />
Lisa machte sich Sorgen, aber mir war dieser Geldlose<br />
Zustand reichlich bekannt, ich wusste, es würde schon<br />
weitergenh´n.<br />
Wir mussten in Richtung Tessalonika, und dann durch<br />
Jugoslawien nach Österreich. Leider hatte ich nur meinen<br />
Personalausweis, und der reichte nicht aus, um<br />
durch Jugoslawien zu reisen. Lisa hatte einen Pass, für sie<br />
gab es kein Problem. „Ich muss zur Deutschen Botschaft,<br />
um mir einen Reisepassersatz zu besorgen“, erklärte<br />
ich Lisa, die unbedingt so schnell als möglich nach<br />
Hause wollte.<br />
So suchte ich die Deutsche Gesandtschaft in Athen, hatte<br />
aber Angst, Probleme zu bekommen. Wusste. Ich<br />
wusste, dass man ab 16 reisen konnte, wohin man wollte,<br />
aber in diesem jungen Alter, ohne Geld und auf dem<br />
Weg in das noch kommunistische Jugoslawien hätte den<br />
Botschafstangestellten zu denken geben können.<br />
Eventuell würde man mir den Reisepassersatz verweigern.<br />
möglicherweise benötigte man eine Elterliche Erlaubnis,<br />
um durch Europa reisen zu können.<br />
Ich betrachtete die Reste meines Personalausweises, der<br />
bunt von der Strassenmalerei, und den damit verbundenen
Polizeikontrollen voller Kreide war, und man kaum<br />
noch etwas auf dem Dokument lesen konnte.<br />
Auf einer Treppe der Akropolis zitzend beschloss ich<br />
mutig den Gang in die Botschaft. Mein Ausweis war<br />
wirklich kaum noch zu entziffern.<br />
126<br />
Ich ging mit dem Mut der Verzweiflung in das Gebäude<br />
der Deutschen Botschaft in Athen, und beantragte das<br />
Visum für Jugoslawien.<br />
Der Botschaftsangestellte staunte nicht schlecht ob meiner<br />
schmuddeligen Erscheinung, und versuchte meinen<br />
Personalausweis zu lesen. „Da kann man ja kaum noch<br />
etwas erkennen“, beschwerte sich der Mann, „der Personalausweis<br />
ist ja völlig zerstört“.<br />
Ich erklärte ihm, dass ich bei meiner Pflastermalerei oft<br />
kontrolliert worden war, und bat um Verständnis für den<br />
sehr schlechten Zustand meines Reisedokuments. „Da<br />
muss ich erstmal mit meinem Vorgesetzten Rücksprache<br />
halten, bitte warten sie hier“, sagte der Botschaftsbeamte.<br />
Mir fiel fast das Herz in die Hose, ich konnte nur hoffen,<br />
dass ich keine Probleme bekam.<br />
Die geordnete Welt dieser Botschaft war mir fremd.<br />
„Haben sie ein Passbild dabei“, fragte mich der zurückkehrende<br />
Botschaftssekretär, und ich legte ihm ein kleines<br />
Bild von mir auf den Tisch, das ich in einem Fotoautomaten<br />
gemacht hatte. `Es hat geklappt ´, dachte ich<br />
bei mir, man interessierte sich nicht für meine Jugend.<br />
Also bekam ich nach einer halben Stunde einen Reisepassersatz,<br />
ein echtes Reisedokument, mit dem ich<br />
durch Jugoslawien trampen konnte.<br />
Lisa wartete vor der Botschaft auf mich, und als ich lachend<br />
herauskam, fiel auch ihr ein Stein vom Herzen, sie<br />
wäre nur ungern alleine weitergereist.<br />
Ich nahm sie in die Arme nahm, hob sie hoch, und drehte<br />
mich mit ihr im Kreis. „Nein, ist alles klar, wir können<br />
fahren, ich hab das Papier“, das ich ihr stolz präsentierte.<br />
Und so machten wir uns auf, eine Autobahn in<br />
Richtung Thessalonica nach Norden zu finden.<br />
Wir kamen zunächst nur bis Marathon, und wussten<br />
127<br />
jetzt, woher der Marathonlauf stammte.<br />
Die weitere Autobahn ging nur bis Levadeia, und endete<br />
dort in eine normale Strasse, die Nationalstrasse E75.<br />
Wir hatten auf einer Srassenkarte in einer Autobahnraststädte,<br />
bei der einer unserer „Chauffeure“ gehalten hatte,<br />
und uns zum trinken einlud, entdeckt, dass wir nun<br />
dieser Strasse folgen mussten, um Thessalonica zu erreichen.<br />
Es war schon später Nachmittag geworden, und es wurde<br />
ziemlich kalt. Den Sommer hatten wir endgültig zurückgelassen,<br />
und mussten uns nun auf geringere Temperaturen<br />
einstellen. Dafür waren wir Bekleidungsmässig<br />
überhaupt nicht eingerichtet.<br />
Es war Samstag, und wir erreichten einen kleinen Ort an
der E75, Almyros, einen kleinen verschlafenen Ort. Wir<br />
waren müde und verfroren, und wussten zunächst nicht<br />
weiter.<br />
Heute noch an unser Ziel zu kommen war schier unmöglich,<br />
wir hatten noch ca. 200 km zu bewältigen.<br />
In diesem Ort gab es nur ein Hotel, das war ziemlich<br />
neu, und sah sehr einladend aus. „Komm, hier machen<br />
wir Rast für Heute, morgen früh fahren wir weiter“,<br />
sagte ich zu Lisa. „Aber wir haben doch kaum noch<br />
Geld“, entgegnete sie, und schaute mich sorgenvoll an.<br />
„Klar haben wir Geld, massenhaft Geld“, sagte ich zu Lisa,<br />
und holte den Packen von Cruseros hervor, den uns<br />
John in Athen zugesteckt hatte.<br />
„Aber das geht nicht, das Geld ist doch nichts wert“,<br />
sorgte sich das Mädel. Mit dem Mut der Verzweifelten<br />
traten wir durch das schöne Portal des Hotels, und gingen<br />
zu einer fast luxurieusen Rezeption.<br />
„Haben sie noch ein Doppelzimmer frei“? fragte ich den<br />
Herrn, der wohl der Direktor, oder gar Besitzer des Hotels<br />
war.<br />
128<br />
„Aber ja, wir haben noch viele Zimmer frei, die Saison<br />
ist fast beendet“, antwortete der Mann freundlich lächelnd.<br />
„Leider haben wir nur noch brasilianische Cruseros, wir<br />
kommen gerade aus Brasilien, und waren einige Tage in<br />
Athen“, erklärte ich, “ wir haben versäumt, mehr Cruseros<br />
zu wechseln, und besitzen kaum noch Drachmen“.<br />
„Cruseros, die kenne ich aber nicht“, antwortete der<br />
Rezeptionist mit Falten auf der Stirn.<br />
129<br />
Kapitel 16<br />
„Ein Crusero ist ein Dollar“, belog ich den Mann. Die<br />
Scheine sahen wirklich wertvoll, und kaum gebraucht<br />
aus, und man akzeptierte den Deal.<br />
„Wir möchten noch essen, und etwas zu trinken mit<br />
aufs Zimmer nehmen“, sagte ich nun sicher. „Das ist<br />
kein Problem, hier haben sie unsere Speisekarte, suchen<br />
sie sich etwas aus“.<br />
Lisa schaute mich sorgenvoll, aber doch freudig an, und<br />
sagte auf Deutsch:“ Schätze wir haben es geschafft für<br />
diese Nacht“.<br />
Es war am Samstag oder Sonntag unmöglich, in einer so<br />
kleinen Stadt den Wert von ausländischem Geld zu erfahren,<br />
es gab nicht ´mal eine Bank.<br />
Mit diesem Umstand hatte ich auch gerechnet.<br />
Sonst wäre mir diese Idee nicht gekommen.<br />
Wir aßen richtig gut und reichlich, so hatten wir schon<br />
länger nicht mehr gespeist. Wir bestellten auch eine Flasche<br />
guten Weins, den wir mit aufs Zimmer nahmen.<br />
Als wir in das uns zugewiesene Zimmer kamen, staunten<br />
wir nicht schlecht, es war eine kleine Suite, mit Sofa,<br />
Sesseln und zwei Betten.<br />
Ich war vom Wein berauscht, und war froh das Bett
nicht mit Lisa teilen zu müssen, ich wusste nämlich<br />
nicht, ob ich dann meine Finger von ihr hätte lassen<br />
können. Das wurde somit vermieden. Ich duschte noch<br />
ausgiebig, mein Kopf wurde auch wieder klarer, und legte<br />
mich in ein Bett.<br />
Ich sah noch so grade, wie Lisa nackt wie Gott sie schuf,<br />
und er hatte sie gut hingekriegt, das konnte man sagen,<br />
unter die Laken kroch, sie war schnell eingeschlafen.<br />
Am nächsten Morgen duschten wir nochmals, zogen die<br />
130<br />
frische Wäsche an, die uns noch geblieben war, und<br />
machten uns auf in den Frühstücksraum.<br />
Ich war etwas besorgt ob des Geldes, möglicherweise<br />
hatte der Wirt ja in der Nacht noch etwas in Erfahrung<br />
gebracht, aber nein, er begrüßte uns überschwänglich,<br />
fragte ob wir gut geschlafen hätten, und servierte uns ein<br />
pompöses Frühstück und reichlich starken Kaffee.<br />
Nachdem wir uns die Bäusche gut vollgeschlagen hatten,<br />
und noch Brot und Käse eingepackt,<br />
ging ich zur Rezeption, um die Rechnung zu bezahlen.<br />
Sie war recht hoch, der Herr hatte schon alles in Dollar<br />
umgerechnet. Ich gab ihm die Cruseros, und ein dickes<br />
Trinkgeld.<br />
Schnell machten wir uns davon, hatten glücklicherweise<br />
bald einen Anhalter, der uns 100 km weiter nach Norden<br />
bringen sollte. Nun konnte nichts mehr geschehen,<br />
wir waren weit weg vom Ort unserer Sünden.<br />
Wir waren jetzt auf der E 92, fuhren aber ab Elasson<br />
wieder auf der E75, die uns nach Thessaloniki bringen<br />
sollte.<br />
Wir fuhren nicht in die Stadt hinein, sondern begaben<br />
uns außerhalb der Stadt erneut weiter auf die E 75, die<br />
zu einer Autobahn ausgebaut war. Es wurde kälter und<br />
kälter. Dann kam die Jugoslawische Grenze.<br />
Wir wurden nicht ´mal kontrolliert, man winkte uns<br />
einfach durch.<br />
Nicht weit von der Grenze hielten wir noch´mal an einer<br />
Raststätte, wir waren irgendwie mit einem Anhalter<br />
von der Autobahn fortgekommen, und schon weit in Jugoslawien.<br />
Ich hatte mich in meinen Schlafsack eingewickelt, denn<br />
jetzt stapften wir wahrhaftig durch hohen Schnee, und<br />
frohren gewaltig.<br />
Lisa hatte alles angezogen, was sie bei sich hatte.<br />
131<br />
Schnell gingen wir in die Raststätte, wo uns wohltuende<br />
Wärme entgegen schlug. Lisa bestellte eine Tasse Kaffee.<br />
„Was soll das“, fragte ich sie, „wieso hast du nur eine<br />
Tasse bestellt?“ „Wir haben doch kaum noch Geld,<br />
und müssen noch durch ganz Jugoslawien“, entgegnete<br />
Lisa frech. „Aber wir können uns doch jeder noch eine<br />
Tasse Kaffee leisten“, sagte ich verwundert.<br />
„Nein, wir teilen uns den Kaffee, wir müssen sparen“,<br />
sagte Lisa trotzig.
„Ich glaub du spinnst“, sagte ich zu Lisa, „was sollen wir<br />
in der Kälte mit einer halben Tasse Kaffee“?<br />
Wir kamen richtig in Streit, das war auf unserer ganzen<br />
langen Reise noch nie vorgekommen. „Jetzt stell dich<br />
nicht so an, wir werden uns doch wohl noch Kaffee für<br />
uns Beide leisten können“, versuchte ich die Situation<br />
zu bereinigen.<br />
Aber Lisa blieb stur, sie gab sich mit der kalben Tasse zufrieden.<br />
Ich bestellte mir eine Tasse Kaffee für mich, ich<br />
hatte auch noch Geld in der Tasche, wenn auch nicht<br />
viel, für den Kaffee reichte es allemal.<br />
Lisa wurde richtig böse, stand auf, und sprach einen der<br />
Fahrer an, die in der Raststätte reichlich herumsaßen.<br />
Einer der Fahrer stand auf, und Lisa machte sich fertig,<br />
mit ihm die Raststätte zu verlassen.<br />
. „Das darf doch wohl nicht wahr sein, willst du jetzt<br />
wirklich abhau´n, wegen einer Scheiß Tasse Kaffee“,<br />
fragte ich sie noch.<br />
Aber schon war Lisa in der Dunkelheit verschwunden,<br />
ich sah noch, wie sie in einen LKW stieg, und sich davonmachte.<br />
Na ja, dachte ich mir noch, es war nett mit ihr, von hier<br />
fährst du jetzt alleine weiter.<br />
Etwas traurig war ich schon, immerhin waren wir ziemlich<br />
lange zusammen, hatten viel miteinender erlebt, und<br />
132<br />
ich fand sie war eine nette Freundin.<br />
Wie gesagt: Freundin! Aber das legte sich schnell, denn<br />
ich hatte einen Winter zu bewältigen.<br />
Ich ging hinaus auf die Strasse, es war stockfinster, ich<br />
wusste schnell, von hier kommst du heute nicht mehr<br />
weiter.<br />
Nicht weit von dem Rasthof verliefen Eisenbahnschienen,<br />
ich stand auf einer Eisenbahnbrücke. In der Dunkelheit<br />
sah ich zwischen den Schienen ca. 200 Meter<br />
entfernt ein Licht, und ging darauf zu. Ich betrat ein<br />
Bahnwärterhäuschen.<br />
Als ich die Türe öffnete, schlug mir regelrecht Hitze entgegen,<br />
und ein jüngerer Bahnarbeiter begrüßte mich<br />
freundlich. Was ich denn hier suche, fragte er mich in gebrochenem<br />
Deutsch, ich hatte mich ihm als Deutscher<br />
vorgestellt.<br />
Ich erklärte ihm die Situation, und fragte, ob ich mich<br />
bei ihm ein wenig aufwärmen dürfe.<br />
„Ich habe gleich Feierabend“ erklärte mir der Mann,<br />
„ich nehme dich mit zu mir nach Hause, da kannst du<br />
übernachten, und morgen weiterfahren“.<br />
Ich war hoch erfreut, ich war gerettet. Hätte ich die<br />
Nacht im Freien verbringen müssen, wäre ich sicher erfroren.<br />
Nach einer halben Stunde löschte der Bahnwärter die<br />
Lichter, lies den eisernen Ofen aber brennen, „so hab ich<br />
es morgen früh bei Dienstbeginn noch warm“, erklärte<br />
er mir.<br />
Wir gingen über die Schienen bis zu einer kleinen Strasse,
dort stand das Auto meines Retters, und nach schon<br />
wenigen Kilometern waren wir bei ihm zu Hause.<br />
Er begrüßte seine Frau herzlich, und stellte mich vor.<br />
Die Frau sprach nicht deutsch, lächelte mich an, während<br />
der Bahnbeamte ihr erklärte, was mit mir los war.<br />
133<br />
Sie stellte einen großen Topf mit gutriechendem, dampfendem<br />
Eintopf auf den Tisch, und holte einen dritten<br />
Teller und einen Löffel. Sie bedeutete mir mich zu setzen,<br />
und mit zu essen.<br />
Es war ein köstliches Gericht, scharf und mit viel Fleisch<br />
gekocht.<br />
Ich war Hundemüde, und Josef, so hieß der Bahnwärter,<br />
zeigte mir ein kleines Zimmer, worin ein Bett, Stuhl,<br />
und ein kleiner Tisch mit einer Lampe standen. „Hier<br />
kannst du schlafen, und morgen sehen wir weiter“, sagte<br />
Josef freundlich.<br />
Es war kalt in dem Zimmer; Ich zog mich schnell aus,<br />
und huschte unter eine dicke Decke, unter der ein Betttuch<br />
lag, und schlief sofort ein.<br />
Am nächsten Morgen, es war vielleicht 7 Uhr, weckte<br />
mich der Josef, und bat mich zum Frühstück, er habe<br />
noch etwas zu erledigen, bevor er zur Arbeit musste.<br />
Ein reichlich gedeckter Tisch erwartete mich, die Küche<br />
roch nach gutem Kaffee, und ich dachte zuerst an<br />
Liesa. Als ich mich am letzten Abend ausgezogen hatte,<br />
bemerkte ich natürlich meine Tasche am Gürtel. Und in<br />
dieser Tasche waren meine Papiere, und Liesas Pass.<br />
Die „schmutzigen“ Cruseros hatte ich schon vor der<br />
Grenze nach Jugoslawien verschwinden lassen.<br />
Jetzt machte ich mir ernsthaft Sorgen um das Mädel, ich<br />
konnte ihr nichts mehr übel nehmen, den Streit hatte<br />
ich schon nach der letzten Nacht längst verdaut.<br />
Nun konnte ich nur noch hoffen, dass Liesa ohne<br />
Schwierigkeiten über die Jugoslawische – Österreichische<br />
Grenze gelangt war.<br />
Josef war schon vor einer halben Stunde weggefahren,<br />
und ich saß noch an der Kaffeetafel, die freundliche Mikaela,<br />
seine Frau, goss mit permanent schwarzen Kaffee<br />
in die Tasse, bis ich nicht mehr konnte.<br />
134<br />
Und wegen einer Tasse Kaffee waren Liesa und ich auseinander<br />
geraten.<br />
Nun, das musste ich vergessen, ich hatte nach vorne zu<br />
denken, auch ich wollte jetzt nach Österreich, wo ich in<br />
Graz Verwandte hatte. Die Kälte machte mir ernsthaft zu<br />
schaffen, ich wollte doch nur immer der Sonne entgegen.<br />
Als Josef dann zurückkehrte lachte er mich an, und präsentierte<br />
mir eine Fahrkarte bis zur Österreichischen<br />
Grenze nach Ljubljana.<br />
„Hier Eric, ich hab dir eine Fahrkarte besorgt, sie war<br />
nicht teuer für mich, und ich will dich nicht einfach so<br />
zurück in die Kälte schicken“, erklärte mir Josef.
Ich sprang auf und umarmte Josef und seine Frau, meine<br />
Freude war riesig, ich hatte schon etwas Sorge vor<br />
dem Schnee und der Kälte draußen.<br />
Josef brachte mich zum Bahnhof, und ich stieg in ein<br />
warmes Zugabteil der Bahn Richtung Österreichische<br />
Grenze.<br />
Von dort war es nicht mehr weit bis Graz. Ich bedankte<br />
mich überschwänglich bei Josef, aber der winkte ab, für<br />
ihn es war eine Selbstverständlichkeit zu helfen.<br />
Die Reise war sehr angenehm, Mikaela hatte mir Proviant<br />
mitgegeben.<br />
In Ljubljana verließ ich den Zug, und trampte mit meinem<br />
Schlafsack um die Schultern gewickelt in Richtung<br />
Graz.<br />
Ein freundlicher, noch junger Mann nahm mich mit<br />
bis an die Grenze, wo ich dann aussteigen musste. Ich<br />
ging in das Zollgebäude, und erklärte einem Zollbeamten<br />
die Sache mit Liesas Pass, und gab ihn dort ab.<br />
„Sollte die junge Frau hier vorbeikommen, bitte geben<br />
sie ihr dann den Pass zurück, es war Flüchtigkeit, dass ich<br />
das Dokument noch bei mir trage“. „Wir hatten Beide<br />
135<br />
bei unserer sehr kurzfristigen und raschen Trennung<br />
nicht an den Pass gedacht, da ich ihn schon selbstverständlich<br />
immer in dieser flachen Tasche trug“, erklärte<br />
ich, und die ich ihm dann vorzeigte.<br />
Der Zöllner zeigte sich verständlich, und versprach, den<br />
Pass an Liesa zurückzugeben, oder spätestens in einer<br />
Woche zu schicken, falls sie einen anderen Grenzübergang<br />
gewählt haben sollte.<br />
Am späten Abend war ich in Graz.<br />
Ich hatte mit meiner Mutter telefoniert, um zu erfahren,<br />
wo ihre Schwester, meine Tante Andrea und ihre Söhne,<br />
Ritchy und Peter, meine Cousins, in Graz wohnten.<br />
Als ich dann bei meiner Tante auftauchte, sah sie mich<br />
erstaunt von oben bis unten an, und sagte sofort:“ Erstmal<br />
gehst du zum Friseur, sonst kannst du hier nicht<br />
bleiben“.<br />
Eine eigenartige Begrüßung einer Verwandten, der ich<br />
aber folgen musste, mir war´s zu kalt auf den Strassen<br />
von Graz.<br />
Ich suchte mir einen Friseur, dem ich genaue Angaben<br />
machte und ihm verbot, mehr als 2 cm abzuschneiden,<br />
das Haar einfach nur in Form zu bringen.<br />
Als ich zu meiner Tante zurückkam, bemängelte sie natürlich<br />
meine noch langhaarige Frisur, akzeptierte sie<br />
aber nun mit leichter Kritik. „Das nennst du eine vernünftige<br />
Frisur“, sagte sie protestierend, aber mehr war<br />
für mich einfach nicht akzeptabel.<br />
Ich wusste genau, dass sie mich erstmal beherbergen<br />
würde.<br />
Meine Cousins waren sehr erfreut ob meines Besuchs,<br />
und fragten mich nach meinen Reisen, und wie ich
nach Graz gekommen war.<br />
Sie waren in meinem Alter, 15- und 16 Jahre alt.<br />
Wir hatten in meiner Heimatstadt schon einige gemein-<br />
136<br />
same Feste gefeiert, wenn sie ´mal zu Besuch kamen, sie<br />
mochten mich sehr, und ich sie auch. Somit hatte ich<br />
treue Verbündete gegen die Verwandschaftskritik<br />
137<br />
Kapitel 17<br />
Letztendlich wurden die zum Glück noch langen Haare<br />
wohl oder übel akzeptiert, und ich wurd in der Verwandtschaft<br />
herumgereicht, als sei ich das achte Weltwunder.<br />
Überall bekam ich zu essen und zu trinken, man wollte<br />
es mir „schön“ machen.<br />
Dieses „schön“ machen ging mir schnell auf den Geist,<br />
und schon nach vier Tagen reiste ich, mit einem Bahnticket<br />
von der knauserigen Tante ausgestattet zurück in<br />
meine Heimat.<br />
Das konnte ich ja jetzt, denn man hatte mich ja offiziell<br />
aus der Führsorgeerziehung entlassen. Ich war ein freier<br />
Mensch, und das feierte ich am letzten Abend in Graz<br />
gebührlich mit meinen Cousins.<br />
Die Beiden brachten mich noch zum Bahnhof, und ab<br />
ging die lange Reise zurück ins Heimatland, vertraute,<br />
und auch verhasste Gefilde.<br />
Und das, obwohl mittlerweile überall dort meine Heimat<br />
war, wo ich abends meinen Kopf niederlegen konnte.<br />
Mir blieb erstmal nichts anderes übrig, es war ein sehr<br />
kalter, mit viel Schnee durchwachsener Winter geworden.<br />
Ich war nur mit T-Shirt, Jacke und Jeans ausgerüstet,<br />
die ich nur in wärmeren Gefilden tragen konnte.<br />
Die Tante hatte mir noch ein dickes Wollhemd gekauft,<br />
trotz ihrer allgemeinen bekannten Knauserigkeit.<br />
Im Zug schlief ich friedlich bis ich fast zuhause war. Mir<br />
war mulmig zumute, meinen Eltern entgegen zu treten,<br />
wo ich mich so sehr lange nicht gemeldet hatte.<br />
Aber ich hatte nun ´mal keine Lust mich irgendwo zu<br />
melden, diese Zeiten waren für mich endgültig vorbei.<br />
138<br />
Meine Mutter schien sich über meine Rückkehr zu<br />
freuen, sie verfrachtete mich trotzdem zunächst zur<br />
Oma, worüber ich mich sehr freute. Sie hatte Tränen in<br />
den Augen, als sie mich in ihre Arme schloss.<br />
Hinter meinem Rücken wurden wieder´mal Maßnahmen<br />
getroffen, die mich betrafen, und ich wurde erneut<br />
zum Vater verschoben.<br />
Er hatte, wie immer, schon wieder Arbeit für mich gefunden.<br />
Ich sollte morgens um 6 Uhr mit dem Fahrrad an eine<br />
10 km entfernte Baustelle Baustelle fahren, um dort<br />
Gräben für eine zu errichtenden Schule mit Hacke und<br />
Schaufel auszuheben.<br />
Dies tat ich genau 2 Tage lang, als ich dann am dritten<br />
Morgen zur Baustelle fuhr, radelte ich lässig an der Baustelle
vorbei, nahm die schon präparierten Sachen für eine<br />
neue Reise vom Gepäckträger des Fahrrads, stellte es<br />
ab, und machte mich schnell auf, die nächste Autobahn<br />
zu suchen, um Richtung Paris zu reisen.<br />
Ich hatte endgültig die Nase voll von den eigenartigen<br />
Ideen meines Vaters was Arbeit für mich betraf, und man<br />
sollte mich auch die nächsten Jahre nicht mehr sehen.<br />
Jetzt war endgültig Schluss, was man mir in meiner<br />
„Heimat“ zumutete, war für mich unerträglich, und so<br />
sollte die WELT wieder meine Heimat werden!<br />
Natürlich hatte ich kein Geld, dieser Umstand störte<br />
mich wenig, ich wollte einfach weg, und das schnell. Ich<br />
hatte noch Kreide, und so sah ich hoffnungsvoll in die<br />
Zukunft.<br />
Erstmal schnell über die nächste Grenze, dann hatte ich<br />
schon gebührenden Abstand zum Horrorhaus im kleinen<br />
Dorf, indem Vater mit seiner gnadenlosen Xanthippe<br />
wohnte, geschaffen.<br />
Ich fuhr der Liebe entgegen.<br />
139<br />
Diesmal wollte ich nach Paris, ich würde mich von<br />
Nichts und Niemanden davon abhalten lassen!<br />
Sehr schnell hatte ich per Autostopp die belgische Grenze<br />
erreicht, und kam ohne Kontrolle bis nach Lüttich. In<br />
Belgien!<br />
Schon fühlte ich mich wieder frei, ich hatte genug Abstand<br />
geschaffen, dass ich nicht mehr gefunden werden<br />
konnte., Ich hatte ein neue gültiges Reisedokument für<br />
Europa, das ich mir vorsichtshalber sofort ausstellen ließ,<br />
als ich zurück nach Deutschland kam.<br />
Von Lüttich ging eine Autobahn nach Paris, die ich<br />
gleich ansteuerte. Es dauerte nicht lange, und ich war<br />
mit einem Anhalter bis kurz vor Paris gekommen. Der<br />
Mann war Franzose, und wollte zum Flughafen, 35 km<br />
vor Paris.<br />
Nur noch wenige km vor der Stadt, von der ich immer<br />
geträumt hatte, mir schlug mein erfreutes Herz bis in die<br />
letzten Winkel meines schmalen Körper.<br />
Schmal oder nicht, ich war mir sicher, mir konnte Keiner<br />
´was, den Horror hatte ich hinter mir gelassen.- 400<br />
Kilometer weit!<br />
Als ich dann außerhalb von Paris ankam, konnte ich<br />
mein Glück kaum fassen, in dieser großen Stadt wollte<br />
ich mich nun häuslich einrichten. Es würde sicher Möglichkeiten<br />
geben, dessen war ich mir sicher.<br />
Auch wusste ich schon, wo ich in Paris Meinesgleichen<br />
finden konnte, um wichtige Informationen zu erhalten,<br />
wie man am Besten in Paris überleben konnte.<br />
Das Lokal hieß „Chez Popoff“, und befand sich in der<br />
Nähe der „Pont Neuf“, einer Brücke über die Seine, im<br />
Viertel St. Michel.<br />
Das Lokal befand sich in einer kleinen Gasse, der „Rue<br />
de la Huchette“.
Ich hatte mich durchgefragt, jemand gab mir ein Metro-<br />
140<br />
ticket bis zur Station St. Michelle, und schon war ich angekommen.<br />
Als ich das kleine Lokal betrat, fühlte ich mich sofort „zu<br />
Hause“, in einer Ecke lagen Ruck- und Schlafsäcke bis<br />
an die nicht sehr hoch liegenden Decke des Lokals gestapelt,<br />
und jede Menge „Reisende“ befanden sich in<br />
dem Lokal an der Theke, in und um das Lokal verteilt.<br />
Hier wurde philosophiert, hier wurden Pläne für Reisen<br />
geplant, und die meisten jungen Menschen lächelten.<br />
Das gefiel mir wieder sehr gut, frustige Gesichter hatte<br />
ich in Deutschland zurückgelassen.<br />
Die Popoffs waren russische Emigranten, die schon seit<br />
vielen Jahren die Beatnikszene liebe- und verständnisvoll<br />
versorgten. Sie waren schon älter als ihre Klienten, hatte<br />
aber täglich Freude wenn sie ihre “Kinder“, wie sie sie<br />
nannten, versorgen konnten.<br />
Sie hatten eine kleine Küche in einem hinteren Raum<br />
eingerichtet, und täglich gab es für wenig Geld eine<br />
Malzeit zu erstehen, bis die Töpfe leer waren.<br />
Von da ab gab’s nur noch Bier, Wein und auch Limonade,<br />
aber auch immer frisches Stangenbrot, „Baguette“,<br />
die Vater Popoff stets frisch aus der nebenan liegenden<br />
Bäckerei besorgte.<br />
Die Menschen hier fühlten sich gut, das war deutlich<br />
auszumachen.<br />
Ich hatte meine Sachen auch in der Gepäckecke untergebracht,<br />
und versuchte mit Leuten ins Gespräch zu<br />
kommen.<br />
141<br />
Kapitel 18<br />
Schnell war ich in eine kleine Gruppe von Deutschen,<br />
Holländern und einer Amerikanerin gekommen. Ich<br />
stellte mich zunächst bei einer Frau vor.<br />
Grace, eine Amerikanerin, groß, braungebrannt und<br />
gutgeformt, stellte mich den einzelnen Leuten vor. Ihre<br />
Namen hatte ich erstmal vergessen, und mich auf Grace<br />
konzentriert. Was sollte ich mit Männern?<br />
Sie war eine der wirklich hübschen jungen Frauen, die<br />
hier in der Rue de la Huchette präsent waren.<br />
Grace war 19 Jahre alt, und so war der Altersunterschied<br />
nicht zu bemerken. Es imponierte ihr, dass ich gut französisch<br />
sprach. Ich sagte ihr natürlich nicht, wo ich das<br />
gelernt hatte.<br />
Ich sagte nur, dass ich eine längere Zeit in Südfrankreich<br />
gelebt hatte.<br />
Wir tranken ein Glas Wein zusammen, und erzählten uns<br />
von Reisen, die wir gemacht hatten, Grace war schon<br />
mal bis Istanbul gelangt, wo der Treffpunkt der Beatniks<br />
an der Blauen Mosche war.<br />
Sie hatte meinen Olivegrünen Schlafsack bemerkt, als<br />
ich ihn ablegte, und bemerkte: „ Der ist doch aus der<br />
amerikanischen Armee“, und ich musste ihr beipflichten.
„Der hat mir in den letzten Jahren gute Dienste getan“,<br />
antwortete ich ihr.<br />
„Das glaub ich gerne, Bessere gibt es nicht“, wusste sie<br />
zu sagen. „Aber hier in Paris gibt´s leider nur wenig<br />
Plätze, an denen du draußen schlafen kannst“, erklärte<br />
sie mir. „Aber es gibt hier viele Möglichkeiten an Geld<br />
zu kommen, und kleine, sehr preiswerte Hotels, in denen<br />
du übernachten kannst“, informierte sich mich, „den<br />
Schlafsack wirst du nicht brauchen“.<br />
142<br />
„Hast du denn überhaupt Geld“, fragte sie mich? „Nicht<br />
viel“ musste ich gestehen.<br />
„Dann kannst du heute bei mir schlafen“, bot sie mir<br />
selbstverständlich an, „ich hab ein großes Bett, und bin<br />
alleine“.<br />
Das hörte sich gut an, ich hatte meine „Eintrittskarte“<br />
für Paris gelöst, und das auf sehr sympathische Weise, ich<br />
war endlich in der Stadt der Liebe.<br />
Und sie trug diesen Beinamen nicht umsonst, wie ich<br />
sofort festgestellt hatte. „Komm, ich zeig dir das Viertel,<br />
und das Hotel, indem du jetzt wohnen kannst, bis du etwas<br />
gefunden hast“, sagte Grace, und nahm mich bei der<br />
Hand.<br />
Als erstes gingen wir durch die enge Rue de la Huchet,<br />
und dann kamen wir auf den Place St. Michel. Wir gingen<br />
ca. 100 Meter rechts, und befanden uns auf der Pont<br />
Neuff, einer schönen Brücke, die über die Seine führte.<br />
„Es gibt viele schöne Brücken in Paris, die wirst du sicher<br />
noch entdecken“, erklärte mir Grace. Und als ich<br />
sie in einem unbeobachteten Moment genauer musterte,<br />
wusste ich weshalb sie Grace genannt wurde, sie war<br />
´ne Grazie in jeder Beziehung.<br />
Ich war froh sie so schnell gefunden zu haben, sie war<br />
eine hervorragende Fremdenführerin.<br />
Als wir zu Popoff zurückkehrten, kam ein langhaariger,<br />
nicht unbedingt freundlich schauender Typ auf uns zu,<br />
und redete auf meine Begleiterin ein.<br />
„It’s over, I already told you before“, versuchte Grace<br />
laut dem Langhaarigen in Englisch klar zu machen.<br />
Der Typ zog zornig ab, und warf mir noch einen bösen<br />
Blick zu.<br />
Hast du jetzt schon Probleme mit Eifersucht, fragte ich<br />
mich.<br />
Grace kam zu mir zurück, und erklärte sofort:“ Der will<br />
143<br />
schon länger mit mir, ich hab ihn immer abgewiesen, ich<br />
mag den einfach nicht, das will er nicht begreifen“.<br />
„Mach dir keinen Kopf um den, das ist erledigt. Der will<br />
sowieso morgen nach Süden, er glaubte ich komme<br />
mit“. „Aber ich will hier bleiben, es wird Frühling, das<br />
ist die schönste Zeit in Paris“ erklärte mir Grace liebevoll.<br />
Sie zeigte mir den Boulevard St. Germain, und wir gingen<br />
in Richtung Drugstore, einem großen vielseitigen
Geschäft, wo es alles Mögliche zu kaufen gab. Hier sollte<br />
es auch die besten Hamburger von Paris geben<br />
schwärmte Grace.<br />
Aber zunächst gingen wir ins Café Flore, auf der anderen<br />
Straßenseite, gegenüber von Lipp, eins der Restaurants,<br />
in dem die gutbetuchten Menschen von Paris zu<br />
speisen pflegten. Demnach waren auch die Preise für uns<br />
unbezahlbar.<br />
Als wir auf der Terrasse des Café Flore einen freien Tisch<br />
gefunden hatten, bestellte Grace zwei Kaffee, das waren<br />
Espressi, die günstigste Möglichkeit, ein wenig Zeit im<br />
Flore zu verbringen.<br />
Grace erzählte mir, dass in diesem Café noch vor nicht<br />
allzu langer Zeit viele Philosophen aus aller Welt zusammen<br />
saßen, um neue Ideen für eine bessere Welt zu formulieren.<br />
Aber diese Zeit war vorbei, Jean Paul Sartre und seine<br />
Mitstreiter hatten sich längst in anderen Bereichen von<br />
Paris versammelt. Viele reisten zu Vorträgen um die Welt.<br />
Das Café Flore hatte sich als ein Platz für die reichlich<br />
vorhandenen „Pfeffersäcke“ von Paris etabliert, den besser<br />
verdienenden Menschen.<br />
Die Preise wurden angepasst, und so konnten wir uns<br />
nur noch Kaffee leisten, um ein wenig Zeit in dieser Kaderschmiede<br />
höherer Philosophie verbringen zu kön-<br />
144<br />
nen. Ich war gerne dort, und besuchte das Flore später<br />
oft.<br />
Es wurde Abend, Grace lud mich zu einem Hamburger<br />
im Drugstore ein. Wir gingen über den vierspurigen<br />
Boulevard St. Germain, und fanden Platz. Der Hamburger<br />
war wirklich gut, und ich wurde satt davon.<br />
„Komm, ich zeig dir mein Zimmer. „Deine Sachen holen<br />
wir später“, sagte Grace.<br />
Wir gingen ca. 200 Meter um drei Ecken, und dort war<br />
schon das Hotel, indem Grace wohnte.<br />
Zwei schmale Treppen hoch, und Grace schloss ihr Zimmer<br />
auf. Es war sehr klein, aber es gab ein großes Bett<br />
auf das Grace sich gleich fallen ließ. Überall waren ihre<br />
Kleidungsstücke verteilt, sie hatte eine ganze menge davon.<br />
Es gab nur das Bett und eine Waschgelegenheit. „Dusche<br />
ist auf dem Flur“, erwähnte Grace, und zog sich aus.<br />
„Ich bin müde“, sagte sie, „wir können deine Sachen<br />
auch morgen holen“.<br />
Mir war´s egal, ich konnte mir schon vorstellen, dass<br />
mein kleiner Seesack auch am nächsten Tag noch dort<br />
liegen würde, ich wollte mich nun auf Grace konzentrieren.<br />
Allzu müde war sie dann doch nicht.<br />
Ich wurde würdig in der Stadt der Liebe aufgenommen.<br />
Grace zeigte sich als liebevolle, äußerst zärtliche Frau,<br />
die unsere Liebesspiele genoss. Irgendwann in der Nacht<br />
schliefen wir erschöpft ein. Ich hatte wieder ´mal einiges<br />
in Sachen Liebe gelernt, mein Studium dieses Fachs<br />
machte mir große Freude.
Am nächsten Morgen wurde ich durch plätscherndes<br />
Wasser geweckt, Grace stand im Slip vor dem Waschbekken<br />
und putzte sich die Zähne.<br />
„Hi Eric“, begrüßte sie mich, als sie mit dem Zähne-<br />
145<br />
putzen fertig war, „es war sehr schön mit dir, letzte<br />
Nacht. Von mir aus kannst du eine Weile hier bleiben,<br />
wenn du möchtest“<br />
Das gefiel mir gut. Grace kam auf das Bett gesprungen,<br />
um mich wachzuküssen. Sie schmiegte sich mit ihren festen<br />
Brüsten an mich, und erklärte mir, dass sie zum<br />
amerikanischen Konsulat müsse, um irgendwelche Formalitäten<br />
zu erledigen.<br />
“Du kannst ja inzwischen deine Sachen holen, ich lass<br />
dir den Schlüssel und wir treffen uns später bei Popoff“.<br />
Dann zog sie sich an, winkte mich lächelnd und zufrieden<br />
an, und zog die Türe hinter sich zu.<br />
Ich war in Paris, und es ging mir gut. Endlich hatte ich<br />
es geschafft, und dann auch noch auf so angenehme Art.<br />
Nun machte ich mich alleine auf, Paris ein wenig zu erkunden.<br />
Ich hatte eine kleine, sehr belebte, mit Geschäften aller<br />
Art versehende Strasse entdeckt,<br />
Rue St.Andre- des- Arts, die St. Michel und St. Germain<br />
verband.<br />
Ich schaute mir das bunte Treiben in dieser schmalen<br />
langen Strasse genüsslich an.<br />
Ein paar Francs hatte ich noch in der Tasche, und setzte<br />
mich alleine ins Café Flore, und bestellte Kaffee.<br />
Der Kellner schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen<br />
an, und ging zurück ins Café, um den Kaffee zu<br />
holen.<br />
Gut betucht sah ich wirklich nicht aus, mit Jeans, T-Shirt<br />
und Jacke bekleidet, machte ich nicht den Eindruck eines<br />
reichen Mannes.<br />
Trotzdem brachte mir der Kellner meinen Kaffee für 4<br />
Francs, und wusste schon, dass er sicher kein üppiges<br />
Trinkgeld erwarten konnte.<br />
146<br />
Zwei Stunden blieb ich auf dem einen Kaffee sitzen, und<br />
betrachtete die Geschäftigkeit am Boulevard St Germain.<br />
Dann machte ich einen Spaziergang in Richtung<br />
Seine. Es waren nur ca. 10 Minuten bis ich eine andere<br />
Brücke über den Fluss ereichte.<br />
Von dieser prächtigen alten Brücke konnte ich zu meiner<br />
Rechten die eindrucksvolle Kirche Notre Dame sehen,<br />
und nach links gab es viele prachtvolle Brücken zu<br />
bewundern, die ich mir später alle näher anschauen<br />
wollte.<br />
Ich begab mich zurück in die Rue de la Huchette. Dort<br />
traf ich Grace, die mich schamlos mit einer kräftigen<br />
Umarmung und einem heißen Kuss begrüßte<br />
Das gefiel mir, nun waren für alle männlichen Konkurrenten<br />
Fakten geschaffen, Grace hatte ihren Begleiter
gefunden.<br />
Das war der Eric, konnte ich freudig feststellen. Eine<br />
schöne Frau als Begleitung war immer besser, als alleine<br />
auf der Suche zu sein. Man wurde von Typen respektvoller<br />
angesehen und Frauen interessierten sich mehr für<br />
einen Mann in Begleitung einer schönen Frau, warum<br />
auch immer.<br />
Grace zeigte mir viel von Paris, bis hin zu der hoch auf<br />
dem Berg stehenden Prachtkathedrale Sacre Coeur, die<br />
über der Stadt gebaut worden war. Man hatte von dort<br />
die beste Aussicht über ganz Paris. Viele sehr hohe und<br />
breite Treppen führten zum heiligen Herz, es gab aber<br />
auch einen kleinen Aufzug, der über eine Zahnradbahn<br />
nach oben führte.<br />
Wir gingen natürlich zu Fuß, und bei jedem Absatz, die<br />
Treppe war in verschiedenen Teilen hoch gebaut, machten<br />
wir Halt und schauten hinunter auf die immer kleiner<br />
werdenden Autos.<br />
Wenn man kurz vor dem Eingang ankam, gab es noch<br />
147<br />
zwei Treppen mit je 5 Stufen, bis man den Eingang erreichte.<br />
Sehr viele Touristen wieselten auf der Treppe und um<br />
das Gotteshaus herum. Ich war fasziniert von diesem hell<br />
strahlenden Gebäude, mit einer riesigen runden, oben<br />
spitz zulaufenden Kuppel, prachtvoll aus hellen Sandsteinen<br />
gebaut.<br />
Als ich in die Kirche betrat wurde es mir wahrlich heilig<br />
zumute, ich hatte in Griechenland und Rom schon<br />
Einiges gesehen, aber diese mit unendlich vielen Ornamenten<br />
und Heiligenfiguren geschmückte Kathedrale<br />
stand dem Gesehenen in nichts nach.<br />
Auch hatte Sacre Ceur unzählige besonders schöne bunte<br />
Bleiverglaste Fenster, die meine Faszination noch verstärkten.<br />
Das Licht, das sich innerhalb der Kirche verteilte,<br />
wenn die Sonne durch die bunten Fenster schien, war<br />
einfach großartig.<br />
Grace ließ mich völlig alleine diese Pracht bestaunen, sie<br />
hatte Freude ob meiner Begeisterung und hielt sich im<br />
Hintergrund.<br />
Als ich dann genug gestaunt hatte drehte ich mich im<br />
Kreis, um Grace zu finden. Sie stand lässig neben der<br />
Eingangspforte, aus der immer noch mehr Menschen in<br />
die Kathedrale stürmten.<br />
„Na, das hat dir wohl gefallen“, sagte Grace mit einem<br />
freundlichen Lächeln auf den Lippen.<br />
Ich nickte nur mit dem Kopf, mir fehlten die Worte.<br />
„Komm weiter Eric, es gibt hier oben noch mehr zu sehen“,<br />
forderte Grace mich auf.<br />
Wir gingen an der linken Seite von Sacre Coeur herum,<br />
und kamen auf einen Platz, Place du Tertre, auf dem es<br />
von Malern nur so wimmelte.<br />
Sie hatten sich rund um den Platz gesetzt, malten Bilder<br />
in Oel, oder porträtierten die Touristen in allen mögli-
148<br />
chen Formen.<br />
`Mal zeichneten sie genaue Portraits der Köpfe, die sich<br />
ihnen zu Verfügung stellten, und ca. 20 Francs dafür bezahlten,<br />
machten aber auch Karikaturen der Menschen,<br />
die sehr lustig aussahen, das Gesicht der Einzelnen trotzdem<br />
sehr genau wiedergaben.<br />
Innerhalb dieses Rondells der vielen Maler waren Restaurants<br />
angesiedelt, eher für Touristen, die reichlich<br />
Gebrauch davon machten. Die Preise waren dementsprechend.<br />
„Glaubst du ich könnte an der Treppe auf den Bordstein<br />
malen“? fragte ich Grace. „Versuchs doch einfach, ich<br />
hab schon gesehen, dass du Kreide bei deinen Sachen<br />
hast“, antwortete sie.<br />
Ich konnte den nächsten Tag kaum erwarten, wenn das<br />
klappte, dass ich vor der Kathedrale malen dürfte, stand<br />
meinem Überleben in Paris nichts mehr im Wege.<br />
Also machte ich mich nach einer von viel Liebe erfüllten<br />
Nacht auf, mit der Metro zum Sacre Ceur zu fahren.<br />
Ich hatte natürlich meine älteste Jeans angezogen, die<br />
diese blöde Anne schon wegwerfen wollte, ich konnte es<br />
gerade noch verhindern, und wusch sie selbst mit meinen<br />
Händen. Sie war schön sauber, nur mit einigen<br />
Farbflecken besetzt.<br />
Also machte ich es mir an einem besonders guten Platz<br />
gemütlich, setzte mich genau in die rechte Ecke der<br />
zwei letzten, mit nur jeweils 5 Stufen hohen Treppen unter<br />
dem Portal der Kathedrale. Die Touristen strömten in<br />
das Gotteshaus wie die Ameisen, und ich sah vor meinem<br />
geistigen Auge die Taler schon in mein Kästchen<br />
fallen.<br />
Also begann ich neben der Treppe mein Gemälde aufs<br />
Pflaster zu malen. Mein Büchlein mit den Bildern von<br />
Modegliani hatte ich immer bei mir, einige seiner Por-<br />
149<br />
traits der Damen hatte ich schon ohne das Buch zu malen<br />
gelernt.<br />
Allzu lange hatte ich es in der „Heimat“ ja nicht ausgehalten,<br />
so war ich noch immer im Training.<br />
Und ich malte wie nie zuvor, ich ließ mir sehr viel Zeit,<br />
um die Portraits auch gut aussehen zu lassen. Ich konnte<br />
schließlich nicht pfuschen, ob der vielen Maler auf<br />
dem Platz, von dem meine Malfläche nicht einsehbar<br />
war.<br />
Und die Touristen strömten nur so an mir vorbei, schauten<br />
erstaunt auf meine Beschäftigung, und ließen ihr<br />
Münzgeld in mein unterhalb des Bildes stehendes Kästchen<br />
fallen.<br />
150<br />
Kapitel 19<br />
Dann kam das Unvermeidliche, die Polizei. „Ihre Papiere<br />
bitte“, sagte einer der beiden in dunkelblauen Uniformen,<br />
mit großen Colts bewaffneten Gesetzeshüter.
Ich fingerte meinen Personalausweis aus der hinteren<br />
Hosentasche, und übereichte ihn den Gendarmen.<br />
Sie kontrollierten den noch fast neuen Ausweis, machten<br />
einen Funkspruch, und gaben mir den Ausweis nach 2<br />
Minuten zurück. „Na dann, gutes Geschäft“, sagten die<br />
Beamten, und ließen mich gewähren.<br />
Ich konnte es kaum glauben, mein Arbeitsplatz war sicher,<br />
hier würde man mich also nicht fortschicken.<br />
Tausend Gedanken durchströmten mein Hirn, ich<br />
konnte Geld verdienen, und endlich da bleiben, wo ich<br />
schon seit Jahren hinwollte, in Paris.<br />
Meine Freude war bestimmt sichtbar, und ich machte<br />
mich fleißig weiter an meinem Portrait zu schaffen, das<br />
längst fertig war, aber arbeitend gaben die Leute eher etwas<br />
von ihrem schwer verdienten Geld, als wenn ich nur<br />
über meinem Bild saß.<br />
Ich hatte Hände und Hose mit Kreide voll, aber das<br />
machte mir nun überhaupt nichts aus, das gehörte dazu,<br />
und das Geld klingelte nach und nach in meine Kasse.<br />
Ich hatte mich aber auch an einer Stelle platziert, wo die<br />
Busse der Touristen anhielten, ihr erster Blick fiel auf<br />
meinen Modegliani. Diesen Umstand hatte ich nicht berechnet,<br />
das hatte ich noch nicht gemerkt, als ich genau<br />
dort zu malen begann. Aber etwas Glück sollte mir jetzt<br />
vergönnt sein, Paris liebte mich, und ich liebte Paris.<br />
Am frühen Nachmittag hörte ich es hinter mir rascheln,<br />
da hatte Jemand einen Schein in meine Kasse geworfen.<br />
Als ich mich herumdrehte standen dort Grace und eine<br />
151<br />
französische Freundin, und lachten mich an<br />
„Das klappt ja ausgezeichnet mit deiner Arbeit, wie ich<br />
an deinem gut gefüllten Kästchen sehen kann“, sagte<br />
Grace lachend, und stellte mir Monique, eine Freundin<br />
vor.<br />
„Hallo Eric“, sagte sie auf Französisch, „ ich hab schon<br />
von die gehört“. Sie war ein gut aussehendes, ca. 18 Jahre<br />
altes Mädel, das einiges in ihren engen Jeans zu bieten<br />
hatte. Blondes langes Haar reichte ihr bis weit über den<br />
Rücken, bis hinunter auf ihren knackigen Po.<br />
„Wir haben dir einen Schein in die Kasse gelegt, pass<br />
gut auf ihn auf, vielleicht animiert der die Leute, auch<br />
´mal einen Papiergeld zu spendieren.“ lachte Grace. „<br />
Deine Arbeit ist gut, und den Zehner hast du verdient“,<br />
bemerkte sie, „wir sehen uns heute Abend bei Popoff“,<br />
erwähnte sie noch, und die beiden Mädels winkten mir<br />
zum Abschied zu, bevor sie die vielen Stufen hinuntergingen.<br />
Als ich am Abend gegen 19 Uhr mein „Geschäft“<br />
schloss, begann ich in einer entfernten Ecke das Geld zu<br />
zählen, ich hatte mir immer wieder etwas eingesteckt,<br />
wenn mein Kästchen zu voll war.<br />
Ich traute meinen Sinnen nicht, als ich das Geld gezählt<br />
hatte, mit dem Schein von Grace hatte ich 289 Francs<br />
verdient.
Das hätte ich nicht erwartet, so viel Geld hatte ich mit<br />
meiner Modeglianerei noch nirgendwo gemacht. Ich<br />
war überglücklich und machte mich auf, um Grace von<br />
diesem Erfolg zu berichten, und sie zu einem Hamburger<br />
und Wein einzuladen. Grace liebte französischen<br />
Wein, und wenn sie leicht angetrunken war, profitierte<br />
ich in der Nacht davon.<br />
Grace hatte in ihrer Botschaft schlechte Nachrichten erhalten,<br />
und musste kurzfristig in die USA.<br />
152<br />
„Du kannst mein Zimmer behalten, es ist noch bis zum<br />
Ende des Monats bezahlt“, offerierte sie mir. „Ich würde<br />
das schon gezahlte Geld sowieso nicht zurückbekommen“,<br />
sagte sie noch.<br />
Sie packte ihre Sachen in einen großen Koffer, und verabschiedete<br />
sich herzlich von mir. „Du brauchst nicht<br />
mit zum Flughafen zu kommen“, sagte sie noch, „ich<br />
hasse übertriebene Verabschiedungen“.<br />
„Es war sehr schön dich kennen gelernt zu haben, und<br />
ich freue mich sehr, dass du in Paris überleben kannst“,<br />
sagte sie bevor sie ging, „vielleicht sehen wir uns ja bald<br />
wieder, ich komme sicher zurück wenn in Texas alles geregelt<br />
ist“, sagte sie und war schnell aus der Türe verschwunden.<br />
Ihren ziemlich großen Koffer trug sie als<br />
wäre er nicht gefüllt, ich hatte schon früher gemerkt, die<br />
Frau hatte Kraft.<br />
Wir schrieben den 19. des Monats Mai, und ich hatte also<br />
noch elf Tage freies Wohnen, und die Aussicht, das<br />
Zimmer mit meinen Verdiensten behalten zu können.<br />
Ich machte mich gleich auf, die Eigentümerin der Pension<br />
zu finden, und die Sache mit ihr zu regeln. „Kein<br />
Problem“, sagte sie, „Hauptsache ich bekomme meine<br />
Miete pünktlich“.<br />
Ich hatte ein richtiges Zuhause gefunden, ich war ´mal<br />
wieder ein glücklicher Mensch. Und die Aussichten waren<br />
sonnig.<br />
So ging ich dann Tag für Tag zu meiner Malerecke am<br />
Sacre Coeur, und malte Portraits. Manchmal besorgte<br />
ich mir Wasser in einem Café, in das ich öfters ging, und<br />
wo ich schon bekannt war, holte mir einen Eimer, einen<br />
Lappen, und wischte das aktuelle Bild vom Bordstein,<br />
begann mit einem anderen Gemälde. Ich brauchte zumeist<br />
nur die Farben zu ändern, die von Modegliani gemalten<br />
Frauenportraits glichen sich sehr, obwohl die<br />
153<br />
Gesichter nie dieselben waren. Die Portraits so hinzubekommen,<br />
wie der große Meister sie in Öl gemalt hatte,<br />
war oft schon schwierig, aber ich meisterte die Arbeit<br />
letztlich.<br />
Ich traute mich nicht an andere Gemälde, ich war schon<br />
mit Modegliani-Portraits gefordert. Wenn ich an all die<br />
wirklichen Maler, die studiert hatten, und sich auf dem<br />
Place de Tairtre verdingen mussten dachte, kam mir die
Scham. Aber ich musste überleben, so wischte ich solche<br />
Gedanken beiseite.<br />
Ich verdiente täglich gut. Oft kam ich erneut an die 300<br />
Francs, ab und zu verdiente ich nur einen Hunderter.<br />
Aber auch das war sehr viel Geld für meine kleinen Verhältnisse,<br />
schließlich kostete mein Zimmer nur 20<br />
Francs pro Nacht. Ich bezahlte immer für eine Woche<br />
vorab, dann hatte ich Ruhe.<br />
Die Polizei kam leider oft kontrollieren, mein Ausweis<br />
litt sehr unter den meist täglichen Besuchen. Er wurde<br />
wieder bunt, obwohl ich mich bemühte, ihn sauber zu<br />
halten. Aber meine Hände waren stets mit Kreide voll,<br />
die ich ja ständig verreiben musste, um Farbe zu verteilen,<br />
oder andere Farbtöne zu kreieren.<br />
Das Geschäft florierte, das war die Hauptsache.<br />
So etwas hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen<br />
nicht vorgestellt, so viel Geld mit Pflastermalerei zu verdienen,<br />
es war wie ein Wunder. Irgendjemand weit hoch<br />
über der Kathedrale hielt seine Hand über mich, und<br />
ließ die Taler in meine Kasse klimpern.<br />
Schon bald musste ich mir einen neuen Karton Kreide<br />
kaufen, ich hatte schnell alles aufgebraucht. Aber ich hatte<br />
„es“ ja, pas des Problémes.<br />
Glücklicherweise hatte ich direkt am Sacre Coeur keine<br />
Konkurrenz, die linke Seite neben der Treppe war dunkel,<br />
und nicht gut einsehbar. Außerdem hielten die Tou-<br />
154<br />
ristenbusse einige Meter vor meinem Gemälde, ich war<br />
der erste „Künstler“, den sie auf ihrer Tour zur Kathedrale<br />
und zum Place de Taitre begegneten. So bekam ich<br />
ihre erste Spende auf dem Weg zu den wirklichen Malern<br />
Die Kohle floss, und ich hatte mir bei Popoff schon einige<br />
Freunde und Freundinnen gemacht.<br />
Oft lud ich einige von ihnen zu Wein oder auch Essen<br />
ein, was sie zu schätzen wussten.<br />
Nie hatte ich auch nur die geringsten Probleme in Paris,<br />
und war schon weit über einen Monat hier. Mein<br />
Zimmer hatte ich ein wenig gemütlich gemacht, einige<br />
Poster an die Wände gehängt, ich fühlte mich wohl.<br />
Ein Mädel kam natürlich auch ab und an mit in mein<br />
Zimmer, aber ich legte mich auf Keins fest, die Richtige<br />
war noch nicht gefunden.<br />
Bis Monique wieder auf der Szene erschien, die Freundin<br />
von Grace, die mich bei meiner Arbeitsstelle besucht<br />
hatte. Monique gefiel mir sehr, und ich begrüßte sie<br />
herzlich auf Französisch. „Hallo Eric“, sagte sie, „ich war<br />
einige Zeit nach Nizza gereist, wo ich einen Job zu machen<br />
hatte. Habe gut verdient da unten“.<br />
„Wollen wir essen gehen“, lud ich sie ein, und sie hatte<br />
nichts dagegen. So hatte ich die Frau schon ´mal aus<br />
der gierigen Meute anderer Frauenjäger in Sicherheit<br />
gebracht.<br />
Sie gefiel mir sehr, und beim Essen kamen wir uns
schnell näher. Sie erzählte von ihren Reisen, sie war mit<br />
Grace gemeinsam in Istanbul gewesen.<br />
Da auch ich etwas zu erzählen hatte, verging die Zeit<br />
wie im Fluge, und es war mittlerweile später Abend geworden.<br />
„Wo übernachtest du heute“, fragte ich sie, und<br />
sie zog nur die Schultern hoch, während sie mich anschaute.<br />
„Willst du mit zu mir?“, fragte ich direkt. Sie<br />
155<br />
nahm mich bei der Hand, und wir gingen in mein Hotelzimmer.<br />
Das Zimmer kannte sie schon, sie war mit Grace öfters<br />
hier gewesen. Sie hatte eine kleine Reisetasche, und<br />
wollte erstmal duschen.<br />
Das fand ich gut, denn auch ich musste mich säubern.<br />
„Eric, ich gehe alleine, und bitte denk nicht, dass ich<br />
heute mit dir schlafe, bei mir geht das nicht so schnell“,<br />
gab sie mir ob meiner Freude auf sie als kleinen Dämpfer<br />
mit auf den Weg ins Zimmer. Sie war eine so schöne<br />
Braut und ich musste brav bleiben.<br />
Sie kam zurück aus der Dusche, ein großes Handtuch<br />
um den Körper gewickelt, und kämmte sich die langen<br />
nassen Haare. „So, jetzt kannst du duschen gehen“, sagte<br />
sie mir lächelnd.<br />
Ich packte mir ein Handtuch, Schampon und Seife, und<br />
meine schmudellige Hose. Ich duschte in der heißen<br />
Flut, wusch meine mittlerweile ziemlich langen Haare,<br />
und säuberte die Jeans, so gut es ging, ich hatte mir natürlich<br />
schon eine zweite Arbeitshose angeschafft.<br />
Nachdem ich aus dem Bad kam, lag Monique schon fest<br />
schlafend an der Fensterseite des Betts. Ich hängte leise<br />
meine Hose nach draußen und schlüpfte unter die noch<br />
freie Seite des großen Betts. Auch ich war schnell eingeschlafen,<br />
ich war müde von den zwei Gläsern Wein, die<br />
ich beim Essen getrunken hatte.<br />
Irgendwann in der Nacht spürte ich plötzlich Hände auf<br />
meinem Körper, die mich sanft streichelten, und langsam<br />
in Richtung meiner Körpermitte langten. Ich öffnete<br />
die Augen, und sah Monique über meinem Gesicht, die<br />
mich anlächelte, und mich sofort inbrünstig küsste.<br />
Schnell war ich hellwach, und ließ die Frau gewähren,<br />
ich fühlte den nackten Körper einer schönen Frau.<br />
Monique nahm das Heft in die Hand, und setzte sich<br />
156<br />
auf mich, wobei sie ihre sehr langen Haare stets nach<br />
hinten zusammenzulegen versuchte.<br />
Aber diese Haarpracht verteilte sich immer wieder über<br />
ihren gesamten Oberkörper, und verdeckte auch ihre<br />
schönen Brüste.<br />
Dann nahm ich ihre Haare auseinander, denn ihre leicht<br />
schaukelnden Brüste waren einen Blick wert. Ich hatte<br />
ein kleines Licht angemacht, meine Augen auf diese Frau<br />
gerichtet reizte mich sehr. Irgendwann schrie sie leise,<br />
ließ ihren Körper auf mich fallen, und rollte dann langsam<br />
von mir hinunter. Ich hatte meinen Höhepunkt
schon erreicht aber ich blieb so lange stark, bis auch Monique<br />
ihren Orgasmus erreicht hatte. Das hatte ich schon<br />
gut gelernt bei meinen Eskapaden.<br />
„Du wolltest doch nicht mit mir schlafen“, sagte ich zu<br />
ihr, aber sie lächelte nur zufrieden und sagte, „ ich hab’s<br />
mir eben anders überlegt, als ich eben wach wurde, sah<br />
ich einen netten Jungen neben mir schlafen, und ich<br />
konnte nicht anders, als ihn zu wecken“.<br />
Dies sollte eine längere Geschichte werden, gegen die<br />
ich nichts einzuwenden hatte. Jedenfalls wurden meine<br />
Französisch Kenntnisse in jeder Beziehung Tag und<br />
Nacht intensiviert.<br />
Wie jeden Vormittag machte ich mich auf zur Kathedrale<br />
Sacre Ceur und übermalte meine Bilder. Täglich<br />
machte ich gutes Geld, das ich auf eine Bank brachte, ich<br />
hatte mein erstes Konto eröffnet. Ich bekam sogar ein<br />
Scheckheft, das war in Frankreich so üblich.<br />
Stolz verließ ich die Bank am Boulevard St. Germain,<br />
und ging zunächst zu Popoff, um Bekannte zu treffen.<br />
Monique hatte sich auch schon eingefunden, und sie begrüßte<br />
mich herzlich mit einem nassen Kuss auf die Lippen.<br />
„Komm, wir gehen feiern“, lud ich sie ein, ich wollte<br />
157<br />
´mal mit Scheck bezahlen. Wir fanden ein kleines, gut<br />
besuchtes Restaurant am oberen Ende des Boulevards,<br />
und begaben uns hinein.<br />
Zunächst bestellten wir eine Flasche Wein, und studierten<br />
die Speisekarte.<br />
„Nimm was immer du willst“, animierte ich Monique,<br />
die mich staunend ansah. Sie wusste zwar, dass ich bei<br />
meiner Malerei gut verdiente, jedoch hatte ich sie so<br />
noch nie eingeladen. Letztlich bestellten wir Pfeffersteaks,<br />
und aßen mit Freude und Genuss.<br />
Ich bezahlte stolz mit Scheck, und Monique staunte<br />
nicht schlecht. „Verdienst du so gut da oben“, fragte sie<br />
mich, ich antwortete nur mit Schulterzucken.<br />
Monique hatte selbst Geld, sie bekam einen monatlichen<br />
Scheck von zu Hause in Fregues, einem kleinen Ort am<br />
Mittelmeer.<br />
Das Mädel war ziemlich angetörnt nach der Flasche<br />
Wein, von der ich nur ein Glas getrunken hatte.<br />
„Komm, Eric, wir gehen ins Hotel“, lud sie mich ein.<br />
Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, auch mir war<br />
nach Liebe zu Mute.<br />
Erst gingen wir gemeinsam in die Dusche, und spielten<br />
obszön mit der Seife, bis Monique sich auf den Boden<br />
der heißes Wasser sprühenden Dusche gleiten ließ. Sie<br />
nahm mein bestes Stück zwischen ihre drallen Lippen,<br />
und saugte mich aus, bis ich völlig entleert war.<br />
Wir trockneten uns ab, und ließen uns zufrieden auf das<br />
große Bett fallen. Nach 10 Minuten Pause machte Monique<br />
sich erneut über mich her, sie hatte ihr langes<br />
Haar zu einem Zopf zusammen gebunden. Wir fögelten
is in die frühen Morgenstunden in allen Variationen, das<br />
Steak hatte Kraft gegeben. Den Rest besorgte meine<br />
Freundin. Ich musste mich nicht sonderlich anstrengen,<br />
sie saß gerne oben auf.<br />
158<br />
Mittlerweile teilten wir uns die Miete des Hotels, jeder<br />
zahlte 10 Francs pro Nacht. Damit konnten wir entspannt<br />
leben, und bezahlten jetzt monatlich, ich wollte<br />
noch einige Zeit in Paris bleiben.<br />
Als der Sommer sich ankündigte musste Monique sich<br />
Verabschieden, ihre Eltern hatten ein Restaurant im Süden<br />
Frankreichs, und sie musste während der Saison mitarbeiten.<br />
„Tschau Eric, die Zeit mit dir werde ich nie vergessen,<br />
du hast mein Leben außerordentlich bereichert“, sagte<br />
sie lächelnd zu mir, als sie sich verabschiedete.<br />
„Monique, auch mit dir hatte ich eine schöne erfahrungsreiche<br />
Zeit“, sagte ich frivol lächelnd. „Cochon“,<br />
antwortete sie lachend, und zog mich ein letztes Mal<br />
zärtlich an den Haaren, was sie bei unseren Spielchen oft<br />
getan hatte. Dann noch ein langer feuchter Kuss und ich<br />
schloss die Türe hinter ihr zu, legte mich aufs Bett, und<br />
ließ unsere Affäre Revue passieren. Ich kam zu positiven<br />
Erkenntnissen.<br />
.<br />
159<br />
Kapitel 20<br />
Eigentlich war ich sehr froh, jetzt ´mal alleine zu sein,<br />
die fast tägliche Fögelei hatte mich schon geschafft. Monique<br />
war in dieser Hinsicht einfach grenzenlos. Ich<br />
weinte ihr eine kleine Träne nach, da ich sie recht lieb<br />
gewonnen hatte. Ich lag immerhin über 2 Monate mit<br />
ihr in einem Bett.<br />
Das Hotel war noch für drei Wochen bezahlt, und ich<br />
beschloss diese Tage zu genießen so gut es ging, vielleicht<br />
eine andere Partnerin finden, nur für gelegentliche<br />
Abenteuer, nichts Festes, das hatte ich zu Genüge genossen.<br />
Frauen gab es ohne Ende in Paris. Man musste nur im<br />
rechten Moment zugreifen, und das Ding ging ab, so wie<br />
ich es wollte. Ich war ein gelehriger Schüler und stets für<br />
Neues offen.<br />
Ich ging auch nur noch wenige Tage auf den Berg der<br />
Kathedrale, verdiente gutes Geld, und übergab meinen<br />
Platz einem würdigen Nachfolger, den ich von Popoff<br />
kannte, und der wirklich malen konnte. Ich schenkte<br />
ihm auch meine Kreide, meine Arbeit war beendet, ich<br />
hatte genug Geld, um einige Monate locker leben zu<br />
können. Meine Lust an Modegliani hatte sich auch völlig<br />
erschöpft, mein Büchlein war so mit Farben der Kreide<br />
übersäht, ich warf es in die Saine, nicht in einen Papierkorb.<br />
Nun flossen die schönen Arbeiten des Meisters<br />
Richtung Meer, ich wollte bald hinterher kommen.<br />
Als die Tage des Aufenthalts im Hotel gezählt waren,<br />
packte ich meine Sachen, verschenkte meinen Schlafsack,
über den Marc, ein lieber Mensch, den ich auch bei<br />
Popoff kennen gelernt hatte, und mit dem ich einige<br />
Züge durch die Pariser Viertel gezogen war, sehr freute.<br />
160<br />
Marc kannte sich aus in Paris, er hatte mich einmal sogar<br />
überredet, mit ihm nach Versailles zu fahren, was mir<br />
erst suspekt war, mich aber letztendlich sehr beeindruckte.<br />
Ich trat ´mal wieder eine Reise an, Paris hatte ich für<br />
meine Bedürfnisse zu Genüge studiert.<br />
Die Rue National 7 war mein erstes Ziel, die Strasse, die<br />
bis Marseille führte. Auf die Stadt hatte ich zwar nur wenig<br />
Lust, aber an die Cote ´d azur wollte ich unbedingt<br />
noch für eine Woche, oder eine Zeit, die mir gefiel genießen.<br />
Geld hatte ich reichlich verdient, Schecks hatte ich<br />
glücklicherweise zu Genüge.<br />
Nur die langen und teuren Fahrten mit der Bahn wollte<br />
ich nicht bezahlen, trampen machte viel mehr Spaß.<br />
Man lernte nette Menschen kennen, denn nur solche<br />
nahmen einen mit, und man kam auch in die entlegensten<br />
Gefilde Frankreichs, die man in einem Zug nie kennen<br />
gelernt hätte.<br />
Nach zwei Tagen hatte ich das Meer vor Augen, und unter<br />
den Füßen.<br />
Ich war schnell vorangekommen, und landete in Nizza,<br />
wo mich mein letzter Chauffeur absetzte. Es war heiß,<br />
die Sonne knallte unbarmherzig auf meinen Schädel.<br />
Das hatte ich ja auch so gewollt, aber ausgerechnet im<br />
Juli hierher zu kommen war keine gute Idee. Es war einfach<br />
zu brennend.<br />
Somit blieb ich nur wenige Tage an der Cote, und machte<br />
mich nach ca. einer Woche von Frejues auf den Weg<br />
zurück nach Norden. In meine Stadt der Liebe, die ich<br />
herzlich verehrte.<br />
Die professionellen Liebesdienerinnen von Paris werde<br />
ich auslassen, obwohl ich einige von ihnen näher kennelernen<br />
durfte, viel von ihnen bekommen und gelernt<br />
161<br />
hatte. Sie beschenkten mich reich, und hielten mich längere<br />
Zeit gut am Leben. Gott segne sie.<br />
162<br />
Kapitel 21<br />
Nachdem ich Paris den Rücken gekehrt hatte, reiste ich<br />
noch fast ein Jahr durch Italien, die Autostrada del Sole<br />
´rauf und runter.<br />
Ich lernte viele Städte, z.B Padua, 50km von Venedig<br />
entfernt, wo ich aber nie hinfuhr, vielleicht will alle<br />
dorthin wollten, und auch die Sprache kennen.<br />
Viel von der Sprache blieb später mangels Übung etwas<br />
auf der Strecke. Aber nicht völlig.<br />
Ich wurde bald 18 Jahre alt, und suchte neue mir noch<br />
unbekannte Gefilde in Europa.<br />
Ich war fast 4 Monate in Padua, eine Studentenstadt mit<br />
vielen Arkaden geschmückt, die aus alter Vorzeit stammten.
Dann war ich auch noch´mal für einige Monate in<br />
Rom, die architektonisch schönste Stadt Europas für<br />
mich.<br />
Ich fuhr erneut nach Napoli, machte auch einen Trip<br />
nach Palermo auf Sizilien, ein Moloch von Stadt, der<br />
mich aber nicht sonderlich begeistern konnte.<br />
Capri besuchte ich noch für einige Wochen, sehr beeindruckendes<br />
Flair auf der Insel.<br />
Um Geld brauchte ich mich nie zu sorgen, es waren<br />
´mal wieder die schönen Frauen, die mich, ich weis<br />
nicht warum, liebten, und unterhielten ohne Fragen zu<br />
stellen.<br />
Fantasie hatte ich in jeder Hinsicht, und lernte, dass diese<br />
bei Frauen immer gut ankam.<br />
Ein Bekannter, Jean aus Belgien, überredete mich bei einem<br />
Aufenthalt in Rom, mit ihm nach Brüssel zu fahren,<br />
er sagte die Szene dort sei sehr aufregend, und es gäbe<br />
Frauen en masse, die nur darauf warteten, dass ich<br />
dort auftauchte.<br />
163<br />
So denn, warum nicht, dachte ich mir, ich wollte sowieso<br />
neue Plätze dieser Welt erkunden.<br />
Ab ging’s nach Brüssel, das wir irgendwann im Frühjahr<br />
1967 erreichten.<br />
. Ich hatte mir in Rom einige Kleidungsstücke angeschafft,<br />
neue Jeans, Hemden, die ich noch stets über der<br />
Hose trug und ein schönes Jackett aus braunem Leder.<br />
Dies war mein Lieblingsstück. Eine lohnende Anschaffung.<br />
Ich fühlte mich gut in der Jacke, die zum Glück nicht<br />
allzu neu aussah, aber auch nicht als alt zu definieren<br />
war. Es war eine Lederjacke, die schon ein paar Jahre Geschichte<br />
hinter sich hatte, älter, aber immer gepflegt.<br />
Ich fühlte mich stark in der Jacke und in jeder Situation<br />
unwiderstehlich.<br />
Stiefel hatte ich mir auch gekauft, ich war schon immer<br />
heiß auf gute Stiefel, die ich nur aus Cowboyfilmen<br />
kannte. Ich hatte spanische Stiefel erstanden, abgerundet,<br />
und mit einem 5 cm hohen Absatz. Sie reichten mir bis<br />
hoch in die Waden. Ich war stolz wie Oskar mit diesen<br />
wunderbaren Lederstiefeln und der gleichfarbigen Jacke,<br />
ich war nicht mehr als Beatnik auszumachen.<br />
( Nochmals Dank an die Bordsteinschwalben von Paris.)<br />
Und das war gut so, ich hatte das gammeln leid, ich wollte<br />
anders leben, die Strasse und die Parks mochte ich<br />
nicht mehr. Meinen Schlafsack hatte ich ja schon abgeschafft,<br />
und mit meinem Konto war noch Einiges zu<br />
machen.<br />
Brüssel zeigte sich als wunderschöne Stadt. Als wir durch<br />
die außerhalb der Innenstadt liegenden Viertel, in denen<br />
Afrikaner aus allen Belgischen Kolonien angereiste arme<br />
Menschen lebten, hinter und gelassen hatten, und auf<br />
den „Grand Place“ kamen, war ich gleich fasziniert. Der<br />
Platz war 110 Meter lang, 70 Meter breit, wie Marc mir
164<br />
erklärte. Die ihn säumenden Gebäude zeugten von der<br />
glanzvollen Vergangenheit der Handwerkerzünfte, das<br />
gotische Rathaus und alte Zunfthäuser mit prachtvollem<br />
Renaisance-und Barockgiebeln, zeigten ein einzigartiges<br />
Ensemble. Besonders abends, als wir den Grande<br />
Place erreichten, waren die Häuser rundum erleuchtet,<br />
und ergaben einen prächtigen Glanz.<br />
Rund um den Grande Place tobte Tag und Nacht das<br />
Leben, es war sehr viel anders als in Paris, wo alles ziemlich<br />
diskret abging, hier in Brüssel tönte Musik aus den<br />
Cafés und die vielen Discotheken luden zu Besuch ein.<br />
Ich wusste gleich, hier würde ich einige Zeit verbringen,<br />
ich war von der Stadt sofort hellauf begeistert. Und endlich<br />
viel Musik um mich herum.<br />
Ich suchte mir ein kleines Hotel in der Nähe des Grande<br />
Place, und ich fand ein Zimmer für 25 französische<br />
Francs pro Nacht, es war groß, und hatte ein bequemes<br />
Doppelbett. Die Dusche war im Zimmer, was mir sehr<br />
gefiel. Der Preis war O.K., ich hatte noch einige Barschaft<br />
auf meinem Konto, das ich am nächsten Tag belasten<br />
musste.<br />
Aber ich machte mir keinerlei Sorgen, ich würde mich<br />
auch hier durchzuschlagen wissen.<br />
Ich ging früh schlafen, Marc war bei Freunden der Familie<br />
untergekommen, und ich schlief bis in den späten<br />
Vormittag. Das Frühstücksbuffet war schon geräumt.<br />
Also machte ich mich auf, ein Café zu finden, in dem ich<br />
frühstücken konnte. Gleich um die Ecke des Hotels fand<br />
ich das Café, und mit Musikbegleitung leistete ich mir<br />
viel Kaffee und reichlich Croissants, ich war hungrig.<br />
Das mit der Musikbegleitung gefiel mir direkt gut, man<br />
spielte moderne Musik der von mir geliebten Beatles,<br />
den Rolling Stones, James Brown, der erst seit kurzer<br />
Zeit seine Karriere in Europa begann, und vielen ande-<br />
165<br />
ren Rock und Soul Interpreten.<br />
Ich schlenderte durch die Stadt, überquerte den Grand<br />
Place, und erkundete die kleinen Nebenstrassen.<br />
Überall gab es Angebote jeder Art. Boutiken und Cafes<br />
reihten sich aneinander wie verschiedenfarbige Perlenketten,<br />
und das Leben pulsierte in einer Art, wie ich es<br />
noch selten gesehen hatte.<br />
Alle möglichen Kulturen vermischten sich in den Strassen,<br />
in Paris war dies zwar auch so, aber dort waren einzelne<br />
Wohnstädte, die Kulturen auseinander hielten, dort<br />
hatte jede Völkergemeinschaft ihr eigenes Viertel.<br />
Hier in Brüssel war die große Völkergemeinschaft, jeder<br />
konnte mit Jedem, und das in Frieden.<br />
Es war nun Mittag, und ich setzte mich in ein Café, aus<br />
dem für mich sehr gute Musik herausklang. Ich trank<br />
Milchkaffee, und hatte Freude an den vorüber flanierenden<br />
Menschen und der Musik.
Überhaupt spielte hier in Brüssel die Musik eine weit<br />
größere Rolle in der Unterhaltung der Leute, als in Paris.<br />
Dort musste man in teure Clubs gehen, um Musik u<br />
hören.<br />
Es war Herbst geworden, die Tage wurden kürzer, die<br />
Sonne zeigte sich nur noch selten.<br />
Langsam begann ich mich in Brüssel auszukennen, ich<br />
fand einen Club, indem Musiker verkehrten.<br />
Ich hörte dass eine Band, „Le Clan“, einen Schlagzeuger<br />
suchte. Die Band hatte schon eine Platte veröffentlich,<br />
und war seit einiger Zeit nicht mehr so recht im Geschäft.<br />
Mutig wie ich war, ich hatte im Heim etwas Schlagzeug<br />
spielen gelernt, stellte ich mich Luc, einem der Gitaristen<br />
der Band vor, und sagte ich könne Schlagzeug spielen.<br />
Er war hoch erfreut, stellte mich seinen Mitstreitern vor,<br />
166<br />
da waren der Bassist Jean, ein weiterer Gitarist Martin,<br />
und ein Manager mit Namen Gilbert.<br />
Alle waren Belgier, und sie probten immer in einem<br />
Studio, wo auch Adamo, ein international bekannter<br />
Chancionier arbeitete.<br />
„Wann hast du Zeit“, fragten mich die Jungs, und ich<br />
antwortete: „immer“.<br />
Ich erklärte ihnen, dass ich lange in Italien gewesen war,<br />
und nun nicht wusste, was ich in Brüssel machen sollte,<br />
mir die Stadt aber gefiel, und ich hier bleiben wolle.<br />
167<br />
Kapitel 22<br />
„Dann gehen wir gleich morgen proben“, sagte Luc,<br />
und wir verabredeten uns am nächsten Morgen um 11<br />
Uhr im gleichen Café.<br />
Jetzt war ich aber mit dem Mut der Verzweiflung in eine<br />
Falle getappt, die ich mir selbst gestellt hatte, ich sollte<br />
Schlagzeuger werden. Ich war zwar rhythmisch sehr<br />
gut dabei, und im Heim klappte das auch ganz gut, an<br />
einen professionellen Job hatte ich aber nie gedacht.<br />
Ich schlief sehr schlecht die nächste Nacht, ich sah mich<br />
immer hinter einem riesigen Schlagzeug sitzen, das immer<br />
bedrohlicher größer wurde, bis ich nicht mehr zu<br />
sehen war.<br />
Dann wachte ich Schweißgebadet auf, und wusste, dass<br />
ich mich nun den Tatsachen stellen musste.<br />
Ich ging ich in die Dusche, und ließ den Schweiß der<br />
Nacht mit viel warmen Wasser von meiner Haut fließen.<br />
Gegen 8 Uhr ging ich erstmal Frühstücken, ich hatte<br />
noch 3 Stunden bis zum Moment der Wahrheit. Ich<br />
zweifelte zwar an meinem Können, auf der anderen Seite<br />
könnte es natürlich auch sein, dass ich mich in die Sache<br />
hineintrommeln konnte, und doch gut war. Aber ich<br />
zweifelte stark, hier waren Profis am Werk.<br />
Und so kam der Augenblick der Entscheidung, die Jungs<br />
holten mich ab, wir fuhren in das etwas außerhalb von<br />
Brüssel gelegene Studio, und gingen in den Proberaum.
Mir war flau im Magen, wir waren hier im Studio, in<br />
dem auch Adamo aufnahm, also absolut professionell.<br />
Viele Instrumente standen in den Räumen herum, und<br />
auch ein großes Schlagzeug stand bedrohlich in einer<br />
Ecke.<br />
Die Jungs stöpselten ihre Instrumente in die Verstärker,<br />
168<br />
der Manager setzte sich an ein Mischpult, und luc sagte:“<br />
Wir jammen erstmal nur ein bisschen“.<br />
Und los ging’s, die Musiker ließen ihre Gitarren aufheulen,<br />
ich hatte die Schlagzeugstöcke aufgenommen, und<br />
hämmerte auf das Schlagzeug ein. Auch mit den Füssen<br />
konnte ich Hiatt und Bassdrum betätigen, soviel hatte<br />
ich gelernt. Aber ich kam immer wieder aus dem<br />
Rhythmus.<br />
„Das klappt wohl nicht so recht“, sagte Luc schnell, „sicher<br />
hast du lange nicht gespielt“.<br />
„Ja, ich hab echt keine Übung mehr, außerdem hab ich<br />
noch nie mit Profis gespielt“, antwortete ich schüchtern.<br />
Den Musikern war klar geworden, dass ich kaum spielen<br />
konnte, ein Anfänger war. Aber sie machten sich<br />
nichts draus.<br />
Sie klopften mir auf die Schulter, und der Manager Gilbert<br />
setze sich an die Drums. Da ging aber die Post ab,<br />
der Typ war erste Sahne, sie spielten sicher einen halbe<br />
Stunde, und mir gefiel der rockige Sound dieser Band.<br />
Die Jungs machten dann die Verstärker aus, Gilbert legte<br />
die Stöcke auf die Trommel, und sie luden mich auf einen<br />
Drink in der Stadt ein. „Sag schon, du hast doch sicher<br />
noch nie mit einer Band richtig gespielt“, neckte<br />
mich Martin lachend, und ich gab zu, ein echter Anfänger<br />
zu sein. „Lass ihn doch“, sagte Luc, „er hat’s versucht,<br />
das war mutig“.<br />
Nun erzählte ich den dreien, dass ich unbedingt in Brüssel<br />
bleiben wollte, und ihr Angebot für mich ein Rettungsanker<br />
war, auch hier leben zu können.<br />
Es hätte ja sein können, dass es doch klappte. „Wo<br />
wohnst du denn hier“, fragte Luc, und ich erklärte, dass<br />
ich im Hotel wohne. „Aber das ist doch nicht nötig, wir<br />
haben im Haus ein freies Zimmer“, sagte Luc sofort, “<br />
169<br />
du kannst bei uns wohnen“. „Oder hat jemand was dagegen?“<br />
schaute Luc in die Runde.<br />
Niemand hatte etwas dagegen, wie sich schnell herausstellte,<br />
die Jungs zeigten sich als sehr gastfreundlich und<br />
liebenswürdig.<br />
Wir holten meine wenigen Sachen aus dem Hotel, und<br />
ich bezog ein Zimmer im Haus des „Clans“, an einer<br />
Haupststrasse mitten in Brüssel gelegen, nicht weit vom<br />
Grand Place. Das Haus war früher ein Geschäftshaus, es<br />
gab auch noch einen verschlossenen Laden mit einem<br />
völlig verdreckten Schaufenster, durch das man nicht<br />
mehr schauen konnte, im Erdgeschoss, aber es wurde nur
noch als Wohnhaus genutzt.<br />
Zimmer gab’s genug, ich bekam ein voll eingerichtetes<br />
Zimmer im 3. Stock, wo er letzte Schlagzeuger der Band<br />
gewohnt hatte, der aber jetzt auf einem Opiumtrip nach<br />
Indien unterwegs war, wie mir Luc erklärte.“Der Junge<br />
ist leider voll drauf, er konnte nicht mehr spielen, und<br />
sich auch an keine Verabredungen mehr halten“, erklärten<br />
mir die Musiker. „Jetzt ist er ab nach Indien, und<br />
wird sich sicher ganz zu Grunde richten“, sagte Martin<br />
etwas traurig.<br />
Er muss ein guter Schlagzeuger gewesen sein, aber als<br />
sich Erfolg einstellte, und die Band war eine Zeit in Belgien<br />
sehr erfolgreich, flippte Jean Claude aus, und begann<br />
mit harten Drogen zu experimentieren. Er hatte<br />
den Erfolg nicht verkraftet, er kam zu früh für ihn, wie<br />
leider für viele Musiker rund um den Erdball, wie ich<br />
früh lernen musste.<br />
Die anderen Musiker der Band rauchten schon mal<br />
Hasch, aber das war´s dann auch mit illegalen Drogen, es<br />
wurde schon ´mal ein Bierchen gezischt.<br />
Jetzt war ich doch noch ein Mitglied des „Clans“ geworden,<br />
meine Freude war nicht zu übersehen.“ Rich-<br />
170<br />
te dich ein, hier kannst du so lange bleiben wie du<br />
möchtest, das Haus gehört unserem freigiebigen Manager“,<br />
lachte Luc mich an.<br />
Ich hatte den Jungs erzählt, dass ich lange auf der Reise<br />
war, in Paris als Pflastermaler gearbeitet hatte, und länger<br />
in Italien war. Das fanden sie richtig gut, das war<br />
auch ein Grund, dass sie mich aufgenommen hatten, wie<br />
sie mir später erklärten.<br />
Luc schien mich am meisten zu mögen, er war 19 Jahre<br />
alt, und er fand es ausgesprochen mutig von mir, dass ich<br />
schon mit 12 Jahren meine ersten Ausbrüche in die Freiheit<br />
gemacht hatte. Er schrieb später einen Song darüber.<br />
Ich war noch immer sehr jung, ich würde erst im nächsten<br />
Jahr 18 Jahre alt werden.<br />
Ein Ex-Beatnik, das war ihnen noch nicht untergekommen.<br />
Es imponierte ihnen, wie ich leicht feststellen<br />
konnte, und ich war froh darüber. So hatte ich wenigstens<br />
eine „Karriere“ vorzuweisen.<br />
Ich hatte eine wunderbare Matratze, Bettwäsche im<br />
Schrank, ein dickes Plümot, die Leute sorgten sich gut<br />
um mich. Es waren zum Glück auch keine abgefuckten<br />
Musiker, wie ich schon einige gekannt hatte. Richtig<br />
saubere Jungs, die wussten was sie wollten, Musik machen!<br />
Dazu fehlte im Moment der Schlagzeuger, aber der würde<br />
sich schon finden lassen. Es gefiel den Jungs auch, dass<br />
ich fast perfekt französisch sprach, das hätten sie einem<br />
Deutschen nicht zugemutet. Die Deutschen in Brüssel<br />
redeten immer nur deutsch, als ob jeder das können<br />
müsste. Diese Ignoranz ging ihnen auf die Nerven.<br />
Konnte ich gut verstehen.
Täglich spazierte ich in der Stadt herum, und entdeckte<br />
Brüssel in und auswendig.<br />
171<br />
Die Musiker nahmen mich abends mit in verschiedene<br />
Clubs, wo richtig gute Musik gespielt wurde. Ich hatte<br />
Spaß ohne Ende, und tanzte viel, alleine, wie andre auch,<br />
oder schon ´mal mit einem netten Mädel. Die netten<br />
Mädels gingen mir ab, und es wurde Zeit, eine Freundin<br />
zu finden.<br />
So hatte ich mir das mit dem „Mädel finden“ nicht vorgestellt,<br />
die Jungs hatten sehr wohl mitbekommen, dass<br />
ich eine Frau wollte. Also kamen die Burschen auf die<br />
Idee, mir eine Frau zu besorgen. „Warte ab“, sagte Luc<br />
eines Tages zu mir, „ich weis da was für dich“.<br />
Und einige Tage später stellten sie mir eine Nicole vor,<br />
ein fröhlich lächelndes sehr hübsches Mädchen von 17<br />
Jahren. „Das ist Nicole“, sagte Martin lachend, als die<br />
Beiden in mein Zimmer kamen.<br />
Er ging wieder, und Nicole zog sich lächelnd aus, als<br />
wenn sie mich schon Jahre kannte, und sprang nackt in<br />
mein Bett.<br />
Mein Gott, sie war vielleicht ein wilder Feger, sie küsste<br />
mich überall auf meinem Körper, sie schleckte mich regelrecht<br />
ab, so dass ich ernsthaft Angst bekam, sie würde<br />
mir etwas abbeißen. Ich spielte ihre Spiele mit, und ließ<br />
mich voll in den lustvollen Rausch mit einfallen. Ich gab<br />
mir alle Mühe, dem Mädel das zu geben, wonach sie<br />
wohl suchte, einen Orgasmus.<br />
Aber ich konnte anstellen was ich wollte, Nicole wurde<br />
immer hungriger und hungriger, sie wurde zur Furie.<br />
Nach ca. drei Stunden gab ich das Spiel auf. Ich war<br />
schon zweimal gekommen, dagegen war nichts zu machen,<br />
und Nicole wollte mehr und mehr.<br />
Bis ich die Sache bremste, und ihr geradeheraus sagte: „<br />
Nicole, ich kann nicht mehr, was ist mit dir los“?<br />
„Ich bin eine Nymphomanin“, gestand sie mir, „ich suche<br />
schon lange den Orgasmus, kann ihn einfach nicht<br />
172<br />
kriegen“, gestand sie mir.<br />
Jetzt wurde mir einiges klar, die Clans hatten sich einen<br />
Scherz mit mir erlaubt, sie wussten genau was mir mit<br />
Nicole widerfahren würde.<br />
„Ihr Gauner“, sagte ich, als ich völlig erschöpft in den<br />
großen Gemeinschaftsraum kam, alle saßen sie da und<br />
lachten nur. „Du wolltest doch ´ne Frau, hier hattest du<br />
eine“, scherzten die Burschen, und kamen aus dem Lachen<br />
nicht heraus. „Wir haben´s alle schon versucht,<br />
aber die Frau ist nicht zu befriedigen“, lachte Martin.<br />
„Hätte ja sein können, dass du es schaffst“, fügte Luc lachend<br />
hinzu.<br />
Nicole kam nun auch in den Raum, und setzte sich auf<br />
meinen Schoß. „Ist nicht deine Schuld“, sagte sie mir ins<br />
Gesicht lachend, „es geht halt nicht“. „Vielleicht muss
ich ´mal nach Afrika, das soll´s ja geradezu Sexmonster<br />
geben, vielleicht klappt es dann“, sagte sie frei heraus.<br />
Der Clan saß um eine hohe Wasserpfeife herum, und jeder<br />
zog an dem Schlauch, der herumgereicht wurde.<br />
Auch Nicole zog an der Pfeife, die sie mir reichte. „Das<br />
ist guter Shit“, sagte Martin, „zieh ruhig ´mal, das tut<br />
gut, und lockert dich sicher auf“, fügte er lachend hinzu.<br />
Ich bemerkte nun, dass die ganze Mannschaft zufrieden<br />
lächelte.<br />
Also steckte ich mir das offene Ende des Schlauchs in<br />
den Mund und versuchte Rauch einzuatmen. Das ging<br />
leider nicht sofort, „du musst fest ziehen, und den<br />
Rauch in der Lunge halten“, wurde ich aufgeklärt. So<br />
kam ich zu meiner ersten richtigen Hasch-Erfahrung,<br />
ich wurde high wie das höchste Haus in dieser Stadt.<br />
Ich hatte dreimal fest gezogen, und schon war ich hin<br />
und weg. Die Leute um mich herum merkten das natürlich.<br />
„Mach dir keine Sorgen, gleich geht´s dir besser, das<br />
173<br />
ist nur der erste Effekt“.<br />
Leider leitete mich dieser erste Effekt direkt zum Clo,<br />
wo ich erstmal kotzen musste. „Kann passieren“, sagte<br />
Luc, aber schon das nächste mal wird dir so was nicht<br />
mehr passieren, glaub mir. Außerdem ist Hasch die<br />
harmloseste Droge des Planeten, Alkohol ist schlimmer,<br />
was Abhängigkeit betrifft“. „Der Alko-Rausch macht<br />
nur dumpf im Kopf, Hasch öffnet ihn, man macht unerwartete,<br />
meist gute Erfahrungen. Diese Droge ist Bewusstseinserweiternd“,<br />
erklärte mir Martin.<br />
Schon am nächsten Morgen ging´s mir wieder gut, ich<br />
hatte keinen dicken Kopf, und ich fühlte mich gut. Ich<br />
machte mich auf in die nächste Bäckerei, und besorgte<br />
viele Croissants und andre Backwaren. Kaffe hatten wir<br />
keinen mehr, also brachte ich welchen.<br />
Als ich das Frühstück bereitete, kamen die Clans alle<br />
langsam in unser Wohnzimmer, und waren sofort hellauf<br />
begeistert, als sie Kaffee rochen, und die Bäckereiwaren<br />
sahen. Sie setzten sich fröhlich hin, und bedankten sich<br />
bei mir.<br />
„Ich dachte schon, heute gibt´s keinen Kaffee, mir war<br />
gestern schon aufgefallen, dass die Dose leer ist“, sagte<br />
Martin, und strich mir freundlich über den Kopf. „Ohne<br />
Kaffee am Morgen bin ich ungenießbar“. „Hast du<br />
echt gut gemacht“, sagte auch Jean, der am wenigsten<br />
sprach. Dafür war er aber ein exzellenter Bassist.<br />
„Da hattest du ja einen schönen Abend gestern“, scherzte<br />
Luc, „erst ´ne tolle Frau, und dann deine Unschuld<br />
am Hasch verloren, reife Leistung“. „Da habt ihr mich<br />
aber gut drangekriegt mit der Nymphe“, scherzte ich,<br />
„so was hab ich noch nicht erlebt“. „Du bist ja auch<br />
noch jung“, sagte Martin, „es wird dir noch viel Neues<br />
im Leben begegnen“. „Für dein Alter hast du ja schon<br />
´ne Menge erlebt, das muss man dir lassen“, fügte Luc
174<br />
hinzu. Ich hatte ihnen ausführlich von meinen Trips<br />
nach Frankreich, Italien, Griechenland und Jugoslawien<br />
erzählt, als ich am vorigen Abend high war. Wir sprachen<br />
bis in den frühen Morgen.<br />
Als der Nachmittag anbrach, fragte mich Luc, ob ich<br />
Lust hätte, mit ihm in die Stadt zu gehen, und die Cafés<br />
nach Frauen zu checken. „Logisch“, sagte ich, und schon<br />
gingen wir hinunter auf den Grand Place.<br />
Luc kannte natürlich jedes angesagte Café in Brüssel,<br />
und so hatten wir schnell ein gut besuchtes, nach guter<br />
Musik klingendes Café gefunden.<br />
Frauen ohne Ende, und Luc kannte viele. Er war als Musiker<br />
des Clan, sehr beliebt aber auch für mich schienen<br />
sich einige Mädels zu interessieren. Ohne dass Luc mich<br />
vorstellen musste kam ich mit einer Gruppe Mädels ins<br />
Gespräch. „Bist du auch Musiker“? fragte Sonja, eins der<br />
Mädels, auf die ich es sowieso abgesehen hatte.<br />
„Sicher, ich bin Percussionist, ich spiele gerne auf vielen<br />
Trommeln“, antwortete ich zweideutig. Luc schaute<br />
mich an, und bemerkte, dass ich sehr gut alleine klarkam,<br />
und zwinkte nur mit einem Auge, er hob noch den<br />
Daumen nach oben, und kümmerte sich intensiv um ein<br />
hübsches Mädel.<br />
Dann kam er mit Frida, einer Schwedin aus Stockholm,<br />
die schon lange in Brüssel lebte, auf mich zu, und fragte:<br />
„ Machen wir ´was zusammen“?<br />
Ich schaute Sonja an, und bedeutete ihr, dass ich Luc<br />
gerne folgen würde, und sie schloss sich uns an. Die Sache<br />
war im Kasten, heute würde es sicher nicht mehr<br />
langweilig werden. Sonja war eine braunhaarige Schönheit,<br />
sie hatte blitzende grüne Augen, die mich in ihren<br />
Bann zogen. Sie war wohl in meinem Alter, ging auf eine<br />
Universität.<br />
Wir besuchten noch ein anderes Café, in dem Rock ge-<br />
175<br />
spielt wurde, gerade als wir ´reinkamen spielten „The<br />
Who“, eine Neue Gruppe aus England. Überhaupt hatte<br />
mich Luc auf die englische Musikszene aufmerksam<br />
gemacht, da tat sich Einiges.<br />
Nachdem die Beatles und die Stones solchen Erfolg<br />
Weltweit hatten, kamen sehr viele Rockbands in England<br />
an den Start.<br />
Ich hatte bisher mehr amerikanische Musik gehört,<br />
James Brown, Sam a. Dave, und Otis Redding waren außer<br />
den bekannten englischen Bands meine Favoriten.<br />
Auch Elvis gefiel mir, als er noch richtig abrockte, und<br />
seine Hüften Schwang.<br />
Wir machten uns dann auf den Weg nach Hause, alle<br />
wollten etwas rauchen. Als wir im Haus ankamen, war es<br />
leer, die anderen Jungs waren wohl auf Achse.<br />
Konnte uns nur recht sein, wir machten es uns auf zwei<br />
Couchen gemütlich, und Lück machte das Hasch heiß,
und die Wasserpfeife klar. Nach ein paar Zügen lagen<br />
wir erstmal flach, dann erzählte Sonja irgendein witziges<br />
Wort, und wir fingen alle ausgelassen zu lachen an<br />
. Wir wurden immer ausgelassener, und Luc´s Freundin,<br />
Nora, fing an einen Striptease hinzulegen. Luc hatte gute<br />
Musik aufgelegt, und Nora fing den Rhythmus auf,<br />
legte langsam Stück für Stück die Kleider ab, bis sie nur<br />
noch ihren Slip anhatte. Das Mädchen war sehr gut gebaut,<br />
und der Strip hatte uns alle heiß gemacht.<br />
„Tschüss“, verabschiedete sich Luc, packte sich seine<br />
Freundin, und verschwand in seinem Zimmer. „Hast du<br />
Lust“, fragte mich Sonja, „ich kann´s kaum erwarten“,<br />
entgegnete ich, und schob das Fräulein die Treppe hoch<br />
bis in mein Zimmer.<br />
Sie hatte einen kurzen Rock an, und ich freute mich<br />
schon, das zu genießen, war da vor mir hochwackelte.<br />
Die Brüssler Frauen waren locker drauf, das war selbst in<br />
176<br />
Paris nicht so einfach. Da musste man ein Mädel anmachen,<br />
hier wurde man angemacht.<br />
Und wiedermal fögelte ich mir die Seele aus dem Leib,<br />
der Teufel hatte einfach Überhand genommen, ich ließ<br />
ihn gewähren.<br />
Sonja gab aber auch alles, sie liebte meine Art zu fögeln,<br />
sie kam 3 mal, wie sie mir gestand, als wir erschöpft nebeneinander<br />
lagen. „ Ich hoffe das können wir wiederholen“,<br />
sagte sie noch, bevor sie selig einschlief.<br />
Ich ging noch´mal ins Wohnzimmer hinunter, mit offener<br />
Jeans und offenem Hemd bekleidet. Da saß der Clan<br />
zusammen, und nuckelten an der Wasserpfeife. Luc war<br />
mit seiner Partie auch anwesend, die beiden hatten wohl<br />
nur einen Quickie<br />
„Na, wo warst du denn so lange“, fragte mich Martin,<br />
und ich lächelte nur, und erbat mir die Pfeife. Der<br />
Rauch kam gut, machte mich hellwach, anstatt wie die<br />
ersten male platt.<br />
Ich begann erneut Geschichten zu erzählen, von meinen<br />
Erlebnissen auf den Reisen, und alle Versammelten hingen<br />
an meinen Lippen.<br />
Ich laberte und laberte, ich konnte nicht aufhören, bis<br />
Luc mich bremste. „Ist superinteressant, aber du solltest<br />
jetzt schlafen gehen, wir sind auch müde“. „Du bist heute<br />
einfach zu high“, lachte er noch, „ morgen ist auch<br />
noch ein Tag“. Er schnappte sich sein Mädel, und ging<br />
in sein Zimmer.<br />
Das Wohnzimmer war leer, und ich begab mich nach<br />
oben in meine Unterkunft. Sonja war wach geworden,<br />
als ich ins Zimmer kam, und sofort streckte sie ihre Arme<br />
nach mir aus und lächelte mich obszön an. Was wollte<br />
ich machen, ich folgte ihrer Anmache, und liebte sie<br />
bis in den frühen Morgen.<br />
„Heute kann ich nicht in die Schule“, sagte mir Sonja als<br />
177
sie wach wurde, „ich bin einfach zu durcheinander, kann<br />
noch keinen klaren Gedanken fassen“. „Brauchst du<br />
auch nicht, bei mir ist jetzt erstmal die erste Schulstunde“,<br />
sagte ich, als ich mich auf sie wälzte. Sonja war genau<br />
so geil wie ich, und wir machten eine süße Morgennummer.<br />
Mittags standen wir auf, wuschen uns<br />
gründlich, und wollten Frühstücken gehen.<br />
Im Wohnzimmer war der Clan versammelt, und neckte<br />
uns mit obszönen Sprüchen. „Nora ist zur Schule, du<br />
hast wohl heute geschwänzt“, neckte Luc Sonja. „Na<br />
und“, antwortete sie, „ich hatte heute Morgen einfach<br />
besseres zu tun“, sagte sie lachend mit hocherhobenem<br />
Kopf.<br />
Wir gingen dann Beide in ein Café in der Nähe des<br />
Grand Place, und frühstückten kräftig, obwohl es schon<br />
Mittag war. Aber in Brüssel konnte man zu jeder Zeit<br />
Frühstücken, so wie auch in Paris. Diese Stadt hatte ich<br />
längst vergessen, ich fühlte mich in Brüssel heimig<br />
So nette, freundliche und freie Menschen wie hier hatte<br />
ich noch selten getroffen, außer bei den wirklich „Reisenden“,<br />
den Beatniks. Und hier war die Stadt voll davon,<br />
jedenfalls unter den jungen Leuten.<br />
Die alten Belgier waren noch stets schlecht auf Deutsche<br />
zu sprechen, sie hatten den Krieg nie vergessen. So war<br />
es für mich ein Glück, dass ich überall französisch reden<br />
konnte. Die Sprache war mir mittlerweile genau so<br />
deutlich im Hirn wie deutsch.<br />
„Heute Abend spielen in Anvers (Antwerpen) drei englische<br />
Bands“ teilte Martin mit, als ich wieder zu Hause<br />
war. Da spielen „The Free“, „Jetroh Tull“ und „The<br />
Who“. „wie wär´s, hast du Lust mitzukommen“? Fragte<br />
er mich.<br />
Natürlich hatte ich Lust mitzukommen, das wäre mein<br />
erstes Live-Konzert, erklärte ich ihm freudig überrascht.<br />
178<br />
„Die Weiber bleiben hier“, sagte er noch, „ für die haben<br />
wir keinen Platz im Auto“.<br />
Ich konnte meine Freude kaum fassen, „The Who“, von<br />
denen ich schon Einiges gehört hatte, die hatten den Gitaristen,<br />
der am Ende des Konzerts seine Gitarre in tausend<br />
Stücke schlug. Von den beiden andren Bands hatte<br />
ich noch nie gehört.<br />
Ich war voller Freude. Die „Clans“ merkten das, und<br />
freuten sich mit mir. Sie hatten schon des öfteren Live<br />
Konzerte erlebt. Ich hatte keine Ahnung was da auf mich<br />
zukommen sollte, aber ich war sicher, einen schönen<br />
Abend mit meinen neuen Freunden in Anvers zu erleben.<br />
Es sollte schon um 18 Uhr losgehen, und so machten<br />
wir uns früh auf den Weg nach Anvers, das ca. 100 km<br />
entfernt war. Wir kamen gegen 17 Uhr dort an, und es<br />
hatten sich schon viele Leute im Sportpalast eingefunden.<br />
In diese große Halle passten 40.000 Leute, die wurde<br />
aber sicher nicht voll, weil die Bands noch zu unbekannt
waren. Sie kamen aber um bekannt zu werden, und das<br />
sollten sie später auch.<br />
Wir stellten uns in die erste Reihe, die Halle war zum<br />
Glück nicht bestuhlt.<br />
Wir wollten abrocken.<br />
Der Sportpalast war bis zum Beginn des Konzerts nur zu<br />
einem Viertel besetzt, man hatte mit mehr Andrang gerechnet.<br />
Uns konnte das nur Recht sein, so gab es kein Gedränge<br />
in der Halle, auftreten würden die Bands trotzdem, es<br />
waren immerhin 10.000 Menschen gekommen.<br />
Um 18 Uhr ging es dann auch wirklich los. Auf der<br />
Bühne waren schwere Verstärker aufgebaut, die gesamte<br />
mittlere Bühne war mit monströsen Anlagen bestückt,<br />
179<br />
sie reichten 3 Meter hoch in den Raum, und nahmen<br />
die gesamte Breite der Bühne ein.<br />
Als erste Gruppe spielten „The Free“, Andy Fraser, Gitarre,<br />
Bass, Schlagzeug und Paul Rodgers als genialer<br />
Sänger. Die Musiker waren normal gekleidet, wie ihre<br />
Fans auch.<br />
Als sie ihre Gitarren in die Verstärker stöpselten kamen<br />
schon Laute in den Raum, aber als Gitarristen und<br />
Schlagzeuger, Bass und Sänger anfingen zu spielen,<br />
glaubte ich mich in einem Düsenjet, der nicht gedämmt<br />
war, so laut war die Musik.<br />
„Das ist in Londoner Clubs sogar so laut, das sind wir<br />
hier auf dem Festland nicht gewöhnt“, schrie mir Luc in<br />
die Ohren. Aber ich war hin und weg, es gefiel mir außerordentlich.<br />
Die Musik, der Sound und die Lautstärke,<br />
das war genau richtig für mich.<br />
Und das in der ersten Reihe. Die Band war ein Hammer,<br />
ich war völlig begeistert von der Rockmusik, die<br />
ich bisher nicht kannte. Ein Song war besser als der andere,<br />
es war unglaublich schön für mich.<br />
Und der Clan war auch außer sich, die Jungs bewegten<br />
sich im Rhythmus des Rocks, es war fantastisch. Luc<br />
schaute mich verzaubert an, als ob er fragen wollte wie<br />
es mir gefiel, ich hielt lachend den rechten Daumen<br />
hoch. So grüsste er zurück, und konzentrierte sich wieder<br />
auf<br />
The Free.<br />
Die Band spielte etwa eine Stunde, und als sie gehen<br />
wollten schrieen die Menschen nach „Zugabe“ und es<br />
gab auch mehrere.<br />
Dann kamen Jetthro Tull auf die Bühne. Ich hatte noch<br />
nie von dieser Band gehört, und sollte mein blaues Wunder<br />
erleben. Diese Band hatte eine Gitarre, Bass, Orgel,<br />
Schlagzeug und einen sehr langhaarigen, bärtigen Men-<br />
180<br />
schen, der eine Querflöte in der Hand hielt.<br />
Dann legten sie los, es war ein wahrer Sturm, der da auf<br />
uns niederging, laut, präzise gespielt, rockig wie ein<br />
Stein, und der Flötist, Ian Anderson, entwickelte sich als
illanter Sänger, dem seine Flöte praktisch an den rechten<br />
Arm gewachsen war, so ging er mit ihr um.<br />
Solche Töne hatten mein Ohr noch nie erreicht, ich war<br />
hin und weg vor Begeisterung, hatte alles um mich herum<br />
vergessen.<br />
Diese Live Musik erlebte ich mit Herz und Seele, das<br />
hatte ich nicht erwartet. Anderson spielte die Flöte mit<br />
weit aufgerissenen Augen, machte Späße und amüsierte<br />
sich mit dem Publikum. Oft stand er nur auf einem<br />
Bein, stützte sich auf fast auf seine Querflöte.<br />
Nach Jethro Tull gab es eine kleine Pause, sie hatten fast<br />
90 Minuten gerockt, dass die Ohren der Zuhörer taub<br />
wurden.<br />
Wir Clans versammelten uns kurz, und die Jungs fragten<br />
mich lachend, ob es mir gefalle. „Es ist der erste richtige<br />
Hammer in meinem Hirn“, antwortete ich, und die<br />
Jungs nahmen mich in ihre Arme.<br />
Es waren so liebe Menschen, wie man sie selten fand, sie<br />
wussten, sie hatten mir einen großen Gefallen getan.<br />
„Jetzt kommt der Überhammer“, sagte Martin, „der<br />
Bassist der „Who“ ist mein Vorbild, John Entwissel“, sagte<br />
er noch. Die Namen der anderen Mitglieder der Band<br />
kannte ich noch nicht, aber das sollte sich ändern.<br />
Wir nahmen uns alle noch´mal in die Arme, und jeder<br />
fand seinen Platz für die nächste Band. „Gleich knallst“<br />
sagte Lück noch, dann traten die vier Musiker schon auf<br />
die Bühne.<br />
Schon als sie ihre Instrumente einstöpselten knallte es<br />
wirklich, so laut waren die Vorherigen nicht. Der Sänger<br />
hatte eine mit langen Fransen behängte Lederjacke auf<br />
181<br />
seinem nackten Oberkörper.<br />
Der Gitarrist machte mit seinem linken Arm eine<br />
schnelle Drehung wie eine Windmühle, und dann knallte<br />
er dermaassen laut in die Gitarrenseiten, wie ich es<br />
noch niemals gehört hatte. Man sagte der Band nach, sie<br />
sei die Lauteste der Welt und das bewiesen sie hier.<br />
So nahe an der Band, diese Lautstärke, und man sah den<br />
Musikern, wie auch den Vorherigen, an, dass sie Alles gaben,<br />
der Schweiß lief allen in Strömen, außer dem Bassisten,<br />
der stand ruhig in der Ecke mit seinem mit einem<br />
Spinnenetz bemalten Bassgitarre, und schien mit der Action<br />
der anderen Musiker nichts zu tun. Der Schlagzeuger,<br />
Keith Moon, war ein wahrer Witzbold, er machte<br />
Späße ohne Ende an seinem Schlagzeug, hielt trotzdem<br />
exakt den Rhythmus.<br />
Der Sänger schleuderte sein extra mit weißem Band<br />
am Kabel befestigtes Mikrofon hoch in die Luft, und<br />
fing es immer exakt zum nächsten Gesangspart wieder<br />
ein.<br />
Und wahrlich, am Schluss der Show, die zwei Stunden<br />
dauerte, schlug der Gitarist mit seinem Instrument fest<br />
gegen den Verstärker hinter ihm. Immer und immer
wieder malträtierte er Gitarre und Verstärker, bis der Gitarrenhals<br />
abbrach, die Saiten abfielen, und in der Umspannung<br />
des Verstärkers ein großes Loch geschlagen<br />
war.<br />
Er trat den Verstärker bis er umfiel, und der schräge<br />
Sound, den er bei dieser Action erzeugte schrie durch<br />
die Halle. Keith Moon haute fleißig weiter auf die Trommeln,<br />
mit einem fast wahnsinnigen Lachen im Gesicht,<br />
bis auch er das gesamte Schlagzeug einfach umwarf undtrat.<br />
Der Gitarrist zerrte dann das Kabel aus dem Rest des<br />
Verstärkers, schlug noch einige male mit der Gitarre auf<br />
182<br />
den Bühnenboden, bis sie endgültig in Stücken war, und<br />
warf diese in die Menge. Leider standen wir zu weit weg<br />
von der Gitarre, Luc hätte gerne ein Stück davon ergattert.<br />
Als die Reste der Gitarre in der Menge verschwunden<br />
war, das Schlagzeug unbrauchbar über der Bühne verteilt<br />
lag, endete die Show der Who, ich hatte ein ganz<br />
besonderes Erlebnis hinter mir, das ich sicher niemals<br />
vergessen würde.<br />
Als wir wieder zusammentraten, konnte niemand ein<br />
Wort hervorbringen, wir sahen uns fröhlich an, hielten<br />
uns die Ohren zu, und marschierten gegen den Ausgang.<br />
Auch als wir ins Auto stiegen hatte noch keiner von uns<br />
ein Wort gesprochen.<br />
Wir fuhren langsam Richtung Autobahn nach Brüssel,<br />
und plötzlich sagte Luc: „ Wie gerne hätte ich ein Stück<br />
der Gitarre als Trophäe mit nach Hause gebracht“. Wir<br />
lachten alle laut, denn Luc war sich sicher nicht klar, dass<br />
er seine Worte fast geschrieen hatte, er war noch nicht<br />
aus der Konzertatmosphäre raus, nahezu taub wie Jeder<br />
von uns.<br />
Unsre Ohren dröhnten, und dieser Zustand blieb auch<br />
noch lange bestehen.<br />
Eine halbe Stunde später fanden wir zurück auf den Autoboden,<br />
wir konnten wieder einigermaßen hören und<br />
auch sprechen. Lange unterhielten wir uns über einzelne<br />
Szenen der drei Bands, die wir gerade gesehen und<br />
vor allem gehört hatten, wir waren alle sehr zufrieden,<br />
und entschlossen uns, in einen Club nach Brüssel zu fahren,<br />
in dem es genau die Musik gab, die wir jetzt<br />
brauchten.<br />
Wir waren so aufgeregt, keiner von uns hätte jetzt schlafen<br />
gehen können, wir wollten feiern. Und es war eben<br />
mal kurz nach Mitternacht, genau die richtige Zeit, um<br />
183<br />
in diesen Club zu gehen.<br />
Martin hatte mittlerweile einen dicken Joint gedreht,<br />
und der Geruch von starkem Gras umhüllte uns alle im<br />
Auto.<br />
Ich nahm auch ein paar Züge, ich fand langsam Gefallen<br />
am kiffen, das brachte mich besser drauf als jede Art von<br />
Alkohol. Andere Drogen hatte ich noch nicht konsumiert.
Von Jedem Pulver für die Nase hatte man mir abgeraten.<br />
Der Club in Brüssel hieß „Swing“, ein guter Name wie<br />
ich fand, denn swingen wollten wir jetzt.<br />
Das Swing machte erst um 22 Uhr auf, und schloss,<br />
wenn der letzte Gast den Club verlassen hatte.<br />
Wir kamen in den Club, es war sehr warm, und eine<br />
Menge schöner Menschen tobte auf der Tanzfläche, hier<br />
war Lust angesagt.<br />
Der Club hatte ein Feuer mitten im Raum, und in der<br />
ersten Etage war eine zwei Meter breite Balustrade, von<br />
der man die unten Tanzenden beobachten, oder<br />
sonst´was machen konnte.<br />
Das Swing war aus dicken rauen Steinen gebaut, hatte<br />
indianisches Flair in der Dekoration, und fasste ca. 200<br />
Leute. Genau richtig für ´ne schöne Party unter Freunden.<br />
Der Clan wurde von allen Seiten begrüßt, die Jungs waren<br />
hier bekannt, und berühmt. Sie kannten so fast alle<br />
Leute in dem Club.<br />
Das war für mich natürlich genau richtig, ich wurde automatisch<br />
mit dem Clan identifiziert, was ich machte interessierte<br />
Niemanden. Ich stellte mich als Musiker vor,<br />
wenn jemand etwas über mich wissen wollte.<br />
Schöne Frauen en masse, das gefiel mir schon ´mal gut,<br />
ich war halt ein loser Vogel geworden, der sich immer<br />
neue Nester suchte, ich konnte nichts dagegen machen.<br />
184<br />
Wollte ich auch nicht!<br />
Ich rockte ein wenig mit einer Braut, die mich angelacht<br />
hatte. Aber ich tanzte auch alleine vor mich hin, wenn<br />
mir ein Song besonders gut gefiel.<br />
Der Clan hatte sich verteilt, Luc kam noch´mal zu mir,<br />
um zu fragen ob ich o.k. sei, ich lachte nur, und nickte<br />
fröhlich mit dem Kopf.<br />
185<br />
Kapitel 23<br />
Die Musik war gut und laut, so wie ich es gerne hatte,<br />
nur auf der Balustrade war es etwas ruhiger. Die Balustrade<br />
war rundum mit einem ca.1, 5 Meter hohen Geländer<br />
umgeben, und von acht Balken, die bis zur Dekke<br />
reichten, gehalten.<br />
Ich war schon länger oben auf der Balustrade, und betrachte<br />
das bunte Treiben der tanzenden und trinkenden<br />
Clubgäste. Ich fühlte deutlich, dass es hier positiv und<br />
sehr lebendig zuging. Ich fühlte mich absolut wohl und<br />
hatte noch die Erinnerungen des Konzerts in Anvers im<br />
Kopf. Ein wirklich gelungener Abend in meinem Leben.<br />
Es war Samstag, und die Leute feierten bis in den morgen.<br />
Gegen 2 Uhr fühlte ich mich irgendwie beobachtet, ich<br />
konnte nicht so recht erkennen, wer mich da ansah. Ich<br />
schaute mich auf der Balustrade um, und an einem der<br />
Balken lehnend, auf der Balustrade sitzend, sah ich eine<br />
blonde Frau, die wohl 20 Jahre alt sein konnte.<br />
Sie war blond, hatte glattes Haar, das ihr bis über die
Schultern reichte. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit<br />
hohen Wangenknochen. Sie trug Jeans, Stiefel, und eine<br />
gestreifte Bluse, die über der Jeans hing. Sie hielt ein Glas<br />
mit durchsichtiger Flüssigkeit in der Hand, in dem ein<br />
Strohalm steckte.<br />
Ich hatte meine Beobachterin ausgemacht. Als ich sie<br />
ansah, hielt sie meinem Blick stand, und machte keine<br />
Anstalten, irgendetwas anderes anzusehen als mich.<br />
Sie schaute mir ständig in die Augen, lächelte leicht, und<br />
nuckelte an ihrem Strohhalm. Und sie sah mich länger<br />
und länger an, auch ich hatte keinen Grund, irgendwo<br />
anders hinzuschauen, als in ihre Augen, deren Farbe ich<br />
186<br />
in dem hier herrschenden Licht nicht gleich erkennen<br />
konnte.<br />
Nach einer Weile ging ich auf sie zu, und fragte: „ Wie<br />
ist dein Name“? „Marievonne, und wie heist du“?<br />
„Eric“, antwortete ich, „ich bin zum ersten mal hier“.<br />
„Das ist mir aufgefallen, ich hab dich hier noch nie gesehen,<br />
ich komme oft hierher“, erklärte sie.<br />
„Warum schaust du mich so an“, fragte ich sie. „Weil du<br />
mir gefällst“, sagte sie direkt. Ich war erstaunt über ihre<br />
Offenheit, sie war kein Allerweltstyp, den man überall<br />
antreffen konnte.<br />
Sie war sicher keins von den Mädels, die ich immer<br />
leicht ins Bett bekam, sie war etwas Besonderes, das wurde<br />
mit schnell klar.<br />
„Besorgst du mir einen neuen Drink, ich hab keine Lust<br />
an die Theke zu gehen, ich möchte genau hier sitzen<br />
bleiben, und auf dich warten“, sagte sie. „Ich trinke Gin<br />
mit Tonic, du kannst dir auch etwas bestellen, und die<br />
sollen es auf meine Rechnung schreiben“, sagte sie.<br />
Ohne Zögern ging ich brav nach unten an die Theke,<br />
und bestellte die Drinks, die ich auch bezahlte. Ich war<br />
noch gut bei Kasse<br />
Als ich zurück nach oben kam, hatte ich den Eindruck,<br />
als habe sich Marievonne wirklich keinen Zentimeter<br />
bewegt, sie saß noch immer an der gleichen Stelle, in der<br />
gleichen Haltung. „Danke Eric, das war lieb von dir“.<br />
„Komm, setz dich zu mir, dann können wir ein wenig<br />
plaudern“, forderte sie mich auf. Ich gesellte mich gerne<br />
zu ihr, ich lehnte mich an die andere Seite des Balkens,<br />
und stützte mich mit dem Po an der Balustrade ab.<br />
Marievonne ließ keinen Blick von mir, es war als wolle<br />
sie mich hypnotisieren. Auch ich sah nun nicht mehr,<br />
was um uns herum vorging, ich sah nur noch sie, und<br />
entdeckte, dass sie strahlend blaue Augen hatte.<br />
187<br />
Das Treiben um uns herum war nicht mehr wahrzunehmen,<br />
Wir hatten nur noch Augen und Ohren für uns.<br />
Gemeinsam verließen wir kurz darauf den Club, nahmen<br />
ein Taxi, und fuhren wie selbstverständlich in ihre<br />
Wohnung.
Ich hatte noch gesehen, wie der Clan hinter uns herschaute,<br />
keiner machte eine Regung etwas verändern zu<br />
müssen, sie wussten, mit der Frau musste ich gehen, auch<br />
ohne Verabschiedung.<br />
Wir setzten uns auf den Rücksitz des großen Taxis. Marievonne<br />
lehnte sich eng gegen mich, nahm meine linke<br />
Hand zwischen ihre beiden Hände, drückte sich fest gegen<br />
mich, den Kopf an meiner Schulter.<br />
Sie sagte kein Wort, außer der Adresse, zu der das Taxi<br />
uns bringen sollte, und schaute mir im Morgengrau weiter<br />
in die Augen. Wir sprachen kein Wort, schauten uns<br />
nur in die Gesichter, und studierten unsere Minen.<br />
„Was ist hier geschehen“, fragte ich Marievonne fest in<br />
die Augen schauend, ich musste diese unheimliche Ruhe<br />
beenden. „ Merkst du das nicht“, fragte sie mich, „für<br />
mich ist Liebe auf den ersten Blick passiert, ich weis ja<br />
nicht wie es dir geht“.<br />
„Ich fühle, dass es bei mir nicht anders ist, ich glaube ich<br />
habe mich jetzt zum ersten mal richtig verliebt, sonst<br />
wie kann ich mir meinen augenblicklichen Gemütszustand<br />
nicht erklären“, antwortete ich ehrlich.<br />
Wir hatten beide Liebe auf den ersten Blick erfahren, es<br />
war ein fantastisches Gefühl, warm und wohlig, obwohl<br />
es draußen eisig war. Und wir hatten das Glück, zusammenbleiben<br />
zu können, wenigstens jetzt, an morgen<br />
dachte keiner von uns.<br />
Irgendwann in den letzten Stunden unseres Zusammenseins<br />
hatte es Boom gemacht, und unsere Herzen hatten<br />
sich vereinigt. Es war sechs Uhr morgens, als wir bei ih-<br />
188<br />
rer Wohnung ankamen. Eine Treppe hoch, und ich betrat<br />
Marievonnes Reich.<br />
Sie hatte eine schöne sehr weiblich dekorierte Wohnung<br />
mit drei Zimmern, einer schönen Küche und einem<br />
großen Bad, mit einer für zwei Personen ausgelegten<br />
großen Badewanne.<br />
„Die Wohnung habe ich vor einem Jahr von einer<br />
Freundin übernommen, die hier mit ihrem Mann lebte,<br />
und nach Kanada ausgewandert ist“, versuchte sie die<br />
große Badewanne schüchtern zu begründen.<br />
„Ich habe hier noch nie mit einem Mann gelebt, aber<br />
es waren schon einige hier“, erklärte sie meinen Blick<br />
auf die große Wanne.<br />
„Das kann ich gut verstehen, ich bin auch keine Jungfrau,<br />
und hätte mich gewundert, wenn du eine gewesen<br />
wärst“, sagte ich lachend. Schon wieder hatte sie sich an<br />
mich geschmiegt, und wir gaben uns den ersten Kuss.<br />
Ihre Lippen waren zärtlich und warm, der Kuss zog sich<br />
in die Länge.<br />
Wir standen noch immer, innig umarmt, und ein großes<br />
Bett wartete ungeduldig auf uns.<br />
Wir zogen uns gegenseitig aus, Marievonne schaute mir<br />
manchmal schüchtern in die Augen, wenn sie mir ein
Kleidungsstück vom Leib zog.<br />
Dann sah ich die Pracht ihres schönen Körpers, sie war<br />
eine wahre Venus, was ich in dem Club nicht erkennen<br />
konnte. Meine Freude wurde umso größer, und wir<br />
schlüpften langsam unter die weißen Laken ihres Betts.<br />
Dann begann ein so zärtliches Liebesspiel, wie ich es nie<br />
erlebt hatte. Sehr behutsam küsste mich Marievonne auf<br />
den Mund, und dann auf den gesamten Körper. Sie hatte<br />
das Heft in die Hand, und in den Mund genommen,<br />
ich ließ alles erfreut über mich ergehen.<br />
Man sollte meinen, dass sie schon länger keinen Mann<br />
189<br />
gehabt hatte, sie war hungrig. Ich gab ihr zurück was sie<br />
mir gegeben hatte, ich versuchte so behutsam wie möglich<br />
mit der Frau umzugehen, sie nahm sich was sie<br />
wollte, sie wusste, dass auch gerne alles nahm, was sie mir<br />
bot.<br />
So liebten wir uns bis weit in den Sonntagnachmittag,<br />
und schauten uns immer wieder zärtlich an. An Schlaf<br />
war nicht zu denken, wir wollten jeden<br />
Augenblick unseres Zusammenseins auskosten.<br />
Marievonne zog sich irgendwann ein Hemd an, sie sah<br />
bezaubernd aus, ging in die Küche, und kam nach einigen<br />
Minuten mit Kaffe und Croissants ins Schlafzimmer<br />
zurück.<br />
“Die Croissants sind von gestern“, entschuldigte sie sich,<br />
aber das machte mir nun gar nichts aus, ich hätte alles<br />
gegessen was sie angebracht hätte, ich war hungrig wie<br />
sie, und schon wieder auf sie, als ich sie so im Hemd stehen<br />
sah. Sie hatte lange schöne Beine, und einen knackigen<br />
Po. Ich dachte ich sei im Himmelreich angekommen.<br />
Wir lagen den gesamten Sonntag im Bett, an essen<br />
dachten wir zuletzt. Gegen Mitternacht meldete sich<br />
Marievonne, und wollte raus, etwas essen gehen. So ganz<br />
ohne Nahrung war unser zärtliches Treiben nur begrenzt<br />
möglich.<br />
Wir zogen uns an, wobei ich meine Blicke nicht von der<br />
Frau lassen konnte, und als sie meine Blicke bemerkte<br />
sagte sie lachend: „ Wir sind ja schon bald wieder hier“,<br />
„ es gibt ein gutes Restaurant direkt um die Ecke, wo<br />
wir auch um diese Zeit noch essen können“.<br />
Wir zogen uns warm an, zum Glück hatte ich meine Lederjacke,<br />
die ich bis oben zuknöpfte, und bekam noch<br />
einen langen wollenen Schal von Marievonne um den<br />
Hals gedreht. Es war recht kalt in dieser Nacht.<br />
190<br />
Wir liefen schnell die Treppe hinunter, Marievonne hakte<br />
sich eng an mich gedrückt ein, schon nach wenigen<br />
Schritten waren wir im Restaurant.<br />
Als wir die Türe öffneten schlug uns die Hitze eines lodernden<br />
Feuers entgegen, das an der gegenüberliegenden<br />
Wand brannte.<br />
In Brüssel schien es nur offenes Feuer zum heizen zu
geben, was ich als sehr angenehm empfand. Es war ein<br />
schönes Gefühl, auch wenn wir nur ein paar Schritte gemacht<br />
hatten, so waren wir doch schon fast durchgefroren.<br />
Wir suchten uns einen Tisch in einer Ecke, und als der<br />
Kellner kam, bestellten wir uns beide ein dickes Stück<br />
Fleisch mit einer scharfen Pfeffersoße. Das aß ich am<br />
liebsten, und nur im Restaurant, denn bisher hatte ich<br />
noch nie eine Küche mein Eigen genannt, kochen<br />
konnte ich eh nicht. Wir hatten wohl den gleichen Geschmack<br />
beim essen.<br />
Nachdem wir hungrig das Fleisch und die Beilagen in<br />
uns hineingegabelt hatten, die gute Soße mit Brot vom<br />
Teller gewischt, zahlte Marievonne, sie bestand darauf,<br />
und wir machten uns schnell auf den kurzen Weg zurück<br />
in ihre Wohnung.<br />
Marievonne ließ ein Bad einlaufen, und wir freuten uns<br />
auf das heiße Wasser, indem wir gleich planschen würden.<br />
Wir zogen uns aus, die Wohnung war sehr gut beheizt,<br />
und legten uns eng umschlungen auf das Bett, schmusten<br />
miteinander, und schon war das Bad mit dampfendem<br />
Wasser bis fast an den Rand gefüllt.<br />
Zuerst legte sich Marievonne in das Wasser, dann legte<br />
ich mich ihr gegenüber in das heiße Bad, an das sich<br />
meine Haut erst gewöhnen musste, Marievonne hatte<br />
sich vorher fast in das Wasser fallen lassen, die Wärme<br />
191<br />
schien ihr nichts auszumachen.<br />
Wir lagen still in dieser riesigen Badewanne, die Köpfe<br />
zueinander gewandt. Marievonne konnte es nicht lassen,<br />
mir in die Augen zu schauen, es machte mich etwas verlegen.<br />
Auch ich schaute ihr oft in die strahlend blauen Augen,<br />
aber meine Blicke umgarnten ihren gesamten sehr schönen<br />
Körper mit fast durchsichtiger weißer Haut.<br />
Ich bewegte mich auf Marivonne zu, um sie zu streicheln,<br />
auch ihre Hände schlichen zärtlich über meine<br />
nasse Haut. Wir liebten uns in dem warmen Nass, bis wir<br />
beide rote Körper hatten.<br />
Ich lachte als ich ihren roten Kopf und Körper sah, und<br />
neckte sie mit Worten über ihren Zustand. „Du siehst<br />
auch nicht anders anders aus“, sagte sie mir leise. Sie<br />
sprach ständig leise, das hörte sich immer schüchtern an.<br />
Wir trockneten uns gegenseitig ab, legten uns eng aneinandergeschmiegt<br />
ins Bett, und schliefen gegen morgen<br />
ein.<br />
Als wir aufwachten, schaute Marievonne auf eine Uhr,<br />
es war Montagvormittag, und sie sagte:<br />
„ Ich sollte längst bei der Arbeit sein“.<br />
„Sei doch heute einfach ´mal krank“, versuchte ich sie<br />
zu beruhigen, und das gelang mir auch. Sie rief bei ihrem<br />
Arbeitgeber an, sie war Chefsekretärin in einem<br />
großen Betrieb, und meldete sich krank. So konnten wir<br />
uns weiter gesund lieben.<br />
Wir hatten mittlerweile drei Tage und Nächte im Bett
verbracht, es waren drei sehr schöne, mit viel Liebe gelebte<br />
Tage, an denen wir nur kurz das Haus verließen,<br />
um Brot und andere Lebensmittel zu kaufen. Marievone<br />
war eine gute Köchin, sie überraschte mich immer wieder<br />
mit Köstlichkeiten.<br />
Am vierten Tag konnte sie nicht mehr zu Hause bleiben,<br />
192<br />
sie musste zur Arbeit.<br />
Sie hatte mir einen Schlüssel für ihre Wohnung gegeben.<br />
Ich verließ das Haus am Vormittag nachdem sie um<br />
8.30Uhr zur Arbeit gegangen war.<br />
Sie hatte eine Stelle im Zentrum der Stadt, und brauchte<br />
nicht zu fahren.<br />
Ich kaufte Backwaren, und begab mich zum Haus des<br />
Clans.<br />
„Wir dachten schon du tauchst überhaupt nicht mehr<br />
auf“, sagte Luc lachend, „dir scheint es ja richtig gut zu<br />
gehen“.<br />
„Du bist ganz wackelig auf den Beinen, was hast du gemacht,<br />
hast du dich überanstrengt“, fragte Martin. „Immerhin<br />
warst du drei Tage nicht hier“.<br />
„Ich glaub ich hab mich verliebt“, antwortete ich den<br />
Jungs. „Das geht vorbei“, sagte Luc, „ das ist zumeist nur<br />
eine kurze „Krankheit“, lachte Martin. Ich warf ihm ein<br />
Croissant an den Kopf, und sagte, „ nein, das ist ernst, so<br />
was hab ich noch nie erlebt“.<br />
„Schön für dich“, sagte Luc, „ du bist ja auch noch jung,<br />
genieße die Zeit, man weis nie wie lange so eine Liebe<br />
anhält“, riet Martin, und der Clan machte sich über das<br />
späte Frühstück her.<br />
Ich hatte mir den dicken Schal von Marievonne dreimal<br />
um den Hals gewickelt, die Lederjacke hielt mir die<br />
Kälte vom Körper. Ich ging in den Gassen rund um den<br />
Grand Place spazieren, schaute in die Geschäfte.<br />
Dann ging ich in eine Filiale der französischen Bank in<br />
Brüssel, und kontrollierte meinen Kontostand. Ich hatte<br />
noch etwa 2.000 französische Franks, und war beruhigt.<br />
Ich hob Geld ab, belgische Francs, von denen ich noch<br />
keine besaß, Marievonne hatte bisher Alles bezahlt.<br />
Als sie mich einmal fragte, was ich denn so mache im<br />
Leben, antwortete ich mit einer Lüge, sagte ich sei Mu-<br />
193<br />
siker, Percussionist. Das hätte ich auch jederzeit unter<br />
Beweis stellen können, ich konnte mit den Händen jeden<br />
Rhythmus halten, trommelte dauernd auf Tischen<br />
herum, wenn mir Musik gefiel.<br />
Dies hätte ich dem Clan auch sagen sollen, vielleicht<br />
wäre das ja ein Job geworden. Aber die brauchten ja einen<br />
Schlagzeuger, da hatte ich kläglich versagt.<br />
Ein zusätzlicher Trommler tat jeder Band gut, wie ich<br />
dachte, Santana war das beste Beispiel. Diese Gruppe aus<br />
Amerika war gerade mit ihrer ersten Platte über den<br />
großen Teich gekommen, und gefiel mir außerordentlich
gut. Diese Gitarre, Carlos Santana verstand mit ihr umzugehen<br />
Als Marievonne gegen 17Uhr von der Arbeit kam, war<br />
ich schon zu Hause, hörte Musik, sie hatte eine ziemlich<br />
große Plattensammlung, auch sie liebte Musik. Ich hatte<br />
gerade Jimmy Hendrix aufgelegt, eine Platte, die sie erst<br />
vor einigen Tagen geschenkt bekommen hatte. Ich liebte<br />
den Sound dieser außergewöhnlichen Gitarre<br />
Marievonne stand sehr chic gekleidet in der Türe, sie<br />
hatte ein schwarzes Kleid mit einer weißen Bluse darunter<br />
an, ich erkannte sie kaum wieder. Auch war sie geschminkt,<br />
das war sie nicht als wir uns kennen lernten,<br />
aber für ihren Job musste sie sicher besonders gut aussehen.<br />
Und sie sah gut aus, ich war direkt auf dem Weg zu ihr,<br />
und küsste sie erstmal lange auf den wunderschönen<br />
Mund. Sie hatte Ihre Arme um meinen Hals geschlungen,<br />
und fühlte sicher in der Beckengegend, dass ich sie<br />
herzlich begehrte.<br />
Sie hatte chinesisches Essen in Pappkartons mitgebracht,<br />
Curry Fleisch und Basmati Reis, der Duft der Speisen<br />
füllte die Küche und ich freute mich auf das Essen.<br />
Wir setzten uns züchtig, aber lachend an den Tisch, und<br />
194<br />
fütterten uns gegenseitig mit Fleisch und Reis. Der Tisch<br />
war am Ende bekleckert, aber wir lagen schon im Bett,<br />
um erneut der Liebe zu frönen.<br />
Wir waren nach den acht Stunden alleine sein wieder<br />
heiß aufeinander.<br />
Die Wohnung roch nun nach Liebe, wir machten es<br />
überall, wir beschränkten uns nicht auf das Schlafzimmer.<br />
Wenn ich eine neue Platte auflegte, kniete Marievonne<br />
schon nackt wie Gott sie geschaffen hatte hinter<br />
mir, und schlang ihre Arme um mich. Sie wollte mich<br />
keine Sekunde aus dem außer acht verlieren, mir ging´s<br />
genau so.<br />
Wir liebten uns wie besessen, so´was hatte ich noch nie<br />
erlebt, fand es aber unsagbar schön.<br />
Irgendwann sagte Marievonne: „ Dreh dich um, ich<br />
werde dich ´mal massieren“.<br />
Ich drehte mich auf den Bauch, und dann fühlte ich ihre<br />
zarten, aber trotzdem oft auch kräftig knetenden Hände<br />
auf meinem Rücken, sie massierte mich sicher eine<br />
halbe Stunde lang, bis auch jeder Muskel meines Rükkens<br />
gelockert war.<br />
Dann drehte ich mich um, und war das Pferd, das<br />
gründlich geritten wurde. So konnte ich sie anschaun,<br />
ich liebte es, wenn ihre schönen Brüste zitterten, und sie<br />
extatisch mit geschlossenen Augen auf mir saß.<br />
Und so liebten wir uns ohne Ende bis es nach etwa zwei<br />
Monaten ruhiger wurde. Wir liebten uns immer noch<br />
jede Nacht, aber wir unternahmen jetzt auch viel zusammen.<br />
Sie zeigte mir die angesagten Ecken von Brüssel,<br />
die chice Oberstadt, und einige interessante Discotheken,<br />
wo wir lustvoll tanzen gingen.
Wir gingen auch öfters in den Swing, dort traf ich auch<br />
den Clan, die Jungs, die mich so herzlich in Brüssel willkommen<br />
geheißen, und die die mir viel gegeben hatten.<br />
195<br />
Meine Sachen hatte ich längst abgeholt, sie hatten mittlerweile<br />
einen Drummer gefunden, einen Franzosen, der<br />
sehr gut sein sollte, wie mir Luc berichtete. Er lud mich<br />
ein, öfters ´mal ins Studio zu kommen, sie waren dabei<br />
eine neue Platte aufzunehmen, von der Luc die meisten<br />
Lieder geschrieben hatte.<br />
Wenn Marievonne arbeiten war, ging ich auch öfters ins<br />
Studio, es machte mir Freude dabei zu sein, wenn ein<br />
Song eingespielt wurde.<br />
Das war topinteressant, ich lernte viel über Studioarbeit.<br />
Im Studio standen Perkussion Drums, und ich machte<br />
mich an ihnen zu schaffen. Luc merkte, dass ich rytmisch<br />
gut drauf war, und ich durfte für einen Song einige Minuten<br />
das Schlagzeug begleitend an Kongas mitspielen.<br />
Ich bekam positives Feedback von allen Musikern, und<br />
war stolz auf meine rhythmischen Gefühle, die bei der<br />
Band gut ankamen.<br />
„Wärst du ein guter Schlagzeuger gewesen, hätten wir<br />
dich jetzt als Mitglied des Clans dabei“,<br />
sagte Martin, „Ich wäre froh gewesen, dich in der Band<br />
zu haben, du bist ein guter Typ, und du hättest zu uns gepasst“,<br />
sagte er noch.<br />
Mir wurde warm ums Herz ob seiner Worte. „Glücklicherweise<br />
habt ihr ja nun einen guten Drummer gefunden“,<br />
sagte ich, „der Typ hat´s echt drauf, haut sehr kräftig<br />
auf die Trommeln, genau der, den ihr für euren<br />
Sound braucht“, antwortete ich Martin.<br />
Es ging gegen Weihnachten, und Marievonne lud mich<br />
ein, im Haus ihrer Eltern zu feiern, sie müsse sowieso für<br />
einen Tag dorthin.<br />
Auf Familie hatte ich absolut keinen Drang, ich bat Marievonne<br />
um Verständnis, ich hatte noch keine Lust ihre<br />
Familie kennen zu lernen. Sie zeigte Verständnis, sie<br />
kannte meinen familiären Background, sie ging Weih-<br />
196<br />
nachten en Familie alleine feiern.<br />
Ich hatte ihr einen schönen Seidenschal gekauft, den ich<br />
in einer second Hand Boutique gefunden hatte, ein<br />
wirklich schönes Teil.<br />
Sie überraschte mich mit einem weißen, von feinen<br />
blauen Streifen durchzogenen Hemd, über das ich mich<br />
sehr freute. Ich hatte sowieso nur drei Hemden.<br />
Marievonne freute sich über mein Geschenk, sie glaubte<br />
ich würde Weihnachten vergessen wollen.<br />
So ganz konnte ich das nicht, und ich machte mir auch<br />
Gedanken über das Fest zu Hause, drückte diese Gedanken<br />
jedoch schnell weg.<br />
Die Bürgersteige in Brüssel waren weiß vom Schnee,<br />
leider matschig grau auf den viel befahrenen Strassen
und ich war froh, eine warme Bleibe, und ein warmes<br />
Herz zu haben.<br />
Dies war in vergangenen Jahren nicht immer der Fall,<br />
ich hatte oft alleine und draußen feiern müssen. Aber ich<br />
trauerte der Zeit nicht nach, sie hatte mir oft auch Gutes<br />
beschert.<br />
Ein Beatnik war ich längst nicht mehr, ich hatte mich<br />
schnell an Bequemlichkeit gewöhnt.<br />
Nur mein rockiges Wesen war nicht zu bändigen, ich<br />
war sogar kurz vor Weihnachten eine Nacht nicht in<br />
Marievonnes Wohnung gewesen, ich hatte mit einer<br />
schönen Frau eine Nacht in einem chicen Hotel in<br />
Brüssel verbracht, ich war noch stets ein Ausbrecher, was<br />
diese Dinge betraf. Das Mädel war eine schwarze Amerikanerin,<br />
die eine Rolle in einem Musical in Brüssel<br />
hatte. Mit einer Schwarzen hatte ich noch nie im Bett<br />
gelegen, diese Erfahrung konnte ich mir nicht entgehen<br />
lassen. Ich lernte sie auf einer Party beim Clan kennen,<br />
und war mit ihr abgezogen, war für immer ein „Gangster<br />
of Love“.<br />
197<br />
Ich hatte es Marievonne nicht erzählt, hatte behauptet,<br />
dass ich beim Clan so sehr bekifft war, dass ich nicht<br />
nach Hause fand, und dort geschlafen hätte. Erst am späten<br />
Nachmittag kam ich nach Hause, als die schwarze<br />
Jane zur Probe musste.<br />
Das war´s dann auch, ich war sicher sechs Monate mit<br />
Marivonne zusammen, als es mir wieder `mal zu viel<br />
wurde. Ich hatte “Hummeln im Arsch“, und wollte neue<br />
Gefilde erkunden.<br />
Mir war noch nicht klar, wie ich diesen Umstand Marievonne<br />
erklären sollte.<br />
Diese anfänglich so große, so einzigartige, nie erlebte<br />
Liebe war dann doch nicht mehr so stark, dass ich sie mit<br />
einer Frau alleine weiterleben konnte. Dazu war ich<br />
noch nicht bereit.<br />
Es war ein Verliebt sein, ein heftiges Gefühl, dass sich mit<br />
der Zeit automatisch abnutzte, nicht nur bei mir. Ich war<br />
mir sicher, dass auch andere Menschen solche Gefühle<br />
hatten, die irgendwann verblassen.<br />
Wenn eine gewisse Gewohnheit ins Zusammenleben<br />
kam, musste ich meine Zelte abbrechen, und weiterziehen,<br />
immer auf der Suche nach dem wahren Glück, das<br />
man dann vielleicht auch länger leben könnte. Mit Marievonne<br />
war es leider nicht so, ich musste gehen.<br />
Der Frühling kündigte sich an, die Sonne erwärmte<br />
meine Gedanken, die mich vorantrieben.<br />
Diesmal wollte ich nicht unbedingt ans Meer, Paris und<br />
Brüssel hatten meine Lust für ein Leben in großen Städten<br />
entfacht, ich wollte jetzt nach London.<br />
Ich hatte so viel von London gehört und gelesen, dass<br />
ich in diese Stadt wollte. Dort gab es jede Menge Musik,<br />
es gab die „Carnaby Street, von der überall berichtet
wurde, und ich hatte an einem warmen Tag in Brüs-<br />
198<br />
sel die ersten Blumenkinder gesehen, die Hippies.<br />
Ich sah an dem Grand Place ein Paar junger Leute, die<br />
Hand in Hand herumgingen, und Blumenkränze auf<br />
den Köpfen trugen. Dieses Bild trug ich in mir, wenn ich<br />
an Hippies dachte.<br />
Diese Zeit der „Flower-Power“ wollte ich ganz nah miterleben.<br />
Ich musste dafür nicht nach San Francisco, auch in London<br />
war die Szene der Flower-Power in vollem Gange.<br />
Nun wollte ich mich nur noch mit Marievonne auseinandersetzen,<br />
ich konnte keinesfalls bei Nacht und Nebel<br />
verschwinden, dafür war die Zeit mit ihr zu schön gewesen.<br />
Eines schönen Tages, Marievonne war von der Arbeit<br />
zurückgekehrt, saßen wir im Wohnzimmer, und unterhielten<br />
uns über den vergangenen Tag.<br />
Ich sagte irgendwann zu ihr, dass ich einen Job als Musiker<br />
gefunden hätte, und dafür nach London müsse.<br />
Marievonne schaute mich erstaunt an, und fragte, wie<br />
lange ich denn weg wäre. „Ca. zwei Monate, denke ich“,<br />
antwortete ich hier.<br />
„Was, zwei Monate, das ist eine lange Zeit, so lange<br />
möchte ich dich eigentlich nicht vermissen“, sagte sie.<br />
„Ich muss diesen Job annehmen, ich bin ziemlich blank,<br />
und das ist ´ne echte Chance für mich weiterzukommen“,<br />
erklärte ich ihr.<br />
Die Lügerei machte mich fertig, ich musste dieses Gespräch<br />
unbedingt zu Ende bringen, ich wusste nicht<br />
mehr, was ich noch alles sagen sollte. „So liegt die Sache,<br />
nächste Woche muss ich weg“, beendete ich das Gespräch.<br />
„Na ja, wenn du unbedingt nach London musst kann ich<br />
dich nicht aufhalten, das will ich auch nicht“, sagte Marievonne<br />
traurig, damit war dieses Thema erstmal been-<br />
199<br />
det.<br />
Ich wusste, dass die Frau mich wirklich liebte, für eine<br />
Frau waren Gefühle dieser Art stärker als für entschlossene<br />
Männer, dies hatte ich auf meinen Reisen gelernt.<br />
Aber ich konnte nicht anders, ich wollte nun etwas anderes<br />
sehen. Sechs Monate an einem Platz, das war für<br />
meine Bedürfnisse sehr lange, ich war noch immer rastlos.<br />
„Du wirst doch sicher eine Adresse in London haben,<br />
bitte ruf mich an, ich komm dich dann besuchen“, sagte<br />
Marievonne, sie hatte sich wohl mit der neuen Situation<br />
abgefunden.<br />
Ich war überzeugend, dass ich ihr meine Reise sehr<br />
nachdrücklich verständlich gemacht hatte, und versprach<br />
mich zu melden.<br />
Ich hatte kein gutes Gefühl, als mir immer deutlicher<br />
wurde, wie geknickt Marievonne wirklich war.<br />
200<br />
Kapitel 24<br />
Ich konnte nicht zurück, vielleicht war ich der größte
Egoist unter der Sonne, aber es war mir unmöglich,<br />
noch länger in dieser harmonischen Zweisamkeit zu leben,<br />
wie ich es immerhin ein halbes Jahr getan hatte.<br />
Viel Spaß in hatte ich in Brüssel gehabt, mit Marivonne,<br />
mit dem Clan, und die Stadt war wunderschön, es<br />
stimmte alles, außer in meinem Herzen, da stimmte<br />
langsam aber sicher nichts mehr, ich musste neue Gebiete<br />
in meinen Plan bringen.<br />
Ich hatte keine Ahnung wie es zu meinem Zustand gekommen<br />
war, schließlich gab es viele Paare, die lange<br />
Jahre, oder gar ein ganzes Leben mit einem Partner auskamen,<br />
aber das war für meine Lebenszeit noch nicht<br />
möglich, ich wusste nicht ob es je so sein könnte.<br />
Immerhin war ich noch keine 19 Jahre alt, und wild wie<br />
ein Tiger. Ich hatte noch Reviere zu markieren. Fertig<br />
aus.<br />
Und so kam der Tag, an dem ich zum Bahnhof fuhr, um<br />
mit dem Zug nach Oostende zu reisen, um dort auf eine<br />
Fähre zu steigen, die mich nach England bringen sollte.<br />
Marievonne war traurig, sie hatte Tränen in den Augen.<br />
Ich umarmte sie noch mal herzlich, gab ihr den Abschiedskuss,<br />
sie musste sowieso zur Arbeit.<br />
Ich hätte nicht gewollt, dass sie mir am Bahnhof hinterher<br />
winkte. Ich packte meine paar Sachen, zog Jeans,<br />
Hemd und einen dünnen Kaschmirpullover an, den mir<br />
Marivonne mir irgendwann mitgebracht hatte, zog meine<br />
Stiefel und die heiß geliebte Lederjacke an, ließ noch<br />
einen Blick durch die Wohnung streifen, in der ich gute<br />
Zeiten gehabt hatte, verschloss die Türe von außen, und<br />
201<br />
warf den Schlüssel in den Briefkasten.<br />
Ich trat auf die Strasse, streckte mich fest hoch, und ging<br />
die paar Schritte zur Straßenbahn, die mich zu Gare du<br />
Nord bringen sollte.<br />
Am Nordbahnhof brauchte ich nur eine halbe Stunde<br />
zu warten, und erstand eine Fahrkarte direkt bis London.<br />
Meine Barschaft hatte zwar deutlich abgenommen, obwohl<br />
ich fast nur auf Kosten von Marievonne gelebt hatte.<br />
Sie wusste, dass ich ohne Job keine großen Sprünge<br />
machen konnte.<br />
Noch hatte ich genügend Geld, um die erste Zeit in<br />
London überleben zu können. Dann würde ich schon<br />
wieder Möglichkeiten ausgecheckt haben.<br />
Ich war immer und überall klar gekommen, und es gab<br />
ja auch noch Frauen ohne Ende, englisch hatte ich es<br />
noch nicht bekommen, ich war sehr neugierig auf die<br />
Weiblichkeit der Insel.<br />
Nur auf der Strasse leben wollte ich nicht mehr, diese<br />
Zeit war endgültig vorbei!<br />
Ich würde meinem Leben ein neues Kapitel hinzufügen,<br />
und ich freute mich d´rauf.<br />
Noch einmal eine „Brüssler Waffel“, dicke, warme, sehr<br />
süße Waffeln, die man in Brüssel immer frisch an extra
dafür aufgestellten Buden kaufen konnte.<br />
Ich wusste, dass ich darauf ert´mal verzichten musste, war<br />
aber halb so schlimm, meine Reise ging weiter, ich war<br />
aufgeregt.<br />
In einem Monat sollte ich 19 Jahre alt werden. Marivonne<br />
wusste das, und sie wollte, dass ich diesen Tag noch in<br />
Brüssel feiern sollte, aber Geburtstag ging mir am Arsch<br />
vorbei, ich konnte 10 oder 60 Jahre alt sein, das machte<br />
für mich keinen Unterschied, ich war Reisender in Sachen<br />
Entdeckung des Lebens und in Sachen Liebe, die<br />
202<br />
für mein Leben unabdinglich war.<br />
Und ICH wollte bestimmen, Niemand sollte nochmals<br />
über mich bestimmen, davon hatte ich genug erfahren.<br />
So plante ich den Zug nach Oostende, das Ende von<br />
Belgien an der Nordsee, und erstmal auch von Marievonne.<br />
Ich hatte keinen Tränen zu weinen, dies war ganz<br />
alleine meine Entscheidung.<br />
Vom Clan hatte ich mich gebührend verabschiedet.<br />
Ich kannte mittlerweile einen Dealer, der gutes Gras verkaufte.<br />
Bei dem erstand ich ein paar Gramm gutes Gras,<br />
kaufte eine Flasche zwölf Jahre alten Whiskys, der in<br />
Belgien durchaus preisgünstig zu haben war, und ging<br />
gegen Abend meines vorletzten Tages ins Studio.<br />
Ich wusste das die Bande guten Whisky zu schätzen<br />
wussten, aber auch ich wollte mich brettfett machen einen<br />
endgültigen Schlussstrich ziehen.<br />
Die Jungs wussten nichts von meiner „Flucht“, freuten<br />
sich aber sehr über meinen unerwarteten Besuch. Sie<br />
hatten gerade einen Track eingespielt, hatten lange daran<br />
herumgefeilt, aber nun war er auf Band.<br />
Sie fanden somit also allen Grund zu feiern. Wir machten<br />
eine Party im Studio, rauchten Grass, tranken Whisky,<br />
und machten gemeinsam Musik, bei der ich noch<br />
´mal auf die Trommeln schlagen konnte. Es war ein Riesenfest,<br />
das ich den Jungs schuldig war. Martin fuhr<br />
noch´mal in die Stadt, um Essen für Alle zu besorgen.<br />
Wir feierten bis der Morgen kam, und wir müde und<br />
ziemlich breit waren. Wir umarmten uns ein letztes Mal,<br />
die Bande wünschte mir Glück, und fanden es gut und<br />
mutig, dass ich einen neuen Schritt in ein anderes Leben<br />
ging.<br />
Der Clan war eine gute, solide Rockband, die einmal,<br />
leider nur in Belgien, Erfolge hatten. Sie hatten den falschen<br />
Manager, wie ich fand. Aber sie hatten einen Ver-<br />
203<br />
trag für 4 Jahre, in denen sie 3 Lp´s für ihn einspielen<br />
mussten.<br />
Luc flüsterte mir bei einer Gelegenheit, dass der Manager<br />
von „Adamo“ Interesse zeigte, und das wäre richtig<br />
gewesen, aber sie waren gebunden. Es gab so viele gute<br />
Rockbands, hatten sie aber das Quäntchen Glück, oder<br />
den richtigen Manager nicht, saßen sie alle auf der Strasse.
Leider.<br />
Martin zog mich einen Moment bei Seite, und sagte: „<br />
Mit Marivonne lässt du eine sehr gute Frau zurück, ich<br />
kenne sie schon länger, sie ist eine positive Ausnahme<br />
Brüsseler Frauen, aber du musst es wissen“, sagte er<br />
ernst. Ich bekam den Eindruck, dass er selbst gerne mit<br />
Marievonne gewesen wäre. Sollte er sie kriegen, ich<br />
wünschte es ihm innerlich. Ich hatte dieser Liebe den<br />
Rücken zu gekehrt.<br />
Luc schrieb mir eine Adresse in London auf, bei der ich<br />
mich melden sollte, da würde man mir weiterhelfen,<br />
wenn ich Schwierigkeiten hätte. Er wollte die Leute<br />
dort telefonisch von meiner Ankunft in Kenntnis setzen.<br />
Das war schon mal beruhigend für mich, es gab mir zusätzliche<br />
Sicherheit, die ich aber sowieso hatte.<br />
Ich bedankte mich mit einer Umarmung, und Küssen<br />
auf die linke und die rechte Wange wie es in Brüssel üblich<br />
war. So verabschiedeten wir uns alle, und der Clan,<br />
den ich sicher nie vergessen würde war Geschichte.<br />
204<br />
Kapitel 25<br />
Der Zug war schon fast in Oostende angekommen, er<br />
brauchte knapp zwei Stunden von Brüssel.<br />
Ich sah bald das Meer, und fühlte mich stark und gut. In<br />
Brüssel hatte ich mir eine kleine Reisetasche angeschafft,<br />
die nicht störend war, und mit den wenigen<br />
Habseligkeiten, die ich besaß auch leicht. Unnötige Belastungen<br />
hatte ich immer vermieden.<br />
Ich musste durch den Belgischen Zoll, und schon war<br />
ich auf einer riesigen Fähre, die ich aus Italien und Griechenland<br />
schon kannte. Ich freute mich sehr auf die Seereise.<br />
Mittags ging´s los, und am nächsten Morgen sollten<br />
wir in Ramsgate ankommen.<br />
Die See war rau, hohe Wellen brachten das Schiff gehörig<br />
zum schaukeln. Das war anders als auf dem doch zumeist<br />
ruhigen Mittelmeer.<br />
Die Meere waren auch nicht vergleichbar, das Mittelmeer<br />
war eigentlich ein gigantischer See, der nur durch<br />
die Strasse von Gibraltar Auslauf hatte, die Nordsee hingegen<br />
erstreckte sich über einen sehr großen Teil unserer<br />
Wasserwelt war mit dem Atlantik und dem riesigen<br />
Nordmeer verbunden, das den Nordpool berührte, und<br />
dann den Pazifik erreichte.<br />
Die Erde bestand ja aus unendlich viel mehr Wasser, als<br />
Land.<br />
Und trotzdem starben Massen von Menschen an Durst<br />
und Hunger, weil nicht genügend Süßwasser vorhanden<br />
war.<br />
Das Meer konnte man leider nur beschränkt als Reservoir<br />
für Trinkwasser nutzen, Wasserwerke, die aus Meerwasser<br />
Trinkwasser machen konnten gaben es nur sehr<br />
begrenzt, und waren schwer zu warten.<br />
205
Das Salzwasser war so aggressiv, da wurden Pumpen und<br />
Rohre schnell durchfressen. Es würde sicher noch lange<br />
dauern, um dieses Problem zu beheben, wenn überhaupt.<br />
Ich hatte in den frühen Morgenstunden auf einem<br />
Schlafsessel einige Stunden geschlafen, bis ich merkte,<br />
dass sich die Passagiere gegen die Gangways bewegten,<br />
ich war in Großbritannien angekommnen.<br />
Es war April, das Wetter war rau und regnerisch. Ich<br />
dachte kurz an die heimelige Gemütlichkeit bei Marievonne,<br />
schlug mir diese Gedanken schnell aus dem<br />
Hirn. Ich war in England, das es zu entdecken gab.<br />
Direkt am Hafen von Ramsgate gab es einen Bahnhof,<br />
wo ich auch schnell einen Zug nach London Waterloo-<br />
Station erwischte. Ich hatte mein Ticket bis London gelöst,<br />
musste mich also nirgendwo anstellen, um eine<br />
Fahrkarte zu kaufen, wie viele Andere. Die Schlangen<br />
vor den drei Schaltern waren lang.<br />
Ich stieg in den Zug, und da bemerkte ich sofort den<br />
Unterschied zu den Zügen auf dem Europäischen Festland.<br />
Als ich die Türe öffnete, stand ich sofort im Abteil,<br />
es gab keine Flure, die einzelne Abteile verbanden, jedenfalls<br />
nicht an den Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten.<br />
Es gab einen kleinen Gang an der gegenüberliegenden<br />
Seite, durch den sich der Schaffner zwängen musste. Jedes<br />
Abteil hatte einen eigenen Ein- und Ausgang.<br />
Die Sitze waren ausgesprochen gemütlich, und ich<br />
konnte mir locker aussuchen, wo ich sitzen wollte. Natürlich<br />
nahm ich einen Fensterplatz ein, schließlich<br />
wollte ich Britannien bis London besichtigen.<br />
Der Zug setzte sich in Bewegung, nun war London zum<br />
Greifen nah, ich war froh, und rauchte mir einen kleinen<br />
Rest von dem Gras, das ich noch von der Fete in Brüssel<br />
übrig hatte. Ich hatte völlig vergessen, dass ich den<br />
206<br />
kleinen Joint noch in der Tasche hatte, so war ich unaufgeregt<br />
durch die Zölle gekommen. Glück gehabt, musste<br />
schließlich auch ´mal sein.<br />
Das Gras roch stark, und ich erhielt komische Blicke von<br />
zwei jungen mitreisenden Frauen. Aber ´ne Pfeife riecht<br />
ja auch anders als ´ne Zigarette, also warum Aufregung.<br />
Ich rauchte das Gras gemütlich, und warf den Rest aus<br />
dem Fenster.<br />
Jetzt ging´s mir richtig gut, ich freute mich auf London<br />
wie ein Kind. Waterloo-Station, Trafalgar Square, Picadilly<br />
Circus, Soho, Carnaby Street, gleich würde ich das alles<br />
in greifbarer Nähe haben.<br />
Die Landschaft war sehr schön, aber nicht viel anders als<br />
auf dem Festland. Ab und zu sah ich große Herrenhäuser,<br />
in denen sicher die Lords ihrer Majestät hausten, und<br />
ihre Bediensteten quälten.<br />
Schon fuhr der Zug in die Waterloo-Station, dem größten<br />
Bahnhof Londons, in den die Züge aus allen Himmelsrichtungen<br />
Englands einfuhren. Ich stieg recht high
aus dem Zug, und schaute mich in der Masse von Menschen<br />
aller Nationalitäten nach einer U-Banhn Station<br />
um. Trotz der vielen Leute sah ich ein typisch englisches<br />
„Underground“ Zeichen, ein roter Kreis mit einem in<br />
der Mitte liegenden blauen Balken.<br />
Ich ging in Richtung jenes Zeichens, musste mich durch<br />
viele Menschen schaufeln, kam aber dann schnell zur UBahn.<br />
Ich wollte zur Earl´s Court Station, das hatten mir<br />
Martin und Luc geraten, dort um die größte Halle Englands<br />
liegenden Strassen konnte man leicht günstige<br />
Wohnungen auf Wochenbasis mieten.<br />
Ich kam zur gesuchten Station, und verließ die U-Bahn<br />
in Richtung Earl´s Court Road. Ich sah eine völlig neue<br />
Welt, die Unterschiede zu anderen Großstädten waren<br />
207<br />
enorm, Geschäfte, Wohnhäuser, Fish and Chips Buden,<br />
die fischig rochen, Supermärkte an jeder Ecke, es war<br />
zunächst ´mal überwältigend und einfach anders als Paris<br />
, Köln, Berlin oder Brüssel, hier war London, typisch<br />
für sich selbst, unvergleichbar mit anderen Städten.<br />
Es war Neuland für mich, aber ich liebte Neuland, ich<br />
ging mit einer angenehmen Gänsehaut die breite Straße<br />
entlang.<br />
Auch hier lebten Menschen aller Nationalitäten friedlich<br />
miteinander, eine solch unterschiedliche Mischung<br />
Mensch in einem Viertel hatte ich noch nirgendwo gesehen.<br />
Ich war high bis in die Haarspitzen, und das kam<br />
nicht mehr nur vom Gras.<br />
Ich war in London Süd-West 5, das von der Kensington<br />
High Street, und der Cromwell-Road durchquert wurde,<br />
zwei große Strassen, die sich durch ganz London zogen.<br />
Auf diesen Strassen hatte man Verbindung nach<br />
überall in London. Und ich wollte ja schließlich überall<br />
hin.<br />
Earl`s Court grenzte an South Kensington, einem chicen<br />
Viertel, und an West Bromton, das auch nicht billig<br />
war. Im Earl´s Court zu wohnen war erschwinglich, gute<br />
Ratschläge meiner Freunde in Brüssel.<br />
Von der Earl´s Court Road gingen kleine Strassen in<br />
linke und rechte Richtung ab, und genau so eine kleine<br />
Strasse musste ich ansteuern, denn hier konnte ich mich<br />
irgendwo einmieten. Für 5- bis 8 Pfunds (45 bis 65<br />
Mark) pro Woche bekam man hier ein geräumiges Zimmer<br />
mit Heizung (wichtig!), und Bad.<br />
Ich wählte die der U-Bahn gegenüberliegende Seite der<br />
Earl´s Court Road, und ging zunächst in die Earl´s<br />
Court Gardens, einer ziemlich feinen Strasse, in der aber<br />
an vielen Häusern Schilder mit „to let“ (zu vermieten)<br />
in den Fenstern hingen. Die Häuser waren alle durch<br />
208<br />
weiß gestrichene Eisenzäune von der Strasse und dem<br />
Bürgersteig getrennt. An einem Haus mit dem Schild to<br />
let ging ich einige Stufen hoch, und drückte auf die erste
Klingel.<br />
„Yes please“, fragte eine feine englische Dame, die mir<br />
die Türe öffnete, ich fragte sie nach den zu vermietenden<br />
Zimmern, und den Preisen dafür. „That depends<br />
how long you stay, Sir“, antwortete die Dame, sehr rote<br />
Lippen vorzeigend. (das kommt darauf an, wie lange sie<br />
bleiben möchten, Sir), das mit dem „Sir“ gefiel mir besonders<br />
gut.<br />
Ich erklärte ihr, das ich die Absicht hätte, länger in London<br />
zu bleiben, einen Monat oder zwei.<br />
Sie betrachtete mich von oben bis unten, fand mich<br />
wohl serieus, ich hatte das gestreifte helle Hemd an, meine<br />
chice Lederjacke, und geputzte(!) Stiefel.<br />
„ If you stay at least one Month, I can give you a nice,<br />
big Room for 6 Pounds a week“, machte die Lady Ihren<br />
Preis fest.<br />
Aber da ich natürlich geborener Händler war, konnte ich<br />
mich auf diesen Preis nicht einlassen, ich bot ihr 4,5<br />
Pounds die Woche an, sie sagte:“Ok, you can have a<br />
Room, verry quiert, for 5 Pouns a week, if you pay in<br />
advance, Sir“. Sie gäbe mir ein schönes Zimmer wenn<br />
ich mindestens einen Monat bleiben würde und im Voraus<br />
bezahle.<br />
Ich wollte das Zimmer sehen, und die Dame führte<br />
mich in die erste Etage. Sie öffnete ein Zimmer, sicher<br />
25qm. groß, mit einem Doppelbett, zwei Sesseln und einem<br />
Tisch, einem -zum Glück kleinen- Kleiderschrank<br />
und einer mit Gas betriebenen Feuerstelle, Heizung. Das<br />
Bad war geräumig, hatte eine separate Dusche, und sogar<br />
ein Bidet.<br />
„Yes, Lady, I take this Room, I pay you two weeks in Ad-<br />
209<br />
vance” bedeutete ich der Lady, die einen Schal um die<br />
Schultern trug, und sie sagte zu. Ich fingerte das Geld aus<br />
der Tasche, ich hatte mir schon am ersten Bahnhof<br />
Pounds besorgt, ich gab ihr 10 davon<br />
„I wish you a good time in London, Sir”, sagte die Lady<br />
nun lächelnd, und steckte die Scheine schnell weg. Sie<br />
erklärte mir noch wie das mit der Heizung funktionierte.<br />
Man musste Münzen in einen neben der Heizung<br />
stehenden kleinen Apparat werfen, das Gas aufdrehen,<br />
und zünden. Der Zünder war direkt neben dem Geldautomaten,<br />
der aber sicher schon vor sehr langer Zeit<br />
angebracht worden war.<br />
Die Feuerstelle sah schon etwas mitgenommen aus.<br />
Ich schaute aus einem großen Fenster, und war angenehm<br />
überrascht, ich sah auf sehr grünen, gepflegten<br />
englischen Rasen, und Blumen im Carre, die von anderen,<br />
auch weißen Häusern mit schwarz gerahmten Fenstern<br />
umgeben waren. Es war eine große Grünfläche vor<br />
dem Fenster.<br />
Dies waren also „Earl´s Court Gardens“, ich fühlte mich<br />
gleich wohl hier. Und dass ich so günstig wohnen könnte
hatte ich nicht erwartet. 180 Mark im Monat, das fand<br />
ich natürlich super.<br />
Ich legte schon ´mal Geld für sechs Wochen zur Seite.<br />
Hauptasche das Wohnen war geregelt, ich war wieder<br />
´mal unabhängig, hatte noch einige Barschaft, es ging<br />
mir ´mal wieder richtig gut!<br />
Ich lehrte meine Tasche, schob die Kleider, (zwei Hemden,<br />
zwei Hosen, Unterwäsche, Socken, und ein weiteres<br />
Paar Schuhe, die mir die Schweizerin gekauft hatte,<br />
die waren immer noch Top, und gemütlich.). Ich wohnte<br />
nun in Earl´s Court Gardens Nr.15.<br />
Der „Sir“ machte sich auf Erkundungstrip in die Earl´s<br />
Court Umgebung.<br />
210<br />
Glücklicherweise hatte ich erneut eine sehr lebendige<br />
Stelle der Welt gefunden, hier tobte das Leben ´mal wieder.<br />
Ich sah eine als Café bezeichnete Örtlichkeit, in der<br />
viele junge Leute verschwanden. Es war das „Supersonic<br />
Café“. Ich verschwand hinterher, ging eine sechsstufige<br />
Treppe hinunter, wo mir schon Musik entgenklang.<br />
Unten angekommen war ich in einem ziemlich großen<br />
Musik-Café, das mit jungen Leuten gefüllt war, die sich<br />
trotz der ziemlich lauten (und das gefiel mir besonders!)<br />
Musik von den Beatles angeregt unterhielten. Ich setzte<br />
mich auf einen freien Barhocker an die Theke, und bestellte<br />
Milchkaffee.<br />
Dann begann ich die Örtlichkeit in näheren Augenschein<br />
zu nehmen, und war angenehm überrascht. Ich<br />
hatte eine schöne, musikalisch dekorierte Kneipe gefunden.<br />
Es hingen Instrumente an den Wänden und von<br />
der Decke herab, Schallplatten, elektrische und akustische<br />
Gitarren, die ein Leben schon hinter sich hatten,<br />
aber sehr dekorativ waren. Das Alles wirkte sehr positiv<br />
auf mein Gemüt.<br />
Posters von mir bekannten und viele mir unbekannte<br />
Bands schmückten die Wände zusätzlich. Die Stühle und<br />
Tische waren ziemlich klein, was dem Raum aber mehr<br />
Fläche gab, ihn größer erscheinen ließ als er wirklich<br />
war.<br />
Es waren sicher vierzig junge Leute in dem Raum, Farbige,<br />
Afrikaner aber auch Inder, und jede Menge Londoner,<br />
wie ich erkannte. Es waren natürlich alle „Londoner“,<br />
die Weißen hatten aber deutlich die Oberhand.<br />
Ich trank meinen Kaffee, hörte noch eine Weile der<br />
Musik zu, von der ich Vieles nicht kannte, aber es war<br />
sehr rockig ausgelegt, und beobachtete weiter die Menschen.<br />
Die Musik wurde plötzlich etwas virtueller, sehr<br />
gitarristisch, aber eben virtueller, als der Rock den ich<br />
211<br />
kannte.<br />
Ich fragte ein Mädel, das hinter der Bar arbeitete, wer da<br />
spielte, und sie antwortete verwundert schauend „This is<br />
Pink Floyd, dont you know them“? Nein, die kannte ich
nicht, ich hatte von dieser Band noch nie gehört. Aber<br />
sie gefiel mir sehr gut.<br />
Neben mir an der Theke hockten vielleicht noch acht<br />
Leute, fünf Mädchen, und drei Jungs. Hier wurde konsequent<br />
english gesprochen, und das war gut so. Ich<br />
wollte lernen, lernen und lernen. Sprachen, Leben, Musik,<br />
Alles!<br />
Ich war wieder einen großen Schritt weiter gekommen,<br />
es konnte nur noch besser werden.<br />
Sicher hatte ich zwei Stunden in dem Café verbracht,<br />
die Musik hatte mich gefesselt, so hatte ich das noch nirgendwo<br />
erlebt, außer vielleicht privat, die Musik und die<br />
Menschen hatten mich sehr zufrieden gestimmt.<br />
Ich konnte mich nur schwer trennen, wollte jedoch<br />
mehr sehen, ich war gerade erst angekommen, und sofort<br />
war ein Funke auf mich gesprungen, der mich regelrecht<br />
verzaubert hatte. Ein kleines persönliches Wunder<br />
war geschehen. Oder ein Großes?<br />
Ich musste mich zunächst orientieren, es war Zauber,<br />
daran gab es keinen Zweifel. Pink Floyd hatte vielleicht<br />
daran mitgewirkt.<br />
Ich begab mich in die „Tube“, wie die Londoner ihre<br />
Underground-Bahn nannten, und suchte mir einen Zug<br />
Richtung Picadilly Circus.<br />
Ich wusste, dort ging es nach Soho und in die Carnaby<br />
Street. London war um diese Zeit der Nabel der Welt,<br />
hier versammelten sich Alle, die am modernen Leben<br />
teilhaben wollten.<br />
Selbst San Francisco, oder New York waren nicht so angesagt<br />
wie London, das kam erst viel später. Ich war zur<br />
212<br />
rechten Zeit am rechten Platz.<br />
Als ich am Picadilly Circus ankam, aus der sehr tief liegenden<br />
„Tube“ hochgerollt, die Rolltreppen waren immens,<br />
lagen sicher bis zu 50 Meter unter der Stadt, ( Im<br />
zweiten Weltkrieg hatten sich hier die Londoner vor den<br />
Bombenangriffen der Deutschen geschützt), sah ich einen<br />
sehr verkehrsreichen Kreis, indem in der Mitte ein<br />
Platz war, den in seinem Zenit eine hohe Statue<br />
schmückte. Ich war am Picadilly Circus. Es war regnerisch,<br />
aber so war halt das englische Wetter, Sonne hatte<br />
man nur selten, im Juli oder August, wenn man Glück<br />
hatte.<br />
So viele Regenschirme wie in London hatte ich noch<br />
nirgendwo gesehen.<br />
Viele schwarz oder dunkel gekleidete Männer trugen<br />
lustige, schwarze, runde, mit nur einer schmalen gebogenen<br />
Krempe besetzte Hüte, das waren die Londoner<br />
Banker oder Beamten, oder überhaupt serieusen Business<br />
Männer.<br />
Jeder trug einen offenen oder eingerollten Regenschirm<br />
als ständigen Begleiter. Je nach Wetterlage.<br />
Ich fragte einen „Bobby“, einen Londoner Polizisten,
wie ich zur Carnaby-Street käme, und er erklärte mir<br />
sehr freundlich und zuvorkommend, dass ich nur um<br />
drei Ecken musste, um diese Strasse zu erreichen. Es mag<br />
4 Uhr Nachmittags gewesen sein, in dieser Straße war<br />
ein solch farbenfrohes Treiben, wie ich es mir bunter<br />
nicht hätte vorstellen können.<br />
Hunderte junger Leute schlenderten durch die Straße,<br />
in der eine Boutique neben der Anderen angesiedelt<br />
war. Jeder verkaufte etwas anderes, hier gab´s Kleider für<br />
Frauen, „Lady-Jane“, dort gab´s Bekleidung für Männer,<br />
„Lord-John“, und Geschäfte für Räucherstäbchen, wonach<br />
die gesamte Straße roch, auch schon ´mal nach<br />
213<br />
Gras dazwischen, ich konnte erstmal kaum fassen, wie<br />
hier das Leben regelrecht zauberte.<br />
Die Bekleidungen waren schrill farbig wie nirgendwo in<br />
der Welt, vielleicht noch in Indien, wo es ja kulturell<br />
schon tausende Jahre bunt zuging. Es gab auch viele indische<br />
Geschäfte, sie waren sehr gut besucht. Man erstand<br />
hier Saris, indische Wickelkleider, in allen Farben,<br />
mit Gold durchwebt, rot und blau und grün und lila, es<br />
war eine wahre Pracht, was diese Strasse hervorbrachte.<br />
Aber hauptsächlich gab es Hippie-Mode, die war total<br />
„IN“ in London. Unten weit ausladende Hosen, die an<br />
den Oberschenkeln eng saßen, farbige Blusen zierten die<br />
schönen jungen Frauen. Runde Nickelbrillen, wie Janis<br />
Joplin sie trug. Ketten in allen Variationen, überladender<br />
Schmuck war sehr angesagt, für Frauen und auch für<br />
Männer. Junge Leute erfreuten sich an dem immens großen<br />
Angebot der Carnaby-Street.<br />
In dieser Strasse kauften viele Rock Musiker ihre bunten<br />
Kostüme. Es war eine enorme Bühne der Eitelkeiten,<br />
ca. 800 Meter lang, und sicher 30 Meter breit. Glitzer<br />
und Glimmer überall, eine farbefrohe Wolke in der<br />
Stadt.<br />
Diese Strasse lag in „Soho“, einem etwas anrüchigen<br />
Viertel, das aber zu London gehörte wie die Tower-<br />
Bridge oder der Regen. Soho lag nah am Picadilly-Circus.<br />
Hier war die „Unterwelt“ von London zu Hause, eine<br />
Striptease Bar lag neben der anderen, und wenn man genau<br />
hinschaute, sah man die Tänzerinnen von einem<br />
Club zum nächsten ziehen, mit ihren Kostümen unterm<br />
Arm, wo sie sich beim Auszieh´n ihr Geld verdienten.<br />
In Schaukästen vor den Clubs sah man schon wer und<br />
was einen in der Bar unterhalten würde. Das Spektakel<br />
214<br />
begann schon am Tag und endete in den frühen Morgenstunden.<br />
Vor jedem Club stand ein Mann, um die Vorbeiziehenden<br />
mit lockeren Sprüchen in die Etablissements zu lokken.<br />
Hier sah man die Londoner Gangster, life und in<br />
Farbe.<br />
Es gab auch viele indische und pakistanische Restaurants<br />
in Soho, in denen man sich leicht die Kehle verbrennen
konnte, wenn man die Schärfe der Speisen<br />
nicht deutlich benannte.<br />
In Soho war auch der „Marquee-Club“, in der berühmt<br />
werdenden Wardour Street, indem schon die Beatles, die<br />
Stones, Fleetwood Mac und andere Größen der Rockmusik<br />
auftraten. Ich sollte meine helle Freude in diesem<br />
Club haben, den ich später oft besuchte.<br />
Ich ging schon am ersten Abend in den Marquee-Club<br />
weil ich es einfach nicht erwarten konnte, diesen Club<br />
zu erleben. Dort spielten an diesem Abend John Mayell<br />
and the Blues Brekers, eine Blues-Kult Band in dieser<br />
Zeit. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Als ich<br />
den Club betrat, Eintritt 1 Pfund, (10 Mark), turnte John<br />
Mayell persönlich in einer sehr fransigen Wildlederkluft<br />
oben auf den Lautsprecherboxen herum, und verkabelte<br />
irgend´was. Da gab´s es noch nicht für jede Band „Roady<br />
´s“<br />
Es waren schon einige Blues-Fans versammelt, das Konzert<br />
sollte um 22 Uhr beginnen. Dann war der Club<br />
auch bis auf den letzten Platz gefüllt.<br />
Mein erstes Life-Konzert in London war einzigartig, hat<br />
mich gut in den „Marquee-Club“ eingeführt, besser<br />
hätte es nicht sein können.<br />
Die Band hatte mir Brüssel und Maryvonne aus dem<br />
Hirn geblasen, und zwar sehr, sehr laut. Solche Phonstärken<br />
war ich auf dem Festland nicht gewöhnt. Aber das<br />
215<br />
gefiel mir besonders gut. Wie schon erwähnt, ich liebte<br />
laute Rock-Musik.<br />
Am frühen Morgen begab ich mich zu Fuß von der<br />
Wardour Street zur Shaftsbury Avenue zum Picadilly<br />
Circus, dann Richtung Charring Cross Road, über die<br />
Pembroke Road in die Cromwell Road, alles legendäre<br />
Straßen in London, dann nach links in die Earl´s Court<br />
Road, noch´mal links, und ich befand mich zu Hause,<br />
Earl`s Court Gardens 15, wo ich zufrieden und glücklich<br />
den Rest der ersten Nacht in London in tiefem<br />
Schlaf verbrachte.<br />
Meine dröhnenden Ohren hatten sich auf dem Weg<br />
nach Hause wieder beruhigt. Der Weg von Soho zum<br />
Earl´s Court war weit, ich sah London im Morgengrauen,<br />
einzigartig und interessant.<br />
Als ich am nächsten Nachmittag wach wurde, ging ich<br />
wieder in das Café Supersonic in der Earl´s Court Road,<br />
und bestellte starken Kaffee mit Milch, ich hatte den<br />
Kopf voller Gedanken an den gestrigen Tag, es kam mir<br />
fast unwirklich vor, wie ich wichtige Einrichtungen und<br />
Erlebnisse in London so schnell hatte entdecken können.<br />
Einige wichtige Informationen hatte ich ja schon vom<br />
Clan in Brüssel bekommen, aber das Erlebte übertraf<br />
meine kühnsten Erwartungen. Zur rechten Zeit am<br />
rechten Platz in dieser jungen, ins Neue aufbrechenden<br />
Gesellschaft. Eine völlig andere Zeit war angebrochen,
und diese erlebte man am deutlichsten in London/<br />
England! Und ich war mittendrin, überhoch erfreut.<br />
Ich stellte mir vor an einer Revolution teilhaben zu<br />
können, die in London ihren Ursprung hatte. Ich war sicher,<br />
dass ich mithelfen könnte die Welt zu verbessern,<br />
eine neue, friedliche Zeit mit viel Liebe und Frieden<br />
216<br />
deutlich einzuläuten. Kraft dazu hatte ich satt. Alle jungen<br />
Menschen glaubten an Veränderung, „Love and<br />
Peace“ waren die täglichen Parolen in dieser Stadt, in der<br />
auch das „normale“ Volk freundlich war.<br />
Schon am zweiten Tag in der Stadt begann ich das Earl´s<br />
Court Viertel, London SW 10, zu erkunden.<br />
Ich begab mich in die großen Strassen, die durch das<br />
Viertel, und durch ganz London führten, so wie die<br />
Cromwell Road, die Old Bromton Road, Fullham Road<br />
, von denen ich schon Einige in der vorherigen Nacht<br />
begangen hatte, und noch viele mehr, die durch Earl´s<br />
Court zogen, von weit her kamen, und weit draußen endeten.<br />
„Charing Cross“ war der unter- und überirdische Verkehrsknotenpunkt<br />
von London, von hier führten Straßen<br />
und U-Bahnen in alle Richtungen.<br />
Earl´s Court wurde von diesen enorm verkehrsreichen<br />
breiten Straßen geprägt. Und dann die Earl´s Court<br />
Halle, die damals, und vielleicht noch Heute, größte geschlossene<br />
Halle der Welt, in der ständig Events stattfanden,<br />
ob Rockkonzerte, Philharmonische Großartigkeiten,<br />
oder riesige Ausstellungen aller Art. In dieser Halle<br />
war immer Neues zu entdecken. Ob Elvis Presley oder<br />
Kanienchenzüchter Ausstellung, hier fand man Alles.<br />
Und dann Notting Hill Gate, ein Viertel wie eine Kleinstadt,<br />
die den größten Flohmarkt beherbergte, den ich je<br />
gesehen hatte. Die Angebote, und die illustren Typen, die<br />
diese machten, waren unvergleichlich in Europa, vielleicht<br />
auch in der Welt. Ich hatte den Pariser Flohmarkt<br />
oft und gerne besucht, und der war groß. Auch den Amsterdamer<br />
Flohmarkt, jedoch Notting Hill Gate war allen<br />
in jeder Hinsicht überlegen. Dort fand man einfach<br />
ALLES, es gab Nichts was es nicht gab. Der Markt hatte<br />
mich außerordentlich beeindruckt.<br />
217<br />
Und überall die großen roten Doppeldecker Busse, an<br />
deren hinteren Ende, das frei stand, nur am Boden bis<br />
zum Dach reichenden dicken Stange gehalten, als hätte<br />
man die hintere, zum Bürgersteig gewandte Seite einfach<br />
dreieckig abgesägt , nur von dieser Stange in der<br />
Mitte des Dreiecks vom Verkehr abgehalten, mit einer<br />
Treppe nach oben , waren einzigartig. Wenn sich der Bus<br />
verlangsamte, konnte man leicht hinten auf- oder abspringen.<br />
Eine immer freundliche Schaffnerin in dunkelblau und<br />
rot gekleidet, oder der Schaffner verkauften dann die<br />
Tickets für die Fahrt. Am schönsten war es oben zu sitzen,<br />
und London zu studieren.
Mit der „Underground-Bahn“, der „Tube“, kam man<br />
am billigsten und schnellsten durch ganz London, dort<br />
wurde erst am Ziel gezahlt. Man sagte woher man kam,<br />
und dann wurde der Fahrpreis genannt. Ich hatte den<br />
Trick schnell ´raus, ich kam immer von der vorletzten<br />
Station, und zahlte den geringsten Preis. Die Londoner<br />
jedoch verhielten sich korrekt, sie sagte wo sie wirklich<br />
herkamen, und bezahlten so den angebrachten Preis.<br />
Londoner halt, die ihre Tube besonders im zweiten Weltkrieg<br />
zu schätzen wussten. Hier waren sie von Hitlers<br />
Bomben geschützt.<br />
Die Tube war sowieso etwas Besonderes. Hier wieselten<br />
Tausende in den sehr tief gelegenen langen Gängen, die<br />
nach hier und dort führten. Es war täglich ein Gewimmel<br />
von Menschen, einfach unglaublich. Die Bahn war<br />
groß ausgerichtet, und ging sehr tief in den „Underground“,<br />
die vielen Rolltreppen waren immens hoch,<br />
aus Holz, an den Rändern von Stahlbändern gehalten.<br />
Ich hatte selbstverständlich auch die Pariser U-Bahn erlebt,<br />
aber so tief wie es in London hinunterging, war<br />
einzigartig regelrecht beängstigend, wenn man von oben<br />
218<br />
hinunterschaute.<br />
Und es gab eine so genannte „Circle-Line“, eine Bahnstrecke,<br />
die immer den gleichen großen Kreis durch<br />
und um London zog. Viele Obdachlose wärmten sich in<br />
dieser Bahn stundenlang auf, sie fuhren halt immer im<br />
Kreis. So lange sie wollten. Und das mit dem günstigsten<br />
Ticket.<br />
Die Londoner waren sehr korrekt, sie drängelten sich nie<br />
vor, sie standen brav in einer übersichtlichen Reihe, ob<br />
am Bus, in der Bahn, im Geschäft an der Kasse, oder bei<br />
anderen Gelegenheiten. Es wurde nie gedrängelt, das beeindruckte<br />
mich sehr. Wo gab es denn so ´was auf dem<br />
Europäischen Festland, hier wollte Jeder der Erste sein,<br />
Gedrängel war immer und überall. Nicht so in London!<br />
219<br />
Kapitel 26<br />
Diese Stadt hatte mich schnell in ihren Bann gezogen.<br />
Ich genoss es täglich mehr hierher gekommen zu sein.<br />
Ich besuchte oft das Supersonic. Nachdem ich zweimal<br />
Kaffee geordert hatte, bemerkte ich, dass die meisten<br />
Menschen zum Frühstück, und den gesamten Tag über,<br />
Tee mit Milch tranken, das war das Nationalgetränk aller<br />
Engländer. Wie bei uns Kaffee getrunken wurde. The<br />
„British“ waren eher „Tee-Peoples“, obwohl sie auch<br />
Kaffee genossen.<br />
Die Musik im Café weckte mich schnell, es gab kein<br />
Lied, das mir nicht gefiel. Und schön laut, den ganzen<br />
Tag über.<br />
Viele neu gegründete englische Bands, von denen ich<br />
nur wenige kannte, was sich radikal ändern sollte. Wenn<br />
mir ein Song besonders gefiel, fragte ich eine der sehr
freundlichen Bedienungen, wer gerade spielte. Ich bekam<br />
immer eine Antwort, die Mädels kannten sich aus.<br />
In einem „Supersonic“-Café sollte man das auch.<br />
Ich hörte „The Cream“, mit Eric Clapton, die sich gerade<br />
in die Charts spielten, und die ich später Live in<br />
London sehen und hören konnte, „Free“, die ich glücklicherweise<br />
schon in Belgien live gesehen und gehört<br />
hatte, und in London nochmals erlebte. „Hermann´s<br />
Hermits“ wurden gespielt, sie hatten wohl einen Hit gelandet.<br />
„Jimmy Hendrix“, den man in seiner Heimat Amerika<br />
links liegen ließ, der aber in England riesige Erfolge feierte.<br />
Viele Gitaristen versuchten seine Art zu spielen zu<br />
kopieren, oder sich zumindest einige Riffs zu Eigen zu<br />
machen. Er war ein sehr besonderer Gitarist und Songschreiber,<br />
und spielte sein Instrument auch schon ´mal<br />
220<br />
auf dem Rücken, oder zupfte die Saiten mit den Zähnen.<br />
Er hatte eine riesige runde Afro-Frisur die er mit<br />
bunten Bändern schmückte. Ich sollte ihn schon bald<br />
Live erleben.<br />
Natürlich spielte man auch die „Größten“ dieser Zeit,<br />
die „Beatles“ und die „Rolling Stones“, die sich einen<br />
Kampf um die ersten Chartplätze lieferten<br />
Hier war klar, entweder man war „Stones“-Fan, oder<br />
liebte die „Beatles“, die ihre Kariere in Hamburg im<br />
„Star Club“ auf der Reeperbahn begannen. „T-Rex“,<br />
eine zwei Mann Band, sehr angesagt und überall oft gespielt,<br />
mit Tommy Bolin, der sich leider schon zu Beginn<br />
seiner Karriere in einem Mini-Cooper zu Tode brachte,<br />
ein Verkehrsunfall.<br />
„Jefferson Airplane“, eine von Lead Sängerin Grace<br />
Slick geleitete Hippie- Rock -Band aus Amerika, waren<br />
in Aller Munde, und Ohren in London.<br />
Drogen nahmen Alle und Jeder, man rauchte „Pott“<br />
(Gras und Hasch) um die Wette, in Musikerkreisen zirkulierten<br />
Cocain und Heroin, oft bis zum finalen<br />
„Schuss“, den sich Viele schon früh „verpassten“, so auch<br />
Jimmy Hendrix, den ich zwei mal Live gesehen hatte,<br />
erst in London, dann später in Rom.<br />
Janis Joplin, eine überaus begabte Songschreiberin und<br />
raue, ihre Überzeugungen in die Welt schreiende Sängerin,<br />
auch aus Amerika, trank und fixte sich in früher<br />
Jugend den Kopf zu, bevor ihre viel versprechende Kariere<br />
durch eine Überdosis Heroin ein klägliches Ende<br />
fand.<br />
Und alle Bands konnte man täglich in den verschiedenen<br />
Clubs von London live erleben, die Stadt war wie<br />
eine musikalische Wundertüte.<br />
Es sprach sich herum, und es gab auch kleine Plakate,<br />
dass im Londoner „Roundhouse“, einer am Rande<br />
221<br />
Londons gelegenen runden „Konzerthalle“, eigentlich<br />
eine riesige runde Bretterbude, in der viele Rock-Konzerte
stattfanden, ein Konzert von „Pink Floyd“, einer<br />
der angesagtesten Bands in London, spielen sollten. Es<br />
gab dort keinen „Kartenvorverkauf“, wer früh genug da<br />
war, konnte ´rein, der Rest musste von draußen zuhören,<br />
wenn dies möglich war.<br />
Dieses Konzert wollte ich mir auf keinen Fall entgehen<br />
lassen, das war Kult, da musste ich einfach dabei sein.<br />
Also machte ich mich schon früh am Abend auf in´s<br />
Roundhouse, und war einer der Ersten, die eine Karte<br />
für 1 Pound erstanden.<br />
Gegen halb elf Uhr war die Halle gefüllt, ca. 500 Leute<br />
passten hinein, und Pink Floyd betrat langsam die Bühne,<br />
von sphärischen Klängen begleitet. Hinter den Musikern<br />
auf der Bühne konnte man die erste „Lightshow“<br />
betrachten, für die Pink-Floyd berühmt waren.<br />
Syd Barrett, Begründer der Pink Floyd, Rhythmus Gitarre<br />
und Lead Sänger, David Gilmore, Gitarre und Vocals,<br />
Roger Waters, Bass und Vocals, Rick Wright, Organist,<br />
Graham Cokson, Gitarre, und Jerry Shirley,<br />
Perkussion.<br />
Dies waren die original Pink Floyd, zu denen sich später<br />
Snowy White, Gitarre gesellte, und deren Live-Show ich<br />
ungeduldig und sehr gespannt in der ersten Reihe erwartete.<br />
Die Musiker begaben sich zu ihren riesigen Verstärkern,<br />
nahmen ihre Instrumente auf, und begannen ungewohnt<br />
leise mit ihrem Konzert. Gitarren und Orgeltöne rieselten<br />
durch die gesamte Halle, und ich erlebte dann ein<br />
furioses Feuerwerk, ein virtuoses, durchgestyltes und<br />
sehr Gitarrenbetontes Konzert, bei dem mir fast der<br />
Atem stockte. Über der Menge lag eine Wolke aus Haschisch<br />
und Räucherstäbchen. LSD machte die Runde.<br />
222<br />
Es war unsagbar laut, aber dies konnte mich nicht aus<br />
der ersten Reihe fortbringen. Ich genoss dieses Mammutwerk<br />
wohlklingender Musik wie nie zuvor, eine<br />
Gänsehaut folgte der Nächsten. Unter- oder hintermalt<br />
im wörtlichen Sinne war das Ganze von einer für damalige<br />
Verhältnisse gigantischen Lightshow, die sehr simpel,<br />
von Dia-Projektoren, in denen sich je zwei eng aneinander<br />
liegenden Glasscheiben befanden. Zwischen den<br />
Glasscheiben war bunte flüssige Farbe die durch<br />
Handbewegungen der Glasscheiben in- und auseinender<br />
gedrückt wurden, und auf weißen, hinter den Musikern<br />
aufgehängten Tüchern in einer Fläche von ca. 30 qm. einen<br />
farbenfrohen Lichtzauber entfachten, wie ich ihn<br />
nie gesehen hatte. Ich hatte schon Einiges davon gehört,<br />
aber dieses Live-Erlebnis sprengte alle meine Vorstellungen.<br />
Pink Floyd hatten Weltweit Riesenerfolge, die Syd Barrett<br />
leider nicht verkraften konnte, er begab sich in Drogenrausch<br />
und stetigen Alkoholexzessen, an denen er<br />
sehr jung verstarb. Er war „zu früh in´s Licht“ gekommen,<br />
wie Roger Waters und David Gilmoore später<br />
sangen. („Shine on you crazy Diamond“). Der Erfolg
war ihm so sehr zu Kopf gestiegen, er konnte nicht damit<br />
umgehen. Es war ein enormer Verlust für Pink Floyd<br />
und für die gesamte Musikszene, Syd Barrett war ein<br />
großes musikalisches Talent.<br />
Leider sollte die Band später auseinander gehen. David<br />
Gillmore und Roger Waters, die Pink Floyd nun leiteten,<br />
und die Songs schrieben, hatten verschiedene Sichtweisen<br />
vom Weiterkommen der Band, es gab musikalische<br />
Differenzen, und es ging um viel, viel Geld für<br />
Uhrheberrechte.<br />
Ich brauchte einige Zeit, dies Ereignis zu verarbeiten, ich<br />
glaube ich ging danach zwei Tage nicht aus dem Haus.<br />
223<br />
Ich hatte Pink Floyd gesehen, deutlich gehört, und bis in<br />
die entferntesten Nervenbahnen gespürt, was wollte ich<br />
mehr.<br />
Glücklicherweise hatte die „Lady“ mir ein Radio gebracht,<br />
mit den Worten:“ But dont play to loud please“.<br />
Manche englischen Sender spielten auch Pink Floyd.<br />
Nun hatte ich auch noch Information und Musik, meine<br />
Wohnung wurde richtig heimelich.<br />
Ich „playte“ es nicht allzu laut, nur ab und an, wenn mir<br />
ein Song besonders gefiel, drehte ich ein wenig am Regler.<br />
Die „Lady“ zeigte Verständnis, jedenfalls hatte sie sich<br />
nie beschwert.<br />
Dann zog es mich wieder auf die Strassen, ich wollte<br />
weiterhin das Feeling von London in mich aufsaugen,<br />
ich konnte nicht genug bekommen, dabei war ich erst<br />
knapp ´ne Woche hier.<br />
Schnell bekam ich das Gefühl, als sei ich nie irgendwo<br />
anders gewesen, ich tauchte in die Londoner Atmosphäre<br />
ein. Für eine längere Zeit und mit schicksalhaften Begegnungen.<br />
Täglich ging ich in´s „Supersonic“ zum morgendlichen<br />
Kaffee, an Tee hatte ich mich noch nicht gewöhnt, nur<br />
am Nachmittag bestellte ich ab und zu eine gläserne Tasse<br />
des milchigen Getränks, das die Briten sich täglich Literweise<br />
einverleibten. Leider hatte ich keine Küche in<br />
meiner „Wohnung“.<br />
Ich ging ich durch die Strassen des Viertels, Menschen zu<br />
beobachten, und um zu erkunden, wo und wann das<br />
nächste interessante Konzert stattfinden würde. Live<br />
Musik sollte ein fester Bestandteil meines Lebens werden.<br />
Bald lernte ich auch andre Clubs in verschiedenen Vierteln,<br />
so den Scotch Club in Chelsea, wo die besten Frau-<br />
224<br />
en aufzufinden waren, kennen. Und die Mädels waren<br />
willig, “Love“ war angesagt, Peacefull ging es eh meistens<br />
zu. Oft schleppte ich eine Braut in meine schöne Wohnung,<br />
wo nun ein großes Pink Floyd Poster an einer<br />
Wand klebte.<br />
Ich musste nicht ´mal großartig suchen, sobald ich einen<br />
Club betrat, mich einige Zeit dot aufhielt, kamen Mädels<br />
von alleine, um zu fragen wer ich sei, wo ich herkomme,
und was ich mache.<br />
Ich war Musiker, das öffnete schnell Herzen. Emanzipation<br />
gab es hier schon bevor Alice Schwarzer den Begriff<br />
in der Deutsehen Presse propagierte.<br />
Ich hatte nichts großartiges um die Wohnung zu<br />
schmücken, was mich in dieser Zeit auch nicht besonders<br />
interessierte, aber Poster von Bands fand ich zu<br />
Hauff, und einige hängte ich mir an die Wände.<br />
Bald sah ich erneut ein Konzert der Who im Marquee-<br />
Club. Diese Band wurde im Lauf des Konzerts wilder<br />
und wilder, Pete Townsend ließ noch immer seinen<br />
rechten Arm wie Windmühlenflügel im Sturm über seine<br />
Gitarre kreisen, und brachte dabei kreischende Töne<br />
hervor, die in Mark und Bein gingen. Er hatte stets am<br />
Ende der Show Gitarren und Verstärker in Stücke gespielt.<br />
Es war eine deutliche Steigerung zu dem Konzert<br />
in Brüssel auszumachen, und die Band lebte schließlich<br />
hier. Keith Moon, einer der verrücktesten Musiker der<br />
gesamten Musik-Szene, verteilte seine Trommeln und<br />
Becken mit festen Tritten am Ende der Konzerte über<br />
die gesamte Bühne. Leider verstarb auch er sehr früh an<br />
Drogen- und Alkoholexzessen. Aber seine Späße während<br />
der Konzerte und auch danach sollten nie in Vergessenheit<br />
geraten. Die Manager der Band mussten sicher<br />
tief in die Taschen greifen, um Neue Instrumente<br />
und Verstärker zu erstehen, die die Musiker jedoch letzt-<br />
225<br />
lich selbst bezahlen mussten, als sie richtig viel Geld verdienten.<br />
Die Musik-Manager waren die ausgefuchsesten Organisatoren<br />
in ganz England. Joe Cocker, den ich auch in einem<br />
Club erlebt hatte, mit rauer Stimme und spastischen<br />
Bewegungen sang er z.B. „With a Little Help fromm my<br />
Friends“, und er glaubte daran. Dabei zogen ihm die sogenannten<br />
„Friends“ das Geld aus der Tasche so dass für<br />
ihn kaum ´was übrig blieb, und er hatte harte Zeiten, die<br />
er in reichlich Alkohol ertränkte. Er betrat die verschiedenen<br />
Bühnen oft im Rausch, aber seine Show war immer<br />
orgastisch, dieses Gebrülle und raue Geschrei machte<br />
ihm Niemand nach. Und er schrieb gute Songs, die<br />
sehr aussagekräftig waren. Aber er sollte später hoch belohnt<br />
werden, er machte eine steile Kariere.<br />
Überhaupt gaben sich alle Musiker dieser Zeit viel Mühe<br />
gute Texte zu schreiben, die ihren Fans Liebe und<br />
Freude vermittelten, und mit auf den Lebensweg gaben.<br />
Keine andere Zunft in der Welt, außer vielleicht einigen<br />
Dichtern und Gauklern, versuchte so deutlich, positive<br />
Lebensgefühle von Liebe und friedlichem Miteinander<br />
an die Zuhörer zu vermitteln. Durch gute Musik wurden<br />
diese Texte verstärkt in die anwesenden Fans hineintransportiert.<br />
Als ich dann ca. einen Monat in London war, wurde erneut<br />
ein besonderes Konzert angekündigt. „The<br />
Doors“, eine Band aus Amerika sollten im Earl´s Court<br />
auftreten.
Die Halle war halb ausverkauft, eine reife Leistung für<br />
diese riesige Halle. Die Doors hatten sich schon einen<br />
großen Namen in den USA gemacht, und fanden endlich<br />
auch den Weg nach London. The Doors waren berühmt<br />
für ihren Sänger, Jim Morrison, der großartige<br />
Songs schrieb, ein großer Poet, der auf der Bühne die<br />
226<br />
skandalösesten Auftritte hatte.<br />
In Amerika wurde er für seine politischen Aussagen und<br />
sein rüpelhaftiges Benehmen der „normalen“ Gesellschaft<br />
gegenüber, und seiner Kritik am Vietnamkrieg oft<br />
festgenommen, aber schnell wieder freigelassen. Er war<br />
eine Figur des öffentlichen Lebens, und man konnte mit<br />
ihm nicht verfahren, wie zum Beispiel mit armen Afroamerikanern,<br />
die man wegsperrte oder brutal verprügelte.<br />
Jim Morrison betrat die Bühne meist angetrunken oder<br />
high durch andere Drogen, an denen er leider schon<br />
1971 in Paris verstarb. Er wurde 28jährig auf dem Pariser<br />
Friedhof „Pere Lachaise“ begraben. Seine zahllosen<br />
alten und jungen Fans kamen auch noch nach mehr als<br />
30<br />
Jahren immer und immer wieder zu seiner Grabstätte,<br />
und feierten seine Songs.<br />
Irgendwann musste für sein Grab eine eigene Bewachung<br />
abgestellt werden, denn dort wurde immer Party<br />
gemacht, was für einen Friedhof natürlich skandalös war.<br />
Jim Morrison war halt auch im Leben ein ausgesprochen<br />
wilder Musiker, das versuchten die Fans weiterzuleben.<br />
Bei ihm. Mit ihm. Das Konzert in Earl´s Court sollte ich<br />
nie vergessen.<br />
Jim Morrison war genau so, wie ihn sein Ruf aus Amerika<br />
angekündigt hatte, high, poetisch und einfach gut.<br />
Ein großer Poet in seiner Zeit, dessen Poesie weiterleben<br />
sollte.<br />
Die Menge belohnte seinen Auftritt mit nicht enden<br />
wollendem Applaus, die Riesenhalle zitterte förmlich.<br />
Seine Band The Doors sorgten für den dazugehörenden<br />
Sound.<br />
Eigentlich war Jim Morrison Bestandteil der „Doors“,<br />
aber er stand so sehr als Lichtgestalt im Vordergrund, dass<br />
227<br />
die Band nur seinen beachtlichen Rahmen bildete. Nach<br />
dem Konzert waren in meinem neuen „Heimatviertel“<br />
von London noch bis in den frühen Morgen Doors-<br />
Songs zu hören. Meine Lady war „not amused“, wie sie<br />
mir am nächsten Tag mitteilte, denn die Jugendlichen<br />
zogen auch durch Earl´s Court Gardens, und sangen: „<br />
When the Music´s over“…<br />
Die Gazetten waren voll der Kritik am folgenden Tag,<br />
einige beschrieben das Konzert als einzigartig, andere<br />
zogen es in den Sumpf. Jim Morrison jedenfalls hatte<br />
seine Spuren in London für immer hinterlassen. Weltweit<br />
wurde er zu einem Idol für Millionen von jungen Menschen.
Es war Anfang 1967, fast Frühling, ich fühlte mich noch<br />
stets wohl in London, nur Schweinekalt war´s drinnen<br />
und draußen. Die Feuerstelle in meiner Wohnung<br />
schaffte es nicht so recht, alles so aufzuheizen, dass ich<br />
mich richtig wohl fühlen konnte.<br />
Seit einiger Zeit besuchte ich regelmäßig das „Quartier<br />
Latin“, ein Café 3 Busstationen Richtung Chelsea. Das<br />
Quartier Latin kannte ich ja schon aus Paris, es war das<br />
Viertel der Bohemiens.<br />
Hier in London war es der Sammelplatz vieler Franzosen,<br />
meist Studenten, aber auch Maler und Philosophen.<br />
Es gab 8 Tische, 4 für 4Personen, und zwei große Tische,<br />
an denen locker zehn Leute Platz nehmen konnten. Ich<br />
setzte mich immer an den gleichen Platz an einem der<br />
kleineren Tische, bestellte Tee mit Milch, war schon Brite<br />
geworden, Kaffee trank ich nur noch morgens, und<br />
beobachtete Menschen.<br />
Ich hatte schon länger keine Frau mehr eingefangen, ab<br />
und an kam ein Mädel aus dem Supersonic, und wir vergnügten<br />
uns unter 3 Decken. Das war aber immer nur<br />
228<br />
ein Minimalvergnügen, und als sie letztes Mal klingelte,<br />
sagte ich ihr ich sei nicht alleine, dann kam sie nicht<br />
mehr. War auch besser so.<br />
229<br />
Kapitel 27<br />
Im Quartier Latin hatte ich immer die gleiche Frau im<br />
Blick, sie saß an einem der großen Tische, wo heftig diskutiert<br />
wurde. Aber sie hörte mehr zu, als sie sprach. Sie<br />
war zwar an den Gesprächen beteiligt, ihre Kommentare<br />
waren aber selten, sie sprach dann leise, kontrolliert<br />
und stets lächelnd.<br />
Die Frau sprach französisch, das hatte ich festgestellt, als<br />
ich ´mal näher an dem Tisch mit vielen Jungs und weniger<br />
Frauen, vorbeiging um mir das Mädel näher anzuschauen.<br />
Sie war mit einer aufwendig verarbeiten dunkelbraunen<br />
Lederjacke bekleidet, die knapp bis zur Taille<br />
reichte, und vorne offen stand. Darunter hatte sie einen<br />
weißen Rollkragenpullover, einen Schottenrock mit Falten,<br />
weiße Kniestrümpfe, und feine flache geschnürte<br />
Schuhe an. Ihre Haare waren braun, glatt, halblang und<br />
gescheitelt, Ihr Gesicht war fein geschnitten, sie hatte<br />
sehr schöne wache Augen, und man hatte den Eindruck<br />
als lächle sie immer.<br />
Sie war täglich im Café, und stets mit den gleichen Leuten<br />
zusammen. Sie kannte wohl noch andere, die sie<br />
grüßte, wenn sie an ihr vorbeikamen, diskutierte jedoch<br />
immer im gleichen Kreis.<br />
Um was es dabei ging konnte ich nicht hören, ich dass<br />
zu weit weg, so konnte sie auch nicht sehen, dass ich sie<br />
dauernd im Auge hatte.<br />
Irgendwann kam eine ziemlich kleine Frau mit sehr langen<br />
Haaren auf mich zu, und sagte auf Englisch: „ Das
ist meine Schwestern die du da immer beobachtest“. Sie<br />
setzte sich an meinen Tisch, an dem ich alleine saß, und<br />
fragte, ob sie mir ihre Schwester vorstellen sollte. Ihr<br />
französischer Akzent war nicht zu überhören, und ich<br />
230<br />
antwortete in Französisch, dass ich nichts dagegen hätte.<br />
Ich sagte ihr meinen Namen.<br />
Sie ging zu ihrer Schwester, flüsterte ihr was ins Ohr,<br />
und die Frau schaute zu mir. Sie stand auf, kam mit Katherine,<br />
der Kleinen, an meinen Tisch, und Katherine<br />
sagte auf ihre Schwester zeigend: „Das ist Lucie, sie studiert<br />
hier einige Semester englisches Recht“. „Hallo“,<br />
lächelte ich sie an, „ich bin Eric aus Deutschland“.<br />
„Wieso sprichst du so gut französisch“, fragte sie mich,<br />
und ich erklärte ihr, dass ich lange in Paris und an der<br />
Cote gewesen sei.<br />
(Lucie, so hatte ich in Frankreich gelernt, spricht man<br />
nicht wie im Deutschen „LUZI“ aus, sondern „Lüßi“,<br />
das U wird zum Ü, weil Franzosen keine Striche auf<br />
dem U kennen, und das C wird weich ausgesprochen, so<br />
wie „si“. Einen schönen Namen hatte diese Lucie und<br />
eine feine Stimme, die mir sofort gut gefiel. Kurz und<br />
bündig, der Name, sehr weiblich, so wie ich, kurz und<br />
bündig, nur eben männlich, Deutsch, oder Nordisch,<br />
Eric hieß.<br />
Sofort setzte sie sich zu mir an den Tisch, ihre Schwester<br />
war schon verschwunden, ich konnte sie nicht mehr<br />
ausmachen. „Ich lebe in Paris, im 17en Bezirk“, sagte sie<br />
mir, ich war angenehm überrascht ob ihrer leisen, sehr<br />
deutlichen Aussprache.<br />
„Werden dich deine Freunde nicht vermissen“, fragte<br />
ich sie. „Nein, sicher nicht, wir kennen uns alle schon<br />
lange, und haben gleichzeitig mit dem Studium hier in<br />
London begonnen“, antwortete Lucie lächelnd.<br />
„Ich habe schon seit einiger Zeit gemerkt, dass du dich<br />
für unseren Tisch interessierst, du schaust oft zu uns herüber“,<br />
gestand sie mir. „Dich schau ich an, niemand anderen“,<br />
antwortete ich. Sie lachte schüchtern: „Wirklich“,<br />
fragte sie, und schaute mir in die Augen, als wolle<br />
231<br />
sie prüfen, ob ich auch die Wahrheit sagte. Diese Augen<br />
brachten mein Herz zum klopfen, sie waren grünlich<br />
und groß.<br />
Jetzt, wo sie so nahe bei mir war gefiel sie mir noch viel<br />
besser als aus der Ferne, und sie verbreitete einen leichten<br />
Duft von sehr wohlriechendem Parfüm. „ Hast du<br />
gerne Live Musik“, fragte ich sie? „In Paris habe ich die<br />
Beatles gesehen“, antwortete sie begeistert, „aber sonst<br />
war ich noch bei keinem Pop Konzert“, sagte sie. „In Paris<br />
war ich mit meinen Schwestern und meiner Mutter<br />
ab und zu bei klassischen Konzerten, in der Oper und<br />
monatlich im Theater. Ich habe noch zwei jüngere<br />
Schwestern, eine hast du ja schon kennen gelernt“.
„Nächte Woche spielen The Cream im Marquee-Club<br />
in Soho“, informierte ich Lucie, „hast du Lust mit mir<br />
dorthin zu gehen“? „Soho, das ist doch ein anrüchiges<br />
Viertel“, sagte sie fast entsetzt. „Aber der beste Club in<br />
London ist nun mal dort“, sagte ich lachend über ihre<br />
Naivität. „Außerdem ist dort die Carnaby-Street, warst<br />
du noch nie dort “, fragte ich?<br />
„Ich hab schon davon gehört, war aber noch nie dort“,<br />
gestand sie mir „Ich werde mir überlegen ob ich mit dir<br />
komme, wir sehen uns ja hier fast täglich“, und verabschiedete<br />
sich. „Ich muss noch´mal zu meinen Freunden,<br />
aber wir sehen uns“, sagte sie mit einem lächelnden<br />
Blick auf mich hinunter, sie war schon aufgestanden, und<br />
begab sich auf ihren Platz bei den anderen Franzosen.<br />
Man bückte sich zu ihr herüber, und es wurde getuschelt,<br />
wobei ich Blicke von einigen ihrer Freunde spürte.<br />
Ich blieb noch einige Zeit im Café, bemerkte, dass sie ab<br />
und zu herüberschaute Ich wusste nicht so recht was ich<br />
von ihr zu halten hatte, aber sie gefiel mir zusehends. Ich<br />
war froh, dass die kleine Schwester so aufmerksam gewe-<br />
232<br />
sen war, und uns vorgestellt hatte.<br />
Dies war die erste Vorstellung einer Frau durch jemand<br />
anderes, ich war gewöhnt selbst „den Stier bei den Hörnern<br />
zu fassen“, oder ich wurde gepackt.<br />
Bei Lucie war das plötzlich anders. Alles war anders.<br />
Von selbst wäre ich eventuell nicht auf sie zu gegangen.<br />
Weil sie so anders war, als die Frauen, die ich bisher getroffen<br />
hatte. Noch nie hatte ich eine mit Faltenrock und<br />
Kniestrümpfen, so glatt gekämmtem, gescheitelten Haar<br />
mit einer Spange, getroffen.<br />
Sie sah so unschuldig aus. Die Lederjacke jedoch gab<br />
dem gesamten Erscheinungsbild der Frau einen progressiven<br />
Tatsch.<br />
Ich nahm den nächsten Bus und fuhr alleine nach Hause,<br />
auch das war ungewöhnlich. Ein Besuch im Supersonic<br />
hätte ausgereicht, um mir körperliche Wärme zu holen,<br />
aber Heute wollte ich alleine sein. Obwohl ich nicht<br />
gerne alleine schlief, es gab immer ´ne Braut, die aber am<br />
besten noch vor dem Frühstück verschwunden sein sollte.<br />
Am nächsten Tag ging ich nur auf einen Kaffee in eine<br />
typisch englische Kneipe, in der es eigentlich nur Alkohol<br />
gab. Von 11- bis 13 Uhr waren diese „Pubs“ geöffnet,<br />
und abends von 17-bis 23 Uhr, dann gab´s nur noch<br />
die Clubs mit Alkoholausschank.<br />
Kaffe hatte man nur für die total Betrunkenen bereit.<br />
Und für die, die kein Bier wollten, aber deshalb befremdet<br />
angeschaut wurden.<br />
Die Brieten wurden in dieser Hinsicht an der kurzen<br />
Leine gehalten, trotzdem hab ich noch selten in anderen<br />
Ländern so viele Alkoholisierte wie in England getroffen.<br />
Sie versorgten sich privat, und das nicht zu knapp.<br />
Am Abend ging ich kurz in´s Supersonic, aber alleine
früh schlafen. Ich dachte zwar an Lucie, war auch schon<br />
233<br />
fast an der Bushaltestelle Richtung Quartier Latin, entschloss<br />
mich aber dann, mich einmal rar zu machen, wenigstens<br />
für eine Nacht, und ging nach Hause.<br />
Als ich am nächsten Abend in´s Quartier Latin kam, bemerkte<br />
ich sofort Blicke von dem großen<br />
Tisch, an dem ich nicht sofort Lucie entdeckte.<br />
Ich glaubte nicht recht zu sehen, denn aus diesem Schulmädchen<br />
war eine Rockerbraut geworden. Sie trug eine<br />
Lederhose, die an den Aussennähten mit indianischen<br />
Silberemblemen geschmückt war, einen Gürtel der auch<br />
mit Silberbeschlägen besetzt war, und leicht schräg über<br />
der Hüfte bis auf den oberen Rand der Hose fiel.<br />
Sie trug ein Cowboyhemd, und wunderschöne Stiefel,<br />
vorne leicht abgerundet, alles farblich aufeinander abgestimmt.<br />
Natürlich hing auch ihre Lederjacke über ihren<br />
Schultern. Das glatte Haar hatte sie, wie auch immer,<br />
lockig ums Gesicht bis auf die Schultern rollen.<br />
Ihre Stiefel hatte sie lässig auf einen leeren Stuhl gekreuzt,<br />
und lachte. Irgendjemand hatte wohl einen Joke<br />
gemacht. Sie sah mich wohl hineinkommen, und winkte<br />
mir zu. Ich ging an ihren Tisch, wo noch vier andere<br />
Franzosen hockten, das Café war noch nicht gut besucht,<br />
viele leere Plätze im Raum, was ungewöhnlich<br />
war.<br />
Ich erkannte die Frau nicht wieder, hätte ich sie zwei Tage<br />
vorher nicht so genau betrachtet, ich hätte sie mit einer<br />
anderen Person verwechselt.<br />
„Bon Soir Eric“, begrüßte sie mich lachend über meinen<br />
überraschten Blick auf ihre Bekleidung. „Salut Lucie,<br />
cést vraiment toi“? grüßte ich fragend, und schaute<br />
nochmals staunend.<br />
„Na ja, ich kann auch anders, ich geh nicht nur in die<br />
Uni“, erklärte sie lachend. Sie lachte die ganze Zeit, ich<br />
muss einen Ausdruck gehabt haben, als hätte ich eine Fa-<br />
234<br />
ta Morgana gesehen.<br />
„Du siehst richtig gut aus“, sagte ich zu ihr, und sie bedankte<br />
sich für das Kompliment.<br />
„Ich hatte gehofft, dass du Heute her kommst, Gestern<br />
warst du ja nicht hier“.<br />
Ich konnte es noch stets nicht fassen, da saß eine Braut,<br />
von der ich nur träumen konnte, sie hatte mich mit ihrem<br />
Ausfitt zum zweiten Mal überrascht. Vorgestern fast<br />
eine Klosterschülerin, Heute eine Braut, die perfekt zum<br />
Ausfitt von Jim Morisson gepasst hätte. Und dieser Duft<br />
den sie verbreitete machte mich an.<br />
„Schätze du hast nicht dagegen, mit mir morgen in den<br />
Marquee-Club zu gehen, wenn ich dich so sehe“, begann<br />
ich ein Gespräch. „Nun bilde dir ´mal nichts ein,<br />
ich habe es zwar erwogen, aber halte das nicht für eine<br />
Selbstverständlichkeit“, antwortete sie frech.
„Wie kannst du nur so ein Camälion sein“, fragte ich sie.<br />
„Ich hab einen großen Koffer, und ich komme aus Paris.<br />
Du müsstest eigentlich wissen, dass man dort sehr oft<br />
verschieden gekleidet ist“, erinnerte sie mich.<br />
„Aber dieser Unterschied ist schon krass, das musst du<br />
zugeben“. „Na ja, schon möglich, ich fühle mich sehr<br />
wohl so, und außerdem hatte ich gehofft dass du heute<br />
hier bist, und wollte dich überraschen. Ich hatte bemerkt,<br />
dass du ein rockiger Typ bist, du trägst ja auch<br />
ständig eine Lederjacke, Stiefel, und liebst Rock-Musik“.<br />
„Also kommst mit zum Konzert morgen“? fragte ich.<br />
„Ja, ich will das ´mal sehen und hören, was dir gefällt, außerdem<br />
will ich Soho kennen lernen, schließlich gibt´s<br />
in Paris auch ein „Pigalle“- Viertel, und das kenn´ich natürlich<br />
auch“.<br />
„Vorgestern kamst du mir so unbedarft vor in deiner<br />
Schulmädchenkluft, und heute kommst du als elegante<br />
235<br />
Rockerbraut, das ist schon verwirrend“, versuchte ich<br />
mein Erstaunen zu rechtfertigen. . „Frauen sind immer<br />
eine Überraschung an sich“, antwortete Lucie über das<br />
ganze schöne Gesicht lachend. „Weist du das etwa<br />
nicht“? scherzte sie mit einem Auge kneifend. Ich kannte<br />
die Frau nicht wieder.<br />
Und ob ich das wusste, aber so war mir das noch nicht<br />
begegnet, und mir war viel begegnet auf meinen langen<br />
Reisen. Außerdem hatte ich ein Faible für Frauen, das<br />
müsste schon zum Ausdruck gekommen sein.<br />
„Ich bin heute Abend bei Freunden eingeladen, die machen<br />
ein Fest, die werden auch überrascht sein, mich so<br />
gekleidet zu sehen da freu ich mich schon ´drauf. Die<br />
kennen mich noch nicht lange. Willst du mitkommen“,<br />
fragte mich Lucie. „Aber gerne, ein Fest ist immer gut“,<br />
sagte ich gerne zu. Sie nahm langsam ihre Füße vom<br />
Stuhl, und stand auf. Sie kam mir um Einiges größer vor<br />
als vorgestern, das lag wohl an den hohen Absätzen unter<br />
ihren Stiefeln. Wir waren fast gleich groß, als wir nebeneinander<br />
das Quartier Latin verließen. Als wir vor<br />
der Türe waren, zog sie die Jacke an, knöpfte und sie zu,<br />
„Kalt in London“, sagte sie zitternd, und hakte sich bei<br />
mir ein.<br />
Das gefiel mir, ich hatte eine schöne Braut am Arm.<br />
Sie winkte einem Taxi, und wir setzten uns in eine dieser<br />
urgemütlichen englischen Taxis auf den breiten<br />
Rücksitz. Sie blieb nahe bei mir am Körper, und zog<br />
mich näher zu ihr mit ihrem immer noch bei mir eingehängten<br />
Arm.<br />
„Chelsea“, sagte sie zum Fahrer, der sich sofort aufmachte.<br />
Oh ha, dachte ich, das wird sicher ´ne chice Party, wenn<br />
sie in Chelsea stattfindet. Hier lebte die jugendliche<br />
Oberschicht von London, das Viertel war „in“ und teu-<br />
236<br />
er. In einer kleinen Strasse mit außergewöhnlich schönen
Häusern ließ sie anhalten, bezahlte die Reise, und<br />
wir gingen auf einen mit Säulen geschmückten Eingangsbereich<br />
zu.<br />
Schon von draußen war laute Musik zu hören, dieser erste<br />
Eindruck machte mich fröhlich.<br />
Lucie drückte auf die einzige Klingel an den haus, und<br />
schon kam jemand angelaufen, um zu öffnen. „Hallo<br />
Lucie“ begrüßte er sie freudig, und schaute etwas überrascht<br />
erst auf sie, dann auf mich. Ich konnte seine Enttäuschung<br />
erkennen, und lachte innerlich. „Wie siehst<br />
du denn heute aus“, fragte Jean-Pierre, er kam auch aus<br />
Paris. „Das ist Eric“, stellte sie mich vor, ohne auf seine<br />
Frage einzugehen. Sie schritt vor mir her, erst eine kleine<br />
aber breite Treppe hoch, und da war die Party schon<br />
im Gange.<br />
Im großen Vorraum des Hauses tanzten bunt gekleidete<br />
junge Leute ausgelassen, mache hielten einen Flasche<br />
oder Gläser in Händen. Die party ging durchs ganze<br />
haus, zwei Stockwerke hoch reihte sich ein luxurieuses<br />
geräumiges Zimmer an das nächste, es waren eigentlich<br />
kleine Säle, Zimmer konnte man die nicht bezeichnen.<br />
Die Möbel stammten aus längst vergangenen Zeiten.<br />
Plötzlich hörte ich aus einem der Zimmer Eric Claptons<br />
Gitarre zirpen, nahm Lucie bei der Hand, und lief mit<br />
ihr auf die Musik zu. „Das sind „Cream“, informierte<br />
ich Lucie, „die sehen wir morgen Live“, sie nickte nur<br />
und wir tanzten zur Musik. Sie bewegte sich geschmeidig<br />
im Rhythmus der Musik, drehte sich, dass die Lokken<br />
flogen, und schien sich richtig gut zu amüsieren.<br />
Irgendwo roch ich den süßen Duft von Hasch, und sagte<br />
zu Lucie, dass ich gerne etwas rauchen würde. Sie zog<br />
mich zu einem Tisch, auf dem Hasch, Grass und andere<br />
Drogen Haufenweise herumlagen. „Rauch nur“, sagte<br />
237<br />
Lucie, „ich rauche nicht, auch keinen Zigaretten. Aber<br />
ein Glas Champagner werde ich mir besorgen“, und<br />
schon war sie verschwunden.<br />
Eine der reichlich vorhandenen schönen und chic gekleideten<br />
Bräute reichte mir mit einem breiten Lächeln<br />
einen dicken Joint, „Ich bin Marie“, stellte sie sich vor,<br />
„und wer bist du, ich hab´dich noch nie gesehen, und<br />
ich kenne alle Leute hier“. „Eric“, „hallo Marie“, stellte<br />
ich mich vor. Sie wollte schon näher kommen, ich reichte<br />
ihr den Joint zurück, und machte mich davon. Nicht<br />
dass sie mir nicht gefallen hätte aber ich hatte Anderes<br />
vor.<br />
Der Joint wirkte stark, und ich dachte mir nur ´die Braut<br />
hat dich ja gründlich verarscht bei unseren ersten Begegnung.<br />
Faltenröckchen, Kniestrümpfe, und kein Wässerchen<br />
trüben, das kannte ich noch nicht. Eigentlich<br />
war ich bisher der Joker, nicht das Mädel.<br />
In einem dieser Säble sah ich sie mit einem großen Hippiemässigen<br />
Typen tanzen, sie hielt ihr Champagnerglas
in der Hand, das sie mir in meine drückte, als sie mich<br />
entdeckte. „Halt ´mal“, und sie schoss zurück zum tanzen.<br />
Sie ließ sich vom Rhythmus treiben, und das gefiel<br />
mir ausgesprochen gut. Nur der Hippie war mir nicht<br />
sympathisch. Er betrachtete sie von oben bis unten, und<br />
hätte sie mit seinen Blicken am liebsten gefressen. Ich<br />
ließ ihn machen.<br />
Kaum wollte ich mich umdrehen, um noch einen Zug<br />
vom Joint zu nehmen, hing Lucie auch schon wieder an<br />
meinem Arm, um mich zu begleiten. Sie war völlig außer<br />
Atem, und schwitzte leicht. „Du willst sicher<br />
noch´mal rauchen gehen“, ich hab keinen Lust mehr,<br />
lass uns verschwinden“, schlug Lucie vor. Ich nahm der<br />
Marie den Joint aus der Hand, zog zweimal kräftig, und<br />
nickte Lucie zu.<br />
238<br />
Wir verabschiedeten uns nicht, flogen die Treppen runter,<br />
und standen in der kleinen Straße ohne jeden Verkehr.<br />
Plötzlich legte Lucie ihre Arme um meinen Hals<br />
und küsste mich inniglich.“ Das wollte ich schon lange“,<br />
sagte sie keuchend, als sie sich von mir löste, „ich<br />
hoffe du hast nichts dagegen“? „Im Gegenteil“, antwortete<br />
ich, und nahm sie in meine Arme, zog ihren Körper<br />
an mich, und tat ihr gleich. Ich spürte kleine feste Brüste<br />
gegen meinen Körper gepresst.<br />
Wir gingen ein Stück die Straße entlang, eng aneinandergeschmiegt,<br />
und kamen auf eine Verkehrsreiche<br />
Kreuzung, wo wir auch sofort ein Taxi fanden.<br />
„Was jetzt“? fragte ich Lucie, „ zu dir oder zu mir“? „Ich<br />
muss morgen früh ´raus, eine wichtige Vorlesung in der<br />
Uni, es ist schon spät, ich muss nach Hause“, sagte sie<br />
mir.<br />
Nun war ich sehr, aber wirklich sehr erstaunt, ich dachte<br />
die Sache wäre klar, und wir hüpften jetzt gemeinsam<br />
in ein Bett. „OK, ich wohne Earl´s Court Gardens, wo<br />
musst du hin“, fragte ich ohne mir anmerken zu lassen,<br />
dass ich sie lieber in mein Bett geschleift hätte.<br />
„Das ist nicht weit von mir, ich wohne Nevern Square,<br />
das ist ja fast um die Ecke“, sagte Lucie.<br />
Wir bestiegen das Taxi, Lucie hängte sich wieder bei mir<br />
ein, und kuschelte sich an meinen Körper. „Bitte versteh<br />
mich, ich würde ja auch gerne jetzt weiter bei dir sein,<br />
aber dann verpass ich mit Sicherheit die Vorlesung, das<br />
darf nicht sein“, erklärte mir Lucie, und küsste mich innig.<br />
„Morgenmachen wir uns einen schönen Abend,<br />
und übermorgen muss ich nicht zur Uni, schauen wir<br />
´mal was dann passiert. Freuen wir uns darauf“.<br />
Ich setzte sie vor ihrer Haustüre ab, sie gab mir einen<br />
kurzen Kuss, winkte noch´mal, und war schon die paar<br />
Treppen hoch und in der Türe verschwunden. Alle Häu-<br />
239<br />
ser in Earl´s Court hatten Treppen, die hoch zur Haustüre<br />
führten.
Dem Taxifahrer gab ich meine Adresse, und schon einige<br />
Strassen weiter, auf der anderen Seite der Earl´s Court<br />
Road war ich zu Hause. Ich schlief etwas unruhig an<br />
diesem Morgen, es war fast 5Uhr, und fragte mich, was<br />
ich mir da angelacht hatte. Lieber hätte ich die Frau hier<br />
bei mir gehabt, aber sie schien äußerst diszipliniert, was<br />
ich nicht im Entferntesten kannte, das musste ich akzeptieren.<br />
Ich freute mich auf „Cream“ am Abend, auch auf<br />
Lucie, und schlief bis Mittag.<br />
Ich ging in´s Supersonic zum Frühstück, wenn ich<br />
Glück hatte gab´s noch Croissants. Marry, die schon unter<br />
meinen Laken gelegen hatte, kam gerannt, „Wehre<br />
have you been“, ich hab die schon Tage nicht gesehen“,<br />
begrüßte sie mich freudig. „A Friend came from Paris, I<br />
have to take Care of her”, antwortete ich. „Her”? „Ja,<br />
sie ist eine gute Freundin, die ich schon lange kenne”,<br />
log ich Mary an.<br />
Ich bestellte einen großen Milchkaffee, und Croissants.<br />
„We dont have no Croissants no moore“, sagte Mary<br />
schnippisch “Dann hol mir doch bitte welche”, bat ich<br />
sie. Und sie ließ sich erweichen, stellte ihr Tablett ab, und<br />
rannte in die Bäckerei nebenan. So ganz wollte sie es<br />
sich wohl doch nicht mit mir verderben.<br />
„What about the Concert to Night, we wonted to go<br />
see Cream together“, fragte Mary.<br />
“Sorry Darling, I have to take my Fiend to the Club to<br />
Night, I don’t know how long she will be here, and I<br />
promised her a Concert”. Ich log das die Balken sich bogen,<br />
aber ich musste diese Mary loswerden.<br />
„OK, ich hab noch einen anderen Freund, dann geh ich<br />
eben mit dem“, sagte sie mit hocherhobenem Kopf, und<br />
schmiss mir die Tüte mit warmen Croissants auf den<br />
240<br />
Tisch, den sie schnell verließ. ´Das ist wohl geregelt´,<br />
sagte ich mir, so leicht hatte ich mir das gar nicht vorgestellt.<br />
Frauen. Ich war momentan nur auf eine aus, und<br />
freute mich schon.<br />
Mary wusste, dass ich ein loser Vogel war, ich hatte mit<br />
mindestens drei ihrer Kolleginnen das Bett geteilt, und<br />
sie dann aber morgens nach Hause geschickt, freundlich,<br />
aber bestimmt. Ich könnte jede zurückholen, auch die<br />
beleidigte Mary, das wusste ich.<br />
Wir waren für sechs Uhr an der Earl´s Court Station<br />
verabredet, da kam sie auch schon auf mich zugeschwebt,<br />
wieder in Leder, mit einem bunten Tuch um<br />
Stirn und Haare, ein Hippie wie er auszusehen hatte. Sie<br />
sah wunderschön aus, und mein Herz schlug schnell, als<br />
sie mit ausgebreiteten Armen auf mich zuflog, und mich<br />
küsste. „Wäre ich lieber gestern bei dir geblieben“, sagte<br />
sie, „die Vorlesung war stinklangweilig, aber wir mussten<br />
alle eingetragen sein“.<br />
„Ich lade dich zum Essen ein, in Soho gibt´s doch viele<br />
Inder und Pakistanis, da hätte ich Lust d´rauf“, sagte Lucie
euphorisch, sie hatte etwas Röte im Gesicht, die<br />
nicht von Schminke stammte. „Aber gerne, das mag ich<br />
auch, ´ne gute Idee, auch das mit der Einladung“, lachte<br />
ich sie an.<br />
Sie nahm meine Hand, drückte sie fest, und wir verschwanden<br />
in der Tiefe der Tube zum Picadilly Circus.<br />
„Ich krieg immer Angst ob der tiefen Treppen zur Bahn,<br />
in Paris sind die nicht ´mal halb so hoch“, sagte Lucie<br />
ernst, und klammerte sich noch fester an meine Hand.<br />
Als wir aus der Bahn kamen, regnete es leicht, der Verkehr<br />
um den Circus tobte wie immer, und wir liefen<br />
schnell, um ein Restaurant zu finden.<br />
Wir brauchten nicht weit zu laufen, wir sahen ein pakistanisches<br />
Restaurant, das sauber aussah.<br />
241<br />
Einige Tische waren besetzt, das war ein gutes Zeichen,<br />
nur schlechte Restaurants werden nicht besucht. Ich<br />
richtete mich immer danach, leer, ging ich vorbei, besetzt,<br />
trat ich ein. Darauf konnte ich mich bisher verlassen.<br />
Ein in pakistanischem Autfit gekleideter Mann kam an<br />
unseren Tisch, um mit breitem Lachen und einem tiefen<br />
Diener unsere Bestellung aufzunehmen. Lucie bestellten<br />
beide Curry Rindfleisch, ich Schweinefilet in Currysoße.<br />
Lucy sagte noch „scharf bitte“, worauf der Kellner<br />
leicht die Augen hob, es aber mit einem Lächeln quittierte.<br />
„Und Wasser please“, bestellte ich, wir waren beide<br />
keine Weintrinker.<br />
Als das Essen dampfend daher kam, eine Pakistani Frau<br />
brachte es uns, auch sie lächelte permanent, während sie<br />
uns das Essen auf den Tisch stellte. „Good Appetite“<br />
wünschte sie uns, ein Liter Mineralwasser stand auch auf<br />
dem Tisch.<br />
Wir schauten uns an, wünschten uns guten Appetit, und<br />
löffelten uns Reis auf die Teller. Dann das Fleisch von<br />
heißen Platten, dunkle Soße mit viel verschiedenem Gemüse<br />
, Schweine- und Rindfleischstücken.<br />
Das Essen war köstlich, wenn auch etwas scharf, aber so<br />
mochte ich es. Ich sah zu Lucie, und merkte, dass ihr Tränen<br />
am Gesicht herunterliefen. „Was ist los“, fragte ich<br />
sie? „Ich hab wohl zu scharf bestellt, das Zeug brennt<br />
wie Feuer“, stöhnte sie mit einem gequälten Lachen,<br />
und griff zum Wasser.<br />
Sie trank die ganze Flasche, aß aber brav weiter, jetzt<br />
mehr Reis als Soße, und wir bestellten mehr Wasser. Die<br />
Hälfte des köstlichen Essens schaffte sie, dann gab sie auf.<br />
„Ich kann nicht mehr, nie mehr extra scharf bei Pakistanis<br />
oder Indern, das ist klar“, sagte Lucie, sich noch immer<br />
die Tränen abwischend. Sie war nicht geschminkt an<br />
242<br />
den Augen, sonst wären schwarze Streifen über ihr Gesicht<br />
geflossen. Sie hatte aber auch so schöne Augen, die<br />
jetzt leider nass waren. Aber Lippenstift zog sie immer<br />
nach, der musste wohl sein.
Bald ging es ihr besser, sie hatte ca. zweieinhalb Liter<br />
Wasser getrunken. Sie musste aufs Clo, und als sie zurückkam,<br />
sah sie aus, als sei nichts geschehen, sie hatte<br />
ihr Hippietuch gerichtet, und sagte noch, dass die Toiletten<br />
sehr sauber waren, was man in Soho nicht immer erwarten<br />
konnte.<br />
Es war mittlerweile neun Uhr geworden, und wir machten<br />
uns auf den Weg zum Marquee Club. Er lag nur zwei<br />
Strassen weiter.<br />
Aber es war Zeit, da standen schon viele bunt gekleidete<br />
Leute vor der Türe des Clubs, der noch nicht geöffnet<br />
war.<br />
Endlich war es soweit, zwei starke Männer öffneten die<br />
Türe, und die Schlange von Menschen begab sich in den<br />
Club. Wir waren gerade noch rechtzeitig gekommen,<br />
denn der Saal war völlig besetzt, und die starken Männer<br />
mussten viele Fans Außen vor lassen. Sie verschlossen die<br />
Türe.<br />
Ich nahm Lucie bei der Hand und drängelte mich mit<br />
ihr nach vorne vor die Bühne. Die Leute schauten verblüfft<br />
ob meiner Drängelei, so was gab´s in London<br />
nicht. Mir machte das jetzt nichts aus, ich wollte alles sehen.<br />
Dann betraten die drei Musiker die Bühne. Eric Clapton,<br />
Gitarre, sehr haarig auf dem Kopf und im Gesicht,<br />
Ginger Baker, Schlagzeug, und Jack Bruce am Bass und<br />
Gesang.<br />
Die Musiker stimmten ihre Instrumente, was einen Viertel<br />
Stunde dauerte, aber dann bekam<br />
ich genau das, was ich erwartet hatte. Rockmusik, wie<br />
243<br />
ich sie liebte, eine wunderschön klingende Gitarre, Eric<br />
Clapton war wirklich ein Genie an seinem Instrument.<br />
Jack Bruce sang inbrünstig „I´m Free“, Ginger Baker<br />
hielt den Takt präzise, und auch ich war „free“.<br />
Ich war so sehr in die höllisch laute Musik vertieft, dass<br />
ich fast vergessen hätte, dass ich nicht alleine gekommen<br />
war.<br />
Lucie, sie hatte den Blick auf die Band gerichtet und bewegte<br />
sich im Takt, wobei sie ihren Kopf hin und her<br />
wog. Als sie bemerkte, dass ich sie ansah, lächelte sie<br />
glücklich, und nickte mit dem Kopf, wobei sie ihre Augen<br />
weit aufriss. Wir konnten kein Wort wechseln, wir<br />
ließen uns von der Musik tragen. Die Fans tobten,<br />
schrieen und pfiffen nach jedem Song, es gab einige Zugaben,<br />
dann war das Spektakel zu Ende.<br />
Wir fassten und bei der Hand, und gingen langsam mit<br />
der euphorisierten Menge Richtung Ausgang. Als wir<br />
draußen waren hatte es aufgehört zu regnen.<br />
Ich wollte etwas zu Lucie sagen, aber sie gab mir zu verstehen,<br />
dass sie nichts hören könne. Wir marschierten<br />
durch Soho, und nach 5 Minuten sagte Lucie. „ Das war<br />
super, so hab ich mir das nicht vorgestellt, und so laut,<br />
ich konnte erstmal nichts hören, als das Konzert zu Ende
war. Es war großartig, das machen wir hoffentlich öfter“,<br />
redete sie auf mich ein. Ich lachte, “Logisch, das<br />
machen wir noch viel öfter, hier in London spielt fast jeden<br />
Abend eine gute Band, nicht immer so wie Cream,<br />
aber es gibt jede Menge Zuckerstücke, antwortete ich.<br />
Dies war ihr erstes Live Rock Konzert, und sie war sofort<br />
hellauf begeistert. Das freute mich, hätte ja auch anders<br />
sein können, so laut, ungewohnt, aber sie fand´s gut,<br />
also hatte ich eine Partnerin für weitere Music Events.<br />
Für mich gab es nur eins, was vor Live Musik kam. Und<br />
ich hoffte sehr, dass ich dies heute Nacht bekommen<br />
244<br />
würde. Die Chancen standen nicht schlecht.<br />
„Wie wär´s wenn wir noch irgendwo tanzen gingen“,<br />
schlug Lucie vor. Um diese Zeit gab´s nur noch Night<br />
Clubs, aber ich kannte einen mit recht guter Musik, den<br />
Scotsh Club in Chelsea.<br />
„Das war super, Eric, ich freu mich schon auf das nächste<br />
Konzert mit dir“, sagte Lucie, und küsste mich endlich<br />
auf den Mund. Sie hatte sich auf dem Rücksitz des<br />
Taxis eng an mich geschmiegt, hielt meine Hand mit ihren<br />
beiden Händen fest, und schaute mir in die Augen.<br />
Sie schien sich richtig gut zu fühlen, und auch ich war<br />
sehr erfreut über die augenblickliche Situation. Ich fühlte<br />
mich Watteweich, und hatte nicht´mal ´nen Joint geraucht.<br />
Musik törnte mich immer genau so gut an wie<br />
Shit. Und dann diese Frau in meiner Nähe, was wollte<br />
ich mehr.<br />
Wir gingen eine Treppe hinunter, und betraten den brechend<br />
vollen Scotsh Club. Die Musik war gut, wir gingen<br />
an die Bar, an der wir glücklicherweise einen Barhocker<br />
für Lucie frei fanden, und bestellten 2 Gläser<br />
Champagner. „Heute wird gefeiert“, lachte Lucie. Wir<br />
tranken, der Sprudel tat gut, und Lucie legte Ihre Arme<br />
um meinen Hals. „Ich mag dich“, sagte sie „das Leben<br />
macht mir im Moment richtig viel Spaß“. „Tanzen<br />
wir“? fragte ich, und schon waren wir in der Menge tanzender<br />
Menschen untergetaucht.<br />
Aber nichts mit Twist oder Shake, Lucie legte erneut ihre<br />
Arme um meinen Hals, schmiegte ihren Körper eng<br />
gegen Meinen, und wog sich langsam im Rhythmus. Ich<br />
hatte sie um die Taille gefasst, und merkte, dass Lucie<br />
sehr körperlich wurde. Sie schmiegte sich fast in meinen<br />
Unterleib hinein, was mich sehr anmachte. Ihr Kopf lag<br />
auf meiner Schulter, und ich erwiderte ihre langsamen,<br />
aber sehr aufreizenden Bewegungen.<br />
245<br />
Wir tanzten sicher eine halbe Stunde, und bei mir regte<br />
sich ein bestimmtes Teil des Körpers, ich hatte jede Kontrolle<br />
verloren. Lucie schaute mir lustvoll in die Augen,<br />
senkte ihren Blick nach unten, und lächelte mich vielsagend<br />
an. Sie drückte ihren Unterleib extra stark gegen<br />
meinen, und flüsterte: „Ich glaube wir sollten bald gehen,
ich hab große Lust auf dich“.<br />
Das war der rechte Klang für meine Ohren und für meine<br />
Stimmung.<br />
Schnell hatten wir ein Taxi gefunden, und Lucie sagte<br />
dem Fahrer ihre Adresse. „Wir fahren zu mir, da ist´s<br />
schön warm“, sagte Lucie leise, „du bist doch einverstanden“,<br />
flüsterte sie fragend. Ich antwortete ihr mit einem<br />
feuchten langen Kuss.<br />
Aas große schwarze Taxi wurde von mir entlohnt, und<br />
wir flogen fast die Treppe hoch zu ihrem Haus. Sie<br />
wohnte im Erdgeschoss, und als wir in die Wohnung kamen,<br />
war ich angenehm überrascht. Lucie hatte ein kleines<br />
Wohnzimmer, mit einem richtigen offenen Kamin,<br />
in dem Holz lag, eine Couch und zwei Sessel und ein<br />
Regal mit vielen Büchern über einem kleinen Schreibtisch,<br />
auf dem sich Papiere türmten. Alles sehr ordentlich<br />
und aufgeräumt, nicht so wie bei mir.<br />
246<br />
Kapitel 28<br />
Dann kam das Schlafzimmer, schön gewärmt von einer<br />
elektrischen Heizung, und ein breites Bett. Darauf hatte<br />
sich mein Blick konzentriert, den Kleiderschrank sah ich<br />
erst viel später.<br />
Das Schlafzimmer war nur leicht beleuchtet, von zwei an<br />
den Seiten des Betts stehenden mit rotem Stoff überzogenen<br />
Lampen.<br />
Wir waren aneinandergeklammert, und küssten uns heftig.<br />
Ich setzte mich auf das Bett, und zog Lucie hinunter<br />
zu mir. Während wir uns küssten zogen wir uns gegenseitig<br />
aus, eine komplizierte Prozedur, wir verfingen uns<br />
gegenseitig in unseren Kleidern.<br />
Ich stand auf, begab mich an den unteren Rand des<br />
Betts, und zog ihr die Lederhose vom Körper. Sie lag lachend<br />
auf dem Bett, die Arme über ihren Kopf hoch gestreckt,<br />
und wartete auf mich.<br />
Wir liebten uns hingebungsvoll mal zärtlich, mal wild<br />
wie die Tiere. Wir waren schnell ein eingespieltes Team,<br />
als wären wir schon lange Liebende.<br />
Die Sonne ging auf, als wir erschöpft nebeneinander lagen,<br />
und uns in die Augen schauten. „Das war sehr<br />
schön, davon will ich mehr“, sagte ich zu Lucie, als wir<br />
da lagen, und uns nicht berührten. „Ich auch, Eric, davon<br />
will ich noch viel, viel mehr“, keuchte sie, ihre kleinen<br />
festen Brüste zitterten, sie legte sich auf mich, küsste<br />
und streichelte mich, ich bekam sofort am ganzen<br />
Körper Gänsehaut.<br />
Es hatte vier Tage gedauert, bis es endlich soweit war,<br />
dass ich diese besondere Frau endlich im Bett hatte, aber<br />
das Warten hatte sich gelohnt. Die Frau würde ich nicht<br />
mehr hergeben wollen, sie war in jeder Beziehung ein<br />
247<br />
extraordinaires Wesen, wie sie nur selten auf diesem Planeten<br />
anzutreffen sind, das war mir sehr deutlich.
„Heute kann mir die Uni gestohlen bleiben, ich möchte<br />
den Tag mit dir verbringen“, sagte Lucie, dem ich nur<br />
freudig zustimmen konnte. Sie gab mir einen flüchtigen<br />
Kuss, sprang aus dem Bett, lief ins Badezimmer, und ich<br />
hörte Wasser rauschen.<br />
Lucie duschte, und ich war wieder so kräftig, auch eine<br />
Dusche zu nehmen. Ich folgte dem Wassergeräusch, und<br />
da stand die Frau, schön gewachsen, kerzengerade, die<br />
Hände auf dem mit Shampoo eingeseiften Kopf, sie<br />
konnte mich nicht sehen. Ein schöner reitvoller Körper,<br />
ein prachtvoller Hintern, der sich schon in der Lederhose<br />
gut ausmachte, und kleine Brüste waren schön anzuschauen.<br />
Ich schlich mich unter das Wasser, fasste sie fest. Sie rieb<br />
sich die Seife aus den Augen, „Was machst du denn<br />
hier“, fragte sie lachend, und mich mit Shampoo bespritzend.<br />
„Dich lieben“, sagte ich, und fasste ihr zwischen<br />
die Beine. „Hast du denn nicht genug“, fragte sie, und<br />
ich antwortete, „ ich hab nie genug, so lange mir die<br />
Beine nicht zittern“.<br />
So machten wir es kurz und bündig in der Dusche, wobei<br />
niemand zu kurz kam. Ich trocknete sie ab, sie rieb<br />
mir das Wasser vom Rücken, und wir warfen uns noch<br />
mal aufs Bett. Eine kleine Ruhepause sollte schon sein,<br />
denn unter der Dusche fingen am Ende dann doch meine<br />
Knie zu bibbern an, was ich mir natürlich nicht anmerken<br />
ließ. Ich machte es gerne im Wasser, und die Gelegenheit<br />
war da.<br />
Lucie stand auf, zog sich ein Männerhemd an, das an den<br />
Seiten rund ausgeschnitten war. Sie machte in ihrer winzigen<br />
Küche Kaffee, sie hatte noch Brot und Marmelade<br />
in dem Minikühlschrank, so hatten wir ein Frühstück<br />
248<br />
im Bett.<br />
„Morgen frühstücken wir im Wohnzimmer“, sagte sie,<br />
„ich frühstücke nicht gerne im Bett, die Krümelei und<br />
überhaupt, das ist nicht mein Ding“. „OK gnädige Frau,<br />
wie sie wünschen, aber woher willst du wissen, ob ich<br />
morgen früh hier bin“, scherzte ich mit dem Versuch<br />
ernst zu sprechen.“<br />
„Ich geh nicht mehr in die Uni, das langweilt mich zu<br />
Tode, ich tu mir das nun schon drei Monate an, verstehe<br />
nur die Hälfte, es war keine gute Idee englisches<br />
Recht zu belegen“, lenkte sie ab.<br />
„Du wirst doch morgen hier sein“? fragte sie dann doch<br />
mit sorgenvollem Blick.<br />
„Morgen, Übermorgen, und so lange du möchtest, ich<br />
muss dann nur meine Wohnung kündigen“. Sie umarmte<br />
mich fest, „ja, gleich kündigen wir deine Wohnung,<br />
und du ziehst hier ein, ich kann mir nichts schöneres<br />
vorstellen. Wir machen uns ein schönes Leben, mit dir<br />
geht das, dessen bin ich mir sicher“.<br />
„Du willst wirklich die Schule schmeißen?“ fragte ich<br />
ernst. „Ja, Rechtswissenschaft ist nur Paragraphen auswendig
lernen, das schmeckte mir in Paris schon nicht,<br />
deshalb kam ich nach London, weil ich glaubte hier sei<br />
es vielleicht anders, aber hier ist der gleiche Mist, nur in<br />
einer Sprache, die ich nur halb verstehe. Recht geb ich<br />
auf, vielleicht beleg ich etwas anderes, wenn ich zurück<br />
in Paris bin, ich habe dort eine schöne Wohnung. Aber<br />
erstmal bleiben wir zusammen -das betonte sie- hier,<br />
und studieren die Stadt, ist besser als Recht“.<br />
Als mittlerweile natürlicher loser Vogel konnte ich der<br />
Frau da nicht zureden. Leben ist immer besser als Schule.<br />
Was hatte ich dort schon gelernt, nichts. Jetzt beherrschte<br />
ich schon drei Sprachen, das brachte mich<br />
weiter als das ein mal eins. „Überleg es dir gut“, versuch-<br />
249<br />
te ich noch zu insistieren, aber Lucie winkte ab. „Aufstehen,<br />
raus gehen“ ,sagte Lucie bestimmt. „Das Wetter ist<br />
gut, und schon fast 3 Uhr Nachmittag, wir brauchen<br />
Sauerstoff“, blinzelte sie mich an. Sie dachte wohl schon<br />
an die kommende Nacht.<br />
Wir zogen uns fertig an, und machten uns auf den Weg<br />
zu meinem Heim. Die Miete war bis Sonntag bezahlt,<br />
und Kündigungsfristen gab es nicht. Ich schellte bei der<br />
Lady, die auch sofort öffnete. „ Hallo Eric, who ist this<br />
Woman“? fragte sie gleich misstrauisch. „Das ist meine<br />
Freundin, sie ist aus Paris gekommen, und hat hier eine<br />
große Wohnung“, log ich. „Ich muss heute ausziehen,<br />
ich gehe zu ihr“. „Schon heute“, wunderte sich meine<br />
Lady, ich war schon auf dem Weg ins Zimmer, Lucie<br />
folgte mir. Als sie mein Chaos sah, überall lagen meine<br />
Klamotten herum, Zeitungen und noch eine Tüte süße<br />
Brötchen, kritisierte sie „wie sieht das denn bei dir aus,<br />
das geht aber nicht, du unordentlicher Hippie“.<br />
Sie begann meine Hemden zu falten, ich suchte den<br />
Rest meiner geringen Habe zusammen, und in 10 Minuten<br />
war gepackt. „Ich wusste ja nicht, dass du kaum<br />
Kleider hast“, sagte Lucie, sie wusste noch nichts von<br />
meiner Reisezeit.<br />
Ich verabschiedete mich von der Lady, dankte für die<br />
Gastfreundschaft, sie hatte mir immer ´mal ausgeholfen<br />
mit Brot oder anderen Kleinigkeiten, und machte mich<br />
mit Lucie und der kleinen Reisetasche auf zu meiner<br />
neuen Adresse.<br />
Nevern Square 9. 9 war meine Glückszahl, also war ich<br />
hier gut aufgehoben.<br />
Mein Schatz hängte meine Hemden auf Kleiderbügel,<br />
das war neu für mich, verstaute Unterwäsche und Sokken<br />
in ein leeres Fach, und legte meine beiden Jeans auf<br />
den Boden des Schranks. „Wieso sind an der einen Jeans<br />
250<br />
so viele Farbflecke, ist das deine Hippie-Jeans“, fragte<br />
Lucie lachend. Ich begann von meiner Strassenmalerei<br />
zu erzählen, aber nur kurz, wir wollten ja raus, und ich<br />
konnte ihr unterwegs viel erzählen. „Das hätte ich dir
nicht zugetraut“, wunderte sich Lucie.<br />
„Wie wäre es mit Carnaby Street, und wir gehen Schoppen“?<br />
schlug sie vor. „Dazu hab ich leider kein Geld, ich<br />
bin bald pleite, und ich will mich an deiner Miete beteiligen“,<br />
antwortete ich. „Ich muss mir bald etwas einfallen<br />
lassen, ´ne Bank ausrauben oder so“, fantasierte ich<br />
lachend.<br />
„Dummkopf“, lachte Lucie, ich habe ziemlich viel Geld<br />
mitgebracht, und es liegt noch einiges in Paris auf einem<br />
ziemlich dicken Konto, denk nicht einmal drüber nach<br />
was Geld betrifft“, Das gefiel mir ja erstmal ganz gut,<br />
aber ich wollte keine Abhängigkeit. Was wenn ich wieder<br />
die „Hummeln im Arsch“ spürte, und sonst wo hinwollte?<br />
Jedenfalls drückte sie mir 100 Pfund in die Hand, und<br />
sagte „Du zahlst, wir gehen einkaufen, du hast ja fast<br />
nichts“. Die Hundert lagen schwer in meiner Hand,<br />
dann in meiner Tasche. „OK, ich zahl dir das zurück“.<br />
Sie winkte nur lächelnd ab und sagte: „ Ist nur Geld, aber<br />
wir haben uns, und das zählt“.<br />
Sie war wieder als Schulmädchen gekleidet, Faltenrock,<br />
aber Stiefel dazu, es sah sehr gut aus. Ich hatte mir ´ne<br />
richtig schöne Frau gefunden, und mir wurde warm ums<br />
Herz, als ich sie anschaute. Auch ihre Haare hingen wieder<br />
glatt auf den Schultern, die Locken waren heraus gewaschen.<br />
„Der Rock ist einfacher zum anprobieren, wenn ich etwas<br />
finde, das mir gefällt“.<br />
Wir waren schon am Picadilly angekommen, und ich<br />
führte Lucie in die Carnaby Street. Sie machte große<br />
251<br />
Augen ob des bunten Lebens in der Einkaufsmeile. Das<br />
Wetter war gut, und die Strasse von bunt gekleideten<br />
jungen Leuten erfüllt. Lucie staunte nur, sie sah in die<br />
Geschäfte, und blieb von „Lady Jane“ stehen. Es war der<br />
größte Laden mit der meisten Auswahl. „Lass uns hier<br />
reingehen“, bat sie, und ich folgte ihr. Sie stöberte in den<br />
vielen Kleidern herum, und hielt eine goldfarbene seidig<br />
glänzende Hose hoch. „ Die will ich haben“, sagte<br />
sie sicher.<br />
„Bitte sehr, probier sie an“, sagte ich nur. Frauen. Goldene<br />
Hose. Warum nicht, von mir aus hätte sie Lumpen<br />
tragen können, ich wäre trotzdem bei ihr geblieben und<br />
hätte sie mit meiner Liebe überschüttet.<br />
Sie verschwand irgendwo, und kam dann glücklich mit<br />
der Hose zurück. „Die passt, und wie, du wirst deine<br />
Freude haben“, sagte sie frivol lachend. „Jetzt brauch ich<br />
noch´was für oben“, und schon war sie wieder verschwunden.<br />
Ich wartete geduldig. Sie kam mit einem<br />
völlig bunten Hemd zurück, das mit vielen Goldfäden<br />
durchwebt war. „Das passt“, sagte sie sicher, und ging zur<br />
Kasse. Die Kleider hier waren nicht teuer, Lucie wunderte<br />
sich über die kleine Rechnung für Hemd und Hose.<br />
„Wir können die Strasse leer kaufen, wenn das hier alles<br />
so preiswert ist“, freute sie sich. „Jetzt bist du dran,
wir kaufen dir ´was schönes, einen Anzug vielleicht, du<br />
hast doch keinen“. „Einen Anzug, bist du verrückt, ich<br />
bin kein Anzug-Mensch“ „Doch, wir schauen uns ´mal<br />
um“. Also gingen wir zu Lord John, wo die Auswahl<br />
auch enorm war, und die Preise bezahlbar. Es hingen<br />
viele Anzügen an den Ständern, solche, die bei den Hippies<br />
in waren. Breitcord, Jacke mit riesigem Kragen,<br />
dunkelblau.<br />
„Los, such dir einen aus“, schubste mich Lucie in den<br />
252<br />
Laden, „Geld spielt keine Rolle“. Die Rolle hatte ich<br />
noch immer in der Tasche.<br />
Also suchte ich zwischen den vielen Anzügen nach etwas,<br />
was mir gefallen könnte, und fand einen dunkelblauen<br />
Kordanzug, der mir gut gefiel. „Probier einen<br />
an“, drängte mich Lucie, der Blaue ist schön“. Ein Verkäufer<br />
kam auf mich zu, und fragte nach meiner Größe<br />
in Kleidern. Ich erklärte ihm, dass ich keine Ahnung habe,<br />
und er begann mit einem Maassband an mir ´rumzufummeln.<br />
Er plapperte eine Zahl, und nahm einen Anzug von der<br />
Stange. „Der sollte passen, bitte versuchen sie ´mal“, sagte<br />
er freundlich, und drückte mir das Teil in die Hand.<br />
Lucie freute sich wie eine Schneekönigin. „Darin siehst<br />
du sicher super aus, los zieh ihn an“.<br />
„Komm mit“, forderte ich sie auf. Wir gingen in einen<br />
Kabine, und ich zog mich aus. Als ich die Hose anziehen<br />
wollte spürte ich ihre Hand zwischen meinen Beinen,<br />
und sie kicherte. „Meinst du hier könnten wir´s machen“,<br />
fragte sie mich ohne loszulassen. Sie hatte ja auch<br />
nur ihr Röckchen an, so drehte sie mir ihren wunderschönen<br />
Po entgegen, und wir machten es schnell und<br />
heftig in der Umkleidekabine einer Boutique. Sie putzte<br />
sich mit einem Taschentuch gründlich ab, gab mir<br />
auch eins, und lachte mit hochrotem Kopf. „Das war eine<br />
Premiere“, gestand sie mir, „aber sehr schön aufregend“.<br />
Jetzt probierte ich die Anzughose, und sie passte perfekt.<br />
Auch die Jacke saß ausgezeichnet, der Verkäufer hatte gut<br />
gemessen. Lucie war verschwunden. Ich zog den Anzug<br />
wieder aus, und ging Richtung Kasse. Dort stand Lucie<br />
schon lachend mit einem Fliederfarbenen Hemd in der<br />
Hand. „Das passt sicher zum Anzug“, behauptete sie.<br />
Auch der Verkäufer war mit der Wahl einverstanden.<br />
253<br />
Auch das Hemd hatte einen hohen, an den Spitzen abgerundeten<br />
großen Kragen und blaue Knöpfe. Jetzt<br />
wurde es langsam psycadillic, ich freute mich trotzdem.<br />
„Jetzt noch ein Schlips“, sagte Lucie, aber ich protestierte.<br />
„Du brauchst ihn ja nur ab und zu ´mal anziehen, bitte“,<br />
drängte sie mich. Wir fanden eine riesige breite<br />
bunte Krawatte, die mich vollends zum Londoner 1967<br />
machte.<br />
Ich holte meine Rolle Geld aus der Tasche, und gab dem<br />
Verkäufer 30 Pfund, was mich sehr wunderte, so billig
war diese Kleidung. Sicher nur für eine Saison gedacht.<br />
In allen Boutiken lief Musik. Hier tönten die Rolling<br />
Stones, dort die Beatles, und irgendwo hörte ich Jimi<br />
Hendrix. Wir gingen darauf zu, und befanden uns in einem<br />
Schallplattenladen, aus dem Hendrix laut heraustönte.<br />
Im Fenster hing ein großes Plakat, „Hendrix in London“,<br />
leider nicht mehr Information. Wir traten in den<br />
Laden, und ich fragte, wann und wo Hendrix auftreten<br />
würde. „Ist noch nicht geklärt“, sagte der Verkäufer,<br />
„aber er wird bald kommen, in den US hat er keinen Erfolg.<br />
Das wird sich hier sicher ändern, ich verkaufe Hendrix<br />
Platten wie warme Semmeln“, fügte er hinzu.<br />
„Ich bin hungrig“, sagte Lucie. „Gehen wir zum Pakistani“,<br />
scherzte ich. Sie stieß mir den Ellbogen in die<br />
Seite, zum Glück schützte mich meine riesige Tüte mit<br />
dem Einkauf. „Davon habe ich erst´mal die Kehle voll,<br />
später vielleicht, und dann nicht extra scharf“.<br />
Wir fanden ein kleines italienisches Restaurant zwischen<br />
Stripteasebars, und bestellten Bandnudeln für Lucie, und<br />
Spagetti für mich. Die Nudeln waren köstlich, eine alte<br />
Mama hantierte in der Küche, die man einsehen konnte.<br />
Wie in Italien, weit südlich von London.<br />
Soho war wirklich einen Spaziergang wert. Es wurde<br />
254<br />
langsam dunkel, und der Betrieb in den Bars fing an. Sophie<br />
hatte das noch nicht gesehen, die Gangster vor den<br />
Bars, die Striptiseusen, die von Bar zu Bar hüpften. Sie<br />
fand es beeindruckend. Anders als Pigalle.<br />
Wir eilten nach Hause, und zogen uns um. Jeder in einem<br />
anderen Zimmer, wir wollten uns überraschen. Ich<br />
war gerade fertig, hatte mir sogar den Schlips um den<br />
Hals gewickelt, da erschien eine Goldmarie aus dem<br />
Schlafzimmer. Die goldene Hose saß wie angepasst, das<br />
sehr schöne bunte Hemd mit den goldenen Streifen war<br />
dafür gemacht. Zum Glück nicht zu lang über der Hose,<br />
so konnte man ihren prachtvollen Hintern noch gut<br />
sehen.<br />
Wir machten uns auf ins Quartier Latin, und als wir den<br />
Laden betraten, wurden wir von Lucies Freunden<br />
fremdartig angeschaut. Sie ging auf einige zu. „Glotz<br />
nicht so, wir sind in London, das solltet ihr auch langsam<br />
begreifen. In Paris geht ihr schließlich auch mit der Mode.<br />
Sieht doch gut aus“, sagte sie noch und drehte sich<br />
lachend. Die Jungs staunten, die Mädels wussten nicht so<br />
recht was sie davon halten sollten. Sie schauten auch<br />
mich etwas verwundert an.<br />
Kannten sie mich doch nur in Lederjacke und Jeans, und<br />
am nächsten Abend sahen sie uns auch wieder in Leder.<br />
Lucie wollte wieder ihre goldene Hose anziehen, aber<br />
ich liebte ihre lässige Lederhose, und überzeugte sie mit<br />
einer herzlichen Umarmung, diese für mich zu tragen.<br />
Den Tag hatten wir im Bett verbracht.<br />
Irgendwann hatte ich Marievonne in Brüssel angerufen,
ich wollte ihr sagen dass es mir gut geht, und erkundigte<br />
mich nach ihrem befinden. „Schön wenn du hier<br />
wärst, ist alles trister jetzt“, klagte sie. Lucie wusste nichts<br />
von dem Anruf, und auch noch nichts von Marievonne.<br />
Lucie und ich waren nun schon drei Wochen zusammen,<br />
255<br />
und es ging uns richtig gut. Die Uni war vergessen, und<br />
wir hatten uns eingerichtet. Wir spazierten durch London,<br />
zum Trafalgarsquare mit der hohen Säule, auf der<br />
Lord Nelson in die Ferne blickte. Er hatte die Schlacht<br />
um Trafalgar erfolgreich geschlagen. Die Briten dankten<br />
es ihm gebührend.<br />
Um den Square gab es viele Musicaltheater, die wir aber<br />
tunlichst mieden. Ins Kino gingen wir ab und an.<br />
Wir fuhren hinaus nach Nothing Hill Gate, dem größten<br />
und außergewöhnlichsten Flohmarkt, den ich je gesehen<br />
hatte. Die Typen waren zum schreien, und die Materialien<br />
konnten unterschiedlicher nicht sein.<br />
Ich hatte Marievonne die Telefonnummer vom Supersonic<br />
gegeben, falls etwas Wichtiges sei. Ich konnte sie einfach<br />
nicht so völlig aus dem Herzen drücken.<br />
Dann kam der Tag, Mary gab mir eine Telefonnummer,<br />
die ich anrufen sollte, eine Frau mit französischem Akzent<br />
habe angerufen.<br />
Ich ging in eine Telefonzelle, und rief bei Marievonne<br />
an. „Hallo Eric, bin ich froh dass du dich so schnell meldest.<br />
Ich komme am Wochenende nach London, habe<br />
das Flugticket schon gekauft“. „Aber ich wohne hier bei<br />
Freunden“, log ich sie an, „wo willst du denn wohnen“?<br />
„Wir können doch in ein Hotel gehen, ich komme Freitag,<br />
und fliege Sonntagabend zurück“.<br />
Es war Mittwoch, noch zwei Tage. „Ich weis nicht, ob<br />
das so gut ist“, versuchte ich abzuwiegeln, aber Marievonne<br />
war Reisefertig, da war nichts zu machen. „Wir<br />
treffen uns im Dorchester Hotel, das kennt jeder in London.<br />
Ich werde gegen 14 Uhr dort sein“. Sie ließ keinen<br />
Widerspruch zu, legte einfach auf. Sie kannte mich,<br />
wusste genau, dass ich erscheinen würde.<br />
Nun Lucie, wie sollte ich ihr das beibringen. Aber dann<br />
dachte ich nach, wir waren Freunde, und ich konnte<br />
256<br />
doch Besuch einer Freundin bekommen, und ein paar<br />
Tage verschwinden. Das sollte doch möglich sein.<br />
Es war das erste mal, dass ich mir solche Gedanken<br />
machte, früher hätte ich gesagt „Tschüss bis Übermorgen“,<br />
und keine Erklärungen abgegeben. Jetzt war das<br />
anders, das waren zwei Frauen, die ich sehr gerne hatte,<br />
und ich wollte keine verletzen, was ich aber musste. Eine<br />
war ja schon „angeschossen“, ich hatte sie verlassen.<br />
Am Abend erklärte ich Lucie die Situation beim essen,<br />
ich müsste am Wochenende eine Freundin treffen, wäre<br />
aber Sonntagabend wieder zurück. Die schaute mich erstaunt<br />
an, sie hatte keine Ahnung von meiner Brüssler
Affaire. So erzählte ich ihr alles, auch, dass ich am Ende<br />
dann doch weg musste, Marievonne konnte mich nicht<br />
halten.<br />
„Wenn du dahin musst, ich halte dich nicht auf, obwohl<br />
ich dich sicher schon jetzt sehr vermissen werde“, sagte<br />
Lucie leicht traurig.<br />
„Komm, wir gehen noch die Earl´s Court Road abchecken,<br />
vielleicht ist irgendwo ´was los“, versuchte ich<br />
die Lage zu bereinigen. Erst einmal nicht mehr drüber<br />
nachdenken, es würde sich sowieso ergeben.<br />
Wir zogen uns an, Lucie hakte sich bei mir ein, und lächelte<br />
schon wieder, als wir die Strasse entlanggingen.<br />
Irgendwie war die Stimmung gebrochen, wir machten<br />
uns zurück auf den Weg nach Hause.<br />
Was sollte denn so schlimm sein, wenn ich für ein paar<br />
Tage mit einer alten Freundin verbrachte. Schließlich<br />
war ich nicht verheiratet, und klammern war mir immer<br />
suspekt.<br />
Es wurde Freitag, ich packte Unterwäsche, ein Hemd<br />
zum Wechseln in meine kleine Tasche, und setzte mich<br />
noch mit Lucie auf die Couch, „Sonntagabend bin ich<br />
wieder hier, ich muss das Treffen einhalten, es wäre ge-<br />
257<br />
mein, wenn ich nicht auftauchen würde“, versuchte ich<br />
den traurigen Ausdruck in Lucie´s Gesicht zu verändern.<br />
Dann fing sie plötzlich bitterlich zu weinen an, sie heulte<br />
sich die Augen nass, „ich will dass du hier bleibst, vielleicht<br />
kommst du nicht zurück“, schniefte Lucie mit<br />
dicken Tränen , die ihr unaufhörlich das Gesicht hinunter<br />
flossen.<br />
Aber warum ist das denn so schlimm für dich, mich zwei<br />
Tage nicht u sehen“, fragte ich erneut. „Weil ich dich<br />
liebe“, sagte sie fast schreiend, und sie hielt sich die Hände<br />
vor´s Gesicht. Sie schien wirklich am Ende zu sein.<br />
Das hätte ich nicht erwartet, Lucie hatte sich ernsthaft in<br />
mich verliebt. Ich kannte den Zustand, von Marievonne,<br />
zu der ich gleich gehen sollte. Ich hatte trotzdem irgendwann<br />
den Drang weiterzuziehen, die Liebe war wohl<br />
doch nicht mehr so stark wie zu Beginn der Beziehung.<br />
Ich mochte sie noch sehr gerne, wir hatten eine schöne<br />
Zeit miteinander, Liebe konnte man das aber nicht mehr<br />
nennen, wenn ich den Ausdruck „Liebe“ überhaupt definieren<br />
konnte.<br />
„Ich muss jetzt los, bitte sei nicht traurig, ich komme<br />
schon bald zu dir zurück, das verspreche ich dir. Auf keinen<br />
Fall werde ich nach Brüssel zurückgehen, ich mag<br />
dich doch auch, das solltest du gespürt haben“, waren<br />
meine letzten Worte, bevor ich das Haus verließ. Ihr<br />
Geld hatte ich ihr zurückgegeben, ich hatte noch genug<br />
Eigenes, um über die Runden zu kommen. Aber daran<br />
dachte ich zuletzt.<br />
258<br />
Kapitel 29
Ich fuhr mit der Tube bis Green Park, als ich hochkam,<br />
und die Underground verließ, glaubte ich meinen Augen<br />
nicht zu trauen. Ich war im totalsten Luxus von<br />
London aus der Erde gestiegen, ich machte einige<br />
Schritte, und befand mich auf der Park Lane, der teuersten<br />
Strasse Londons.<br />
Direkt am Hyde Park Corner, es war eine neue Seite<br />
von London, die ich noch nicht kannte. Ein Luxus Hotel<br />
neben dem Anderen, das Hilton war noch eins der<br />
Kleinsten, zu modern zwischen all den Prachtbauten, die<br />
Park Lane schmückten.<br />
Im Hotel Dorchester war ich mit Maryvonne verabredet.<br />
Das Hotel befand sich direkt gegenüber Hyde Park<br />
Corner, und war ein Prachtbau. Unendliche große und<br />
kleine Säulen schmückten das Gebäude, mir stockte fast<br />
der Atem. Über allen Fenstern hingen königsblaue nach<br />
außen gerundete Markisen, das Dorchester konnte sich<br />
mit dem Carlton in Cannes messen, es hatte eine großes,<br />
sehr mondänes Flair.<br />
Man betrat das Dorchester nicht von der Strasse aus, das<br />
Hotel war so gebaut, dass man es wie durch einen Seiteneingang<br />
betrat, das prächtige Eingangsportal befand<br />
sich weg von der Strasse, man hatte eine Strasse zur<br />
Strasse gebaut, damit sich die Gäste nicht vom Verkehr<br />
der Park Lane gestört fühlten. Die Einfahrt war einfach<br />
großartig, überall standen in alte Uniformen gekleidete<br />
Portiers, die jedes Mal ihre hohen Hüte zogen, wenn sie<br />
eine Karossentüre, oder das Eingangsportal öffneten.<br />
Es herrschte reger Verkehr vor dem Hoteleingang, ich<br />
kam mir so klein vor wie ein Floh. Eine Limousine folgte<br />
der nächsten, sehr chic gekleidete Menschen betraten<br />
259<br />
das Hotel höchst selbstverständlich, ich glaubte ich sei in<br />
einem Film gelandet.<br />
Aber dann nahm ich mir ein Herz, und stolzierte auf den<br />
Hoteleingang zu, der mir sofort von einem Behüteten<br />
Portier mit freundlichem Lächeln geöffnet wurde, „Welcome<br />
Sir“, hörte ich noch, und war auch schon in der<br />
superluxürieusen riesenhaften Eingangshalle untergetaucht.<br />
Dicke Sessel um kleine Tische gestellt, Rundsitze, Sofas,<br />
auf denen sechs Leute Platz gehabt hätten, aber nur von<br />
zweien besetzt waren. Champagnerkübel überall, und eine<br />
Decke, die so reich geschmückt war, wie man sie in<br />
Hollywood nicht schöner hätte dekorieren können.<br />
Wie sollte ich hier Jemand finden, ich konnte mir nur<br />
schlecht vorstellen, dass Marievonne hier abgestiegen<br />
war. Und doch, als ich mich an den Betrieb in der Hotelhalle<br />
einigermaßen gewöhnt hatte, sah ich, wie sich<br />
eine Gestalt aus einem der großen Sessel herausbewegte,<br />
und Marivonne kam eiligen Schritts auf mich zugelaufen.<br />
„Eric, endlich“, hörte ich nur, und schon hatte sie<br />
ihre Arme fest um meinen Hals gelegt, küsste mich so<br />
intensiv, presste ihren Körper am meinen, als hätte sie
seit meiner Abreise keinen Mann gesehen.<br />
Der Kuss wollte nicht enden, und ich dachte `gleich<br />
reißt sie dir hier in der Halle die Kleider vom Leib`. „Ich<br />
habe hier für uns ein Zimmer gemietet für das Wochenende,<br />
ich wollte das Beste für uns“, sagte sie mir mit tiefem<br />
Blick in die Augen. Ich glaubte meinen Sinnen<br />
nicht zu trauen als ich das hörte, so viel war ihr ein Wochenende<br />
mit mir wert, das hätte ich nicht für möglich<br />
gehalten. Dieses Hotel musste doch ein Vermögen kosten.<br />
Sie sah wunderschön aus. Mir kamen sofort Erinnerungen<br />
an unsere wunderbare Zeit in Brüssel, und doch, es<br />
260<br />
war anders. Marievonne war eine sehr schöne Frau, liebenswürdig<br />
und für meine körperlichen Bedürfnisse wie<br />
geschaffen, jedoch irgendetwas fehlte, und deshalb hatte<br />
ich sie auch verlassen. Ich konnte nicht mehr diese tiefe<br />
Liebe für sie empfinden, wie zu Beginn unserer reizenden<br />
Liebschaft in Brüssel.<br />
Ich beschloss jedoch, das Beste aus der Situation zu machen,<br />
vergaß zunächst einmal alles was außerhalb des<br />
Hotels geschah. Ich folgte Marievonne auf diesem Luxustrip,<br />
der mit viel Liebe ausgeschmückt sein würde.<br />
Ich hatte wieder Lust auf sie, und sie sollte alles bekommen,<br />
was sie sich erträumte. Und das hatte nichts mit<br />
dem luxurieusen Rahmen zu tun, ich wollte ihr einfach<br />
soviel Freude machen, wie es mir möglich war.<br />
„Komm, ich zeig dir unser Zimmer“, holte mich Marievonne<br />
zurück auf den dicken Teppich, sie nahm meine<br />
kleine Tasche in die eine, mich in die andere Hand, und<br />
lief mit mir auf einen Aufzug zu.<br />
Sie drückte auf 10, wir würden also im 10ten Stock<br />
wohnen. Als wir aus dem Aufzug stiegen, war kein Geräusch<br />
zu hören, die dicken auch königsblauen Läufer in<br />
den Gängen schluckten jeden Fußtritt, es herrschte absolute<br />
Stille.<br />
Nach ein paar Metern den Gang hinunter öffnete Marievonne<br />
eine Türe, und zog mich in ein wunderschönes<br />
Zimmer. Ein Riesenbett mit einem Baldachin, herrliche<br />
Bilder schmückten den Raum, ein offener Kamin stand<br />
zu Verfügung, Champagner stand gekühlt im silbernen<br />
Kübel, eine große Schale mit erlesenen Früchten auf einem<br />
Tisch, der von zwei Sesseln umgeben war, ein<br />
Traum von Zimmer. So was hatte ich bisher wirklich<br />
nur im Kino gesehen.<br />
Marievonne zog mich zum Fenster, und es verschlug<br />
mir fast den Atem. Ich blickte über den gesamten Hyde<br />
261<br />
Park, den ich noch nicht kannte, und sah weit über London.<br />
Es war fantastisch, unglaublich packend für mich.<br />
Marievonne hatte mich außer bei unserer stürmischen<br />
Begrüßung, bei der wir beide nur große Gefühle füreinander<br />
hatten, die ganze Zeit im Auge behalten, sie beobachtete<br />
mich bei jeder Gelegenheit, wollte genau erfahren
wie ich reagierte. Das hatte sie mir später gestanden,<br />
sie konnte ihre Blicke einfach nicht von mir lassen. Und<br />
sie freute sich sehr ob meinen Reaktionen auf all die<br />
Überraschungen.<br />
„Außerdem gibt es hier drei Restaurants, wir brauchen<br />
das Hotel nicht zu verlassen“. „Wir können uns aufs<br />
Zimmer bringen lassen was immer wir wünschen, was<br />
du dir wünschst“.<br />
Ich war von den Socken, die Frau hatte wirklich alles bis<br />
ins Kleinste geplant, um mich keinen Augenblick missen<br />
zu müssen. Ich fühlte mich aufs Angenehmste geschmeichelt,<br />
als ich diesen Plan durchschaute.<br />
War das Liebe? Ich wusste es immer noch nicht.<br />
„Hast du Hunger“, fragte sie mich, und reichte mir eine<br />
überdimensionale blaue glänzende Karte mit vielen<br />
Blättern. „Such dir aus was du willst, wir können uns Essen<br />
herbringen lassen“. „Ich hab jetzt keinen Hunger,<br />
später vielleicht, ich muss erstmal das alles hier verdauen“.<br />
„Denk bloß nicht ich will dich kaufen, ich weis sehr<br />
wohl, dass man einen Menschen wie dich nicht kaufen<br />
kann, dafür kenne ich dich gut genug. Aber ich wollte<br />
uns ein optimales Wochenende gönnen, ich hoffe es<br />
wird mir gelingen“.<br />
Ich wusste, dass sie in ihrem Job sehr gut verdiente, aber<br />
dass sie mich dermaßen teuer verwöhnen würde, damit<br />
hatte ich nicht gerechnet. Ich fühlte mich mehr und<br />
mehr geschmeichelt, und auch ein immer stärkeres Ver-<br />
262<br />
langen nach der Frau Marievonne.<br />
Sie stand mit dem Po am Schreibtisch, ich ging auf sie<br />
zu, und umarmte und küsste sie, wie ich lange keine<br />
Frau geküsst hatte, außer Lucie vielleicht. Ich umarmte<br />
sie, sie legte ihre Arme zärtlich um mich, lächelte, und<br />
ich zog sie Richtung Schlafzimmer. „Ich habe Hunger“,<br />
flüsterte ich ihr leise ins Ohr, „aber auf deinen schönen<br />
Körper, und auf deine einmaligen Zärtlichkeiten“, und<br />
schon ließen wir uns auf das untere Ende des riesigen<br />
Betts fallen.<br />
Während wir uns in Richtung Kopfende schoben, zogen<br />
wir uns hastig gegenseitig aus, die letzten Kleidungsstücke<br />
klemmten ein wenig, und jeder zog sie selbst aus.<br />
Dann fielen wir übereinander her, wie in den ersten Tagen<br />
unserer Verliebtheit in Brüssel, ich fühlte ein Feuerwerk<br />
nach dem anderen, und Marievonne ließ ihre Augen<br />
nicht von mir. Sie schloss sie erst, als sie sich laut<br />
stöhnend aufbäumte, und sich zurückfallen ließ.<br />
Wir waren beide Schweißnass, aber wir umklammerten<br />
uns erneut, bis wir langsam etwas ruhiger wurden. „der<br />
Schweiß muss weg, wir kleben ja richtig aneinander“,<br />
sagte ich, während ich mich von Marivonnes Körper befreien<br />
wollte, „ich muss in die Dusche“. Es dauerte einige<br />
Minuten, bis ich mich vollends befreit hatte, sie<br />
wollte mich die ganze Zeit festhalten, wo immer sie
mich zu greifen bekam. Sie lachte glücklich.<br />
Die Dusche war eine erneute Überraschung. Dieses Badezimmer<br />
war mit allem ausgestattet, was man sich nur<br />
vorstellen konnte. Eine riesige Badewanne, eine Dusche,<br />
die nicht nur von oben spritzte, sondern auch aus vielen<br />
in die Wände eingelassene Duschköpfe den Körper besprühten.<br />
Ein Bidet war obligatorisch, und zwei große Waschbekken<br />
waren vor einer in der gesamten Breite der Wand<br />
263<br />
mit den in Marmor eingelassenen Becken angebrachten<br />
Spiegel versehen.<br />
Er war sicher vier Meter breit, und fast drei Meter<br />
hoch, Dimensionen, von denen ich nicht´mal geträumt<br />
hatte. Es gab Pflegeprodukte aller Art, Schampoo von<br />
Guhl, Seife von Cabochard, zig Tiegel und Töpfchen für<br />
die gepflegte Frau, und den gepflegten Hippie, die auf<br />
einer marmornen Ablage zur gefälligen Bedienung standen.<br />
Diskret stand sogar ein kleines Töpfchen Vaseline in der<br />
äußeren Ecke der Marmorplatte. Man hatte an alles gedacht.<br />
Ich fummelte an den Knöpfen der Dusche herum, es gab<br />
viele Kräne, bis ich alle Duschköpfe laufen hatte. Das<br />
Wasser war sofort angenehm warm, und ich wurde über<br />
den gesamten Körper mit herrlichem Nass besprüht.<br />
Die Spuren der Liebe flossen langsam in den am Boden<br />
befindlichen, kaum wahrnehmbaren Ausguss. Ich genoss<br />
diese Art der Dusche wie nie eine Dusche zuvor in meinem<br />
Leben, und mehr Leben kam plötzlich ins Bad gerannt.<br />
Marievonne rutsche über die nassen Fliesen bis zu<br />
mir, klammerte sich an meinen Hals, sie wäre fast hingefallen,<br />
alles war glitschig nass. Auch von der enormen<br />
Kraft der Liebe, die wir beide versprüht hatten. Das Bad<br />
war eine wahre Pracht, man konnte sich völlig gehen<br />
lassen, Wasser ohne Ende verbrauchen, und überall hinsprühen.<br />
Die Fliesen am Boden sogen alles irgendwie<br />
auf. Wir machten viele Experimente im Bad, mit Seife,<br />
Babyoel Schampoo und anderen Gleitmitteln, bis wir<br />
nur noch am Boden lagen. völlig ineinandergefalten,<br />
und es dauerte, bis wir unsere Glieder wieder sortiert<br />
hatten.<br />
Der Spiegel leistete uns freundliche Dienste, und erfreute<br />
uns bei unseren in Lachen und Schreien erstickenden<br />
264<br />
Spielen.<br />
Wir waren so sehr mit unseren Körpern beschäftigt, das<br />
Blicke und kleine Zeichen ausreichten, um dem Partner<br />
zu Willen zu sein, zu tun was auch immer er wollte.<br />
Ein solch glitschiges, und von oben bis unten nasses Vergnügen<br />
hatte ich noch niemals irgendwo gehabt, und ich<br />
beschloss, so viel als möglich davon zu profitieren.<br />
Wir stützten uns lachend aneinander ab beim Hochkommen<br />
vom Boden, beseitigten alles glibberig Glitschige<br />
von unseren Körpern, drehten alle Hähne zu, und<br />
trockneten uns gegenseitig mit überdimensionalen
Handtüchern ab. „Eric, ich liebe dich“, flüsterte Marivonne<br />
mir ins Ohr, und ich lächelte sie nur an. Noch ein<br />
Liebesgeständnis in kurzer Zeit.<br />
Wir hatten sicher viel länger als eine Stunde, im Bad<br />
verbracht, und ließen uns nackt in die Sessel fallen. Wir<br />
hatten kaum ein Wort gesprochen.<br />
„Wir lassen uns den Kamin anzünden“, waren die ersten<br />
Worte in dem stillen Raum, und Marievonne griff<br />
zum Telefon. Sie sagte an der Rezeption Bescheid, dass<br />
wir den Kamin gerne zum Brennen gebracht haben<br />
wünschten, und bestellten Lachskanapees für Marievonne,<br />
und für mich ein Steak. Ich war hungrig wie ein<br />
Wolf.<br />
Wir hatten die flauschigen weißen Dorchester Bademäntel<br />
angezogen, und harrten der Dinge, die da kommen<br />
sollten. Wir sprachen noch immer nicht viel, schauten<br />
uns nur mit geröteten Gesichtern und<br />
halbgeschlossenen Augen äußerst zufrieden an.<br />
„Gibt´s hier keine Musik“, fragte ich plötzlich laut, und<br />
wir suchten die Wände nach einem Radio ab. Und<br />
wahrhaftig, neben dem Bett, und durch den Baldachin<br />
verborgen war ein Radio in die Wand eingelassen, gleich<br />
neben einem weiteren Telefon am Nachttisch.<br />
265<br />
Ich zählte 4 Telefone, an jeder Bettseite eines, eins am<br />
Tisch neben einem Sessel, und eins im Bad, sicher wasserdicht,<br />
und es hing auch ziemlich weit vom Wasser<br />
weg. Das im Bad hatte ein langes gekringeltes Kabel.<br />
Ich machte das Radio an, suchte ein wenig in den Sendern<br />
herum, und plötzlich hatten wir wunderschöne<br />
Musik, die sogar in guter Qualität aus dem Lautsprecher<br />
klang poppige Jazzmusik, mit der ich mich schnell anfreunden<br />
konnte. Es musste nicht immer Rock sein.<br />
Nun war fast alles perfekt, bis auf das Feuer und das Essen.<br />
Es klopfte an der Türe, und wir verschlossen eiligst unsere<br />
noch sehr weit offenen Bademäntel züchtig. Ein<br />
junger Mann kam mit steifem rundem Hütchen auf dem<br />
Kopf, einen kleinen Wagen vor sich her schiebend ins<br />
Zimmer, grüßte freundlich, und entfernte runde silberne<br />
Deckel von zwei Tellern, worauf unser Essen lag.<br />
„Soll ich den Kamin schon jetzt anzünden“, fragte er<br />
sehr höflich, und wir nickten nur, wir hatten uns schon<br />
über das Essen hergemacht wie hungrige Wölfe.<br />
Der Diener fummelte am Kamin herum, worin das Holz<br />
sehr schnell brannte. Ich stand auf, griff in meine auf<br />
dem Boden liegende Hose, Fleisch kauend, und gab dem<br />
Jungen ein Pfund. „Thank you Sir“, verabschiedete sich<br />
der Mensch, und war schnell aus dem Zimmer verschwunden.<br />
Gesättigt ließen wir uns schon nach kurzer Zeit wieder<br />
aufs Bett fallen, und umarmten uns, indem wir uns gegenseitig<br />
die Arme unter die Bademäntel steckten. Ich<br />
fühlte Fleisch im Mund, und Fleisch in den Händen, war<br />
aber noch nicht bereit, eine neue Nummer zu wählen.
Marievonne hatte ihre Hand schon in eine Richtung<br />
geschoben, in der jetzt nichts geschehen konnte, sie<br />
merkte es schnell, und legte ihre Arme um meinen<br />
266<br />
Oberkörper.<br />
Es wurde wohlig warm im Zimmer, und wir schliefen<br />
auf den Decken einfach ein. Das Bett hatten wir noch<br />
nicht einmal geöffnet, und beim Einschlafen dachte ich<br />
noch `das Bett kommt ja auch noch dran´, und wir hatten<br />
erstmal fünf Stunden vom Wochenende hinter uns.<br />
Als ich plötzlich wach wurde, saß die göttlich aussehende<br />
Frau mit der feinen Taille, den großen, festen Brüsten,<br />
den fleischigen steilen Schultern auf mir, hatte die Augen<br />
geschlossen, und spielte mit beiden Händen in ihren<br />
Haaren und bewegte sich extatisch. Ein Bild, das ich so<br />
schnell nicht vergessen sollte, ich glaubte zunächst es sei<br />
ein Traum, aber mein intensives Gefühl bezeugte Realität.<br />
Klar dass ich sofort wach war.<br />
Ich weis nicht wie sie mich so schnell hochgekriegt hatte,<br />
ich konnte mir´s denken, aber das alles nicht zu bemerken,<br />
bis sie dann schon auf mir dass, ich muss wohl<br />
sehr tief geschlafen haben. Ich ergab mich dem Fieber,<br />
und wir spielten heiße Liebe auf dem Bett.<br />
Als sie dann irgendwann zusammensank, ihren Kopf auf<br />
meine Brust legte, wurde ich mir bewusst, dass dieses<br />
Wochenende anstrengend werden sollte, aber ich hatte<br />
genau so viel Lust an ihr wie sie auf mich. Ich wusste nur<br />
noch nicht, wann ich kraftlos zusammenbrechen würde.<br />
Ich erinnerte mich an Orgien in Brüssel, in denen wir<br />
zwei Tage und zwei Nächte permanent fögelten, mit<br />
kleinen Essenspausen im Restaurant um die Ecke.<br />
Und nun brauchten wir zum Essen nicht ´mal mehr raus<br />
zu gehen, das Leben konnte im Zimmer stattfinden.<br />
„Ich will ´mal in die Halle, Leute betrachten“, sagte ich<br />
zu Marievonne. „Gut, gehen wir einen Drink an der Bar<br />
nehmen“, war sie einverstanden.<br />
Es war fast Mitternacht, als wir aus dem Aufzug stiegen<br />
residierte in der Halle das sehr chice Leben. Viele gutaus-<br />
267<br />
ehende und fein gekleidete Menschen bevölkerten die<br />
Sitzgelegenheiten, die Eingangstüre ging jeden Moment<br />
auf und zu, Menschen verließen das Hotel, neue kamen<br />
an. Und überall saßen sie mit Drinks oder Zeitungen in<br />
Händen, eine Szenerie wie in einem alten Hollywoodschinken.<br />
„Setzen wir uns ein wenig in die Halle, da hinten ist eine<br />
freie Couch“, bestimmte ich, und wir gingen schnell<br />
in Richtung freier Plätze. „Wir gehen aber später in die<br />
Bar, da ist es in er Nacht auch sehr interessant“, sagte<br />
Marievonne, ich zeigte mich einverstanden.<br />
Ein Kellner mit schwarzem, grau gestreiften Fliegenrock<br />
und weißer Fliege kam auf uns zu, und wollte eine Bestellung<br />
aufnehmen. „Bloody Mary please“, bestellte ich,<br />
ich brauchte Vitamine und den Sellerie. „Gin Tonic“, bestellte
Marivonne, „double please“.<br />
Ich war froh zu sitzen, da hing sie auch schon fast wieder<br />
über mir, ich ruckte ein wenig, und sie begnügte sich<br />
damit, sich eng an mich zu lehnen, und meine ihr zugesteckte<br />
Hand zwischen ihre zu nehmen, und sie zu liebkosen.<br />
Sehr schnell kamen die Drinks, wir klickten die Gläser<br />
aneinander, und nahmen beide einen Riesenschluck. Ich<br />
aß die Sellerie mit kleinen Schlucken der Tomatenbrühe.<br />
Marievonne winkte dem Kellner erneut, und bestellte<br />
sich noch´mal das Gleiche, ich nahm einen puren<br />
Glenfiddish, einen Whisky, den ich in London kennen-,<br />
und ab und an lieben -gelernt hatte.<br />
„Sollten wir nicht etwas essen“, fragte ich Marievonne,<br />
und sie nickte mit dem Kopf. Bei dem was mir noch an<br />
Schönheit in dieser Nacht entgegenkommen würde,<br />
brauchte ich Kraft, und bestellte mir in einem der Restaurants<br />
ein dickes halb rohes Steak mit viel Gemüse.<br />
Marivonne nahm ein Schnitzel, und wir sättigten uns<br />
268<br />
lustvoll, indem wir uns die Happen gegenseitig in den<br />
Mund schoben.<br />
Wenn mir Blut aus dem Mundwinkel floss, putzte mir<br />
Marivonne sofort mit der steifen Serviette den Mund ab,<br />
nicht ohne mir einen Finger in selbigen zu stecken, den<br />
sie dann abschleckte.<br />
Da saß ich hier in einem traumhaften Ambiente, eine<br />
wunderschöne Frau mir gegenüber, die mir jeden<br />
Wunsch zu erfüllen bereit war, und gehörte doch eigentlich<br />
überhaupt nicht hier hin. Mit meinem beigen<br />
Cowboyhemd, Jeans und Stiefeln.<br />
Nicht ´mal ´ne Jacke hatte ich an, aber man hatte sich<br />
in den großen Hotels an solche Gestalten wie mich gewöhnt,<br />
ich könnte ja auch ein Pop Star sein, und solange<br />
ich keine Fernseher aus dem Fenster warf, oder die<br />
Bude in Klump schlug, behandelte man mich wie jeden<br />
anderen Gast. Und da mein Motto war: wo immer ich<br />
meinen Kopf hinlege bin ich zu Hause, war ich jetzt hier<br />
zu Hause.<br />
Marievonne hatte sich fein gemacht, ein rotes Kleid mit<br />
raffiniertem gefaltenem, ausgeschnittenem Kragen, ihre<br />
Brustansätze waren deutlich sichtbar. Sie hatte einen<br />
Diamanten um den schönen Hals gelegt, sie sah aus wie<br />
eine Prinzessin, mit ihren natürlich hellblonden Haaren,<br />
die auf ihrem herrlichen Rücken lagen. Schon diese Begleitung<br />
erzeugte Respekt vor mir, besonders natürlich<br />
bei den Herren. Was hätten die gegeben. Und ich bekam<br />
alles umsonst. Und das Ambiente noch oben drauf.<br />
Marivonne trank einen halben Liter Rotwein, ich trank<br />
Wasser. Von der bloody Mary und dem Scotsh war ich<br />
schon leicht blau, Marivonne jedoch konnte trinken wie<br />
ein Seemann, das war mir schon in Brüssel klar geworden.<br />
Sobald sie in Gesellschaft war, trank die Frau ohne<br />
Unterlass. Erst später bemerkte ich, dass sie sich aus dem
269<br />
Duty Free Shop am Flughafen eine Flasche Gin erstanden<br />
hatte, die noch im Koffer lag.<br />
Wir hatten ein fürstliches Wochenende, in jeder Hinsicht.<br />
Die arme Putzfrau hatte täglich im Bad viel zu<br />
tun, wir vorher auch. Wir hatten eine Ecke des Baldachins<br />
abgerissen aber das sah man uns nach.<br />
Am Sonntagabend verabschiedete ich Marievonne vor<br />
dem Dorchester Hotel in einem Taxi, dass sie zum Flughafen<br />
bringen würde. Eine Träne rollte ihre das Gesicht<br />
hinunter, ein letzter intensiver Kuss, „Es war phantastastisch<br />
mit dir, ich muss dich bald wieder sehen“, flehte<br />
Marivonne. Sie wollte mich mit zurück nach Brüssel<br />
nehmen, aber das lehnte ich kategorisch ab. Ich sollte<br />
Marievonne wieder sehen.<br />
Jetzt war ich erstmal in London zu Hause, und das war<br />
gut so. Ohne einen Blick zurück zum Luxus stieg ich in<br />
die Tube Richtung Earl´s Court.<br />
270<br />
Kapitel 30<br />
Aus dem Underground kommend war ich schon auf der<br />
richtigen Seite der Earl´s Court Road, um zum Nevern<br />
Square zu gelangen, wo Lucie sorgenvoll auf mich wartete.<br />
Als sie mich in der Türe stehen sah, lief sie auf mich<br />
zu, hängte sich an meinen Hals, wobei ich schon wieder<br />
Tränen spürte. „Endlich bist du wieder hier, ich hab so<br />
sehr gehofft und gewartet“, begrüßte mich Lucie hoch<br />
erfreut, und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Es<br />
hätte ja sein können, dass du nicht zurück kommst, dann<br />
hätte ich dich in Brüssel gesucht und gefunden, aber nun<br />
bist du ja hier und alles wird gut.“. „Ich habe uns eine<br />
Flasche Champagner gekauft, ich wollte feiern wenn du<br />
wieder hier bist“. ´Ach wie schön`, dachte ich, schon<br />
wieder Champagner. Wir hatten jeden Tag zwei Flaschen<br />
auf dem Zimmer im Dorchester geleert, aber zwei Flaschen<br />
in 24 Stunden zu Zweit konnte ich ertragen. Marievonne<br />
hatte natürlich auch noch ihre Flasche Gin, zu<br />
der sie sich Tonic kommen ließ.<br />
Mein Bedarf an alkoholischen Getränken war eigentlich<br />
gedeckt. „Schön, sagte ich, du weist ja, dass ich gerne<br />
Champagner trinke, lass uns feiern“, machte ich gute<br />
Miene zum prickelnden Spiel.<br />
Lucie sah reizend aus, sie hatte wieder ihre Klein-Mädchen<br />
Kluft an, aber ohne Lederjacke, und anstatt eines<br />
wollenden Rollkragenpullovers trug sie das bunte<br />
Hemd, das sie sich in der Carnaby Street gekauft hatte,<br />
drei Knöpfe geöffnet. Aber sie trug Stiefel, das machte<br />
die Sache sexier. Die Frau wusste wie man sich kleidet.<br />
War ja schließlich auch aus Paris.<br />
Ich roch noch nach Marievonne, und schon lag ich in<br />
den Armen einer anderen französisch sprechenden –und<br />
271<br />
handelnden – Frau. Wohin sollte das noch führen? Eigentlich
konnte ich mich nicht beklagen, die Frauen<br />
hielten mich ja auch am Leben. Wie so oft.<br />
Lucie roch jedenfalls anders, sehr gut und anregend.<br />
Trotz meines Marathon Sex Wochenendes hatten wir eine<br />
erfüllte Nacht mit viel Spaß und einem Orgasmus<br />
nach dem Nächsten.<br />
Dafür schlief ich am nächsten Tag bis zum Abend. Lucie<br />
wunderte sich, „du schläfst doch sonst nicht so lange, ich<br />
dachte schon du wachst gar nicht mehr auf“. War die<br />
Frau wirklich so naiv, oder wollte sie mich necken?<br />
Ich ging unter die Dusche, und fühlte mich gleich viel<br />
besser, wach wie an einem Frühlingsmorgen. „Geh´n<br />
wir raus“, fragte ich Lucie? „Warum nicht, ich war das<br />
gesamte Wochenende in der Wohnung, nur einmal kurz<br />
einkaufen“, antwortete sie. `Wo war ich wohl`, dachte<br />
ich bei mir, viel Sonne hatte ich nicht gesehen.<br />
Wir fuhren ins Quartier Latin, wo wir laut begrüßt wurden.<br />
Besonders Lucie, sie war sehr beliebt in dem<br />
Schuppen, die Typen schauten schon wieder gierig auf<br />
die jetzt Gold und Leder bekleidete wunderschöne Gestalt<br />
neben MIR! Ihr schlanker praller Hintern über<br />
den langen Beinen konnte einen aber auch zum Wahnsinn<br />
treiben. Und den in die neue goldene Hose gezwängt,<br />
das kam besonders gut. Ihre Lederjacke reichte<br />
ja nur bis zur Taille.<br />
Ich sah einen Shit-Dealer, und kaufte erst einmal ein<br />
Stück guten nepalesischen Dope. Den Joint drehte ich<br />
auf den Knien, und verließ das Lokal dann aber zum<br />
rauchen. Claude, einen netten Pariser und seine Freundin<br />
Claire nahm ich mit nach draußen. Sie waren hoch<br />
erfreut über die Einladung. Lucie setzte sich zu Freunden.<br />
Das Dope roch sehr extrem, ein Glück dass ich den Joint<br />
272<br />
nicht drinnen angezündet hatte. Frech genug war ich ja<br />
eigentlich, alleine hätt´ich es auch getan, aber ich wollte<br />
Lucie nicht in Verlegenheit bringen. Sie erwähnte das<br />
Wochenende übrigens mit keinem Wort mehr.<br />
Schwer angeschlagen von dem starken Shit kam ich ins<br />
Lokal zurück, und sah schon die mit gierigen Augen auf<br />
Lucie gerichteten Augen der Typen an ihrem Tisch. Ich<br />
setzte mich glücklich lächelnd neben sie, und sie fasste<br />
sofort nach meiner Hand. Die Augen der Jungs trübten<br />
sich zusehends.<br />
„Es ist jetzt neun Uhr, wenn wir uns eilen, kriegen wir<br />
im Marquee noch ´ne Band zu sehen, wie wär’s“, wandte<br />
ich mich an Lucie. „Wenn du möchtest, ich bin fit“,<br />
sagte Lucie und zog mich schon hoch aus dem Stuhl.<br />
„Können wir mitkommen“, fragte Claude, der auch<br />
ziemlich bekifft aussah. „Logisch“, antwortete ich, und<br />
wir machten uns auf zur Tube. Ich ging hinter ihr die<br />
Treppe hoch, und wäre fast gestolpert. Nicht vom Kiff.<br />
Eine schwarze Band aus Amerika spielte im Marquee,<br />
ich hatte noch nie von denen gehört, der Club war gut
esucht. Viele Afrikaner, die Band schien doch bekannt.<br />
In Amerika waren sie Stars wie ich erfuhr.<br />
Und das Konzert war wirklich super. Eine fantastische<br />
Band hinter den Frontmännern Sam and Dave, nach denen<br />
die Band auch benannt war. Die Songs waren hoch<br />
rhythmisch, Boogie, Blues und Rock ´n´ Roll, die Leute<br />
im Club tanzte ausgelassen. Auch Lucie war begeistert,<br />
sie bewegte sich während des gesamten zweistündigen<br />
Konzerts tänzerisch. Natürlich war´s ´mal wieder<br />
laut, aber daran war man schnell gewöhnt. Die Band<br />
spielte sich in fließenden Schweiß, und erntete reichlich<br />
Applaus.<br />
Am nächsten Tag waren die Zeitungen voll des Lobs für<br />
Sam and Dave, amerikanische Soul-Music Stars waren<br />
273<br />
erstmalig in England, und wurden gebührend gefeiert.<br />
„Lass uns noch tanzen geh´n“, bat Lucie, die aufgeregt<br />
war. „Sicher, Scotsh-Club“, schlug ich vor. Und schon<br />
waren drei französische Studenten und ein Deutscher<br />
Hippie unterwegs zum schwofen. Tube war geschlossen,<br />
also Taxi. Ich hatte meine Rolle Pounds, die ich in der<br />
Wohnung gelassen hatte, bevor ich zu meinem Date<br />
fuhr, wieder eingesteckt, zahlte das Taxi, und die ersten<br />
Drinks.<br />
Lucie zog mich auf die Tanzfläche, und schmiegte sich<br />
eng an mich. Sie spielte schon wieder mit ihrer Taille an<br />
meinem Mittelpunkt herum, drängte fordernd gegen<br />
meine Hose. So verbrachten wir eine Stunde auf der<br />
Tanzfläche, egal welche Musik gerade spielte, wir spielten<br />
mit uns. Claude drängte es nach Hause, es war fast<br />
drei Uhr morgens. Also in´s Taxi, und zum Earl`s<br />
Court.<br />
„Tschüss Leute. War ein schöner Abend”, verabschiedeten<br />
sich Claude und Claire. Die beiden Namen wären<br />
ein guter Titel für einen Liebesfilm. Sicher spielten sie<br />
sich gleich Einen.<br />
Lucie zog ´mal wieder, schloss schnellstens die Türe auf,<br />
und drängte mich ins Schlafzimmer. Schon lag ich mit<br />
dem Rücken auf dem Bett, sie hatte mich regelrecht in<br />
Position geschubst, und machte sich an all meinen<br />
Knöpfen zu schaffen. Ich half ihr mich auszuziehen, und<br />
schon war auch sie nackt wie Gott sie so schön geschaffen<br />
hatte, und stürzte sich auf mich. Ich stürzte freudig<br />
zurück. Die französischen Nächte in London waren<br />
nicht zu verachten. Lucie war meine Liebe. Es wurde<br />
sechs Uhr, bis ich zum schlafen kam.<br />
Und so ging unser leben in London liebevoll und aktionsreich<br />
noch etwa 3 Monate weiter, ich hatte noch auf<br />
das Konzert von Jimi Hendrix erwartet, es war wunder-<br />
274<br />
voll.<br />
Jimi Hendrix mit seinem mächtigen Afrolocken bedeckten<br />
Kopf, um die er ein buntes Band gebunden hatte,
schmal wie ein Besen, mit dunkelblauer Samthose<br />
und buntem weitärmeligen Hemd bekleidet, nahm die<br />
Bühne in Beschlag.<br />
Sein besonderes Geschick war mit den Zähnen oder auf<br />
dem Rücken Gitarre zu spielen.<br />
Er hatte eine persönliche Besonderheit in seiner Show.<br />
Ein rundes Blechtablett mit Rand diente ihm als Light<br />
Show. Er goss Benzin in das Tablett, zündete es an, und<br />
tanzte wie ein Voodoo Priester mit seiner Gitarre um das<br />
kleine Feuer. So gab man sich in dieser Zeit zufrieden,<br />
Hauptsache die Musik stimmte. Hendrix wurde nur von<br />
Bass und Drums begleitet. Sehr gut und absolut professionell.<br />
Er hatte überwältigen Erfolg, der ihm in seiner<br />
Heimat USA verweigert war. Für mich war das Konzert<br />
eine prägende Erfahrung.<br />
Es wurde ´mal wieder kritisch, ich wollte weiter. Aber<br />
zunächst sollte dies kein Problem werden, denn ich<br />
wollte zurück nach Paris, und Lucie hatte dort eine<br />
Wohnung. Eine Trennung musste also nicht sein. Paris<br />
im Frühling war immer wunderbar. Die Strassencafe´s<br />
waren gefüllt mit fröhlichen Menschen, und die Mädels<br />
hielten die Röcke kürzer.<br />
Lucie hatte ihr Studium endgültig aufgegeben, sie überlegte,<br />
ob sie in Paris ein anderes Studium beginnen sollte.<br />
Also packten wir unsere sieben Sachen, schauten ein<br />
letztes Mal in unser Londoner Liebesnest, und nahmen<br />
den Zug nach Doover.<br />
Ich freute mich schon auf die Fahrt mit der Fähre, ich<br />
liebte das Meer, und so eine Fähre war etwas Besonde-<br />
275<br />
res. Die Menschen waren aufgeregt oder auch müde, es<br />
gab Bars und der Blick von Backbord auf das von den<br />
Schiffschrauben aufgewühlte Meer das diesen Riesenkahn<br />
langsam mit seiner Last aus Containern, Autos und<br />
tausend Passagieren seinem Ziel entgegenschob,<br />
faszinierte mich immer.<br />
Wir sahen die „White Cliffs of Doover“ hinter uns verschwinden.<br />
Und dann der Horizont, wo ich früher<br />
glaubte, dort fällt die Erde hinunter, fiel mir erneut in die<br />
staunenden Augen.<br />
Lucie war sehr gerne auf einem großen Schiff, sie war an<br />
Bord immer sehr aufgeregt, schlief nie, wanderte durch<br />
und über das Schiff, und hatte Spaß, auch alleine wenn<br />
ich schlief.<br />
276<br />
Kapitel 31<br />
In Calais angekommen kämpften wir uns durch die<br />
Menge der Ladungen und Passagiere, und nahmen den<br />
Zug nach Paris, der schon 20 Minuten nach unserer Ankunft<br />
am Bahnhof abfuhr. Drei Stunden später waren<br />
wir in Paris, und fuhren mit einem Taxi in den 17e Bezirk,<br />
Nähe des Triumphbogens, zur Avenue de la Grande<br />
Armee, und ich betrat zum ersten Mal Lucie´s Wohnung.
Sie hatte alles in rot und schwarz gemalt, die gesamte<br />
Wohnung sehr bunt, indisch angehaucht eingerichtet. Es<br />
gab nur wenig Möbel, viele große und kleine Kissen,<br />
und ein großes Bett.<br />
Ein langer Flur führte zunächst zum Bad, und dann am<br />
Ende in eine kleine Küche, es war ein 50gm Ein-Zimmer<br />
Appartement.<br />
Lucie hatte einen enormen Koffer aus rotem Leder, ich<br />
hatte meine paar Kleidungsstücke mit in diesen Koffer<br />
gepackt, und meine kleine Reisetasche zurückgelassen.<br />
Leicht ermüdet von der Reise duschten wir zuerst,<br />
wechselten die Bettwäsche, und legten uns nass und<br />
nackt zwischen die Laken. Schon begann Lucie an mich<br />
zu bekrabbeln, sie wollte mich für einen Liebesdienst<br />
bereit machen, und verschwand schon mit dem Kopf<br />
unter die Decke.<br />
Ich ließ es geschehen, obwohl ich müde und abgespannt<br />
war. Lucie war hungrig, aber das Einzige was sie in dieser<br />
Nacht bekam war ein Schuss konzentriertes Eiweiß.<br />
Ich war sehr schnell gekommen, ich ließ mich gehen,<br />
denn ich spürte deutlich, heute war ich körperlich nicht<br />
mehr zu gebrauchen.<br />
Der Schuss hatte mich entspannt, und als Lucie wieder<br />
277<br />
unter der Decke hervorlugte, sich den Mund wischte,<br />
sah sie mich enttäuscht an. „Liebling, ich danke dir, das<br />
gerade hat mir sehr gut getan, aber ich bin leider zu kaputt,<br />
um dir den gleichen Genuss zu bereiten, musste ich<br />
gestehen“. Sie lächelte liebevoll, „Macht nichts, morgen<br />
ist auch noch ein Tag, jetzt hab´ ich etwas gut bei dir“.<br />
Sie war eine wunderbar verständnisvolle Frau, und<br />
konnte leicht geben, ohne dafür etwas zurück zu bekommen.<br />
Sie drehte sich herum, und streckte mir ihre<br />
entzückende Rückseite entgegen. Ich legte meinen Arm<br />
um ihre Hüfte, und wir schliefen eng aneinandergeschmiegt<br />
schnell ein.<br />
Als ich am nächsten Tag gegen Mittag aufwachte, lag ich<br />
alleine im Bett, aber schon kam Lucie nur mit einem<br />
weißen, mit feinen blauen Streifen versehenden Männerhemd<br />
bekleidet ins Schlafzimmer, und brachte ein<br />
Tablett mit frischen, wohlriechenden Croissants und<br />
starkem Kaffee herein. Sie setzte sich neben mich ins<br />
Bett. „Frühstück im Bett ist zwar nicht meine Sache,<br />
aber ich will jetzt nah bei Dir sein, und dich stärken“,<br />
sagte sie.<br />
„Ich war schon beim Bäcker an der Ecke, und habe die<br />
Croissants besorgt“. Sie musste sich dann schnell wieder<br />
ausgezogen haben, denn sie war nackt unter dem Hemd.<br />
Lucie liebte Männerhemden die an den Seiten nach<br />
oben hin ausgeschnitten waren, und sie sah zum Anbeißen<br />
darin aus. Den Reisestress sah man ihr überhaupt<br />
nicht an, ich hatte eine frisch und wunderschön aussehende<br />
Frau neben mir im Bett, die mir ein Stück Gebäck
in den Mund legte. „Heute ist ein herrlicher Tag,<br />
die Sonne scheint, und es ist schon warm, später könnten<br />
wir ´raus gehen“.<br />
„Später“, betonte sie mit einem lüsternen Blick auf meine<br />
nackte Gestalt.<br />
278<br />
Nach einer mittäglichen Liebesstunde zum ersten Mal in<br />
Lucie´s Bett gab es noch´mal Kaffee, der mich endgültig<br />
weckte, und sie machte den Vorschlag, mir ihr Viertel zu<br />
zeigen. Ich war zu meiner Zeit in Paris nie in diesen Teil<br />
der Stadt gekommen, hier gab es keine Bohemiens, hier<br />
lebten die Reichen und Schönen von Paris, die Mieten<br />
und Preise in Cafe´s und Restaurants waren dementsprechend.<br />
Lucie schien es in die der Hinsicht gut zu gehen,<br />
über Geld hatten wir noch nie gesprochen.<br />
Als wir aus der Türe traten, befanden wir uns auf der<br />
Avenue de la Grande Armee, einer vierspurigen Strasse,<br />
die in der Mitte noch eine freie Spur hatte, auf der Pflanzen,<br />
Bäume und Blumen angelegt waren.<br />
Die Avenue führte direkt zum Triumfbogen, sie war eine<br />
der großen Strassen von Paris, die wie die Champs<br />
Elisées, die Avenue Foch und weitere Strassen, Sternförmig<br />
auf den Triumfbogen zuführten, und dort den Stern<br />
bildeten, die Metrostation dort hieß auch Etoile, Stern.<br />
Man nannte das direkt angrenzende Viertel auch so. Hier<br />
wohnte Lucie.<br />
Der Verkehr um den Etoile war völlig chaotisch, es gab<br />
um den Bogen keinerlei Strassenspuren, man fuhr einfach<br />
in den reichlich flisssenden Verkehr, und schaute,<br />
dass man dann wieder rechtzeitig in die Strasse einbiegen<br />
konnte, in die man wollte. Man brauchte sehr gute<br />
Nerven, um den Bogen zu umfahren, die Runde darum<br />
war sechsspurig, und jeder wollte der Erste sein. Hupkonzerte<br />
waren an der Tagesordnung, Unfälle hingegen<br />
äußerst selten.<br />
Lucie nahm mich bei der Hand, und wir spazierten die<br />
Champs Elysées hinunter in Richtung Place de la Concorde,<br />
Parc des Tuileries, wo die sechsspurige Prachtstrasse<br />
von Paris endete.<br />
Wir gingen auf der linken Seite der Strasse, wo wir an<br />
279<br />
teuren Haute Couture Boutiken, Restaurants, Kinos,<br />
Wohnblöcken für ganz Reiche, und vielen anderen Geschäften<br />
vorbeikamen. Die Preise waren gesalzen, für<br />
normal Sterbliche unbezahlbar.<br />
Die Sonne schien warm vom blauen Himmel, tausende<br />
Menschen jeder Kultur begleiteten uns auf dem Spaziergang,<br />
Frühling in Paris ist einfach herrlich. Die Röcke<br />
der hübschen Mädels wurden kürzer, die Menschen<br />
lachten, es lag ein Gefühl von Dauerfeier in der Luft.<br />
Und Lucie an meiner Seite liebte mich, was wollte ich<br />
mehr.<br />
Wir überquerten den Boulevard, und gingen an großen
Autohäusern, internationalen Banken, Botschaften und<br />
Schlossartigen Gebäuden, die von vergoldeten soliden<br />
Eisengittern gesichert waren, vorbei, in denen sicher die<br />
Milliarden Dollars um den Globus geschoben wurden.<br />
Wir tranken Kaffee im Fouqués, wo sich Schauspieler<br />
und andere elustre Gäste zum Drink, oder zum Essen<br />
trafen. Auch wir wollten für einen Augenblick Mitglieder<br />
dieser Komunität sein, und fanden einen Platz auf<br />
der großen Terrasse in der Sonne.<br />
Lucie erklärte mir Alles. Ich kannte ja diesen Teil von Paris<br />
nicht, hatte mich früher immer bei den Bohemiens<br />
im Quartier Latin aufgehalten, den Triumphbogen oder<br />
die Champs nie zu Gesicht bekommen. Ich war ja nur<br />
ein kleiner Pflastermaler, von den Champs d´Ellisées<br />
hätte man mich verjagt. Der gesamte Prunk und Pomp<br />
beeindruckte mich wenig, ich war von solchen Dingen<br />
so weit entfernt wie vom Mond.<br />
Als wir gegen Sonnenuntergang nach hause gingen,<br />
kochte Lucie vegetarisches Essen für uns, später liebten<br />
wir uns herzlich und inniglich wie schon in den vielen<br />
Nächten zuvor.<br />
Einige Tage später bekam Lucie Besuch, ein Mann in<br />
280<br />
meinem Alter, Alain, kam ins Haus, und wunderte sich<br />
über meine Anwesenheit. „Das ist Eric, wir haben uns in<br />
London kennen gelernt, er ist Deutscher“, stellte sie<br />
mich vor. Alain gab mir mit einem abschätzenden Blick<br />
die Hand, „Bon Jours“, sagte er nur, und versuchte eine<br />
Unterhaltung mit Lucie zu beginnen, wobei er mich<br />
nicht beachtete. Ich erntete nur ab und an einen nicht<br />
sehr freundlichen Blick, den ich sehr gut bemerkte.<br />
„Eric ist mein Freund, ich liebe ihn“, erklärte Lucie, und<br />
die Blicke Alains wurden immer dusterer. Er war in Lucie<br />
verliebt, sie wusste das, wie sie mir später mitteilte. Er<br />
tat alles für sie. Er betrieb mit seinem Vater ein großes<br />
Karussell irgendwo in Paris.<br />
Leider wurde die Liebe von Lucie nicht geteilt, er war<br />
nur ein Freund für sie, der sehr hilfreich war, was auch<br />
immer sie zu tun hatte. So renovierte er ihre Wohnung<br />
völlig, hatte Regale angebracht, ihr beim Einzug geholfen.<br />
Er tat alles für Lucie, was ihn aber in der Liebe zu<br />
ihr keinen Deut weiter brachte. Sie hatte kein Interesse<br />
an ihm als Mann.<br />
Er kam nun fast täglich, ich begann irgendwann das<br />
Haus zu verlassen wenn er kam, seine Blicke gingen mir<br />
langsam auf den Geist. Und er sprach kein Wort mit mir.<br />
Was sollte ich also in der Gesellschaft. Ich spazierte dann<br />
über die großen Boulevards am Etoiale, und erfreute<br />
mich an Blicken auf hübsche Mädels, und den Auslagen<br />
der Edelboutiken. Auch ging ich schon mal ins Kino.<br />
Eines Tages kam Alain erneut ins Haus, Lucie öffnete<br />
ihm die Türe, und er kam auf mich zu und zog eine Pistole.<br />
„Bist du irre“, fragte ich ihn, „du machst so alles
nur noch schlimmer“.<br />
„Ich liebe Lucie schon lange, und du hast hier nichts<br />
verloren, ich bring dich um wenn du nicht verschwindest“,<br />
antwortete Alain vor Wut schnaubend. Lucie stand<br />
281<br />
vor Schreck gelähmt in einer Ecke, und beobachtete das<br />
gefährliche Spiel. Bis sie sagte: „ Alain, das hat keinen<br />
Sinn, ich liebe ihn, und nicht dich, du weist das, du bist<br />
nur ein Freund, mach also keinen Unsinn“.<br />
Er schaute zu ihr hinüber, in diesem Augenblick ging ich<br />
auf ihn zu, ergriff seinen Arm mit der Pistole, und entwand<br />
sie ihm. Die Waffe fiel auf den Boden, und schnell<br />
hob ich sie auf. „Das ist doch sinnlos, Lucie wird dich<br />
gar nicht mehr beachten, wenn mir etwas zustößt, und<br />
du landest im Knast. Sie wird dir sicher keine Orangen<br />
bringen“, sagte ich erschrocken.<br />
Er kam auf mich zu, um die Pistole wieder in seinen<br />
Besitz zu bringen. Ich umfasste meine rechte Faust mit<br />
der linken Hand, und stieß ihm meinen Ellbogen mit aller<br />
Kraft in den Magen, als er hinfiel schlug ich ihm<br />
noch mit der Faust in den Nacken, und er fiel zu Boden.<br />
Ich warf die Pistole hinter ein hohes Eckregal, wo sie für<br />
uns beide unerreichbar wurde.<br />
Ich fasste Alain an den Armen, schleppte ihn durch den<br />
Flur zur Türe, und warf ihn hinaus auf den Innenhof,<br />
von wo aus Lucie ihre Wohnung erreichte. „Komm<br />
nicht zurück wenn ich hier bin“, warnte ich ihn, und sah<br />
ihn auch von dem Tag an nie wieder. Dies war die erste<br />
gewalttätige Auseinandersetzung meines Lebens.<br />
Als ich zurück ins Zimmer kam, lief Lucie auf mich zu,<br />
schlang ihre Arme um meinen Hals, und weinte, „ ich<br />
wäre verrückt geworden, wenn dir etwas passiert wäre,<br />
das hätte ich ihm nie zugetraut. Jetzt weis ich noch deutlicher,<br />
dass ich dich liebe, lass mich nie alleine“. Ich<br />
wischte ihre Tränen ab. „Ich werde ihn später anrufen,<br />
und ihm sagen, dass er hier Hausverbot hat, ich will diesen<br />
Blödmann nicht mehr sehen. Er läuft mir schon Jahre<br />
hinterher, und ich hab ihm immer deutlich gemacht,<br />
dass mit Liebe zwischen uns nichts laufen kann“, sagte<br />
282<br />
sie dann ruhiger geworden.<br />
Ich holte die Pistole hinter dem Regal hervor, und legte<br />
sie an einen sicheren Ort, wo sie jedoch für mich erreichbar<br />
blieb. Lucie fand das nicht lustig, aber ich konnte<br />
sie beruhigen. „ Werd´ ich nie benutzen, aber was ist<br />
wenn der Typ das nächste Mal mit einem Gewehr hier<br />
auftritt, dann muss ich der Schnellere sein“, sagte ich lachend,<br />
und umarmte die schöne Frau fest und liebevoll.<br />
War ich froh sie zu haben, ich konnte mein Glück ´mal<br />
wieder kaum fassen.<br />
283<br />
Kapitel 32<br />
Die Zeit ging vorbei, die Sonne stieg höher und höher,
der Frühling erreichte seinen Zenit, und Paris war beautifull.<br />
Viel Liebe, schöne Gänge durch die Stadt, die Lucie<br />
mir aus ihrer Sicht zeigte. Sie besuchte oft ihre Mutter,<br />
die ich aber noch nicht unbedingt kennen lernen<br />
wollte. Das wurde mir dann doch zu familiär, und mit<br />
Familie hatte ich ja so meine Erfahrungen.<br />
Ihre Schwester Sonja kam ab und zu Besuch, eine sehr<br />
freundliche, herzliche und hübsche Person, die langen<br />
hellblonden Haare bis fast zum Hintern gezüchtet. Sie<br />
war um einiges kleiner als Lucie, sie war die mit 1,72 m<br />
die Größte in der Familie, die nur aus Frauen bestand.<br />
Irgendwann sah ich Plakate, die ein Konzert im Olympia,<br />
der größten Konzerthalle von Paris ankündigten.<br />
Crosby, Stills, Nash and Young sollten auftreten. Ich war<br />
sofort entzückt und bat Lucie, sie möge unbedingt Karten<br />
besorgen, diese amerikanische Band war zu dieser<br />
Zeit eine meiner favorisiertesten Rockbands, sie waren<br />
schon Stars und richtig gut im Rock Geschäft. Ich hoffte<br />
sehr dass wir Karten bekommen würden, sie sollten<br />
schon in einer Woche auftreten.<br />
Wir hatten Glück, die Franzosen waren noch ziemlich<br />
im Niemandsland was Rock betraf, und wir erstanden<br />
zwei Tickets in der dritten Reihe. Den Preis hat Lucie<br />
mir nie verraten, er war sicher nicht von Pappe.<br />
Steven Stills kam von einer Band Namens Buffalo<br />
Springfield, holte sich David Crosby, der bei den Birds<br />
sang und Gitarre spielte, Graham Nash von den Hollies,<br />
ein hervorragender Pianist und Sänger und Neil Young,<br />
der alleine unterwegs war. Sie gründeten „Crosby, Stills,<br />
Nash and Young“, eine Supergroup. Und die wollte ich<br />
284<br />
keinesfalls verpassen, wenn sie ´mal in Europa unterwegs<br />
waren, was zum ersten Mal der Fall war.<br />
Der Abend kam, Lucie schmiss sich in ihr Leder und<br />
Stiefel, ich zog Jeans, Lederjacke und Stiefel an, und wir<br />
machten uns auf in´s Olympia.<br />
Es waren doch sehr viele Fans gekommen, ein Ameisenhaufen<br />
von jungen Menschen, viele mit Blumen in den<br />
Haaren, standen vor dem L´Olympia, der größten Konzerthalle<br />
von Paris. Hier waren u.a. schon Edith Piaf, Nina<br />
Simone und Gilbert Becaud aufgetreten. Nun sollte<br />
gerockt werden. Der einzige große französische Rocker<br />
aus Frankreich, Jonny Hollyday war hinter der Bühne<br />
versteckt. Ich hielt stolz meine Lucie im Arm, und freute<br />
mich schon, gleich in Reichweite dieser Band sitzen<br />
zu dürfen.<br />
Die Menge drängelte sich langsam in die Halle, und diese<br />
war überraschenderweise ausverkauft, wir hatten also<br />
richtig Glück gehabt, die guten Karten erstanden zu haben.<br />
Endlich kam die Band auf die Bühne, sie hatten sich<br />
Gastmusiker am Schlagzeug, Bass und Orgel mitgebracht,<br />
und wir erlebten ein Konzert der Superlative.<br />
Als die Musiker zu spielen begannen, hatte ich gleich eine
Gänsehaut, die meinen Körper vibrieren ließ. Ich<br />
schaute zu Lucie neben mir, sie hob lachend ihren rechten<br />
Daumen hoch, es schien auch ihr zu gefallen.<br />
Steve Stills war der Lead Gitarist, und er spielte mal ruhig,<br />
mal wie der Teufel, sein Solo in „Judy Blue Eyes“<br />
brachte mein Blut zum kochen. Er erzeugte ein wahres<br />
Feuerwerk aus Tönen mit seinen schnellen Fingern, die<br />
über die Gitarre flogen.<br />
Graham Nash tanzte barfuss über die Bühne wie ein Boxer<br />
im Ring, wenn seine Stimme gebraucht wurde, sang<br />
er Harmonien wie ein Vogel. David Crosby stand wie<br />
285<br />
versteinert vor seinem Mikrophon, und bewegte nur die<br />
Lippen, ab und zu die Augen weit aufgerissen. Aber er<br />
stand wie in Stein gemeißelt, bewegte sich nur leicht,<br />
wenn auch er zu einer Gitarre griff. Seine Stimme klang<br />
auch Vogelgleich, er kam ja von den „Birds“. Er konnte<br />
jedoch seine Stimme auch sehr energisch bewegen, „a<br />
long time gone“ sang er sehr brutal und wurde laut. Er<br />
wippte nur manchmal leicht mit dem linken Knie, ansonsten<br />
weiter Skulptur.<br />
Neil Young spielte hervorragend Gitarre, und sang mit<br />
wenn seine Stimme gefragt war. Nie hatte ich eine so<br />
harmonisch singende Band gehört, es hielt mich nicht<br />
lange auf dem Sitz, wie alle anderen Zuhörer auch. Ich<br />
war entzückt, bewegte mich in höheren Sphären.<br />
Lucie hatte ich fast vergessen, ab und zu drückte sie mir<br />
einen Kuss auf die Wange, und klatschte freudig mit den<br />
Händen.<br />
Die Musiker waren normal gekleidet, hatten lange Haare,<br />
Steve Stills trug sogar ein Jakett über dem weißen<br />
Hemd und der Jeans. David Crosby trug eine alt und<br />
sehr gebraucht aussehende braune Cordhose, über die er<br />
ein offenes Holzfällerhemd mit hochgekrempelten Ärmeln<br />
trug. Graham Nash trug Jeans und T-Shirt, keine<br />
Schuhe, Neil Young hatte eine lederne Fransenjacke mit<br />
Indianeremblemen bestickt an.<br />
Die Band sang von Frieden, Liebe und Freiheit, sie animierten<br />
ihr Publikum zu friedlich liebevollem Umgang<br />
mit allen Menschen, und baten ihre Botschaft hinaus in<br />
die Welt zu tragen. Was wir auch immer taten, wohin wir<br />
auch gingen. Liebe und Frieden war unser Motto, da<br />
waren sich Lucie und ich schon vor dem Konzert einig.<br />
„We can change the World“, sangen sie, und wir glaubten<br />
daran.<br />
Die Musiker machten auf viele Probleme in der Welt<br />
286<br />
aufmerksam, so brachten sie die Leute in Verachtung vor<br />
der Waljagd, diese urzeitlichen Riesengeschöpfe, friedlich<br />
wie ein Frühlingsmorgen, „ To the last Whale“ hieß<br />
der Song, der diese unmögliche Abschlachterei der aus<br />
Urzeiten übrig gebliebenen friedlichen Kreaturen, die<br />
ermordet und vor allem von Japsen und Norwegern gefressen
wurden, verurteilte.<br />
Das Verklappen von nuklearen Abfällen in der Bai von<br />
San Francisco wurde deutlich gekreuzigt. Auch der<br />
Krieg in Vietnam wurde kritisch unter die Lupe genommen,<br />
„Treetop Flyer“ von Steve Stills. Leider wurden<br />
die Stimmen der Band und die von Millionen von<br />
Menschen von der Politik noch nicht wahrgenommen.<br />
Aber die Botschaft war deutlich, Crosby, Stills, Nash and<br />
Young ließen ihre Fans mit warmen Herzen in den<br />
Abend gehen. Außer dass die Gitarrensounds und die<br />
Stimmen mich faszinierten, swingte die Band in vielen<br />
Stücken lässig los, wobei ich sehr in Bewegung geriet.<br />
Lucie und auch ich kamen mit rot gefärbten Gesichtern<br />
aus dem Konzert, und machten uns, fest umarmt auf ins<br />
Quartier Latin, um die Nacht dort noch gemeinsam mit<br />
fröhlichen Menschen zu genießen. Wir waren im<br />
Rausch, ich auch ohne Joint. Ich war heiß, und so war<br />
Lucie. Diese Nacht sollte für uns in einer Liebesorgie<br />
enden, die ich nie vergessen konnte.<br />
287<br />
Kapitel 33<br />
Es wurde ´mal wieder Zeit für eine Reise, wir hatten<br />
schon mehr als zwei Monate in Paris verbracht, mein<br />
Reisefieber hatte sich erneut eingestellt. Lucie hatte ihr<br />
Studium endgültig an den Nagel gehängt, und wollte<br />
nun mich studieren, also konnte sie mich begleiten.<br />
Wir reisten zunächst nach Brüssel, ja nach Brüssel, ich<br />
wollte den Clan besuchen, und Lucie vorstellen. 3 Stunden<br />
mit dem Zug, und wir waren in der Hauptstadt<br />
Europas.<br />
Als wir beim Clan einflogen war die Freude groß, bis auf<br />
Martin waren alle zu Hause. Luc, mein bester Freund der<br />
Gruppe fiel mir um den Hals und freute sich genau wie<br />
ich über das Wiedersehen.<br />
„Wir haben Champagner kalt“, sagte er, und eilte zum<br />
Kühlschrank. Er wusste dass ich am liebsten diese Edelbrause<br />
trank. Ich erzählte von meiner zeit in London,<br />
und wenn ich die Konzerte erwähnte, hingen alle an<br />
meinen Lippen, wollten alles bis ins Detail wissen. „Du<br />
hast aber auch immer ein Glück“, sagte Luc, „Superkonzerte,<br />
und dann kommst du auch noch mit einer Superfrau<br />
als Souvenir hier an, du bist wahrlich zu beneiden“.<br />
„fahrt auch hin, ihr werdet euer blaues Wunder erleben“,<br />
antwortete ich. „London ist noch stets die Stadt in<br />
der man sein sollte, macht euch schleunigst auf den Weg,<br />
bevor das Fieber verglüht“, konnte ich nur sagen.<br />
„Sollten wir tun, werden wir auch bald“, antwortete<br />
Luc.<br />
„Unsere Platte ist fertig, und kommt bald auf den Markt,<br />
dann müssen wir sowieso auf Promotiontour nach England“,<br />
fügte er hinzu.<br />
Sie legten die neue Scheibe stolz auf, und wir hörten<br />
288
gute solide Rockmusik, die Platte sollte sich gut verkaufen.<br />
Ich machte ernst gemeinte Komplimente, und hörte<br />
auch das Stück, auf dem ich Kongas gespielt hatte,<br />
man hatte den Part draufgelassen, es passte. Ich war stolz,<br />
und Lucie freute sich für mich. „Martin ist dabei eine<br />
Rockoper zu komponieren, er schreibt viel, ist aber auch<br />
viel auf Achse, um Ideen zu sammeln, deshalb ist er heute<br />
auch nicht hier“, erzählte mir Luc, und öffnete eine<br />
zweite Flasche Champagner. Es wurde ein Fest bis in<br />
den Morgen, wir schliefen in Martin´s Zimmer.<br />
Wir gingen nicht aus in Brüssel, ich wollte auf keinen<br />
Fall Maryvonne begegnen, das wäre für uns alle nicht<br />
schön gewesen. Wir gingen lediglich in Cafés, wo ich<br />
wusste, dass keine Begegnung stattfinden würde.<br />
Wir lernten ein junges mit den Clan befreundetes Paar<br />
kennen, Nancy und Frank, die in Brüssel wohnten. Sie<br />
erzählten uns, dass sie bald auf die Reise nach Afrika gehen<br />
wollten, mit dem Zug bis Agadir in Marokko, dann<br />
mit LKWs durch die Sahara bis zum Tschad. Dort waren<br />
sie bei Verwandten zu Weihnachten eingeladen. Sie hätten<br />
fliegen können, aber sie wollten die Reise lieber so<br />
machen wie geplant, um etwas von den Ländern zu sehen.<br />
„Ganz schön mutig, in den Tschad, dort ist doch dauernd<br />
Bürgerkrieg“, wandte ich ein. „Ach was, so viele<br />
Leute die ich kenne waren im Tschad, und alle sind gesund<br />
zurückgekehrt“, entgegnete Frank. „Ihr könnt mitkommen<br />
wenn ihr möchtet“, fügte er hinzu. Ich schaute<br />
Lucie fragend an, sie nickte mutig mit dem Kopf,<br />
„Warum nicht, ich war noch nie in Afrika, ich würde<br />
schon mitkommen“. In fünf Monaten sollte die Reise<br />
losgehen, Frank hatte ein Semester dafür geopfert.<br />
Wir hatten uns vom Clan verabschiedet, Frank hatte uns<br />
zu sich nach Hause eingeladen, die Nacht zu verbringen,<br />
289<br />
bevor wir am nächsten Tag weiterfahren wollten. Wir<br />
wollten über Details der Reise sprechen. Wir kamen in<br />
ein schönes Haus, in dem Frank bei seinen Eltern wohnte.<br />
Er war in meinem Alter, und wollte nach der Reise<br />
sein Studium der Architektur wieder aufnehmen.<br />
Die Eltern begrüßten uns sehr herzlich, sie waren äußerst<br />
freundliche Menschen, die Mutter lud uns zum<br />
Abendessen ein, und bereitete uns sofort ein Zimmer.<br />
Franks Eltern hatten eine große Kleiderreinigung in<br />
Brüssel, es schien ihnen gut zu gehen.<br />
Wir besprachen die Reise in Gesellschaft der Eltern,<br />
Nancy war auch dageblieben, obwohl sie und Frank lediglich<br />
gute Freunde waren, mehr nicht. Die Mutter<br />
sprach sorgenvoll über Frank´s Vorhaben. „Wir kommen<br />
auch mit, haben sie nur keine Angst“, „zu Viert werden<br />
wir das schon schaffen“, versuchte ich die Mutter zu beruhigen.<br />
„Ich kann ihn ja sowieso nicht von seinem Plan<br />
abbringen“, sagte sie leicht besorgt. „Haben sie denn<br />
keine Angst“, fragte sie Lucie. „Nein, ich habe größtes
Vertrauen in mich und vor allem in Eric, wir werden das<br />
schon schaffen, nötigen sie sich nicht“. So wurde die<br />
Reise klargemacht, in fünf Monaten sollten wir Frank<br />
und Nancy von zu Hause abholen. Vorher wollten wir<br />
telefonisch in Kontakt bleiben. Die Eltern verabschiedeten<br />
und aufs sympatichste, solche Eltern hätte auch ich<br />
gerne gehabt. Lucie dachte gleich.<br />
Wir machten einen kleinen Abstecher in meine kleine<br />
Stadt, ich wollte Oma besuchen. Lucie freute sich auf sie,<br />
ich hatte ihr viel von ihr erzählt.<br />
Oma war hoch erfreut als sie mich sah, ordentlich angezogen,<br />
zwar langhaarig, aber das hatte sie nie gestört.<br />
Und von Lucie war sie begeistert, sie spürte die immer<br />
fühlbare Warmherzigkeit meiner Geliebten, Oma hatte<br />
diese Anlagen auch. Sie waren ein Herz und eine Seele.<br />
290<br />
„Da bin ich aber froh für dich, Junge, da hast du aber ei<br />
liebes Mädchen kennen gelernt. Sie konnte kaum fassen,<br />
dass wir uns in London begegnet waren, und Lucie aus<br />
Paris stammte. „Wo du aber auch überall ´rumkommst“,<br />
sagte sie Kopfschütelnd und lächelte. „Und jetzt willst<br />
du auch noch nach Afrika, du musst wirklich verrückt<br />
sein, andere Leute gehen arbeiten“ „Oma, zum Glück<br />
bin ich nicht „andere Leute“. Als wir gingen schaute<br />
Oma Sorgenvoll.<br />
Ich besuchte auch meine Mutter, sah meine Geschwister,<br />
ich hatte meinem Bruder Markus die Jacke von<br />
meinem Beatlesanzug aus der Schweiz geschenkt, die er<br />
immer noch stolz trug. Alle waren hocherfreut über unseren<br />
Besuch, sie staunten ob meiner geliebten Lucie,<br />
mit der sich leider Niemand unterhalten konnte. Aber es<br />
wurde trotzdem ein schöner Tag, Lucie spürte sofort<br />
Sympathie zu meiner Mutter und den Geschwistern.<br />
Es war Osterzeit, und Lucie sah zum ersten Mal bunte<br />
Eier, so was gab’s in Frankreich nicht. Mutter gab uns<br />
noch einige der bunten Eier mit auf die Reise, auch ihre<br />
selbstgebackenen Krötchen, kleines süßes Hefegebäck,<br />
das sie immer hervorragend zu backen verstand.<br />
Die gab es mit- und ohne Rosinen.<br />
Lucie wäre gerne länger geblieben, aber ich wusste nicht<br />
wo wir schlafen sollten, in der Heimatstadt ins Hotel zu<br />
gehen war mir nicht genehm, das hätte ich nur für andere<br />
Zwecke gemacht.<br />
Es gab eine herzliche Verabschiedung, auch meine Mutter<br />
sorgte sich auch über meine Pläne nach Afrika zu reisen.<br />
Jedoch wusste sie, dass ich meinen eigenen Kopf<br />
hatte, und da nichts mehr zu schrauben war.<br />
Schon waren wir weiter, wir hatten uns als Ziel Rom<br />
gesetzt, wollten aber noch kurz nach Österreich, meine<br />
Verwandtschaft dort besuchen. Wir fuhren jetzt mit dem<br />
291<br />
Zug, und hatten einen riesigen roten Koffer dabei, den<br />
Lucie schon lange vor unserer Abreise aus Paris angeschafft
hatte. Er war schwer wie Blei, und ich sollte ihn<br />
noch oft verfluchen ob seiner Größe und Last. Lucie<br />
hatte viel Gepäck, und auch ich hatte mir mittlerweile<br />
Einiges angeschafft.<br />
In Köln stiegen wir in einen Zug nach Salzburg, wir<br />
fuhren natürlich zweiter Klasse, Lucie hatte zwar gutes<br />
Geld, aber das sollte ein Jahr reichen. Ab und an gingen<br />
wir auf der langen Reise in die Toilette, um uns dort zu<br />
lieben. Oft dauerte es länger, und Leute klopften an die<br />
Türe. Wir ließen uns nie stören, wir waren Liebesdiener,<br />
waren in Sachen Liebe unterwegs.<br />
Ab Salzburg fuhren wir zunächst mit einer Berg-Bimmelbahn,<br />
die noch Holzsitze hatte, und hielten mitten in<br />
den Österreichischen Bergen in einem winzigen Dorf<br />
mit fünf Häusern, Eins davon war ein Gasthaus. Wir<br />
wollten die Berge Live erleben, wenn auch nur für einen<br />
Tag und eine Nacht. Lucie war von der grün-grauen<br />
Bergumgebung völlig begeistert, so machten wir uns gegen<br />
14 Uhr auf, die Wiesen und Berge zu erkunden.<br />
Die Sonne schien uns auf die Köpfe, Lucie hüpfte wie<br />
klein Heidi über eine riesige Wiese, die an einem ziemlich<br />
steilen Hang lag. Das Dorf war längst nicht mehr in<br />
Sicht, und ich versuchte zunächst die Orientierung nicht<br />
zu verlieren, und ins Bett zurückzufinden. Lucie ließ sich<br />
treiben, sie war verliebt in diese Landschaft, die auch sie<br />
noch nie erlebt hatte. Wir waren für einen Moment außerhalb<br />
jeder Zivilisation.<br />
Irgendwann ließ sich Lucie in das satt grüne Gras fallen,<br />
und zog mich zu sich herab. Sie schaute sich um, alle<br />
Himmelsrichtungen abcheckend, und machte sich<br />
plötzlich an meiner Hose zu schaffen. Da auch ich nirgendwo<br />
Menschen oder gar Ziegen oder Rinder sehen<br />
292<br />
konnte, ließ ich alles gerne geschehen, und begann an<br />
der Bekleidung meiner liebreizenden Begleitung zu<br />
fummeln.<br />
Wir fanden bald auf und ineinander, liebten uns öffentlich<br />
auf einer österreichischen Wiese. Als ich irgendwann<br />
in den blauen Himmel schaute, sah ich nur eine gut geformte<br />
Silhouette in der gleißenden Sonne über mir sitzen,<br />
stöhnte verzückt, denn es war geschehen, ich hatte<br />
meinen ersten Liebesakt unter der Sonne Österreichs<br />
vollzogen.<br />
Lucie ließ sich mit ihrem schönen Oberkörper auf mich<br />
fallen, und befreite sich von mir. Jetzt lagen wir fast nackt<br />
nebeneinander, und schauten Beide zufrieden zum Horizont,<br />
und ließen uns eine Weile von der Sonne bescheinen.<br />
Dann siegte doch das öffentliche Schamgefühl, und wir<br />
zogen uns die Kleider wieder über die verschwitzten<br />
jungen Körper. Es ging uns richtig gut, auch ich begann<br />
die Bergwelt zu schätzen. Nach viel postkoitalem Geknutsche<br />
standen wir auf, und versuchten den Weg zurück<br />
ins Dörflein zu finden, was sich nicht als einfach
herausstellte, denn um uns herum war nur Grün, ich<br />
kam mir vor wie ein Schiffbrüchiger auf grüner See, um<br />
mich herum nur Gras.<br />
Hätte man das rauchen können, wäre mir nicht so bange<br />
zumute gewesen, ich wäre sicher einfach nur geradeaus<br />
gegangen. Das taten wir dann auch, und entdeckten<br />
einen kleinen Steinhügel, an dem wir uns orientieren<br />
konnten, fanden schnell den rechten Weg, nach einer<br />
halben Stunde auch das Dorf.<br />
Gegen Abend erreichten wir unsere Bleibe dort erwartete<br />
man uns als einzige Gäste schon zum Abendessen.<br />
„Wir dachten schon sie hätten sich vielleicht verlaufen<br />
in unserer schönen Gegend“, scherzte die fette Wirtin,<br />
293<br />
sie wusste glücklicherweise nicht wie Recht sie hatte.<br />
Wir gingen aufs Zimmer, machten uns frisch, lachten<br />
uns fröhlich an, und gingen in den Gastraum.<br />
Die Wirtin servierte uns dampfendes schwarzbraunes<br />
Gulasch mit je zwei dicken Semmelknödeln. Auch stellte<br />
sie uns zwei Schüsselchen mit grünem Salat auf den<br />
rohen Holztisch. „Guten Hunger“, wünschte sie uns,<br />
den hatten wir auch. Lucie hatte noch nie Semmelknödel<br />
gegessen, auch solches Gulasch kannte sie nicht.<br />
Wir verschlangen Beide diese herrliche Speise mit<br />
wachsendem Vergnügen.<br />
Die Frau hatte fantastisch gut gekocht, die sämige Soße<br />
genossen wir bis zum letzten Flecken.<br />
Wir waren satt wie selten zuvor, die Portionen waren<br />
üppig serviert. Wir konnten keinerlei Reste zulassen, dafür<br />
war die Speise zu Gschmakig wie der Österreicher<br />
sagen würde.<br />
In der Nacht gab´s noch mal shakedown in den Bergen,<br />
leider quietschte das Bett dermaassen, dass wir unseren<br />
zügellosen Gefühlen bald Einhalt geboten. Wir wollten<br />
bei den Gottgläubigen Dörflern keinen schlechten Eindruck<br />
hinterlassen.<br />
Das Frühstück am nächsten Morgen war eine echte<br />
Überraschung, der Tisch war so reich gedeckt mit<br />
Schinken, allen Arten von Wurst und Marmeladen, Eier<br />
obligatorisch, selbst ich staunte ob der Vielfalt dieser frühen<br />
Köstlichkeiten. Lucie kannte solche Art von Frühstück<br />
nicht, in Frankreich aß man morgens süß, wie auch<br />
in Italien, Wurst, Käse und solche Dinge wurden ihr erstmalig<br />
vorgesetzt, sie machte reichlich Gebrauch vom<br />
Angebot.<br />
Ich hievte den enormen Koffer hoch zur Bahnstation,<br />
der Schweiß lief mir schon am Morgen den Rücken<br />
´runter. Ich trat gegen das rote Monster. Lucie lachte<br />
294<br />
nur, sie amüsierte sich köstlich, wenn ich mit dem Koffer<br />
kämpfte.<br />
Die schwarze rauchende Bahn kam keuchend den Berg<br />
hoch, wir stiegen schnell ein, und fuhren auf Holzbänken
noch ca. 25 km, bis wir einen zivilisierten Bahnhof<br />
erreichten, und den Zug nach Graz fanden. Das grüne<br />
Meer hatte schöne Emotionen geweckt, war aber nun<br />
überwunden, wir sahen wieder Land.<br />
In Graz bei der Verwandtschaft war die Freude groß, nur<br />
meine richtig geizige Tante rechnete schon, was sie unser<br />
Besuch wohl kosten würde. Meine Cousins feierten<br />
einen Abend mit uns, zeigten uns die Stadt ein wenig.<br />
Wir wurden kurz überall herumgereicht, sagte schön<br />
„Hallo“ , und machten uns weiter auf die Reise Richtung<br />
Milano, wo wir eine Nacht verbrachten, und am<br />
nächsten Morgen den Zug in die ewige Stadt bestiegen.<br />
Nun wurde ich richtig heiß auf Rom, mein Fieber für<br />
die Stadt begann u steigen, je näher wir dieser herrlichen<br />
Metropole kamen. Ich hatte nur gute Erinnerungen an<br />
diese Stadt, Lucie freute sich auch sehr, ich hatte ihr meine<br />
Erlebnisse dort irgendwann zugetragen.<br />
Statione Termini, wir waren angekommen, und wurden<br />
von Sonneschein begrüßt. Mit dem roten Monsterkoffer<br />
nahmen wir ein Taxi in das Viertel um die spanische<br />
Treppe, und mieteten uns in einer Pension für kleines<br />
Geld ein. Es gab auch Essen dort, nach einer ersten<br />
„Zuppa de Verdure“,<br />
Gemüsesuppe vom Feinsten, gingen wir schlafen, einfach<br />
nur schlafen, die Reise hatte uns geschafft.<br />
Vor dem Aufstehen am späten Morgen gab´s zunächst<br />
eine weitere Lektion in Liebe von meiner Lucie, wir waren<br />
für unsere Verhältnisse schon länger nicht mehr zusammengestoßen.<br />
Dann italienisches Frühstück, süß wie<br />
ich es mochte, Lucie vermisste schon den Schinken und<br />
295<br />
Käse, den sie aber von nun an bekommen sollte. Musste<br />
man einfach nur bestellen.<br />
296<br />
Kapitel 34<br />
Die spanische Treppe, ich bekam leichte Gänsehaut als<br />
wir sie erreichten, und ich die vielen nun Hippies genannten<br />
auf den Stufen sitzen sah, wie immer befremdet<br />
von den Touristen betrachtet. Ruck- und Schlafsäcke lagen<br />
neben den Reisenden, ein Bild für die Götter. Lange<br />
Haare flatterten im Frühlingswind, die Mädels waren<br />
schön wie auch früher schon. Meine Erinnerungen<br />
überwältigten mich, wir setzten uns in ein Café gegenüber<br />
den Stufen, und betrachteten das fröhliche Treiben.<br />
Lucie war begeistert, „hier hast du monatelang gelebt“,<br />
fragte sie ungläubig, ich nickte nur ehrfurchtsvoll.<br />
Wir stiegen nach der Stärkung die vielen breiten Stufen<br />
hoch zur Villa Borghese, meinem damals oft genutzten<br />
„Schlafzimmer“. Ich zeigte Lucie die runden Büsche,<br />
zwischen denen ich in meinem Schlafsack genächtigt<br />
hatte. Sie schüttelte nur ungläubig den Kopf. „Wie<br />
konntest du nur im Freien schlafen“, fragte Lucie, „hattest<br />
du nie Angst“? „Angst,(?) damit konnte ich mich nie
eschäftigen, wäre ja nie eingeschlafen“, antwortete ich<br />
lachend. „Später hab´ich ja dann in Pensionen wie der<br />
jetzt unseren schlafen können, die hübschen Mädels<br />
wollten nicht, dass mir etwas zustößt, es wäre ein zu großer<br />
Verlust für sie gewesen. So sorgten sie für mich, und<br />
zogen mich in ihre Betten“, scherzte ich weiter lachend.<br />
„Du bist wirklich ein loser Vogel“, gab Lucie künstlich<br />
pikiert zu bedenken. „So what“, konnte ich nur sagen.<br />
„Deshalb liebst du mich doch, gib´s doch zu“. „Es ist<br />
viel Wasser den Tiber hinunter gelaufen seit der Zeit,<br />
jetzt hab ich ja dich“, beruhigte ich sie. Sie küsste mich.<br />
In der nächsten Zeit zeigte ich Lucie die Stadt, wie ich<br />
sie kennen gelernt hatte, wir besuchten die schönen<br />
297<br />
Plätze mit den fantastischen, mich noch stets beeindrukkenden<br />
Brunnen. Die Piazza del Trevere mit den vielen<br />
vielen Cafés und Restaurants, wo man am schönsten<br />
abends im Mondlicht feiern konnte, was wir später auch<br />
oft taten.<br />
Wir besuchten natürlich auch den Petersdom, konnten<br />
aber nicht hinein, weil Lucie´s Röckchen heute zu kurz<br />
war, und das Top zu knapp. „Beim nächsten Besuch werde<br />
ich mich züchtiger kleiden, ich will da rein“, sagte sie.<br />
Wir gingen zur Via Veneto, der Prachtstrasse Roms, und<br />
tranken Kaffee im Café de Paris. Er war teuer aber gut.<br />
„Hier will ich öfter hin, diese Strasse gefällt mir, sie erinnert<br />
mich an mein Viertel in Paris“, sagte Lucie. Wir<br />
wussten dann noch nicht, dass die Via Veneto unsere<br />
zweite Heimat werden sollte. „Wir suchen uns hier in<br />
der Nähe etwas zum wohnen, von den Hippies haben<br />
wir doch genug gehabt“, schlug Lucie vor. „So viel teurer<br />
kann das doch auch nicht sein, wir finden sicher eine<br />
kleine Pension“.<br />
Wir gingen auf die Suche in den kleineren Strassen um<br />
die Via Veneto herum. Wir fanden einige Pensionen, die<br />
aber noch zu kostspielig waren. Bis wir in ein Haus mit<br />
einem Stern an der Türe kamen, das sich „Pinocchio“<br />
nannte. Wir traten ein, und erkundigten uns nach Preisen.<br />
„Das kommt darauf an, wie lange sie hier bleiben<br />
möchten“, informierte uns die Wirtin des Hauses, eine<br />
freundlich blickende, kleine Frau. „Mindestens einen<br />
Monat“, sagte ich sofort, und wir einigten uns auf einen<br />
sehr resonablen Preis. Wenn man sich für einen Monat<br />
einmietete, bekam man günstige Zimmer, das hatte ich<br />
auf Reisen gelernt.<br />
Wir fuhren erfreut mit einem Bus zurück in unsere Pension,<br />
packten den von mir mit bösen Blicken betrachteten<br />
roten Koffer, ich schleppte ihn erneut in ein Taxi, wir<br />
298<br />
machten uns auf in eine neue Welt, zogen in die Pension<br />
Pinocchio.<br />
Wir bekamen ein sehr schönes großes helles Zimmer<br />
mit Bad und Dusche, Lucie freute sich über das vorhandene
Bidet, wir richteten uns ein. Durch´s große Fenster<br />
hatten wir Blick auf schöne saubere Häuser, und sahen<br />
zudem ein kleines Stück der Via Veneto, wenn wir uns<br />
nach rechts ein wenig aus dem Fenster lehnten. Wir waren<br />
angekommen. Piazza Espagnia geriet zusehends in<br />
Vergessenheit. Hier war ein Flair von Schönheit, die unbedingt<br />
zu Rom gehörte.<br />
So wie ich mittlerweile entwickelt war, passte ich besser<br />
in diese Gegend, der Rest war längst Vergangenheit und<br />
nur noch Nostalgie. Ich war nie Nostalgiker, dafür war<br />
ich sicher zu jung, schaute stets nach vorne. Aber ich bereute<br />
nichts!<br />
Und dann schon eine große Überraschung. Plakate kündigten<br />
einen Auftritt von Jimi Hendrix in einem großen<br />
Kino an. Sofort schaute ich näher auf ein Plakat, um zu<br />
erfahren, wie wir an Karten kamen. Und wir hatten<br />
Glück. In einem Büro Nähe der Via Veneto erstanden<br />
wir zwei Karten für das Konzert, das in einer Woche<br />
stattfinden sollte. Wir freuten uns beide riesig, Jimi Hendrix<br />
in Rom, als wolle man uns gebührend in der Stadt<br />
begrüßen.<br />
Wir erreichten das Kino zu Fuß, es war nicht weit entfernt<br />
von unserer Bleibe. Eigenartigerweise waren nur<br />
wenig Leute vor dem Filmpalast versammelt, wo waren<br />
die Hendrix Fans?<br />
Wir betraten das Kino, und erlebten einen kaum zur<br />
Hälfte gefüllten Saal. Es mögen 600 Fans gekommen<br />
sein, als Jimi Hendrix die Bühne betrat. Sofort begann er<br />
mit seinem Feuerwerk auf der Gitarre, Mitch Mitchel<br />
trommelte das Schlagzeug fast in Grund und Boden. Es<br />
299<br />
war eine unglaubliche Power, die uns von der Bühne<br />
entgegen schlug, ich hatte wieder Gänsehaut und saß<br />
nicht lange auf meinem Sitz. Auch Lucie war begeistert.<br />
Hendrix war gut wie wir ihn schon in London erlebt<br />
hatten, machte seine Spielchen mit der Gitarre auf dem<br />
Rücken, spielte sie mit seinen Zähnen, und tanzte um<br />
sein kleines Feuer wie ein Indianer.<br />
Leider hatten viele der Italiener überhaupt kein Verständnis<br />
für die Musik des Jimi Hendrix, sie applaudierten<br />
nur wenig, und sprachen laut miteinander zwischen<br />
den einzelnen Stücken des genialen Musikers. Sie verstanden<br />
ihn einfach nicht, wussten Nichts von seiner Vita.<br />
Irgendwann wurde er richtig sauer, und schrie von der<br />
Bühne: „Wenn ihr Spagettifresser nicht bald das Maul<br />
haltet höre ich auf zu spielen, und ziehe weiter. Da gibt´s<br />
´ne Menge Fans in Europa, die auf mich warten“. Er tat<br />
mir richtig leid, und beendete das Konzert auch schon<br />
früh. Wir waren enttäuscht, nicht über Jimi Hendrix,<br />
sondern über die italienischen Zuhörer. Weshalb waren<br />
sie gekommen? Warum hatten sie für das Konzert Eintritt<br />
bezahlt, wenn sie es gar nicht hören wollten? Hendrix<br />
setzte sich sicher einige Schüsse mehr in dieser
Nacht, die ihn dem Tode näher bringen sollten. Ein zu<br />
lange verkanntes Genie in Musik trat zu früh von der<br />
Bühne ab. Seine Genialität wurde erst später geschätzt.<br />
Als er für immer gegangen war.<br />
300<br />
Kapitel 35<br />
Nach dem Konzert gingen wir noch über die Via Veneto,<br />
um etwas zu essen. In einer Caféterasse, die fast unbesetzt<br />
war, entdeckte ich, alleine vor einem Drink sitzend,<br />
Horst Frank, einen von mir sehr geschätzten<br />
deutschen Schauspieler. Wir gingen auf seinen Tisch zu,<br />
ich stellte uns vor, als ich deutsch zu ihm sprach, und<br />
vielleicht auch ob der Schönheit meiner Begleitung lud<br />
er uns sehr freundlich ein, ein Glas mit ihm zu trinken.<br />
Ich erzählte ihm von dem traurigen Konzert das wir gerade<br />
erlebt hatten, selbst er kannte Hendrix, und zeigte<br />
absolutes Unverständnis ob der Reaktion der Italiener.<br />
Er erzählte uns, dass er gerade in einem Italowestern, die<br />
zu dieser Zeit in Chinecitta am laufenden Band gedreht<br />
wurden, als Sherrif mitspielte, und großen Spaß in Rom<br />
habe. Er fühlte sich nur manchmal alleine.<br />
„Ich würde gerne in Chinecitta als Figurant, Statist, arbeiten“,<br />
sagte ich ihm, „könnten sie mir einen Tipp geben,<br />
an wen ich mich wenden muss, um eine kleine<br />
Rolle zu bekommen“, fragte ich ihn. „Aber sicher, Typen<br />
wie sie werden gesucht, sie sehen gut aus, haben lange<br />
Haare, sie könnten locker einen wilden Cowboy darstellen“,<br />
sagte er sofort. „Können sie reiten“, fragte er,<br />
worauf ich leider passen musste. „Dann spielen sie einen<br />
Cowboy im Saloon, wird sicher kein Problem“. „Und<br />
für ihre Frau ist bestimmt auch ´was drin, melden sie sich<br />
in Chinecitta im Büro für Kleindarsteller, und fragen sie<br />
nach Frau Bertini“, erklärte er. „Sagen sie ruhig dass ich<br />
sie geschickt habe, sie seien ein Freund von mir, sie ist eine<br />
nette Person, die ich zufällig gut kenne“, füge er hinzu.<br />
„Ich werde morgen sowieso dort sein, und sie avisieren,<br />
das verspreche ich ihnen“.<br />
301<br />
Nun waren wir beide natürlich aufgeregt, und bedankten<br />
uns herzlich. „Wir sehen uns sicher noch“, verabschiedete<br />
sich Herr Frank, und ging einsam in sein Hotel.<br />
„Das war aber ein netter Mann“, sagte Lucie ihm nachschauend,<br />
„und gut sieht er aus“. Ich erzählte ihr, dass<br />
Horst Frank in Deutschland als Schauspieler bekannt<br />
und beliebt war, im Kino sowie im Fernsehen, dass ich<br />
ihn sehr gerne sah. Er war ein Charaktertyp, so einen<br />
gab´s nur einmal, ein solches Gesicht vergaß man nicht.<br />
Als Schauspieler war er in jeder erdenklichen Rolle stets<br />
überzeugend.<br />
Sofort am nächsten Morgen machten wir uns auf nach<br />
Chinecitta, wir konnten kaum erwarten diese weltberühmte<br />
Filmstadt kennen zu lernen, und eventuell Arbeit<br />
zu finden. Mit einem Bus kamen wir direkt bis vor
den großen, rötlich erdfarben gemalten Eingangsbereich,<br />
die gesamte Filmstadt war von einer hohen<br />
gleichfarbigen Mauer umgeben.<br />
„Wir möchten zu Frau Bertini“, meldete ich mich bei<br />
den Pförtnern an, und man bat uns zu warten. „Bitte gehen<br />
sie gleich rechts ins Bürogebäude, Frau Bertini erwartet<br />
sie dort“, teilte man uns nach einem Telefonat<br />
mit.<br />
Herr Frank hatte tatsächlich mit ihr über uns gesprochen,<br />
und sie gebeten, sich um uns zu kümmern. „Gerade<br />
wird ein großes Projekt gedreht, „für eine Handvoll<br />
Dollar“, Clint Eastwood spielt die Hauptrolle“, sagte sie<br />
uns. „Leider ist der Film schon mitten im Dreh, und voll<br />
besetzt, aber ich werde sicher etwas für sie finden“, versprach<br />
sie uns. Dieser Film sollte ein großer Erfolg werden,<br />
und Clint Eastwood weltberühmt machen.<br />
Sie schaute in verschiedene große Bücher, auf Pläne die<br />
in ihrem Büro an den Wänden hingen, teilte uns mit,<br />
302<br />
dass wir am nächsten Tag nochmals vorstellig werden<br />
sollten, sie habe da schon ein paar Ideen, die sie abklären<br />
wolle. Wir könnten uns ja schon mal ein wenig auf dem<br />
Gelände umschauen, nur keine Dreharbeiten stören. Ich<br />
konnte es kaum fassen, wir durften die riesigen Hallen<br />
und Drehgelände von Chinecitta besichtigen.<br />
Ehrfurchtsvoll marschierten wir über das Gelände, und<br />
ich sah ein Schild, das zu dem gerade in Arbeit befindlichen<br />
Western zeigte. Leise gingen wir in die große Halle,<br />
und konnten eine Szene beobachten, in der ein Zugwagon<br />
eine Rolle spielte, von dessen Dach ein Cowboy<br />
durchs Fenster schießen musste, und einen anderen großen<br />
Cowboy tötete, der dann rückwärts in einen sich<br />
drehenden Sessel im Zug fallen musste. Es war ein besonderes<br />
Zugabteil, das extra für irgendwelche Direktoren<br />
der Eisenbahngesellschaft an einen imaginären Zug<br />
angehängt war, wie uns ein Mitarbeiter freundlicherweise<br />
erklärte. Der Zug befand sich in Fahrt, und ich musste<br />
sehr lachen, wie dies dargestellt wurde. Ein fahrender<br />
Zug in einer Halle, und nur die Szene im Abteil sollte<br />
gezeigt werden.<br />
Unter einem an einer Seite völlig offenen Wagon, vor<br />
dem die Kameras aufgestellt waren, wurde der „Zug“<br />
durch Muskelkraft in Bewegung gehalten, unter das Abteil<br />
hatte man dicke Balken gelegt, die von ca. 10 Männern<br />
immer auf und ab gehoben wurden, und so Bewegung<br />
eines Zugs erzeugten.<br />
Es war köstlich anzusehen, der Mann auf dem Dach hielt<br />
seinen Colt auf den im Abteil auch mit Colt bewaffnetem<br />
Mann in perfektem Cowboyoutfit, vor einem<br />
Plüschsessel stehenden, in Richtung Fenster schauenden<br />
Mann gerichtet, und erschoss ihn von oben durchs Fenster.<br />
Nach dem Schuss musste der Mann mit Kraft zurück in<br />
303
den Sessel fliegen, der sich unter der Gewalt des Falls<br />
drehte, seine Arme auseinander schlagen, den Colt fallen<br />
lassen, und tot spielen. Eine Leiche war auf Zeluleud gebannt,<br />
ein toter Cowboy im Zugabteil der Eisenbahndirektion.<br />
Diese Szene wurde sicher 10-mal wiederholt, alles musste<br />
immer neu in Position gebracht werden, ich hätte nie<br />
für möglich gehalten, dass eine solche im Film 10 Sekunden<br />
dauernde Szene so viel Arbeit erforderte. Wir<br />
hatten eine kleine Szene aus dem Film „für eine Handvoll<br />
Dollar“ gesehen, wie wir später erfuhren.<br />
Die Männer an den Balken mussten pumpen und pumpen,<br />
der Zug sollte in Bewegung gehalten werden. Es<br />
war köstlich anzusehen, Lucie und ich wechselten kein<br />
Wort, nur in den Pausen für die Neueinstellungen sahen<br />
wir uns verwundert an und lachten leise. Wir hatten sicher<br />
zwei Stunden in diesem Studio verbracht, die Arbeiten<br />
waren zu interessant. In einer entfernten Ecke der<br />
riesigen Halle wurde ein anderer Film gedreht. Alles war<br />
höchst achtungsvoll zu beobachten.<br />
„Wir werden Schauspieler“, freute sich Lucie, als wir<br />
aus der Halle zurück auf den Weg kamen, und drehte<br />
sich vor Freude im Kreis.<br />
Wir gingen noch in Richtung einer Westernstadtkulisse,<br />
wo auch fleißig gearbeitet wurde, eine wilde Schiesserei<br />
verfeindeter Banden fand vor einem imaginären Saloon<br />
statt. Und Kameras überall, es war wirklich unvorstellbar,<br />
welcher Aufwand notwendig war, Filme zu machen.<br />
Die Filmstadt war wirklich immens großflächig, die Wege<br />
hatten Namen wie Strassen, anders würde man seinen<br />
Drehplatz auch nie finden.<br />
Auf dem Weg zurück zum Ausgang sahen wir von Ferne<br />
ein kleines Bataillon Deutscher Soldaten, die perfekt<br />
in Formation irgendwohin marschierten. Kameras wa-<br />
304<br />
ren nicht auszumachen, aber irgendwo waren sicher<br />
welche, um den Marsch festzuhalten.<br />
Ich war hellauf begeistert, schaute Lucie mit großen Augen<br />
an, „das kann doch alles nicht wahr sein, wir sind<br />
hier beim Film, und dies ist nach Hollywood das bekannteste<br />
Filmstudio der Welt“, rief ich ungläubig.<br />
Durch die Freundlichkeit eines zufällig getroffenen<br />
Deutschen Schauspielers waren wir im Hollywood<br />
Europas gelandet. Danke Horst Frank. R.I.P.<br />
Wir erhielten einen Anruf von Frau Bertini in der Pension,<br />
“Ich hab´schon etwas für Sie Beide, kleine Sachen,<br />
aber es bringt Geld, und sie schnuppern in die Arbeit. Da<br />
wären zwei verschiedene Objekte, in denen sie und auch<br />
ihre Freundin arbeiten könnten“, „kommen sie bitte<br />
morgen gegen neun Uhr ins Büro, dann gebe ich ihnen<br />
die Details“, informierte sie mich sehr engagiert sprechend.<br />
Mit strubbeligem Haar und Gänsehaut auf den Armen<br />
rannte ich hoch in unser Zimmer, Lucie saß mittlerweile<br />
wach im Bett, und ich erzählte ihr die Neuigkeiten.
Unser eigener Film schien anzulaufen, wir spürten Beide<br />
Riesenfreuden, und gingen zur Feier des Tages auf<br />
der Via Veneto im Café de Paris fürstlich frühstücken.<br />
Pünktlich um neun Uhr standen wir am nächsten Morgen<br />
im Büro von Frau Bertini. „Lucie, sie könnten schon<br />
Heute arbeiten wenn sie möchten, wagen sie den<br />
Sprung ins kalte Wasser, und begeben sie sich in die Maske<br />
von Studio 23, ich gebe ihnen einen Plan der Stadt,<br />
sie werden den Weg dann leicht finden. Für sie Herr<br />
Schneider habe ich für morgen Nachmittag eine kleine<br />
Rolle, sie müssten sich die Haare ein wenig schneiden<br />
lassen, nicht zuviel, aber so, dass sie unter ein Matrosenkäppi<br />
passen. Man wird ihre Haare in der Maske hoch-<br />
305<br />
legen, und die Kappe d´raufsetzen“, sagte sie mich fröhlich<br />
anschauend.<br />
Ich konnte es kaum fassen, so schnell hatte diese Frau<br />
uns Arbeit gefunden, ich bedankte mich überschwänglich,<br />
was sie als Italienerin appressieren konnte. Ich ließ<br />
Lucie alleine in Chinecitta zurück, die etwas schüchtern<br />
schaute. „Das wird schon, du bist doch eine starke und<br />
wandlungsfreudige Frau, du hast´s mir schon oft bewiesen“,<br />
machte ich ihr Mut, und mich auf den Weg an die<br />
Piazza d´Espania, ich wollte diesen Tag mit meinen Hippiefreunden<br />
feiern.<br />
Mit zwei Flaschen Chianti, einigen Broten und einem<br />
italienischen Käse begab ich mich auf eine Gruppe von<br />
Hippies zu, stellte die Sachen vor ihnen ab, „Ich habe<br />
hier vor Jahren genau wir ihr gesessen“, erklärte ich den<br />
Blumenkindern, „habe oft Sommernächte in meinem<br />
Schlafsack in der Villa Borghese verbracht“, fügte ich<br />
hinzu.<br />
Sie konnten es kaum glauben, ein junger sauberer Mann<br />
in sauberen Jeans und weißem Hemd über der Hose, die<br />
Stiefel glänzend gewienert, sollte ihr Leben gelebt haben?<br />
Sie wurden schnell warm mit mir, als ich einige<br />
Anektoden aus diesem früheren Leben erzählte, und<br />
wussten, dass ich solche Sachen nicht erfunden haben<br />
konnte. Der Wein und die Speise taten den Rest für einen<br />
schönen Sonnenreichen Tag im Frühling mit guten<br />
Gesprächen auf der spanischen Treppe in Rom 1968.<br />
Am Abend kam Lucie von ihrer ersten Arbeit beim Film<br />
zurück in die Pension. Aufgeregt erzählte sie mir Details<br />
ihrer Tätigkeit, die zum größten Teil aus Warten bestanden<br />
hatte. Man hatte sie zu einer in einem Westernsaloon<br />
herumlungernden Hure gestylt, ihr einen geschnürten<br />
Büstier angepasst, einen langen wallenden<br />
Rock angezogen, der an der Seite bis zur Hüfte ge-<br />
306<br />
schlitzt war, und man so eine Beinbinde aus schwarzer<br />
Seide hervorblitzen sehen konnte.<br />
Sie trug hochhackige Schuhe, und ging mit einer qualmenden<br />
langen Zigarettenspitze in
Einer-, einem kleinen Täschchen an einer Kette in der<br />
anderen Hand langsam von Tisch zu Tisch in einem Saloon,<br />
immer aufreizend lächelnd, und trinkende, Pokerspielende<br />
Cowboys anmachend.<br />
An der Theke spielte sich irgendeine gewalttätige Situation<br />
ab, die in den Kasten musste. Lucie, drei Kolleginnen,<br />
mit denen sie sich schon in der Maske gut verstand,<br />
waren eine reizende Dekoration für die Szene. Man hatte<br />
ihr die Haare hellblond getönt, gelockt, sie behielt die<br />
Frisur, die ihr hervorragend stand, und sie ja glücklicherweise<br />
die nächsten drei Tage noch arbeiten würde. „Ich<br />
war schrecklich bunt geschminkt“, „aber die blonden<br />
Haare stehen mir gut, auch wenn es gewöhnungsbedürftig<br />
ist“, fügte sie hinzu. Ich konnte ihr nur beipflichten,<br />
ich fand sie noch schöner in blond.<br />
Knallrote Lippen, einen schwarzen Punkt auf gebräunter<br />
Wange, ich stellte mir dieses Bild von ihr schön vor, hätte<br />
sie gerne selbst so gesehen. Vielleicht würden wir den<br />
Film ja irgendwann anschauen können. Sie bekam 150 $<br />
pro Tag ausbezahlt, sehr gutes Geld für meistens auf Einstellungen<br />
warten. Die Tage hatten jedoch stets zwölf<br />
Stunden Minimum, konnten sich auch verlängern.<br />
Zwei Tage später war auch ich an der reihe. Ich sollte<br />
nach Mittag gegen 14 Uhr im Büro von Frau Bertini<br />
sein, wo sie mir den amerikanischen Regisseur Michael<br />
Anderson vorstellte. „Herr Anderson dreht einen großen<br />
Film mit Antony Quinn und Laurence Oliver in den<br />
Hauptrollen, „The Shoes of the Fisherman“, in dem sie<br />
eine kleine Rolle spielen können“, erklärte sie mir.<br />
Michael Anderson nickte ihr zu, gab mir die Hand, „my<br />
307<br />
plesure, Eric, I´m Michael, see you at the Set“, sagte er<br />
freundlich, und eilte davon. „Das wird ein Knüller“, sagte<br />
Frau Bertini, „Mr. Quinn und Mr. Olivier sind zum<br />
ersten Mal in Chinecitta zum drehen, der Film soll noch<br />
in diesem Jahr erscheinen, alles ist sehr aufregend“.<br />
Der Film handelte von einem Kardinal aus einer kleinen<br />
Stadt im Ostblock, der unter dem russischen Premier<br />
Jahre in Gefängnissen und im Gulag verbringen musste,<br />
und nun zum Pabst gewählt werden sollte, den Westen<br />
nur wenig kannte, Zweifel am Katholizismus in sich aufkommen<br />
sah, und äußerst nachdenklich und kritisch<br />
wurde. Er konnte sich mit seiner neuen Rolle nur<br />
schwer anfreunden.<br />
Der Film wurde nach der Vorlage eines Romans von<br />
Morris West aus dem Jahre 1963, als er ein Nr.1 Bestseller<br />
wurde, gedreht.<br />
Meine Szene war nur kurz, im Film dauerte sie ca. Zehn<br />
Sekunden. Der Aufwand jedoch war sehr groß.<br />
Der Pabst, Antony Quinn, hatte sich ohne Wachen und<br />
andere Begleiter, die ihn permanent umgaben, alleine<br />
aus einer kleinen Hintertüre des Petersdoms geschlichen,<br />
um seinen persönlichen Gedanken nachgehen zu
können.<br />
Die Kameras waren so eingestellt, dass sie den Tiber, eine<br />
Brücke, und die dahinter liegende<br />
mächtige runde Engelsburg, hinter der die Sonne langsam<br />
unterging, und ein fantastisches Farbenspiel an den<br />
Himmel malte, einfangen konnten.<br />
Vor dieser Szenerie sollte der Pabst in Gedanken versunken<br />
vorbeigehen, ich mit einem Kollegen als Matrose<br />
gekleidet ihm auf dem Gehweg von gegenüber begegnen,<br />
kurz aufschauen, und weitergehen. Das war´s, das<br />
war meine erste Rolle beim Film mit meinem ersten Arbeitskollegen<br />
und Filmpartner Antony Quinn.<br />
308<br />
Die Arbeiten und Vorbereitungen dauerten vier Stunden,<br />
als die Sonne richtig stand gab der Regisseur das<br />
Zeichen, „Roll“. Die Szene wurde drei Mal wiederholt,<br />
dann war sie im Kasten. Länger hätte es auch nicht dauern<br />
dürfen, denn sonst wäre das Farbenspiel der Sonne<br />
vorbei gewesen.<br />
Die Dreharbeiten selbst dauerten eine halbe Stunde, so<br />
lange war man sicher, dass sich der Himmel nicht verändern<br />
würde. Bis es jedoch soweit war, warteten Alle ca.<br />
drei Stunden, um auch wirklich den rechten Moment<br />
abzupassen. Die Maske war schon vor der Fahrt zum<br />
Drehort fertig gestellt, sie wurde in den kleinen Drehpausen<br />
immer nur leicht korrigiert.<br />
Es war eine kurze, aber sehr beeindruckende „Arbeit“,<br />
die ich nie vergessen sollte. Ich sah den Film später im<br />
Fernsehen, unter dem Titel: „ In den Schuhen des Fischers“<br />
wurde er oft wiederholt, und ich wartete jedes<br />
Mal auf meine zehn Sekunden Auftritt, und war immer<br />
ganz stolz, einen solchen „Arbeitskollegen“ gehabt zu<br />
haben. Der Film selbst war sehr interessant, die erzählte<br />
Geschichte spannend und nachvollziehbar. Leider wurde<br />
er kein wirklicher Kassenschlager.<br />
Selbstverständlich las ich später auch das Buch von Morris<br />
West, das mich beeindruckte. Ich sah dann die Gesichter<br />
der beschriebenen Figuren aus dem Film vor mir.<br />
Dies war der einzig anspruchsvolle Film, in dem ich in<br />
Cinecitta mitgespielt hatte, später kamen in den drei<br />
Monaten unseres Aufenthalts in Rom noch einige Italo-<br />
Western-Cowboyrollen, einmal spielte ich einen Deutschen<br />
Soldaten, auch Lucie arbeitete in einigen Filmen,<br />
wir verdienten gutes Geld, sollten die Filme aber nie sehen,<br />
sie liefen meist in billigen Bahnhofskinos auf der<br />
ganzen Welt, finanzierten sich sicher auch recht gut, waren<br />
aber völlig uninteressant für uns.<br />
309<br />
Die Italo-Western-Welle rollte erfolgreich, und war für<br />
eine kleine Zeit in aller Munde, verlief sich jedoch<br />
schnell im Sande der imaginären Wüstenlandschaften.<br />
Durch die Kontakte in Chinecitta kamen wir auch mit<br />
Leuten zusammen, die Fotoromane machten. In Italien
sehr beliebte Comicartige dünne Bücher, die zumeist eine<br />
Liebesgeschichte erzählten, die aber nicht gezeichnet,<br />
sondern fotografiert wurden. Die Hefte waren voller Fotos<br />
mit Sprechblasen oder Untertiteln. Wir spielten Beide<br />
in vielleicht zehn von diesen Romanen mit, auch das<br />
brachte Spaß und Geld für die hohe Kante, für die geplante<br />
Reise nach Afrika.<br />
310<br />
Kapitel 36<br />
Wir trafen Maximilian, einen hochgewachsenen gut und<br />
elegant aussehenden Deutschen, der im ersten Hotel in<br />
Rom, dem Hotel Exelsior an der Via Veneto eine Hotelfachlehre<br />
machte. Er war etwa in unserem Alter, und sehr<br />
unterhaltsam.<br />
Er wusste dass wir in einer Pension lebten, er hatte einen<br />
Vorschlag zu machen. Zunächst stellte er uns seinen<br />
Freund Emilio vor, einen Italiener, der mit ihm im Exelsior<br />
arbeitete, lernte und auch wohnen musste, falls er<br />
unabdinglich gebraucht wurde. Seine Eltern waren Diplomaten,<br />
die dauernd irgendwo in der Welt Italien vertraten.<br />
Sie hatten in Rom eine riesige Wohnung, die leer<br />
stand, weil wieder einmal alle um den Globus jagten,<br />
und Emilio im Exelsior seine Fachlehre machte.<br />
Emilio kannte unsere Wohnsituation aus Gesprächen mit<br />
Maximilian, er bot uns an, für drei Monate die Wohnung<br />
seiner Eltern kostenlos zu nutzen, sie stand ja eh leer. Wir<br />
waren sofort Feuer und Flamme, umsonst wohnen zu<br />
können, egal wie. So konnten wir unsere Gagen auf die<br />
hohe Kante für die Reise nach Afrika legen.<br />
Der fette Koffer war schnell gepackt, wir verabschiedeten<br />
uns von unsrer geschätzten Wirtin, die es aufs Köstlichste<br />
verstand, uns abends mit Zuppa de Verdure zu<br />
verwöhnen, wir versprachen mindestens einmal wöchentlich<br />
zum essen zu kommen.<br />
Emilio kam mit Maximilian und einem großen Auto,<br />
wir wunderten uns über das Schiff, er war doch nur Hotelfachlehrling,<br />
machten uns aber weiter keine Gedanken.<br />
Der Monsterkoffer wurde in den dafür vorgesehenen<br />
Raum gehievt, Maximilian hatte kein Problem mit<br />
dem schweren Teil, ich bewunderte ihn dafür, und wir<br />
311<br />
fuhren zur Wohnung von Emilio´s Eltern.<br />
Wir erreichten schnell ein sehr nobles Viertel, gar nicht<br />
weit von der Via Veneto entfernt war, und Emilio stoppte<br />
vor einem Zweistöckigen, großen Haus. „So, hier<br />
wär´n wir, ihr könnt einziehen“, gab er uns zu verstehen.<br />
Mein Italienisch hatte fantastische Fortschritte gemacht,<br />
ich lernte täglich automatisch viele Worte hinzu.<br />
Dies beinduckte unsere beiden neuen Freunde, und sie<br />
waren doppelt froh, uns vernünftig italienisch unterzubringen.<br />
Wir betraten das elegant aussehende Haus leicht verwundert<br />
durch einen breiten Eingangsbereich, die<br />
Haustüre war eine Pracht! Eine Etage hoch, und wieder
standen wir vor einer ungewöhnlich breiten Türe, die<br />
Emilio aufschloss. Es gab nur noch eine sehr kleine Türe<br />
auf dem großen Flur, die weit in der rechten Ecke angebracht<br />
war. Es war der Dienstboteneingang.<br />
Also gehörte den Eltern Emilios die gesamte Etage.<br />
Wir betraten einen langen breiten Flur, von dem viele<br />
Türen nach rechts und links führten.<br />
„Ich zeig euch schnell die Wohnung, muss zurück zur<br />
Arbeit, macht es euch überall bequem.<br />
Er führte uns in ein Saalartiges Wohnzimmer, dessen<br />
Holzboden von wunderschönen aus dem Orient, Indien<br />
und Japan, stammenden Teppichen bedeckt war.<br />
Seine Eltern hatten dort überall schon gearbeitet, und<br />
brachten stets besondere Dinge mit, die sehr, sehr teuer<br />
aussahen.<br />
Ein riesiger goldener Buddha stand in einer Ecke, er<br />
leuchtete mich an. Die Möbel waren knapp gehalten,<br />
aber nur antik, fantastisch schön gearbeitet. An den Wänden<br />
hingen viele alte Ölgemälde, dessen Werte ich nicht<br />
zu schätzen wagte.<br />
Und dann eine riesenhafte Sitzlandschaft aus Gründer-<br />
312<br />
zeiten, sehr konservativ, zwei mächtige Sessel, und eine<br />
enorm breite Couch. Die Vorhänge waren dunkelrot<br />
und aus dickem Samt. Trotzdem war viel Platz in diesem<br />
Raum, hier hatten Freigeister gearbeitet, die sich mit<br />
nichts zu sehr Raum nehmen ließen.<br />
Uns beiden stockte der Atem ob all der Pracht in diesem<br />
Raum, wir brachten kein Wort hervor, ich sah Maximilian<br />
freundlich lächeln. Dann betraten wir das Schlafzimmer,<br />
und erneut befanden wir uns in einem übergroßen<br />
Raum.<br />
Das Bettgestell war zwei Mal zwei Meter groß, und<br />
stammte aus dem 17. Jahrhundert, wie uns Emilio erklärte.<br />
Ein riesiger Kleiderschrank aus vergangenen Zeiten<br />
mit vier großen Türen stand an einer Wand. Schöne<br />
kleine Nachttische standen an beiden Seiten des Betts,<br />
auf denen nur samtene Schirmlampen und eine Uhr<br />
standen. Alles passte zu den gleichen samtenen Vorhängen,<br />
die auch die drei Fenster des Wohnzimmers<br />
schmückten. Hier gab´s aber nur zwei Fenster, von einer<br />
Größe, wie ich sie nie zuvor live gesehen hatte.<br />
Wir konnten immer noch kein Wort hervorbringen,<br />
nickten nur wenn Emilio uns Funktionen erklärte. Dann<br />
zeigte er uns noch das Bad, sehr, sehr geräumig, völlig<br />
aus weißem Marmor gearbeitet, mit einer riesigen Badewanne,<br />
und einer ein Liter Flasche Chanel Nr.5, die einsam<br />
auf der marmornen Ablage über den zwei Becken<br />
mit goldenen Hähnen in der Ecke stand.<br />
Ich glaube ich schaute ziemlich doof drein, und hatte<br />
nur noch den Mund offen, Maximilian lachte laut. „Das<br />
gefällt die wohl hier“, sagte er scherzend, und klopfte<br />
mir auf die Schultern.
„Leute, hier ist noch ein Esszimmer“, auch dies war ausladend<br />
groß, in der Mitte stand eine große Holztafel mit<br />
einer zehn Zentimeter dicken dunklen Holzplatte, die<br />
313<br />
von acht Stühlen umgeben war. Ein niedriger breiter<br />
Schrank barg edles Silber. „Nehmt was ihr braucht, und<br />
stellt die gebrauchten Sachen einfach in die Küche, jeden<br />
morgen kommt ein Mädchen zum spülen und putzen“,<br />
bot uns Emilio an, als er die Anrichte öffnete, um<br />
uns die Silberpracht zu zeigen.<br />
Da waren Platten für Fleisch, Platten wie ein großer<br />
Fisch geformt, die wohl für solche bestimmt war, Soßieren<br />
aus solidem Silber, alles glänzend, dass ich fast nichts<br />
anderes mehr erkennen konnte. Diese Wohnung war ein<br />
Palast. „ Wenn ihr noch etwas benötigt, macht dem<br />
Mädchen eine Notiz, sie weis mich zu erreichen“. „Hier<br />
sind die Schlüssel“, er übergab uns sein Reich.<br />
„Sollte ich herkommen müssen, melde ich mich an, bitte<br />
fühlt euch a Casa, zu Hause“, und schon war er durch<br />
die große Türe verschwunden.<br />
„Macht´s euch gemütlich, es ist doch viel besser, wenn<br />
eine solche Wohnung auch bewohnt wird. Ich hab euch<br />
als liebe Menschen kennen gelernt, und deshalb mit<br />
Emilio gesprochen“ sagte Maximilian, und verabschiedete<br />
sich freundlich lächelnd.<br />
„Lucie, wo sind wir hier“ fragte ich ungläubig schauend,<br />
„wir sind zu Hause“, antwortete sie lachend, und nahm<br />
mich in die Arme. Sie war ja schon einiges mehr gewohnt<br />
als ich, aber auch sie hatte noch nie solche Pracht<br />
gesehen. „Wir dürfen wahrhaftig in diesem Luxus leben,<br />
Irgendjemand da oben meint es sehr gut mit uns“, sagte<br />
ich, und zeigte zum Himmel.<br />
Wir liebten uns spontan und schnell auf dem neuen<br />
Bett, die neue große Matratze war wie für uns geschaffen.<br />
Dann ließ ich uns ein Bad mit den guten Salzen angereichert<br />
einlaufen, und wir wuschen uns gegenseitig<br />
ruhig und liebevoll.<br />
314<br />
Dann legten wir uns in das mit frischen weißen Laken<br />
versehende Bett, und schliefen sehr bald tief und fest. Zu<br />
essen hatten wir wohl vergessen, es fehlte uns an nichts.<br />
Als wir aufwachten hatten wir in der Nacht irgendwie<br />
die Arme umeinander geschlungen, wir waren uns an<br />
diesem morgen sehr nah.<br />
Wir küssten uns herzlich, und schauten uns ungläubig in<br />
der neuen Umgebung um. „Eric, ich muss dir etwas sagen“,<br />
sprach Lucie feierlich, „ich glaube ich bin schwanger“,<br />
und sie schaute mir tief in die Augen. „Wie bitte“<br />
erwiderte ich mit weit geöffneten Augen, „schwanger,<br />
bist du, sicher“? „Meine Periode ist abnorm lange ausgeblieben,<br />
ich denke es ist in den österreichischen Bergen<br />
geschehen, wenn ich richtig rechne, oder im Zug,<br />
anders kann es nicht sein“. „Wenn schon, dann in den
Bergen, das ist wenigstens romantisch“, antwortete ich<br />
noch immer ungläubig. „Wir gehen noch heute zu einem<br />
Arzt, das müssen wir genauer wissen, und uns gegebenenfalls<br />
darauf einstellen“, beschloss ich sofort. Ich<br />
hatte mich erstaunlich schnell mit der völlig neuen Situation<br />
abgefunden und fand es fast normal. Ich wunderte<br />
mich über mich selbst.<br />
Ich rief bei Frau Bertini an, der einzigen Frau, die ich in<br />
Rom kannte, die mir sicher helfen konnte. „Lucie<br />
scheint schwanger zu sein, könnten sie mir einen Gynäkologen<br />
empfehlen“, fragte ich sie. „Was, da gratuliere<br />
ich euch aber von Herzen, das ist ja wunderbar“ freute<br />
sie sich. „Ich kann euch eine Adresse geben, aber arbeiten<br />
wollt ihr doch sicher noch“, sagte Frau Bertini, „ich<br />
hab ´was für euch beide für vier Tage, wieder gutes<br />
Geld“. Sie gab mir eine Adresse nicht weit von unserem<br />
Haus, ich hatte ihr unseren Umzug erklärt, und ihr auch<br />
unsere neue Telefonnummer gegeben.<br />
Also machten wir uns auf zum Onkel Doktor, der sehr<br />
315<br />
schnell Lucies Verdacht bestätigen konnte. Wir bekamen<br />
ein Kind. Lucie zeigte sich glücklich, ich wusste noch<br />
nicht genau, wo ich ein Kind auf meiner Reise hinstekken<br />
sollte, fand aber nichts Verwerfliches an der neuen<br />
Situation. Dies war unser einziger Arztbesuch während<br />
der gesamten Schwangerschaft.<br />
Schnell hatten wir uns in der neuen Wohnung eingerichtet,<br />
den verdammten Koffer ausgepackt, und Kleider<br />
in dem ziemlich leeren Kleiderschrank untergebracht.<br />
Und wahrhaftig, jeden morgen kam eine junge Frau,<br />
schwarz gekleidet, mit kleinem weißen Schürzchen und<br />
Häubchen im schwarzen Haar, reinigte das Geschirr, das<br />
Bad, die Küche, wollte sogar unsere Betten herrichten,<br />
was wir aber ablehnten. Schließlich wussten wir nie wie<br />
lange wir schlafen würden. Wenn wir früh nach Cinecitta<br />
fuhren, waren am Abend trotzdem die Betten gemacht.<br />
Wir hatten´s wahrhaftig gut getroffen.<br />
Ich fand ein dickes Buch in deutscher Sprache, eine Biographie<br />
über Michelangelo, „Inferno und Extase“, von<br />
Irving Stone. Lucie hatte sich einige Bücher für dir Reise<br />
mitgenommen, ich hatte nie welche besessen, kaufte<br />
mir immer Spiegel und Stern. Wir lagen oft abends im<br />
Bett und lasen, das Ausgehen hatten wir zunächst eingestellt,<br />
es gab keinen Grund dazu. Wir fühlten uns in der<br />
wunderbaren Wohnung sehr wohl.<br />
So begann ich das dicke Buch zu lesen, war sehr schnell<br />
am Leben des Michelangelo interessiert. Das Buch war<br />
gut zu lesen, ich hatte es jeden Abend in der Hand, wenn<br />
wir uns nicht zu lange liebten, und Orangen schälten.<br />
Wir hatten uns angewöhnt nach der Liebe Orangen zu<br />
essen, das tat uns sehr gut, und es machte Spaß mit den<br />
Schalen zu spielen, oder uns die saftigen Stücke gegenseitig<br />
in den Mund zu schieben.
Michelangelo begeisterte mich zusehends, zumal ich in<br />
316<br />
der Nähe vieler seiner Arbeiten war. Wenn er eine Statue<br />
geschaffen hatte, rannte ich am nächsten morgen<br />
zum Petersdom, um mir die Kunst zu betrachten, anzufassen.<br />
Es war ein unglaubliches völlig neues Gefühl für<br />
mich zu lesen wie Kunstwerke entstanden waren, und<br />
sie dann mit eigenen Augen sehen und anfassen zu können.<br />
Fasziniert stand ich eines Morgens vor der Pieta,<br />
diese enorme Statue, fein gearbeitet, ausdrucksvoll und<br />
die Glätte des Marmors empfand ich wundergleich, wie<br />
konnte der Meister aus riesigen rohen sehr harten Marmorblöcken,<br />
die mit enormem Aufwand gebrochen,<br />
und hunderte Kilometer transportiert werden mussten,<br />
solche Skulpturen schaffen.<br />
Es war unbegreiflich für mich, obwohl ich sie streicheln<br />
konnte. Als ich irgendwann vor dem fast fünf Meter hohen<br />
David stand versank ich in Ehrfurcht, streichelte seine<br />
großen Füße. Es waren zwar dicke Kordeln als Begrenzung<br />
um die Skulpturen gespannt, die ich nicht<br />
respektierte, ich musste diese Arbeiten mit meinen Händen<br />
berühren.<br />
So kroch ich immer unter den Kordeln durch, checkend<br />
ob ein Wächter in der Nähe war, und legte mich fast auf<br />
die Marmorgebilde.<br />
Als ich las wie der Meister den Auftrag bekam, die Kuppel<br />
des Doms zu bemalen war ich nicht zu halten, ich<br />
stand unter den Fresken, und versuchte mir vorzustellen,<br />
wie Michelangelo mit seinen Jüngern auf primitiven<br />
Holzgestellen liegend die Decke bemalten. Es hatten<br />
sich ja auch einige schwere Unglücke zugetragen. Ich<br />
sah die Szenerie plastisch vor mir, wie sie im Buch beschrieben<br />
war. Ich hatte die Arbeiten ja schon früher gesehen,<br />
nie aber geahnt, oder mir Gedanken gemacht, wie<br />
sie entstanden waren. Dies erfuhr ich erst durch das<br />
Buch.<br />
317<br />
Ich liebte die Lektüre, Lucie musste mich für lange Zeit<br />
mit Michelangelo teilen, sie freute sich sehr ob meiner<br />
Begeisterung für Kultur.<br />
Dieses Buch, und die damit verbundenen Besichtigungen<br />
öffneten mein Herz endlich für Kunst und Kultur,<br />
von da ab sah ich viele Dinge anders, besuchte auch Museen<br />
und Ausstellungen von jüngeren Kunstwerken.<br />
Für Lucie war dies schon lange selbstverständlich, ihre<br />
Mutter hatte ihre Töchter schon früh auf kulturelles Leben<br />
aufmerksam gemacht. Ich nahm das Buch immer<br />
wieder zur Hand, las es sicher drei Mal in der Zeit in<br />
Rom, und konnte mich immer neu begeistern.<br />
Natürlich ließ ich Lucie an meinen Entdeckungen teilhaben,<br />
oft besuchten wir den Petersdom, und ich erklärte<br />
ihr wie und für wen mache Arbeiten geschaffen worden<br />
waren. Sie zeigte die gleiche Begeisterung wie ich,
wir hatten ein schönes Gebiet gefunden, das wir teilen<br />
konnten.<br />
Die Arbeiten für Frau Bertini wurden rarer, es war auch<br />
langsam Zeit, uns für den Trip nach Afrika vorzubereiten.<br />
Wir hatten drei wunderbare Monate in einer fantastischen<br />
Wohnung in Rom verbringen dürfen, viel gesehen,<br />
Geld mit leichter, sehr interessanter Arbeit verdient,<br />
und mein Italienisch war fast perfekt geworden, was natürlich<br />
half Einheimische besser kennen zu lernen. Wir<br />
wurden oft eingeladen, hatten uns viele Freunde gemacht.<br />
Einen einzigen Discothekenbesuch hatten wir gemacht,<br />
wir wollten ´mal sehen, wie die Italiener nachts in Clubs<br />
feierten. Das „Oasis“ war der angesagteste Club in Rom,<br />
hier verkehrte die Chiceria. Wir waren viel zu früh für<br />
den Club, es war absolut nichts los. Nur ein Mann stand<br />
an der gedunkelten Theke. Wir hatten uns an einen<br />
318<br />
Tisch gesetzt, um ein wenig Musik zu hören.<br />
Schon bald konnte ich feststellen, wie Herr Omar Sharif,<br />
der Thekenbesetzer und Film Superstar, meine Lucie<br />
aus der Ferne anzubaggern versuchte, gab ihr kleine Zeichen,<br />
kniff ein Auge zu, bestellte nur ihr ein Glas<br />
Champagner für unseren Tisch.<br />
Der dachte wohl er könne mir mal locker die Frau ausspannen,<br />
weil er ein Star war. Lucie ließ den Champagner<br />
zurückgehen, ohne dass ich sie dazu aufforderte,<br />
und bat mich den Club zu verlassen. Die Musik war sowieso<br />
beschissen, hätte sie meinen Ansprüchen genügt<br />
wäre ich geblieben, Sharif hin Sharif her, ich war mir<br />
meiner Lucie sicher. Also zahlte ich, und wir verschwanden<br />
aus dem langweiligen Club. Lucie machte Omar<br />
Sharif eine lange Nase mit ihrem Daumen, und lachte.<br />
Das hatte der sicher noch nicht erlebt, und ich war stolz<br />
wie Agah Khan.<br />
Wir vereinbarten ein Treffen mit Maximilian und Emilio<br />
im Exelsior, um uns bei den Beiden für ihre Herzlichkeit<br />
und große Hilfe mit einer Flasche Champagner<br />
zu bedanken. Leider durften sie nicht mit Gästen zusammen<br />
sitzen, so verlegten wir das Treffen ins Café de Paris,<br />
wo wir uns immer aufhielten, wenn wir ausgingen.<br />
So trafen wir uns abends mit dem beiden, bestellten den<br />
Champagner, was ihnen unangenehm war, weil die Flasche<br />
teuer war, aber wir bestanden darauf. Wir bedanken<br />
uns sehr herzlich für diese großartige Gastfreundschaft.<br />
„Ach was“, sagte Emilio, „das war selbstverständlich.<br />
Warum solltet ihr Miete in einer kleinen Pension bezahlen,<br />
wenn ich die Möglichkeit hatte, euch unterzubringen.<br />
Es war sehr gut dass die Wohnung endlich wieder<br />
bewohnt war, bald kommen meine Eltern zurück, dann<br />
ist neues Leben darin. Und eure Geister auch“, sagte er<br />
319<br />
lachend.<br />
„Wie kommt ihr den jetzt nach Paris, dort fährt doch im
Moment kein Zug hin, ihr wisst sicher von den Unruhen<br />
in der Stadt“, fragte Maximilian. „Übermorgen geht<br />
der erste Zug, die Lage scheint sich beruhigt zu haben,<br />
und der Verkehr wird sich normalisieren“, antwortete<br />
ich. „Sonst wären wir schon eine Woche früher gefahren“.<br />
„Hattet ihr denn gut zu tun in Cinecitta“, erkundigten<br />
sich die Beiden, und wir erzählten ihnen, dass wir<br />
durch Frau Bertini, der wir auch schon einen Tag früher<br />
Blumen zum Dank gebracht hatten, die uns umarmte,<br />
und Glück mit dem kommenden Baby wünschte, gut<br />
verdient hatten, unser Konto solide gefüllt war. „Herzlichen<br />
Glückwunsch zur Schwangerschaft, wünschten die<br />
Beiden, als sie davon erfuhren. „Dich kann ich mir noch<br />
nicht als Vater vorstellen“, lachte Emilio, „sicher wirst du<br />
diese Rolle auch meistern“, fügte er hinzu. „Lucie als<br />
Mutter zu sehen ist nicht problematisch für mich“, erwähnte<br />
Maximilian auch, „aber du als Vater, ich bin gespannt,<br />
wir werden ja wohl in Verbindung bleiben“. Die<br />
Beiden gaben uns Visitenkarten, wir gaben die Adressen<br />
unserer Eltern.<br />
„Wollt ihr denn trotzdem nach Afrika“, fragte Maximilian,<br />
und ich bejahte seine Frage. „Ich sehe da keine Probleme“,<br />
sagte Lucie, ich will unbedingt die Reise antreten.<br />
Ich freue mich schon so lange darauf“.<br />
Wir umarmten uns sehr herzlich, küssten uns alle auf die<br />
Wangen, und verabschiedeten uns endgültig, auch von<br />
Rom. „Werft die Schlüssel in den Briefkasten, das Mädchen<br />
wird sie mir zukommen lassen“, sagte Emilio beim<br />
Fortgehen. Noch ein Winken, die Beiden begaben sich<br />
auf den Weg in das das nahe gelegene Hotel, wir uns auf<br />
den Weg nach Hause.<br />
320<br />
Kapitel 37<br />
Wir ereichten am nächsten Morgen die Statione Termini,<br />
den Römischen Bahnhof, und nahmen den ersten<br />
Zug nach Paris, der nach den Unruhen in Frankreich<br />
wieder fuhr. Daniel Cohn Bendit, ein in Südfrankreich<br />
geborener Deutsch- Franzose, hatte in Paris als übereifriger<br />
Agitator dafür gesorgt, dass ab dem 3. Mai 1968<br />
Straßenschlachten von Studenten und Arbeitern in Paris<br />
begannen, ein Generalstreik ausgerufen wurde, die Stadt<br />
brannte.<br />
„Dany le Rouge“, wie er genannt wurde, immer nur im<br />
Hintergrund mit einem Megaphon hetzte, nie selbst an<br />
der Front war, ging später den Weg durch die Instanzen,<br />
wurde grüner Politiker, und endete als Abgeordneter der<br />
Deutschen Grünen im Europarat in Brüssel, entpuppte<br />
sich schnell als absoluter Egomane.<br />
Als wir in Paris ankamen, sahen wir noch verbrannte<br />
Autos auf Strassen, entwurzelte Bäume und aufgerissene<br />
Boulevards. Wir waren geschockt über das Bild, das sich<br />
uns bot, in Rom hatten wir die Maiunruhen nur am<br />
Rande mitbekommen, ich hatte lediglich in meinen
Zeitungen darüber gelesen, mir aber nicht vorstellen<br />
können, dass die Schlachten solche Ausmaasse genommen<br />
hatten. Wir waren geschockt.<br />
Wir nahmen ein Taxi, was sich uns auf dem Weg in ein<br />
kleines Hotel im Viertel von Lucie´s Mutter darbot war<br />
nur schwer zu ertragen, die gesamte Stadt hatte schwer<br />
gelitten, die Aufräumungsarbeiten hatten gerade erst begonnen.<br />
Der Taxifahrer verfluchte Cohn-Bendit und<br />
seine Genossen, er hatte starke Verluste seines Einkommens<br />
während der drei Wochen anhaltenden Unruhen<br />
in Paris hinnehmen müssen. Und geändert hatte sich<br />
321<br />
nichts, alles war von Polizei niedergeknüppelt, und von<br />
der Politik als Nichtigkeit behandelt worden.<br />
Wir mieteten ein Zimmer, und begannen schnell, uns<br />
auf die Reise nach Afrika vorzubereiten. Wir besuchten<br />
Marguerite, Lucie´s Mutter, eine äußerst liebenswerte<br />
kleine Frau, die ich nun endlich kennen lernen wollte.<br />
Sie empfing mich sehr freundlich, gab mir gleich ein positives<br />
Gefühl, akzeptierte mich ohne wenn und aber als<br />
Lebensgefährten ihrer Tochter. Wir sagten ihr nicht, dass<br />
Lucie schwanger war, Marguerite war eine hoch moralische<br />
Person. Sie arbeitete als Lektorin in einem Verlag<br />
für wissenschaftliche Bücher.<br />
Bei ihr deponierten wir unsere Wintersachen, und der<br />
rote Riesenkoffer wurde ein klein wenig leichter. Er war<br />
immer noch monströs, ich konnte mich mit dem Ding<br />
einfach nicht anfreunden, er hatte mich schon viel Kraft<br />
gekostet, und jetzt sollte ich das Teil nach Afrika schleppen.<br />
Ich schaute es immer wieder böse an, während Lucie<br />
unsere Kleider einpackte. Glücklicherweise packten<br />
wir nur leichte Sommerkleidung ein, für Notfälle nahm<br />
Lucie für sich einen kleinen Mantel mit, ich meine Lederjacke.<br />
Schließlich sollte es durch die Wüste gehen.<br />
Anfang Juni war es dann soweit, nach einem Telefonat<br />
verabredeten wir uns mit Frank und Nancie in Paris, wo<br />
die Reise starten sollte. Freudig begrüßten wir uns in<br />
dem verabredeten Bahnhofscafé am Gare de Lyon, Nancy<br />
war ziemlich bepackt, Frank trug eine größere Reisetasche.<br />
„Allors, On y vas“, also geht´s los, beschloss Frank, wir<br />
nahmen den nächsten Zug über Lyon, Bordeaux nach<br />
Madrid. Von Madrid sollten wir nach Algeciras an der<br />
südlichsten Mittelmeerküste von Spanien fahren, wo wir<br />
eine Fähre nach Tanger besteigen wollten.<br />
322<br />
In Madrid hatten wir einen ganzen Tag Aufenthalt bis<br />
zum Anschluss nach Algeciras.<br />
Wir gingen in ein billiges Kino, in dem, man den ganzen<br />
Tag bleiben konnte, wollten dort die Wartezeit verschlafen.<br />
Es lief, na was wohl, ein billiger Western, leider<br />
keiner, in dem wir mitgespielt hatten. Egal, wir klemmten<br />
uns in die Sitze, machten es uns so gut es ging gemütlich,<br />
und schliefen ein wenig. Nur bei jeder Ballerei
schreckte ich vom Sitz erschrocken vom Sitz hoch, bis<br />
ich merkte, dass ich im Kino war. Die anderen schliefen<br />
wie die Engel. Auch ich gewöhnte mich an das Geknalle,<br />
und konnte mich einigermaßen ausruhen. Es ging<br />
nur darum Zeit totzuschlagen, bis wir endlich wieder in<br />
einem Zugabteil sitzen durften, und wir weiter Richtung<br />
Afrika weiter reisen konnten. Mein Reisefieber war<br />
einmal wieder auf dem Siedepunkt.<br />
Vom Madrider Bahnhof Atocha ging die Reise um<br />
19.30 Uhr endlich weiter, wir bezogen ein Abteil, das<br />
wir über die gesamte Distanz für uns hatten. Es gab ´ne<br />
Menge zu erzählen, als die Beiden aus Brüssel unsere<br />
Storys aus Rom hörten hingen sie ungläubig an unseren<br />
Lippen.<br />
Die Beiden hatten während dieser Zeit Vorlesungen besucht,<br />
bis die Ferien begannen, ab dann für ein Semester<br />
„ausgecheckt“.<br />
Wir betrachteten die vorbeirauschenden spanischen<br />
Landschaften, und entdeckten viel Interessantes. Die<br />
Reise war äussest angenehm, und für die vielen Kilometer<br />
schnell geschafft.<br />
In Algecieras angekommen, spürten wir schon einen<br />
hauch von Orient, als wir dann den Hafen, und unsere<br />
Fähre nach Tanger sahen, glaubten wir uns in einer anderen<br />
Welt, obwohl wir uns noch stets in Spanien befanden.<br />
323<br />
Hunderte mit Kaftans und Turbanen gekleidete Männer<br />
liefen geschäftig im gesamten Hafengebiet herum, ich<br />
sah zum ersten Mal verschleierte Frauen, es war die totale<br />
Fantasie, was würde uns erst auf der anderen Seite<br />
der Straße von Gibraltar erwarten? man konnte das<br />
Riff-Gebirge Marokkos schemenhaft von der spanischen<br />
Seite der Straße von Gibraltar erkennen, die marrokanische<br />
Küste lag zum Greifen nah.<br />
Wir erstanden Tickets für kleines Geld, und begaben uns<br />
zur Gangway der Riesenbarakasse. Nun waren wir wirklich<br />
in einer fremden Welt. Das Schiff war zu neunzig<br />
Prozent mit Arabern und Afrikanern besetzt, bunte Kaftans,<br />
lange Kleider und orientalische Kopfbedeckungen,<br />
Turbane und kleine runde rote Hüte mit einem schwarzen<br />
Bommel auf der oberen Mitte beherrschten die Szenerie.<br />
Es waren nur wenige Europäer an Bord. Die Marokkaner<br />
hatten alle viel Gepäck unter und auf den<br />
Schultern, große Säcke oder Plastiktaschen aus China in<br />
Händen. Sie trugen soviel Güter aus Europa nach Afrika,<br />
wie sie nur schleppen konnten, um sie auf dem anderen<br />
Kontinent zu handeln.<br />
Die Toiletten waren eine einzige Katastrophe, die Schüsseln<br />
liefen über von Exkrementen und Erbrochenem.<br />
Zum Glück dauerte die Reise nur wenige Stunden, wir<br />
verkniffen uns jede Art von Ausflüssen. Der gesamte Seelenverkäufer<br />
war für unsere Verhältnisse schier unerträglich,<br />
wir waren froh, als wir den Pott in Tanger verlassen
konnten. Fürs Erste war uns die Seefahrt gründlich verdorben.<br />
324<br />
Kapitel 38<br />
In Tanger warteten hunderte von Marokkanern und andere<br />
Araber auf die Brüder, Schwestern und Neffen, ungeduldig<br />
zu sehen, was diesmal aus Europa mitgebracht<br />
worden war. Wir gingen völlig in der Masse von Orientalen<br />
unter, kämpften uns den Weg frei zum Bahnhof.<br />
Auf dem Weg dorthin bekamen wir von allen Seiten Angebote,<br />
„Hasch kaufen“, hörten wir oft, winkten immer<br />
ab. Aber die Typen rückten uns fast auf die Pelle, wir<br />
mussten Viele mit den Händen von uns abstreifen, von<br />
den geilen Blicken auf die Frauen, und die frechen Versuche<br />
sie zu betatschen ganz zu Schweigen. Und den<br />
verfluchten roten Riesenkoffer schleppend war das alles<br />
nicht einfach zu bewerkstelligen.<br />
Wir wollten zum „Marrakesch Express“, der uns nach<br />
Casablanca bringen sollte. Über diesen Zug hatten Crosby,<br />
Stills, Nash and Young einen schönen Song geschrieben,<br />
an den ich mich natürlich gerne erinnerte.<br />
Dann bestiegen wir diese legendäre Eisenbahn, fanden<br />
Platz, und freuten uns darauf, neue Landschaften und<br />
Orte fremder Kultur zu sehen. Wir waren so ziemlich<br />
die einzigen Europäer im Express.<br />
Ich hatte mir auf langen Bahnreisen angewöhnt, durch<br />
die Gänge der Waggons zu laufen, um mir die Reisenden<br />
anzuschau´n, ich liebte es Menschen zu beobachten,<br />
was im Marakesch Express besonders interessant und<br />
fremdartig war. Irgendwann kam ich zwischen zwei Wagen<br />
an einer auf dem Boden hockenden Gestalt vorbei,<br />
die mich an der Hose zog, und mir eine lange dünne<br />
Pfeife mit einem kleinen Tonkopf entgegenhielt. Ich<br />
wusste sofort was ich hier bekam, und da ich Niemanden<br />
anderes sah, nahm ich das Angebot an, und zog kräf-<br />
325<br />
tig an dem Ding. Kaum hatte ich die Pfeife zurückgegeben,<br />
war sie neu gefüllt, ich sollte noch mal rauchen, was<br />
ich gerne tat.<br />
Völlig bekifft kam ich mit einem breiten Grinsen zurück<br />
in unser Abteil.<br />
„Was gibt´s zu lachen“, fragte mich Frank, ich erzählte<br />
meinen Reisegefährten leise von meiner Begegnung der<br />
anderen Art.<br />
„Aha, und mich hast du vergessen“, versuchte Frank sich<br />
lachend zu beschweren, ich schickte ihn auf den Weg<br />
durch den Zug. „Hab niemand gefunden“, kam er ärgerlich<br />
zurück. „Der frühe Vogel fängt den Wurm“,<br />
konnte ich nur antworten, das Grinsen wollte mir nicht<br />
aus den Gesichtszügen weichen, ich fühlte mich großartig.<br />
Lucie lehnte sich gegen mich und flüsterte ängstlich:<br />
„ Sei bitte vorsichtig, es ist schierer Leichtsinn schon<br />
jetzt damit anzufangen, wenn dich jemand beobachtet“.<br />
„Hab alles im Auge Cherie“, antwortete ich sehr selbstsicher
und völlig bekifft.<br />
Die Landschaft war faszinierend zu sehen, Berge und Täler<br />
teilten sich die Strecke mit Wüstenartigen Gebieten,<br />
kleine nie gesehene, völlig fremd aussehende Dörfer<br />
kreuzten unseren Weg. Auf den Trampelpfaden neben<br />
der Bahnstrecke Bauern auf Eseln oder stolze Beduinen<br />
auf Kamelen, in schönste blaue Gewänder gekleidet, die<br />
nur die Augen freiließen, die zumeist mit Sonnenbrillen<br />
verdeckt waren, wir waren angekommen, Europa war<br />
nun sehr weit weg.<br />
Schon bald waren wir fast in Europa zurück, am Bahnhof<br />
von Casablanca erwarteten uns Marokkaner in feinen<br />
Anzügen, zwei Drittel der Menschen waren europäisch<br />
gekleidet. Casablanca entpuppte sich als<br />
europäisiert, wir sahen zwar viele verschleierte Frauen,<br />
die hinter ihren mit bodenlangen Kaftanen mit spitzen<br />
326<br />
Kapuzen gekleideten Männern hertrotteten, ein Großteil<br />
der am Bahnhof befindlichen Menschen trugen<br />
westliche Bekleidung.<br />
Dies änderte sich aber schnell, als wir den Bahnhof verließen,<br />
um ein Taxi zu nehmen. Hier waren die Straßen<br />
von echten Marokkanern bevölkert, die sich nicht verwestlichen<br />
lassen wollten, ihre Kultur stolz zum Ausdruck<br />
brachten. Das freute mich sehr zu sehen, ich wäre<br />
enttäuscht gewesen, hätte es sich anders dargestellt.<br />
Schließlich wollten wir weg aus Europa, Arabien und<br />
Afrika entdecken.<br />
Am Taxistand gab es große amerikanische Autos,<br />
schwarz weiß gestrichen, vielleicht alte Polizeiwagen, die<br />
zu Taxis umfunktioniert waren, und kleine rote „Petit<br />
Taxis“, die nur einen Bruchteil von dem Preis verlangten,<br />
wie die Straßenkreuzer.<br />
Mit all unserem Gepäck mussten wir notgedrungen einen<br />
großen Wagen nehmen, ein Petit Taxi wäre zusammengebrochen.<br />
Wir fragten den Chauffeur, wo es günstige<br />
Pensionen oder Hotel gäbe, er war sehr freundlich,<br />
sicher auch weil er sich schon auf reiche Beute freute. Er<br />
fuhr uns in die Nähe des Boulevards Mohamed 5, der<br />
Prachtstraße von Casablanca, die nach dem regierenden<br />
König Hassan II benannt war. Um sie herum gab es viele<br />
kleine und große Hotels, wir beschlossen uns gleich<br />
die Kleinen anzufahren.<br />
Wir fanden ein hübsches, sauberes Hotel für sehr wenig<br />
Miete, und zogen ein. Wir hatten einige abgecheckt, zu<br />
hohe Preise vorgefunden, oder Schmutz. Alle Zimmer<br />
waren für den Bruchteil des Geldes zu mieten, als in Italien<br />
oder Frankreich.<br />
Lucie, Nancy, Frank und Eric richteten sich auf einen<br />
längeren Aufenthalt in Casablanca ein, in einem Monat<br />
sollte es von Agadir mit LKW´s weiter durch die Sahara<br />
327<br />
in den Tschad gehen.
Die Zimmer waren geräumig, sehr sauber, hatten Bäder<br />
und Duschen, kosteten nach europäischen Gesichtspunkten<br />
Pfennigbeträge. Alle waren zufrieden eingezogen,<br />
und wir trafen uns gegen Abend vor dem Haus, um<br />
nach einem Restaurant Ausschau zu halten. Wir spazierten<br />
über den Boulevard, sahen dort viele westliche Geschäfte,<br />
und begaben uns in Nebenstraßen, wo wir auch<br />
bald ein Restaurant fanden, das nur von Marokkanern<br />
besucht war. Gut besucht war immer ein Zeichen für<br />
gute Küche, also setzten wir uns von den Gästen beobachtet<br />
an einen der wenigen freien Tische.<br />
Sofort kamen zwei Kellner angesprungen, Karaffen Wasser<br />
in Händen, die wir freundlichst ablehnten, wir wollten<br />
bitte Wasser aus der Flasche, man hatte uns gewarnt<br />
offenes Wasser in Afrika zu trinken. „Mais bien sure,<br />
Monsieurs, Dames“, sagten die Kellner, brachten uns sofort<br />
flaches Wasser, (ohne Kohlensäure), in Glasflaschen,<br />
das aus Frankreich stammte, und die Speisekarte. Alle<br />
sprachen perfekt französisch.<br />
Wir wollten KusKus, die marokkanische Nationalspeise.<br />
Hirseartige Unterlage mit viel grob geschnittenem Wurzelgemüse.<br />
Hühner und Hammelfleisch, einem dicken<br />
Klops aus gehacktem Kalbfleisch in Brühe. Die beiden<br />
Kellner brachten schon bald eine riesige Platten mit den<br />
Speisen, stellten sie mitten auf den Tisch, brachten Fladenbrot,<br />
und wünschten und guten Appetit. Frank<br />
kannte sich aus, er zeigte uns, wie wir mit den Fingern<br />
essen sollten, denn Besteck hatte man uns nicht gebracht.<br />
„Ihr nehmt ein Stück Fladenbrot in die rechte<br />
Hand und macht eine Falte. Mit diesem kleinen Stück<br />
gefalteten Brots nehmt ihr die Speisen von der Platte“,<br />
erklärte er uns, und führte es praktisch vor. „Und immer<br />
nur mit der rechten Hand, die linke ist in Arabien<br />
328<br />
und Afrika schmutzig, die Menschen hier haben nur selten<br />
Toilettenpapier, wenn ihr wisst was ich meine“, erklärte<br />
er uns noch lachend.<br />
So versuchten wir die Prozedur zu bewältigen, was sich<br />
als nicht einfach herausstellte. Aber nach einer gewissen<br />
Zeit und Übung hatten wir die Tricks raus, das Fleisch<br />
nahmen wir meist so in die Hand, und das mit dem Fladenbrotbesteck<br />
klappte schließlich auch gut.<br />
Wir wurden Marokkaner, wenn schon, denn schon.<br />
Letztendlich hatten wir einen Riesenspass an dem Essen,<br />
wir lachten viel, wenn uns Hirse aus dem Brot rann,<br />
oder wir versuchten die fettigen Hände zu reinigen. Dafür<br />
lag aber eine große Tuchserviette bereit, die um uns<br />
herum Essenden brauchten so was nicht, sie schleckten<br />
sich die Finger so lange, bis sie sauber waren. Die Servietten<br />
waren für Europäer reserviert. Ich merkte einmal<br />
mehr meine Fähigkeit, mich schnell auf neue Situationen<br />
einzulassen. Den Mädels fiel die Sache ein wenig<br />
schwer, oft steckte ich Lucie ein gutes Stück in den
schönen Mund. Es machte mir einen Heidenspaß, so zu<br />
essen, schon freute ich mich auf kommende Mahlzeiten.<br />
Als wir zu Ende gegessen hatten, waren alle gut gesättigt<br />
und sehr zufrieden. Wir baten um die Rechnung, hatten<br />
am Bahnhof schon Dirham, die marokkanische Währung<br />
eingewechselt. Der Betrag war eine große Überraschung<br />
für uns, umgerechnet hatten wir zu viert für<br />
ca.acht Mark fünfzig gegessen. Ich lud die Gesellschaft<br />
selbstverständlich ein, und gab den freundlichen Kellnern<br />
ein gutes Trinkgeld. Wir wurden mit vielen Dienern<br />
zur Tür begleitet, und fanden zurück auf den Boulevard<br />
„Jetzt Musik“, schlug ich vor, ich wollte sofort sehen, ob<br />
in Casablanca auch meinem zweitgrößten Hobby gefrönt<br />
wurde. Wir sahen eine Leuchtreklame zwischen<br />
329<br />
Geschäften, „Dicocothek“. „Kommt Leute, das schau´n<br />
wir uns an“, schlug ich vor, alle waren einverstanden.<br />
Die Disco hatte einen eigenartigen, für Marokko ungewöhnlichen<br />
Namen, „Roi de la Biere“, König des Biers.<br />
Dabei sollten Moslems doch keinen Alkohol konsumieren,<br />
war von Allah und seinem Gesandten Mohamed<br />
streng verboten.<br />
Wir betraten den Laden, als man und schnell als Europäer<br />
ausmachte, wurden wir zuvorkommend begrüßt, und<br />
ohne Eintritt zahlen zu müssen an einen Tisch geführt.<br />
Das Lokal war gut besucht, ein Großteil der Gäste war<br />
europäisch gekleidet. Auf den ersten Blick machte ich<br />
viele Marokkaner aus, die jedoch vorwiegend französisch<br />
sprachen, arabische Töne hörte ich nur wenig. Hier<br />
war die Haute Volet aus Casablanca zu Gange, ein Gemisch<br />
aus Franzosen und Marokkanern. „So what“,<br />
dachte ich mir, die Musik war zwar nicht sofort mein<br />
Fall, ich liebte es ja rockig, hier wurde schwarze amerikanische<br />
Musik gespielt, James Brown „I feel good“, und<br />
so fühlte ich mich auch, Tina Turner kannte ich, aber<br />
viele andere Musiker, die den gleichen Sound spielten<br />
waren mir völlig unbekannt. Ich gewöhnte mich schnell<br />
an diesen Sound, wir konnten dazu tanzen, es swingte in<br />
dem Laden. Ich war wieder in meinem Element, sah Lucie<br />
freudig lachen, als sie bemerkte, dass ich mich wohl<br />
fühlte. Sie wusste am besten was mir Musik bedeutete,<br />
und ich war in dieser Hinsicht immer für Neues aufgeschlossen.<br />
Selbst die arabische Musik im Taxi zum Hotel<br />
fand ich angenehm, obwohl sie gewöhnungsbedürftig<br />
war. Aber es war halt Musik, und die liebte ich nun in allen<br />
nur möglichen Fassetten.<br />
Nachdem wir gut abgerockt hatten, machten wir uns<br />
satt und müde auf den nur kurzen Weg zurück ins Hotel.<br />
„Tschüss Freunde, es war ein schöner Abend mit<br />
330<br />
Euch“, verabschiedete ich mich von Nancy und Frank,<br />
und verschwand mit meiner schönen Braut im Zimmer.<br />
Nancy und Frank waren ja nur Freunde, schliefen trotzdem
in einem Bett, züchtig, wie Frank mir immer wieder<br />
versicherte.<br />
Bei Lucie und mir ging es ja nun gar nicht züchtig zu,<br />
wir beide fraßen uns gegenseitig fast auf in der ersten<br />
Nacht unter arabischen Sternen. Von Schwangerschaft<br />
war weder etwas zu spüren, noch zu sehen, obwohl<br />
schon einige Monate ins Land gegangen waren. Wir<br />
sprachen auch nie drüber.<br />
Es lebte sich aussserordentlich gut in Casablanca, Tag für<br />
Tag lernten wir neue Plätze, Strassen Cafés und auch<br />
Leute kennen. Wir gaben kaum Geld aus, hier in Marokko<br />
war alles bedeutend preisgünstiger zu haben als in<br />
Europa.<br />
Aus dem Europäischen Teil Casablancas wollten wir hinaus<br />
um den wirklich arabischen Stadtteil der Stadt kennen<br />
zu lernen. Man schickte uns in die „Medina“, dort<br />
fanden wir endlich Marokko pur. Zunächst schritten<br />
wir durch ein hohes sehr breites Tor, schon waren wir im<br />
Orient. Kleine verwinkelte Lehmgassen führten uns vorbei<br />
an Geschäftsleuten, die mit allem Handel trieben,<br />
was man sich im Westen kaum vorstellen konnte. Es gab<br />
sehr viele<br />
Teppichhändler, die nur Berberwahre anboten, Andere<br />
feilschten mit verschiedenen orientalischen Bodenbelägen,<br />
Gewürzhändler die Säckeweise nie gerochene Gewürze<br />
feilboten, Händler für Eisen- und Messingwaren<br />
von prächtiger Schönheit, Gold- und Silberschmuck<br />
wurde an jeder Ecke angeboten, Arbeiten von atemberaubender<br />
Schönheit für wenig Geld. Viele der verschiedenen<br />
Verkaufsartikel kamen von weit her aus den Oasen<br />
der Sahara, oft mit Kamelkarawanen hunderte<br />
331<br />
Kilometer weit von Touareks transportiert, die Sterne,<br />
Sonne und Wind als Wegweiser nutzten, vor der Stadt<br />
Casablanca Rastplätze hatten. Ich freute mich nun noch<br />
mehr über die geplante Reise durch die mich magisch<br />
anziehende Wüste von Afrika.<br />
Es war schier unglaublich, wie enorm sich die Preise hier<br />
von denen in Europa unterschieden. Viele kleine Cafés<br />
und urtypische Restaurants. In einem kleinen, mit einer<br />
Deutschen Imbissbude vergleichbaren Restaurant gab es<br />
„Brochettes“, orientalisch gewürzte Fleischklopse mit<br />
viel Knoblauch und scharfer Soße in einem Brot. Diese<br />
schmeckten mir so gut, dass in der ersten Zeit fast nur<br />
von diesen Dingern lebte, täglich holte ich mir irgendwann<br />
zwischendurch diese köstliche Speise, immer beim<br />
gleichen Händler, Ali, einer der vielen Alis, die wir kennen<br />
lernten, der direkt am Eingang zur Medina seinen<br />
Stand hatte.<br />
332<br />
Kapitel 39<br />
Die Medina war riesig, verschleierte Frauen huschten<br />
schüchtern durch die Gassen, Wohnhäuser aus Lehm
und selbstgebrannten Ziegeln säumten die Gassen. Es<br />
war leicht sich zu verlaufen, was mir Anfangs oft passierte,<br />
wenn ich mich zu tief in die Medina hineinwagte.<br />
Dort suchte ich einen Haschverkäufer. Und bald hatte<br />
ich nach einigem herumfragen, kritischen Blicken der<br />
Gefragten einen Dealer gefunden, der mir mehrere Sorten<br />
von Haschisch anbot. Zunächst kaufte ich leichtes<br />
„Kiff“, Grass, das vom wirklichen Haschisch übrig blieb.<br />
Schon bald wollte ich die besseren Sorten probieren,<br />
und landete beim so genannten „Zero-Zero“, fest in<br />
Platten geprasstes Harz von den Pollen der Haschischpflanze.<br />
Das Zeug haute mich erstmal um, ich musste mehr als<br />
drei Stunden bei Mohamed, meinem neuen Dealer ausharren,<br />
bevor ich mich mit einer kleinen Platte Hasch<br />
zurück auf den Weg ins Hotel machen konnte. Seine<br />
Frau schenkte mir währenddessen immer wieder süßen<br />
Pfefferminztee nach, bis meine Blase fast überfüllt war.<br />
Nach dem Servieren verschwand sie sofort wieder in ihrer<br />
Küche, ihr Gesicht hatte ich nie zu sehen bekommen.<br />
Mit diesem Stoff öffnete sich mein Hirn, was durch Bier<br />
oder Wein stets zugedröhnt wurde. Deshalb trank ich nie<br />
viel, es machte mich dumpf. Hasch beflügelte meine<br />
Fantasie aufs Beste, ich wurde schnell zum Alleinunterhalter<br />
unserer noch kleinen Freundesgruppe, erfand Stories,<br />
die Leute bogen sich vor lachen. Schade dass ich sie<br />
nie niedergeschrieben hatte, ich wurde zu einem echten<br />
„Spacecowboy“, immer mit dem Hirn im All und wie-<br />
333<br />
der zurück auf den afrikanischen Boden.<br />
Lucie freute sich über meine Fantasien, sie profitierte in<br />
jeder Hinsicht davon. Sie sorgte sich nur ein wenig,<br />
wenn ich völlig bekifft mit ihr um die Häuser zog, die<br />
Marrokanische Polizei war immer und überall unterwegs.<br />
König Mohamed 5 hatte sich ein strenges Sicherheitsnetz<br />
über das gesamte Land gespannt, wer drin kleben<br />
blieb hatte mit strengen Strafen zu rechnen. Jede<br />
Regung von Freiheit wurde mit harter Hand sofort im<br />
Keim erstickt. Die schrecklichen Gefängnisse waren mit<br />
armen Leuten überfüllt. Wer Geld hatte konnte sich<br />
leicht freikaufen, Korruption grassierte überall. Aber wer<br />
wollte schon erkennen ob ich bekifft durch die Gegend<br />
zog. Wir Europäer wurden sowieso bevorzugt behandelt,<br />
man ließ uns in Ruhe unsere Devisen unter die Leute<br />
bringen.<br />
Es kam die Zeit, in der wir uns auf den Weg in den<br />
Tschad machen wollten. Frank und Nancy drängelten,<br />
sie wollten endlich nach Agadir und in die Laster durch<br />
die Wüste steigen.<br />
Lucie und ich hatten lange überlegt, ob wir diese Reise<br />
wirklich antreten sollten, sie war mittlerweile im fünften<br />
Monat schwanger, und nicht sicher, ob der Weg durch<br />
die Sahara gut für ihren Zustand sein würde. Man sah ihr<br />
die Schwangerschaft noch immer nicht an, sie hatte ein
minimales Bäuchlein, als hätte sie ein wenig zu viel gegessen.<br />
Sehr verwunderlich und völlig Beschwerdelos.<br />
Wir beschlossen im sicheren Casablanca zu bleiben,<br />
Frank und Nancy hatten volles Verständnis, nach einem<br />
Abschiedsessen machten sich die beiden alleine auf die<br />
Reise nach Schwarzafrika. Wir blieben zurück im Orient,<br />
wo es uns zusehends besser und besser gefiel. Die<br />
Wüste hätte ich gerne durchquert, mit Rücksicht auf<br />
Lucie kämpfte ich erfolgreich gegen ihre Anziehungs-<br />
334<br />
kraft.<br />
Eines Tage wollte ich mir Arbeit zu suchen. Unsere Barschaft<br />
hätte zwar locker für ein weiteres Jahr in Casablanca<br />
ausgereicht, aber ich wollte etwas tun. Wir besuchten<br />
oft das Roi da la Biere, die Diskothek, die wir<br />
schon am Abend unserer Ankunft gefunden hatten. Der<br />
Club hatte Platz für ca. 400 Gäste. Es stellte sich heraus,<br />
dass sie die am besten Besuchte in der Stadt war. Ich hatte<br />
den Besitzer Abou Said gut kennen gelernt, auch einige<br />
seiner Mitarbeiter, die Jobs erledigten, von denen<br />
ich nichts wissen wollte, harte Jungs, aber immer freundlich<br />
zu uns.<br />
Abou Said fragte mich an einem Abend, ob ich Schallplatten<br />
auflegen, und ein Mischpult bedienen könne,<br />
„Das lern ich schnell“, antwortete ich sofort, er wollte<br />
mich als Disc-Jockey einstellen.<br />
Ich erkannte die Chance auf einen guten Job, bei dem<br />
ich mit Musik zu tun haben würde. Abou Said gab mir<br />
eine Chance es zu versuchen.<br />
Der Tag meiner Premiere rückte näher, Lucie fragte sorgenvoll,<br />
ob ich mir das wirklich zutraute. „Logisch Cherie,<br />
das mach ich mit Links“, beruhigte ich sie gleich.<br />
Der vorher beschäftigte Plattenaufleger musste wohl<br />
zum Militär, er erklärte mir, wie die Maschinerie funktionierte.<br />
Ich übte Tagsüber ein wenig mit ihm, hatte<br />
den Bogen schnell raus.<br />
Um 22 Uhr öffnete die Disco, ich war schon um sechs<br />
im Laden hinter dem Mischpult, schaute durch die große<br />
Plattesammlung, testete einige Scheiben die ich nicht<br />
kannte, merkte mir tanzbare Musikstücke, und hatte jede<br />
Menge Lampenfieber, als die ersten Gäste eintrafen.<br />
Ich begann leise, als sich der Laden gefüllt hatte legte ich<br />
richtig los, verstand schnell was die Leute hören wollten,<br />
viele kamen mit Wünschen, und die Sache entwickelte<br />
335<br />
sich hervorragend. Schnell hatte ich raus, wie man Musik<br />
ohne Pausen ineinander übergehen ließ, ich konnte<br />
gut mit dem einfachen Mischpult umgehen. Und ich<br />
wusste was swingte, die Tanzfläche wurde nie leer. Um<br />
drei Uhr morgens war ich geschafft, und die Gäste verließen<br />
langsam den Club. Abou Said kam zu mir, klopfte<br />
mir lachend auf die Schulter und sagte; „ Eric, du hast<br />
den Job“.
Lucie hatte die ganze Nacht in meiner Nähe gesessen,<br />
oft ging sie alleine auf die Tanzfläche, wenn ihr ein Stück<br />
gefiel, und tanzte nur für mich, wie sie mir später im<br />
Bett ins Ohr flüsterte. Ich war geschafft, aber glücklich,<br />
hatte wahrhaftig Arbeit in Casablanca gefunden. „Hier<br />
bleiben wir für immer“, beschloss ich, Lucie hatte nichts<br />
dagegen einzuwenden.<br />
Schnell hatte ich mir Freunde gemacht, die sich dann<br />
immer in der Nähe meines Arbeitsplatzes aufhielten, oft<br />
Musikwünsche äußerten, die ich gerne erfüllte, sobald es<br />
passte. Hauptsache die Leute tanzten, schwitzten und<br />
soffen.<br />
Viele Mädels schauten mich oft verliebt an, einige trauten<br />
sich bald in meine Umgebung, um auch Wünsche zu<br />
äußern, und mich zu bewundern. Ich fand das großartig,<br />
fühlte mich wie der Hahn im Korb. Einige Bordsteinschwalben<br />
hielten sich in der Disco auf, immer auf der<br />
Suche nach Freiern.<br />
Es gab jede Menge Nachtclubs entlang des Strandes von<br />
Casablanca, wo sich die billigen Nuten herumtrieben,<br />
im Roi de la Biere waren die Edelhuren zu Hause, Europäer<br />
fangen, und sich mit Devisen entlohnen lassen.<br />
Bald wurden die Damen auch auf mich aufmerksam, ich<br />
bekam viele Einladungen für Spielchen nach Feierabend.<br />
Ich sagte immer sofort ich sei verheiratet, und<br />
wolle meiner Lucie treu bleiben, „Kannst du doch“, ant-<br />
336<br />
worteten sie nur, „wir spielen ein wenig, ich verwöhne<br />
dich, du bist lieb zu mir, und ich mach dir Geschenke“,<br />
boten sie mir an. Eine völlig hysterische junge Hure verfolgte<br />
mich bis aufs Klo, fiel vor mir auf die Knie und<br />
flehte regelrecht; „ Eric, bitte sei lieb zu mir, ich mach<br />
für dich was immer du möchtest, ich verdiene gut, deine<br />
Frau macht mir nichts aus, nur ab und zu schläfst du<br />
mit mir“.<br />
Ich wusste dass sie eine der guten Freundinnen meines<br />
neu gefundenen Freundes Ariel war, ein arabischer Jude,<br />
der einige Frauen abkassierte. Ein netter Kerl, der sich<br />
gerne mit mir ein Pfeifchen durchzog, immer den besten<br />
Schit anbrachte. Hier lebten Juden und Moslems ohne<br />
die geringsten Schwierigkeiten zusammen. Ich hätte seine<br />
Freundin nie angerührt, obwohl sie eine echte Versuchung<br />
darstellte.<br />
Seit ich in der Disco arbeitete, gab ich kein Geld mehr<br />
für Hasch aus, es kam mir in allen erdenklichen Variationen<br />
zugeflogen. Ich war eine feste Institution im Club<br />
geworden, Abou Said hatte schon zwei Mal meine Gage<br />
erhöht, wenn der Laden brummte gab´s sofort am gleichen<br />
Abend einen Bonus obendrauf. Er ließ sich nicht<br />
lumpen, ich hatte immer die Taschen voller Geld, und<br />
den Schädel voller Dope. Lucie war zufrieden, denn sie<br />
sah gut, dass ich alle Situationen voll im Griff hatte.<br />
„Sollten wir und nicht langsam ´ne Wohnung suchen“,
fragte sie mich eines Tages, ich stimmte sofort ohne<br />
Überlegung zu. Immer nur in dem einen Zimmer im<br />
Hotel zu hocken war langweilig für sie, sie wollte nicht<br />
täglich in den Club.<br />
Also fragte ich unter meinen Freunden herum, und bat<br />
sie um Hilfe bei der Wohnungssuche.<br />
Zwei Tage später konnte ich drei Wohnungen besichtigen,<br />
die Jungs hatten Informanten überall.<br />
337<br />
Wir schauten uns die Angebote an, und entschlossen uns<br />
schnell, eine Drei Zimmer Wohnung mit Bad und Küche,<br />
einfach möbliert, aber mit einer sehr guten neuen<br />
Matratze ausgestattet zu nehmen. Sie war in allen Räumen<br />
mit schönen Mosaiken Fliesenböden ausgestattet,<br />
wie es in feinen Häusern überall in Marokko üblich war.<br />
Und das Haus war fein, Eine Fatma, Hausmeisterin und<br />
billige Putzfrau hielt das Haus sauber und in Ordnung.<br />
Wir zahlte 90 Mark Miete monatlich, inklusive Putzfrau.<br />
Dies war ein hoher Betrag für marrokanische Verhältnisse,<br />
die ich aber in zwei Nächten verdiente. Und immer<br />
wieder gab’s kleine Geschenke der Frauen, ´mal ein Feuerzeug,<br />
Stangen Zigaretten oder andere Aufmerksamkeiten.<br />
Manchmal, wenn´s sich nicht vermeiden ließ, und das<br />
Mädel ein echter Knaller war, Lucie in ihren Träumen<br />
lag, ließ ich mich auch schon ´mal breitschlagen, mit in<br />
ein Hotel zu gehen, und mich für einige Stunden verwöhnen<br />
zu lassen. Lucie erfuhr es nie, ich sagte dann,<br />
wenn ich morgens früh nach Hause kam, dass ich noch<br />
mit Ariel in den Clubs am Strand abgehangen hätte.<br />
In einem dieser Clubs stellte mir Ariel einen Freund vor,<br />
Abdullah, ein für seine erst 32 Jahre schon ranghoher<br />
Polizeioffizier mit besten Kontakten zur Unterwelt und<br />
obendrüber.<br />
„Was soll das“, fragte ich ihn ärgerlich, als Abdullah ´mal<br />
außer Hörweite war, „ich will mit Bullen nichts zu tun<br />
haben“. „Mach dir keinen Kopf, der Mann ist voll in<br />
Ordnung, kann sehr hilfreich sein“, zwinkerte er. Ich<br />
hatte gerade einen sympathischen Polizisten kennengelernd,<br />
der sich in der Schattenwelt zu Hause fühlte. Er<br />
angelte keine Sardinen, er jagte dicke Fische. Wir sollten<br />
gute Freunde werden. Ich war endgültig in die Nebelwelt<br />
von Casablanca eingetaucht, man mochte mich.<br />
338<br />
Ich wusste nicht so recht ob ich da richtig war, aber<br />
Freunde in dieser Gesellschaft zu haben konnte nicht<br />
falsch sein.<br />
Wir zogen zukünftig zu Dritt in die Clubs und Bars,<br />
zahlten nie einen Dirham. Wenn Abdullah irgendwo erschien,<br />
stand sofort eine Flasche auf- und Frauen an der<br />
Bar. Ab und an trank ich Glennfidish, wenn´s den gab,<br />
ein Glas, mehr nicht. Abdullah brachte mir oft ein dickes<br />
Stück feinstes Dope mit, das er mit seiner Truppe irgendwo<br />
einkassiert hatte. Er wusste dass ich gern kiffte,
es machte ihm absolut nichts aus, im Gegenteil, wir<br />
rauchten zusammen. Zu Hause hatte ich fast ein halbes<br />
Kilo Haschisch liegen, alles Geschenke meiner Freunde,<br />
verschiedene sehr gute Sorten.<br />
Es gab einen Türsteher im Roi de la Biere, Kofir. Ein<br />
Berg von Mann, 24 Jahre alt, und aus ärmlichen Verhältnissen.<br />
Er war ein herzensguter Mensch, aber wehe es<br />
brannte, dann entwickelte er sich zu einem ganzen<br />
Löschzug.<br />
Ich bemerkte dass er immer tränende Augen hatte. Eines<br />
Abends fragte ich ihn was denn los sei, ob er traurig sei.<br />
„Nein, Eric“, sagte er in gebrochenem französisch, „ ich<br />
sehe nicht so gut, und habe immer brennende Augen“.<br />
Ich dachte mir sofort, dass er etwas mit den Augen haben<br />
musste, dass man sicher beheben könnte. „Morgen<br />
treffen wir uns hier vor der Türe um neun Uhr, dann gehen<br />
wir zu einem Augenarzt“, sagte ich mit Nachdruck.<br />
„Ein Augenarzt, wie soll ich den bezahlen“, fragte er<br />
schüchtern, dieser Fleischkloß. „Morgen neun Uhr, und<br />
du bist hier“, sagte ich im Befehlston.<br />
Als ich zur angegebenen Zeit zum Club kam, stand Kofir<br />
schon da, in seinem einzigen Anzug, Schlips und Kragen.<br />
Ich hatte mich schon kundig gemacht, wir nahmen<br />
ein Petit Taxi, und fuhren zu Dr. Mathieu, einem franzö-<br />
339<br />
sischen Augenarzt, der seit 10 Jahren in Casablanca praktizierte.<br />
Er war mit einer Marrokanerin verheiratet.<br />
Dr. Mathieu untersuchte meinen Freund, und stellte<br />
schnell fest, dass der Junge dringend eine Brille benötigte,<br />
dann würden sich die Beschwerden von alleine beheben.<br />
„Eine Brille“, sagte Kofir geschockt, „so was will<br />
ich nicht, wie sieht das denn aus, und wie soll ich die bezahlen“.<br />
„Da mach dir mal keine Gedanken“, antwortete<br />
ich, „eine Brille kann sehr gut aussehen, und sie wird<br />
dir helfen, das verspreche ich dir, wir fahren gleich zu einem<br />
Optiker“.<br />
Der Augenarzt hatte gemerkt, dass ich dem Jungen helfen<br />
wollte, und verlangte kein Honorar.<br />
Ich bedankte mich, er gab mir ein Rezept mit den genauen<br />
Daten für die Brillengläser, und wünschte uns alles<br />
Gute.<br />
Wir fuhren zu einem Optikerladen in der Medina, den<br />
hatte ich auf meinen Gängen durch die Gassen dort<br />
schon früher entdeckt, er hatte eine große Auswahl an<br />
schönen Brillenfassungen, und war auch in der Lage, die<br />
geeigneten Gläser zu besorgen.<br />
Wir probierten einige Brillen, „das sieht doch doof aus“<br />
beschwerte sich Kofir, bis er ein Rai-Ban Gestell aus<br />
dünnem Metal aufsetzte, eine Sonnenbrille, die ihm direkt<br />
gefiel. „Die wäre O.K., sagte er, „die gefällt mir gut,<br />
sieht aus wie die Sonnenbrillen, die Viele tragen“. „Die<br />
nehmen wir“, sagte ich dem Optiker. „Können wir die<br />
Gläser auswechseln“, fragte ich, „aber selbstverständlich“,
antwortete der Optiker. „Ist aber nicht billig“, sagte<br />
er besorgt. „Darüber machen sie sich keine Gedanken,<br />
wann können wir die Brille abholen“? „In drei Tagen<br />
sollte sie fertig sein“. „Gut, dann bis Donnerstag“, und<br />
wir verabschiedeten uns. „Meinst du das hilft mir wirklich“,<br />
fragte Kofir zweifelnd, „und wie soll ich die be-<br />
340<br />
zahlen, ich verdiene nicht viel als Portier“. „Du sollst dir<br />
doch keinen Kopf machen, das regeln wir schon“.<br />
Abends sprach ich mit meinen Freunden über die Sache,<br />
sofort waren sie einverstanden Geld zusammen zu legen,<br />
um dem Riesenbaby seine Brille zu bezahlen. In zehn<br />
Minuten hatte ich den Betrag in der Tasche. Ich erzählte<br />
Kofir nichts davon.<br />
Am Donnerstagmorgen trafen wir uns erneut, Kofir kam<br />
aufgeregt zu mir, und streckte mir Geld entgegen. „Das<br />
hab ich gespart, meinst du das reicht aus“, sagte er.<br />
„Steck dein Geld wieder in die Spardose, die Brille ist<br />
schon bezahlt“. Er konnte es kaum fassen, für mich war´s<br />
eine erfreuliche Selbstverständlichkeit.<br />
Wir machten uns auf den Weg in die Medina zum Optiker,<br />
der sich freute uns zu sehen. „Die Brille ist fertig,<br />
exakt wie geordert“, sagte er zur Begrüßung und griff in<br />
eine Schublade unter seiner Theke. Hervor kam eine<br />
wunderschöne goldmetallfarbige Ray-Ban mit Sichtgläsern.<br />
„Na dann setz sie ´mal auf“, forderte ich den Jungen<br />
auf, und mit strahlendem Gesicht nahm er die Brille<br />
ganz vorsichtig in seine große Hand. Er setze sie sich auf<br />
die Nase, klemmte die biegsamen Bügel hinter die Ohren,<br />
die Brille saß perfekt. Der Optiker hielt ihm einen<br />
Spiegel hin, Kofir lachte freudig, „die steht mir ja richtig<br />
gut“, freute er sich, als er sich im Spiegel sah, „und<br />
die ist so leicht, stört überhaupt nicht“.<br />
„Na und, siehst du jetzt besser“, fragte ich. Er schaute<br />
sich im Laden um, und der Mund stand ihm vor Staunen<br />
offen. „Ich kann alles genau erkennen, das gibt´s<br />
doch nicht, ich hatte immer einen Film vor den Augen,<br />
der ist völlig weg“.<br />
„Nun musst du dich langsam an das neue Sehgefühl gewöhnen,<br />
dann tränen deine Augen sicher nicht mehr,<br />
341<br />
aber du musst sie auch immer tragen“, riet ich ihm. „Na<br />
klar, sieht doch super aus“.<br />
Plötzlich nahm er mich in seine riesigen Arme und<br />
drückte mich fast tot. „Danke Eric, das werde ich dir im<br />
Leben nicht vergessen“, sagte er mit Tränen unter der<br />
Brille. Ich hatte einen Freund gewonnen, der für mich<br />
durch´s Feuer gehen würde, solche Reaktionen sind typisch<br />
arabisch. „War mir eine Ehre dir zu helfen, du bist<br />
ein guter Mensch, denen muss immer geholfen werden“,<br />
sagte ich mit voller Überzeugung und rang nach<br />
Atem. Während Kofir mit der Brille beschäftigt war gab<br />
ich dem Optiker das Geld.
Am Abend warteten wir alle, Abou Said, Youssuf, Souad<br />
und Abdullah gespannt auf unseren Portier, und der kam<br />
stolz mit seiner neuen Brille auf der Nase angedackelt.<br />
Wir machten ihm Komplimente, sagten wie gut er jetzt<br />
aussehe, und der Junge freute sich. Seine Augen tränten<br />
nie wieder.<br />
Die Jungs standen um mich herum, schauten mich an,<br />
und sagten „du bist ein guter Mensch, es ist uns eine<br />
große Ehre dich als Freund zu haben“. Jetzt kamen mir<br />
fast die Tränen. „Ihr habt doch alle geholfen, das hab ich<br />
doch nicht alleine gemacht“, versuchte ich zu beschwichtigen.<br />
„Nein, das ist ganz alleine dein Verdienst,<br />
du hast Kofir Licht geschenkt und seine Augen getrocknet“,<br />
sagte Youssuf bestimmt. Nun kam schon etwas<br />
Stolz in mir hoch.<br />
Lucie wusste von der Geschichte, als ich ihr am nächsten<br />
morgen von der abendlichen Begegnung berichtete sah<br />
mir tief in die Augen. „Du bist mein Mann, wie du mit<br />
deinen Freunden umgehst ist immer wieder eine große<br />
Freude für mich“, sie, umarmte mich fest, und küsste<br />
mich lange.<br />
342<br />
Kapitel 40<br />
Mein Job machte mir Spaß, ich konnte auch neue Platten<br />
kaufen, die nach meinem Geschmack waren, mit denen<br />
ich die Gäste richtig zum kochen bringen konnte.<br />
Solange der Club und die Tanzfläche voller gutgelaunter<br />
Menschen waren, hatte ich meinen Job gut gemacht. Ich<br />
heizte ihnen Abend für Abend ein, Montags und Donnerstags<br />
hatte ich frei, an diesen Tagen waren eh nicht<br />
viele Leute unterwegs. Dann legte ein anderer DJ Platten<br />
auf. Die von mir neu gekauften versteckte ich immer<br />
sorgfältig in meiner kleinen Garderobe, die ich abschließen<br />
konnte. Sollte Niemand meinen Styl<br />
übernehmen. Copyright und Tanzfäschenbesiztum!<br />
In den Nächten in denen ich auflegte kamen mittlerweile<br />
viele Leute wegen mir und meiner Art von Musik,<br />
wie mir Abou Said bald erzählte, und erhöhte meinen<br />
Lohn dementsprechend. Die Mädels ließen mich weitgehend<br />
in Ruhe, es hatte sich herumgesprochen, dass ich<br />
eine Frau hatte, die ein Kind erwartete. Einige Unbelehrbare<br />
versuchten es immer wieder mich auf ´ne Matratze<br />
zu zerren, ich blieb meistens standhaft.<br />
Weihnachten feierten wir im Haus von Abou Said, alle<br />
Freunde waren versammelt, und wir lernten neue Leute<br />
kennen, die in Casablanca wichtige Rollen spielten. Unter<br />
ihnen war ein Minister für ich wusste nicht was, der<br />
es scharf auf Lucie angelegt hatte. Er schwirrte dauernd<br />
um sie herum, traute sich aber nicht sie anzusprechen,<br />
ohne vorgestellt worden zu sein. Er flüsterte mit Abou<br />
Said, und blickte in Richtung Lucie. Sie war zwar hochschwanger,<br />
das Kind könnte jeden Augenblick geboren<br />
werden, man sah es ihr aber nicht an. Sie hatte verwunderlicherweise
nur ein kleines Bäuchlein, das zwar deut-<br />
343<br />
lich herausragte, aber als normale Schwangerschaft im<br />
9. Monat war ihr Zustand nicht auszumachen.<br />
Plötzlich kam dieser kleine dicke Minister auf mich zu,<br />
und fragte ernsthaft, ob er mit Lucie schlafen dürfe, er<br />
wolle sie königlich dafür belohnen. Nun fand ich es ja<br />
nicht schlecht einen Minister in meiner Clique zu haben,<br />
aber das ging mir dann doch zu weit, und ich ließ<br />
ihn mit deutlichen, sehr frechen Worten abblitzen. „Sie<br />
sind wohl verrückt geworden, mir eine solche Frage zu<br />
stellen, wie sie sicher wissen ist meine Frau keinen Hure.<br />
Sie gehört nur mir, basta“.<br />
Er fragte nie wieder, schaute sie jedoch weiterhin mit<br />
geilen Blicken an. Er verließ unsere fröhliche Gesellschaft<br />
früh und ich sah ihn nie wieder.<br />
344<br />
Kapitel 41<br />
Es war der 31. Dezember 1968 gegen neun Uhr morgens,<br />
als Lucie mich weckte. „Ich habe Schmerzen“,<br />
stöhnte sie, „mir geht´s nicht gut“. „Cherie, noch ein<br />
Stündchen, ich bin so müde“, sagte ich, und drehte mich<br />
auf die andere Seite. Schon nach wenigen Minuten rüttelte<br />
sie mich erneut an der Schulter, „ich halte das nicht<br />
mehr aus, ich glaube das Kind kommt“. Sofort wurde<br />
ich hell wach, und zog mich schnell an. „Wir fahren<br />
schnellstens in die Klinik, mach dir keine Sorgen“, versuchte<br />
ich Lucie zu beruhigen.<br />
Durch die französische Botschaft war uns ein Platz in der<br />
Privatklinik eines Gynäkologen,<br />
Dr. Burou angeboten worden, wir hatten ihn schon einmal<br />
besucht, um ihm mitzuteilen, dass unser Kind bald<br />
zur Welt käme. Zunächst lachte er nur, als er Lucie´s<br />
kleinen Bauch sah. „Das kann doch nicht möglich sein“,<br />
sagte er, „ wo trägt ihre Frau das Kind denn“? Nachdem<br />
er sie gründlich untersucht hatte, war klar, dass das Baby<br />
wirklich bald kommen sollte, er schüttelte verwundert<br />
den Kopf. „Eine solche Schwangerschaft habe ich noch<br />
nicht erlebt, und sie waren während der gesamten neun<br />
Monate bei keinem Arzt“, fragte er zweifelnd. „Nein, ich<br />
hatte nie Probleme“, antwortete Lucie, „wozu also sollte<br />
ich einen Arzt aufsuchen“.<br />
Dr. Burou war in der dafür bekannt, dass er der beste<br />
Gynäkologe war, der Männer zu Frauen umwandeln<br />
konnte. Aus der gesamten Welt kamen solche Mensche<br />
zu ihm, er hatte viel zu tun, was man an seiner prächtigen<br />
Klinik gut erkennen konnte.<br />
Also jagte ich mit Lucie im Arm schnellstens mit einem<br />
Taxi in die Klinik, und sie bekam sofort ein Zimmer. Dr.<br />
345<br />
Burou war in einer Operation, der letzten vor Silvester.<br />
Eigentlich wollte er dann nach Hause, und sich auf die<br />
kommenden Festlichkeiten vorbereiten.
Als er dann kam, untersuchte er Lucie, „ das hat noch<br />
Zeit, das Baby ist noch nicht soweit“. „Aber ich habe<br />
dauernd Schmerzen“, beschwerte sie sich. „Das sind die<br />
ersten Wehen, ich denke dass sie ihr Kind frühestens<br />
morgen bekommen werden, der1. Januar, wäre doch<br />
auch ein schönes Geburtsdatum“, versuchte er meinen<br />
Schatz zu trösten, und machte sich davon.<br />
Eine Krankenschwester kam immer mal wieder ins<br />
Zimmer, um nach Lucie zu schauen. Das Zimmer war<br />
hell, hatte zwei große Fenster, von denen man in einen<br />
prachtvollen Garten schauen konnte, schneeweiß gestrichen,<br />
mit einem weißen Bett aus Metall, neben dem eine<br />
kleine Wiege mit einem Baldachin stand, für das Baby.<br />
An der Wand gegenüber dem Bett hing ein großes,<br />
vielfarbiges Bild, ein Original von einem jungen Künstler<br />
aus Paris.. Es gefiel mir auf Anhieb.<br />
Lucie ging es mittlerweile schon besser, die Schmerzen<br />
kamen nicht mehr so oft, sie fühlte sich in der Klinik<br />
auch sicher. „Ich geh´mich schnell umziehen, dann bin<br />
ich sofort wieder bei dir“, sagte ich Lucie. „Du bist hier<br />
in besten Händen, und schau mal wie ich aussehe, heute<br />
ist ein Festtag, ich zieh meinen Anzug an“ und nahm<br />
ein Taxi nach Hause. Ich duschte schnell, und zog mich<br />
an. Ich hatte mir in Casablanca einen dunklen Anzug<br />
von Cerutti zugelegt. Selbst für einen solchen Anzug bezahlte<br />
man in Marokko einen moderaten Preis.<br />
Zum ersten Mal in meinem bewussten Leben zog ich<br />
auch noch eine Krawatte an, bei der Weihnachtsfeier<br />
hatte ich dies noch abgelehnt, obwohl es die Gelegenheit<br />
gewesen wäre, und Lucie versucht hatte mich dahin<br />
zu bewegen, aber ich wollte, wie immer, Halsfreiheit..<br />
346<br />
Aber dieser Silvestertag sollte Krawattisch gefeiert werden.<br />
Ich zog den Knoten jedoch nicht hoch, hatte es<br />
versucht, fühlte mich aber zu eingeengt. Hauptsache ich<br />
hatte so ein Ding unter dem Kragen meines blitzweißen<br />
Hemdes unter der Anzugjacke.<br />
Ein kurzer Blick in den Spiegel, Mann sah ich gut aus,<br />
und ab zum Taxi, zurück in die Klinik. Es war später<br />
Nachmittag, und die Schmerzen bei Lucie kamen in immer<br />
kürzeren Abständen. Ich hielt ihr die Hand, und<br />
versuchte sie zu trösten, meine in dieser Situation dummen<br />
Sprüche halfen nichts. Ich rief die Krankenschwester,<br />
die sagte, das seien die ersten Wehen, „wenn der<br />
Herr Doktor gesagt hätte es wäre noch nicht soweit,<br />
dann werde das wohl stimmen“, gab sie zur Antwort. Sicher<br />
wollte sie ihren Chef am Silvesterabend nicht mehr<br />
stören. Ich fragte nach Schmerzmitteln, aber die Schwester<br />
konnte Lucie in dieser Situation keine geben.<br />
Gegen 20 Uhr wurden die Schmerzen so stark, dass ich<br />
darauf bestand den Doktor zu rufen, irgendetwas konnte<br />
da nicht mit rechten Dingen zugehen.<br />
Dr. Burou kam um 21.15 Uhr, in Smoking und Fliege,
er hatte sich schon für die Silvesternacht zurechtgemacht.<br />
„Da schau´n wir doch ´mal“, sagte er geduldig,<br />
und die Schwester fuhr Lucie in einen Entbindungsraum.<br />
„Das Baby ist wohl ungeduldig“, sagte Dr. Burou,<br />
als er aus dem Raum herauskam, vor dem ich saß. Er zog<br />
sich die Smokingjacke aus, einen weißen Kittel an,<br />
„dann holen wir das Kind doch noch in diesem Jahr auf<br />
die Welt“, erklärte er mir lächelnd, klopfte mir auf die<br />
Schulter, und verschwand im Entbindungszimmer.<br />
Ich saß genau vor dem Raum, und hörte Lucie laut<br />
schreien: „ arrete, arrete, arrete“, schreie sie sicher eine<br />
halbe Stunde lang. „Hör auf, hör auf, hör auf“. Mir lief<br />
der kalte Schweiß über´s Gesicht in meinen Krawatten-<br />
347<br />
hals, sie tat mir so leid, ich kannte sie so nicht, sie schien<br />
unter entsetzlichen Schmerzen zu leiden.<br />
Ab genau 22 Uhr hörte ich keine Schreie mehr, Dr. Burou<br />
trat aus dem Raum, „herzlichen Glückwunsch<br />
Monsieur, sie haben ein strammes Mädchen, völlig gesund<br />
und normal, sie können ihre Frau jetzt sehen, auch<br />
der geht´s gut. Guten Rutsch ins neue Jahr“ wünschte er<br />
mir noch, zog den Arztkittel aus, die Smokingjacke an,<br />
und verschwand in die Silvesternacht.<br />
Leise ging ich in das Entbindungszimmer, dort lag sie<br />
dann, mit einem kleinen Knäuel auf der Brust, völlig<br />
verschwitzt, aber lächelnd. „Wir haben ein Mädchen“,<br />
sagte sie erfreut, und ich küsste sie herzlich. Ich sah mir<br />
das kleine Wesen genauer an, nackt in ein Laken gewikkelt,<br />
und freute mich riesig. Der Hippie hatte ein Kind<br />
gezeugt, und Lucie hatte es zur Welt gebracht, ich konnte<br />
es noch kaum fassen.<br />
Ich blieb eine Stunde mit Lucie und Fleure, unserer Blume,<br />
wie wir sie nennen wollten, diesen Namen hatte ich<br />
ausgesucht, ich fand der klang sehr schön, und schon<br />
während der Schwangerschaft, wenn ich an das Baby<br />
dachte, sprühten bei mir die buntesten Funken. Es war<br />
kein Allerweltsname. Lucie erklärte sich mit dem Namen<br />
voll einverstanden, „wie kommst du nur auf so einen<br />
schönen Namen“, fragte sie, ich konnte nur die Schultern<br />
heben, und nichtswissend dreinschauen. „Ich muss<br />
jetzt schlafen, die Nachtschwestern sind hier, und es ist<br />
alles in Ordnung, du kannst jetzt mit deinen Freunden<br />
feiern gehen“, bestimmte Lucie. Mit einem Kuss auf die<br />
beiden verabschiedete ich mich, ich konnte den Klinikgeruch<br />
nur schwer ertragen..<br />
Meine Freunde warteten schon vor dem Roi da la Biere,<br />
der Club würde in dieser Nacht eh voll, und es spielte<br />
keine Rolle wer Platten auflegte.„Wo bleibst du denn,<br />
348<br />
wir warten schon eine viertel Stunde auf dich, um elf<br />
waren wir verabredet. „Ich musste noch schnell ein Kind<br />
kriegen“, sagte ich lachend, „Lucie hat eben ein Mädchen<br />
zur Welt gebracht“. Die Jung´s schrieen vor Freude,
und alle umarmten und beglückwünschten mich.<br />
„Mein Mädchen wird Fleure heißen“, sagte ich stolz,<br />
noch aufgeregt. „Jetzt wird aber richtig gefeiert“, beschloss<br />
die Clique. Wir gingen auf den Platz am Ende des<br />
Boulevards Mohamed 5, plötzlich stoppte jeder Verkehr<br />
und es begann ein ohrenbetäubendes Hupkonzert. Ich<br />
wunderte mich sehr, was war hier los? „Frohes neues<br />
Jahr“ riefen Alle, es war genau Mitternacht, das neue Jahr<br />
hatte begonnen. Wenn es so werden sollte wie das Alte,<br />
konnte ich vollauf zufrieden sein. Wir tanzten auf der<br />
Strasse auf Arabisch, die Arme weit ausgebreitet, drehten<br />
uns um uns selbst. Irgendein Autofahrer hatte die Musik<br />
laut aufgedreht, und die Türe geöffnet, arabische Musik<br />
klang über den Platz. Wir nahmen ein großes Taxi, und<br />
fuhren zum Strand in die Clubs.<br />
Diese Nacht sollte unvergesslich für mich sein, die<br />
Freunde feierten das neue Jahr, und meine nun richtige<br />
Familie auf´s Feinste. Es gab nur Filet von allen erdenklichen<br />
Tieren zu essen, der Champagner floss in Strömen,<br />
der Schit qualmte öffentlich und überall, wir hatten<br />
ja einen hochrangigen Beschützer bei uns. Bis ich<br />
irgendwann bei Sonnenaufgang nach Hause kroch.<br />
„Ich muss früh zu Lucie, ich kann sie nicht so lange alleine<br />
lassen“, verabschiedete ich mich, alle zeigten Verständnis<br />
und feierten ohne mich weiter.<br />
Gegen neun Uhr am 1. Januar 1969 machte ich mich<br />
noch leicht müde auf den Weg zurück in die Klinik. Ich<br />
kam an einem offenen Geschäft vorbei, ein kleiner marrokanischer<br />
Markt, wo man so ziemlich alles kaufen<br />
konnte und der das gesamte Jahr über täglich geöffnet<br />
349<br />
war. In einer Ecke sah ich ein kleines Püppchen, ein Baby<br />
auf einem blauen Kissen mit gekreuzten Beinen und<br />
dem Daumen im Mund. Das Teil war aus Gummi, und<br />
wenn man es drückte, kam ein Piepston hervor. Ich<br />
kaufte dieses Gummibaby für ca. eine Mark, mein erstes<br />
Spielzeug für mein Blümchen. Und ich kaufte Menthol-<br />
Kaugummi für Lucie.<br />
Als ich in das Krankenzimmer trat, legte Lucie einen<br />
Finger auf den Mund, mir anzeigend, dass Fleure schlief.<br />
Sie lag friedlich in der Wiege, die nun direkt neben Lucie<br />
´s Bett stand. Ich küsste meine Frau, das Baby, und<br />
gratulierte ihr erstmalig. „Hast du toll hingekriegt, du<br />
wusstest ja dass ich ein Mädchen wollte“, sagte ich ihr<br />
hocherfreut. Als sie das Spielzeug sah lachte sie, „das ist<br />
süß, aber das Kind kann doch noch lange nicht damit<br />
spielen“, erklärte sie mir.<br />
„Ich wollte dem Kind nur etwas mitbringen“, sagte ich<br />
unschuldig. „Und wo sind meine Blumen“, beschwerte<br />
sich Lucie, lächelte mich aber an. „Hab ich natürlich<br />
vergessen, sorry, morgen bringe ich dir einen ganzen<br />
Garten“, versprach ich ihr. „Aber deine geliebten Kaugummi<br />
hab´ich dir mitgebracht, und zog den Streifen
aus der Tasche. Fleure wurde wach und fing gleich an zu<br />
schreien. „Die hat sicher Hunger“, sagte Lucie, „gib sie<br />
mir ´mal“. Ganz vorsichtig versuchte ich das kleine Bündel<br />
Mensch aus der Wiege zu nehmen, „Pass auf das<br />
Köpfchen auf, musst du festhalten“, warnte mich Lucie,<br />
als sie sah wie ungeschickt ich mich anstellte. Ich schaffte<br />
es aber das Kind aus der Wiege zu nehmen, und Lucie<br />
zu übereichen.<br />
Ich sah zum ersten Mal wie ein Baby gestillt wurde. Gestillt,<br />
ein wahrhaft passender Ausdruck für Mutterbrusternährung,<br />
eine geniale Wortfindung, denn als Lucie es<br />
später von der Brust nahm war Fleure still und einge-<br />
350<br />
schlafen. Ich legte sie zurück in die Wiege und deckte sie<br />
ganz zärtlich zu.<br />
„Ich hab dich gestern schreien gehört, war es sehr<br />
schmerzhaft“, fragte ich dummerweise. „Nein, so<br />
schlimm war es auch wieder nicht, es ging ja alles ziemlich<br />
schnell“, antwortete sie mir.<br />
„Wie soll denn nun alles weitergehen, wir sind nicht<br />
mehr alleine, jetzt haben wir ein Kind, und müssen Pläne<br />
machen“, begann ich ein serieuses Gespräch. „Erst<br />
´mal bleibt alles beim Alten, wir müssen nur schnell ein<br />
Bettchen und Kleidung besorgen“, erklärte Lucie, „ uns<br />
geht´s doch gut hier“. Ich war mir da nicht so sicher,<br />
plötzlich zu dritt, mit einem winzigen Baby, ich konnte<br />
mir noch keine Zukunft in Casablanca vorstellen, obwohl<br />
eigentlich alles gut war.<br />
Ich hatte Freunde, einen gut dotierten Job, aber viele<br />
Weiber am Hals. Ich hätte Großzuhälter werden können<br />
und reich, auch mit Lucie als meiner Frau, die Mädels<br />
akzeptierten sie, hatte jedoch keinerlei Ambitionen einen<br />
solchen „Beruf“ zu ergreifen. Außerdem hätte Lucie<br />
solche Tätigkeiten nie akzeptiert, sie hätte mich sicher<br />
verlassen. „Wir lassen erst´mal alles wie es ist, ich<br />
kümmere mich um die kleine Fleure, du gehst weiter<br />
Geld verdienen“, sagte Lucie bestimmt, ich hatte nichts<br />
zu entgegnen.<br />
Ich verbrachte den gesamten 1. Januartag mit den Beiden<br />
in der Klinik, um neun musste ich zur Arbeit. Dort<br />
waren alle versammelt, und ließen mich erneut hochleben.<br />
Kefir steckte mir ein hartes kleines Paket zu, „das ist<br />
für dich, hab ich von einem Onkel, der im Rif Gebirge<br />
als Bauer lebt, geschenkt bekommen.“ Als ich es in der<br />
Garderobe öffnete hielt ich 100 Gramm bestes Haschisch<br />
in Händen. Mein Stock war auf fast ein Kilo angewachsen.<br />
Ich selbst rauchte schon viel weniger, mor-<br />
351<br />
gens auf dem Klo, weil´s meine Verdauung auf´s beste<br />
förderte, und abends vor der Arbeit, weil´s meine Fantasie<br />
beflügelte.<br />
Lucie war mit dem Baby nach Hause zurückgekehrt,<br />
meine Freunde hatten uns Babywäsche im Überfluss geschenkt,
und ein tragbares Kinderbettchen. Ich brauchte<br />
nicht ´mal Windeln zu kaufen, sie hatten wirklich an Alles<br />
gedacht. Wir luden Alle in unsere Wohnung ein, damit<br />
sie das Kind zu sehen bekamen, und tranken zwei<br />
mitgebrachte Flaschen Veuve Clicot, „die Witwe“ wie<br />
wir den guten Champagner zu nennen pflegten, rauchten<br />
ein paar Pfeifchen weit weg vom Schlafzimmer, wir<br />
wollten schließlich das Baby nicht high machen.<br />
Die Bordsteinschwalben ließen mich nun weitgehend in<br />
Ruhe, als sie erfuhren, dass ich jetzt Familienvater war.<br />
Nur zwei besonders schöne, gutausehende und sehr freigiebige<br />
Frauen hielt ich in meiner Nähe, Salome hatte<br />
mir zu Weihnachten heimlich eine pur goldene Uhr geschenkt.<br />
Als Lucie fragte, wo ich die herhätte, sagte ich<br />
es sei Hehlerware, und ich habe sie für kleines Geld erstanden.<br />
Oft musste ich lügen dass sich die Balken bogen,<br />
glücklicherweise schaute Lucie dann nicht hoch an<br />
die Decke. Die Uhr verkaufte ich später in Europa, eine<br />
goldene Uhr passte irgendwie nicht zu mir.<br />
Unser Leben hatte sich kaum verändert, außer dass wir<br />
nun ein Baby bei uns hatten, um das sich Lucie rührend<br />
und intensiv bemühte. Es schrie nur wenn es Hunger<br />
hatte, ansonsten war Fleure ein sehr ruhiges Kind. Wenn<br />
sie dann doch ´mal aus irgendeinem Grund zu schreien<br />
begann, hatten wir eine wunderbare Methode gefunden,<br />
sie zu beruhigen.<br />
Wir stellten unser Radio neben das Bettchen, drehten<br />
einen arabischen Sender ein, und sobald die orientalische<br />
Musik begann, wurde Fleure automatisch still, sie<br />
352<br />
schien diese Musik zu lieben, sie war vollkommen beruhigt.<br />
Wir konnten das Kinderbettchen auch als Tragetasche<br />
benutzen, wir gingen oft zu dritt am Strand spazieren,<br />
setzten uns in Cafés, und tranken gesunden<br />
Pfefferminztee.<br />
Meine Gedanken spielten ziemlich verrückt, ich hatte<br />
nun Verantwortung für zwei Frauen, konnte mich mit<br />
einer Dauerhaften Bleibe in Marokko nicht so recht anfreunden,<br />
wie auch immer ich es drehte.<br />
Irgendwann im Februar führte ich erneut ein Gespräch<br />
mit Lucie, und teilte ihr meine Gedanken und Zweifel<br />
mit. Sie überlegte nicht lange, und sagte: „Das musst du<br />
entscheiden, ich bin mit Allem einverstanden. Wenn du<br />
glaubst wir seien hier nicht optimal untergebracht, dann<br />
fahren wir zurück nach Europa, egal wohin, du sagst wo<br />
es lang geht“.<br />
Und ich entschied. Ich meldete mich bei Abou Said ab,<br />
berichtete ihm von meinen Bedenken , nun als Vater in<br />
der Fremde, obwohl es eigentlich keine mehr war, zu leben,<br />
dass ich Sicherheit nur in Deutschland würde finden<br />
können. Meine Nachricht machte ihn traurig, „dir<br />
geht´s doch blendend hier, und mein Laden lief noch nie<br />
so gut wie mit dir als Disc-Jockey“, versuchte er mich zu
überzeugen. „Du weist, wir sind alle immer für dich da“,<br />
ergänzte er deutlich, wobei er mir fest in die Augen sah.<br />
„Es hat keinen Sinn, mit dem Kind dabei finde ich keine<br />
wirkliche Ruhe mehr, ich flieg nach Deutschland,<br />
und schaue wie es mir dort ergeht, vielleicht kehre ich<br />
ja zurück. Außerdem habe ich Ali gut angelernt, er<br />
macht einen guten Job, mit dem geht dein Geschäft weiterhin<br />
gut“, erklärte ich Abou Said.<br />
„Du musst es wissen, wir werden dich sehr vermissen“,<br />
sagte er mit traurigem Unterton, so hatte ich ihn noch<br />
nie sprechen gehört, er war eigentlich ein harter Typ.<br />
353<br />
Ali war ein junger Marokkaner, den ich lieb gewonnen<br />
hatte, er interessierte sich für meine Musik, und stand<br />
fast jeden Abend neben mir an der Discothek, beobachtete<br />
was ich tat. Manchmal ließ ich ihn alleine Musik<br />
machen, und setzte mich zu Gästen, er machte seine Sache<br />
gut, er war der Einzige, der auch meine Platten anrühren<br />
durfte.<br />
Als alle meine Freunde im Laden versammelt waren,<br />
teilte ich ihnen meinen Entschluss nach Deutschaland zu<br />
gehen mit, sie zeigten sich enttäuscht und traurig, akzeptierten<br />
mein Vorhaben aber schnell. „Ein Mann muss tun<br />
was ein Mann tun muss“, sagte Abdullah, „ich werde<br />
deine Gesellschaft sehr vermissen“. Auch die anderen<br />
zeigten Enttäuschung, aber auch Mitgefühl, und hofften,<br />
dass ich zurückkehren würde. „Dann machen wir alle<br />
noch ´ne große Abschiedsfeier, Lucie ist mit dabei“, sagte<br />
Abou Said, „meine Frau wird auf euer Kind aufpassen,<br />
wir haben drei wie du weist“.<br />
Einige Tage später kam Abdullah unangemeldet zu uns<br />
nach Hause mit einem Paket unter dem Arm. „Hier<br />
hab´ich noch ´was für dich, wird dir sicher helfen, in<br />
deiner Heimat einen Start zu ermöglichen“. Er öffnete<br />
das Paket, und heraus fielen viele Platten Haschisch. „Es<br />
sind genau vier Kilo, hab´ich aus der Asservatenkammer<br />
mitgehen lassen, merkt kein Mensch, da liegen hunderte<br />
Kilo herum“, sagte Abdullah lachend. „Am Flughafen<br />
hier in Casablanca wirst du keinen Schwierigkeiten bekommen,<br />
du teilst mir deine Abflugszeit mit, ich sorge<br />
für den Rest“, bot er mir erneute Hilfe an. „Dann bist<br />
dann bist du auf dich alleine gestellt, ich wünsche dir viel<br />
Glück, auch mit deiner Familie, hoffentlich kehrst du<br />
zurück“, sagte er noch, und verabschiedete sich endgültig.<br />
Ich hatte seine Telefonnummer. Abdullah war ein<br />
besonderer Freund, er hatte sich stets um mich bemüht,<br />
354<br />
sehr genau auf meine Sicherheit geachtet, was ich nicht<br />
als Selbstverständlichkeit sehen konnte.<br />
Lucie rief in der französischen Gesandtschaft an, bedankte<br />
sich nochmals bei dem Diplomaten für die Kostenübernahme<br />
des Klinikaufenthalts, der Tagessatz lag<br />
hoch und Lucie hatte immerhin vier Tage dort verbracht.
Dann berichtete sie von unseren Plänen zurück<br />
nach Europa zu gehen. „Die Reisekosten übernehmen<br />
wir, teilen sie uns mit wann und wohin sie fliegen wollen,<br />
dann werden die Flugtickets für sie am Flugschalter<br />
bereit liegen“, versprach der Konsulatsbeamte.<br />
Als Lucie mir dies mit erfreutem Gefühl mitteilte dachte<br />
ich hier sei das Paradies, war mir immer weniger sicher,<br />
ob wir wirklich gehen sollten. So viele gutmeinende<br />
Freunde und Bekannte zu haben war nicht überall so,<br />
ob wir eine derartige Situation jemals wieder antreffen<br />
würden?<br />
Mein Entschluss stand fest, wir sollten nach Deutschland.<br />
Zu diesem Zweck telefonierte ich das erste Mal<br />
nach ca. drei Jahren mit meinem Vater, und erklärte ihm<br />
die Situation. „Ich hab jetzt Frau und Kind, jetzt könnte<br />
ich ´mal einen Rat von dir gebrauchen“, sagte ich<br />
ihm. „Wo bist du denn überhaupt“, fragte er zunächst,<br />
und ich sagte in Casablanca. „Wo ist das denn“, fragte er<br />
erneut. „In Marokko, Vater, das ist in Nord Afrika“. Zunächst<br />
hörte ich für einen längeren Augenblick nichts<br />
mehr, bis er sagte: „Dann komm halt erst ´mal nach<br />
Hause“.<br />
355<br />
Kapitel 42<br />
Als wir dann mit einem großen Taxi zum Flughafen aufbrachen,<br />
den roten Riesenkoffer voll gepackt, unser<br />
Bündel Fleure in dem tragbaren an zwei Henkeln zu<br />
transportierenden Kinderbettchen, dessen Matratze zwischen<br />
der Grasfüllung mit den 5 Kilo Shit gefüllt war,<br />
schauten wir noch einmal wehmütig zurück in die<br />
Stadt, in der es uns so gut gegangen war. „Das war´s<br />
dann wohl, good bye Casablanca, welcome in Germany“,<br />
sagte ich zum Abschied.<br />
Wahrhaftig, als wir den Flugschalter der Lufthansa erreichten,<br />
lagen dort drei Tickets erster Klasse nach Düsseldorf.<br />
Die Franzosen hatten sich nicht lumpen lassen.<br />
Unser Flug ging zunächst bis Malaga in Spanien. Die<br />
Zöllner schauten immer nur auf das Baby, das Lucie in<br />
der Tragetasche trug, und freuten sich stets über das süße<br />
Kind. Hätten sie geahnt, auf was Fleure schlief, wäre<br />
die Reise schnell beendet gewesen.<br />
Von dort ging es weiter bis Brüssel, von da sollten wir<br />
Düsseldorf erreichen. Wir waren die wohlige Wärme aus<br />
Marokko gewohnt, und waren nichts ahnend leicht bekleidet.<br />
Es war fast Ende Februar, und wir kamen in die<br />
Eiseskälte Deutschlands. Eigentlich sollten wir in Düsseldorf<br />
landen, wo mein Vater uns erwartete. Dort war<br />
die Landebahn derart vereist, dass der Flug nach Köln<br />
umgeleitet wurde.<br />
Man hatte die in Düsseldorf wartenden Angehörigen der<br />
Fluggäste der Maschine aus Brüssel wohl informiert,<br />
denn mein Vater stand in Köln bereit. Auch hier waren<br />
die Zollbeamten entzückt über den Blick auf unser
Kind, winkten uns schnell durch. Fleure hatte während<br />
des gesamten Fluges geschlafen, bis auf eine Brüstliche<br />
356<br />
Nahrungsaufnahme zwischen Malaga und Brüssel.<br />
Das Dope war ohne jede Schwierigkeit mit uns in<br />
Deutschland gelandet.<br />
Mein Vater schaute recht erstaunt als er uns kommen sah,<br />
mich im Cerutti Anzug, das Hemd offen, mit dem roten<br />
Koffer in der Hand, dann meine wunderschöne Lucie<br />
mit Lucie. „Na da seid ihr ja“, sagte er zur Begrüßung,<br />
ich konnte leichte Freude bei ihm entdecken. „Und du<br />
bist also Lucie“, begrüßte er auch meine Frau, und<br />
schaute gespannt in das Kinderbettchen. „Ist die aber<br />
süß“, sagte er ehrlich, er liebte Kinder über alles. „Dann<br />
woll´n wir ´mal nach Hause fahren“. Nach „Hause“,<br />
dachte ich nur, und schon an das Schreckgespenst von<br />
Stiefmutter, das uns dort erwartete.<br />
Sie tat sehr freundlich als wir ankamen. „Ich hab´euch<br />
schon ein Zimmer vorbereitet, es ist alles für euch geregelt“,<br />
sagte sie mit einem bösen Blick auf mich, der mir<br />
nicht entgangen war.<br />
Wir legten unser schlafendes Kind in das Zimmer, und<br />
begaben uns ins Wohnzimmer, wo auch mein Lieblingsonkel<br />
Konny, aus der Familie meines Vaters auf dem Sofa<br />
saß. „Tach Jung, du Weltenbummler“, begrüßte er<br />
mich freundlich lächelnd, und umarmte mich. „Hast du<br />
aber eine schöne Frau mitgebracht, sie ist aus Paris wie<br />
ich gehört habe, solche Frauen gibt´s bei uns nicht, sonst<br />
hätte ich mir auch so eine ausgesucht“, scherzte er.<br />
Die Alte hatte für uns gekocht, „sicher habt ihr doch<br />
lange nichts gutes mehr zu essen bekommen“, sagte sie.<br />
Wenn die wüsste. „Wir haben gespeist wie die Könige“,<br />
antwortete ich sarkastisch. Sie setze uns Schweinebraten<br />
mit ihrer bis zu einem Liter verlängerten Soße vor, mit<br />
Kartoffeln und Mischgemüse. Sie hatte noch immer<br />
nicht kochen gelernt. Die Soße schmeckte nach Nichts,<br />
das Fleisch war verkocht, die Kartoffeln ungenießbar.<br />
357<br />
Aber ich machte gute Miene zum geschmacklosen Spiel,<br />
und aß ein wenig. „Wir haben im Flugzeug gut gegessen“,<br />
sagte ich, „ich hab´ kaum noch Hunger“, und ließ<br />
die Hälfte stehen. Lucie hatte sich nicht viel aufgelegt,<br />
und aß alles brav auf.<br />
„Ich muss dringend ein Telefonat führen“, sagte ich zu<br />
meinem Vater, „es dauert nicht lange, und ich bezahle es<br />
dir natürlich“, sagte ich meinem Vater, und zog eine<br />
Rolle Hundert Dollar Noten aus der Hosentasche, die<br />
ich in Casablanca auf dem Schwarzmarkt eingetauscht<br />
hatte. Er staunte nicht schlecht als er das Geld sah, die<br />
Hexe warf einen giereigenen Blick darauf. „Respekt“,<br />
sagte Onkel Konny nur. „Ich habe auch noch genügend<br />
Geld auf einer französischen Bank in Casablanca, das mir<br />
überwiesen wird, wenn ich hier ein Konto eröffnet habe“,
eruhigte ich meinen Vater, der sicher glaubte, dass<br />
wir erstmal auf ihn angewiesen sein würden.<br />
Ich wählte Abdullah´s Nummer in Casablanca, und teilte<br />
ihm mit, dass wir zu Hause seien, alles gut gelaufen sei.<br />
„Ich habe den ganzen Tag zu Allah gebetet, um euren<br />
Schutz gefleht, er hat meine Gebete sicher erhört“, sagte<br />
Abdullah am anderen Ende der Leitung. „Jetzt hab´ich<br />
Ruhe, ich wünsche euch viel Glück in Deutschland,<br />
kommt bald wieder zurück“, fügte er hinzu, und beendete<br />
das Gespräch. „Du sprichst aber gut französisch“,<br />
bemerkte mein Onkel. „Das ist mittlerweile fast meine<br />
Muttersprache“, antwortete ich. Lucie verstand von allem<br />
kein Wort, sie war zum ersten Mal in Deutschland.<br />
Sie schaute sich nur in dem recht bürgerlich primitiv<br />
eingerichteten Wohnzimmer um.<br />
Oben im ersten Stock hörten wir dann Fleure schreien,<br />
und Lucie rannte sofort die Treppe hoch. Sie stille das<br />
Kind und brachte es danach mit hinunter ins Wohnzimmer.<br />
„Ist das Baby süß“, schleimte Anna, mein Onkel<br />
358<br />
und mein Vater waren echt begeistert von dem Kind.<br />
Lucie behielt es in ihren Armen, setzte sich in einen Sessel.<br />
„Da gibt´s doch so´n Zeug in Marokko, das man rauchen<br />
kann, und von dem man wie besoffen wird“, begann<br />
Onkel Konny ein neues Gespräch, „das würde ich<br />
sicher auch ´mal probieren“.<br />
Ich begab mich in das für uns hergerichtete Zimmer,<br />
griff ins Bettchen unseres Babys, riss die Matratze an einer<br />
Ecke auf, und brach ein Stück Haschisch von einer<br />
der vielen Platten ab.<br />
Als ich wieder hinunter ins Wohnzimmer kam, warf ich<br />
das nicht kleine Stück Dope auf den Tisch, „na dann<br />
probier´´mal“, forderte ich den Onkel auf. „Bist du verrückt<br />
geworden, solches Zeug in meinem Haus, steck<br />
das bloß schnell wieder weg“, sagte mein Vater erschrokken,<br />
auch Onkel Konny traute sich nicht wirklich das<br />
Hasch zu probieren. Also ließ ich es sofort in meiner<br />
Hosentasche verschwinden. Hätten die gewusst, wie viel<br />
ich von dem „Zeug“ mitgebracht hatte, währe ihre<br />
Nachtruhe zum Teufel gewesen. Ich sagte natürlich keinen<br />
Ton.<br />
Lucie schüttelte lächelnd den Kopf, „wie konntest du<br />
nur“, sagte sie, keiner im Raum verstand ein Wort von<br />
ihr. Meine heißgeliebte Fleure schaute hellwach staunend<br />
durch die Räumlichkeit.<br />
„ Fleure-Elektra, was ist das eigentlich für ein Namen<br />
für das Kind“, fragte die Alte, und ich antwortete ihr, dass<br />
dieses Baby eine elektrisch geladene Blume sei, und von<br />
Außenstehenden nicht berührt werden dürfe, außer Lucie<br />
oder ich würden es nachdrücklich erlauben, und den<br />
in ihr fließenden positiven, aber starken Strom abschalten.<br />
Das hatte gesessen. Ich konnte das Weib einfach<br />
nicht leiden, schon mit ihr in einem Raum sitzen zu
359<br />
müssen war mir zuwieder. Sie hat unser Baby nie angerührt.<br />
Wir waren schon fast eine Woche im Haus meines Vaters,<br />
zwischendurch hatten wir kurz meine Mutter und<br />
die Oma besucht, die völlig aus dem Häuschen und sehr<br />
erfreut über das Baby waren, aber die Stimmung im<br />
Haus meines Vaters war geladen.<br />
Ich wollte so schnell als möglich raus aus dieser Situation,<br />
und hatte die Möglichkeiten in der Hosentasche<br />
und der Matratze des Kinderbettchens.<br />
Also schob ich mir 300 Gramm Haschisch unter die<br />
Achselhöhle, packte zwei sehr schön gearbeitete marokkanische<br />
Krummdolche, die ich schon vor längerer Zeit<br />
in der Medina von Casablanca erstanden hatte, in eine<br />
Zeitung, und machte mich auf den Weg zur Autobahnauffahrt<br />
nach Düsseldorf, um dorthin zu trampen. Lucie<br />
musste ich alleine mit Fleure zurücklassen, sie kam aber<br />
mit ihrem toleranten Lebensgefühl gut mit allen aus, ich<br />
brauchte mich nicht zu sorgen.<br />
360<br />
Kapitel 43<br />
In Düsseldorf hatte ich einen Bekannten, den ich in Paris<br />
kennen gelernt hatte, und der eine Disco, „Le Pirat“<br />
in der Nordrheinwestfälischen Hauptstadt besaß.<br />
Schon mehr als zwanzig Minuten stand ich an der Autobahnauffahrt,<br />
keiner nahm mich mit. Plötzlich hielt<br />
ein kleiner VW Käfer an, der, wie ich erschrocken feststellen<br />
musste, grün- weiß gestrichen war, solche Autos<br />
kannte ich nur zu gut, es war die Polizei. Ich dachte nur,<br />
`schon ist alles vorbei, bevor es begonnen hat`, und<br />
presste meinen linken Arm stärker an meinen Körper,<br />
das Hasch festklemmend. Wäre ich doch nur mit einem<br />
Taxi gefahren, Geld hatte ich genügend, jedoch ich<br />
wollte sparen.<br />
„Na wo wollen wir denn hin“, fragte mich der ausgestiegene<br />
Polizist recht freundlich. „Ich will nach Düsseldorf,<br />
Freunde besuchen“, antwortete ich. „Und was haben<br />
wir da in der Zeitung“, fragte der Beamte weiter, ich<br />
zeigte ihm die Dolche. „Die will ich in Düsseldorf verkaufen,<br />
hab´ich aus Marokko mitgebracht“, erklärte ich<br />
unschuldig. Die dicke Haschplatte unter meinem Arm<br />
begann förmlich zu glühen, war für die Polizisten jedoch<br />
nicht sichtbar. „Dann zeigen sie mal ihren Ausweis“, befahl<br />
der Polizist, „und steigen sie bitte in den Wagen“. Er<br />
hielt mir die Beifahrertüre auf, klappte den Vordersitz<br />
vor, und ich zwängte mich auf den Rücksitz.<br />
Per Funk gaben die Beamten meine Daten durch ans<br />
Polizeirevier, man wollte wissen, ob etwas gegen mich<br />
vorlag. „Negativ“ hörte ich aus dem Lautsprecher, und<br />
der Polizist gab mir den Ausweis zurück. Er stieg aus, ließ<br />
auch mich aussteigen, und sagte: „ Dann noch gute<br />
Fahrt, und viel Glück in Düsseldorf“. Und weg waren<br />
361
die Bullen.<br />
Ich konnte es kaum fassen, ich hatte noch stets das Dope<br />
unter der Achselhöhle, die Dolche waren mir zurückgegeben<br />
worden, und ich war frei. So viel Glück, das war<br />
die Hilfe Allahs, der hatte nichts gegen Haschisch.<br />
In Düsseldorf angekommen fand ich schnell das „le Pirat“,<br />
der Laden war proppevoll, es war Karnevallszeit. Ich<br />
drängelte mich durch die Menge bis an eine Theke, und<br />
sah Piere, meinen Bekannten aus Paris hektisch Bier<br />
zapfen. „Hallo Piere“, begrüßte ich ihn, „Hey Eric, wo<br />
kommst du denn her“, fragte er mich. „Aus Marokko“,<br />
antwortete ich vielsagend, „bin gleich bei dir, stell dich<br />
an die Ecke der Theke, ich habe nachher eine Pause“,<br />
bedeutete er mir.<br />
Ich brauchte nicht lange zu warten, schon war Piere an<br />
meiner Seite. „Sag bloß du hast ´was mitgebracht“, fragte<br />
er aufgeregt. „Natürlich, nur vom Feinsten, und nicht<br />
zu knapp“, antwortete ich. „Komm mit ins Büro, ich hab<br />
mir ein wenig Zeit genommen, aber nicht zuviel, du<br />
siehst ja was hier los ist“. Als er die Platte sah fielen ihm<br />
fast die Augen aus dem Kopf, „das sind doch sicher 200<br />
Gramm“, sagte er. „Dreihundert“, antwortete ich, „und<br />
das ist Zero Zero, das beste Material auf dem Marokkanischen<br />
Markt“. „Wie viel willst du dafür haben“, fragte<br />
er sofort, und ich nannte meinen Preis. „Ist aber teuer“,<br />
kritisierte Piere, worauf ich die Platte wegstecken<br />
wollte. „Nein warte, ich nehme dir das ab“. „Ich kann<br />
dir jetzt 500 Mark geben, den Rest bekommst du in einer<br />
halben Stunde“, sagte er. Ich hatte 1000 Mark verlangt,<br />
das war billig für diese Qualität in Deutschland.<br />
Ich machte es auch nur, weil es mein erster Deal, und<br />
Piere sympathisch war.<br />
Für mich war es immerhin hundert Prozent Gewinn.<br />
Ich begab mich zurück in die Menge, hatte noch ein<br />
362<br />
dickes Stück Hasch für meinen Gebrauch in der Tasche,<br />
und nahm einen Drink. Die Musik war grauenhaft, Karnevallslieder,<br />
die immer die primitivsten Töne und Texte<br />
hatten, ich fühlte mich absolut unwohl.<br />
Plötzlich griff eine Hand aus der Masse an der Theke<br />
nach mir, ich nahm die Hand in meine, und wurde in<br />
Richtung Theke gezogen. Ich stand vor einer sehr schönen<br />
Frau, blond, chic gekleidet, die mich fragte; „ Wer<br />
bist du denn, ich hab dich hier noch nie gesehen“. Sie<br />
musste schreien ob der lauten Musik, damit ich sie verstand.<br />
„Eric heiße ich, bin auch zum ersten Mal hier“,<br />
entgegnete ich. „Gut siehst du aus, du gefällst mir,<br />
komm, wir trinken ´was zusammen“, bot sie an. Da sie<br />
außergewöhnlich gut aussah folgte ich ihrem Wunsch<br />
mit Vergnügen, so konnte ich mir die Zeit vertreiben, bis<br />
Piere mit dem restlichen Geld kam. Ich sah ihn nirgendwo,<br />
er war unterwegs. Lange konnte es nicht dauern, er<br />
wurde hinter dem Zapfhahn gebraucht.
Ihr Name war Victoria, und schon bald fing sie an mir<br />
herumzufummeln, legte ihren Arm um meinen Hals<br />
und küsste mich. Sie roch nach Alkohol, und hatte sicher<br />
schon einen sitzen. Ich ließ es geschehen, hatte schließlich<br />
schon immer gerne schöne Frauen geküsst, und Lucie<br />
für den Moment aus meinem Hirn gebannt.<br />
Schon kam Piere zu uns, und drückte mir fünf Hundertmarkscheine<br />
in die Hand. „Alles klar, ist Superdope“,<br />
sagte er mit dem bekannten bekifften Lächeln im Gesicht.<br />
„Davon wollen wir mehr“.<br />
Victoria hatte wohl genug getrunken, und auch die Nase<br />
voll von der schrecklichen Musik. „Ich komme aus<br />
Dortmund, möchtest du mit mir kommen“, fragte sie<br />
mich, und da es schon sehr spät war, und ich keine Gelegenheit<br />
hatte, zurück zu meines Vaters Haus zu kommen,<br />
und sicher auch aus sehr nahe stehenden Gründen,<br />
363<br />
willigte ich in das Angebot ein. Dass Victoria blau war<br />
störte mich wenig, man merkte es ihr kaum an.<br />
Wir verbrachten die Nacht in einem Dortmunder Nobelhotel,<br />
Victoria war die Tochter eines Zahnarztes, hatte<br />
Geld, ich ließ sie bezahlen, schließlich hatte sie mich<br />
in die Herberge geschafft, mein Geld blieb unangetastet<br />
in meiner Tasche. Ich und mein Körper nicht, die Frau<br />
entwickelte Energien, es war kaum zu glauben. Müde<br />
und erschöpft schlief ich ein, als ich aufwachte, war sie<br />
zum Glück verschwunden, ich wollte sie auch nicht unbedingt<br />
wieder sehen, hatte ein schlechtes Gewissen Lucie<br />
gegenüber. Drückte ich aber schnell weg, und ging<br />
gemütlich frühstücken.<br />
Dann machte ich mich auf, Dortmund ein wenig zu erkunden,<br />
ich war noch nie vorher in dieser Stadt.<br />
Ich fand ein Café, das „Roma“, ein italienisches Bistrot,<br />
das von jungen Leuten besetzt war, und aus dem mir angenehme<br />
Musik erklang. Die Leute stellten sich als Studenten<br />
heraus, viele von der Uni Bochum, einige, langhaarigere<br />
besuchten die Werkkunstschule in Dortmund.<br />
Ich stellte mich einfach bei einer Gruppe mir symphatisch<br />
vorkommender Leute vor, und lernte Atze, Krabbel<br />
und Egon kennen, eine verschworene Gemeinschaft von<br />
Kunststudenten.<br />
Als ich erzählte, woher ich vor einer Woche gekommen<br />
war, kam die obligatorische Frage: „Hast du ´was mitgebracht“?<br />
„Aber ja“, antwortete ich, und legte ein Stück<br />
meines Privatvorats auf den Tisch. „Das ist ja Spitzendope“,<br />
sagte er gleich mit Kennerblick, und fragte, ob er eine<br />
Tüte drehen dürfe. „Dafür liegt das Zeug ja hier“,<br />
antwortete ich, und Atze klebte drei Zigarettenpapierblättchen<br />
zusammen, füllte Tabak darauf, machte das Dope<br />
heiß, „das riecht ja tierisch gut“, war sofort sein<br />
Kommentar, als ihm der süße Duft des warmen zum<br />
364<br />
krümeln gebrachte Dope in die Nase stieg, und verteilte
ein wenig davon auf den Tabak. „Mach mehr ´rein“,<br />
forderte ich ihn auf, er war sehr sparsam gewesen. Also<br />
machte er das Stück noch mal heiß, brach mehr davon<br />
ab, so dass der Joint gut gefüllt war. Ich hatte in Marokko<br />
nur Pfeife pur geraucht, mit Tabak gemischt kannte<br />
ich das nur aus vergangenen Zeiten.<br />
Der Joint wurde angezündet, und ich wunderte mich,<br />
dass die Jungs das hier so öffentlich tätigten. „Das geht in<br />
Dortmund ganz locker ab“, sagte Egon, „ wir rauchen<br />
überall, und in den Kneipen, in denen wir verkehren,<br />
riecht es immer nach Dope, die Joints sind oft so dick<br />
wie Cohiba Zigarren aus Kuba“. Das war mir natürlich<br />
sehr recht, so konnte ich locker mit meinem gebunkerten<br />
Hasch umgehen.<br />
Ich beschloss schnell, hier her zu ziehen, eine Wohnung<br />
zu finden. Die Stadt gefiel mir. „So breit war ich schon<br />
lange nicht mehr, das Dope ist ja super“, lallte Krabbel<br />
unter seiner runden Nickelbrille und den krolligen Haaren.<br />
Er hatte bisher am wenigsten gesprochen. Auch die<br />
anderen beiden ließen sich wohlig zurück in die Sitze<br />
fallen, und lächelten nur noch.<br />
„Hast du noch mehr davon“, fragten sie mich, worauf<br />
ich mit einer positiven Antwort aufwarten konnte.<br />
„Dann kannst du hier in Dortmund richtig Kohle machen,<br />
Kundschaft für diese Qualität gibt´s hier zu<br />
Hauff“.<br />
„Könnt ihr mir helfen eine Wohnung zu finden“, fragte<br />
ich die Runde, „natürlich, wir machen uns gleich auf die<br />
Suche, wird überhaupt kein Problem“. „Ich habe aber<br />
auch noch eine französische Frau und ein Baby“, fügte<br />
ich hinzu. „Französische Frau ist immer gut, und Kinder<br />
lieben wir auch“, betonte Atze sofort.<br />
365<br />
Ich machte mich zurück auf den Weg zum Haus meines<br />
Vaters, und berichtete, dass wir nun nach Dortmund ziehen<br />
würden, ich habe dort sehr schnell Freunde gefunden,<br />
die uns helfen wollten, eine Wohnung zu finden.<br />
„Dortmund“, fragte mein Vater zweifelnd, „ was wollt<br />
ihr denn da“. „Ein neues Leben in Deutschland beginnen“,<br />
antwortete ich, Lucie war glücklich über die<br />
Nachricht, und umarmte mich. „Endlich raus hier“, sagte<br />
sie erleichtert, „ ich halte das hier nicht mehr aus, es<br />
ist so duster hier, und die Stimmung gefällt mir gar nicht<br />
mehr, ich bekam den Eindruck, als sei ich nicht besonders<br />
willkommen bei der Frau deines Vaters. Er war immer<br />
freundlich zu mir“.<br />
Ich nahm zunächst Fleure aus dem Bettchen, ganz vorsichtig,<br />
sie strahlte mich an, als ob sie mich erkannte, was<br />
ich mir nicht vorstellen konnte, war aber sehr glücklich,<br />
unser Baby endlich wieder im Arm haben zu können.<br />
Sie war einfach süß, ich liebte sie mehr und mehr, hätte<br />
mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen können.<br />
Lucie beobachtete, wie ich mich um das Kind bemühte,
und lächelte, sie schien auch wieder glücklich zu sein,<br />
dass ich zurückgekehrt war. Ich erzählte ihr von der Aktion<br />
mit der Polizei bei meiner Abfahrt, sie erschrak<br />
fürchterlich. „Da wäre ich dich ja fast losgeworden, was<br />
hätte ich alleine gemacht“. „Ist ja alles gut gegangen, Allah<br />
ist uns bis hierher gefolgt, und gibt auf uns Acht, sorg<br />
dich nicht“. Auch erzählte ich ihr, dass das Geschäft mit<br />
unserer Wahre gut angelaufen sei, und zeigte ihr die 10<br />
Hundertmarkscheine. „Wo hast du denn das viele Geld<br />
her“, fragte mein Vater, der das mitgekriegt hatte, ich sagte,<br />
ich habe einige Dollar gewechselt.<br />
Nach zwei Tagen rief Atze an, „wir haben eine Wohnung<br />
für euch gefunden, nichts besonderes, zwei Zimmer,<br />
kleine Küche, leider kein Bad, aber sehr günstig, wir<br />
366<br />
können dir später etwas besseres finden, komm erstmal<br />
her, wir haben dir ein Bett, ein Kinderbett, eine Garderobenstange,<br />
und Geschirr in die Bleibe geschafft, es<br />
wird dir an nichts fehlen“.<br />
Ich war mit allem einverstanden, nur weg aus der Hölle.<br />
Ich verabschiedete mich vom Vater, er war richtig besorgt<br />
um uns, die Alte von ihm bekam keinen Blick zum<br />
Abschied, nur Lucie gab ihr die Hand und bedankte sich<br />
für die Gastfreundschaft, die sie erleben durfte.<br />
Wir fuhren mit der Bahn, ich hatte Atze angerufen, und<br />
uns angemeldet. Als wir in Dortmund aus dem Zug stiegen,<br />
ich mit dem roten Riesenkoffer, den ich noch stets<br />
mit bösen Blicken bedachte, und Lucie mit unserer<br />
Fleure im Tragebettchen, standen Atze, Krabbel und<br />
Egon am Bahnsteig, und begrüßte uns freudig. „Hast du<br />
dir aber ´ne tolle Frau von deiner Reise mitgebracht“,<br />
sagte Egon, mit Blick auf Lucie, „so was fehlt uns hier in<br />
der Stadt“. Krabbel nahm mir den Koffer ab, und<br />
schleppte ihn bis zu einem Kombiauto, das vor dem<br />
Bahnhof im Halteverbot geparkt stand.<br />
Schnell waren wir alle im Wagen verstaut, und wir fuhren<br />
in den Dortmunder Norden, dem Arbeiterviertel der<br />
Stadt.<br />
In der Kleinen Freudstraße hielten die Jungs vor einem<br />
alten Haus. „Wir sind da, hier könnt ihr erstmal wohnen“,<br />
sagte Atze, und öffnete eine beschmierte Haustüre.<br />
Wir wohnten im Erdgeschoß, als wir die Wohnung betraten,<br />
waren wir geschockt, kleine Räume, eine winzige<br />
Küche, alte Tapete an den Wänden, so was waren wir<br />
nicht gewöhnt, wir hatten uns an einen gewissen Komfort<br />
gewöhnt. Und kein Bad, wir musste heißes Wasser<br />
kochen, und uns in der Küche waschen. Die Freunde<br />
bemerkten unsere Abneigung. „Wir finden bald etwas<br />
367<br />
anderes für euch, jetzt seid ihr erstmal hier, die Werkkunstschule<br />
ist 30 Schritte entfernt“, und er zeigte sie<br />
mir bei einem Blick aus einem Fenster.<br />
Lucie schaute ziemlich traurig drein, als sie die fast leere
Wohnung betrachtete, sagte aber schnell, dass wir uns<br />
schon einrichten würden können.<br />
Wir waren in der Arbeiterstadt Dortmund angekommen,<br />
ich war froh weit weg von Familie und Anna zu<br />
sein, gab mich schnell zufrieden mit dem was ich hier<br />
sah. Ich hatte schon anders gehaust, unter freiem Himmel,<br />
ohne Dach über dem Kopf. Und das für lange Zeit,<br />
obwohl diese Situationen lange her und weit, weit weg<br />
waren. Wir hatten mittlerweile in Palästen gewohnt, und<br />
waren nun hart auf den Boden der Tatsachen gezogen<br />
worden.<br />
Wir richteten uns so gut es ging in der neuen Wohnung<br />
ein, das Bett bestand aus sechs Matratzen, die auf einem<br />
Holzgerüst lagen, und so ein Doppelbett bildeten. Bettwäsche,<br />
Handtücher, und Küchengeschirr hatten die<br />
Kunststudenten irgendwo zusammengesammelt, es war<br />
rührend zu merken, dass man hier wirklich versuchte<br />
uns ein Leben zu ermöglichen. Wir waren ja nur mit<br />
Kleidung und Kind hier eingetroffen, mussten bei Null<br />
anfangen. Glücklicherweise waren wir nicht arm, und<br />
wussten nach einer kurzen Beratung, dass wir hier nicht<br />
alt zu werden brauchten. Das Geld aus Casablanca war<br />
auch schon eingetroffen, wir hatten gute Barschaft, und<br />
4,7 kg Haschisch.<br />
Abends zeigten mir die Jungs die Brutstätten des Anarchismus,<br />
die Münsterstraße mit ihren vielen Kneipen<br />
und Geschäften. Hier lebten viele Italiener und Türken,<br />
die wir uns für niedrige Arbeiten ins Land geholt hatten.<br />
Aber auch die Dortmunder Arbeiterschaft war hier zu<br />
Hause, alle Fußballfans des Borussia Dortmund Bundes-<br />
368<br />
ligaclubs, der hoch an der Spitze der Liga stand.<br />
Eine Kneipe hieß „Oma Plüsch“, dort standen viele junge<br />
Leute vor der Türe, und harte Rockmusik klang aus<br />
der Gaststätte. „Hier ist deine Kundschaft“, sagte Atze lachend,<br />
er meinte alle kifften hier. Schon am Eingang<br />
roch ich den Duft von Grass und Haschisch, etwas anders<br />
als meines, aber direkt sympathisch.<br />
Ich hatte natürlich eine dicke Platte Hasch in der Tasche,<br />
Atze kam mit zwei Unbekannten, stellte mich vor, und<br />
sagte, dass die Beiden eine größere Menge Dope kaufen<br />
wollten. Sie kämen aus Lünen, und verteilten dort den<br />
Stoff in kleinen Portionen an Interessenten. Und es<br />
schien Viele zu geben, denn sie wollten 500 Gramm<br />
kaufen. 200 g. hatte ich bei, nannte ihnen einen Preis.<br />
„Das ist aber teuer“, regten sie sich auf. „Dann probiert<br />
erst mal“, sagte ich, und gab ihnen ein kleines Stück<br />
Schit. Auch Atze gab ich ein gutes Stück, damit er endlich<br />
etwas rauchen konnte, er wartete schon ungeduldig.<br />
Er ging in´s Oma Plüsch, setzte sich an die Theke, und<br />
begann auf dem Tresen ohne Hemmungen einen dicken<br />
Joint aus fünf Zigarettenblättchen zu drehen. Der Wirt<br />
schaute nicht hin, es saßen noch mehr Leute in der gemütlichen
Kneipe, und rauchten Hasch. Mir kam es so<br />
vor, als sei das hier legal, und freute mich.<br />
Die zwei Typen aus Lünen kamen wieder auf mich zu,<br />
„das ist ja Spitze, so was haben wir noch nie geraucht“,<br />
sagten sie völlig high, „wir kaufen das Zeug“. „dann<br />
muss ich noch mal schnell weg, ich hab nicht genug bei,<br />
bin aber in zwanzig Minuten zurück“. „O.K. wir warten“.<br />
Als ich in die erbärmliche Wohnung kam, stillte Lucie<br />
gerade unser süßes Baby, und lächelte zufrieden. „Ich<br />
hab schon Kunden, gleich komm ich mit viel Geld zurück“,<br />
sagte ich ihr freudig. „Pass bloß auf, hoffentlich<br />
369<br />
erwischt man dich nicht“, wandte Lucie sorgenvoll ein.<br />
„Keine Sorge, das geht hier alles cool ab, alle Leute hier<br />
kiffen wie die Weltmeister, offen und ohne Stress, mach<br />
dir keine Sorgen“, beruhigte ich sie. Ich ging an mein<br />
Versteck, nahm noch´mal 400 Gramm Dope an mich,<br />
ich hatte nun 600 Gramm unter der Lederjacke. Das Taxi<br />
wartete vor der Türe, und ich fuhr zurück in die Kneipe.<br />
Die Lünener warteten schon auf mich, sie kamen<br />
gleich auf das Taxi zugelaufen. „Locker Jungs, geht aufs<br />
Klo vom Plüsch, ich komme sofort“. Ich ging langsam<br />
auf die Kneipe zu, musste mich durch eine Menge Leute<br />
vor der Türe schieben, von denen mich viele erstaunt<br />
anschauten, ein Neuer in Dortmund.<br />
Auf der Toilette warteten die Kunden schon ungeduldig<br />
auf mich, „zeigt ´mal das Geld“, verlangte ich, und sie<br />
zählten mir 2.000Mark in die Hand. Ich verkaufte das<br />
Dope für vier Mark das Gramm, ein guter Preis für meine<br />
Qualität, den ich bald erhöhen wollte, nachdem ich<br />
die Preise für schlechtes Material von anderen Dealern<br />
mitbekommen hatte. Die Jungs freuten sich über das halbe<br />
Kilo gutes Hasch, „können wir in den nächsten Tagen<br />
mehr kaufen“, fragten sie, und ich antwortete: „<br />
Wenn ich dann noch ´was habe, kein Problem, ihr findet<br />
mich hier“, und verabschiedete mich. Meine Dealerkarriere<br />
machte sehr einträgliche Fortschritte.<br />
Ich ging in die Kneipe, Egon war mittlerweile auch eingetroffen,<br />
er saß bekifft und zufrieden lächelnd mit Atze<br />
an der Theke. „Ich hab noch hundert Gramm“, sagte ich<br />
zu Atze und Egon,<br />
„meint ihr die werde ich noch los“? „Aber ohne Probleme,<br />
ich hab den Joint schon kreisen lassen, schau dir die<br />
Leute an, so´was haben die hier noch nie geraucht“, bekam<br />
ich zur Antwort.<br />
Es hatte sich herumgesprochen, dass der fremde Typ mit<br />
370<br />
der braunen Lederjacke gutes Dope bei sich hatte, und<br />
die Leute kamen in Trauben auf mich zu. „Kann ich ´nen<br />
Zehner haben“, fragte ein großer junger Mann. „ Sammle<br />
Geld von deinen Freunden, dann komm zurück, du<br />
bekommst 10 Gramm für ´nen Fuffziger“, sagte ich. „Das<br />
ist das Minimum, das ich verkaufe, ich kann keine einzelnen
Grämmer abwiegen, will ich auch nicht. Und wenn<br />
du noch mehr Kundschaft siehst, sag das bitte weiter“. Im<br />
Nu hatte ich den Rest meines Vorrats verkauft, behielt jedoch<br />
ein Stück für mich, weil ich noch in der Kneipe<br />
bleiben wollte, etwas rauchen, und Musik hören.<br />
„Danke Jungs“, sagte ich zu Egon und Atze, ihr habt mir<br />
wirklich sehr geholfen“. „Selbstverständlichkeit, wer uns<br />
so optimal füttert bekommt unsere geballte Energie“,<br />
lachte er.<br />
Ich legte ihm noch die Hälfte meines Stückes auf die<br />
Theke, „für euch, aber bitte dreht noch ´nen Dicken“.<br />
Und dann setzte ich mich völlig bekifft in eine Ecke der<br />
Kneipe auf einen Stuhl, ließ die Umgebung und die Musik<br />
auf mich einwirken. Es gefiel mir hier ausgesprochen<br />
gut, und hatte die Tasche voller Geld.<br />
Mit geschlossenen Augen saß ich sicher eine halbe Stunde<br />
in meiner Ecke, lauschte der wirklich fantastischen<br />
Rockmusik, fühlte mich richtig gut, als ein Mädel auf<br />
mich zukam, und mich aus meine Träumen riss. „Hast du<br />
noch ´was“, fragte mich eine dunkelhaarige Schönheit.<br />
„Aber sicher, setz dich zu mir“. Meine zweite Begegnung<br />
mit der Dortmunder Weiblichkeit. `Schöne Frauen hier`,<br />
dachte ich bei mir, und ließ meiner Phantasie freien Lauf.<br />
„Drehst du einen“, fragte ich das Mädel, und legte mein<br />
letztes Dope zu ihr auf den Tisch. Sie setzte sich hin. „Ich<br />
bin Monika“, stellte sie sich vor, ich nannte ihr meinen<br />
Namen. In dieser Stadt schien es von gut aussehenden<br />
Frauen zu wimmeln, hier jedenfalls hatte ich schon Viele<br />
371<br />
entdeckt.<br />
Schnell kam wieder der geile Bastard in mir hoch, der<br />
Gangster of Love. Aber ich konnte mir nicht helfen, die<br />
Frauen reizten mich einfach, der kleine Freund in meiner<br />
Hose meldete sich deutlich. Ich landete mit Monika<br />
in einem billigen Hotel, direkt gegenüber vom Oma<br />
Plüsch. Nach zwei Stunden standen wir wieder auf der<br />
Straße, die Menschen vor der Kneipe hatten sich verzogen,<br />
ich machte mich auf den Weg nach Hause.<br />
Der Zustand in der kleinen Wohnung ohne Bad wurde<br />
schnell unerträglich. Mittlerweile hatte ich mehr Leute<br />
näher kennen gelernt, als ich erfuhr, dass in der Uhlandstraße<br />
eine Wohnung frei werden sollte. Sofort machte<br />
ich mich auf, diese zu besichtigen, sie lag zwar in der 4.<br />
Etage, hatte auch nur zwei Zimmer, aber ein geräumiges<br />
Bad.<br />
Wir zogen in die Wohnung ein, sie kostete nicht viel<br />
Miete, so konnten wir weiterhin sparen, für eine optimalere<br />
Wohnung in kommender Zeit. Lucie war sehr froh<br />
über den Wohnungswechsel, die vier Etagen schienen Ihr<br />
nichts auszumachen. Wir hatten nun auch einen Kinderwagen,<br />
so konnten wir mir Fleure, die sich prächtig entwickelte,<br />
durch die Stadt spazieren. Sie war zwar einigermaassen<br />
schmutzig von den vielen Kohleschloten
außerhalb Dortmunds, wir gewöhnten uns aber daran.<br />
Wir waren halt in einer Schwerindustriestadt. Die<br />
freundliche Dortmunder Bevölkerung entschädigte uns<br />
für alle Nachteile, die diese Stadt zu haben schien.<br />
Meine Geschäfte entwickelten sich prächtig, schon bald<br />
hatte ich den größten Teil des Dopes verkauft. Die Nachfrage<br />
war groß, selbst die Dortmunder Dealer kauften<br />
mein Hasch für ihren Eigenbedarf, sie verkauften zumeist<br />
gestrecktes Material.<br />
372<br />
Kapitel 44<br />
Eines Abends, ich hatte gerade zehn Gramm Dope von<br />
einem Türken gekauft, der mir versicherte, es sei sehr<br />
gut, hatte es in die hintere Tasche meiner Jeans gesteckt,<br />
es war eine kleine sehr dünn gepresste Platte, lichtete<br />
sich der Pulk von Käufern um mich herum, und ich war<br />
von korrekt gekleideten ältern Herrn umzingelt. Ich<br />
wurde verhaftet.<br />
„Sie verkaufen hier Drogen“, sagte einer der Beamten, „<br />
wir beobachten sie jetzt schon eine Weile“. „Ich verschenke<br />
das Hasch, habe es von einer Reise mitgebracht“,<br />
log ich. Die Bullen lachten nur, „dann wollen<br />
wir ´mal zu ihnen nach Hause fahren, und sehen, was da<br />
noch so alles zu finden ist“, forderten sie mich auf. Sie<br />
stopften mich in einen Zivilwagen, zwei andere folgten<br />
uns, wir fuhren in die Uhlandstrasse. Sie trappelten mit<br />
mir die vier Etagen hoch, ich dachte nur `die arme Lucie,<br />
sie wird einen gehörigen Schreck bekommen`.<br />
Und so war´s dann auch. Die Bullen klingelten an der<br />
Wohnungstüre, Lucie öffnete nichts ahnend, Fleure auf<br />
dem Arm, und erschrak fürchterlich, als die acht Polizisten<br />
anfingen, die Wohnung zu durchsuchen. „Sorg dich<br />
nicht“, sagte ich auf französisch, „ das kommt schon in<br />
Ordnung, ich hab ja nicht mehr viel, mehr können sie<br />
mir nicht nachweisen“, versuchte ich sie<br />
Zu beruhigen. „Hier wird deutsch gesprochen“, rief einer<br />
der Bullen, „geht nicht“, antwortete ich,<br />
„meine Frau spricht leider kein deutsch“.<br />
Auf einer Fensterbank fanden sie den Rest des von mir<br />
mitgebrachten Schits, der Beamte hob es hocherfreut<br />
hoch, „ hier Leute, ich hab´was gefunden, das ist Haschisch“.<br />
„Na und „, sagte ich in die Runde, „ das ist für<br />
373<br />
mich, ich rauche halt“. „Ist aber leider verboten in<br />
Deutschland“, triumphierte der Bulle, er schien der<br />
Chef zu sein, Parschau hieß der alt Knabe. „Wo ist der<br />
Rest, machen wir es uns doch nicht so schwer“, versuchte<br />
er in leisem Ton mich zu provozieren. „Es gibt<br />
nicht mehr, ich sagte doch das ist für mich“, antwortete<br />
ich unschuldig.<br />
Sie untersuchten weiter die Wohnung, dann mich, und<br />
fanden die kleine Platte in meiner Hosentasche. „Und<br />
was ist das“, fragte einer, „für mich, ich wollte ´mal ´was
anderes probieren“.<br />
Nachdem sie ärgerlicherweise kein weiteres Haschisch<br />
fanden, machten sie sich frustriert mit mir auf die Wache.<br />
„ Bin gleich wieder da“, sagte ich noch zu Lucie,<br />
die ängstlich in einer Ecke stand, und Fleure fest an sich<br />
drückte. „Bitte komm bald zurück, alleine komm ich<br />
hier nicht zurecht, ich brauche dich, ich liebe dich“, rief<br />
sie mir nach.<br />
Auf der Wache angekommen wurde ich verhört, man<br />
fragte wo ich das ganze Hasch her hätte, das ich in den<br />
letzten Wochen verkauft hatte, ich antwortete, dass ich<br />
nichts verkauft hätte, Basta. „Aber sie haben doch immer<br />
dicke Joints geraucht im Oma Plüsch, das haben wir genau<br />
gesehen“. „Sicher, gebe ich zu, aber ich habe nichts<br />
verkauft“. Sie konnten mir nichts nachweisen, kassierten<br />
das Dope, und mussten mich laufen lassen, es war zu wenig<br />
für einen Haftbefehl. „Wir sehen uns vor Gericht“,<br />
riefen sie mir wütend nach, als ich schmunzelnd aus dem<br />
Polizeirevier verschwand.<br />
„Ich werde nicht mehr auf der Straße verkaufen“, versprach<br />
ich Lucie, als ich zurück zu ihr kam. Sie war überglücklich<br />
mich zu sehen, hatte sich mächtig geängstigt.<br />
Am nächsten Abend ging ich wieder ins Oma Plüsch,<br />
die Freunde waren froh mich zu sehen,<br />
374<br />
„ wir dachten schon du kommst nicht mehr da raus“,<br />
sagte Waldi, ein anderer Kleindealer aus Dortmund, mit<br />
dem ich mich angefreundet hatte. Er verkaufte gutes türkisches<br />
Dope. „Ich brauche Nachschub und Verkäufer“,<br />
sagte ich ihm. „Kein Problem, ich mache dich mit meinem<br />
Türken bekannt, das Kilo besten Stoffs für 1.200<br />
Mark“, sagte er mir. „Korrekter Preis, wenn´s wirklich<br />
Harz ist, kaufe ich drei“, entgegnete ich.<br />
Wir fuhren tief in das Nordviertel, in einem fast Abbruchreifen<br />
Haus klingelte Waldi an einer Wohnungstüre,<br />
eine Frau mit Kopftuch öffnete die Türe. „Hallo Ali“,<br />
begrüßte Waldi einen älteren Mann mit riesigem grauem<br />
Schnauzbart. „Hi Waldi, wer ist das“, er schaute mich<br />
misstrauisch an. „Das ist Eric, ein Freund, er braucht drei<br />
Kilo“, sagte Waldi. „Kein Bulle“, fragte der Türke noch<br />
immer misstrauisch. „Nein, nein, mach dir keine Sorgen“.<br />
Die Frau hatte drei kleine Gläser und ein Kännchen<br />
Tee hereingebracht. Sie servierte uns das Getränk,<br />
holte noch Zucker, und verschwand schnell in der Küche,<br />
wie in Casablanca bei meinem Dealer, nur dass sie<br />
nicht verschleiert war. „Dann rauchen wir erst ´mal eine<br />
Pfeife“, sagte der Türke, und packte ein kleines Stück<br />
braunes Hasch, dünn, vielleicht 2 Millimeter stark gepresst<br />
aus der Tasche, und eine Pfeife unter dem kleinen<br />
Tisch hervor. Er erwärmte das Stück, bröselte etwas in<br />
die Pfeife, und gab sie zuerst mir. Ich zündete sie an, zog<br />
zweimal kräftig, es roch sehr gut, und schmeckte fast wie<br />
das, was ich mitgebracht hatte. Dann ging die Pfeife
´rum, nach ca. zwei Minuten hatten ich das Gefühl, im<br />
nächsten Augenblick von dem Lederkissen zu fallen, auf<br />
dem ich saß. Das Dope war erste Sahne, ich war high<br />
wie ein Flieger nach Amerika.<br />
Waldi lachte, „na, hab ich dir zuviel versprochen“, fragte<br />
er. „Nein, das Zeug kaufe ich sofort, aber nicht zu<br />
375<br />
dem Preis“, sagte ich entschlossen. „1.300 Mark, sagte<br />
der Türke“, ich lachte, „900 Mark gebe ich dir“, antwortete<br />
ich. „Auf keinen Fall, ich muss mindestens 1.200<br />
haben, handelte Ali. „Wir einigen uns auf 1.000“, das ist<br />
ein guter Preis, gab ich zurück. „1100, das ist mein letztes<br />
Wort“, meinte Ali, 1050, und ich kaufe drei Kilo“, gab<br />
ich zurück. Er reichte mir die Hand, „du bist ein Schlitzohr,<br />
wo hast du das gelernt“, fragte Ali, „ im Orient“,<br />
antwortete ich lächelnd. Wir waren uns einig geworden,<br />
das Dope war gut, ich konnte locker 5- bis- 600 Mark<br />
pro 100 Gramm erzielen, weniger wollte ich nicht mehr<br />
verkaufen, ich wollte von nun an vorsichtiger sein.<br />
„Morgen früh 11 Uhr hole ich den Stoff ab, und bringe<br />
das Geld“, einigte ich mich mit Ali, und wir verabschiedeten<br />
uns. „Ich hab´ bisher immer 1.200 Mark gelöhnt“,<br />
sagte Waldi beim Hinausgehen, „du bist echt ein guter<br />
Händler“, bemerkte er respektvoll.<br />
„Du wirst Pulver bekommen, weist du wie man das<br />
presst“, fragte Waldi. „Keine Ahnung, ich hab´ noch nie<br />
Pulver gekauft“, gab ich zurück. „Ich zeig´s dir das morgen“,<br />
und wir spazierten zurück ins Oma Plüsch. Die<br />
Bude war voll, die Musik sehr gut, die Joints kreisten, ich<br />
fühlte mich wohl, hatte auch mein Kapital wieder gut<br />
eingeplant.<br />
Wir wollten aus der Wohnung in der Uhlandstrasse heraus,<br />
sie war zu klein, und zu hoch, außerdem brauchte<br />
ich unbedingt ein Telefon. Lucie meinte zwar es sei o k,<br />
billig, und die Treppen machen ihr nichts aus. Ich hatte<br />
meine eigenen Vorstellungen.<br />
Am darauf folgenden Tag holte ich den dicken Beutel<br />
mit dem Haschpulver, das Ali vor meinen Augen genau<br />
abgewogen hatte. Ich zahlte den Preis, „du kannst jederzeit<br />
wiederkommen“, freute sich Ali, und ich sagte ihm,<br />
dass ich dann aber maximal 1000 Mark zahlen wollte, Ali<br />
376<br />
nickte mit dem Kopf und schmunzelte.<br />
Als ich nach Hause kam, war Waldi schon eingetroffen,<br />
und unterhielt sich mit Lucie auf Englisch. „Dann<br />
woll´n wir ´mal“, sagte Waldi, und zog eine Tageszeitung,<br />
und Zellophanbeutel hervor. „Heiz ´mal ´ne Kochplatte<br />
ein, schön heiß“, forderte er mich auf. Er füllte Pulver in<br />
einen Beutel, verteile es gleichmäßig ca. einen cm dick<br />
in dem Zellophan, wickelte das Ganze in ein Zeitungsblatt,<br />
nässte es ein wenig, und legte alles auf die Kochplatte.<br />
Es roch fürchterlich nach Angekokeltem Papier,<br />
Lucie ging mit Fleure ins Schafzimmer, und schloss die
Türe.<br />
Waldi drehte das Paket öfters herum, bis das Hasch innendrinn<br />
auch heiß war, legte das Paket auf den Boden,<br />
und trat feste mit seinen Schuhen auf das heiße Paket.<br />
Dann wickelte er es auseinander, und hervor kam eine<br />
fein und hart gepresste Platte Hasch, schön in Zellophanpapier<br />
eingepackt. „Super“, sagte ich, „ aber stinkig“,<br />
fügte ich hinzu. „Damit musst du leben, Pulver ist<br />
immer besser als Platten zu kaufen, die könnten gestreckt<br />
sein“. Nach einer Stunde hatten wir das gesamte<br />
Hasch gepresst, zu Ende machten wir dickere Platten, es<br />
war zuviel Arbeit, sie alle dünn zu machen. Wenn sie<br />
dünn waren, konnten die Kleindealer mehr Geld herausschlagen,<br />
denn ein Gramm sah nach viel aus, da ich aber<br />
nur größere Mengen verkaufen wollte, war mir das egal.<br />
Die Haschplatten waren Steinhart, ein gutes Zeichen für<br />
gutes Türkendope, pures Harz, das sich bei Erwärmung<br />
und pressen in hartes Material verwandelte, dass man<br />
zum rauchen dann wieder heiss machen musste.<br />
Ich nahm am Abend nur ein kleines Stück Hasch mit ins<br />
Plüsch, der Rest war im dunklen Keller gut versteckt.<br />
Wenn jemand etwas wollte, ließ ich ihn probieren,<br />
machte einen Platz für die Übergabe mit ihm oder ihr<br />
377<br />
aus, und holte das Hasch Platte für Platte. Es hatte sich<br />
herumgesprochen, dass ich keine kleinen Stücke mehr<br />
verkaufen konnte, und so sammelten die Leute ihr Geld<br />
zusammen, bis sie eine Platte kaufen konnten. Eine Platte<br />
verkaufte ich für 600 Mark, wenn jemand mehr als<br />
dreihundert Gramm wollte, nahm ich fünf Mark für das<br />
Gramm.<br />
Die Geschäfte liefen gut, manchmal tauchten die Bullen<br />
im Plüsch auf, ich lachte immer nur und grüßte freundlich.<br />
Die wussten genau was ich trieb, konnte mir aber<br />
nicht an die Wäsche, ich war sehr vorsichtig geworden.<br />
In unserem Keller waren Dielenböden, ich hatte unter<br />
zwei Brettern ein Loch gegraben, und den Sack Hasch<br />
dort hineingelegt, Diele drüber, alles sah unschuldig aus.<br />
Die Dielen waren über dem Loch lose, so kam ich leicht<br />
an meine Vorräte.<br />
Lucie sorgte sich um meine Sicherheit, außerdem fühlte<br />
sie sich alleine mit dem Baby nicht wohl. „Ich muss für<br />
Geld sorgen, so ist das nun ´mal“, erklärte ich ihr.<br />
Nach ca. einem halben Jahr eröffnete sie mir so ganz nebenbei<br />
beim Essen, dass sie erneut schwanger sei, es haute<br />
mich fast vom Stuhl. „Noch ein Kind, bist du verrückt“,<br />
sagte ich sauer. Sie fing an zu weinen, ich tröstete<br />
sie schnell, „ist nicht schlimm, noch ein Baby, ich freu<br />
mich drauf, wir werden schon irgendwie klarkommen“,<br />
sagte ich ihr, „außerdem hat Fleure dann einen Spielkameraden“,<br />
fügte ich hinzu. Lucie fiel mir um den Hals,<br />
beruhigt, dass ich das locker weggesteckt hatte.<br />
Ich kümmerte mich nur noch wenig um die Beiden, war
voll auf die Dealerei konzentriert, und jeden Abend außer<br />
Haus. Das Oma Plüsch wurde mein allabendliches<br />
Zuhause, ich saß mit Bekannten an der Theke, trank Tee,<br />
und unterhielt mich mit den Leuten über Drogen und<br />
Politik.<br />
378<br />
Dann fragte ich den Besitzer, Gerd, ob ich ´mal Platen<br />
auflegen dürfe, ich wollte meine Musik spielen, Platten<br />
waren genug vorhanden. Zwei Plattenspieler und ein<br />
Mischpult am Anfang der Theke. „Sicher, wenn du Lust<br />
hast, ich zahl dir aber nichts, bis ich höre, dass du auch<br />
gut bist“, sagte Gerd.<br />
„Klar, ich will auch nichts, nur Musik machen“. Es waren<br />
immer andere DJ´ s hinter der Maschine, und eines<br />
abends durfte ich dann ´ran. Es klappe vorzüglich, ich<br />
legte Rockplatten auf, die Leute freuten sich, und ich<br />
mich erst, endlich konnte ich den ganzen Abend das hören,<br />
was mir gefiel. Gerd war zufrieden, und bot mir 8<br />
Mark die die Stunde. Ich war sofort einverstanden, wir<br />
einigten uns, dass ich an drei Tagen die Woche arbeiten<br />
konnte.<br />
Meine Geschäfte liefen weiter, und ich hatte endlich einen<br />
plausiblen Grund für die Schmiere, im Oma Plüsch<br />
zu sein.<br />
Es war Mode, in den Wohnungen tief am Boden zu sitzen,<br />
die Leute sägten ihre Stuhl- und Tischbeine ab, um<br />
so niedriger zu sitzen. Ich machte die Mode mit, Lucie<br />
freute sich auch, so begann ich zu sägen. Wenn ich dann<br />
´mal ein Bein zu kurz geschnitten hatte, musste ich die<br />
andren auch kürzen, so saßen wir bald ziemlich tief, was<br />
uns aber nichts ausmachte. Es war fast wie in Marokko<br />
auf den Kissen, am Boden essend.<br />
Pitt, ein Fotograf, der sehr gut im Geschäft war, unter<br />
anderem für die Lufthansa arbeitete, hatte mir ein Tonbandgerät<br />
geschenkt. Dies hing ich an vier Fäden an der<br />
Decke auf, dass es frei im Raum schwebte. Ich kam auf<br />
die verrücktesten Ideen. Lucie hatte Spaß daran. Oft<br />
gingen wir jetzt zusammen mit Fleure gemeinsam nachmittags<br />
ein paar Stunden spazieren, eine Freude für Lucie,<br />
die mich kaum noch zu Gesicht bekam. Wenn ich<br />
379<br />
nachts nach Hause kam schlief sie meistens schon tief<br />
und fest.<br />
380<br />
Kapitel 45<br />
Irgendwann tauchte ein junger Mann in meinem Alter<br />
auf, Schallplatten unter dem Arm, „ich bin Jürgen, legst<br />
du von den Platten ´mal welche auf“, stellte er sich vor.<br />
„Klar, ich hör ´mal ´rein“, sagte ich, und merkte schnell,<br />
dass der Junge ´was drauf hatte, die Scheiben stellten sich<br />
als ausnahmslos meinem Geschmack entsprechend heraus.<br />
„Wer bist du, wo kommst du her“, fragte ich den<br />
gutausehenden chic gekleideten Typ, eine Ausnahmeerscheinung
in der Kneipe.<br />
„Eigentlich war ich schon oft hier, ich bin aus Gelsenkirchen,<br />
wohne aber jetzt in Dortmund Scharnhorst“,<br />
erklärte er mir. „Ich bin verheiratet, und habe einen<br />
Sohn von neun Monaten, Roman“, fügte er lächelnd<br />
hinzu. „Ich bin nicht verheiratet, habe aber eine Frau<br />
und eine Tochter von acht einhalb Monaten“, antwortete<br />
ich lachend. Wir gaben uns die Hand. „Rauchst du“,<br />
fragte ich, während ich ihm ein Stück Schit hinschob.<br />
„Ist ja super, klar rauch ich, und das hier sieht richtig gut<br />
aus, danke“, freute sich Jürgen, und drehte einen Joint,<br />
den wir zusammen rauchten.<br />
Ich hatte einen Freund gefunden, der mir in allem ähnlich<br />
war. „Übrigens ist meine Alte wieder schwanger, in<br />
sieben Monaten krieg ich noch ein Kind“, erklärte mir<br />
Jürgen. Ich fiel fast von meinem Barhocker, den ich mir<br />
vor das Mischpult gestellt hatte. „Meine Frau hat mir<br />
auch eben eine weitere Schwangerschaft angemeldet“,<br />
antwortete ich, „ könnte sein dass wir die Kinder zur<br />
gleichen Zeit bekommen werden“. „Das gibt´s doch<br />
nicht“, wunderte sich Jürgen.<br />
Von nun an sahen wir uns täglich, schon bald lud ich ihn<br />
zum Tee ein, und er lernte Lucie und Fleure kennen, die<br />
381<br />
schon über den Boden zu robben begonnen hatte. Lucie<br />
mochte Jürgen sofort, „ihr seid euch wirklich ähnlich“,<br />
sagte sie, „ sicher werdet ihr gute Freunde, ich freu mich<br />
für dich Eric“. „Du musst meine Frau kennen lernen“,<br />
sagte Jürgen auf Englisch zu Lucie, „die spricht gut englisch,<br />
und ist viel alleine mit dem Kind“.<br />
Jürgen war viel auf Achse, er stahl in Geschäften was<br />
nicht Niet und Nagelfest war, wie er mir bald eröffnete.<br />
„Besonders bei Schallplatten bin ich gut“, lachte er, „ ich<br />
habe immer die neuesten Scheiben“. Ein harmloser<br />
Dieb also, kein Einbrecher oder so was, hätte ich mir<br />
auch nicht angetan. Jürgen stellte sich als sehr sympathischer<br />
Junge heraus, geschmackvoll und witzig. Er rauchte<br />
genau so gerne Dope wie ich, er wurde immer von<br />
mir versorgt, er gab mir Schallplatten dafür. Und er<br />
kannte sich gut aus was Musik betraf, ich lernte viel von<br />
ihm.<br />
Meine Geschäfte liefen weiterhin gut, langsam begann<br />
ich andere Dealer zu kennen, die auch an Kiloweise Stoff<br />
interessiert waren. Endlich war ich da, wo ich hinwollte,<br />
die Kleindealerei mit hundert Gramm ging mir auf den<br />
Geist, und ich hatte mit zu vielen Leuten zu tun, jeder<br />
konnte mich in die Pfanne hauen, wenn´s drauf ankam.<br />
Ich verdiente zwar nicht mehr soviel, weil ich natürlich<br />
bei solchen Mengen nur noch einige Hundert Mark pro<br />
Kilo aufschlagen konnte. Aber ich hatte das beste Dope,<br />
und diese Tatsache hatte sich in der Szene herumgesprochen.<br />
Ali lieferte was immer ich benötigte.<br />
Bald machte ich meinen ersten Zehn Kilo Deal, machte
ichtig Asche, und ging mit Jürgens Familie, Lucie und<br />
Fleure gut essen. Wir tranken Champagner, und feierten<br />
das Geschäft.<br />
Edith und Lucie verstanden sich sofort, sie waren beide<br />
überzeugte Mütter, auch Edith kümmerte sich rührend<br />
382<br />
um ihren kleinen Sohn. Tagsüber jedoch ging sie arbeiten,<br />
und ließ Roman bei der Mutter, die nur ein Haus<br />
weiter von ihr wohnte. Sie war auch gewerkschaftlich<br />
engagiert, und wir konnten über Politik sprechen.<br />
Jürgen scherte sich nicht um Politik, er war hinter anderen<br />
Frauen her wie der Teufel, wieder eine Ähnlichkeit<br />
mit mir, denn auch ich hatte wieder begonnen, schöne<br />
Frauen zu lieben, wenn auch meist nur für zwei oder<br />
drei Stunden. Jürgen war nicht anders, seine Frau war zu<br />
Hause, es ging nur um Sex, um Skalps, die wir uns virtuell<br />
an unsere Gürtel hängten. Und war abends ´mal<br />
nur eine Frau zu haben, teilten wir sie uns. Wir waren<br />
beide rechte Sexgangster.<br />
Nun suchte ich ernsthaft eine neue Wohnung, ich wollte<br />
Lucie nicht zumuten, schwanger, und mit Fleure und<br />
Einkäufen am Arm die vielen Treppen zu steigen. Lucie<br />
hatte sich auch Freundinnen gefunden, da war unter anderen<br />
Burga, die sie sehr liebte. Mit Edith traf sie sich<br />
seltener, manchmal am Wochenende, sie arbeitete ja in<br />
einem Büro bei Hoesch, einem Riesenstahlkonzern in<br />
Dortmund. Hauptsache Lucie war nicht länger alleine,<br />
auch begann sie ganz langsam Deutsch zu lernen. Viel<br />
aus dem Fernseher, den ich angeschafft hatte. Auch Burga<br />
half ihr dabei, ich machte mir die Mühe nicht, sprach<br />
weiterhin französisch mit ihr.<br />
Ich hatte die Bullen immer im Kreuz, sie versuchten Alles,<br />
um mir etwas nachzuweisen, was ihnen glücklicherweise<br />
nicht gelang.<br />
Aus Jux fuhren Waldi, Meike, Jürgen und ich nach Brüssel,<br />
um dort Kongo-Grass zu kaufen, das sollte sehr gut<br />
und billig sein. Wir wollten nur hundert Gramm für unseren<br />
Bedarf kaufen, wie gesagt, es war eine reine Vergnügungsreise.<br />
So machten wir uns mit Waldi´s Auto auf nach Brüssel,<br />
383<br />
kauften dort das Grass, schauten uns ein wenig in der<br />
Stadt um, ich nahm keinen Kontakt zu Bekannten auf.<br />
Auf der Rückfahrt pafften wir einen Joint nach dem anderen,<br />
im Auto war eine Rauchwolke von biblischen<br />
Ausmaassen.<br />
Es stank fürchterlich, und so gut war das Zeug gar nicht,<br />
man hatte uns einen Bären aufgebunden.<br />
Als wir zurück an die Deutsche Grenze kamen, hatten<br />
wir vierzig Gramm von dem Grass aufgeraucht, die<br />
Zöllner schauten sehr kritisch, als sie Waldi baten auszusteigen.<br />
Der Qualm zog aus dem Auto, genau in die Nasen<br />
der Zollbeamten. „Bitte steigen sie Alle aus“, forderten<br />
uns die Zöllner auf, und mir wurde flau zumute. Wir
hatten das Grass nicht besonders gut versteckt, die Beamten<br />
fanden es schnell.<br />
Nun waren wir erst einmal festgenommen, die Zöllner<br />
telefonierten hektisch irgendwohin. Nach ca. drei Stunden<br />
stand Kollege Parschau mit seinen Untergebenen<br />
vom Rauschgiftdezernat in Dortmund vor uns. „Na da<br />
haben wir euch ja endlich, Eric und Waldi, euch suchen<br />
wir doch schon lange“, freute sich Parschau, die Hände<br />
reibend. „Na und, wir haben uns nur etwas für uns zum<br />
rauchen geholt, wir dealen nie“, sagte ich deutlich, damit<br />
meine Freunde es auch hören konnten. „Auch das<br />
ist verboten wie ihr wisst, jetzt geht´s in den Knast“.<br />
Und wahrhaftig, die Typen fuhren uns direkt ins Dortmunder<br />
Untersuchungsgefängnis, und die Zellentüren<br />
knallten hinter uns zu. Der Schock meines Lebens, ich<br />
hatte zwar schon Gitter erlebt, aber auf zwei mal vier<br />
Metern Raum zu hocken, war doch eine weitere<br />
schreckliche Erfahrung.<br />
Am nächsten Morgen kamen die Beamten zum Verhör.<br />
Ich sagte nicht mehr, als ich schon am Vorabend gesagt<br />
hatte. „ Ihr wolltet das Zeug doch sicher verkaufen“,<br />
384<br />
sagte Parschau hämisch grinsend. „Nix verkaufen, rauchen“,<br />
antwortete ich, „außerdem hab ich das Zeug<br />
nicht gekauft“. „Na wer denn dann“? „Weis ich nicht,<br />
hab ich nicht mitgekriegt“. Und zurück ging es in die<br />
Zelle.<br />
Eine Woche saß ich jetzt schon in der Kiste, hörte nichts<br />
von Niemand, und beschloss einen Brief an Lucie zu<br />
schreiben. Ich erklärte dass ich zufällig in diese Situation<br />
geraten war, sie sich nicht sorgen sollte, ich käme sicher<br />
bald wieder frei.<br />
Nach vier Tagen kam der Brief zurück, „Adressat unbekannt“.<br />
Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als<br />
ich das las, und bestellte sofort die Bullen, ich hätte etwas<br />
zu sagen. Sie kamen sehr schnell. „Na dann mach<br />
´mal reinen Tisch, Eric, du dealst doch schon seit du in<br />
Dortmund bist, und nicht zu knapp, sag endlich was los<br />
ist, dann wird deine Strafe nicht so streng ausfallen“.<br />
„Ich deale nicht, ich möchte nur wissen, wo meine Frau<br />
abgeblieben ist“. „Die ist ausgewiesen worden, sie war<br />
hier nicht angemeldet, und vielleicht mit in deine Dealereien<br />
verwickelt“. „Nie haben wir gedealt, meine Frau<br />
raucht nicht einmal“, gab ich erschrocken zur Antwort.<br />
Mir stand der kalte Schweiß auf der Stirne. Lucie ausgewiesen,<br />
wie konnte das sein? Ich war ernsthaft gründlich<br />
am Ende. „Deine Freunde haben ausgesagt, dass du<br />
den Stoff gekauft hast, sie sind alle frei“, sagte einer der<br />
anderen Beamten. Ich konnte es kaum fassen, die Typen<br />
hatten mich verraten, sich so freigekauft. „Der Jürgen<br />
Rose hat keine Aussage gemacht, gegen den liegt ja auch<br />
nichts vor, Waldi und du ihr seid die Übeltäter“, sagte<br />
Parschau. „Euch beiden haben wir schon lange im Auge“.
„OK, was geschieht, wenn ich eine Aussage mache“,<br />
fragte ich. „Dann kannst du noch heute gehen“,<br />
bekam ich zur Antwort. „Ich hab das Zeug gekauft“,<br />
385<br />
sagte ich, „aber wirklich nur zum Eigenverbrauch“, fügte<br />
ich hinzu.<br />
„Und was ist mit der Dealerei“, fragte Parschau? „Nix<br />
Dealerei, ich hab nie ´was verkauft, das müssen sie mir<br />
glauben“, log ich.<br />
„Na ja, wir können es dir leider nicht beweisen, aber<br />
wenigstens hast du gestanden, den Stoff in Brüssel gekauft,<br />
und über die Grenze geschmuggelt zu haben, dafür<br />
kriegst du ein Verfahren an den Hals“, resignierte<br />
Parschau. „Du kannst gehen, der Prozess wird später<br />
stattfinden“.<br />
Schnellstens machte ich mich auf den Weg nach Hause,<br />
sah aus wie ein Penner, hatte mich im Knast nie rasiert<br />
und kaum gewaschen, meine Kleidung war verdreckt.<br />
Die Wohnung war leer, Lucie und Fleure waren verschwunden.<br />
Ich konnte es nicht fassen, wusste erstmal<br />
nicht was ich machen sollte. So wie ich entlassen wurde<br />
ging ich ins Oma Plüsch, dort traf ich Waldi und Jürgen.<br />
„Waldi du Sau, hast mich angezinkt“, schrie ich ihn an,<br />
und wollte auf ihn los. „Nein Eric, wir haben gesagt, wir<br />
alle hätten das Grass gekauft, die haben dich verarscht“.<br />
Jürgen bestätigte dies, ihm glaubte ich sofort.<br />
Sie wussten dass Lucie ausgewiesen war, und versuchten<br />
mich zu trösten. „Was mach ich denn jetzt, ich will meine<br />
Frau und das Kind zurück“.<br />
Am nächsten Morgen begab ich mich zur Ausländerpolizei<br />
im Rathaus von Dortmund, „Was ist mit meiner<br />
Frau“, fragte ich. Man schaute mich angeekelt an. „Das<br />
ist nicht ihre Frau, das ist eine Französische Staatsangehörige,<br />
die in Drogensachen verwickelt ist, solche Ausländer<br />
weisen wir aus. Das können sie vergessen, die ist<br />
für immer aus Deutschland ausgewiesen“. „Aber sie hat<br />
doch nichts mit Drogen zu tun, ich habe gekifft, sie niemals“.<br />
„Ausgewiesen, da können wir nichts mehr ma-<br />
386<br />
chen“ sagte einer der Beamten. „Wer ist ihr Vorgesetzter“,<br />
fragte ich sofort. „Der Stadtdirektor, aber der kann<br />
ihnen auch nicht helfen“. „werden wir sehen“, und raus<br />
war ich aus der Türe, auf der Suche nach dem Büro des<br />
Stadtdirektors.<br />
Den hatte ich schnell gefunden, wurde aber abgewiesen.<br />
„Das ist alleine Sache der Ausländerbehörde, wir können<br />
ihnen nicht helfen“, wurde mir mitgeteilt.<br />
`Jetzt hilft nur noch der Bürgermeister, der hat doch hier<br />
zu sagen`, dachte ich mir, und fragte auf dem Flur, wo<br />
ich den finden könnte. Ich bekam die Auskunft, und eilte<br />
in den zweiten Stock des Rathauses, wo das Büro des<br />
Bürgermeisters lag. Ich klopfte nicht an die Türe, flog<br />
hinein, und befand mich in einem Raum mit drei Sekretärinnen.
„Ich muss den Bürgermeister sprechen“, sagte<br />
ich laut. „Das geht so nicht, sie brauchen einen Termin,<br />
der Bürgermeister hat zu tun“, bekam ich zu hören. Sicher<br />
dachten die Weiber, dieser Penner, was will der<br />
beim Bürgermeister.<br />
Ich sah die große Türe, die in das Zimmer des Bürgermeisters<br />
führen musste, ich ging auf die Türe zu, und<br />
griff nach der Klinke. „Das geht nicht“, riefen die Frauen<br />
aufgeregt, „sie können da nicht einfach ´reingehen“.<br />
Aber ich war schon drin, sah ca. zehn Meter vor mir einen<br />
großen Mann hinter einem riesigen Schreibtisch sitzen.<br />
Bevor die Frauen mich aufhalten konnten, stand ich vor<br />
dem Schreibtisch. „Man hat meine Freundin ausgewiesen,<br />
ohne jeden Grund“, erklärte ich dem bulligen Bürgermeister.<br />
„Setzten sie sich“, sagte er freundlich, und<br />
schickte die Sekretärinnen hinaus. Ich erklärte ihm die<br />
Sachlage, betonte, dass Lucie nichts mit Drogen zu tun<br />
habe, und man sie nicht wegen meiner Vergehen einfach<br />
ausweisen könnte. „Können schon“, antwortete der<br />
387<br />
Bürgermeister, „aber wir werden sicher eine Lösung finden,<br />
sie scheinen ihre Freundin ja wirklich zu lieben,<br />
sonst säßen sie nicht hier vor mir“. Er überlegte einen<br />
Augenblick, der mir wie Stunden vorkam. „Wenn sie ihre<br />
Situation legalisieren, das heißt, wenn sie ihre Freundin<br />
heiraten, gibt es die Möglichkeit, dass sie zurückkommen<br />
kann, ich sorge dafür“, versprach er mir.<br />
Mir fiel ein Stein vom Herzen, also gab es doch Hoffnung,<br />
die mir Ausländerpolizei und Stadtdirektor genommen<br />
hatten.<br />
„Ich bestelle sofort das Aufgebot“, sagte ich. „Dann kann<br />
ihre Frau schon jetzt zurückkommen, ich werde alles<br />
veranlassen“, sagte mir der Bürgermeister, und griff zum<br />
Telefon.<br />
„Rufen sie ihre Frau an, sie kann zurückkommen“, sagte<br />
der Bürgermeister nach dem Gespräch, als er den Hörer<br />
auflegte. „Ihr müsst aber wirklich heiraten“, betonte<br />
er nachdrücklich.<br />
„Ist klar, warum auch nicht“, antwortete ich, „ sie können<br />
sich drauf verlassen“.<br />
Ich ging zu einem Telefon, und rief in Paris bei Lucie ´s<br />
Mutter an. Dort war sie auch. Sie freute sich riesig meine<br />
Stimmen zu hören. „Du kannst zurückkommen“,<br />
sagte ich ihr. „Aber ich habe einen Riesenstempel im<br />
Pass, dass ich Lebenslang nicht mehr nach Deutschland<br />
kann“, weinte sie am Telefon. „Ich hab alles geregelt, du<br />
kannst zurück“. Sie konnte es kaum glauben, beruhigte<br />
sich aber bald. „Nimm den nächsten Zug“, sagte ich ihr,<br />
aber sie wollte noch zwei Tage bei ihrer Mutter bleiben,<br />
sie hatte an der Grenze bei der Abschiebung Schreckliches<br />
erlebt, man hatte ihr sogar angedroht, das Baby in<br />
ein Heim zu geben, wenn sie mit Drogen zu schaffen<br />
hätte.
„Die Drogengeschäfte hören auf“, sagte mir Lucie sehr<br />
388<br />
bestimmt, und ich versprach ihr mich zu bessern.<br />
Lucie kam bald zurück, eine Woche später, am 4. März<br />
1970, wurde geheiratet. Jürgen und ich nahmen ab und<br />
zu LSD, eine Droge, die unsere Gedanken ins Weltall jagten.<br />
Wir fühlten uns wohl dabei, und führten lange sehr<br />
mystische Gespräche, lernten viel über uns selbst.<br />
Zur Feier des Hochzeitstages hatten wir auch LSD geschluckt,<br />
Jürgen streckte im Trauungszimmer die Zunge<br />
raus, auf der das Blättchen mit der darauf geträufelten<br />
Droge lag. Ein anwesender Fotograf hatte die Szenen im<br />
Trauungszimmer sehr interessiert festgehalten, später<br />
konnte ich das Papier auf Jürgens Zunge auf einem Foto<br />
deutlich wieder sehen. Lucie hatte keine Ahnung, sie<br />
merkte es uns nicht an. Jürgens Frau Edith war Trauzeugin,<br />
und ein Freund, Mike war der Trauzeuge. Es war eine<br />
richtige Hippiehochzeit, Lucie mit ihrem dicken<br />
Bauch, Stiefel unter einem engen Kleid, das ihren enormen<br />
Bauch betonte, Fleure auf dem Schoß. Ich mit einem<br />
indischen Hemd, Cordhose, hellbrauner Lederweste<br />
und Stiefeln. Jürgen trug einen schwarzen,<br />
breitkrempigen Schlapphut und eine rote Lederjacke.<br />
Wir hatten noch einige Freunde als Begleitung, alles<br />
überzeugte Hippies, der Standesbeamte wusste wohl<br />
nicht so recht wie ihm geschah. Draußen warteten „normale“<br />
Bürger festlich gekleidet auf ihre Trauung.<br />
Wir wurden getraut, ich war verheiratet, was ich eigentlich<br />
nie sein wollte. Aber für Lucie hätte ich jede Mauer<br />
durchbrochen, auch die in mir. Diese Mauern waren sowieso<br />
nur dünn, bald völlig verschwunden. Glücklicherweise<br />
war ich früh genug von zu Hause und aus den<br />
Heimen geflüchtet, so konnte Niemand dicke Mauern<br />
in mir aufrichten.<br />
Nach der Hochzeit blieben wir alle länger in einem Ca-<br />
389<br />
fé, unterhielten uns, dann machte sich Lucie mit Fleure<br />
und Edith auf den Weg nach Hause, ich ging mit Jürgen<br />
im LSD-Rausch auf die „Piste“. Wir waren auf unserem<br />
eigenen Trip, die Hochzeit war gegessen.<br />
390<br />
Kapitel 46<br />
Bald nach unserer Heirat fand ich ein Haus außerhalb<br />
der Innenstadt von Dortmund, einen Kilometer vor<br />
Dortmund-Hörde. Das Zweifamilienhaus war alt, aber<br />
sehr schön. Es war von einem riesigen Garten umgeben,<br />
in dem sich viele Obstbäume befanden. Im Erdgeschoß<br />
wohnte noch eine alte Frau, schon seit ihrer Kindheit,<br />
wie sie uns später erzählte.<br />
Wir hatten die erste und zweite Etage gemietet, wir zogen<br />
in die erste Etage. Lucie war begeistert, sie hatte einen<br />
Garten, den sie seit ihrer Kinderzeit in den Ardennen<br />
Nähe Sedan in einem kleinen Dorf, wo sie bis zum
elften Lebensjahr bei einer Schwester ihrer Mutter lebte,<br />
bis sie nach Paris zog, immer sehr vermisst. „Das ist ja<br />
paradiesisch“, schwärmte sie, als sie erstmals das Haus<br />
sah. Ich hatte Möbel gekauft, ein großes Bett, einen neuen<br />
Fernseher, und natürlich eine dicke Stereoanlage. Lucie<br />
konnte es kaum fassen, endlich vernünftig wohnen,<br />
einen Garten für sie und Fleure, sie war überglücklich.<br />
Ich auch!<br />
Nun hatten wir endlich eine Bleibe gefunden, die über<br />
alles verfügte was wir uns wünschten, und sogar noch eine<br />
Etage zum vermieten.<br />
Die Etage hatte vier Zimmer, eine große Küche, ein<br />
großes Bad, und drei Räume waren schon sehr schön<br />
möbliert. Ich hatte viel Geld ausgegeben, auch einen<br />
Makler bezahlt, unser Konto war zwar noch nicht auf<br />
Null, aber große Sprünge konnte ich nicht mehr machen.<br />
Eineinhalb Kilo Dope hatte ich noch als Kapitalanlage<br />
gut verbunkert, Parschau konnte kommen, er würde es<br />
auf dem großen Anwesen niemals finden. Lucie hatte<br />
391<br />
nun eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wir waren<br />
ordnungsgemäß angemeldet, ihr und unserem Blümchen<br />
konnte nichts Böses mehr geschehen.<br />
Nun musste ich mit der Straßenbahn in die Stadtmitte<br />
fahren, das war mir aber egal, die Haltestelle war nicht<br />
weit, und Dortmund nicht sonderlich groß. Ich hatte<br />
stets nur ein kleines Stück Schit in der Tasche, zur Probe,<br />
falls ich einen Kunden hatte, und für mich und Jürgen.<br />
Dope spielte ab meiner Ankunft in Dortmund eine<br />
große Rolle, es hielt uns wirtschaftlich am Leben, und<br />
ich rauchte täglich, wie schon in Casablanca.<br />
Dann nahte der Tag der Gerichtsverhandlung. Ich machte<br />
mir keine große Angst, für die kleinen Mengen Hasch<br />
würde es sicher nicht viel Strafe geben, Handel konnte<br />
man mir nicht nachweisen.<br />
Ich war sehr überrascht, als ich das Gerichtsgebäude in<br />
Dortmund betrat, da hatten sich ca. 20 junge Leute eingefunden,<br />
die laut „gebt Haschisch frei“ skandierten, sie<br />
hatten es sogar auf Schilder geschrieben. Ich konnte in<br />
der Menge einige Freunde aus dem Oma Plüsch ausmachen,<br />
Jürgen war natürlich auch dabei, er war es, der die<br />
Demonstration angezettelt hatte.<br />
Zunächst fand ich das ja sehr sympathisch, dass man sich<br />
so sehr für mich einsetzte, dachte aber auch gleichzeitig,<br />
dass diese Aktion auch schaden könnte, der Richter<br />
würde sicher nicht „amused“ sein.<br />
Alle traten in den Gerichtssaal, die Demonstranten riefen<br />
weiter die Parolen, bis der Richter den Saal räumen<br />
ließ. Waldi und ich mussten auf der Anklagebank Platz<br />
nehmen, die Polizisten kamen als Zeugen, machten ihre<br />
Aussagen, und wir bekamen Beide acht Monate auf Bewährung.<br />
Parschau machte ein saures Gesicht, ich ihm eine lange<br />
Nase, konnte als freier Mann den Gerichtssaal wieder
392<br />
verlassen. Die Menge tobte, als wir aus der Türe traten,<br />
und umringten uns. Parschau kam in meine Nähe und<br />
flüsterte mir zu: „ Ich krieg dich noch Bürschchen“, und<br />
zog mit seinen Kollegen ab zurück ins Polizeipräsidium,<br />
weiter ermitteln. Er sollte mich nie wieder kriegen!<br />
Neben dem Oma Plüsch gab es ein großes Kino, das<br />
schon lange geschlossen war. Ein Holländer aus Amsterdam<br />
war nach Dortmund gezogen, Ruud van Laar, Hippie<br />
Ruud, wie wir ihn nannten.<br />
Er hatte das Kino gemietet, und begann es umzubauen,<br />
keiner von uns wusste so recht, was er da machen wollte,<br />
bis er uns eines Tages eröffnete, dass er vorhatte, eine<br />
Rock´n´Roll Halle daraus zu machen, Live Musik anzubieten,<br />
und eine große Diskothek einzubauen.<br />
Wir waren Alle begeistert, endlich ein Mensch, der sich<br />
voll und ganz um unsere Belange und Wünsche kümmern<br />
wollte. Wir halfen ihm so gut wir konnten, er hatte<br />
auch professionelle Arbeiter eingestellt, richtig investiert.<br />
Als dann alles soweit fertig war, Teppichboden<br />
überall, der Saal wie ein Amphitheater nach oben hoch<br />
gebaut, wo sich eine zweite Theke befand, die Diskothek<br />
in der Mitte des Saals, von einer riesigen runden Theke<br />
umgeben. Als wir sahen wie die riesenhaften Lautsprecherboxen<br />
in den Saal transportiert wurden, konnten<br />
wir unserer Freude kaum Halt gebieten, die würden einen<br />
Monstersound erzeugen. Sitzplätze waren rund um<br />
den Saal in zwei Etagen einfach aus langen, breiten Stufen<br />
gebaut, mit Teppich überzogen, auf denen Kissen lagen,<br />
auf Tische hatte Ruud verzichtet, er wollte maximalen<br />
Platz für Tänzer und Zuschauer der zu<br />
erwartenden Konzerte.<br />
„Fantasio“ nannte er den Laden, und schon bald blinkte<br />
eine große Leuchtreklame vor dem Eingang mit dem<br />
Namen. Nach ca. drei Monaten Umbauzeit wurde das<br />
393<br />
Fantasio eröffnet, an diesem Abend war das Oma Plüsch<br />
leergefegt.<br />
Es spielte eine Band mit Namen „Epitaph“, was soviel<br />
hieß wie Nachruf. Vier junge, langhaarige Musiker, zwei<br />
Gitarren, Bass und Schlagzeug.<br />
Edith hatte Fleur zu sich genommen, sie interessierte<br />
sich nicht sonderlich für Musik, so konnte Lucie, zwar<br />
hochschwanger, mit mir zum Eröffnungskonzert mitkommen.<br />
Es war ein großartiger Abend, die Band war<br />
super, alles Jungs aus dem Ruhrgebiet, bis auf den Lead<br />
Gitarristen, Cliff Jackson, der aus England stammte, aber<br />
schon lange in Dortmund lebte, und die Band gegründet<br />
hatte. Er und Klaus, der zweite Gitarrist spielten oft<br />
zweistimmig, was fantastisch klang, Bernie, der Bassist<br />
war der Sänger, der mit Stimmgewaltigem Gesang durch<br />
das Programm führte. „Ochse“, sein Spitzname, spielte<br />
Schlagzeug. Er drosch dermaassen fest auf die Trommeln,
dass man glauben konnte, sie würden gleich in Stücke<br />
fallen. Taten sie aber nicht. Das Konzert entwickelte sich<br />
zu einem Orkan von Rockmusik, das gesamte Publikum<br />
war aus dem Häuschen. Es waren sicher 500 Leute zur<br />
Eröffnung des Fantasio gekommen, Ruud hatte die Promotionstrommel<br />
gut gerührt.<br />
Das Fantasio entwickelte sich schnell zu einer festen Institution<br />
in Dortmund, Leute kamen aus dem gesamten<br />
Ruhrgebiet hierher.<br />
Das Oma Plüsch litt in keinster Weise unter der Konkurrenz,<br />
im Gegenteil, die Menschen waren froh, den Platz<br />
ab und zu wechseln zu können, und gingen zum Nachbarn,<br />
wo sie weiter mit guter Rockmusik unterhalten<br />
wurden. Und der Umsatz florierte.<br />
Nach dem Konzert gingen Jürgen und ich zu den Musikern,<br />
die an der Theke saßen. „Hallo, ich bin Eric, das<br />
ist mein Freund Jürgen“, stellte ich mich vor. „I´m<br />
394<br />
Cliff“, antwortete der Lead Gitarrist freundlich, und<br />
stellte uns seine Mitstreiter vor. „Das war ein Superkonzert“,<br />
machte ich den Musikern ehrlich gemeinte Komplimente.<br />
Auch Jürgen war begeistert. Wir rauchten einen<br />
Joint zusammen, den Jürgen dick und lang<br />
vorbereitet hatte. Ziemlich high erzählten wir uns noch<br />
lange Geschichten, Ruud legte Musik auf, er war ein äußerst<br />
begabter DJ.<br />
Lucie war schon mit einem Taxi zu Edith gefahren, holte<br />
Fleure ab, und fuhr dann nach Hause.<br />
Sie wollte das Kind nicht zu lange alleine lassen, schon<br />
kurz nach dem Zweistündigen Konzert war sie verschwunden.<br />
Sie war schließlich auch kurz vor der Geburt<br />
unseres zweiten Kindes, und musste dringend heim.<br />
Sie fühlte sich in unserem Haus sehr wohl.<br />
Cliff Jackson hatte keine Wohnung, er schlief Zeitweise<br />
im Bus der Band. Ich bot ihm an in unserem Haus ein<br />
Zimmer zu beziehen, wir hatten die obere Wohnung an<br />
zwei junge Leute vermietet, so fast die gesamte Miete<br />
für das Haus zusammen, aber es war noch ein Zimmer<br />
ungenutzt.<br />
Cliff freute sich sehr über das Angebot, das er gerne annahm.<br />
Er zog schon einige Tage später bei uns ein,<br />
brachte seine drei Gitarren mit, einen kleinen Verstärker,<br />
und komponierte neue Songs.<br />
So langsam ging es auf den neunten Monat der Schwangerschaft<br />
von Lucie zu, sie hatte diesmal einen enorm<br />
dicken Bauch, sehr viel anders als bei Fleure. Diesmal<br />
war sie oft zum Arzt gegangen, wir wollten keinerlei Risiko<br />
eingehen, waren ja auch nicht auf Reise. Sie hatte<br />
einen sehr guten und menschlich wertvollen Gynäkologen<br />
gefunden.<br />
Am 16. März 1970 wurde uns wieder ein Mädchen geboren,<br />
ich freute mich riesig. Ich liebte kleine Mädchen,<br />
395
mit einem Jungen hätte ich vielleicht nicht so gut umgehen<br />
können. Fleure hatte eine Schwester bekommen,<br />
ein zweites Kinderbettchen stand schon bereit. Wir hatten<br />
ja nun ein richtiges Kinderzimmer, das Lucie sehr<br />
liebevoll eingerichtet und geschmückt hatte.<br />
Diesmal hatte Lucie den Namen für unser neues Baby<br />
ausgesucht, sie nannte es Laura. Nun hatten wir ein<br />
Blümchen, das sich langsam zur Blume entwickelte, und<br />
eine winzige Laura, in die ich mich schnell verliebte.<br />
Der Sommer kam und wir hielten uns meist im Garten<br />
auf. Die alte Dame hatte uns wohl lieb gewonnen,<br />
brachte uns oft große Töpfe mit Eintopf, Linsen- oder<br />
Erbsensuppe. Die Gerichte schmeckten köstlich, so richtig<br />
von Oma gekocht.<br />
Oft brachte ich meine Stereoanlage in den Garten, Leute<br />
versammelten sich bei uns, ich unterhielt sie mit lauter<br />
Musik. Es wurde getanzt, geraucht und getrunken,<br />
wir feierten den Sommer.<br />
Jürgen brachte immer die neueste Musik, seine „Raubzüge“<br />
waren sehr erfolgreich, er wurde nie erwischt. Wir<br />
wurden richtig dicke Freunde, machten fast alles gemeinsam.<br />
Ich fühlte mich sehr wohl mit ihm, er war<br />
auch gerne in meiner Nähe.<br />
Ein gewisser Georg Langer hatte in der Stadt eine Teestube<br />
eröffnet, wo sich schnell junge Studenten und<br />
Klienten aus dem Fantasio und dem Plüsch einfanden.<br />
Es gab hervorragenden Tee, und süße Leckereien zum<br />
essen. Wir besuchten die Teestube oft, und ich freundete<br />
mich bald mit Georg an. Er war aus Schwerte, 20 km<br />
weg von Dortmund, einem Ort, der im Grünen lag, und<br />
von Wäldern umgeben war. Er hatte Wirtschaftswissenschaften<br />
studiert, fand aber keinen rechten Spaß an dem<br />
Job, er war lieber mit Hippies und Musikern zusammen.<br />
396<br />
Nach den Konzerten im Fantasio kamen die Musiker<br />
meist zu ihm in die Stube, wo sich viele in der Küche<br />
aufhielten. Eines Tages kam ich in die Küche, und musste<br />
miterleben, wie ein schwarzer amerikanischer Musiker<br />
Opium in einem großen Löffel aufkochte, diese<br />
schwarze Brühe dann in eine Injektionsspritze aufzog,<br />
sich den Oberarm abband und das Zeug in die Vene injizierte.<br />
Er verdrehte die Augen, und hing dann kraftlos<br />
in dem Stuhl. Dies war das erste Mal, dass ich mit harten<br />
Drogen in Berührung kam, es erfüllte mich gleich mit<br />
Abscheu.<br />
Ich fragte Georg, wie er so was zulassen konnte, er sagte<br />
nur: „ Jeder muss wissen was er tut, ich habe kein Recht<br />
irgendjemandem irgendetwas zu verbieten“. „Aber in<br />
deiner Küche, du wirst Schwierigkeiten bekommen“,<br />
erwiderte ich. „Solche Aktionen werde ich auch zukünftig<br />
unterbinden, ich konnte diesem Musiker seinen<br />
Schuss nicht verbieten, er war mein Gast“. Georg hatte<br />
auch einen großen Freigeist, aber so weit ging meiner
nicht, ich verfluchte harte Drogen, die sich auch in der<br />
gesamten Dortmunder Szene zu verbreiten begannen.<br />
Von Freunden hörte ich, dass man in Frankfurt und Heidelberg<br />
sehr gut Hasch verkaufen konnte, wenn die dort<br />
stationierten amerikanischen Soldaten „Pay-day“, Zahltag<br />
hatten, jeweils am 15.- und 30. des Monats. Sie zahlten<br />
hohe Preise, und da mir der Boden in Dortmund in<br />
dieser Hinsicht zu heiß wurde, machte ich mich auf<br />
nach Frankfurt. Hinter der Oper war ein großer Park,<br />
wo sich Dealer und Kundschaft aufhielten.<br />
Ich hatte mir in Dortmund zwei gleiche kleine schwarze<br />
Reisetaschen gekauft, aus Einer den Boden herausgeschnitten,<br />
und aus der Zweiten eine Tasche mit doppeltem<br />
Boden gebastelt. Es fiel absolut nicht auf, da es<br />
gleiche Materialien waren, und ich mich geschickt ange-<br />
397<br />
stellt hatte. Ich wollte das Risiko des Transports nach<br />
Frankfurt so klein wie möglich halten, und steckte ein<br />
Kilo Hasch in zweihundert Gramm Platten zwischen die<br />
doppelten Böden.<br />
Ich nahm den Zug nach Frankfurt, steckte mir eine Platte<br />
Hasch in den Hosenbund, Hemden trug ich sowieso<br />
nur über der Hose, die Reisetasche mit dem Rest legte<br />
ich in ein Schließfach am Bahnhof, und nahm ein Taxi<br />
zur alten Oper.<br />
Dann ging ich an dem prächtigen Gebäude vorbei, und<br />
erreichte den Park. Es war der 15., und viele Leute waren<br />
im Park versammelt. Ich hatte gehört, dass die<br />
Frankfurter Dealer ihren Stoff zu strecken pflegten, den<br />
Amis nur schlechtes Material verkauften. Dies sollte sich<br />
ändern. Ich setzte mich auf eine Bank im Park, und<br />
machte mir ein Bild der Situation. Ständig kamen junge,<br />
englisch sprechende Männer eiligen Schrittes an meiner<br />
Bank vorbei, und nahmen Kontakt mit wartenden<br />
Dealern auf. Alles ging schnell, Hasch und Geld wurden<br />
ausgetauscht, und schon waren die Amis wieder raus aus<br />
dem Park. Als wieder zwei von den Soldaten in Zivil an<br />
mir vorbeieilten, sagte ich leise: „Hasch“? Die Beiden<br />
blieben sofort stehen, und fragten nach dem Preis. Ich<br />
sagte „ sechs Mark das Gramm“, sie lächelten. „Thats to<br />
much“, das ist zuviel, ich sagte es sei reiner Stoff, sie sollten<br />
probieren, und gab ihnen eine kleine Ecke Dope.<br />
Sie verschwanden für kurze Zeit, kamen aber schnell zurück,<br />
und fragten, wie viel ich davon habe. „Genug“,<br />
antwortete ich, sie nahmen die gesamten zweihundert<br />
Gramm, und sagten, dass sie Freunde vorbeischicken<br />
würden, sie hätten noch nie so gutes Dope gekauft.<br />
Dann fragten sie mich noch ob ich Frankfurter sei, was<br />
ich verneinte. Ich sagte ich sei aus Köln, und wenn sie<br />
und ihre Kameraden Interesse hätten, würde ich öfters<br />
398<br />
kommen. Es dauerte nur Augenblicke, bis die Nächsten<br />
kamen, und 100 Gramm kauften. Sie gingen direkt auf
mich zu, und stellten die Frage: „You got Dope Man?“.<br />
An ihrer Aussprachen konnte ich erkennen, dass es Amerikaner<br />
waren, und verkaufte mein Hasch. Immer Neue<br />
kamen zu mir, man hatte mich und meinen Platz im<br />
Park wohl beschrieben, denn sie gingen nicht weiter zu<br />
Dealern, die sie vielleicht schon kannten, sondern blieben<br />
direkt bei mir.<br />
Bald verwickelte ich die Kommenden in ein kurzes Gespräch,<br />
um sicher zu sein, dass es wirklich Amerikaner<br />
waren, jeder Deutsche hätte ein Fahnder sein können,<br />
die kleinen Ängste ergriffen seit meiner ersten Verhaftung<br />
langsam Besitz von mir. Ich wollte auf keinen Fall<br />
mehr in einer Zelle landen.<br />
Das Kilo hatte ich nach 3 Stunden verkauft, ich fuhr bei<br />
jeder größeren Bestellung zurück zum Bahnhof, und<br />
holte neues Material, bis ich passen musste. Die Amis<br />
fragten ob ich am nächsten Pay-Day wieder hier sein<br />
würde, was ich bejahte.<br />
Aus dem Kilo hatte ich mehr als Neuntausend Mark gemacht.<br />
Da ich nichts abwog, die Stücke jeweils groß waren,<br />
hatte ich einen viel höheren Preis herausgeschlagen<br />
als geplant.<br />
Mit meinem erzielten Gewinn war ich überaus zufrieden,<br />
und nahm den nächsten Zug zurück nach Dortmund.<br />
Ich hatte wieder Kapital, dass ich gezielt zu platzieren<br />
gedachte. Ich wollte auf keinen Fall wieder arm<br />
werden, hatte schließlich Frau und zwei Kinder, und keinerlei<br />
Chance auf eine mir zusagende Arbeit.<br />
Ali hatte ich gebeten, das Dope für mich zu pressen, ich<br />
wollte nicht mehr mit dem Zeug in unserem Haus herumhantieren,<br />
Parschau lag sicher immer auf der Lauer.<br />
Ich bekam die gleiche Qualität, jetzt gepresst, zahlte Ali<br />
399<br />
dafür einhundert Mark mehr. So war ich sicher, immer<br />
erste Sahne zu bekommen, ich war der beste Kunde<br />
Ali´s. Diesmal kaufte ich direkt wieder drei Kilo, er ließ<br />
sie mir für dreitausend Mark, gepresst, der Rest meines<br />
Gewinns landete auf einem Bankkonto.<br />
Ich sagte Niemandem dass ich nach Frankfurt fuhr, auch<br />
Jürgen nicht. An jedem Zahltag war ich dort, und verkaufte<br />
den Stoff schnell und diskret. Mit meinen<br />
Stammkunden hatte ich einen anderen Übergabeplatz<br />
ausgemacht, ging nicht mehr in den Park, es war mir auf<br />
die Dauer zu heiß, die Schmiere lauerte auch dort, wie<br />
ich bald erfuhr, und mir selbst ausmalen konnte.<br />
Unter den Amerikanern hatte sich schnell herumgesprochen,<br />
dass da einer war, der sauberes Dope verkaufte,<br />
und ich bekam immer neue Kunden. Schnell erzielte ich<br />
Gewinne von bis zu zehntausend Mark pro Kilo, ich gab<br />
immer ein bisschen Weniger, als bestellt, Niemand hatte<br />
eine Waage, um die geforderte Menge zu überprüfen, das<br />
nutzte ich natürlich aus. Trotz meines hohen Preises hatten<br />
die Soldaten immer einen guten Deal gemacht, denn
sie erhielten gutes Material für ihre Dollars, die ich in<br />
dicken Bündeln nach Hause schleppte.<br />
Lucie war jedes Mal besorgt wenn ich auf die Reise<br />
ging, ich versuchte sie zu beruhigen, was mir nur<br />
schwerlich gelang. Aber ich war stets schnell zurück in<br />
Dortmund, so hielten sich ihre Ängste in Grenzen. Ich<br />
machte richtig Geld, verkaufte in Dortmund kein<br />
Gramm mehr. Wenn mich jemand darauf ansprach, sagte<br />
ich stets, ich habe aufgehört zu dealen, es sei mir zu<br />
gefährlich geworden.<br />
Das Plüsch und das Fantasio besuchte ich weiterhin sehr<br />
gerne, machte in beiden Läden Musik, was mir auch<br />
noch etwas Geld einbrachte, aber in erster Linie Spaß.<br />
Geld hatte ich genug. Mehr als genug.<br />
400<br />
Wir lebten gut und teuer, ich kaufte stets nur die feinsten<br />
Lebensmittel, und Lucie bekam fürstliches Haushaltsgeld.<br />
Ich sah die Kinder langsam aufwachsen, leider<br />
kümmerte ich mich nicht so intensiv um sie, wie es sich<br />
für einen Vater gehört hätte. Ich war dauernd auf Achse,<br />
hatte Hummeln im Arsch. Auch die Mädels lockten<br />
mich noch immer, ich nahm mir hin und wieder ein<br />
Opfer mit in ein Hotel.<br />
Mittlerweile hatte ich mir ein Kapital von ca. siebzigtausend<br />
Mark angesammelt, das ich bar zu Hause gebunkert<br />
hatte. Auf der Bank hatte ich nur die Neuntausend<br />
Mark, konnte immer beweisen, dass wir nicht auf den<br />
Staat angewiesen waren. Das waren Ersparnisse, sagte<br />
ich, wenn Jemand offiziell Fragen stellte. Das gebunkerte<br />
Geld konnte ich unmöglich auf das Konto einzahlen,<br />
man hätte sicher peinliche Fragen gestellt, Parschau hätte<br />
sicher irgendwie Lunte gerochen. Er hatte eine feine<br />
Nase, ich die besseren Ideen, mich zu tarnen.<br />
Irgendwann machten wir eine kurze Reise nach Paris,<br />
um Lucie´s Mutter und ihre Schwestern zu besuchen.<br />
Außerdem hatte ich ´mal wieder Lust auf eine Reise, Paris<br />
war immer ein schönes Ziel für mich.<br />
Das gesamte Geld nahm ich mit nach Frankreich, Sonja,<br />
eine Schwester von Lucie eröffnete ein Konto, von dem<br />
aus sie das Geld auf meine Bank in Dortmund überwies.<br />
So hatte ich das Geld „gewaschen“, es war ein Geschenk<br />
von Lucie´s Familie, Niemand konnte mir das Gegenteil<br />
beweisen. Wir spazierten durch Paris, und immer kamen<br />
Erinnerungen an alte Zeiten in mir hoch. Poppoff hatte<br />
geschlossen, dort war nun ein Hamburgerrestaurant eingezogen,<br />
die gesamte Rue de la Huchette war zum Touristenmagnet<br />
geworden, ein Restaurant neben dem<br />
nächsten. Es war nicht schön anzusehen, die Bohemiens<br />
waren vertrieben worden.<br />
401<br />
Eine Woche verbrachten wir in Paris und reisten zurück<br />
nach Dortmund. Ich begab mich des Öfteren in Georg´s<br />
Teestube, es war gemütlich dort, ich konnte mich mit
Georg sehr gut unterhalten, wir rauchten gemeinsam,<br />
und wurden langsam Freunde. Jürgen sah ich täglich,<br />
entweder er kam zu uns nach Hause, oder wir trafen uns<br />
in der Stadt, wo ich ihn bei seinen genialen Raubzügen<br />
beobachtete. Er war ein Meisterdieb, hatte keine anderen<br />
Einkünfte.<br />
Ich machte noch zwei Reisen nach Frankfurt, die Dollarbündel<br />
machten meine Taschen dick und rund, alles<br />
lief wie geschmiert. Dann zog es mich nach Heidelberg,<br />
ich hatte gehört, dass diese Stadt sehr schön sei, und von<br />
nach Hasch gierigen Amerikanern übervölkert. Als ich<br />
in der Stadt ankam, war ich zunächst enttäuscht, der<br />
Bahnhof war klein und unscheinbar, es war nichts Schönes<br />
auszumachen. Als ich dann aber mit dem Taxi näher<br />
in die Stadt kam, konnte ich nur staunen, alte Gebäude,<br />
schöne Brücken, und ein altes Schloss über der von Bergen<br />
umgebenen Stadt. Viel Natur, kleine verwinkelte<br />
Gässchen, die Stadt war wirklich ein wahres Kleinod.<br />
Und die Amerikaner hatten diese wunderschöne Stadt<br />
regelrecht besetzt, sie waren überall, in den Geschäften<br />
konnte man mir Dollar bezahlen. Die Amis hatten einen<br />
riesigen Stützpunkt ausserhalb Heidelbergs. Ich ging in<br />
die untere Strasse, dort waren viele Cafes, Restaurants<br />
und Boutiquen. Hier fand auch der Haschischhandel<br />
statt. Es dauerte nicht lange, bis ich suchende Blicke in<br />
den Augen von in Hawaihemden gekleideten Burschen<br />
mit Kurzgeschorenen Haaren erblickte, und ich sagte das<br />
Zauberwort.<br />
Schnell hatten sich die Soldaten mit mir geeinigt, und<br />
auch bald Freunde zu mir geschickt. Der Handel florierte<br />
auch hier, und ich war unbekannt, was in Frankfurt<br />
402<br />
mittlerweile nicht mehr der Fall war. Hier war ich erstmal<br />
gut aufgehoben. Ich hatte soviel Stoff mitgebracht,<br />
dass ich mich in ein Hotel einmietete, von wo aus ich<br />
auf den Fluss sehen konnte. Ich blieb zwei Tage in Heidelberg,<br />
und hatte noch mehr Geld gemacht als je in<br />
Frankfurt.<br />
An einem Pay-Day nahm ich Jürgen mit nach Heidelberg,<br />
wir mieteten ein Doppelzimmer, und zogen gemeinsam<br />
um die Häuser. Er war sehr froh, dass ich ihn<br />
mitgenommen hatte, ich erzählte ihm auch von meinen<br />
Reisen nach Frankfurt. „Deshalb warst du andauernd<br />
fort“, wunderte sich Jürgen. „Ich wollte zunächst alles<br />
alleine checken“, antwortete ich ihm, „deshalb die Geheimniskrämerei“.<br />
„Aber mir hättest du doch trauen<br />
können“, war Jürgen enttäuscht, ich erzählte ihm einfach,<br />
dass ich ihn nicht in möglicherweise gefährliche<br />
Situationen bringen wollte.<br />
Als ich von einem Deal ins Hotel zurückkam, erhielt ich<br />
einen Schock. Jürgen war gerade dabei, sich eine Spritze<br />
mit brauner Soße in die Vene zu praktizieren. Ich<br />
schrie ihn an, „hör sofort auf damit, du machst dich kaputt“.
„Lass mich in Ruhe, ich weis was ich tue, das<br />
Zeug törnt total geil“, gab er zu Antwort. „Jürgen, lass es<br />
sein, ich hasse dieses Zeug, von Opium wirst du schnell<br />
abhängig, das ist nicht mit Haschisch zu vergleichen“.<br />
„Meinst du das weis ich nicht“, sagte Jürgen. Als ich weiter<br />
auf ihn einredete, nahm er einen Stuhl, und schaute<br />
mich bedrohlich an. „Ich hau dir das Ding über den<br />
Schädel, wenn du mich jetzt nicht in Ruhe lässt“, rief er<br />
wütend, und ich ließ ihn gewähren.<br />
Dies konnte nicht mein Freund Jürgen sein, was hatte er<br />
nur angestellt, wie war er an das Zeug gelangt, fragte ich<br />
mich, während ich durch die untere Straße ging. Opium<br />
die anderen harten Drogen waren für mich absolut tabu,<br />
403<br />
ich wusste aus Gesprächen mit Georg, was dieses Zeug<br />
aus einem Menschen machen konnte. Von Haschisch<br />
konnte man für eine Zeit vielleicht psychisch abhängig<br />
werden, es aber sofort lassen, ohne Entzugserscheinungen<br />
zu bekommen, mit Opium war das anders, da<br />
brauchte man den täglichen Schuss, dann zwei, dann<br />
drei, und so weiter. Und die Junkies taten Alles, um an<br />
das Geld für diesen gefährlichen Stoff zu gelangen.<br />
Mir war nie aufgefallen, dass auch Jürgen dem Zeug verfallen<br />
war, aber die Szene im Hotel war überdeutlich.<br />
Ohne viel zu reden, Jürgen lag sowieso apathisch mit<br />
dem Kopf ans Fenster des Zugs gelehnt, fuhren wir zurück<br />
nach Dortmund. Ich sah Jürgen die nächsten Tage<br />
nicht wieder.<br />
Als ich Lucie von meiner Erfahrung berichtete war auch<br />
sie geschockt und verärgert. „Lass dich bloß nicht auf so<br />
was ein“, bat sie mich flehend. „Da mach dir mal keine<br />
Sorgen, ich fass solches Zeug nicht an“, versprach ich<br />
ihr. Und ich blieb dabei, ich rauchte mein Haschpfeifchen,<br />
und war völlig zufrieden damit. LSD nahm ich<br />
schon lange nicht mehr, von dieser Droge hatte man ja<br />
auch behauptet, sie mache abhängig, was sich als falsch<br />
herausstellte. Aber Opium, Heroin und Cocain, das in<br />
Dortmund jetzt die Runde machte, waren andre Kaliber,<br />
solche Drogen lehnte ich strickt ab, und versuchte<br />
andere Leute davon abzuhalten, was mir leider nur selten<br />
gelang. Heroin wurde aus Opium gemacht, man fügte<br />
Chemikalien hinzu, und heraus kam Heroin, das<br />
zehnmal stärker war als das pure Opium, und die Menschen<br />
erst recht schnell und sicher abhängig machte.<br />
Irgendwann war Ali verschwunden. Als ich an seiner<br />
Wohnungstüre klingelte wartete ich umsonst auf seine<br />
Frau, die mir sonst die Türe öffnete. Die Wohnung war<br />
offen, als ich gegen die Eingangstüre drückte, alle Möbel<br />
404<br />
waren weg, Ali hatte sich wohl in die Heimat abgesetzt.<br />
Ich war nicht sein einziger Kunde, sicher war Parschau<br />
auf ihn aufmerksam geworden, Ali hatte dies mitgekriegt,<br />
er hatte Informanten überall, plötzlich hatte ich
keinen Lieferanten mehr.<br />
Andere Türken waren längst auf den Trichter gekommen,<br />
dass sie mit verschnittenem Stoff mehr verdienen<br />
konnten, als mit purer Wahre, die waren für mich nicht<br />
akzeptabel. Ich wollte auch weiterhin nur gutes Material<br />
verkaufen, dafür war ich in der Szene bekannt. Dies<br />
sollte sich nicht ändern.<br />
Von Bekannten hatte ich gehört, dass es in Hamburg gutes<br />
Haschisch zu erstehen gab, also machte ich mich auf<br />
den Weg dorthin. Ich hatte einen Tipp bekommen, an<br />
wen ich mich dort wenden konnte.<br />
Ich traf Tim, einen Unterhändler zwischen den Dealern<br />
und Aufkäufern, es war sehr schwer in Hamburg, die<br />
Dealer direkt zu kontaktieren, alle hatten Schiss vor den<br />
Drogenfahndern, die Haschisch, Heroin und andere<br />
Drogen gleichermaasen behandelten, für sie gab´s keinen<br />
Unterschied zwischen den Stoffen.<br />
So stand´s halt im Deutschen Gesetzbuch, Droge ist<br />
Droge, Basta. Und die Junkies arbeiteten schnell mit der<br />
Polizei zusammen, wenn sie geschnappt wurden, machten<br />
sie spätestens bei den ersten Entzugserscheinungen<br />
den Mund auf, und verrieten Alle und Jeden, den sie als<br />
Verkäufer kannten, nur um sofort wieder auf die Straßen<br />
zu kommen, neuen Stoff besorgen. Also begaben sich die<br />
Dealer in den tiefen Untergrund.<br />
Tim wusste, wo es frischen Stoff für mich gab, schnell<br />
hatte ich wieder drei Kilo Hasch erstanden, fuhr mit der<br />
Bahn zurück nach Dortmund, dann nach Heidelberg,<br />
wo ich schnell alles loswurde. Der Stoff kam nun aus Afghanistan,<br />
war schwarz, mit einer Schimmelschicht um-<br />
405<br />
geben. Wenn man darauf drückte, floss harzige Flüssigkeit<br />
aus den dicken Brocken, dies war ein Zeichen für<br />
gute Qualität. Aber längst nicht so gut, wie das harte türkische<br />
Material.<br />
406<br />
Kapitel 47<br />
Nun fuhr ich regelmäßig nach Hamburg, kaufte Hasch,<br />
und blieb manchmal noch einen Tag, um die Stadt zu erkunden.<br />
Hamburg war sehr schön und interessant, oft<br />
ging ich auf der Reeperbahn, der unzüchtigen Meile<br />
Hamburgs spazieren, schaute auf die Bordsteinschwalben,<br />
und die Bars, vor denen Männer standen, die mit<br />
lockeren Sprüchen versuchten, das Publikum zu locke<br />
wie in Soho London. Mich lockte niemand<br />
Ich besuchte jedoch den „Star Club“, in dem die Beatles<br />
ihre Karriere begonnen hatten. Hier gab´s immer gute<br />
Musik, und nette Leute.<br />
Eines Abends ging ich schon früh in den Star Club, war<br />
der einzige Gast. Ich blieb trotzdem, um ein wenig Musik<br />
zu hören. Ich stand mit dem Rücken zur Bar, hatte<br />
meine Ellbogen darauf gestützt, und wippte mit der Musik,<br />
mit Blick auf den Eingang. Als sich die Türe öffnete,
kam eine schöne blonde junge Frau mit einem jungen<br />
Mann in den Club.<br />
Das Mädel steuerte geradeaus auf die Theke zu, stellte<br />
sich nah neben mich, ihr Begleiter stand neben ihr. „Wer<br />
bist du, ich bin Angelica“, sprach sie mich unverblümt<br />
an, und ich stellte mich lächelnd vor. „Eric ist mein Name,<br />
du bist hübsch“, antwortete ich. „Ich möchte dich<br />
kennen lernen, habe aber heute Besuch aus Hannover“,<br />
sagte sie dann. „Können wir uns morgen treffen“, fragte<br />
mich Angelica, und ich schlug vor, um zehn Uhr am<br />
nächsten Morgen in einem benachbarten Café gemeinsam<br />
zu frühstücken. „Einverstanden“, ging sie auf meinen<br />
Vorschlag ein, „bis morgen früh“, sagte sie mit einem<br />
zuckersüßen Lächeln, nahm ihren Begleiter bei der<br />
407<br />
Hand, und verschwand so schnell aus dem Club, wie sie<br />
gekommen war. Ich schaute ihr verwundert nach. Das<br />
war ´mal wieder eine schnelle schöne Bekanntschaft, ich<br />
freute mich auf den kommenden Morgen.<br />
Ich übernachtete in einem Hotel, mein Dope lag schon<br />
in einem Bahnhofsschließfach. Am nächsten Morgen saß<br />
ich vor dem ´Café auf einer kleinen Terrasse, und bestellte<br />
mir Kaffee und süßes Gebäck. Um fünf nach zehn sah<br />
ich Angelica winkend heraneilen, sie gab mir einen Kuss<br />
auf die Wange. „Guten Morgen Eric, hast du gut geschlafen“,<br />
begann sie sofort die Konversation, und ich<br />
sagte ihr, dass ich mich in der Nacht schon auf unsere<br />
Begegnung gefreut hatte. „das ist nett“, sagte sie lächelnd,<br />
schaute mir in die Augen. „Mann siehst du gut<br />
aus“, sagte sie. „Und du erst“, antwortete ich, der Funke<br />
war gesprungen, es kam mir vor, als kenne ich die Frau<br />
schon ewig lange. Sie war in einem rosafarbenen sehr<br />
engen Cordanzug gekleidet, der ihre herrliche Figur voll<br />
zu Geltung brachte, `Da hast du dir aber ein schönes<br />
Stück Frau gefunden`, dachte ich mir, als ich sie betrachtete,<br />
ihr Gesicht war Engelgleich, ein kleines Stubsnäschen<br />
schmückte ihr Gesicht mit großen blauen Augen<br />
und einem volllipigen Mund.<br />
Sie nahm einen Kaffee, ließ mich zu Ende frühstücken,<br />
und sagte: „Wie wär´s, fahren wir zu mir“? „Klar<br />
doch“, antwortete ich sofort. Wir verließen das Café,<br />
gingen in eine Seitenstraße, wo ihr Pinkfarbener VW<br />
Käfer geparkt stand. Sie setzte sich hinter das Steuer, und<br />
raste, ja raste in voller Geschwindigkeit zu einem Vorort<br />
von Hamburg, wo sie eine Wohnung besaß.<br />
Als ich die Wohnung sah staunte ich nicht schlecht. Ich<br />
ging schon im Flur über wertvolle Teppiche, die auch im<br />
Wohnzimmer, das mit einigen Antiquitäten geschmückt<br />
war, übereinander herumlagen. Viele indisch bunte Kis-<br />
408<br />
sen lagen verstreut herum, eine schöne Couchgarnitur<br />
stand in einer Ecke. Angelika nahm mich bei der Hand,<br />
und zog mich schnell in das angrenzende Schlafzimmer,
und begann mich und sich gleichzeitig auszuziehen.<br />
„Ich will dich jetzt auf der Stelle ganz spüren“, sagte sie<br />
hechelnd, und drückte mich auf das breite Bett, das mit<br />
einer Decke aus Tigerfell geschmückt war, die um das<br />
Bett herum bis auf den Boden reichte. Da hatten viele<br />
Großkatzen ihr Fell lassen müssen. Sie setzte sich auf<br />
mich und begann den Liebestanz, der mich schier verrückt<br />
machte, wenn ich zu ihr hoch schaute, ihre schönen<br />
Brüste bewegten sich kaum, sie war überall sehr<br />
stramm gebaut. Sie hatte wunderschöne Katzenaugen<br />
und volle Lippen, die mich immer wieder zum küssen<br />
reizten. Wir liebten uns bis zum späten Nachmittag, bis<br />
ich völlig am Ende war. Angelica hätte sicher noch bis<br />
zum nächsten morgen weitergemacht, ich brauchte eine<br />
Pause.<br />
„Was machst du so“, fragte sie mich, als wir gemütlich<br />
mit einem Glas Saft im Bett saßen. „Ich bin Dealer für<br />
Hasch“, sagte ich voller Vertrauen, sie lachte, „Hab ich<br />
mir gedacht, als ich dich da so stehen sah“, sagte sie,<br />
„Hast du ´was dabei“, fragte sie. Ich drehte uns einen<br />
Joint, wir waren schnell völlig bekifft, die Liebe nahm<br />
ihren Fortlauf, sicher bis Mitternacht. Als sie dann auch<br />
ziemlich fertig war, fragte sie mich, „hast du Hunger“?<br />
„Natürlich“, antwortete ich, Angelica stand auf, ich hörte<br />
sie in eine Küche werkeln, sie kam zurück mit zwei<br />
großen Steaks und Brot.<br />
„Das war eine gute Idee, ich liebe gute Steaks“, sagte ich<br />
ihr, wir setzten uns nackt an einen Tisch und verschlangen<br />
das Fleisch.<br />
„Kommst du wieder“, fragte mich Angelica, als ich sie<br />
am nächsten Morgen verließ, ich bejahte die Frage. „Si-<br />
409<br />
cher, was glaubst du denn, ich mag dich, habe sowieso<br />
einmal die Woche in Hamburg zu tun“. Sie lächelte<br />
glücklich, „bitte komm bald, ich kann´s schon jetzt<br />
kaum erwarten, dich wieder zu sehen“. Zufrieden und<br />
ziemlich geschafft machte ich mich auf zum Bahnhof,<br />
war am Nachmittag zu Hause bei Lucie und den Kindern.<br />
Von da ab telefonierte ich fast täglich mit Angelica, sie<br />
schmachtete jedes Mal, ich solle bald kommen, und ich<br />
kam auch. Wir rauchten Hasch, nahmen auch schon<br />
´mal LSD, das unsere Orgien kolossal verstärkte, und<br />
liebten uns heftig in jeder Ecke der Wohnung.<br />
Sie stellte mich ihren Freunden an der Rotenbaumchaussee<br />
vor, wo es die elegantesten Clubs und Cafés der<br />
Stadt gab. Hier war die Hamburger Hanse- und Großkapitalgesellschaft<br />
zu Hause, Angelica kannte sie alle, und<br />
ich wurde ohne wenn und aber in ihrer Gesellschaft akzeptiert.<br />
Natürlich wusste Niemand, dass ich nur ein<br />
Dealer war, ich wurde als Geschäftsmann vorgestellt.<br />
Später mietete sich Angelica eine große Wohnung in der<br />
Alsterchaussee, einer Seitenstraße der Rotenbaumchaussee.<br />
So war ich dann über ca zehn Monate drei Tage die Woche
in Hamburg, und vier Tage in Dortmund und Heidelberg.<br />
Eines schönen Tages kam ich an einem billigen<br />
Kino in der Brückstraße in Dortmund vorbei, ein großes<br />
Plakat hing in einem Schaukasten. Normalerweise<br />
beachtete ich diese Schaukästen nie, aber an diesem Tag<br />
kam mir etwas bekannt vor. Als ich dann genauer hinschaute,<br />
sah ich den riesig vergrößerten Kopf von meiner<br />
Angelica Baumgart auf dem Plakat, das für einen<br />
Film der Reihe „Hausfrauenreport“, Werbung machte.<br />
Ich begab mich ins Kino, wo ich dann Angelica als Reporterin,<br />
die für die sexuellen Bedürfnisse der Hausfrau-<br />
410<br />
en tätig war, auch sie sprang manchmal nackt auf der<br />
Leinwand herum, oder saß mit einem imaginären<br />
Freund in einer Badewanne. Diese Luder, nie hatte sie<br />
mir gesagt was sie so tat, wenn ich sie fragte, wich sie immer<br />
aus, behauptete von ihren Eltern zu leben.<br />
Nun wusste ich auch, weshalb ich sie oft am Flughafen<br />
abholen sollte, sie kam dann aus München, wo diese Filme<br />
produziert wurden.<br />
Als ich sie bei unserem nächsten Treffen darauf ansprach,<br />
sah ich sie zum ersten Mal beschämt, „das bringt gutes<br />
Geld“, sagte sie mit errötetem Kopf, „ich weis dass die<br />
Filme primitiv sind, aber vielleicht komme ich ja so ins<br />
Filmgeschäft, ich möchte gerne Schauspielerin werden“,<br />
erklärte sie mir. Wir sprachen nie weiter darüber. Von<br />
diesen Filmen wurden vier Folgen gedreht. Im ersten<br />
Aufklärungsfilm von Oswald Kolle hatte sie auch eine<br />
Rolle gespielt. Irgendwann konnte ich nicht mehr mit<br />
Angelica. Das hatte mit ihrer Arbeit nicht das Geringste<br />
zu tun, im Gegenteil, sie gefiel mir auf der Leinwand.<br />
Einmal war ich einen ganzen Film lang in einem Kino<br />
gesessen, hatte mir eine Hausfrauenstory angeschaut. Die<br />
Handlungen waren unmöglich, primitiv bis zum letzten<br />
Take. Angelica jedoch sah ich gerne über das Bild hüpfen.<br />
Sie war wirklich eine besonders schöne Frau.<br />
411<br />
Kapitel 48<br />
Ich konzentrierte mich wieder auf meine Familie, liebte<br />
Lucie, der keine andere Frau das Wasser reichen konnte.<br />
Ich höret mit er Dealerei auf, kaufte nur noch Hasch für<br />
meine Bedürfnisse, meist bei Waldi, der fleißig weiter<br />
Schit verkaufte, vor dem Rauschgiftdezernat schien er<br />
keine Angst zu haben.<br />
In einer der vielen Musikzeitschriften die ich las, dem<br />
Musik Express, war ein Preisausschreiben, man musste<br />
nichts raten, sonder bekam eine Aufgabe gestellt. Die Leser<br />
sollten beschreiben, wie sie eine unbekannte Band<br />
aus ihrer Umgebung in die Charts bekommen, und bekannt<br />
werden lassen würden. Dies nahm ich als echte<br />
Herausforderung, ich musste einen Aufsatz schreiben.<br />
Der erste Preis war eine einwöchige Reise für zwei Personen<br />
nach Ibiza auf den spanischen Baleareninseln.
Geschrieben hatte ich noch nie wirklich, stellte mich<br />
trotzdem der Herausforderung. Ich erklärte was die<br />
Band an Material brauchte, wie ich sie promoten würde,<br />
Radio und Fernsehen einschaltend, allen Medien die<br />
zur Verfügung standen so lange auf die Füße trat, bis über<br />
meine Band geschrieben wurde, und nach vier Wochen<br />
flatterte ein Schreiben der Musikzeitung ins Haus, ich<br />
hatte den ersten Preis gewonnen. Ich hatte noch nie etwas<br />
gewonnen, die Freude war umso größer.<br />
Drei Wochen später sollte die Reise losgehen. Wir<br />
brachten unsere Kinder zu meiner Schwester Rita, die<br />
selbst zwei Kinder hatte, und ein überzeugtes, sehr gutmütiges<br />
und liebevolles Muttertier war. Bei Ihr wussten<br />
wir die Kinder für die eine Woche in guten Händen.<br />
Wir flogen nach Ibiza, wohnten in einem schönen Hotel,<br />
und fuhren täglich mit kleinen Booten an die herr-<br />
412<br />
lichen Strände rund um die Insel. Das Wasser war glasklar,<br />
wir konnten bis auf den feinen Sandboden schauen,<br />
das Meer war blau und grün gefärbt. Ein solch sauberes<br />
Meer hatte ich vorher nie gesehen, um die Inseln<br />
im Mittelmeer waren von den Verdreckungen dieses<br />
schönen Meeres nichts zu sehen, es leuchtete majestätisch.<br />
Wir wohnten in San Antonio, fuhren auch mit dem Bus<br />
in die 15 Km entfernte Ibiza-Stadt, die sehr schön war.<br />
Festgefahrene Lehmstrassen überall, nur der Weg hinauf<br />
in die Altstadt war noch gepflastert, aber dies schon vor<br />
tausend Jahren. Eine hohe Mauer umgab die gesamte<br />
Altstadt, deren Einwohner sich in früheren Zeiten vor<br />
Mauren, Römern und Piraten schützen mussten. Die<br />
Stadt wurde aber immer erobert, die verschiedenen Einflüsse<br />
der Eroberer waren überall deutlich auszumachen.<br />
Wir lernten das Café Mont e Sol kennen und lieben, auf<br />
der Terrasse konnte man die vorüber schlendernden<br />
Touristen und viele Hippies betrachten. Ich verliebte<br />
mich auf Anhieb in dieses Kleinod von Insel, und war sicher,<br />
dass dieser Gewinn nicht meine letzte Reise nach<br />
Ibiza werden sollte.<br />
Unsere Kinder freuten sich riesig über unsere Rückkehr,<br />
sie hatten meine Schwester täglich mit Fragen nach unserer<br />
Rückkehr gepiesackt. Ich freute mich, meine Mädels<br />
in die Arme nehmen zu können, ich liebte meine<br />
Kinder, auch wenn Lucie die meiste Arbeit mit ihnen<br />
hatte, weil ich andauernd unterwegs war.<br />
Jürgen meldete sich zurück, ich sah ihm an den Augen<br />
und seinem Verhalten an, dass sich etwas geändert hatte.<br />
„Der Entzug war höllisch“, gestand er mir, „ich fass das<br />
Zeug nicht mehr an, rauch nur einen Joint ab und an“.<br />
Ich war sehr froh, meinen Freund so wieder gefunden zu<br />
haben.<br />
413<br />
Wir besuchtengemeinsam Konzerte im Fantasio, und in<br />
der Gruga Halle in Essen, sahen viele großartige Bands
aus Amerika und England.<br />
Die schönen Frauen ließen mir leider keine Ruhe, so<br />
lernte ich im Oma Plüsch Doris kennen, ein wunderhübsches<br />
Mädchen von siebzehn Jahren, die Apothekerin<br />
wurde. Als ich das erste Mal richtig auf sie aufmerksam<br />
wurde, schlug bei mir ein Blitz ein, die Frau sah aus<br />
wie die Sängerin Stevie Nicks von Fleetwood Mac, die<br />
ich schon 1967 in London, dann erneut mit Jürgen in<br />
der Essener Gruga Halle gesehen und in die ich mich<br />
verliebt hatte. Eine schöne Frau mit langen lockigen<br />
Haaren, die über die Bühne tanzte, als ob sie schwebte,<br />
aber mit sehr energischer Stimme ihre Lieder vortrug.<br />
Doris war gleich schön, nur zarter, hatte eine schmälere,<br />
schönere Nase als die Nicks, sie hatte nicht die energische<br />
Ausstrahlung wie die amerikanische Sängerin, aber<br />
ihr Lächeln war sehr verführerisch. Als ich sie ansprach,<br />
sie zum Drink einlud, war sie sofort einverstanden, und<br />
wir landeten am gleichen Abend im Bett. Doris war etwas<br />
Besonderes, die verließ ich nicht so einfach wie die<br />
anderen Frauen aus den Kneipen. Wir verabredeten uns<br />
auf ein Wiedersehen.<br />
Wir sahen uns sehr oft, sie war schön wie die Sonne,<br />
schliefen miteinender. Eines Tages gestand sie mir, dass<br />
sie schon sehr lange in mich verliebt sei, mir in jede<br />
Kneipe, die ich abends besuchte gefolgt war. Leider war<br />
sie zu schüchtern mich anzusprechen, mir war sie nie<br />
aufgefallen, weil ich stets mit irgendetwas beschäftigt<br />
war. Unsere Affäre dauerte sechs Monate, bis sie sich im<br />
Klaren darüber wurde, dass Lucie immer die Nr. 1 für<br />
mich bleiben würde.<br />
Sie lernte einen Amerikaner in meinem Alter aus Los<br />
Angeles kennen, der eine Pferdezucht besaß, und als<br />
414<br />
Filmproduzent arbeitete. Sie folgte ihm nach LA, die<br />
Beiden heirateten, bekamen zwei Mädchen, und waren<br />
wohl einige Jahre glücklich. George Braunstein, so hieß<br />
der Mann, kaufte ihr einen knallroten Ford Mustang aus<br />
den Fünfziger Jahren. Doris schrieb mir Briefe, und erzählte<br />
in ihnen, wie es ihr erging. Einmal hatte sie sich<br />
kurz von ihrem Mann getrennt, und ein Appartement<br />
am Rodeo Drive, der teuersten Straße Amerikas genommen.<br />
George hatte alles zu bezahlen, er schwamm im<br />
Geld. Liebe oder Geld, das war Dorises Devise geworden.<br />
Und von letzterem Hatte sie reichlich, aber auch<br />
Liebe von ihren Kindern, wie sie mir in Briefen versicherte.<br />
415<br />
Kapitel 49<br />
Kalle war immer in Schlips und Kragen gekleidet, hatte<br />
kurzes Haar, er war Bankkassierer in der Bank für Beamte<br />
und Angestellte in Dortmund. In dieser Bank hatten<br />
die meisten Polizisten, aber auch andere Beamte ihr<br />
Geld gehortet.<br />
Kalle liebte Rockmusik, kiffen und lockeres Leben, er
hängte sich an mich. Gemeinsam mit Jürgen zogen wir<br />
in Dortmund um die Häuser, und spielten verrückt. Kalle<br />
konnte nicht genug von uns abschauen, auch wie wir<br />
mit den Frauen umgingen und so. Er war wohl unglücklich<br />
verliebt, hatte eine eigenartige Frau, die mehr von<br />
Äußerlichkeiten hielt, als von inneren Werten.<br />
Er wusste, dass ich gedielt hatte, glaubte dass ich dies<br />
noch immer tat, ohne dass jemand es bemerkte. So sollte<br />
ein solcher Job ja auch ablaufen. Wir hatten immer<br />
Hasch in der Tasch, Kalle profitierte von unseren dicken<br />
Joints. Ab und zu kaufte er auch ein Stück von Waldi,<br />
den ich ihm empfohlen hatte.<br />
Er eröffnete mir eines Abends, dass er sich gerne an meinen<br />
Geschäften beteiligen wolle, er könne Geld besorgen,<br />
und so am Gewinn teilhaben. Zunächst antwortete<br />
ich ihm mit einer Absage, ich mache keine krummen<br />
Geschäfte mehr. Dann jedoch dachte ich mir, ich könnte<br />
ja diesbezüglich einmal abchecken, und sprach ihn auf<br />
die von ihm angedachte Summe an. „Ich kann jeden<br />
Betrag besorgen“, meinte Kalle. Ich überlegte, ob ich<br />
nicht doch noch einige Geschäfte einfädeln sollte, ohne<br />
eigenes Geld einzusetzen.<br />
In Hamburg bekam ich ein Kilo Afghane oder roten Libanon,<br />
auch schwarzen Schit aus Pakistan für 1.500<br />
Mark. In Frankfurt konnte ich locker das Doppelte dar-<br />
416<br />
aus machen, wenn ich es Kiloweise verkaufte. Dies erklärte<br />
ich Kalle, und versprach ihm, den Gewinn zu teilen.<br />
„Das wären 750 Mark Gewinn für mich pro Kilo“,<br />
rechnete Kalle richtig, und ich sah seine Augen leuchten.<br />
„Da bin ich dabei“, sagte er sofort, „ wann brauchst<br />
du das Geld, und wie viel“, fragte er. Es war kurz vor<br />
dem 15. des Monats, „übermorgen können wir nach<br />
Hamburg fahren, drei Kilo kaufen“, sagte ich ihm.<br />
„Dann bringe ich 4.500 Mark mit“, antwortete Kalle.<br />
Er kam freitags abends mit der Kohle und seinem Opel<br />
Kadett. „Wir können fahren“, sagte er freudig, wir nahmen<br />
Jürgen mit. In Hamburg hatte ich nach zwei Telefonaten<br />
die drei Kilo im Sack, Kalle hatte mir die großen<br />
Lappen vorher gegeben, nur drei Tausender, und<br />
drei Fünfhunderter. `Der Typ hat ja echt Geld`, dachte<br />
ich mir, als ich die dicken Scheine in der Hand hielt.<br />
Wir fuhren zurück nach Dortmund, ich bat Kalle, das<br />
Dope mit zu sich nach Hause zu nehmen, am nächsten<br />
Tag müssten wir nach Frankfurt. Bei Kalle war der Stoff<br />
besser aufgehoben als bei mir, ihn kannte Niemand in<br />
der Szene, auch Parschau ganz sicher nicht.<br />
Wir fuhren am nächsten Tag früh morgens nach Frankfurt,<br />
wo ich die drei Kilo schnell verkauft hatte. Mittlerweile<br />
waren mir Telefonnummern von amerikanischen<br />
Gis zugeflogen. So hatte ich schnell mal 2.250 Taler gemacht,<br />
ohne Risiko für eigenes Kapital. Kalle freute sich<br />
wie ein Schneekönig über seinen Gewinn. Er kaufte seiner
Geliebten eine goldene Kette. Ich gab Jürgen 250<br />
Mark für seine Begleitung, der arme Junge hatte eh<br />
kaum Geld, seine Raubzüge stagnierten momentan.<br />
2.000 Mark landeten in meiner Kasse.<br />
Diese Aktionen machten wir jedes zweite Wochenende<br />
des Monats. Immer die gleiche Tour, immer der gleiche<br />
Gewinn. Ich hatte nun in Frankfurt nur noch einen Ab-<br />
417<br />
nehmer, der alles aufkaufte, was ich anbrachte. War besser<br />
so, nun wäre Aussage gegen Aussage gestanden, man<br />
hätte mir nie etwas anhaben können, außer man erwischte<br />
mich mit dem Dope unter dem Arm.<br />
Dieses Risiko musste ich eingehen, aber mit dem soliden<br />
Kalle am Steuer eines immer sauberen Autos fielen wir<br />
nicht auf.<br />
Der Ami bestellte eines Tages 10 Kilo, ich sagte Kalle,<br />
dass er jetzt 15.000 Mark anschleppen müsse. „Kein Problem,<br />
wann fahren wir“, war sein Kommentar. Kalle sah<br />
nur den zu erzielenden Gewinn, und wie glücklich er<br />
seine Freundin damit machen konnte.<br />
Auch dieser Deal ging sauber über die Bühne, ich bekam<br />
den Stoff sogar um 150 Mark pro Kilo billiger, weil<br />
ich gleich zehn Kilo einkaufte. Der Ami bezahlte den<br />
Preis wie immer, das machte für uns einen hohen Reingewinn.<br />
Kalle konnte es kaum fassen, er dachte nur, er<br />
würde bald reich. So weit dachte ich nie, ich wusste, dass<br />
ich irgendwann Schluss machen wollte, die Sache wurde<br />
doch etwas heiß für meine Gefühle.<br />
Letztendlich gestand mir Kalle im bekifften Kopf, wie er<br />
an das Geld kam. Er brachte freitags abends die Kasse in<br />
den Tresor der Bank, in der er arbeitete, alleine. Er nahm<br />
sich dann das benötigte Geld aus dem Tresor, und legte<br />
es montags morgens, wenn er seine Kasse holte, wieder<br />
hinein.<br />
Der Typ hatte gar kein eigenes Geld, er holte sich wahrhaftig<br />
immer Geld von Polizisten und anderen Beamten,<br />
um damit Haschischgeschäfte zu finanzieren. Dieses Geständnis<br />
haute mich fast um, brachte mich dann doch<br />
sehr zum schmunzeln, wenn ich dachte, dass ich mit dem<br />
Geld von Polizisten illegale Geschäfte tätigen konnte.<br />
Leider hat Kalle diese Sache nach einigen Fahrten übertrieben.<br />
Er wollte seiner Geliebten wohl ein besonderes<br />
418<br />
Geschenk machen, ich glaubte er wollte ihr ein Auto<br />
kaufen, hatte aber noch nicht genug Bares zusammen,<br />
weil er mit den Gewinnen aus unseren Deals immer Geschenke<br />
für seine blöde Freundin kaufte, nahm er sich<br />
selbst einen Kredit , fälschte dafür Unterschriften seiner<br />
Vorgesetzten, und flog damit auf. Er wurde fristlos entlassen.<br />
Von unseren Geschäften mit dem Geld der Bank<br />
hatte nie jemand etwas mitbekommen. Wir hätten diese<br />
Geschäft lange fortführen können und richtig absahnen.<br />
Zwei Kilo Shit hatte ich mir beiseite gelegt, als Vorrat für
mich und meine Freunde.<br />
Das war dann doch ein wenig viel, und ich beschloss, es<br />
in Dortmund verkaufen zu lassen. Da war der kleine<br />
Ede, ein sehr lieber Junge, der winzig und dünn war.<br />
Aber er konnte flitzen wie kein Zweiter. Ede verkaufte<br />
für andere Dealer Stoff, immer nur Hasch, darauf war ich<br />
sehr bedacht. Ich fragte ihn, ob er für mich laufen würde,<br />
ich gäbe ihm den Stoff günstig, und er könne sicher<br />
gutes Geld machen.<br />
„Klar, Eric, für dich immer“, sagte Ede sofort zu, und ich<br />
gab ihm gleich 1.500 Gramm des Dopes. „So viel hat<br />
mir noch nie einer gegeben“, sagte Ede stolz, „ ich werde<br />
dich nicht enttäuschen“. Ich wusste, ich konnte Ede<br />
vertrauen, auch was die Polizei betraf. Es gab mittlerweile<br />
in der Dortmunder Szene ein ungeschriebenes Gesetz.<br />
Wenn Einer in den Knast geht folgt ihm kein Zweiter!<br />
Das hieß soviel, dass der Erwischte keinerlei<br />
Aussagen über seine Lieferanten oder andere mit im<br />
Boot sitzende Leute machte. Und jeder hielt sich daran.<br />
Ich kannte nicht einen Fall, wo einer einen anderen verraten<br />
hätte, um sich möglicherweise freizukaufen. Ede<br />
folgte diesem Ehrenkodex ohne mit der Wimper zu<br />
zucken. Er wurde häufiger erwischt, dann war er nicht<br />
schnell genug gelaufen, aber er hatte immer nur kleine<br />
419<br />
Mengen bei sich, die Verfahren wurden stets eingestellt.<br />
Ede war ein lieber Kerl, er verkaufte meinen Bestand bis<br />
auf ein halbes Kilo, das irgendwo in unserem Garten in<br />
der Semmerteichstrasse gut gelagert war, und von dem<br />
ich immer nur kleine Stücke für mich und für Freunde<br />
abbrach.<br />
Leider geriet Ede irgendwann auch an die Nadel, er tat<br />
mir leid wenn ich ihm begegnete. Er fragte mich nie<br />
mehr nach Hasch, hatte einen traurigen Blick bekommen,<br />
er war vorher ein so fröhlicher Mensch gewesen.<br />
Wir grüßten uns nur noch kurz, und jeder ging seiner<br />
Wege, Ede auf der Jagd nach dem Todbringenden Stoff<br />
Heroin.<br />
420<br />
Kapitel 50<br />
Georg hatte seine Teestube geschlossen, und sich in der<br />
Brückstrasse, der Einkaufsstrasse im Dortmunder Norden<br />
in der ersten Etage eines Hauses eine große Räumlichkeit<br />
angemietet. Hier war der ehemalige „Wintergarten“<br />
zu Hause, ein Cabaret, das mit verklemmtem<br />
Sex die Leute zu unterhalten verstand. Als die Sexualität<br />
dann aber überall für Jedermann offen dalag, hatte diese<br />
Art von Unterhaltung keine Chance mehr, der Schuppen<br />
wurde geschlossen.<br />
Georg schälte die sicher 400qm großen Räumlichkeiten<br />
vollkommen aus, bis auf eine Bühne, und einen Balkon<br />
die er Beide zu nutzen gedachte.<br />
Er errichtete in den durch eine halbrund nach oben in
eine Etage gehenden Räumlichkeiten eine Superdiscothek,<br />
investierte richtig viel Geld, es entstand das „JARA“,<br />
was in der Brasilianischen Mystik soviel hieß wie<br />
: Die Göttin der Flussmündung. Georg war schon immer<br />
ein mystischer Mensch, ruhig, sehr überlegt handelnd,<br />
trotzdem risikofreudig.<br />
Das Jara wurde ein Knaller. Meine Diskothek war auf<br />
dem Balkon aufgebaut, ich hatte die feinsten Plattenspieler,<br />
in einem angrenzenden Raum war eine Riesenhafte<br />
Technikanlage für Sound und Licht aufgetürmt. Das<br />
Mischpult war riesig und auf den neuesten Stand, ich<br />
brauchte eine Weile, bis ich mit dieser Monsteranlage<br />
zurechtkam. Aber ich hatte Zeit zum trainieren.<br />
Die Disco erreichte man über eine schmale Treppe, die<br />
in der hinteren linken Ecke der Bühne hochging, mit einer<br />
Türe, die ich abschließen konnte, so dass mich niemand<br />
stören, oder ich Leute zu mir hinauflassen konnte,<br />
die mir genehm waren.<br />
421<br />
Der Balkon war nach vorne hin abgerundet, mit einem<br />
wunderschönen, einhundertzwanzig cm. hoch ragenden,<br />
einem güldenen Handlauf bedeckten, Metallgitter<br />
eingefasst. Dahinter standen Links und rechts neben den<br />
Plattenspielern zwei große schwarze Kisten, in denen je<br />
150 Schallplatten, LPs, hintereinander standen, so dass<br />
man sie einfach aussuchen, herausnehmen und auf die<br />
Plattenteller legen konnte. Drei Meter hinter mit war<br />
ein großes Regal angebracht, in dem noch´mal tausend<br />
LPs bereitstanden. Vor diesem Regal war eine fünf Meter<br />
breite Sitzgelegenheit für besondere Gäste aufgebaut<br />
Alles war schwarz gestrichen.<br />
In den offenen Kästen neben den Plattenspielern waren<br />
nur die neuesten und angesagtesten Scheiben untergebracht.<br />
Die Theke war sicher zwanzig Meter lang, und besonders<br />
breit. Im Hintergrund standen Flaschen und Gläser,<br />
die vielen Flaschen beinhalteten soweit alle Drinks, die<br />
man auf diesem Planeten erstehen konnte. In der Mitte<br />
zwischen den bunten Flaschen und blitzenden Gläsern<br />
war eine Neonleuchte mit dem Wort JARA angebracht,<br />
die das Ganze nochmals in herrlichen Farben leuchten<br />
ließ. Alles war mit Teppichboden ausgelegt, gegenüber<br />
der Bühne ca. sechzig Meter weit, waren drei große Stufen<br />
hochgebaut, die mit schönen Kissen belegt eine<br />
wunderbare Sitzgelegenheit für Gäste bot, das Treiben in<br />
der Räumlichkeit zu betrachten.<br />
Die ein Meter hohe Bühne war die Tanzfläche, drei Meter<br />
hohe und eins fünfzig breite Lautsprecherboxen donnerten<br />
aus zwei Ecken auf die sich dort produzierenden<br />
Tänzer ein, hier gab es kein Stillstehen, man musste einfach<br />
tanzen. Und das wollten die Leute. Und das wollte<br />
auch Georg, hier sollten die Menschen die Möglichkeit<br />
haben, sich so zu geben, wie sie es in anderen Unterhal-<br />
422
tungseinrichtungen nicht wagten, Egomanie pur, wenn<br />
auch nur für eine Nacht.<br />
Man konnte auch Ruhe finden. Hinter einer dicken<br />
Schwingtüre befand sich eine Weistube, in afghanischem<br />
Styl eingerichtet, die Decke von einer Rumänischen<br />
Malerin, einer Freundin Georgs, Freskenartig ausgemalt.<br />
Hier lief leise Musik, mal klassisch, mal Chansons, Georg<br />
hatte ein breites Spektrum an Musik in seinem Kopf. Es<br />
gab erlesene Weine zu trinken.<br />
Und der Laden brummte! Aus dem gesamten Ruhrgebiet<br />
verlangten bald viele junge Menschen Eintritt, es<br />
ging oft so weit, dass sie sich die Treppe hinunter bis auf<br />
die Brückstraße drängelten, um Einlass zu bekommen.<br />
Zeitweise musste das Jara, das immerhin bis zu sechshundert<br />
Menschen Platz bot, schließen, bis einige Schwitzende<br />
das Lokal verließen, und den Wartenden Platz<br />
machten. Zwei breite Türsteher sorgten für ordentlichen<br />
Ablauf am Eingangsbereich, der mal eine Garderobe beinhaltete.<br />
Oft gingen sie im Chaos unter, und verschlossen<br />
einfach die Türen.<br />
Es war wunderbar, die unten Tanzenden zu beobachten,<br />
und genau zu wissen, was man als Nächstes auflegte, damit<br />
die Szenerie am kochen blieb. Dies gelang mir sehr<br />
gut, und bereitete mir außerordentliches Vergnügen.<br />
Hinter mir saß Jürgen, mein „Türöffner“, und Pausenfüller,<br />
der nur schöne Frauen auf den Balkon ließ, oder<br />
gute Freunde. Wenn ich einmal hinunter an die Theke<br />
ging, um eine Pause einzulegen, machte er die Musik.<br />
Die Leute tanzten mittlerweile im gesamten Lokal, auf<br />
den Tischen, auch auf den Ecken der Theke bewegten<br />
sich schöne Frauen verzückt. Man drehte Joints auf meinem<br />
Balkon, an denen ich ab und zu auch mal zog, es<br />
beflügelte meine Fantasie aufs Feinste, ich spürte dann<br />
noch besser, wie ich den Leuten unten einheizen konn-<br />
423<br />
te. Jeder Tanzende wurde zum Star, und so war das auch<br />
vorgesehen.<br />
Es war ständig Fiesta auf meinem Balkon. Ich genoss<br />
diesen Zustand zusehends. Und bekam auch noch ein<br />
gutes Gehalt dafür. Wenn´s richtig voll wurde, die Stimmung<br />
den Siedepunkt erreichte, bekam ich von Georg<br />
einen Bonus, er ließ sich nicht lumpen, wusste seine<br />
Freunde gut zu motivieren.<br />
Der verklemmte Sex des ehemaligen Wintergartens war<br />
wie weggeblasen, die Menschen tanzten jetzt orgiastisch<br />
und frei. Auf den rechts von mir oberen Stufen, die nur<br />
spärlich beleuchtet waren, fand so Einiges statt, nicht offensichtlich,<br />
aber trotzdem richtig.<br />
Die Partys endeten irgendwann in den frühen Morgenstunden,<br />
waren für uns aber oft längst nicht vorbei.<br />
Georg lud nimmermüde, gut angetörnte schöne Menschen<br />
zu sich nach Hause ein, wo die Orgie dann offener<br />
wurde. Auf einem von Wald umgebenen Berg außerhalb
Dortmunds hatte er ein Haus, aus der nackte<br />
Schöne aus der im Untergeschoß liegenden Sauna über<br />
die Terrasse auf eine große, am Hang liegendes Wiese liefen,<br />
die bis zum Waldrand reichte, und auf der bei unserer<br />
Ankunft Rehe friedlich ästen, bis sie von lauter Musik<br />
und den herumtollenden Menschen gestört wurden,<br />
und wieder im Wald verschwanden.<br />
Georg war ein außergewöhnlicher Gastgeber, der Alles<br />
tat, um friedliche Menschen zufrieden zu stellen. Die<br />
Göttin der Flussmündung hatte freundlich lächelnd ihre<br />
Hände über ihm und uns allen ausgebreitet.<br />
Oft bekamen mich Lucie und die Kinder Tagelang nicht<br />
zu sehen, wenn ich erst gegen Mittag Ruhe fand, schlief<br />
ich in Georgs Gästezimmer, und fuhr später von dort aus<br />
mit ihm zurück zur Arbeit. Lucie ließ mich gewähren,<br />
424<br />
sie beschwerte sich nie, war vollkommen auf unsere Kinder<br />
konzentriert. Bis wir irgendwann dazu kamen, den<br />
Club Montags geschlossen zu halten, sieben Tage die<br />
Woche waren dann doch zu hart, um diese stets stattfindenden<br />
Feste zu feiern, uns nur auf Gäste einzulassen.<br />
Gewinne warf das Jara auch in sechs Tagen reichlich ab.<br />
Bis dann eines Tages die Post kam, die uns einen Brief<br />
ablieferte, der uns überhaupt nicht gefiel, Lucie und<br />
mich förmlich aus den Sesseln hob. Man hatte uns das<br />
Haus gekündigt. Wir hatten zwei Monate Zeit unser geliebtes<br />
Anwesen zu räumen, da es abgerissen werden<br />
sollte, auf dem großen Grundstück war ein dreißig<br />
Stockwerke hohes Haus mit einhundertzwanzig Wohnungen<br />
geplant.<br />
Wir versuchten etwas dagegen zu unternehmen, hatten<br />
jedoch keinerlei Chancen gegen die Wohnungsbaugesellschaft.<br />
Die Kinder waren nun drei und vier Jahre alt,<br />
würden bald in die Schule kommen, ein Rückzug in die<br />
Innenstadt von Dortmund war für uns inakzeptabel. Wir<br />
hatten uns an das Leben im Grünen gewöhnt, wollten<br />
auch Fleure und Laura nicht in eine Dortmunder Schule<br />
gehen lassen. Die Aussichten, die Kinder in einer<br />
Großstadtschule erzogen werden zu lassen war für uns<br />
nur negativ. Außerdem grassierten immer mehr harte<br />
Drogen in der Stadt, diese Szene wollte ich auf keinen<br />
Fall länger miterleben.<br />
So beschlossen wir nach reiflicher Überlegung, uns eine<br />
Wohnung oder ein kleines Haus in der ruhigen Umgebung<br />
meiner ehemaligen Heimatstadt zu suchen, Großstadtleben<br />
hatten wir eh reichlich in all seinen Formen<br />
genossen.<br />
Georg war nicht sonderlich begeistert von meinen Plänen,<br />
wir einigten uns darauf, dass ich nur noch am Wochenende<br />
von Freitags bis einschließlich Sonntags im Ja-<br />
425<br />
ra arbeiten sollte. Gute DJs waren im Ruhrgebiet für die<br />
Tage zwischen Dienstag und Donnerstag leicht zu finden.<br />
426
Kapitel 51<br />
Nun war es nicht gerade einfach, so schnell eine neue<br />
Wohnung in Merschnich zu finden, also zogen wir zunächst<br />
in eine kleine Ein Zimmer Wohnung über einer<br />
Bäckerei. Es war eng, Bad und Toilette befanden sich auf<br />
dem Flur, Lucie jedoch arrangierte sich sehr schnell mit<br />
der neuen Situation, immer mit Blick auf Verbesserung<br />
der Lebensbedingungen. Lucie schaute immer automatisch<br />
positiv in die Zukunft, sie wusste, dass sie sich zumindest<br />
in dieser Hinsicht auf mich verlassen konnte.<br />
Wir fanden eine Wohnung am westlichen Rand von<br />
Merschnich, eine Parterrewohnung, mit einem riesigen<br />
Wohn- Schlafzimmer, einem kleinen Kinderzimmer,<br />
Küche und Bad. Besonders gefiel uns die große Terrasse,<br />
die in einen Garten führte. Eine große Wiese von Sträuchern<br />
und Bäumen umgeben. Diese Wohnung gefiel uns<br />
allen sehr gut, wir richteten uns ein. Leider musste Lucie<br />
zum Einkaufen immer weit in die Stadt laufen, es<br />
war für sie nicht unbedingt leicht, mit den beiden Kindern<br />
und Einkaufstüten die langen Wege zurückzulegen.<br />
Ich war ihr keine große Hilfe, war ein fauler Hund, verließ<br />
mich völlig rücksichtslos auf ihre unendlichen Kräfte.<br />
An drei Tagen war ich sowieso nicht zu Hause, sie führte<br />
den Haushalt praktisch alleine. Manchmal mähte ich<br />
den Rasen, auf dem die Kinder wunderbar spielen<br />
konnten.<br />
Sie fanden sich schnell Freunde in der kleinen Straße, oft<br />
waren Haus und Garten mit Kindern überfüllt. Auch wir<br />
fanden bald Anschluss an eine Gemeinde junger Leute,<br />
es sprach sich schnell herum, dass in Merschnich eine<br />
Frau aus Paris, mit einem Mann, der etwas von moder-<br />
427<br />
ner Musik verstand, zugezogen waren. Bekannte, die ich<br />
noch aus Kinder- und Schulzeiten kannte entwickelten<br />
sich zu Freunden, die wieder ihre Freunde zu uns mitbrachten.<br />
Bei uns war immer etwas los, open House schnell hatte<br />
sich unsere Wohnung zu einem Sammelplatz für Musikliebhaber<br />
und andere nach Freiheit drängende junge<br />
Leute entwickelt, Lucie lernte nette Frauen kennen, die<br />
sie in jeder Hinsicht unterstützten, ihr halfen deutsch zu<br />
lernen, und das Leben allgemein in Merschnich zu meistern.<br />
Die Wohnung wurde fast zu einer Kneipe, die<br />
Leute liebten meine Musik, von der nur wenig bis nach<br />
Merschnich gelangt war. Die kleine Stadt lag in dieser<br />
Hinsicht hinter den sieben Bergen.<br />
Unsere Kinder verwandelten das Haus Tagsüber in einen<br />
Kindergarten. Die Nachbarskinder mochten ihre freie,<br />
lockere art mit dem jungen Leben umzugehen, Lucie<br />
backte ihnen Waffeln am Nachmittag. Die Eltern schauten<br />
zwar zu Anfang misstrauisch auf das bunte Treiben,<br />
merkten jedoch schon bald, dass ihre Kinder bei uns gut<br />
aufgehoben waren. Der Hippievater, der zunächst kritisch<br />
beobachtet wurde, war eh am Wochenende nicht
zu Hause, Lucie war in der gesamten Nachbarschaft beliebt.<br />
Die Kinder entwickelten sich prächtig. Fleure war etwas<br />
schüchtern, und voll auf ihre Muter konzentriert. Laura<br />
wurde ein rechter Wildfang, rannte viel herum, war bald<br />
die „Chefin“ der Kinderbande, und kam oft mit Taschen<br />
voller gesammelter Steine nach Hause, die sie in einer<br />
Ecke des Kinderzimmers auftürmte. Wenn ihr etwas<br />
nicht passte, oder ihr der Weg zurück aus der Stadt zu<br />
lang wurde, ließ sie sich einfach auf dem Gehweg auf<br />
den Po fallen, verschränkte die Arme und schmollte. Es<br />
war oft nicht einfach für Lucie, Laura zum weitergehen<br />
428<br />
zu bewegen.<br />
Ich gab den Job nach einiger Zeit auf, Georg hatte einen<br />
guten DJ gefunden, ich fuhr nur noch ab und zu nach<br />
Dortmund, freute mich dann immer, wieder eine Masse<br />
von Musikhungrigen gutgelaunten Menschen zu unterhalten.<br />
In unserer Wohnung war ich der Unterhalter von einer<br />
Menge Freunden, Rainer, Willibert, seine Freundin Petra,<br />
Claus „Banan“, Theo, Ottmar, Bacchus, Regina, Ritchy,<br />
der leider jung verstarb R.I.P. ,Ralf und Annemie,<br />
die auch jung von uns ging R.I.P., Irene, Margit, Bobby,<br />
die irgendwann plötzlich aus der Stadt verschwunden<br />
war, ihre Sachen in unserem Keller untergebracht hatte,<br />
wurde nie wieder gesehen, Falco und Theo, Wicke und<br />
Lydia, Heinz, den wir „Schlangenhein“ nannten, weil er<br />
oft in Schlangenleder gekleidet war, an Drogen verstarb<br />
R.I.P., Klaus und Michael, zwei Brüder, Elke, Bärbel,<br />
„Smitty“, „Man“ Breuer, der Musik studierte, ein guter<br />
Schlagzeuger wurde, Erfolg hatte, und Heinz Seidemann,<br />
der auch den verdammten Drogen zum Opfer fiel<br />
R.I.P., und noch Andere mehr bevölkerten unsere Wohnung<br />
regelmäßig.<br />
Ich erzählte Geschichten von meinen Reisen, und versorgte<br />
die Freunde mit Musik. Alle rauchten Hasch, das<br />
sie sich selbst in Holland besorgten, dort war diese Droge<br />
vom Gesetzgeber erlaubt, in jeder Hinsicht ein fortschrittliches<br />
kleines Land, das zwanzig Kilometer von<br />
Merschnich entfernt war.<br />
Dort bezog ich Stoff, wenn einmal ein größerer Deal<br />
angesagt war. Ich hatte durch einen Betrug 50.000 Mark<br />
eingebüßt, mein Sparkonto war zwar noch gut gefüllt,<br />
für einen Lebensabend, an den ich bis zur Geburt unserer<br />
Kinder niemals einen Gedanken verschwendete,<br />
reichte es nicht aus. Deshalb machte ich ab und an den<br />
429<br />
Haschsack auf, und verschob das Zeug Zentnerweise ins<br />
Ruhrgebiet. Niemand in Merschenich bemerkte etwas<br />
von meinen Unternehmungen.<br />
Frankfurt war nicht zuletzt durch die sich immer weiter<br />
verbreitende harte Drogenszene indiskutabel geworden.<br />
Hier war ich auch dem Betrug aufgesessen, man hatte<br />
mich bewaffnet beraubt, als die Übergabe von 35 Kilo
Haschisch stattfinden sollte. 50.000 Mark Investition<br />
futsch, in drei Minuten.<br />
Ich trauerte nicht lange, Geld kommt, Geld geht, wie<br />
auch immer. Nur Lucie fand die Sache nicht lustig. Sie<br />
war geschockt, weil ich hätte erschossen werden können,<br />
von der Polizei verhaftet, und das schöne Geld war<br />
weg. Sie dachte sehr wohl schon zeitig an die Zukunft,<br />
sie war diesbezüglich eine sehr vernünftig denkende<br />
Frau, von Vernunft hatte ich in meinem Leben nicht viel<br />
gelernt. Ich verstand es jedoch sie zu trösten. Und wurde<br />
noch sehr viel vorsichtiger.<br />
Eines Tages machten Einige von uns eine Reise nach<br />
Hamburg, Bärbel, die mir sowieso schon immer gefiel,<br />
Dick, Heinz und ich fuhren mit einem VW Käfer die<br />
500 Kilometer nach Hamburg. Wir wollten eigentlich<br />
nur Falco und Regine besuchen, die es dorthin verschlagen<br />
hatte.<br />
In Hamburg angekommen gingen wir durch die schönen<br />
Einkaufstrassen. Einer von uns kam auf die glorreiche<br />
Idee, „wer nachher das Meiste geklaut hat, ist Gewinner“.<br />
Sollte ein Joke sein. Ich tat mich mit Bärbel<br />
zusammen, der ich während der ganzen Fahrt nach<br />
Hamburg an der süßen kleinen, samtweichen Brust herumgefummelt<br />
hatte. Sie ließ es gerne geschehen.<br />
So gingen wir von einer Boutique in die Nächste, und<br />
Jeder stahl was das Zeug hielt. Hemden, Hosen, irgendwelche<br />
Figürchen, die für Dekorationszwecke bestens<br />
430<br />
geeignet waren. Einmal stand ich direkt vor einer Kasse,<br />
rechts neben mir Bärbel und während ich freundlich mit<br />
der Verkäuferin über das Wetter sprach, steckte ich mit<br />
der linken Hand, die sie nicht sehen konnte, sehr teure<br />
Socken ein, die an einem Ständet neben der Kasse standen.<br />
Ich stopfte 10 Paar in meine Tasche, bevor wir uns<br />
freundlich aus dem Laden verabschiedeten. Bärbel lachte<br />
sich schlapp als wir auf der Straße waren, sie hatte<br />
meine Aktion gut mitbekommen, nur die Verkäuferin<br />
nicht. Dann gingen wir zu Viert in ein großes Geschäft,<br />
in dem es orientalische und indische Sachen aller Art zu<br />
kaufen gab. Das Geschäft war bis unter die Decke mit<br />
bunten Waren angefüllt.<br />
Jeder steckte sich etwas ein, das ihm oder ihr gefiel, ich<br />
hatte es auf einen wunderschönen bunten Teppich aus<br />
Indien abgesehen, den ich mir nie hätte leisten können.<br />
„Du bist verrückt“, sagte Bärbel, „wie willst du den hier<br />
raus bekommen“? „Lass mich mal machen“, sagte ich sicher,<br />
begann den dünnen Teppich zu falten, während die<br />
Anderen die Verkäuferin beschäftigten, indem sie durch<br />
verschiedene Gänge liefen die Auslage betrachteten und<br />
trotz Anwesenheit der Chefin Dinge in ihren Taschen<br />
verschwinden ließen. Die Verkäuferin immer hinter ihnen<br />
her, nicht hinter Bärbel und mir, wir befanden uns<br />
am hinteren Ende des Ladens. Die Händlerin konnte
immer nur ein Paar von uns unter Beobachtung halten.<br />
Am Ende des Geschäfts war ein Fenster, das auf eine<br />
freie Fläche führte, die man von der Straße aus leicht erreichen<br />
konnte, wenn man über einen niedrigen Zaun<br />
stieg.<br />
Ich schickte Bärbel hinaus, sie möge zum Fenster schauen<br />
und aufpassen, dass keiner der Passanten sah, wie ich<br />
den Teppich durch das Fenster warf. An der Verkäuferin<br />
wäre ich mit dem großen Ding nie vorbeigekommen.<br />
431<br />
Also hievte ich das Teil aus dem Fenster, warf es auf die<br />
freie Fläche außerhalb des schönen Ladens. Ich verabschiedete<br />
mich freundlich lächelnd von der Verkäuferin,<br />
hätte leider nichts Passendes gefunden und verschwand<br />
auf die Strasse, wo Bärbel auf mich wartete. Die anderen<br />
hatten die Aktion nicht mitbekommen, sie waren damit<br />
beschäftigt, kleine Figürchen in ihren Taschen verschwinden<br />
zu lassen. Ich ging um das Haus herum, sah<br />
über den Zaun, da lag mein Teppich, wartete darauf abgeholt<br />
zu werden. Sehr schnell war ich über den Zaun<br />
geklettert, nahm mich umschauend den schönen Teppich<br />
auf, zurück über den Zaun auf die Straße, und ab<br />
Richtung weit weg vom Geschäft. Ich hatte für den Tag<br />
genug geklaut. Die Aktion hatten wir als Gag angefangen,<br />
aus Langeweile, dass ein solcher Triumph mit dem<br />
indischen Teppich daraus werden würde hatte Niemand<br />
vorausgesehen. Jedenfalls war ich am Abend der Sieger<br />
im Klaugeschäft, daran gab es keinen Zweifel. Der Teppich<br />
war fast 8 qm groß. Die anderen hatten auch gut<br />
zugeschlagen, Heinz hatte sogar irgendwo eine Lederjacke<br />
mitgehen lassen. Jeder war zufrieden mit seiner<br />
Ausbeute dieses einmalig bleibenden Tages in Hamburg.<br />
Es ging eigentlich nicht wirklich um die erbeuteten Waren,<br />
es war der Thrill, der stets Hitze in mein Herz<br />
brachte, wenn ich wieder einen Verkäufer trickreich<br />
überlistet hatte. Nun konnte ich Jürgen als Raubritter<br />
der Großstadt verstehen, er stand ständig unter Adrenalin,<br />
wenn er sich fremdes Eigentum aneignete. Leider<br />
brauchte er später zuviel davon und ging den Weg eines<br />
überzeugten Junkies, den Weg ohne Wiederkehr.<br />
Eine solche Tour machte ich nie wieder. Es sollte eine<br />
einmalige Raubtour werden. Ich musste an Jürgen denken,<br />
der so seinen Lebensunterhalt bestritt. Da dealte ich<br />
lieber mit Hasch. Im Dunkel der Nacht, oder während<br />
432<br />
geschäftigen Treibens auf offener Straße, ein Deal mit<br />
dem süße Träume bescherenden Stoff war einfacher,<br />
wenn auch mit unruhigen Gefühlen verbunden. Der<br />
bunte, Handgeknüpfte Teppich sollte mich ein Leben<br />
lang begleiten. Ich hatte Qualität geraubt, der Teppich<br />
war sicher von armen Menschen für einen Hungerlohn<br />
in Indien gefertigt und wurde hier in Europa teuer verkauft.<br />
Er war ja von den Händlern schon bezahlt, so
mussten die Hersteller nicht unter meinem illegalen Geschäft<br />
leiden.<br />
433<br />
Kapitel 52<br />
Nach einiger Zeit machte ich dann mit Bacchus ein<br />
Musiklokal auf, das ich „Joker“ nannte. Den Namen hatte<br />
ich von einem Song der Steve Miller Band und<br />
„Spaßmacher“ passte sehr gut zu mir. Das Lokal hatte<br />
ich von Werner Merks gemietet, einem Schweizer<br />
Staatsbürger, der auf einer Landstrasse noch einen Puff<br />
besaß. Robby war ein begnadeter Kunstmaler, der uns<br />
die Wände mit Nordamerikanischen Indianermotiven<br />
bemalte. Der Laden lief gut, bis wir mit Werner Differenzen<br />
bekamen, und das Lokal schließen mussten. Meine<br />
letzten Ersparnisse von 25.000 Mark blieben dabei<br />
auch noch auf der Strecke, mein Konto war geplündert.<br />
Ich machte schnell ein paar Haschgeschäfte mit Vorkasse,<br />
so blieben wir zunächst noch gut am Leben.<br />
Eines Tages wurde mir von einem Junkie aus einem<br />
Nachbardorf John präsentiert, ein Amerikaner, stets in<br />
Jeansklamotten und Cowboystiefel gekleidet, krolliges<br />
langes Haar im Afrolook, so wie man sich einen Dealer<br />
aus Amerika gut vorstellen konnte. Er sprach auch perfekt<br />
den Dealerslang, und wollte 50 Kilo Haschisch kaufen.<br />
Zunächst war ich von Natur aus misstrauisch, wenn<br />
es um so große Mengen ging, aber der Typ verstand es<br />
mich zu überzeugen. Das Hasch sollte für amerikanische<br />
Soldaten im Rhein-Main Gebiet sein. Das kannte ich ja.<br />
Eigentlich hatte ich mich mittlerweile geweigert, noch<br />
Drogen zu verkaufen, aber für amerikanische Soldaten,<br />
war mir das egal. Das amerikanische Verteidigungsministerium<br />
konnte ich nie leiden, sollten die Militärs sich<br />
doch mit dem Zeug die Köpfe durchknallen, und in Vietnam<br />
danebenschießen, wenn sie auf den Vietcong zielten.<br />
434<br />
„Zuerst will ich Geld sehen“, verlangte ich von John.<br />
Zwei Tage später kam er dann mit 80.000 Mark in ein<br />
Handtuch eingewickelt in ein Hotelzimmer, packte sie<br />
aus, und legte gleichzeitig eine Riesenkanone darauf.<br />
„Komm nicht auf dumme Gedanken“, warnte er mich,<br />
auf seine Knarre deutend, „die ist sechszehnschüßig und<br />
neun Millimeter stark“, beschrieb er die automatische<br />
Waffe drohend. „Keine Sorge, ich fass das Geld nicht an,<br />
bis du deinen Stoff bekommst“, beruhigte ich ihn lässig.<br />
Nach Holland wollte er nicht, wo ich den Stoff hätte besorgen<br />
können, die Grenze sei hm zu heiß<br />
Ich dachte an den hohen Gewinn, den ich bei dem Deal<br />
würde machen können, ein Drittel der Summe wäre in<br />
meine Tasche geflossen. Ich war pleite, und unvorsichtig,<br />
brauchte frisches Geld.<br />
In Hamburg waren meine Quellen versiegt, in Berlin<br />
hatte ich noch einen Kontakt für solche Quantitäten,<br />
und telefonierte. „Kein Problem“, sagte Michael aus
Berlin, „ ich kann jede beliebige Menge besorgen“. Er<br />
nannte mir den Preis für das Kilo, und meine Freude<br />
wurde größer. Einen solchen Gewinn konnte ich jetzt<br />
gebrauchen.<br />
Wir verabredeten uns in Berlin. „Eigentlich will ich<br />
nicht über „Kommi“-Land fliegen“, sagte John ärgerlich.<br />
„Die Kommunisten haben bisher noch keine westliche<br />
Maschine abgeschossen“, entgegnete ich höhnisch,<br />
„also mach dir keine übertriebenen Sorgen“. „Es gibt<br />
keine Zollkontrollen, wir fliegen praktisch innerdeutsch“,<br />
erklärte ich ihm noch. `Ist der Typ doof, oder<br />
´etwas anderes´, fragte ich mich, einen kleinen Verdacht<br />
auf irgendetwas nicht ganz astreines hatte ich langsam<br />
bekommen. Aber ich dachte in erster Linie an das Geld,<br />
hatte es ja schon gesehen und brauchte es dringend. So<br />
schob ich jeden Verdacht weit weg von mir.<br />
435<br />
Claus „Banan“ fuhr mit mir in seinem Auto nach Berlin,<br />
ich gab ihm Sprittgeld, und versprach 500 Mark, falls<br />
der Deal über die Bühne gehen sollte. John nahm das<br />
Flugzeug. Wir waren nach zwei Tagen an dem verabredeten<br />
Treffpunkt Nähe des Berliner Flughafens Tempelhof.<br />
Ich hatte alles vorbereitet, das Haschisch lag bereit, wir<br />
warteten in einer Kneipe auf den Dealer.<br />
Michael war noch vorsichtiger als ich, wollte sich den<br />
Käufer erst einmal anschauen, man konnte ja nie wissen.<br />
Das Geschäft sollte folgendermaßen ablaufen: Mit John<br />
saß ich ja schon in der Kneipe, deren Namen und Standort<br />
ich Michael telefonisch miteilte. Er erklärte mir, dass<br />
ich mit dem Ami an einem Tisch sitzen sollte, er käme<br />
in fünfzehn Minuten, würde an der Theke ein Bier trinken,<br />
sich im Laden umschauen, dann wieder hinausgehen,<br />
ich sollte ihm einige Minuten später folgen, und er<br />
würde mir dann mitteilen, ob er dem Typ trauen könnte.<br />
Es ging immerhin um möglicherweise zehn Jahre<br />
Knast.<br />
Ich sah Michael zur Türe hereinkommen, ein Fremder,<br />
der sich ´mal eben ein Bier an der Theke trinken wollte.<br />
Das tat er auch, schaute sich um, wie das Jeder tun<br />
würde, trank sein Glas langsam leer und verließ das Lokal<br />
dann wieder. Ich wartete ein paar Minuten und sagte<br />
zu John, dass ich von einer Telefonzelle noch einmal<br />
anrufen müsse, es würde ja wohl Zeit für die Lieferung.<br />
„Mach dich vom Acker“, sagte Michael aufgeregt, „du<br />
sitzt da mit einem amerikanischen CID Agenten, der hat<br />
hier in Berlin schon einige Dealer hochgehen lassen“,<br />
fügte er hinzu. „Sag dem Typen einfach, der Deal könnte<br />
nicht laufen, kurz vor deinem letzten Anruf hätte dir<br />
ein anderer Dealer die gesamte Ware für einen besseren<br />
Preis vor der Nase weggekauft“, „ dann kann er dir gar<br />
436<br />
nichts“.<br />
Das CID, Criminal Investigation Department war eine
amerikanische Einrichtung mit Sitz in Heidelberg, die<br />
Agenten durch Deutschland schickten, um Deals zu provozieren,<br />
was hier absolut verboten war. Aber Deutsche<br />
Polizei- und Zollbehörden spielten mit, wenn Befehle<br />
aus den USA kamen, wurden diese auch hier von der<br />
Politik befolgt. Eine Schweinerei, die aber so im Dunkel<br />
ablief, dass man sie nie hätte beweisen können.<br />
Es wurde der amerikanischen Armeeführung zuviel, dass<br />
die Soldaten nur noch high durch die Kasernen stolperten,<br />
auch mit harten Drogen versorgt wurden, die in Vietnam<br />
ja Gang und Gäbe waren. Es gab von Anbeginn<br />
des Krieges in Vietnam immer mehr Soldaten, die als<br />
Junkies aus der schmutzigen Schlacht zurückkamen.<br />
Das CID in Deutschland glaubte wahrhaftig, es könnte<br />
den Fortlauf der Sucht in Deutschland mal so eben stoppen,<br />
naiv waren Amerikaner ja immer schon. So nahmen<br />
sie alle Drogen ins Ziel, die sie vom Markt nehmen<br />
konnten, darunter leider auch Haschisch, das keinerlei<br />
Sucht hervorrief, wie wissenschaftlich bewiesen war.<br />
Wenn ein solcher Deal dann von Statten ging, stand das<br />
Deutsche Rauschgiftdezernat oder die Zollbehörde mit<br />
vielen Beamten bereit, um den Dealer zu schnappen.<br />
Der Ami gab irgendein Zeichen an die ihn beobachtenden<br />
Deutschen Agenten, und verschwand schnell. Er<br />
tauchte in keinem Prozess auf, wurde zwar von den<br />
Dealern als Agent Provokateur benannt, die deutschen<br />
Beamten jedoch taten immer so, als wüssten sie von<br />
nichts.<br />
Ausgerechnet an so einen miesen Provokateur war ich<br />
geraten. Welch ein Glück für mich, dass Michael diesen<br />
Umstand noch so gerade vor dem Deal gecheckt hatte,<br />
ich wäre sicher für lange Jahre in den Bau gewandert. Ab<br />
437<br />
zehn Kilo gab es keine Späße mehr.<br />
Als ich zurück in die Kneipe kam, teilte ich John mit,<br />
dass der Deal nicht ablaufen würde, es sei leider nichts<br />
mehr da, alles schon verkauft. „Und dafür lockst du mich<br />
nach Berlin“, schrei er laut und schwer sauer. „Ich kann<br />
nichts dafür, man hatte mir den Stoff zugesagt, nun ist er<br />
halt weg“, antwortete ich unschuldig. „Das machst du<br />
nicht noch einmal mit mir“, sagte er ärgerlich, und verschwand<br />
aus dem Lokal. Ich folgte ihm schnell bis zur<br />
Türe und konnte noch beobachten, wie plötzlich unauffällige<br />
Herren aus allen Ecken um die Kneipe herum<br />
auftauchten, mit John sprachen, und sich dann in alle<br />
Winde verstreuten. Wir waren von Polizei umzingelt.<br />
Hätte ich den Deal durchgezogen, säße ich jetzt im Berliner<br />
Knast.<br />
Banan war im Hotel geblieben, ihn bekam niemand zu<br />
Gesicht. Als ich ihm nach meiner Rückkehr von der Geschichte<br />
berichtete, fiel ihm ein Stein vom Herzen. „Ein<br />
Glück dass ich nicht mit zu der Übergabe gegangen bin,<br />
so kennt mich jetzt niemand von den Bullen“, sagte er
erleichtert, auch denkend, was ihm hätte passieren können,<br />
wenn er dabei gewesen sei, und der Deal doch abgelaufen<br />
wäre. Er hätte mit mir in einem Boot gesessen,<br />
dann im gleichen Knast.<br />
Dieser Sündenfall war an uns vorbeigezogen, und niemand<br />
konnte uns das Geringste anhaben. Das CID hat<br />
nie wieder versucht mich zu einem Deal zu provozieren,<br />
und John musste sich erstmal von seinem mit einer weiten<br />
Reise verbundenen Misserfolg erholen. Ich gönnte<br />
es ihm, Agents Provokateurs hatten bei uns nichts verloren.<br />
Ich sah ihn nie wieder. Von da ab wollte ich keinen<br />
Deal mehr machen, es war einfach zu heiß geworden.<br />
Ich musste eine andere Möglichkeit finden, Geld für<br />
mich und meine Familie zu verdienen.<br />
438<br />
Wir fuhren gemütlich mit Banan´s Käfer nach Merschnich<br />
zurück, und lachten viel über das dumme Gesicht,<br />
das John jetzt sicher eine Zeitlang zur Schau tragen<br />
würde.<br />
Irgendwann hatte ich Angst in Banan´s Augen aufblitzen<br />
sehen. Angst vor was? Er war doch bei der Aktion sicher<br />
im Hotel aufgehoben, hatte wohlweislich nicht am Deal<br />
teilnehmen wollen.<br />
Angst hatte ich keinen Augenblick! Ich war schon früh<br />
vor mir Angst machen wollenden Menschen weggelaufen.<br />
Erst vor der Kreatur in meines Vaters Haus, dann vor<br />
den Schergen Gottes, die mir Angst vor einer Hölle machen<br />
wollten, und vor den Erziehern, die mir Angst vor<br />
einer verkorksten Zukunft machen wollten.<br />
Angst war ein Gefühl, das mir fremd war. Angst hatte nie<br />
auch nur einen Zipfel meiner Seele angeknabbert, weder<br />
als mir der CID Freak die dicke Knarre auf die Kohle<br />
legte, noch als ich in Berlin von Bullen umzingelt war.<br />
Angst war in mir nie hochgekommen. Ich wusste immer,<br />
dass ich mir überall raushelfen konnte, mit Herz<br />
und Verstand. Ich hatte weder vor dem Ami das Geld zu<br />
klauen, noch einen Deal mit ihm zu machen, der mich<br />
für viele Jahre in den Knast gebracht hätte. Ein Himmelsboote<br />
der Götter, diesmal war es Michael, hatte<br />
mich rechtzeitig gewarnt, warum also Angst haben. Ich<br />
sollte immer Angstfrei leben, was später viele Menschen<br />
um mich herum nicht verknusen konnten.<br />
Auf meinen Reisen Hatte ich viel mit klugen Freunden<br />
über dieses Thema diskutiert, und gelernt, dass Ängste<br />
sich in die Seele schleichen könnten, und sich dann<br />
langsam zu Paranoia entwickelten. Paranoid wurde ich<br />
nie, hatte aber viele Paranoiker um mich herum sehen<br />
müssen. Paranoia war schon fast eine Volkskrankheit.<br />
439<br />
Kapitel 53<br />
Öfters flog ich für zwei Wochen nach Ibiza. Die Reise<br />
war nicht teuer, und die Unterkünfte leicht bezahlbar.<br />
Anfang der Siebziger Jahre, war die Insel von Hippies
esetzt, die Touristen kamen nur spärlich, wenn, dann<br />
waren es reiche, sich langweilende Menschen, die am<br />
freien Leben der Hippies teilhaben wollten.<br />
Das war überall so, diese Menschen folgten den Hippies<br />
überall hin, versuchten zu lernen, auch so frei und<br />
Angstlos zu leben wie sie, was ihnen nie gelang, sie hatten<br />
am Ende zu große Sorge vor Verlust ihres Reichtums,<br />
als hätten sie Freiheit lernen können.<br />
Sie feierten mit uns, versuchten auch losgelöst zu tanzen<br />
und zu lachen, aber sie blieben steif, konnten nie wirklich<br />
loslassen, und ihr Lachen war gequält, was deutlich<br />
erkennbar war.<br />
Wir profitierten von ihnen, indem wir ihnen Shit zur<br />
Auflockerung verkauften, oder viele von Fernreisen mitgebrachte<br />
Waren wie bunte Kleider, Tücher, besonders<br />
Schmuck war sehr gefragt. Das Angebot war reichlich,<br />
die Touristen kauften wie verrückt.<br />
Irgendwann suchten zwei schon ältere Franzosen eine<br />
Mannschaft für eine neue Diskothek, die schon bald am<br />
Rande von Ibiza Stadt eröffnen sollte. Sie hatten riesige<br />
Räumlichkeiten von Ibizencos gekauft, die gesamten<br />
Gebäude eine ehemaligen Pferderennbahn, die nun<br />
brach lag.<br />
Sie ließen diese Räume umbauen, und errichteten eine<br />
Riesendiscothek, von Ausmaassen, wie ich sie nie zuvor<br />
gesehen hatte.<br />
Daniel und Christian waren ehemalige OAS Offiziere,<br />
die in Algerien große Besitztümer hatten. Bis dann De<br />
440<br />
Gaulle den Algeriern die Freiheit gab, und die Okkupanten<br />
das Land verlassen mussten.<br />
Einige wollten sich mit dieser Politik nicht abfinden. Von<br />
hohen Militärs geleitet bildete sich die OAS, eine gut<br />
bewaffnete Geheimorginisation, die den Kampf gegen<br />
diese für sie inakzeptable Regelung der französischen<br />
Politik aufnehmen wollten.<br />
Sie Alle waren in Algerien reich geworden, wollten ihre<br />
großen Farmen und Felder behalten. Die schon zurückgekehrten<br />
Franzosen, die sich mit der Freiheit Algeriens<br />
abgefunden hatten, und nun Angst vor Rache der Araber<br />
hatten, ließen ihre Besitztümer zurück, lebten von<br />
dem, was sie sich schon während ihrer Zeit in Algerien<br />
eingeheimst hatten. Und das nicht zu knapp. Die Algerische<br />
Bevölkerung lebte in Armut, wurde von den Invasoren<br />
praktisch ausgesaugt.<br />
Die OAS wurde dann zerschlagen, viele Mitglieder kamen<br />
in Gefängnisse, einige aber konnten den Französische<br />
Militärbehörden entwischen, brachten so viel als<br />
möglich an Geld und Gut aus Algerien in andere Länder,<br />
so auch Daniel und Christian, die ihr Geld in Spanien<br />
investiert hatten. Beide besaßen schon Restaurants<br />
in Valencia und Barcelona.<br />
Sie kamen genau im rechten Augenblick auf die Insel
Ibiza, hatten die sich immer stärker entwickelnde Touristik<br />
gut erkannt.<br />
Es gab die in der ganzen Welt bekannte Dicothek „Pascha“<br />
auf Ibiza, wo sich jede Nacht sicher achthundert<br />
Gäste die Nächte um die Ohren schlugen. Wirklich um<br />
die Ohren, denn das Pascha hatte eine exzellente Musikanlage,<br />
die laut gefahren wurde. Die Menschen tanzten<br />
im gesamten Dicothekenbereich. Die Anlage war zwar<br />
auf die Tanzfläche gerichtet, aber so laut, dass die gesamte<br />
Räumlichkeit vom Sound erreicht wurde. Die Bar-<br />
441<br />
männer waren die Vortänzer, sie mixten die Drinks im<br />
Rhythmus der Musik.<br />
Diesem Pascha wollten Daniel und Christian Paroli bieten,<br />
sie bauten das „Gloris“ und ich sollte dort Musik<br />
auflegen. Ich wohnte in der Altstadt von Ibiza, in einem<br />
großen, tausend Jahre altem Haus, das einem spanischen<br />
Künstler gehörte, der auf Weltreise war, und einen Teil<br />
des Anwesens an Monika, einer 24jährigen, sehr liebenswerten,<br />
aber total verrückten Deutschen aus Köln überlassen<br />
hatte und die mir dort ein Zimmer zur Verfügung<br />
stellte. Es wohnte noch drei andere Leute im Haus, zwei<br />
Spaniereinnnen und ein Deutscher. Monika hatte mich<br />
auch mit Daniel und Christian zusammengebracht, und<br />
so hatte ich den Job gefunden. Sie sollte als Kellnerin im<br />
Gloris arbeiten.<br />
Vom Dach der immens großen Dachterrasse des Hauses<br />
hatte ich einen Blick über die gesamte Stadt Ibiza und<br />
auf den Hafenbereich, bis hin nach Formenterra, das bei<br />
der meist klaren Sicht weit in der Ferne als Schatten auszumachen<br />
war. Im Garten auf der Dachterrasse stand eine<br />
riesige dicke sehr gesunde Palme, die man von unten<br />
aus der Stadt gut erkennen konnte, so fand ich Anfangs<br />
meinen Weg durch das große Tor zur Altstadt, durch verwinkelte<br />
Gässchen und über kleinen Treppen, die mich<br />
dann zum Haus hochführten.<br />
„Wir müssen nach London, neue Platten kaufen“, sagte<br />
Daniel bei einem Treffen auf der Terrasse des Mont e<br />
Sol, eines sehr alten Hotels am Fuße der Altstadt von Ibiza.<br />
Hier trafen sich alle Nachtschwärmer ab elf Uhr<br />
morgens zum Frühstück, an diesem Tag war die mittlerweile<br />
auf fünfzehn Mitarbeiter angewachsene Crew des<br />
Gloris versammelt. „Wir werden in zehn Tagen eröffnen,<br />
und wollen die neuesten Schallplatten für dich haben,<br />
du fliegst also mit, und suchst die Musik aus“, sag-<br />
442<br />
te Daniel zu meiner großen Freude.<br />
Wir flogen am nächsten Tag nach London, fanden einen<br />
riesigen Plattenladen in der Nähe des Picadilly Circus,<br />
und ich kaufte dreihundert Platten, das Neueste und Beste,<br />
was auf dem Musikmarkt zu finden war. Vier Stunden<br />
fegte ich durch das Geschäft, und suchte mir Schallplatten<br />
fürs Gloris aus. Ich war natürlich glücklich, dass
ich mir meine Musik selbst auswählen konnte, so war ich<br />
sicher, den Gästen so einheizen zu können, wie ich es<br />
schon im Jara in Dortmund getan hatte. Am Abend flogen<br />
wir schwer beladen zurück nach Ibiza.<br />
Bis zur Eröffnung vertrieb ich mir die Zeit mit Monika,<br />
die nur eine Freundin war, keine Geliebte. Sie kannte die<br />
Insel schon sehr gut, zeigte mir die schönsten Strände<br />
und Plätze des wunderschönen, noch unschuldigen Eilands.<br />
Ich sah alte Männer, die ihre Ernten noch mit<br />
Eselskarren transportierten, schwarz gekleidete Frauen<br />
mit Strohhüten arbeiteten auf den Feldern mit Oliven,<br />
Orangen und Zitronenbäumen.<br />
Wir besuchten Sascha und Mora, die einst in Düsseldorf<br />
die erste Diskothek am Platz in der Kö-Passage besessen<br />
hatten, aus Steuergründen nach Spanien geflohen waren,<br />
und nun in einem Haus in den Bergen ohne Strom und<br />
fließend Wasser lebten. Sascha ging mit einer Harpune<br />
täglich auf Jagt nach Fischen in dem klargrünen Wasser<br />
des Meeres, das er durch viel Kletterei über Felsenmassive<br />
in einer unbewohnten wunderschönen Bucht erreichte.<br />
Eines Tages hatte Monika Pilze in unseren morgendlichen<br />
Joghurt gemischt, wir wollten die Bucht am anderen<br />
Ende der Insel besuchen, vielleicht Sascha beim Fischen<br />
beobachten.<br />
Die Pilze wirken schnell, ich befand mich auf einem<br />
Trip, der LSD gleichkam, ging regelrecht neben mir, und<br />
443<br />
konnte mein Inneres beobachten. Die Berge und Felder<br />
kamen mir unwirklich vor, alles war von Diamantfarbenem<br />
Leuchten überstrahlt. Als wir die riesigen Felsen erreichten,<br />
begannen wir hinunter zu der Bucht zu klettern,<br />
Monika sagte irgendwann: „ Ich bleib hier liegen,<br />
ich werde Eins mit den Felsen“.<br />
Ich stieg weiter den beschwerlichen Weg hinunter Richtung<br />
Wasser, bis ich auf einem großen Felsplatteau Halt<br />
machte, mich an den vorderen Rand setzte, und einen<br />
fantastischen Blick weit hinaus auf das strahlend blaue<br />
Meer hatte. In der Ferne sah ich ab und zu ein Schiff auf<br />
seiner Reise über die Weite des Mittelmeeres fahren, es<br />
war Romantik pur, die ich stundenlang ruhig mit gekreuzten<br />
Beinen sitzend genoss.<br />
Bis dann die Sonne langsam ins Meer zu fallen drohte,<br />
ein solch brillantes Farbenspiel am Himmel über dem<br />
Meer hatte ich vorher nie gesehen, sicher wurde dieser<br />
Blick von den Pilzen in meinem Kopf noch verstärkt, es<br />
war ein großartiges Abenteuer.<br />
Bevor es völlig dunkel wurde machte ich mich zum<br />
Aufstieg zurück auf den Weg zur Straße, und auch um<br />
Monika wieder zu finden, die noch als Stein irgendwo<br />
zwischen den oberen Felsen liegen sollte. Ich rief nach<br />
ihr, bekam leider keine Antwort von nirgendwo her.<br />
Hatte ich mich vielleicht verstiegen? War ich in die falsche<br />
Richtung gelangt?
Ich kletterte hin und her, rief immer wieder nach meiner<br />
Begleiterin, hörte jedoch nur mein Echo.<br />
Als ich dann oben angekommen war, fand ich mich auf<br />
einem Feld wieder, ein Weg auf dem wir her gelangt waren,<br />
war nicht zu erblicken. Ich sah nach der untergehenden<br />
Sonne, und machte mich in die entgegengesetzte<br />
Richtung auf, in der die Strasse liegen musste. Ich<br />
ging über das Feld, das an einer aus Handgroßen aufein-<br />
444<br />
ander getürmten Steinen Mauer endete, die etwa einen<br />
Meter hochragte. Alle Felder auf der Insel waren so begrenzt.<br />
So stapfte ich sicher einige Kilometer über mit<br />
schwarzbrauner Erde bedeckte Felder, musste viele<br />
Mauerchen überklimmen, erreichte schließlich einen<br />
großen in Blüte befindlichen Olivenhain.<br />
Ich ging an sehr schön zu betrachtenden Olivenbäumen<br />
vorbei, und erreichte schließlich einen festen Weg. Dieser<br />
führte mich auf die Strasse, die nach Ibiza Stadt führte.<br />
Ich hielt Autos an, bis endlich eine alte, rostige Ente<br />
anhielt, in der eine junge Frau am Steuer mit zwei Kindern<br />
auf dem Rücksitz saßen. „Wo willst du hin“, fragte<br />
mich die Frau freundlich, und ich erklärte ihr mein<br />
Ziel. „Ibiza Stadt“, sie nickte nur und forderte mich auf<br />
einzusteigen. Die Kinder hinter mir hatten schmuddelige<br />
von Rotze bedeckte Gesichter, sie lachten laut und<br />
unablässig. Ich sah doch ganz normal aus, vielleicht<br />
brachte genau das sie so zum lachen. Ich war mit einer<br />
Hippiefamilie unterwegs.<br />
In Ibiza angekommen ging ich zum Montesol, wo Monika<br />
mich lächelnd erwartete. „Na, hast du also doch zurückgefunden,<br />
ich wollte schon eine Vermisstenanzeige<br />
aufgeben“, höhnte sie. „Wo warst du denn abgeblieben,<br />
ich habe nach dir gerufen, nie Antwort erhalten“, beschwerte<br />
ich mich. „Ich hab mich zwischen den Felsen<br />
unter der Sonne sehr wohl gefühlt, und bin eingeschlafen“.<br />
Dann hatte sie nach mir gesucht, mich nirgendwo<br />
entdeckt, und war zurück in die Stadt gefahren. Wir hatten<br />
beide einen sehr schönen und außergewöhnlichen<br />
Tag erlebt.<br />
Ich fuhr täglich mit einem Bus an den langen Strand<br />
hinter den Salinas, den Salzfeldern von Ibiza. Dort wurde<br />
Meerwasser in von 20 cm hohen Lehmmauern umgebenen<br />
Flächen eingeleitet, bis das Wasser in der Sonne<br />
445<br />
verdunstet war und man reines weißes Meersalz vom getrockneten<br />
Boden abkratzen konnte, das sich zu hohen<br />
Bergen auftürmte.<br />
Über Dünen aus feinstem Sand und durch darauf wachsenden<br />
Pinienbäumen erreichte man den langen Strand<br />
dort gab es reines blau-grünes Meerwasser, und einige<br />
Buden, die Essen und trinken verkauften. Hier konnte<br />
ich fantastisch schwimmen gehen, und mir die Sonne<br />
auf den Pelz brennen lassen. Meine Haut nahm bald eine
dunkelbraune Farbe an, meine blonden Haare bleichten,<br />
ich dachte immer wenn ich mich in einem Spiegel<br />
betrachtete, dass mir die Farbe gut zu Gesicht stand, erreichte<br />
eine unerschütterliche Selbstsicherheit.<br />
Daniel und Christian rührten die Werbetrommel für das<br />
Gloris. Sie hatten sechs junge hübsche Mädels, von denen<br />
es sehr viele auf der Insel gab, angestellt, die Flyer in<br />
den vielen Cafes am Hafen, aus denen Musik klang, in<br />
denen sich junge Touristen versammelten, verteilten und<br />
überall Plakate aufhängten, welche die Eröffnung des<br />
Gloris ankündigten.<br />
Der Club war mittlerweile fertig gestellt, hatte einige<br />
Ebenen vor den Außenmauern, die mit dicken dunkelroten<br />
samtigen Sitzflächen ausgelegt waren, vor denen<br />
kleine Tische standen. Alles sah sehr arabisch, äußerst gemütlich<br />
aus und war dezent beleuchtet. Es gab drei Bars,<br />
die sich an den Rändern der Räumlichkeiten verteilten.<br />
In der Mitte befand sich die große Tanzfläche, die von<br />
vier enormen, eingemauerten Bässen, über denen feinste<br />
Hochtöner hingen, beschallt wurde. An den ziemlich tief<br />
liegenden, glatten, erdfarben gestrichenen Decken hingen<br />
über der Tanzfläche viele Scheinwerfer, die im<br />
Rhythmus der Musik verschiedenfarbig aufleuchteten.<br />
Ansonsten gab es nur indirekte Beleuchtung, die Alles<br />
leicht dunkel hielt. Nur die Bars waren etwas heller an-<br />
446<br />
gestrahlt.<br />
An der Wand vor der Tanzfläche war die Musikanlage installiert,<br />
man hatte die besten Verstärker und Plattenspieler<br />
gekauft, die auf dem internationalen Markt zu finden<br />
waren. Die Bässe waren knackig, die Höhen klangen<br />
perfekt, ich hatte eine solche Anlage noch nie bedient,<br />
die im Jara konnte sich weit dahinter verstecken. Der<br />
Klang war laut und genau richtig, um Tanzenden das<br />
Blut zum kochen zu bringen. Meine Spezialität.<br />
Ich rief Lucie an, die ich nur selten und sporadisch, mit<br />
der ich vielleicht einmal wöchentlich telefonierte, um<br />
mich nach dem Befinden der Familie zu erkundigen,<br />
und berichtete ihr von meinem neuen Job. Da die Kinder<br />
noch nicht in die Schule gingen, hatte Lucie alle<br />
Zeit der Welt, um dorthin zu gelangen, wo ich mich gerade<br />
aufhielt. Ich sagte ihr, dass ich mich sofort um eine<br />
Wohnung für uns Alle bemühen würde, sie dann mit den<br />
Kindern zu mir nach Ibiza kommen könnte. Sie freute<br />
sich sehr über die Nachricht, und bat mich zur Eile, sie<br />
und die Kinder vermissten mich sehr. Ich war nun schon<br />
fast zwei Monate auf der Insel, sprach schon Einigermassen<br />
gut spanisch, konnte mich verständigen. Es war wohl<br />
einmal mehr mein feines Ohr für Musik, das mich<br />
Fremdsprachen schnell begreifen ließ.<br />
An einem Samstag im Juni wurde dann die Diskothek<br />
geöffnet. Wir verlangten umgerechnet 20 Mark Eintritt,<br />
das Pascha berechnete 25 Mark. Gute Bekannte und
selbstverständlich schöne Frauen wurden kostenfrei hereingelassen.<br />
Es gab zwei Türsteher, die genau instruiert<br />
waren, die in Ibiza Bekannten Leute ohne Eintritt einzulassen<br />
und der Abend wurde ein voller Erfolg. Natürlich<br />
spielte die Neugier eine große Rolle, wer hatte es<br />
hier gewagt, es dem Pascha gleich zu tun, und eine gro-<br />
447<br />
ße Diskothek zu eröffnen, die von 23Uhr bis in die<br />
Morgenstunden Menschen unterhalten wollte.<br />
Und sie wurden unterhalten. Schon um Mitternacht war<br />
das Gloris brechend voll. Ich machte Musik die swingte,<br />
die einzelnen Lieder flossen ineinander über, so dass nie<br />
ein Moment der Stille aufkam, die Tanzfläche war immer<br />
gefüllt. Die Türsteher hatten viel zu tun, das Publikum<br />
so auszuwählen, das es ein faszinierendes Ensemble bildete.<br />
Es kamen schöne Frauen in Scharen, mit und ohne<br />
Begleitung, Interessant aussehende Männer machten<br />
den Frauen den Hof, spendierten Drinks und tanzten, als<br />
würde es kein Morgen geben. Die Theken und alle Tische<br />
waren bis auf den letzten Platz besetzt, an den Theken<br />
standen die Gäste in Dreierreihen, um Drinks zu erlangen.<br />
Viele wandelten in den Gängen umher, um das<br />
Treiben aus allen Winkeln zu verfolgen.<br />
Daniel hatte gegen 2Uhr Spione ins Pascha geschickt, sie<br />
berichteten, dass dort fast gähnende Leere herrschte. Die<br />
Betreiber des Gloris freuten sich natürlich, am frühen<br />
Morgen als die letzten Gäste das Lokal verließen, waren<br />
die Kassen reichlich gefüllt. Es herrschte Goldgräberstimmung.<br />
Dieser Zustand hielt vom ersten Tag der Eröffnung an,<br />
es hatte sich bald eingebürgert, zwischen Pascha und<br />
Gloris hin und her zu pendeln, so blieb in den Kassen<br />
genug für beide Betreiber. Nach einiger Zeit der Mundpropaganda,<br />
der immerwährenden Werbung, Themenabenden,<br />
wurde das Gloris zu einem grandiosen Erfolg.<br />
Bei Vollmond z.B. wurden die Gäste aufgefordert, ganz<br />
in weiß gekleidet ins Lokal zu kommen, wer den Aufruf<br />
beachtete, hatte freien Eintritt, und bekam einen Gratisdrink.<br />
Fast alle Gäste spielten mit, es war ein herrliches<br />
Bild, die Farben der bunten Scheinwerfer auf den weißen<br />
Kleidern der Leute leuchten zu sehen. Der Mond<br />
448<br />
besorgte den Rest.<br />
Es gab arabische Nächte, Frauen in arabischer Bekleidung,<br />
Männer im Kaftan und Turban kamen zu Hauff<br />
und amüsierten sich prächtig. Diese Themenabende waren<br />
eine Erfindung der Manager des Gloris, an die sich<br />
das Pascha bald anschloss. Von da ab gab es immer einen<br />
Konkurrenzkampf zwischen den beiden Clubs, es gab<br />
zunächst viel Geheimniskrämerei, bis dann die Mädels<br />
mit den entsprechenden Flyern durch die Cafe´s schlenderten.<br />
Große Plakate kündigten die verschiedenen Feste<br />
an.<br />
Das Gloris hatte mit dieser Art von Unterhaltung begonnen,
so waren wir bald dem Pascha immer einen<br />
Schritt voraus, und der Club musste Umsatzeinbußen<br />
hinnehmen. Wir hatten es nach zwei Monaten geschafft,<br />
im Gloris waren mehr gut zahlende Gäste unterwegs, als<br />
im Pascha.<br />
Die gesamte Mannschaft, erst recht Daniel und Christian,<br />
waren vollauf zufrieden, wir hatten wirklich erreicht<br />
was vorgesehen war, dem Pascha so viel als möglich Gäste<br />
abspenstig zu machen.<br />
Es gab die erste Lohnerhöhung. Jeder Kellner erhielt<br />
tausend Pesetas mehr pro Woche, die Barmänner wurden<br />
am Umsatz beteiligt. Ich bekam dreitausend Pesetas<br />
mehr.<br />
Inzwischen hatte ich durch Beziehungen eine große<br />
Wohnung in der Unterstadt in einem Neubau gefunden,<br />
drei Schlafzimmer, zwei Bäder, ein großes Wohnzimmer,<br />
alles eingerichtet mit guten Betten und Sitzmöbeln, für<br />
den Preis eines Wochenlohns der ersten Woche. Die Küche<br />
war mit Töpfen und Tellern bestückt, zwar nur spartanisch,<br />
und für vier Personen, aber völlig ausreichend.<br />
Das Haus gehörte einem alteingesessenen Eisenwahrenhändler,<br />
der auch noch Felder mit Oliven und Orangen-<br />
449<br />
bäumen hatte. Außerdem betrieb die Familie, früher Fischer,<br />
zwei Boote, die Touristen zu den entlegenen<br />
schönsten Stränden fuhren.<br />
Ich telefonierte mit Lucie, sie könne Jederzeit auf die Insel<br />
kommen, ich hatte alles für die<br />
Ankunft meiner Frau und die Kinder bestens vorbereitet.<br />
450<br />
Kapitel 54<br />
Sie kamen zehn Tage später. Mit der Bahn waren sie bis<br />
Barcelona gefahren, dort auf die Fähre nach Ibiza gestiegen,<br />
das Schiff sollte gegen zehn Uhr morgens ankommen.<br />
Ich hatte für Alle Silberschmuck als Begrüßungsgeschenke<br />
gekauft, hohle Kugeln, die fantastisch<br />
gearbeitet waren und aus Mexiko stammten. Jede Kugeln<br />
hing an einer fünf Millimeter dicken Kette. Für Lucie<br />
hatte ich ein Eiförmiges Gebilde ausgesucht, die<br />
Kinder sollten Runde bekommen. Die wunderschönen<br />
und sehr ungewöhnlichen Schmuckstücke hatte ich in<br />
Kästchen gepackt. Ich stand ganz in weiß gekleidet,<br />
mittlerweile von der Sonne schwarzbraun gebrannt am<br />
Kai, und sah das Schiff langsam näher kommen.<br />
Eine unsagbare Freude hatte sich in meinem Herzen<br />
breit gemacht, je näher das Schiff dem Hafen kam, erhöhte<br />
sich mein Glücksgefühl. Als die Gangway heruntergelassen<br />
wurde, sah ich die Drei schon von oben, und<br />
winkte. Niemand winkte zurück. Als sie unten angekommen<br />
waren, sie hatten nur wenig Gepäck mitgebracht,<br />
liefen sie zunächst an mir vorbei, bis ich sie rief.<br />
„Hallo, hier bin ich“. „Ich hätte dich fast nicht erkannt“,<br />
sagte Lucie, ließ die Koffer fallen, und rannte auf mich
zu. Auch die Kinder liefen sofort zu mir, und sprangen<br />
mir auf die Arme. „Wir haben dich so sehr vermisst“,<br />
sagten sie ein wenig traurig, „nun seid ihr hier, und<br />
bleibt es auch, von jetzt an kann uns nichts mehr trennen“,<br />
versprach ich ihnen lachend. Ich gab ihnen freudig<br />
die Geschenke, sie waren sehr erstaunt über den silbernen<br />
Schmuck. „Die sind aber besonders schön“, sagte<br />
Lucie als erste, alle drei hängten sich die Ketten sofort<br />
um den Hals. „Papa, du siehst so anders aus“, stellte Fleu-<br />
451<br />
re sehr erstaunt fest, als sie mich genauer betrachtete. Ich<br />
bemerkte die überraschten Blicke der Kinder sehr gut<br />
und freute mich. Lucie kannte mich von der Sonne verbrannt,<br />
meine Kinder hatten mich so nie zuvor gesehen.<br />
Wir nahmen ein Taxi zu dem nicht allzu weit gelegenen<br />
Haus, wo sich in der 4. Etage unsere Wohnung befand.<br />
Sie waren sehr überrascht, dass ich eine so schöne, helle<br />
und große Bleibe für uns gefunden hatte, und das um einen<br />
Bruchteil der Miete, die wir in Deutschland hätten<br />
bezahlen müssen. Alles ohne Mietvertrag, ein Handschlag<br />
genügte. Es gab auch keine Kündigungsfrist. Die<br />
Wohnung lag direkt neben dem Glockenturm einer Kirche,<br />
dort war das Wohnzimmer. Die Schlafzimmer lagen<br />
nach hinten hinaus, so dass wir das allmorgendliche Gebimmel<br />
kaum mitbekamen.<br />
Ich war sehr glücklich meine Mädels alle bei mir zu haben,<br />
trotz all meiner Aktivitäten auf der Insel hatte ich<br />
sie schon vermisst, mir wurde bald bewusst, wie sehr ich<br />
sie liebte. Meine Freude wurde geteilt, ich sah in lächelnd<br />
erregte Gesichter. „Du bist ja so braun geworden“,<br />
wunderte sich Fleure erneut. „Das seid ihr bald<br />
auch, wir werden täglich an den Strand fahren“, versprach<br />
ich ihnen.<br />
Nachts arbeitete ich, am Vormittag lag ich mit Frau und<br />
Kindern am Strand. Sie liebten das Meer, waren kaum<br />
aus dem Wasser zu kriegen. Lucie konnte nicht schwimmen,<br />
sie traute sich immer nur einige Meter ins Meer,<br />
aber die See war am Rand nur maximal zwanzig cm tief,<br />
so konnte auch sie davon profitieren.<br />
Daniel und Christian verstanden es vorzüglich, unsere<br />
Mannschaft zusammenzuschweißen. Oft gingen wir alle<br />
zusammen abends vor der Öffnung des Gloris gemeinsam<br />
essen, wir stellten in Restaurants Tische zusammen,<br />
452<br />
bildeten so eine lange Tafel und saßen gemeinsam an einem<br />
langen Tisch, aßen und scherzten miteinander. Daniel<br />
übernahm stets die Rechnung. Wir waren mittlerweile<br />
17 Mitarbeiter, wurden bald zu einer<br />
verschworenen Gemeinschaft, die nur das Vorankommen<br />
des Clubs im Kopf hatten.<br />
Außerdem besaßen die Chefs ein großes Motorschiff,<br />
mit dem wir tagsüber nach Formenterra schipperten,<br />
um dort in noch klarerem Wasser als an Ibizas Stränden
zu schwimmen. Lucie und die Kinder waren immer mit<br />
dabei. Daniel liebte Kinder. Die Strände von Formenterra<br />
waren klar und mit weißem Sand bedeckt, wie auf jeder<br />
Insel in der Karibik. Lucie verliebte sich in die kleine<br />
Insel, sie war nur sieben km lang und drei km breit.<br />
Nach einiger Zeit lernte Lucie ein französisches Ehepaar<br />
kennen, das am Hafen ein Restaurant betrieb. Sie hatten<br />
sehr viel Arbeit, meist bis tief in die Nacht hinein. Sie<br />
fragten Lucie, ob sie einen Job übernehmen könne, nicht<br />
im Restaurant, sondern sie sollte tagsüber auf die zwei<br />
Kinder der Restaurantbesitzer aufpassen, einen Jungen<br />
und ein Mädchen, beide fast im gleichen Alter wie Fleure<br />
und Laura. Bisher hatte die Oma den Job gemacht, es<br />
wurde ihr jedoch zuviel mit den Kindern zum Strand zu<br />
fahren. Dafür bekäme Lucie einen guten Lohn, und<br />
könne im Haus mit den Kindern wohnen. Auch ich sei<br />
herzlich willkommen, das Haus sei groß genug.<br />
Wir überlegten nicht lange, kündigten die Wohnung in<br />
der Stadt, und zogen in das Haus der Familie Fauche. Es<br />
lag an einem Hang vor San Antonio, der zweitgrößten<br />
Stadt von Ibiza, fünfzehn km entfernt. Das Haus war eine<br />
alte wunderschöne Finka, ein Ibizenkisches Bauernhaus.<br />
Es hatte eine große Terrasse, von der man die<br />
Bucht von San Antonio überblicken konnte, in der jeden<br />
Abend die Sonne ins Meer versank. Eine fantastische<br />
453<br />
Aussicht, die wir alle sehr genossen. Bis hoch zur Terrasse<br />
wuchs ein Zitronenbaum, von dem pflückte ich stets<br />
Blätter ab, die ich im Haus verteilte, so roch es immer<br />
frisch und leicht säuerlich.<br />
Einen Stromanschluss hatten wir nicht. In einem kleinen<br />
Verschlag, zehn Meter vom Haus entfernt stand ein Generator,<br />
der mit Benzin angetrieben wurde, so erhielten<br />
wir Elektrizität.<br />
Die Restaurantbesitzer bekamen wir nie zu Gesicht, sie<br />
schliefen in einem Zimmer unterhalb des Hauses, und<br />
arbeiteten nur. Im Morgengrauen fuhren sie auf die<br />
Märkte, frische Produkte für die Restaurantküche kaufen,<br />
dann bereiteten sie den Betrieb vor und arbeiteten<br />
weiter bis tief in die Nacht.<br />
Lucies Aufgabe war es, mit den Kindern zu einem Strand<br />
bei St. Antonio zu fahren, und dort auf sie zu achten. Das<br />
war´s. Die Oma sorgte für´s Essen und hielt das Haus in<br />
Ordnung, Lucie hatte einen leicht zu bewältigenden Job<br />
gefunden, konnte sich mit vier Kindern am Strand amüsieren<br />
und wurde dafür fürstlich entlohnt. Außerdem<br />
hatten wir keine Mietkosten mehr. Dazu noch den Allabendlichen<br />
Sonnenuntergang, so gut war es uns noch<br />
selten gegangen.<br />
Es gab ein Auto vor dem Haus, in dem immer die<br />
Schlüssel steckten. Mit dem fuhr ich zur Tankstelle, um<br />
Sprit zu holen wenn das Licht mal ausging. Ich hatte<br />
zwar keinen Führerschein, fuhr trotzdem oft über die
Insel, und abends zur Arbeit. Das Auto war eigentlich für<br />
Lucie bestimmt, um mit den Kindern zum Strand zu gelangen,<br />
da sie jedoch auch keine Fahrerlaubnis besaß,<br />
auch nicht mit einem Auto umgehen konnte, fuhr sie<br />
natürlich mit dem Bus, wenn ich ´mal zu lange schlief.<br />
Meistens aber begleitete ich sie. Es ging uns richtig gut<br />
und Oma Marie kochte fantastisch gute Lyoneser Kost.<br />
454<br />
Eines schönen Tages fuhr ich gegen Mittag alleine in die<br />
Stadt Ibiza. An den Strand zu gehen hatte ich keine besondere<br />
Lust an diesem Tag. Die Sonne hatte ich reichlich<br />
genossen und meine Nase leuchtete rötlich von einem<br />
leichten Sonnenbrand.<br />
455<br />
Kapitel 55<br />
Es waren gerade Fußballweltmeisterschaften. In einem<br />
Café, das ich oft besuchte, in dem fast nur ältere Ibizenkos<br />
verkehrten, lief ein Fernseher. Holland spielte gegen<br />
Deutschland. Eigentlich hatte ich mit Fußball wenig im<br />
Sinn, die Weltmeisterschaft jedoch verfolgte ich gerne.<br />
An die Eingangstüre gelehnt an einem schattigen Platz<br />
stand ich interessiert das Spiel im Fernseher verfolgend.<br />
Plötzlich stand eine dunkelhaarige Frau fünf Meter von<br />
mir entfernt auf der Straße. Sie hörte den Klang der<br />
Glotze, schaute mich an und fragte auf Englisch: „Wer<br />
soll gewinnen“? Ich schaute mich um, Niemand anderes<br />
auf der Straße zu erblicken. Sie hatte mich gefragt. „Holland“,<br />
antwortete ich. „Bist du Holländer“, fragte mich<br />
die sehr hübsche junge Frau, die ihr dunkles Haar hochgesteckt<br />
auf dem schönen Kopf mit einer großen Klammer<br />
gebändigt hielt. „Nein, ich bin Deutscher“. „Wie<br />
kannst du dann wollen, dass Holland gewinnt, bist du<br />
kein Patriot“? „Nein, die Holländer sind mir sympathischer<br />
als meine Landsmänner und –Frauen“. „So etwas<br />
habe ich noch nie gehört, du bist ja ein sehr ungewöhnlicher<br />
Zeitgenosse, Respekt“, sagte die Frau. „Woher<br />
kommst du denn“, fragte ich sie. „Ich komme aus Stockholm<br />
in Schweden, bin im Urlaub hier“, bekam ich zur<br />
Antwort.<br />
„Dass Stockholm in Schweden liegt weis ich auch“, sagte<br />
ich lächelnd.<br />
Die Frau gefiel mir zusehends besser, sie war in meine<br />
unmittelbare Nähe gekommen. Sie roch sehr gut, hatte<br />
dunkle Augen und ein schönes Gesicht. Ihr Körper sah<br />
reizvoll aus, sie war mit Jeans und einem dünnen Hemd<br />
bekleidet, unter dem man die Konturen ihrer Brust<br />
456<br />
erahnen konnte. Sie trug keinen Büstenhalter, den benötigte<br />
sie auch nicht, die Brüste standen fest da wo sie<br />
hingehörten. Die Anziehungskraft der Erde hatten sie<br />
noch nicht erfasst.<br />
Plötzlich wollte ich die Frau unbedingt berühren. Wie<br />
magisch angezogen wandte ich mich vom Fußball ab,
der schönen Schwedin zu. „Eric ist mein Name“, stellte<br />
ich mich vor. „Ich heiße Linnéa“, nannte sie ihren Namen.<br />
„Welch wunderschöner Name, woher kommt<br />
der“, fragte ich interessiert. „Meine Freunde haben ihn<br />
mir irgendwann gegeben, ich weis nicht mehr, als das es<br />
etwas wie Linie bedeutet, immer gerade aus“. „Mein<br />
Name wurde mir auch von einer Freundin gegeben, eigentlich<br />
heiße ich anders“, erklärte ich verdutzt. „Geradeaus<br />
bin ich auch, darf ich dich küssen“, sagte ich sofort.<br />
Sie kam näher und streckte mir ihre vollen roten<br />
Lippen entgegen. Ich küsste sie zunächst nur leicht, als<br />
ich dann spürte, dass Linnéa ihren Mund auf meinem<br />
ruhen ließ, küsste ich sie innig und lange. Es waren gerade<br />
einmal zehn Minuten vergangen, seit die ersten<br />
Worte verklungen waren.<br />
So standen wir auf der Terrasse des Cafés in der Mittagssonne,<br />
hielten uns mittlerweile eng umarmt und küssten<br />
uns immer wieder ohne ein weiteres Wort zu wechseln.<br />
Ging auch nicht, unsere Zungen waren ineinander verschlungen.<br />
Wie selbstverständlich ließen wir uns nebeneinander<br />
auf zwei Stühle des Cafes sinken und hielten<br />
unsere Hände. Wir schauten uns nur glücklich lächelnd<br />
an, hier lag Magie in der heißen Luft. Ich hatte alles um<br />
mich herum vergessen, war nur auf diese Frau konzentriert.<br />
Wir unterhielten uns über das Dasein auf der Insel,<br />
sie machte zwei Wochen Urlaub, sie erfuhr von mir,<br />
dass ich schon länger hier war. „Das sieht man Dir an“,<br />
lachte sie mich an. „Du bist aber auch nicht erst seit ge-<br />
457<br />
stern hier, deine Haut ist schon gut von der Sonne geküsst“,<br />
stellte ich fest. „Seit fünf Tagen bin ich in San Antonio,<br />
wohne dort in einem Hotel und wollte einmal<br />
Ibiza Stadt kennen lernen“. „Schön dass du gekommen<br />
bist, ich glaube ich mag dich“, sagte ich. „Ich mag dich<br />
auch, vom ersten Augenblick unserer Begegnung an“,<br />
gestand sie mir. Schöner konnte es jetzt nicht sein.<br />
Es wurde Nachmittag, wir tranken Wasser, waren in uns<br />
vertieft, als Lucie mit den Kindern vom Strand kam. Sie<br />
setzte sich an unseren Tisch, lächelte und fragte wer denn<br />
mein Gast sei. Ich erklärte ihr wer sie war, woher sie gekommen<br />
sei, hatte Linnéas Hand losgelassen. Ich stellte<br />
die Beiden und die Kinder vor. Die Situation störte keinen<br />
von uns Beiden auch nur einen Hauch. „Kommst<br />
du mit nach Hause“, fragte Lucie ungeduldig werdend,<br />
und feindliche Blicke auf die Schwedin werfend. „Ich<br />
möchte noch hier bleiben, fahrt ihr schon mal vor“,<br />
konnte ich nur sagen. Ohne dass Lucie es mitbekam<br />
krabbelte ich mit einer Hand an Linnéas Knien herum.<br />
Ich war absolut schamlos meiner Frau gegenüber, konnte<br />
einfach nicht anders. Die schwedische Schönheit hatte<br />
mir völlig den Kopf verdreht. Lucie machte sich entnervt<br />
mit den Kindern auf den Heimweg. „Hoffentlich<br />
bist du bald zu Hause“, waren ihre Abschiedsworte.
Ich fühlte mich wieder als freier Mann, der machen<br />
konnte was ihm beliebte. „Kommst du mit mir nach San<br />
Antonio“, fragte Linnéa. „Sicher, warum nicht“, gab ich<br />
sofort und ohne jede Überlegung zur Antwort. Sie<br />
scherte sich auch nicht darum, dass ich eine Frau hatte,<br />
eine Liebe war geboren, stärker als jede Gewohnheit und<br />
Bindung. Ob sie einen Mann hatte fragte ich nie, wir<br />
waren Beide im Hier und Jetzt, es sollte so geschehen,<br />
wie es automatisch abzulaufen begann.<br />
Wir nahmen einen Bus nach San Antonio, von der Sta-<br />
458<br />
tion war es nicht weit bis zu ihrem Hotel. Hand in<br />
Hand, uns andauernd anschauend begaben wir uns in ihr<br />
Zimmer. Sie wohnte mit zwei anderen Schwedinnen zusammen,<br />
die sich gerade bereit machten, die Nacht der<br />
Stadt zu erobern. Unsere Nacht war ohne viele Worte<br />
vorgeplant, wir sollten uns lieben, sonst nichts. Als die<br />
Freundinnen das Zimmer verlassen hatten, zogen wir<br />
uns ganz selbstverständlich beide aus und legten uns in<br />
ihr schmales Ein-Personen Bett. Ihr wunderschöner<br />
Körper hielt was er mir schon in Ibiza Stadt versprochen<br />
hatte. Ich küsste sie, wollte gleich mit dem Liebesspiel<br />
beginnen, als sie sagte: „Nicht so schnell bitte, ich drehe<br />
mich noch ein weinig auf die andere Seite, möchte dass<br />
auch du den Rücken an mich legst, dann sehen wir weiter“.<br />
Das hatte ich noch nicht erlebt. Normalerweise begann<br />
das Spiel schon vor den Betten, mit Linnéa jedoch war<br />
das anders. ´Warum nicht´, dachte ich mir, ´soll sie es so<br />
haben wie sie will´ und drehte mich mit dem Gesicht<br />
zur Wand. Ich war einfach nur froh sie neben mir zu<br />
spüren. So lagen wir sicher zehn Minuten, Rücken an<br />
Rücken, bis die Frau sich langsam umdrehte, mir ihre<br />
prallen Brüste zuwandte. Ich küsste sie herzlich, wir hatten<br />
unvergessliche Stunden miteinander. Wir liebten uns<br />
mit einer Selbstverständlichkeit, als ob wir uns schon<br />
Jahre kannten.<br />
Irgendwann sagte sie mir, dass sie nun ein Zimmer in einem<br />
anderen Hotel mieten wollte, um mit mir alleine zu<br />
sein. Ich fuhr kurz nach Hause, sagte Lucie klipp und<br />
klar, dass ich jetzt für zwei Wochen ausziehen würde, um<br />
dann zurückzukehren. „Das kannst du doch nicht machen“,<br />
ereiferte sie sich, „was hat diese Schwedin was<br />
ich nicht habe“? „Ich kann mir nicht helfen, ich muss<br />
das jetzt durchziehen, ich bin vom Blitz getroffen, das<br />
459<br />
werde ich nun auskosten“. „Dann nimmst du Laura mit,<br />
ich sehe nicht ein, dass du dich vergnügen gehst, während<br />
ich hier mit vier Kindern sitze und warte, das geht<br />
so nicht“.<br />
Laura war drei Jahre alt, ich liebte sie wie auch Fleure,<br />
die aber mehr der Mutter zugewandt war. „Kein Problem,<br />
dann kommt Laura eben mit“, gab ich bestimmt<br />
zur Antwort. Ich packte ein paar Sachen für Laura und
mich, viel würden wir eh nicht benötigen, machte mich<br />
auf den Weg zum neuen Hotel von Linnéa, die mir die<br />
Adresse schon gegeben hatte. Es gab zwei Zimmer, die<br />
durch eine Türe verbunden waren. Laura konnte eins davon<br />
beziehen.<br />
Sie war zwar etwas erstaunt ob der neuen Situation, verstand<br />
sich aber schnell gut mit der kinderlieben Linnéa.<br />
Während wir uns liebten schlief die kleine Laura in dem<br />
angrenzenden Zimmer friedlich, sich bewusst, dass der<br />
Papa bei ihr war. Wir verbrachten die Tage an verschiedenen<br />
Stränden, gingen abends miteinander essen, alles<br />
war himmlisch. Laura bekam von unserer Liebe sicher<br />
etwas mit, stellte aber nie Fragen. Mich hatte wirklich<br />
wieder der Teufel geritten, ich war schwer verliebt in die<br />
schwedische Schönheit, der es nicht anders zu ergehen<br />
schien. Nach zwei Wochen war der Zauber vorüber, ihre<br />
drei Wochen Urlaub waren zu Ende. Linnéa verabschiedete<br />
sich von uns, fuhr zum Flughafen Richtung<br />
Schweden. Wir hatten wundervolle Tage erlebt, keinem<br />
von uns tat irgendetwas leid. Wir tauschten Adressen aus,<br />
wollten uns unbedingt in naher Zukunft wieder sehen.<br />
„By, by sweet Child, see you my Man“, verabschiedete<br />
sich Linnéa von uns, weg war sie Richtung Stockholm<br />
im hohen Norden Europas. Schon einen Monat später<br />
sollte ich sie in Kopenhagen wieder sehen.<br />
460<br />
Kapitel 56<br />
Als ich zurück nach Hause kam, war Lucie verschwunden.<br />
Sie hatte sich einige Zeit frei von ihrer Arbeit mit<br />
den französischen Kindern genommen, sich einen Geliebten<br />
angelacht und genau so vergnügt wie ich in San<br />
Antonio. Sie wohnte mit einem jungen Deutschen Touristen<br />
in einem Hotel in Ibiza Stadt. Ich machte ein Heidenteather,<br />
als ich sah, dass Lucie das gleiche gemacht<br />
hatte wie ich. „Was soll das, du bist doch einfach der<br />
Schwedin hinterhergelaufen, da habe ich mir etwas Tröstung<br />
gegönnt“, sagte sie frech. Ich schimpfte trotzdem,<br />
zeigte mich eifersüchtig, wollte sie sofort nach Hause<br />
zurückholen. „Nichts da, ich bleibe noch bis übermorgen<br />
bei Norbert, dann ist sein Urlaub auch vorbei, erst<br />
dann komme ich zurück“. Nun stand ich äußerst verärgert<br />
da, packte mir aber die Kinder und fuhr in das Haus<br />
der Fauches. Die Oma hatte für die Kinder gesorgt, sie<br />
vermissten Lucie jedoch sehr. „Wann kommt Lucie zurück“,<br />
fragten die beiden französischen Kinder, „ wir<br />
waren fast nie am Strand, mit Oma geht das nicht so<br />
gut“. Ich vertröstete die Beiden noch zwei Tage, dann sei<br />
Lucie wieder für sie da. Ich war eifersüchtig wie ein Tiger,<br />
verfluchte diesen Norbert, Lucie gleich mit, dachte<br />
aber nicht darüber nach, was ich angestellt hatte.<br />
Das Gloris lief gut, Konkurrenz belebte das Geschäft,<br />
und so pendelten die Nachtfalter von einer<br />
Disco in die andere, jede lebte sehr gut. Der anfängliche
Machtkampf war vorbei, Pascha und Gloris standen sich<br />
in nichts nach, es gab nun ein gutes Miteinander.<br />
Es machte mir wieder Riesenspass, die Nächte mit verrückten<br />
und gut angetörnten Leuten zu verbringen, sie<br />
461<br />
mit meiner Musik anzustacheln, bis sie sich fast in Trance<br />
tanzten. Während ich die Nächte in San Antonio verbracht<br />
hatte, gab mir die Gloris Mannschaft frei, ein anderer<br />
DJ war für diese Zeit eingesprungen. „Gut dass du<br />
zurück bist“, freute sich Daniel, der Ersatz DJ war wohl<br />
nicht so feinfühlig wie ich. Daniel und Christian waren<br />
sehr zufrieden mit meiner Arbeit, oft bekam ich unter<br />
der Hand einige tausend Pesetas zugesteckt.<br />
Seit Lucie auf der Insel war, betrachtete ich die vielen<br />
außergewöhnlich schönen Frauen nur noch heimlich,<br />
ich schaute sie gerne beim tanzen an, ließ sie aber nicht<br />
an mich ran, obwohl es viele gab, die gerne mit mir Späße<br />
gemacht hätten. Ich war nur ein einziges Mal ausgebrochen,<br />
das aber richtig. Das war höhere Gewalt, gegen<br />
die ich mich einfach nicht zu wehren verstand. Hätte ich<br />
auch nicht gewollt, die schwedische Erfahrung war zauberhaft,<br />
ich bereute nichts.<br />
Dann war ich wieder zum treuen Ehemann geworden,<br />
obwohl die Versuchung oft groß war, so viele exeptionel<br />
schöne Frauen aller Couleur hatte ich noch nie auf einem<br />
Haufen gesehen.<br />
Ich rauchte ab und zu eine Pfeife, nicht oft, und trank<br />
keinen Alkohol, war ein von Drogen und Schnaps nüchterner<br />
Zeitgenosse geworden, obwohl die Angebote in<br />
jeder Hinsicht täglich groß waren. Die magische Insel<br />
und meine wunderbare Familie machten mich so high,<br />
ich brauchte keinerlei Einflüsse durch Drogen.<br />
462<br />
Kapitel 57<br />
Der Beginn des Monats Oktober war nun deutlich auf<br />
dem Kalender zu erkennen, er zeigte sich auch am Himmel,<br />
immer öfter schwebte langsam eine dunkelgraue<br />
Wolke vor die Sonne, und ließ seine feuchte Fracht auf<br />
die Erde der Insel fallen. Im gesamten Sommer hatte ich<br />
keinen Regen über mir gespürt, doch jetzt setzte er immer<br />
öfter ein. Die Cafés am Hafen schlossen eins nach<br />
dem anderen, auch das Restaurant der Fauches wurde<br />
zugemacht. Hier fand der Betrieb zu neunzig Prozent<br />
unter freiem Himmel statt, wer wollte schon im Regen<br />
essen?<br />
Sie boten uns an, das Haus über den Winter weiter zu<br />
bewohnen, eine äußerst freundliche Geste, sie machten<br />
sich fertig für die Reise zurück nach Frankreich, um im<br />
nächsten April ihr Geschäft wieder aufleben zu lassen.<br />
Auch Daniel und Christian beschlossen, das Gloris Ende<br />
Oktober zu schließen, lediglich das Pascha wollte<br />
über Winter für die paar Touristen, die sich dann auf die<br />
Insel verirrten, den Club offen lassen.
Ich wusste dass eine alte Finca im Winter feucht und<br />
schwer beheizbar werden konnte, sprach mit Lucie, wir<br />
waren uns schnell einig, nach Schließung des Gloris zurück<br />
nach Deutschland zu reisen. Der Flug für vier wäre<br />
teuer geworden und obwohl wir ihn uns hätten leisten<br />
können, wollten wir lieber mit Schiff und Bahn<br />
fahren. Es war schön, sich auf einem Schiff von der Insel<br />
zu verabschieden, und eine kleine Seereise machte uns<br />
immer Spaß.<br />
Daniel fragte mich, ob ich im nächsten Jahr meine Arbeit<br />
wieder aufnehmen wolle, ich war nicht sicher, versprach<br />
ihm, spätestens im Februar bei ihm in Barcelona<br />
463<br />
anzurufen, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen, so<br />
hätte er möglicherweise Zeit genug, einen anderen DJ<br />
zu finden. „Einen wie Dich“? fragte er, „findest du sicher“,<br />
antwortete ich ihm. „Dann muss ich mich in Barcelona<br />
und Madrid umhören, bitte sag rechtzeitig Bescheid“.<br />
Ich versprach es ihm in die Hand, er hatte mich<br />
immer sehr gut behandelt.<br />
Also packten wir unsere sieben Sachen, und fuhren zum<br />
Hafen nach Ibiza Stadt. Die Kinder waren vor Freude<br />
sehr aufgeregt, auch Lucie fuhr sehr gerne mit einem<br />
Schiff.<br />
Am Abend legte die Fähre mit über tausend Menschen,<br />
Autos und Transportgütern beladen vom Kai ab. Es gab<br />
die obligatorische Klopapiersession, hunderte Rollen<br />
davon verbanden Angehörige und Reisende miteinander,<br />
bis die Papierrollen endgültig abrissen. Wir schipperten<br />
in die Nacht Richtung Barcelona.<br />
Fleure und Laura blieben lange an Deck, sie schauten<br />
zurück auf die Insel, bis das letzte Licht unsichtbar wurde.<br />
Auch ich verabschiedete mich mit einer Träne im<br />
Auge von der Insel, auf der ich einen herrlichen Sommer<br />
verbracht und spanisch gelernt hatte. Ich wusste<br />
nicht, ob ich den folgenden Sommer hierher zurückkehren<br />
wollte, die Schule für Fleure würde im nächsten Jahr<br />
beginnen, damit wollte ich Lucie auf keinen Fall alleine<br />
lassen.<br />
Lucie und die Kinder schliefen irgendwann ein, ich<br />
konnte keine Ruhe finden, saß in der Bar oder spazierte<br />
unter dem klaren Sternenhimmel übers Deck.<br />
Die Kinder waren in Ibiza immer erst dann ins Bett gegangen,<br />
wenn sie wirklich müde waren, sie spielten so<br />
lange, bis sie von alleine gähnend schlafen gingen.<br />
Am frühen Morgen kamen wir in Barcelona an. Glücklicherweise<br />
hatten wir nicht allzu viel Gepäck, der rote<br />
464<br />
Koffer stand im Keller unserer Wohnung in Merschenich.<br />
Nach zwei Stunden ging ein Zug direkt bis Köln,<br />
wir hatten während der gesamten Reise ein Abteil für<br />
uns alleine, so konnten wir ab und zu ein wenig schlafen.<br />
Lucie und die Kinder waren nun auch braun gebrannt,
sie sahen gesund und wunderschön aus. Ich wäre<br />
fast als Afrikaner durchgegangen, so sehr hatte mich<br />
die Sonne geküsst.<br />
Wir freuten uns wieder zu Hause zu sein, Fleure und<br />
Laura rannten sofort zu den Nachbarskindern, um mit<br />
ihnen zu spielen, und ihnen von einem Leben auf einer<br />
Insel im Mittelmeer zu berichten. Sie brachten viele<br />
Kinder mit nach Hause, um ihnen ihre Schätze vorzuführen.<br />
Der neue Schmuck, den sie nur bei besonderen<br />
Anlässen anlegten, Steine und Muscheln, die sie an den<br />
Stränden gesammelt hatten. Laura hatte ihren halben<br />
Koffer voller Steine, hatte ein ausgeprägtes Faible dafür.<br />
Sie schleppte täglich Neue ins Haus.<br />
Das Leben nahm langsam wieder seinen normalen Lauf,<br />
aber ich war unzufrieden. Ich hatte keine Arbeit, keinerlei<br />
Chance darauf, mir ging es nicht allzu gut.<br />
Eins Tages dachte ich an Maryvonne, freundschaftlich,<br />
und wollte sie anrufen. Ich hatte ihre Nummer verlegt,<br />
so rief ich ihre Eltern in Brüssel an. Der Vater meldete<br />
sich. „Würden sie mir bitte die Nummer von Maryvonne<br />
geben, ich habe sie leider verloren“, bat ich ihn, nachdem<br />
ich mich vorgestellt hatte. „Die können sie auf dem<br />
Friedhof besuchen“, antwortete er wütend, und legte<br />
sofort ohne weitere Erklärung auf. Es traf mich wie ein<br />
Blitz, Maryvonne tot? Wie konnte das sein? Aber sie war<br />
wirklich nicht mehr auf unserer Erde, wie ich von einer<br />
Bekannten von ihr erfuhr, ich hatte eine gute Freundin<br />
und Geliebte für immer verloren. R.I.P.<br />
Diese Nachricht beschäftigte mich eine ganze Weile, ich<br />
465<br />
sagte Lucie zunächst nichts von diesem Telefonat, sie<br />
hätte sicher falsch gedacht, dass ich wieder mit ihr anbändeln<br />
wollte oder ähnliches.<br />
Aber ich war erst ´mal fertig mit den Nerven, in meiner<br />
sowieso schon schwarzen Situation bekam ich auch<br />
noch eine solche Nachricht, auf dies Weise, ich konnte<br />
es lange nicht begreifen.<br />
Ein halbes Jahr später, ich war zufällig in Hamburg, wollte<br />
Angelica guten Tag sagen, klingelte an ihrer Türe. Ein<br />
Mann öffnete. „Könnte ich bitte Angelica sprechen“,<br />
fragte ich freundlich. „Ja wissen sie denn nicht“, sagte<br />
der Mann stotternd, „Angelica ist gestorben“. Peng, es<br />
versetzte mir einen Schlag in die Magengrube, ins Herz.<br />
So einfach konnte ich das doch nicht glauben, ich wollte<br />
mehr erfahren. Ich ging in eine Boutique gegenüber<br />
Angelica´s Wohnung, die betrieben zwei Frauen, die ich<br />
noch aus den Zeiten kannte, als ich jede Woche in Hamburg<br />
war.<br />
„Was ist mit Angelica“, fragte ich. „Sie ist vor kurzer<br />
Zeit gestorben, die näheren Umstände kennen wir leider<br />
nicht“, sagten sie traurig.<br />
Ich lief wie betäubt die Alsterchaussee und die Rothenbaumchaussee<br />
entlang, ging zurück zur Wohnung.
„Wie ist sie gestorben“, fragte ich den neuen<br />
Mieter. „Das kann ich ihnen leider nicht sagen, ich<br />
kannte sie nicht, habe nur diese Wohnung gemietet,<br />
und von ihrem Ableben erfahren“.<br />
Eine große Trauer übermannte mich, ich konnte es<br />
nicht fassen. Innerhalb eines Jahres waren zwei meiner<br />
intensivsten Erinnerungen an Liebe gestorben. Tot,<br />
weg, für immer, ich würde sie nie wieder sehen, es war<br />
unfassbar für mich, und zog mich noch tiefer in den<br />
Sumpf, in dem ich mich sowieso schon befand.<br />
Über die Umstände des Sterbens der Beiden machte<br />
466<br />
ich mir so meine Gedanken. Maryvonne trank gerne<br />
und viel, sicher hatte sie einige Gläser zuviel erwischt.<br />
Angelica experimentierte mit Drogen herum, zu meiner<br />
Zeit waren Hasch und LSD normal für sie. Sicher<br />
hatte sie auch von den härteren Sachen probiert, war<br />
vermutlich daran kleben geblieben und hatte sich irgendwann<br />
den finalen Schuss gesetzt. Andere Erklärungen<br />
fand ich nicht. Traurig, aber sicher wahr. R.I.P.<br />
beloved Ladys.<br />
467<br />
Kapitel 58<br />
Ich fuhr nach Dortmund, wollte Jürgen und Georg<br />
besuchen. Zunächst fuhr ich nach Herdecke, um mir<br />
mein Bett bei Georg zu sichern, er freute sich über<br />
mein kommen, „Hier hast du immer ein Bett, weist<br />
du doch“, begrüßte er mich lachend. „Nimm mich<br />
mit in die Stadt, ich will ´mal sehen wie es Jürgen<br />
geht“, bat ich ihn. Wir fuhren in die Innenstadt von<br />
Dortmund, ich machte mich auf den Weg zu Jürgens<br />
Ein-Zimmer Appartement. „Wer ist da“, klang es aus<br />
dem Lautsprecher an der Haustüre, „Eric“, und ein<br />
Summen öffnete mir dir Türe.<br />
Als ich Jürgen im Eingang stehen sah, war mir sofort<br />
klar, dass hier etwas nicht stimmte. Aschfahl im Gesicht,<br />
die Augen mit stecknadelkopffgroßen Pupillen,<br />
ich erkannte sofort, Jürgen war „drauf“, er war Heroinsüchtig.<br />
„Hallo Jürgen, wie geht’s“, „gut, komm<br />
´rein“, lallte er, und mein erster Eindruck bestätigte<br />
sich schnell. Auf dem Tisch lagen Löffel, ein dreieckiges<br />
Papierpäckchen, eine schmale Spritze, Junkiebesteck.<br />
Eine Kerze erleuchtete die Szenerie auf dem<br />
Tisch.<br />
Zunächst wollte ich es nicht glauben, musste mich<br />
aber schnell mit einer Realität abfinden, die mir gar<br />
nicht gefiel. Jürgen hielt den Löffel über die Kerze,<br />
achtete nicht auf mich, kochte sich braunes Pulver mit<br />
Wasser gemischt über der Kerze auf, bis es brodelte,<br />
sich das Pulver auflöste. Dann legte er den Inhalt eines<br />
Zigarettenfilters in die Brühe, hielt die Spritze in das
Papier, und zog die braune Brühe hinein. Er legte sich<br />
einen schmalen Gürtel um den Oberarm, zog ihn mit<br />
den Zähnen fest, bis die Adern an seinem linken Arm<br />
468<br />
anschwollen, und spritze sich das Zeug in die Vene.<br />
Ein makaberes Schauspiel für mich.<br />
„Muss das wirklich sein“, fragte ich naiv. „So ist das<br />
eben“, antwortete Jürgen mit einem Hochrücken der<br />
Schultern. „Probier doch ´mal“, bot er mir an, „du<br />
brauchst das Zeug ja nicht zu spritzen, schnief einfach<br />
´mal ein bisschen durch die Nase“, „dann weist du<br />
endlich wie sich das anfühlt“. Er legte ein wenig braunes<br />
Pulver auf einen Spiegel, hackte es mit seinem<br />
scharfen Messer klein, drückte es mit der Klinge fast<br />
zu Staub, und hielt mir das Ganze hin. `Warum nicht,<br />
ich muss doch einmal wissen, was da so besonders an<br />
dem Stoff ist`, dachte ich schnell, rollte einen Geldschein<br />
zusammen, steckte ihn in die Nase, bückte<br />
mich über den kleinen Spiegel, und zog das Heroin<br />
hinein. Zunächst brannte es nur in dem Nasenloch,<br />
ein fürchterliches Gefühl.<br />
Dann jedoch begann sich alles um mich herum zu<br />
verändern. Die Konturen der Möbel wurden weicher,<br />
ich sah Jürgen lächeln, auch sein aschfahles Gesicht<br />
wurde mir mit einem Schlag sympathisch, ich hatte<br />
keinen Sinn mehr für seine Sucht, ich akzeptierte sie<br />
einfach. Ich war nun auf seiner Ebene. „Na, ist das<br />
nicht gut“, fragte er lachend, ich konnte nur zustimmen.<br />
Alle schwarzen Gedanken, mit denen ich mich<br />
seit langem herumplagte waren wie weggeblasen, ich<br />
sah die Welt rosarot, fühlte mich wohl und aufgelokkert<br />
wie lange nicht. `So schlimm scheint das ja gar<br />
nicht zu sein, eigentlich viel besser als Hasch`, der gesamte<br />
Körper fühlte sich gesund an, kein Schmerz im<br />
Rücken, den ich oft verspürte, keine Gedanken an<br />
morgen, ab und zu kann man sich so was ´mal gönnen`,<br />
dachte ich ohne viel Nachdenken. `Ich werde<br />
bestimmt nicht süchtig, ich werde die Nadel nie an-<br />
469<br />
rühren, dann kann mir nichts passieren`, waren meine<br />
nächsten Überlegungen. Ich ließ mich aufs Bett zurückfallen<br />
und genoss die Musik, die Jürgen so vortrefflich<br />
zu mischen verstand.<br />
So lag ich sicher zwei Stunden, ohne ein Wort zu sagen,<br />
ich träumte vor mich hin, alles war plötzlich<br />
leicht und wohlig gewärmt. Ich hatte meine erste Erfahrung<br />
mit einem Mittel, das ich Jahrelang streng<br />
verurteilt hatte, war immer sicher, dass ich so was nie<br />
anrühren würde. Augenblicklich war ich sicher, so lange<br />
ich mir das Zeug nicht injizierte, könne mir nichts<br />
geschehen, ich würde bestimmt nicht abhängig werden.
Was ich nicht wusste, ich war soeben in die Falle getappt,<br />
mein bester Freund hatte sie mir gestellt.<br />
Als ich Jürgen verließ, schwebte ich wie auf rosa Zukkerwatte<br />
in Richtung Taxistand, mein Körper war in<br />
wohlige Wärme gehüllt, ich spürte nicht einmal die<br />
Schritte, die ich machte, um zurück in Georg´s Haus<br />
zu kommen. Ich hatte schon lange einen Schlüssel,<br />
ging in das von Wald und Wiesen umgebene Haus,<br />
setzte mich vor den Fernseher, und schaute irgendeinen<br />
gerade laufenden Film. Es war mir völlig egal was<br />
sich da in der Glotze tat, ich schaute einfach zu, ohne<br />
irgendetwas zu verstehen. Mein Hirn war so gut wie<br />
abgeschaltet. Normalerweise legte ich sofort Musik<br />
auf, wenn ich in ein Haus kam, aber diesmal war mir<br />
der Fernseher genug. Ich spürte so gut wie gar nichts<br />
mehr, und es war mir Scheißegal. Ich war in eine weiche<br />
Wolke gehüllt, die mich gefühllos durch die Gegend<br />
trug. Heroin war doch nicht so schlecht, meine<br />
Sorgen waren wie weggeblasen, mein Hirn reagierte<br />
nur noch positiv auf alles, was mir begegnete. Oder es<br />
reagierte überhaupt nicht.<br />
470<br />
Man sagte ja immer, dass man bei nachlassen der Wirkung<br />
dieser Droge sofort Entzugserscheinungen ausgesetzt<br />
sei, dies war bei mir nicht der Fall, ich fühlte<br />
mich sauwohl am nächsten Tag, hatte einfach nur einen<br />
angenehmen Trip verspürt, und keinerlei Verlangen<br />
nach Mehr. Ich heftete die Erfahrung als „gut“ ab,<br />
und machte mir weiterhin Sorgen um meine Zukunft.<br />
Dealen wollte ich nicht mehr, das war mir zu<br />
gefährlich geworden. Bei den letzten Deals hatte ich<br />
auch so etwas wie Paranoia in mir aufkommen gespürt,<br />
sobald ich das Zeug in Händen trug. Dies wollte<br />
ich auf keinen Fall weiter zulassen, meine positiven<br />
und angstfreien Gefühle behalten. Ich hatte genügend<br />
paranoide Dealer erlebt, die machten mir schlechte<br />
Laune, ich war immer heilfroh, wenn ich denen aus<br />
dem Weg gehen konnte. Diese Möglichkeit zum Geld<br />
verdienen schloss ich für die Zukunft aus, ich musste<br />
mir etwas Neues ausdenken.<br />
Wie ich meine Frauen versorgen sollte, wusste nicht<br />
wie. Also machte ich mich auf zum Sozialamt von<br />
Merschenich, um einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen.<br />
War ganz einfach. Ich musste viele Formulare ausfüllen,<br />
mich beim Arbeitsamt melden, schon floss die<br />
Kohle. Jeden Monat wurde die Miete pünktlich überwiesen,<br />
und ich bekam noch einen ausreichenden betrag<br />
auf´s Konto, womit Lucie Lebensmittel kaufen<br />
konnte. Sogar Geld für neue Kleider wurde gezahlt, so<br />
leicht war ich noch nie zuvor an Geld gekommen.<br />
Unsere Ansprüche waren nicht mehr groß, so kam
Lucie, die hervorragend wirtschaften konnte, mit dem<br />
Geld vom Staat gut aus.<br />
Ich schämte mich kein Bisschen über die Unterstützung,<br />
die wir regelmäßig erhielten, dachte einfach nur<br />
471<br />
daran, wie viel Geld in den Militärapparat oder die<br />
hohen Diäten der Politiker floss, da konnte der Staat<br />
auch meine Familie am Leben halten. Das Geld war je<br />
eigentlich Kleingeld, wenn man an die Entlohnungen<br />
von Abgeordneten unserer Belange in Bonn dachte.<br />
Und erst das Militär, an dem ich Trickreich vorbeigekommen<br />
war. Ein Panzer kostete soviel wie das Überleben<br />
von tausenden Familien jährlich. Also her mit<br />
dem Geld. Das Arbeitsamt konnte keine Jobs für mich<br />
finden, obwohl ich Fremdsprachen aufweisen konnte.<br />
Europa war erst gegründet, da sollten Sprachen doch<br />
eigentlich gefragt sein aber das war nicht so. Ich konnte<br />
mir auch nur sehr schlecht vorstellen, in einem Büro<br />
zu hocken, und einen Boss über mir zu haben, ich<br />
war immer mein eigener Boss. Also war ich recht froh,<br />
dass die Leute vom Arbeitsamt stets Ruhe behielten,<br />
und kein Papier für Briefe an mich verschwenden<br />
mussten.<br />
Etwa zwei Wochen nach der ersten Erfahrung mit<br />
Heroin ergab sich wieder eine Gelegenheit, ein wenig<br />
davon zu schnupfen, Ein Bekannter, der nicht als Junkie<br />
auszumachen war, brachte ein Briefchen davon<br />
mit. „Willst du auch“, begann er fragend das Papier zu<br />
öffnen. „Ja klar, warum nicht“. Und wieder der gleiche<br />
Prozess, das grobe Pulver klein machen, auf einer<br />
glatten Kachel zu Staub zerdrücken, eine Linie ziehen<br />
und rein in die Nase. Er machte es genau so, in die<br />
Nase, seine Venen waren so jungfräulich wie meine.<br />
Wieder stellte sich zunächst das wohlig warme Körpergefühl<br />
erneut ein. Aber das Zeug war stärker als der<br />
Stoff bei Jürgen, ich musste nach wenigen Minuten<br />
kotzen. Das ging leicht, mein Mageninhalt war schnell<br />
und ohne Würgeprobleme in die Kloschüssel gespuckt,<br />
ich spülte ab, und die Sache war vergessen. Das<br />
472<br />
Gefühl von Heroin im Körper blieb, ich fiel zurück<br />
auf die Couch und ließ mich gehen. Mein Hirn sagte<br />
nicht mehr viel, konsumierte die gerade laufende Musik,<br />
ich fühlte mich körperlich einfach gut.<br />
Auch nach diesem Konsum stellten sich keine Entzugserscheinungen<br />
ein, ich lebte weiter wie vor dem<br />
letzten Schnief der Teufelsdroge, wie ich sie immer<br />
bezeichnet hatte. Ich war mir sicher, dass es nur an der<br />
Nadel lag, die Leute süchtig machte, der Weg, auf dem<br />
ich Heroin genoss war wohl anders, machte sicher<br />
nicht abhängig. Ich rauchte weiterhin Hasch, mäßiger
als früher, ich musste nicht zehn Joints am Tag in mich<br />
hineinsaugen, zwei oder drei taten es auch.<br />
Wir wollten unsere Wonhnsituation ändern, die Kinder<br />
hatten nicht mehr genug Platz, das Kinderzimmer<br />
war einfach zu klein. Meine Mutter half uns ein Reihenhaus<br />
zu finden. Über einen örtlichen Wohnungsverein,<br />
in dem man für 600 Mark Mitglied sein musste,<br />
fanden wir ein Haus, drei Zimmer, eine große<br />
Küche, und ein riesiges Dachboden. Außerdem hatten<br />
wir einen Garten, in dem die Kinder im Sommer<br />
spielen konnten. Der Vermieter renovierte das gesamte<br />
Haus, baute auch das Dachgeschoß nach meinen<br />
Plänen fein mit Naturholzbolzboden und bis in den<br />
Dachfirst voll weiß lasiertem Holz aus. Auch zu Wärmedämmungszwecken,<br />
denn aus dem Dachgeschoß<br />
wehte der Wind durchs ganze Haus, was und saftige<br />
Heizkostenrechnungen in den Briefkasten flattern<br />
ließ. Ich hatte die genauen Pläne gemacht, wie das<br />
Ganze aussehen sollte, damit wir möglichst viel Raum<br />
behielten. Wir bekamen ein herrliches zusätzliches<br />
Zimmer, mit zwei großen Fenstern, eins nach Osten,<br />
das andere gegenüber nach Westen. Ich konnte die<br />
Sonne auf- und unter gehen sehen. Außerdem hatte<br />
473<br />
ich viele Steckdosen für meine Stereoanlage und viele<br />
Lampen einbauen lassen, wir hatten Kabelfernsehen,<br />
richteten uns oben vollkommen gemütlich ein.<br />
Auch die Küche wurde sehr schön, mein Cousin Paul<br />
baute uns alles wie es uns gefiel. Paul war Installateur,<br />
hatte aber Handwerklich beste Fähigkeiten in allen erdenkbaren<br />
Bereichen.<br />
Die Kinder bekamen ein großes Zimmer in der ersten<br />
Etage, wo sie sich nach Gutdünken einrichten konnten.<br />
Lucie und ich hatten ein etwas kleineres Schlafzimmer,<br />
das uns aber vollauf zufrieden stellte. Wir hatten<br />
sogar ein Zimmer zuviel, das wir als<br />
Eingangsbereich und Büro einrichteten. Wir waren<br />
angekommen.<br />
Ich verteile alle meine bisher gesammelten Buddhas<br />
im Haus, alle in von der Wand hervorragende dicke<br />
Eichenrahmen gestellt, unter dem Dach standen sicher<br />
sechs von den schönen Figuren aus allerlei Materialien,<br />
aus Indien und anderen Fernöstlichen Ländern<br />
importiert, von mir auf Flohmärkten und bei anderen<br />
Gelegenheiten gefunden und gekauft. Nachdem ich<br />
das Buch „Siddartha“ von Hermann Hesse gelesen<br />
hatte, war ich dem Buddhismus näher gekommen. In<br />
allen Zimmern stand zumindest ein Buddha, meist<br />
aber zwei oder drei. Bald zählte ich zwölf Buddhas im<br />
Haus.<br />
Das Dachzimmer schmückte ich mit Bildern, Drukken
von van Gogh und Paul Goguin, eigenen, zu Din<br />
A 1 aufgeblasenen Fotos von Berberkriegern aus Marokko.<br />
Popstars wie Prince, Tina Turner, Rod Steward<br />
und vielen Anderen, die ich bei Live Konzerten fotografiert<br />
und an den Wänden der Treppe aufgehängt<br />
hatte. Alles sah einladend wohnlich aus.<br />
Eine große neue Stereoanlage hatte ich angeschafft,<br />
474<br />
wenn ich sie laut drehte, dachte man das Dach könne<br />
abheben. Lucie mahnte mich stets zum leise hören, sie<br />
dachte an die Nachbarn. Aber die waren sehr freundlich<br />
und nett, neben uns wohnte Günter, ein Polizeikommissar<br />
mit seinen Kindern. Nathalie und Oliver,<br />
Frau Wirtz, eine ältere Dame von weit über siebzig<br />
Jahren, die ihren Garten sehr pflegte, Rosen und viele<br />
andere Blumen gepflanzt hatte, wohnte im Haus<br />
nebenan. Elisabeth, wie wir sie nennen sollten lieh uns<br />
ab und zu Eier, oder was uns sonst so fehlte. Dann war<br />
da noch eine Familie mit drei Kindern, die professionelle<br />
Camper waren. Sie fühlten sich nur an der frischen<br />
Luft richtig wohl, und hatten einen großen<br />
Campingwagen irgendwo im Grünen, in dem sie sich<br />
immer aufhielten, wenn das Wetter es einigermaßen<br />
zuließ.<br />
Unser Garten war eine große Rasen-Unkrautfläche,<br />
ein Stück umgegrabene Erde, die Lucie in einen wunderschönen<br />
Blumengarten verwandelte. Sie bepflanzte<br />
das ganze sehr geschmackvoll, sie wurde zur Blumenfee.<br />
Wen das Unkraut gemäht war, sah es aus wie<br />
ein schöner Rasen. Ich pflanzte Küchenkräuter, Thymian,<br />
Rosmarin, Oregano, Petersilie und andere gut<br />
riechende Kochzutaten. Ich hatte kochen gelernt, es<br />
machte mir Riesenspaß, neue Rezepte zu kreieren.<br />
Ich machte den Führerschein, und fuhr mit Lucie<br />
schon zwei Tage nach der Aushändigung des rosafarbenen<br />
Papiers mit unserem ersten Auto, einem kleinen<br />
Simca, nach Paris, Schwiegermutter und Schwägerinnen<br />
besuchen. Auch fuhr ich alleine an all die<br />
Plätze, an denen ich früher gelebt und gemalt hatte.<br />
Die Kinder kamen in die Schule, die nur 500 Meter<br />
von unserem Haus entfernt war. Sie wurden von Anfang<br />
an gute, fleißige Schüler, die wir nie zu Hausauf-<br />
475<br />
gaben anregen musste, sie machten sie sofort nach<br />
dem Essen, und rannten dann über die Straße, wo sich<br />
eine große Wiese befand, und spielten mit vielen<br />
Nachbarskindern. Schnell hatten sie eine Bande gebildet,<br />
die auf der Wiese spielte und in der Laura das Sagen<br />
hatte.<br />
Plötzlich kam wieder Heroin in mein Leben, irgendwo<br />
befand sich das Zeug immer, und ich lehnte einen
kleinen Schnief nicht ab. Bis ich irgendwann spürte,<br />
dass mir am nächsten Tag alle Knochen wehtaten und<br />
mein Hirn nach dem Stoff verlangte. Nun war ich<br />
doch süchtig geworden, es ging schnell und ohne Vorankündigung.<br />
Ich rannte nun täglich nach dem Stoff,<br />
bekam ihn auch Anfangs günstig von Bekannten. Ich<br />
tat alles, um Lucie nichts merken zu lassen, ich konnte<br />
meinen Zustand jedoch nicht lange verbergen.<br />
476<br />
Kapitel 59<br />
Eines Abends saß ich in einer Kneipe, „le Bistrot“, die<br />
einem Jugoslawen gehörte. Es war schon spät, ich hatte<br />
einige Biere intus, es saß nur noch eine Frau acht<br />
Meter entfernt von mir an der Theke. Ich bewunderte<br />
ihre sehr langen Haare, die bis zu ihrem Hintern<br />
reichten. Sie war dicklich, eigentlich überhaupt nicht<br />
mein Typ, aber ich ging zu ihr, und lud sie schon leicht<br />
lallend zum Drink ein. Sie nahm lächelnd an, wir sprachen<br />
ein wenig, zehn Minuten später saßen wir inniglich<br />
knutschend an der Theke. Meine Hände fuhren<br />
überall über ihren Körper, sie hatte festes Fleisch, war<br />
aber dick, eigentlich viel zu dick für mich. Aber in<br />
meinem besoffenen und von Heroin ausgeschalteten<br />
Kopf machte mir das nicht aus. Wir fuhren mit ihrem<br />
Mini Cooper bald ins Grüne, in die Nähe des<br />
Schwimmbads, wohin sich in der Nacht niemand hin<br />
verirrte, und fögelten im Freien. Ein kurzer schneller<br />
Fick, nach dem ich sofort nach Hause wollte. Lydia<br />
fuhr mich dann auch zu meinem Haus und gab mir<br />
ihre Telefonnummer.<br />
Sie war Arzthelferin in einem Dorf nahe Merschenich,<br />
ihrem Schmuck nach zu urteilen hatte sie Geld.<br />
Das alles kam mir gerade recht, ich war pleite und<br />
Medikamente, an die sie leicht gelangte konnten meine<br />
Schmerzen beim Entzug sicher lindern.<br />
Als ich sie zwei Tage später in der Praxis anrief, war sie<br />
hocherfreut, wir verabredeten uns für den Abend. Als<br />
erstes sagte sie mir auf den Kopf zu, dass ich doch<br />
wohl süchtig sei, meine kleinen Pupillen verrieten ihr<br />
meinen Zustand sofort. Sie zeigte mir, wie man Valeron,<br />
ein starkes Schmerz-Betäubungsmittel, vergleich-<br />
477<br />
lich mit Morphium, schluckt. Sie hatte immer ein Flasche<br />
dabei, ließ Tropfen in ihre Hand, von der sie den<br />
Daumen anhob, so dass sich eine kleine Kuhle oberhalb<br />
bildete, fallen, und saugte das Zeug in ihren<br />
Mund. „Das wirkt wie Heroin“, sagte sie mir lächelnd,<br />
und bot mir Tropfen an. Ich probierte das saumäßig<br />
bittere Zeug, und schon nach wenigen Minuten<br />
war mein Entzug verschwunden. „Kannst du<br />
mehr davon besorgen“, fragte ich sie, sie nickte nur
mit dem Kopf. „Immer und jede Menge“. Sie war genau<br />
so süchtig wie ich, nur eben auf Valeron, ich auf<br />
Heroin, der edleren, wie ich damals glaubte, und weit<br />
wirksameren Droge.<br />
Genau die wollte sie dann auch bald probieren.<br />
„Kannst du uns ein Gramm besorgen“, fragte sie. „Ich<br />
gebe dir das Geld“. „Logisch“, antwortete ich, nahm<br />
150 Mark, und machte mich auf den Weg zu einem<br />
Junkie. „Das Gramm kostet aber 200 Mark“, sagte er<br />
sofort, so bekam ich kein ganzes Gramm, was mir in<br />
diesem Augenblick völlig egal war. Ich hatte trotzdem<br />
eine große Menge erhalten, von der ich mir erstmal<br />
ein Drittel in meine eigene Tasche steckte. Den Rest<br />
gab ich Lydia, die das Ganze dann mit mir teilte. Wir<br />
waren high bis unter die Schädeldecke, Lydia fand den<br />
Zustand wunderbar, wie sie sagte. „Ist ja viel besser als<br />
Valeron“, sagte sie, „ das kannst du öfter besorgen, ich<br />
hab Geld genug, und teile den Stoff mit dir“.<br />
Georg rief eines Morgens an. „Doris ist hier, sie<br />
möchte dich sehen, und dir kleine Menschen vorstellen“,<br />
sagte er am Telefon. „Komm her, sie wartet<br />
schon ungeduldig, obwohl sie erst zwei Tage hier ist“.<br />
Ich packte mir genug Heroin ein, hielt mich aber mit<br />
dem Konsum zurück, nahm stets nur ein Wenig,<br />
wenn´s absolut nicht mehr ging. So sah ich nicht ganz<br />
478<br />
so schlimm aus, als wenn ich Unmengen, was ich<br />
mittlerweile tat, geschnieft hätte. Ich hoffte, dass es<br />
Doris und Georg nicht auffallen würde.<br />
Wir trafen uns im Roma in Dortmund. Doris war mit<br />
ihren zwei wunderhübschen Mädchen von zwei und<br />
drei Jahren aus Los Angeles gekommen, um die Kinder<br />
ihren Eltern, und auch mir, wie sie ausdrücklich<br />
betonte, vorzustellen. Die Mädels waren zum Anbeißen<br />
schön, wie die Mutter, alle sehr luxurieus gekleidet,<br />
es schien Doris sehr gut zu gehen, sie lächelte unablässig.<br />
Die Kinder sprachen nur englisch, das saßen<br />
drei Grazien vor mir, wie man sie wohl nur in Los Angeles<br />
zu sehen bekommt, es sei denn sie kämen nach<br />
Deutschland, um mich zu besuchen.<br />
„Bleibst du die Nacht über hier“, fragte Doris lüstern,<br />
„wir gehen in das beste Hotel von Dortmund, ich<br />
möchte unbedingt wenigstens einmal mit dir schlafen,<br />
bevor ich übermorgen nach LA zurückfliege“. Sie<br />
hatte eine unbegrenzte Kreditkarte, mit der sie sich alle<br />
Wünsche erfüllen konnte. Heroin hatte ich bis zum<br />
nächsten Tag genug, also stimmte ich sofort zu. Dieser<br />
Frau einen Korb zu geben wäre mir im Traum nicht<br />
eingefallen.<br />
So verbrachten wir eine herrliche Nacht im Hotel,<br />
hielten den Zimmerservice auf Trab, Doris bestellte
Champagner, wir feierten unser Wiedersehen. Sie<br />
liebte mich wohl noch immer, ließ es mich deutlich<br />
spüren, und sagte es auch in einem Moment der Extase.<br />
Sie bemerkte nichts von meiner Sucht. Ich verschwand<br />
öfters auf dem Klo, wo ich mir schnell das<br />
braune Pulver in die Nase zog. Obwohl ich ziemlich<br />
zu war, hatte mir Doris in dieser Nacht die Seele poliert,<br />
ich fing wieder an zu denken. Und was mir dabei<br />
durchs Hirn fuhr, war nicht sehr angenehm. Also<br />
479<br />
drückte ich meine Gedanken schnell mit einer großen<br />
Portion Heroin wieder fort, es war noch nicht so<br />
weit, dass ich einfach damit aufhören konnte.<br />
Am nächsten Morgen fuhr ich zurück nach Merschenich,<br />
Doris hatte eine Träne im Auge, als sie sich von<br />
mir verabschiedete. „Es ist nicht alles so schön da drüben<br />
in Amerika wie es scheint“, sagte sie traurig, und<br />
schaute mir tief in die Augen. Ich machte mir über<br />
diesen Spruch keine weiteren Gedanken.<br />
Ich eilte zurück nach Merschenich, mein Briefchen<br />
mit Heroin war fast leer. Ich wusste, dass Lydia noch<br />
Vorrat hatte, sie ging sparsamer mit dem Stoff um als<br />
ich, war einfach disziplinierter. Von Disziplin hatte ich<br />
nie etwas gelernt, das Gefühl war mir fremd.<br />
So war ich schnell bei Lydia angelangt, fragte nach<br />
Stoff, sie meuterte, „das muss doch noch drei Tage<br />
reichen“. Aber ich hatte sie schnell überredet, sie<br />
konnte meinen Bitten nie widerstehen. Fünf Minuten<br />
später lag ich high auf dem Sofa in der kleinen Dachgeschoßwohnung<br />
im Haus ihrer Eltern.<br />
Trotz meiner Heroinsucht fuhr ich auch weiterhin zu<br />
Rockkonzerten. Ich sah Peter Gabriel und die Eurythmics<br />
in der Düsseldorfer Phillipshalle, Ted Nugend,<br />
schon fast taub und laut wie Niemand zuvor in<br />
der Essener Grugahalle, und viele andere Bands in<br />
Clubs und auf Open Air Konzerten.. Rock´n´Roll<br />
bestimmte noch stets einen großen Teil meines Daseins.<br />
Ein Highlight waren Chuck Berry und Jerry Lee Lewis<br />
auf einem Open Air Festival im Norden Deutschlands,<br />
die sich hinter der Bühne mit vollen Bierdosen<br />
bewarfen, und dann auf der Bühne gemeinsam auftraten,<br />
jeder behauptete dort vom anderen er sei der<br />
Größte. Vierzig Tausend Fans glaubten den Quatsch.<br />
480<br />
Alles Lüge, schierer Futterneid, und nichts als Showbiz.<br />
Um Lucie, Fleure und Laura kümmerte ich mich<br />
kaum. Sie hatten ihr Auskommen, ich jagte der Droge<br />
und meinem Vergnügen hinterher.<br />
Mit Lydia war es leicht an Heroin zu kommen, sie<br />
plünderte ihr Sparkonto von dreißig Tausend Mark<br />
innerhalb eines halben Jahres, wir verballerten das
Geld für Heroin und oft auch Cocain. Irgendwann<br />
wurde ihr klar, dass sie mich nie für sich haben konnte,<br />
dass ich immer mit Lucie und den Kindern bleiben<br />
würde.<br />
Sie hatte noch einen Kredit über fünftausend Mark<br />
aufgenommen, zu dem ich sie überredet hatte, wir<br />
wollten zusammen weg aus Merschenich in Richtung<br />
Süden, zum „Abkicken“, clean werden, wie ich ihr<br />
sagte. Ich wollte einfach nur wieder einmal in die<br />
Sonne, glaubte wirklich, dass ich dort von der Droge<br />
wegkommen könne. Mit ihrem Auto war das am einfachsten,<br />
sie willigte sofort in die Reise ein. Wir kauften<br />
noch fünf Gramm Heroin in Holland, „für Unterwegs“,<br />
das Zeug war stark wie Hölle. Schon vor der<br />
Belgischen Grenze wollte ich anhalten, erstmal Pause<br />
machen. Ich sah ein Hilton Hotel, „ Hier machen wir<br />
Rast für Heute, morgen fahren wir weiter“, bestimmte<br />
ich. „Das ist doch viel zu teuer, wir müssen doch<br />
sparen“, meckerte Lydia, aber ich setzte meinen Willen<br />
durch. Wir bekamen ein Doppelzimmer im 14<br />
Stockwerk des Hotels, dort stand ein Doppelbett. Lydia<br />
schaute schon lüstern. Ich sagte ihr, dass ich Höhenangst<br />
hätte, wir bräuchten ein Zimmer weiter unten.<br />
Wir fuhren zurück in die Rezeption, und ich<br />
sagte auf Englisch: „ Ich brauche ein Zimmer mit zwei<br />
Betten, am besten gleich hier unten“. Wir bekamen<br />
481<br />
ein Zimmer in der dritten Etage, dort standen zwei<br />
Betten. Ich war erleichtert, hatte absolut keinen Bock<br />
mit der Frau zu schlafen.<br />
Sie roch den Braten sofort. Es wurde ihr schlagartig<br />
klar, dass ich nicht wegen ihr eine Reise machen wollte,<br />
sondern ausschließlich eigennützige Ideen verfolgte.<br />
So doof war sie dann doch nicht. Ich ging<br />
noch´mal raus aus dem Zimmer, als ich zurückkam<br />
gestand mir Lydia, dass sie ihren Bruder angerufen<br />
hätte, der käme sie in zwei Stunden abholen.<br />
Mir fuhr der Schreck in die Glieder, ihr Bruder kam?<br />
„Bist du durchgeknallt“, fragte ich sie, „was soll der<br />
Scheiß, was will dein Bruder hier, weshalb hast du ihn<br />
angerufen“? „Ich mach das nicht mehr mit“, sagte sie,<br />
„du willst doch nur mein Geld für den Stoff und die<br />
Reise, ich interessiere dich doch gar nicht“, erklärte<br />
sie leise. „Das ist doch Quatsch, ich will nur jetzt nicht<br />
mit dir schlafen, das Zeug hat mich impotent gemacht“,<br />
behauptete ich. „Das ist doch Blödsinn, ich<br />
glaube dir kein Wort mehr, ich fahre zurück nach<br />
Hause“. „Ok, dann gib mir Geld und die Hälfte vom<br />
Stoff, ich fahre mit dem Zug weiter“ verlangte ich. Sie<br />
gab mir die Hälfte des Heroins, und wollte mir ein<br />
paar Hunderter in die Hand drücken. „Wie weit soll
ich denn damit kommen“, fragte ich frech, „ ich brauche<br />
mindestens dreitausend Mark, um einige Wochen<br />
ans Meer zu fahren, um clean zu werden“. „Ich muss<br />
den Kredit zurückbezahlen, ich gebe dir maximal tausend<br />
Mark“. Am Ende hatte ich ihr zweitausendfünfhundert<br />
Mark abgeluchst, und machte mich schnell<br />
weg aus dem Hotel, um ihrem Bruder nicht begegnen<br />
zu müssen.<br />
482<br />
Kapitel 60<br />
Am Maastrichter Bahnhof angekommen löste ich eine<br />
Fahrkarte nach Paris. Ich wollte erstmal zu Lucies<br />
Schwester fahren, und mir den Kopf in Ruhe zurechtrücken.<br />
Zurück nach Hause wollte ich auf keinen<br />
Fall, die Familie der Lydia würde sicher kommen und<br />
mir das Geld abverlangen, außerdem wollte ich wirklich<br />
clean werden, mit einer Menge starkem Heroin<br />
und einer fetten Lüge in der Tasche.<br />
Vom Nordbahnhof in Paris fuhr ich mit der Metro zu<br />
Lucie´s Schwester Sonja. Sie mochte mich schon immer<br />
sehr, und würde mich sicher beherbergen, bis ich<br />
bereit war, weiter Richtung Süden zu fahren. Ich war<br />
völlig fertig, voll gepumpt mit Heroin, brauchte dringend<br />
Ruhe. Sonja hatte eine sehr kleine Wohnung,<br />
nicht weit von ihrer Mutter entfernt. Dort saßen die<br />
Kinder von Katherine und eine Freundin Sonja´s mit<br />
einem enormen Busen. Sonja hatte Hackfleisch gebraten,<br />
alle saßen auf dem Teppich, und gabelten die<br />
halbrohe Masse in sich hinein. „Du kannst auch mitessen,<br />
setz dich zu uns“, forderte Lucies Schwester<br />
mich auf. „Danke, ich habe keinen Hunger“, sagte ich,<br />
dieses rohe blutige Zeug konnte ich in meinem Zustand<br />
nicht runterwürgen. Ich legte mich aufs Bett. Als<br />
die Kinder fort waren, erklärte ich Sonja meinen Zustand,<br />
und die Situation in der ich mich befand, dass<br />
ich nach Süden in die Sonne wollte, um clean zu werden.<br />
„Ruh dich erst mal aus“, tröstete sie mich mit einem<br />
freundlichen, verständnisvollen Lächeln. Aber ich<br />
hielt es in der kleinen Wohnung mit den beiden Frauen<br />
nicht aus. Die mit dem dicken Busen schaute auch<br />
schon lüstern auf mich, als ob sie mich gleich verna-<br />
483<br />
schen wollte. So floh ich in ein Hotel, um alleine zu<br />
sein, um nachzudenken.<br />
Der Bruder meiner Heroinsponsorin hatte sicher alles<br />
erfahren. Dreißigtausend Mark Ersparnisse seiner<br />
Schwester zum größten Teil in meine Birne geschnupft,<br />
dann der Kredit, der Typ war bestimmt<br />
ziemlich sauer auf mich. Sie hatten einen Freund der<br />
Anwalt war, mit dem würden sie sicher reden, wie das<br />
Geld aus mir ´rauszuleiern wäre. Hatten natürlich keine
Chance, ich hatte keinen Pfennig auf keinem Konto.<br />
Die zweieinhalb Tausend, die mir Lydia gegeben<br />
hatte, besaß ich noch fast ganz, außer der Fahrkarte<br />
nach Paris hatte ich nichts davon gekauft. Sicher dachten<br />
sie, ich habe die Frau auf Droge gebracht. Aber sie<br />
wusste als Arzthelferin von dem Risiko, außerdem<br />
schluckte sie schon vor unserer ersten Begegnung Valeron,<br />
das stark süchtig machende Mittel. Ich hatte mir<br />
nichts vorzuwerfen. Ich war halt ein abgefuckter Junkie,<br />
der jede Möglichkeit nutzte, um an Stoff zu gelangen.<br />
Lydia kam mir gerade recht. Aber ich hatte sie<br />
nicht süchtig gemacht, das war sie schon vor unserer<br />
ersten Begegnung in der Bar des Jugoslawen.<br />
Ich fuhr zum Gare de Lyon, kaufte eine Fahrkarte<br />
nach Marseille, und machte mich auf den Weg dorthin.<br />
Der Zug brauchte 9 Stunden, ich war nachts gefahren,<br />
und stand am nächsten Morgen auf dem Marseiller<br />
Bahnhof. Sofort kamen Erinnerungen in mir<br />
hoch. Ich dachte an den Abend vor vielen Jahren, als<br />
ich hier verhaftet und eingeknastet wurde. Jetzt kam<br />
ich hier her als freier Mann, nur süchtig bis unter die<br />
Schädeldecke. Im Zug hatte ich ab und zu ein wenig<br />
geschnupft, hatte noch fast zwei Gramm von dem guten<br />
Stoff aus Holland. Das beruhigte mich.<br />
Das nächste Taxi war meins, ich fuhr zum alten Hafen,<br />
484<br />
wo ich mich ja noch ein wenig auskannte, wo ich immer<br />
sehr gerne war. Ich setzte mich in ein mir von<br />
Früher bekanntes Café, bestellte Croissants und Kaffee.<br />
So gestärkt betrat ich die Toilette des Cafés, und<br />
schnupfte eine Prise Heroin. Ich hatte eine gute Möglichkeit<br />
gefunden, das Zeug zu Puder zu machen. Ich<br />
legte die kleinen Brocken zwischen einen Geldschein,<br />
faltete ihn, und fuhr so lange mit den Messer, das ich<br />
immer bei mir trug, über den Schein, bis ich spürte,<br />
dass die Brocken puderig waren. Das Heroin haftete<br />
an den Seiten des Scheines, ich kratzte es zusammen,<br />
und schnupfte es gleich mit einem zusammengerollten<br />
anderen Schein, den ich mir in die Nase hielt, aus dem<br />
Geldschein in die Nase. Ich brauchte keine Unterlage,<br />
und keine Rasierklinge, um den Stoff zu Puder zu<br />
verarbeiten.<br />
Aus einer internationalen Telefonzelle rief ich zu<br />
Hause an. Lucie wusste schon von ihrer Schwester,<br />
dass ich kurz in Paris gewesen sei. Ich erklärte ihr, dass<br />
ich mich in Südfrankreich befand, und clean nach<br />
Hause zurückkommen werde, sie solle sich nicht sorgen.<br />
„Der Bruder dieser Lydia war hier, und hat nach<br />
dir gefragt, was ist denn da los“, fragte mich Lucie sorgenvoll.<br />
„Mach dir keinen Kopf, ich regele alles, wenn<br />
ich zurück in Merschenich bin“, versuchte ich sie zu
eruhigen. Ich wusste, dass sie sich trotzdem weiter<br />
Sorgen würde, aber was sollte ich nun machen? Ich<br />
hatte meinen Weg zu gehen, konnte mich um die Familie<br />
nicht kümmern.<br />
Ich fuhr hinaus zum Prison de Baumettes, wo ich die<br />
sechs Monate abgesessen hatte. Ich wollte das Gebäude<br />
endlich von außen sehen. Als ich entlassen wurde,<br />
hatte ich mich ja nicht umgedreht um das Haus zu sehen.<br />
Das brachte Unglück, hatten mir Mitgefangene<br />
485<br />
erzählt, wenn man zurückschaute fuhr man sicher irgendwann<br />
wieder ein.<br />
Von einem Hügel aus, den ich aus meinem Zellenfenster<br />
immer sehen konnte, und schaute ich auf die Gefängnisanlage.<br />
Sie war riesig, und bestand aus mehreren<br />
Gebäuden, ich dachte immer es sei nur eins. Ich<br />
sah die Käfige für den täglichen Freigang an der Luft,<br />
klein und unheimlich sahen sie aus. Und dann die vielen<br />
vergitterten Fenster, mich schauderte, wenn ich an<br />
die Zeit in der Zelle dachte.<br />
Schnell verabschiedete ich mich vom Knast, dachte<br />
noch kurz an Beatrice Vanderpool, meiner süßen Anwältin,<br />
ich wollte sie nicht kontaktieren, sicher hätte<br />
sie gleich bemerkt, was mit mir los war. Als Junkie<br />
sollte sie mich nicht zu sehen bekommen.<br />
Ich war ziemlich durcheinander, wusste nicht ob ich<br />
nach Osten oder Westen fahren sollte, in Marseille<br />
wollte ich nicht lange bleiben. Ich fuhr Richtung<br />
Osten, nach Cassis, mietete mich in ein kleines Hotel<br />
ein, und beschloss, hier einige Tage zu bleiben. Die<br />
Sonne brannte vom Himmel, der herrlich blau über<br />
mir lag. Meine Heroinvorräte gingen langsam zu Neige,<br />
aber ich wollte ja clean werden, somit machte ich<br />
mir zunächst keine Gedanken.<br />
Ich ging zum Strand, dort waren noch immer Reisende<br />
versammelt, wie früher tanzten sie zu selbstgemachter<br />
Musik, zwei Gitarren klangen sehr gut, ein<br />
Trommler schlug auf eine Konga.<br />
Ich hielt mich abseits der Leute, beobachtete sie nur,<br />
und trauerte vergangenen Zeiten nach, als ich noch<br />
mit klarem, positiv denkendem Kopf durch die Lande<br />
reiste.<br />
Jetzt hatte mich die Droge im Besitz, positiv denken<br />
war äußerst eingeschränkt.<br />
486<br />
Ich verkroch mich in mein Hotelzimmer, legte mich<br />
aufs Bett, und schaltete den Fernseher ein. Früher hatte<br />
es keine in diesen kleinen Hotels gegeben, brauchte<br />
ich auch nie, aber nun waren alle Zimmer mit einer<br />
Glotze verziert. Ich schaute Nachrichten, wusste<br />
dass mehr als vierzig Kriege in der Welt tobten, dann
kam ein lustiger Film.<br />
Meine letzten Krümel Heroin hatte ich geschnupft.<br />
Nun wartete ich auf das Nachlassen der Wirkung, und<br />
war fest entschlossen, alles Kommende auszuhalten.<br />
Ich hatte Geld genug, das Zimmer war für eine Woche<br />
im Voraus bezahlt.<br />
In der Nacht hatte ich ruhig geschlafen, doch als ich<br />
am Morgen aufwachte, schüttelten mich Frostschübe,<br />
dann brannte mein Körper wie Feuer. Ich bekam<br />
Rückenschmerzen, mein Magen wurde von Krämpfen<br />
heimgesucht, wie ich sie nie erlebt hatte. Der Entzug<br />
hatte voll eingesetzt. `Da musst du jetzt durch`,<br />
sagte ich zu mir selbst, ohne wirklich daran zu glauben.<br />
Es war kaum auszuhalten, die Beschwerden verstärkten<br />
sich von Stunde zu Stunde.<br />
Den gesamten Tag hatte ich im Bett verbracht, nichts<br />
gegessen oder getrunken. Es ging mir sauübel, die folgende<br />
Nacht war die Hölle. Ich hatte nicht einen ruhigen<br />
Moment, mein Körper verlangte nach der Droge.<br />
Am Morgen lief ich hinaus aus dem Hotel, dachte dass<br />
ich vielleicht irgendwo Heroin finden könnte. Aber da<br />
war nichts. Das kleine Dorf war noch im Schlaf, und<br />
ich wusste schnell, dass ich hier keine Dealer finden<br />
würde. Ich versuchte Kaffe zu trinken, rannte sofort<br />
weg von der Caféterrasse, und kotzte alles aus, hatte<br />
das Gefühl, mein ganzer Magen würde aus mir heraus<br />
487<br />
kommen. Ich kaufte eine große Flasche Wasser, und<br />
begab mich zurück ins Hotel. Hier hielt ich es nicht<br />
lange aus, die Schmerzen wurden unerträglich.<br />
Also suchte ich in meiner Verzweiflung einen Doktor,<br />
fand auch schnell die einzige Praxis im Dorf, und setze<br />
mich in das Wartezimmer. Die Minuten wurden zu<br />
Stunden, bis ich endlich einen Arzt zu sehen bekam.<br />
Ich erklärte ihm meinen Zustand, der Arzt zeigte sich<br />
verständlichvoll, „ich kann ihnen leider nicht sehr helfen“,<br />
sagte er mir, „ das müssen sie nun aushalten“. Er<br />
gab mir fünfzig Tabletten Valium 10 und ein Schmerzmittel,<br />
und sagte: „Falls es sehr viel schlimmer wird,<br />
müssen sie nach Marseille ins Krankenhaus, mehr<br />
kann ich nicht für sie tun“. Ich wollte in kein Krankenhaus,<br />
ich wollte Drogen. Zurück im Hotel<br />
schluckte ich fünf Valium, drei der starken Schmerztabletten,<br />
schlief auch nach einer halben Stunde ein.<br />
488<br />
Kapitel 61<br />
Als ich mitten in der Nacht Schweißgebadet aufwachte,<br />
schüttelten mich die Krämpfe erneut, nichts hatte<br />
sich verändert. Wieder schluckte ich Tabletten, die<br />
meinen Zustand ein Wenig beruhigten. Aber tief in<br />
mir schrie es nur: Heroin, Heroin, Heroin.
Ich war nun drei Tage im Entzug, trank nur Wasser,<br />
und fühlte mich immer noch elend.<br />
Am vierten Tag konnte ich mich einigermaßen bewegen,<br />
verließ das Hotel, fuhr nach Marseille und dann<br />
mit dem Zug nach Paris. Ich ging jedoch nicht zu<br />
Sonja, nahm direkt einen Anschlusszug vom Gare du<br />
Nord nach Aachen. Ich quälte mich während der ganzen<br />
Reise, nicht mehr so schlimm wie in den ersten<br />
Tagen, aber mir ging es immer noch sehr schlecht. Ich<br />
sah aus wie der letzte Penner, hatte auch im Hotel<br />
nicht geduscht, stank fürchterlich nach Schweiß, und<br />
hatte wieder einen Bart.<br />
Die Reise wollte kein Ende nehmen, ich wollte so<br />
schnell als möglich nach Aachen, wo ich Heroin kriegen<br />
konnte. Ich hatte den körperlichen Entzug eigentlich<br />
schon fast geschafft, aber mein Hirn schrie<br />
nach der Droge.<br />
Jetzt erfuhr ich am eigenen Körper, weshalb ich diesen<br />
Scheiß früher immer verurteilt und gemieden hatte.<br />
Aber es war zu spät, ich war ein Junkie, wie auch<br />
Jürgen und sehr viele Andere.<br />
In Aachen angekommen fuhr ich sofort zum Kaiserplatz,<br />
der Szene für Drogen aller Art. Schnell hatte ich<br />
einen Dealer gefunden, der mir für fünfzig Mark eine<br />
kleine Menge Heroin verkaufte. Ich lief sofort in eine<br />
Telefonzelle, schüttete den gesamten Inhalt eines klei-<br />
489<br />
nen Plastikbeutels in einen Geldschein, Drückte es zu<br />
Pulver, schnupfte zitternd das Zeug in meine Nase und<br />
schon nach drei Minuten waren meine Beschwerden<br />
verflogen. Das braune Dope war nicht sonderlich stark,<br />
mit irgendwelchen Mitteln gestreckt, aber es tat seine<br />
Pflicht. Ich setzte mich zufrieden auf eine Bank und<br />
ließ das Heroin meinen Körper erobern. Ich war wieder<br />
drauf, war zu schwach gewesen, den Entzug völlig<br />
über mich ergehen zu lassen. War halt ein richtiger verdammter<br />
Junkie.<br />
Ich kaufte noch mehr Stoff von einem anderen Dealer,<br />
der sein Heroin als rein und stark anpries. „Will ich testen,<br />
wenn´s gut ist, kaufe ich ein Gramm“. Er gab mir<br />
ein wenig von seinem Dope, es war wirklich stärker als<br />
das, was ich zuerst gekauft hatte. „Dreihundert Mark,<br />
das Gramm ist korrekt abgewogen“, verlangte der<br />
Dealer. Ich gab ihm das Geld, ich hatte noch mehr als<br />
tausend Mark in der Tasche.<br />
Mit dem Heroin, von dem ich mir zuerst eine gute<br />
Portion eingefahren hatte, fuhr ich nach Hause. Lucie<br />
erschrak als sie mich in der Türe sah, die Kinder spielten<br />
mit ihren Freunden draußen auf der Wiese. „Geh<br />
sofort in die Wanne, du riechst fürchterlich, und rasiere<br />
dich bitte“, begrüßte mich Lucie. Ich folgte ihrem Rat
sofort, fühlte das wohlig warme Wasser meinen Körper<br />
umspülen. Ich blieb eine halbe Stunde in der Badewanne,<br />
als ich hinausstieg war braune Brühe übrig geblieben,<br />
die ich sofort auslaufen ließ, und die Wanne vom<br />
Dreck einer langen Woche befreite. Dann rasierte ich<br />
mir die Stoppeln ab, zog frische Wäsche an, die Lucie<br />
für mich bereitgelegt hatte. Saubere Kleidung fand ich<br />
auch, ich fühlte mich wie ein neuer Mensch, leider<br />
noch immer mit der Droge im Kopf. Mein Versuch<br />
clean zu werden war gründlich daneben gegangen.<br />
490<br />
Kapitel 62<br />
Eines Morgens, ich war wohl seit einer Woche wieder<br />
zu Hause, klingelte es um sieben Uhr<br />
ziemlich lange. Ich hatte gerade meine letzte Dosis<br />
Heroin geschnupft, wollte mich noch einmal umdrehen<br />
und weiterschlafen. Lucie hatte die Haustüre geöffnet,<br />
als ich lautes Getrappel auf der Treppe ins<br />
Schlafzimmer hörte. Ehe ich mich versah, hatte ich<br />
kalten Stahl am Kopf, ein rothaariger Typ hielt mit eine<br />
schwarze Pistole an den Kopf, mit der freien Hand<br />
griff er energisch unter mein Kopfkissen, zog sie beruhigt<br />
wieder hervor, steckte die Knarre weg, „ Zollfahndung,<br />
sie sind festgenommen“. Sieben Zollfahnder<br />
durchsuchten das Haus, nach einer Stunde kamen<br />
sie in die Küche, wo ich mittlerweile angezogen mit<br />
dem Rothaarigen saß, und sagten: „Nichts gefunden,<br />
das Haus ist sauber“. Der neben mir sitzende machte<br />
ein säuerliches Gesicht. „Wo hast du den Stoff versteckt“,<br />
provozierte er mich. „Stoff, welchen Stoff“,<br />
fragte ich mit unschuldiger Miene. „Na das Heroin,<br />
wo ist es“, fragte er erneut. „Heroin, hab ich nicht“.<br />
„Abrücken“, befahl der Typ, „und du kommst mit, wir<br />
werden ja sehen“. Lucie weinte. „Beruhige dich, ich<br />
bin gleich wieder zurück, die können mir gar nichts“,<br />
versuchte ich sie zu trösten. Die Kinder hatten von<br />
dem Schauspiel auch etwas mitbekommen, man<br />
durchsuchte auch ihr Zimmer. Ängstlich standen sie<br />
an Lucie festgeklammert.<br />
Ich wurde in ein Zivilfahrzeug verfrachtet, zwei Weitere<br />
folgten uns, es ging Richtung Aachen. In einem<br />
Büro der Zollfahndung gab man mir einen Stuhl, und<br />
Müller, der Rothaarige, sagte: „ Lydia hat ausgesagt,<br />
491<br />
ihr habt jede Menge Heroin von Holland nach<br />
Deutschland geschmuggelt, was hast du dazu zu sagen“.<br />
„Nichts habe ich zu sagen, alles Quatsch, die<br />
Frau wollte mich anbaggern, ich ließ sie abblitzen,<br />
jetzt versucht sie mir irgendwas reinzuwürgen“. „Hier<br />
ist eine klare Selbstanzeige, von einem Anwalt verfasst,<br />
in der die Frau alles zugibt“. Das Aas, hatte sich auf
Rat ihres Anwaltfreundes fein aus der Affäre gezogen,<br />
behauptete sogar, ich hätte sie auf Droge gebracht.<br />
„Ich sag gar nicht mehr, ist alles gelogen“, behauptete<br />
ich weiter. „Dann geht’s jetzt in den Knast, wir werden<br />
ja sehen, du wirst schon noch reden“. Der Typ<br />
kannte mich wohl nicht, hatte noch nicht mit Parschau<br />
geplaudert, Eric redete nie.<br />
Sie fuhren mit mir durch ein großes schwer gesichertes<br />
Tor in ein dunkles, steinaltes Gefängnis von Aachen.<br />
Ich war Untersuchungsgefangener, konnte meine<br />
Privatkleidung behalten. Man verfrachtete mich in<br />
eine Zelle, peng, die dicke Türe flog zu, ein Schlüssel<br />
machte ekelige Geräusche, ich saß erneut im Knast.<br />
Noch war ich angetörnt, die Droge wirkte. Aber ich<br />
wusste, dass es mir schon bald saudreckig gehen würde,<br />
was dann? Ich machte mir weiter keine Gedanken,<br />
setzte mich auf das ein Meter breite und zwei Meter<br />
lange Bett mit einer dünnen Schaumstoffmatratze, die<br />
mit blau gestreiftem Stoff überzogen war, und harrte<br />
der Dinge, die da mit Sicherheit kommen sollten. Man<br />
hatte mir zwei graue kratzige Decken gegeben, eine<br />
aus dickem Porzellan bestehende weiße Schüssel,<br />
stumpfes Besteck, eine Tasse, und blau-weiß kariertes<br />
Bettzeug. Die Zelle war schmuddelig, aus Vorkriegszeiten,<br />
vier Meter lang und zwei Meter breit. Am gegenüberliegenden<br />
Ende der Türe mit einem Kuckloch<br />
befand sich ein hoch liegendes Fenster, aus dem ich<br />
492<br />
auf dem Stuhl stehend auf den Gefängnishof blicken<br />
konnte. Ein großes Terrain mit einem rund am Gebäude<br />
entlang laufenden festgetretenen Weg, der Rest<br />
war kurzgeschorenes Gras. Überall vergitterte Fenster,<br />
aus manchen schauten Leute auf den Hof wie ich.<br />
Als erstes stopfte ich das Kuckloch in der Türe mit<br />
grauem Klopapier zu, ich wollte nicht beobachtet<br />
werden. Gleich neben der Türe war eine Toilettenschüssel,<br />
ein kleines Waschbecken war Seitwärts angebracht.<br />
Zum Glück hatte man mich in eine Einzelzelle<br />
gebracht, ich wollte auf keinen Fall mit anderen<br />
Knackis zusammen wohnen müssen. Alleine kam ich<br />
immer am Besten klar.<br />
Am Nachmittag setze langsam der Entzug ein. Die<br />
Krämpfe begannen, ich zitterte von den eisigen Kälteschüben,<br />
und brannte wenn die Hitze kam. Ich<br />
kannte das, und wusste schon, das würde dauern. Ich<br />
klingelte nach dem Wärter. Wieder dieses Schlüsselrasseln,<br />
die Türe flog auf, „was gibt’s“, fragte ein junger<br />
Mann in grüner Uniform. „Ich hab Turkey, Entzug,<br />
ich brauch ´nen Arzt“. „Der ist schon weg, morgen<br />
früh können sie auf die Krankenstation“, sagte der<br />
Grüne. „Mann ich sterbe hier“, beschwerte ich mich,
„ich brauch sofort ärztliche Hilfe“. „Mal sehen was<br />
ich machen kann“, er entfernte das Papier aus dem<br />
Guckloch, die Türe wurde wieder geschlossen. Sofort<br />
steckte ich ein neues Stück Papier in das Loch der Türe.<br />
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis der Typ zurück<br />
war, „mitkommen“. Ich folgte dem Mann über<br />
schmale Gänge, wir gingen durch einige Tore, die er<br />
immer auf- und abschloss, bis wir einen weißen<br />
Raum erreichten. Ein älterer Herr in weißem Kittel<br />
fragte: „Was haben wir denn“? „Wir haben gar nichts,<br />
493<br />
ich habe Entzug, ganz schlimm, ich brauche irgendwas<br />
um die Schmerzen auszuhalten“. „Da kann ich nur<br />
wenig für sie tun“, sagte der Arzt, „ich gebe ihnen etwas<br />
zum Beruhigen, und Schmerztabletten. Das wird<br />
sicher nicht viel nützen, bringt aber Erleichterung,<br />
mehr kann ich nicht machen“. Er gab mir drei grüne<br />
Tabletten, einen cm lang, vierteilig. Und fünf<br />
Schmerztabletten. „Die grünen Tabletten nehmen sie<br />
alle fünf Stunden eine, die Schmerztabletten nach Bedarf“.<br />
Man führte mich zurück in die Zelle. Da saß<br />
ich nun mit den Tabletten in der Hand. Ich überlegte<br />
nicht lange, warf mir die ganze Ladung auf einmal ein,<br />
trank einen Schluck Wasser aus der Leitung, und legte<br />
mich aufs Bett.<br />
Ich schief ein, aber schon nach drei Stunden wurde<br />
ich wieder wach, der Entzug war stärker als die Tabletten<br />
des Doktors. Ich quälte mich die ganze Nacht, bis<br />
morgens um sieben die Türe aufging. „Frühstück“,<br />
sagte der Wärter, ein Wagen stand vor der Türe, ein<br />
großer Stahlbehälter enthielt Malzkaffee, ein mit weißer<br />
Jacke bekleideter Mitgefangener gab mir drei<br />
Scheiben Kommissbrot. „Wo ist deine Marmeladenschüssel,<br />
und dein Teller“, fragte er mich lauernd anschauend.<br />
Ich hielt ihm Teller, Glasschälchen und Tasse<br />
hin. Ich bekam ein kleines Sternchen Margarine,<br />
ein wenig Marmelade, und die Plörre, die sie Kaffee<br />
nannten, die Türe wurde abgeschlossen. Ich hörte andauernd<br />
die Schlüssel rasseln, es begann mich zu nerven.<br />
Es gab sicher fünfzig Zellen auf meiner Etage,<br />
und jede Türe musste mit lauten Geräuschen geöffnet<br />
und verschlossen werden. Das ging so den gesamten<br />
Tag über.<br />
Ich war auf Entzug, es war unerträglich. In meinem<br />
Wahn suchte ich jeden Winkel der Zelle ab, suchte im<br />
494<br />
Staub nach eventuell verstecktem Stoff, vielleicht hatte<br />
ja ein anderer Junkie irgendwo etwas liegen gelassen.<br />
Eine völlig schwachsinnige Idee, ich suchte trotzdem,<br />
bis ich endlich einsehen musste, dass ich nichts<br />
finden würde.
Erneut meldete ich mich zum Arzt, der wunderte<br />
sich, dass ich schon alle Pillen gefressen hatte, er gab<br />
mir Neue. „Gehen sie sparsam damit um, heute gibt´s<br />
nichts mehr“, ermahnte er mich. „Aber mir geht´s<br />
dreckig“, flehte ich ihn an. „Das müssen sie aushalten,<br />
sterben werden sie nicht“. Das war ja schon mal beruhigend,<br />
ich sollte diesen Horror überleben. Ich glaubte<br />
nicht daran, dachte wirklich meine letzten Stunden<br />
hätten geschlagen.<br />
Drei Tage lag ich im Bett, von Fieberkrämpfen geschüttelt.<br />
Ich aß nichts, trank nur diesen Malzkaffee, und zitterte<br />
vor mich hin. Jeden Tag sollte ich zum Freigang, eine<br />
Stunde Runden drehen im Hof, aber dazu hatte ich<br />
überhaupt keine Lust. Ich blieb im Bett.<br />
Am vierten Tag fing es an mir etwas besser zu gehen, ich<br />
ging mit in den Hof. Ca. sechzig Gefangene drehten<br />
dort ihre Runden, manche hielten sich fit und joggten<br />
um das Gras. Ich blieb alleine, kümmerte mich nicht um<br />
Andere. Bis mich Jemand ansprach. „Dir geht es wohl<br />
nicht gut“, stellte er richtig fest. „Ich bin auf Turkey“,<br />
sagte ich Hans, der sich vorgestellt hatte. Ein Baum von<br />
Mensch, stark muskulös und voll durchtrainiert. Ich stolperte<br />
mehr als ich ging, Hans redete auf mich ein. „Ich<br />
habe eine Bank überfallen, hatte eine Schießerei mit den<br />
Bullen, die mich dann doch erwischt haben“. Ein harter<br />
Knochen, wie sich später wirklich herausstellte. Er hatte<br />
eine Tätowierung am Oberarm, einen sehr schön gestochenen<br />
Indianerkopf. „Ich liebe die Indianer“, sagte ich<br />
ihm, so hatten wir ein gemeinsames Thema gefunden,<br />
495<br />
und ich hatte sofort einen starken Beschützer.<br />
Die Zelle öffnete sich erneut nach dem Freigang, „ Sie<br />
haben Besuch vom Zoll“. Man führte mich erneut<br />
durch viele vergitterte Tore bis in einen Raum mit Tisch<br />
und vier Stühlen. Dort saß Müller mit einem Kollegen.<br />
„Na, wie geht´s“, „ hast du den Turkey hinter dir“?<br />
„Nee, ich bin noch voll krank“, antwortete ich wahrheitsgemäß.<br />
„Willst du endlich reden, mach reinen<br />
Tisch, dann bist du bald hier raus“, schleimte mich Müller<br />
an, und schob mir Zigaretten hin. Ich nahm eine Zigarette,<br />
bat um Feuer, steckte die Packung ein, und rief.<br />
„Schließer, bitte in die Zelle zurück, mir geht´s nicht<br />
gut“. Ein Grüner kam, schüttelte den Zollbeamten gegenüber<br />
den Kopf, und nahm mich mit. „Du wirst<br />
schon noch reden“, rief Müller mir wütend nach. „Du<br />
kennst mich nicht“, rief ich zurück ohne mich umzudrehen,<br />
hob meine Hand, und zeigte ihm meinen rechten<br />
Mittelfinger. Die Typen sollten wissen was es hieß,<br />
Eric verhören zu wollen, ich wusste, hier kam ich so<br />
schnell nicht wieder ´raus.<br />
Es ging mir schon viel besser, die Entzugserscheinungen<br />
flachten mehr und mehr ab.<br />
Als ich in die Zelle kam, legte ich mich erneut aufs Bett,
und schaute lange gegen die Decke. `Hier kommst du so<br />
bald nicht wieder raus´, wusste ich, musste mich irgendwie<br />
arrangieren. Ich konnte schon fast klar denken, das<br />
machte mir Mut, die Schmerzen würden sicher bald<br />
vorüber sein.<br />
Beim Doktor holte ich mir wieder eine Portion Pillen<br />
ab. „Noch zwei Tage, dann gibt´s keine Medikamente<br />
mehr“, sagte er mir beim Hinausgehen. Das gefiel mir<br />
nicht so gut, aber ich würde mir schon zu helfen wissen.<br />
Mut kehrte langsam in meine Seele zurück. Ich hatte<br />
mir sofort eine starke Faust gefunden, im Knast immer<br />
496<br />
hilfreich. Als Nächsten ließ ich den Bibliothekar zu mir<br />
kommen, Bücher konnten Rettung in Momenten der<br />
Schwäche sein, das hatte ich in Marseille gelernt. Ich bat<br />
ihm mir viele Bücher zu bringen. „Es gibt aber nur zwei<br />
die Woche“, sagte er mir. „Wir werden uns schon einigen“,<br />
antwortete ich und gab ihm Zigaretten.<br />
Lucie kam mit Tränen in den Augen zu Besuch. Sie hatte<br />
mir frische Wäsche und Kleidung mitgebracht. „Wie<br />
geht es dir gesundheitlich“, war ihre erste Frage. „Viel<br />
besser, ich habe den Entzug überstanden“. „Es ist sicher<br />
nicht schön hier, aber so konnte das nicht weiter gehen,<br />
du wärst sicher bald gestorben“, sagte Lucie. „Ich hatte<br />
immer Angst um dich, als du voll mit dem Zeug warst“.<br />
„Pack ich nicht mehr an, das schwöre ich dir, diesen<br />
Dreck will ich nicht mehr haben“. „Hoffentlich“, sagte<br />
Lucie. „Ich soll dich von den Kindern grüßen, sie machen<br />
sich große Sorgen, ich wollte sie jetzt noch nicht<br />
mitbringen“. „Das war gut so, die können ja bei einem<br />
nächsten Besuch mitkommen, ich würde mich sehr<br />
freuen“. „Du siehst schon viel besser aus als noch vor einer<br />
Woche“, sagte meine Frau, ich freute mich über dieses<br />
Kompliment. „Ich fühle mich auch besser, gesünder“,<br />
antwortete ich, obwohl mein Hirn noch stets nach<br />
dem Stoff verlangte. Aber die Schreie wurden immer leiser.<br />
Bevor Lucie gegangen war, hatte ich ihr mitgeteilt,<br />
sie solle mir Beruhigungstabletten beim nächsten Besuch<br />
mitbringen, sie in die Nähte der Hemden kleben.<br />
Sie wollte das nicht, sie regte sich sofort auf. „Ich brauch<br />
etwas, sonst halte ich das hier nicht aus“. „Mal sehen“.<br />
Zurück in der Zelle wurde ich erneut zum Verhör abgeholt.<br />
Der gleiche Prozess, die gleiche Handbewegung,<br />
nur ließen sie jetzt die Zigaretten nicht auf dem Tisch<br />
liegen, die gönnten sie mir wohl nicht mehr. Eine boten<br />
sie mir doch an. „Schließer, zurück in den Bau“. Die<br />
497<br />
Zöllner zogen erneut unverrichteter Dinge von dannen.<br />
Ich wurde in meine Zelle zurückgeführt, freute mich<br />
über die wütenden Häscher vom Zoll.<br />
So langsam gewöhnte ich mich an das Leben im Knast.<br />
Lucie hatte mir Geld auf ein Konto eingezahlt, so konnte<br />
ich mich mit Allem eindecken, was man hier so
auchte. Tabak, löslichen Kaffee, die Gläser nannte man<br />
Bombe Kaffee, eine gültige Währung im Gefängnis, mit<br />
der man sich alles Notwendige kaufen konnte. Erst einmal<br />
bestach ich den Bibliothekar, damit er mir mehr als<br />
nur drei Bücher die Woche brachte. Lesen war mein Weg<br />
nach draußen.<br />
Woche für Woche erschienen die Zollbeamten, sie hörten<br />
kein Wort von mir.<br />
Lucie hatte mir einen Rechtsanwalt besorgt, Böhm hieß<br />
der Mann, kam aus Bonn, und war Spezialist in Sachen<br />
BTM, Betäubungsmittel. Er kam mich besuchen, er hatte<br />
mehrere Klienten hier in Aachen. „Das mit der Aussageverweigerung<br />
hast du richtig gemacht“, sagte er mir<br />
sofort, „Vielleicht fällt die Zeugin ja um, nimmt die Aussage<br />
zurück, dann bist du frei“, erklärte er mir. Er hatte<br />
meine Akten schon eingesehen.<br />
„Ist mir klar“, wusste ich. „Der Staatsanwalt kocht vor<br />
Wut, dass du nichts aussagt, das erlebt er bei Junkies selten,<br />
die meisten sagen aus sobald sie den Entzug nicht<br />
mehr aushalten“, sagte mir Böhm und lachte. Er war<br />
ziemlich jung für seine Position, war bei Gericht gefürchtet<br />
für seine Kenntnisse bei Rauschgiftprozessen.<br />
Das beruhigte mich kolossal.<br />
Lucie kam alle zwei Wochen zu Besuch. Ich hatte das<br />
Recht auf eine halbe Stunde Besuch in vierzehn Tagen.<br />
Nicht viel, aber es reichte. Sie hatte sich doch erbarmt,<br />
wenn ich meine sauberen Hemden in der Kammer abholte,<br />
faltete ich sie gleich auseinander, in Einem kleb-<br />
498<br />
ten dann den Innenseiten der Ärmelnähte Valiumpillen<br />
schön übereinander, Pille für Pille mit Heftpflaster angeklebt,<br />
nicht auffindbar für die Beamten des Wachdienstes.<br />
Die schauten nur auf die sauber gefalteten Hemden,<br />
meist fünf Stück an der Zahl, zählten sie eine Ecke anhebend<br />
durch, und übergaben sie mir. In der Zelle zählte<br />
ich dann meinen Schatz, meist hatte ich für jede<br />
Nacht eine Pille, und konnte zumindest einige Stunden<br />
davon schlafen.<br />
Die meiste Zeit lag ich auf dem Bett und las meine Bücher.<br />
In diesen Momenten war ich nicht eingesperrt, ich<br />
flog mit jeder Zeile weiter in die Geschichten hinein,<br />
und hinaus aus dem vergitterten Zellenfenster, erlebte<br />
alles mit, was die Figur, mit der ich mich in den Büchern<br />
identifizieren konnte, darstellte.<br />
Nur das Rasseln der Schlüssel den ganzen Tag über ging<br />
mir tierisch auf den Geist, es wurde immer unerträglicher.<br />
Krack, Türen flogen auf, krack, Türen flogen wieder<br />
zu. Schrecklich. Bis ich beschloss mich daran zu gewöhnen,<br />
als gegeben hinzunehmen, bald hörte ich es<br />
kaum noch. Hätte ich mich weiterhin zu sehr auf dieses<br />
eklige Geräusch konzentriert wäre ich sicher bald<br />
durchgedreht.<br />
Böhm kam regelmäßig, wir duzten uns vom ersten Tag
an, das war mir sympathisch. Er hatte längeres gelocktes<br />
dunkles Haar, und gab sich äußerst locker. „Wir kriegen<br />
das schon hin, sag weiterhin nichts aus, ich mache den<br />
Rest“, riet er mir.<br />
Bei den täglichen Hofgängen hatte ich mittlerweile<br />
mehr Knastgenossen kennen gelernt, viele saßen wegen<br />
der gleichen Sache wie ich, Rauschgiftvergehen. In dieser<br />
Zeit, 1978, machte man um Drogen noch ein Riesenteather,<br />
die Behörden hatten keine Ahnung was diese<br />
Dinge bedeuteten, und alles was damit zusammen<br />
499<br />
hing. Außerdem stellte man alle Drogen auf eine Stufe,<br />
Hasch oder Heroin, das war gleich für die Justizbehörden.<br />
In Holland hatte man Hasch längst legalisiert, aber<br />
das interessierte in Deutschland Niemanden.<br />
Ich lernte den kleinen Willi kennen, er kam aus der Nähe<br />
von Merschenich, hatte wahrhaftig neun Banken<br />
überfallen. Er hatte sich ein Bombenähnliches Gebilde<br />
gebastelt, einen Stahlzylinder, mit einem kleinen Schalter<br />
und einer kleinen Lampe obendrauf, die legte er immer<br />
auf die Theke der Kasse in der jeweiligen Bank.<br />
„Geld raus, oder das Ding geht hoch, mir ist es egal<br />
wenn ich mit sterbe, ich bin total verzweifelt“, bedrohte<br />
er die Kassierer. Das hatte neun Mal geklappt, bis man<br />
ihm auf die Schliche kam, ihn verhaftete. Ich freundete<br />
mich mit ihm an, er war ein netter und witziger Zeitgenosse.<br />
Abends konnte man für zwei Stunden in die Zelle eines<br />
Anderen gehen, und Karten spielen, oder sonst was machen.<br />
Willi und ich waren oft zusammen, obwohl wir<br />
eingesperrt waren, lachten wir uns in Tränen. Er war sehr<br />
lustig, seine Geschichten unglaublich, aber wahr.<br />
Später gesellte sich Sacco zu uns, man wollte ihm vierzig<br />
Kilo Haschschmuggel nachweisen. Er hatte den gleichen<br />
Anwalt wie ich, machte auch keinerlei Aussage.<br />
Seine langjährige Freundin Isabella, eine wunderschöne<br />
Frau kam ihn oft besuchen. Wir saßen einmal gemeinsam<br />
im Besucherraum, dort hatte ich sie zu ersten Mal<br />
gesehen. Eine dunkelhaarige Grazie mit traurigen Augen.<br />
Sacco, Willi und ich spielten gemeinsam Poker um Zigaretten<br />
oder andere Kartenspiele, lachten viel, die Zeit<br />
verging wie im Flug. Von einem Mithäftling lernte Sacco<br />
Gitarre spielen, schnell wurde er richtig gut. Was immer<br />
er anfasste machte er präzise und perfekt, lernte flei-<br />
500<br />
ßig und ausdauernd. Anders als ich faule Sau. Später<br />
lernte er Architektur, wurde ein großartiger Bambuszüchter,<br />
baute ein haus zu einem Schmuckstück um und<br />
kochte für seine Frau, die den Dr. gemacht hatte und in<br />
einem großen Betrieb für Formmaschinen in der Nähe<br />
von Merschenich als Pressereferentin arbeiten ging. Sacco<br />
führte den Haushalt, perfekt wie Alles was er tat.. Leider<br />
musste er sich irgendwann einer Herzoperation unterziehen,<br />
man legte ihm sechs Beipässe. Ich besuchte
ihn oft, hielt stets Kontakt zu ihm und seiner schönen<br />
Frau. Mehr als 25 Jahre nach unserer Entlassung aus dem<br />
Gefängnis im Dezember 2007, rief ich an, um ihn an eine<br />
gemeinsam geplante Party zu erinnern, hatte ich Isa<br />
am Telefon. Wir hatten uns länger nicht gesehen. „Wie<br />
geht´s Sacco“, fragte ich sie. „Sacco gibt es nicht mehr,<br />
er ist vor einem Jahr verstorben“, antwortete sie mit tieftrauriger<br />
Stimme. Es war unfassbar, als er mit einem geliebten<br />
Hund zu Tierarzt fahren wollte, bekam er an einer<br />
Ampel einen Herzinfarkt und starb sofort. R.I.P.<br />
mein geliebter Freund.<br />
Hans war immer mit den härteren Knackis zusammen,<br />
Schläger, andere Raubritter, die seinem kriminellen Niveau<br />
entsprachen. Wir sahen uns nur auf dem Hofgang,<br />
unterhielten uns über amerikanische Indianer und ihr<br />
Schicksal. Ich liebte die bunte Kultur der Indianer schon<br />
immer, hasste die europäischen Siedler, die dieses Volk<br />
mit effektiveren Waffen Millionenfach massakriert hatten.<br />
Nun lebten sie in ihrem eigenen Land in kleinen<br />
Reservaten, viele vegetierten im Alkoholrausch am<br />
Rande dieser für sie bestimmten Lebensgebiete. Ich verurteilte<br />
die Amerikaner dafür. Hans war meiner Meinung,<br />
das war gut für mich, Niemand traute sich mir etwas<br />
anzutun, es gab genug kriminelle Zeitgenossen, die<br />
501<br />
mir an die Wäsche wollten, viele verstanden einfach<br />
nicht, weshalb ich oft lachte, mir der Knastalltag nicht<br />
mehr viel ausmachte. Trauern half mir nicht weiter. Ich<br />
hatte mich nach drei Monaten mit meinem Schicksal<br />
abgefunden, es war mir klar, dass dieses vergitterte Gebäude<br />
meine Heimat für längere Zeit sein würde.<br />
Lucie kam regelmäßig, oft brachte sie die Kinder mit, die<br />
mich immer traurig ansahen. Ich versuchte sie aufzumuntern,<br />
ihnen zu erklären, dass ich schon bald wieder<br />
zu Hause sein würde, und es mir gut ginge, mich wie in<br />
einem Krankenhaus fühlte, was ich leider nötig hatte. Ich<br />
erklärte ihnen, dass ich ein Jahr lang sehr krank war, und<br />
nun gesund werden müsse. Es tröstete sie ein wenig. Sie<br />
waren noch klein, und ich konnte ihnen solche Märchen<br />
erzählen.<br />
Meine schöne Frau hatte mir einen kleinen Fernseher<br />
gekauft, zehn cm großes Bild. Er wurde mit Batterien<br />
betrieben, Strom gab es in diesem alten Gefängnis nicht.<br />
Ein teurer Spaß, ich musste wöchentlich für viel Geld<br />
Energie für das Gerät kaufen, Lucie besorgte das Geld<br />
dafür. Sie tat alles Menschenmögliche für mich. Aber es<br />
war schön, durch den Fernseher in die reale Welt nach<br />
draußen blicken zu können, auch unterhaltsam, wenn<br />
mal ein guter Film gezeigt wurde. Trotzdem blieben Bücher<br />
meine favorisierte Beschäftigung. Ich verschlang sie<br />
hundertfach.<br />
Irgendwann bekam ich von Lucie keine Tabletten mehr.<br />
Sie erklärte mir, dass sie jedes Mal große Angst hatte,
wenn sie mir die Dinger einschmuggelte. Hätte man sie<br />
erwischt, hätte sie nie wieder zu Besuch kommen dürfen,<br />
das wollte sie unbedingt vermeiden. So hörte sie mit<br />
der Schmuggelei auf, und ich saß ohne Pillen da. Ich gewöhnte<br />
mich schon bald daran. Ab und an hatte ich die<br />
Chance, von Mitgefangenen Pillen für Tabak oder Kaffe<br />
502<br />
zu kaufen, dann hatte ich wieder eine ruhige Nacht.<br />
Ohne diese Schlafmittel lag ich oft die Nächte wach, bis<br />
ich gegen Morgen erschöpft für zwei Stunden einschlief.<br />
Diese Nächte waren immer endlos lang.<br />
Oft machte mir Eifersucht zu schaffen, ich dachte mir alle<br />
möglichen Situationen aus, in denen Lucie mich<br />
draußen betrog. Dies machte ich ihr dann bei Besuchen<br />
zum Vorwurf, ich war mir sicher, dass sie Liebschaften<br />
hatte, und machte sie mit meinen Verdächtigungen fertig,<br />
bis sie weinend den Besucherraum verließ. Sie hatte<br />
mich nie betrogen, ich bildete mir das nur ein.<br />
Um den Anwalt zu bezahlen ging sie bei fremden Menschen<br />
putzen, um das Geld für Böhm zu verdienen. Ansonsten<br />
lebte sie von Sozialhilfe, trotzdem brachte sie mir<br />
immer Geld für Batterien, und was ich sonst so brauchte.<br />
Sie war einfach nur ein mich liebender Engel, meine<br />
Zweifel waren völlig unbegründet.<br />
Willi war ein ganz gewiefter Hund, er versuchte aus dem<br />
Knast auszubrechen. Er wollte sich ein Loch in die Mauer<br />
bohren, und sich mit Bettlaken nach unten hangeln.<br />
Wir waren im vierten Stockwerk, ein gefährliches Unterfangen.<br />
Mit seinem Löffel versuchte er die Steine der<br />
Mauer unter dem Fenster zu lösen, sich so ein Loch zu<br />
baggern. Er wurde natürlich erwischt, nahezu täglich kamen<br />
die Beamten zur Zellenkontrolle, klopften die Gitter<br />
ab, und hatten auch bald Willi´s Loch in der Wand<br />
entdeckt. Er kam in Dunkelhaft, und wir bekamen ihn<br />
dann lange nicht zu sehen. Bis er endlich wieder auf die<br />
Etage kam, und wir weiter lachen konnten. Hauptsächlich<br />
zunächst über seine Schnapsidee, flüchten zu wollen.<br />
Aber Willi gab nicht auf, er versuchte es insgesamt<br />
drei Mal, wofür er einen zusätzlichen Prozess wegen<br />
Sachbeschädigung an den Hals bekam. Noch mal ein<br />
Jahr, zu den neun Jahren, die er in seinem Prozess wegen<br />
503<br />
mehrfachen Bankraubs schon gekriegt hatte. Er war in<br />
Revision gegangen, so blieb er Untersuchungsgefangener.<br />
Wir lachten weiter.<br />
Jemand hatte Hasch in den Knast geschmuggelt, wir legten<br />
genug Tabak und Kaffee zusammen, und kauften uns<br />
ein Stück. Wir schnitten das Dope mit einer Rasierklinge<br />
zu sehr kleinen Stücken, die wir auf die Glut einer<br />
brennenden Zigarette legten. Mit dem unteren Teil eines<br />
Kugelschreibers saugten wir den Rauch des glühenden<br />
Haschstückchens in die Lunge, das war die effektivste<br />
Methode richtig high zu werden. Und wenn wir dann
eit Geschichten erzählten, lachten wir umso mehr und<br />
lauter. Oft kam ein Beamter, fragte was hier los sei, denn<br />
man hörte unser Lachen auch bis auf den Gang. „Wir<br />
spielen verrückt, ist doch nicht verboten“, sagten wir<br />
dem verdutzten Schließer. „Riecht komisch hier“,<br />
schnüffelten die Grünen, entdeckten jedoch nie, was wir<br />
geraucht hatten. Was wir im Kopf hatten, konnte uns<br />
Niemand nehmen, beim Rauchen stand immer Einer<br />
von uns an der Türe und lauschte. Die Gucklöcher waren<br />
sowieso zugestopft, das Papier wurde zwar Anfangs<br />
immer entfernt, aber wir stopften die Löcher stets wieder<br />
zu. Bis die Wachhabenden schließlich aufgaben, und<br />
alles so ließen, wie wir es wollten. Alle Löcher auf der<br />
Etage waren bald nicht mehr einsehbar für die Schließer.<br />
„Ihr wollt uns doch bloß beim kakken zuschauen“, begründeten<br />
wir die Blenden. Wir hatten richtig Spaß, und<br />
das im Knast.<br />
So ziemlich genau alle drei Wochen kamen die Zollfahnder<br />
erneut zu mir, und wollten wissen, was und an<br />
wen wir denn verkauft hätten, das Einzige was ich deutlich<br />
machte war, dass ich nie auch nur einen Krümel<br />
harter Drogen verkauft hatte. Von meinen Geschäften in<br />
Dortmund wussten sie natürlich, sie hatten meine Spu-<br />
504<br />
ren zurückverfolgt, und waren auf Parschau gestoßen,<br />
der mich als Drogenlumpen hinstellte, mir aber so gut<br />
wie nichts nachweisen konnte.<br />
Unverrichteter Dinge zogen die Schergen der Staatsanwaltschaft<br />
von dannen. Es wäre mir im Traum nicht eingefallen,<br />
einen Freund oder guten Bekannten an diese<br />
Typen auszuliefern. Und gedealt hatte ich ja nie mit den<br />
Drogen, die sie mir zu Last zu legen versuchten. Es gab<br />
nur das Geständnis der Monika, und ein Wichtigtuer, der<br />
sich so freikaufte, hatte behauptet, ich habe drei Kilo<br />
Hasch nach Duisburg verschoben. In Duisburg war ich<br />
nie gewesen.<br />
Nach sechs Monaten kam der erste Haftprüfungstermin,<br />
das hieß, der Untersuchungsrichter hatte zu prüfen, ob<br />
noch stets Haftgründe vorlagen. Nachdem der Staatsanwalt,<br />
der mich böse anschaute, seine Sicht der Dinge<br />
vorgetragen hatte, mein Anwalt die nun schon lange Untersuchungshaft<br />
bemäkelte, gewann der Staatsanwalt. Er<br />
hatte nun zwei Aussagen gegen mich, es erging Beschluss,<br />
Eric bleibt in U-Haft. Etwas anderes hatte ich<br />
auch nicht erwartet.<br />
So gingen die Spielchen mit den Schließern weiter, die<br />
mich besonders auf dem Kieker hatten, wie konnte ich<br />
nur immer so fröhlich sein?<br />
Etwa drei Monate später hieß es erneut „Besuch“. Lucie<br />
konnte es nicht sein, sie war erst vor einigen Tagen bei<br />
mir gewesen und hatte mir frische Hemden gebracht. Als<br />
ich in den Besucherraum kam traute ich meinen Augen<br />
nicht. Dort saßen Doris mit ihrer Schwester Juliane, die
es nach Hawaii verschlagen hatte. Die beiden Hatten<br />
sich in Los Angeles getroffen, und waren gekommen, um<br />
mich im Gefängnis zu besuchen. Doris liebte mich wohl<br />
noch immer, sie war nur für diesen Termin nach<br />
Deutschland gekommen, flog am nächsten Tag zurück.<br />
505<br />
Sie beugte sich über die kleine Brüstung zwischen uns,<br />
küsste mich fest, und schob mir mit der Zunge etwas in<br />
den Mund. Ich spürte einen Knoten, der in Plastik eingewickelt<br />
war. Wir unterhielten uns Hände haltend, was<br />
eigentlich verboten war, die Beamten waren von dieser<br />
schönen Frau so verdutzt, dass sie Alles durchgingen ließen.<br />
Als sie nach einer halben Stunde gehen musste,<br />
weinte sie bitterlich, ich rief ihr nach, dass ich die Situation<br />
im Griff hätte, sie sich nicht sorgen sollte, irgendwann<br />
müsste man mich entlassen. Das konnte sie wohl<br />
nicht trösten, ich hörte sie lange schluchzen.<br />
Zurück in der Zelle spuckte ich das in Plastik gewickelte<br />
auf meine Hand, hatte einen zwei Gramm großen<br />
Knubbel Feinstes Hasch erhalten. Sofort schickte ich einen<br />
Schließer zu Willi und Sacco, sie mögen am Abend<br />
zu mir kommen. Und wieder hatten wir Heidenspaß,<br />
waren bald zugedröhnt wie lange nicht. Ich machte mir<br />
so meine Gedanken, Doris au LA nach Aachen, um Eric<br />
zu sehen. Es schien mit ihrer Liebe in Kalifornien nicht<br />
weit her zu sein. Später schickte sie mir regelmäßig große,<br />
sehr schöne Karten und Briefe aus LA mit Liebesbezeugungen.<br />
Ich freute mich immer sehr über ihre Post<br />
aus Amerika.<br />
Auch Lucie schrieb mir viele Briefe, sie wusste, dass jeder<br />
Tag im Knast ohne Nachricht von draußen ein<br />
schwarzen Tag werden konnte.<br />
Die Kinder kamen in die Schule, ich konnte es nicht<br />
miterleben. Dann gingen sie zur ersten Kommunion,<br />
auch dieses Fest wurde ohne mich gefeiert. Lucie<br />
schickte mir regelmäßig Fotos von den Beiden, über die<br />
ich mich immer besonders freute.<br />
Nun war ich schon ein Jahr in Untersuchungshaft, wie<br />
ein Schwerverbrecher. Dabei war ich nur Drogenabhängig<br />
geworden, was später als Krankheit anerkannt wur-<br />
506<br />
de. Die andere Sache mit den drei Kilo war Aussage gegen<br />
Aussage, ich vermutete jedoch, dass der Staatsanwalt<br />
alles daran setzen würde, mir auch dies an die Backe zu<br />
kleben. Einen so sturen Hund wie mich hatte er noch<br />
selten erlebt. Andere Junkies plapperten fröhlich drauf<br />
los, rissen Freunde und wen immer sie kannten mit in<br />
ihre Sache mit rein, und kauften sich so frei. Das wollte<br />
ich auf jeden Fall vermeiden, außerdem gab es noch die<br />
Chance, dass die Zeugen beim Gerichtstermin anders<br />
aussagten, als bei der Polizei oder beim Zoll. Am Ende<br />
galt immer nur das, was bei Gericht gesagt wurde. Und<br />
demnach würde ich verurteilt werden.
Es kam ein neuer Haftprüfungstermin, wieder waren<br />
sechs Monate vergangen.<br />
Die gleiche Prozedur wie sechs Monate vorher, Besuch<br />
beim Untersuchungsrichter, Staatsanwalt noch immer<br />
sauer, beantragte Haftfortdauer, mein Anwalt beantragte<br />
Freilassung, Beratung.<br />
Während der Beratungsdauer wurde ich in eine enge<br />
dunkle Zelle gesperrt, musste warten. Dann klopfte ein<br />
Wärter an die Türe: „Sie werden freigelassen, alles Bestens“.<br />
Ich sprang auf, stieß mir fast den Kopf, und jubelte.<br />
Endlich frei, raus aus der Zelle, ab in die Freiheit,<br />
mein Herz schlug wie verrückt vor Freude. Dann kam<br />
der gleiche Schließer zurück, klopfte erneut: „ War ein<br />
Versehen, nicht sie kommen frei, war ein Anderer“. Ich<br />
fiel in mich zusammen und fing an zu heulen. Das konnte<br />
doch nicht war sein, was wollten die noch von mir?<br />
Ich hatte nie mit harten Drogen gedielt, nie auch nur einen<br />
Krümel verkauft, und sollte trotzdem weitersitzen.<br />
Ich war völlig außer mir, konnte die neue Nachricht<br />
nicht verarbeiten, mein Herz schlug Purzelbäume. Aber<br />
es war so, wie der Grüne zuletzt gesagt hatte. Es war ein<br />
Versehen. Der Typ wusste wohl nicht, was man einem<br />
507<br />
Gefangenen mit solchen Nachrichten antun konnte. Der<br />
sollte am Besten gleich gefeuert werden.<br />
So wurde ich zurück in meine Zelle transportiert. Abend<br />
erzählte ich meinen Kumpels von meinem Tag, sie fragten<br />
sofort, welcher Schließer das gewesen sei, ich hatte<br />
ihn nicht zu Gesicht bekommen, er hatte immer nur<br />
durch die verschlossene Türe gesprochen. Hans hätte<br />
ihm im Dunkeln eine Lektion in Namenslehre verpasst.<br />
Meine Freunde verstanden gut, wie mir jetzt zu Mute<br />
war. Dieser Zustand dauerte eine Weile, bis ich die Verwechslung<br />
bei dem Haftprüfungstermin verdaut hatte.<br />
Jetzt war ich schon ein Jahr in Untersuchungshaft, nun<br />
hatte ich erst recht keine Lust mehr, den von mir eingeschlagenen<br />
Weg der Nichtaussage zu ändern. Man konnte<br />
ja nie wissen. Es konnte immer noch geschehen, dass<br />
die Zeugen wirklich umfielen, ihre Aussagen zurückzogen,<br />
dann wäre ich frei, der Staatsanwalt endgültig angepisst.<br />
Die Hoffnung starb zuletzt.<br />
Bald hatte ich die Gewohnheit und meine gute Laune<br />
zurückgefunden, es gab wieder viel zu lachen. Über die<br />
Schließer, meistens Dummschädel, die ja eigentlich Lebenslänglich<br />
hatten. Tag für Tag und Nacht für Nacht<br />
mussten sie sich wegschließen lassen, um uns auf und ein<br />
zu schließen. Kein lustiger Job. Die paar Stunden die sie<br />
in Freiheit verbringen durften waren sicher auch nicht<br />
gerade angenehm, wir stellten uns vor, wie sie von ihren<br />
Weibern behandelt wurden. Dummschädel waren fette<br />
Beute für Frauen, sie konnten mit ihnen machen was<br />
immer sie wollten. Sicher hatten sie die Oberhand in<br />
den Beziehungen, machten ihren Ernährern das Leben
schwer. Wir lachten uns schlapp darüber. In den Knastgängen<br />
spielten sie dann die großen Macker und klapperten<br />
mit den dicken Schlüsseln.<br />
Ein weiteres halbes Jahr Zellenaufenthalt war vorüberge-<br />
508<br />
gangen, der große Prozess wurde angekündigt. Ich hatte<br />
nun gründlich die Schnauze voll vom Aachener Knast,<br />
Willi war weg, in einen anderen Knast verschoben, Sacco<br />
hatte sich vier Jahre eingefangen, war auch weg, nur<br />
Hans war noch da, er hatte einen größeren Gerichtstermin<br />
zu erwarten, bei der Schießerei hatte er einen Polizisten<br />
verletzt.<br />
Mein Anwalt kam ein letztes Mal zu mir, wir besprachen<br />
mein Verhalten im Prozess, weiterhin keine Aussage, nur<br />
Reaktion auf die Aussagen der Zeugen. Lucie kam noch<br />
immer regelmäßig zu Besuch, ich machte sie mit meiner<br />
Eifersucht fertig, meist verließ sie weinend den Besucherraum.<br />
Ich benahm mich wie der letzte Arsch. Tabletten<br />
brachte sie nicht mehr, das war ihr zu heiß geworden.<br />
Ich schlief mittlerweile auch Ohne.<br />
Der Prozess begann. Ich hatte mich fein angezogen,<br />
wollte die Richter positiv beeindrucken. Dann kam<br />
meine erste Zeugin, Monika heulte bitterlich, als sie<br />
mich auf der Anklagebank sah. Sie hatte wohl begriffen,<br />
dass sie mir zu unrecht Jahrelanges Knastschieben eingebracht<br />
hatte. Sie sagte dass es nicht meine Schuld gewesen<br />
sei, dass sie süchtig wurde, erzählte wahrheitsgemäß,<br />
dass sie schon süchtig auf Valeron war, bevor sie mich<br />
kennen lernte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, diese Aussage<br />
sollte mir positiv angerechnet werden. Glaubte ich.<br />
Dann kam der nächste Zeuge, dieser Typ Robert, der<br />
mir drei Kilo Schit anhängen wollte, die ich nie nach<br />
Duisburg gebracht hätte. Aber er erzählte den Gleichen<br />
Scheiß wie bei der Vernehmung durch die Polizei, bestätigte<br />
seine Aussage vor dem Richter. Ich sprang von der<br />
Bank, schreie laut: „ Lügner“, man rief mich zur Ordnung,<br />
der Typ konnte gehen.<br />
Der Staatsanwalt hielt sein Plädoyer, bezichtigte mich als<br />
Haschdealer, und als den, der eine unschuldige Arzthel-<br />
509<br />
ferin süchtig gemacht, und um ihre Ersparnisse von dreißigtausend<br />
Mark gebracht hatte. Dies sei ein schwerer<br />
Fall von Betäubungsmittelvergehen, er beantragte Fünf<br />
Jahre und drei Monate Gefängnis. Er hatte die vielen<br />
Fahrten nach Holland, das Einschmuggeln von Heroin<br />
zusammengerechnet, jedes Mal ein Schmuggel, das ergab<br />
dann vierzig Mal Grenzvergehen, so kam er auf die hohe<br />
Strafe. Aber auch nur, weil ich mich als sturer Hund<br />
gezeigt hatte, des konnte er nicht verknusen.<br />
Bevor mein Anwalt sein Plädoyer hielt, gab es eine Pause.<br />
Auf dem Gang stand Lucie. „Bitte kauf mir ein Kotelett<br />
in der Kantine“, bat ich sie, „ hier gibst so gut wie<br />
kein Fleisch“. „Wie kannst du jetzt an Fleisch denken“,
egte sich mein Anwalt auf, „hast du nicht gehört, was<br />
der Staatsanwalt gerade beantragt hat“? „Doch, aber du<br />
wirst die Sache schon schaukeln“, vertraute ich ihm.<br />
Der Antrag hatte mich kaum getroffen, eine Etage unter<br />
mir im Knast saß ein älterer Gefangener, der seine Frau<br />
mit einem großen Küchenmesser erstochen hatte, und<br />
nur fünf Jahre dafür bekommen hatte, ich würde doch<br />
sicher nicht mehr bekommen, als ein Mörder.<br />
Böhm lief auf dem Flur im Kreis, fasste sich mit geschlossenen<br />
Augen an den Kopf, und überlegte wohl angestrengt,<br />
wie er mich da ´raushauen könnte. Ich verzehrte<br />
in aller Ruhe mein Kotelett, Lucie betrachtete<br />
mich Sorgenvoll, nur ich hatte die Ruhe weg.<br />
Dann ging die Chose weiter. Böhm fing mit seinen<br />
Sprüchen an, erklärte, dass Monika ja wohl von ihrem<br />
Risiko hätte wissen müssen, und ich nie Hasch nach<br />
Duisburg geschleppt habe, hier ständen Aussage gegen<br />
Aussage. Es läge ein minder schwerer Fall vor, er beantragte<br />
Bewährung.<br />
Der Richter entschied auf Lokaltermin, das Auto sollte<br />
überprüft werden, man wolle feststellen, ob die Zöllner<br />
510<br />
beim Schmuggel das Versteck hätten sehen müssen, oder<br />
ob wir das Heroin so raffiniert versteckt hätten, dass kein<br />
Zollbeamter es hätte sehen können.<br />
Ich kam noch einmal für eine Woche zurück in meine<br />
Zelle, dann sollte das Auto vorgeführt werden.<br />
Und es wurde vorgeführt. Im Hof des Gerichtsgebäudes<br />
stand der kleine Mini Cooper, Monika am heulen, als sie<br />
sah, wie ich in Handschellen in den Hof geführt wurde,<br />
ich dachte mir meinen Teil.<br />
Wir hatten die kleinen Päckchen immer innen unter das<br />
Dach des Autos platziert, indem wir einen Teil herunterzogen.<br />
Die Lücke war so winzig, dass kein Zöllner sie<br />
hätte sehen können. Aber Monika hatte das Teil so weit<br />
hinuntergezogen, dass es jedem Idioten hätte auffallen<br />
müssen, dass da etwas nicht stimmte.<br />
So sah es auch der Richter, und entschied auf minder<br />
schweren Fall. Staatsanwalt war wieder sauer, ich bekam<br />
jedoch ein hübsches Päckchen zu tragen, vier Jahre und<br />
drei Monate.<br />
Ich saß ja schon ein und halbes Jahre, somit blieben einundzwanzig<br />
Monate, die ich zu noch zu bleiben hätte.<br />
Wir gingen in Revision, das Urteil sollte von übergeordneten<br />
Richtern geprüft werden. Eine so hohe Strafe<br />
wegen Eigenkonsums von Betäubungsmitteln schien<br />
mir und auch meinem Anwalt viel zu hoch. Ich hatte<br />
mich jedoch schon so sehr an das Leben im Knast gewöhnt,<br />
es machte mir schon fast nichts mehr aus.<br />
Lucie war heilfroh, dass der Staatsanwalt mit seinem Antrag<br />
nicht durchgekommen war, und ich bei guter Führung<br />
noch etwas über ein Jahr eingesperrt bleiben würde.<br />
Das wären zwei Drittel von der Gesamtstrafe. Also
fast genau drei Jahre insgesamt. Ganz schön viel, dafür<br />
dass ich süchtig war, und das Zeug eben nur in Holland<br />
zu einem einigermaßen günstigen Preis angeboten wur-<br />
511<br />
de. So musste ich schmuggeln, das einzige Delikt, für das<br />
ich im Endeffekt verurteilt wurde.<br />
Monika hatte ein Jahr auf Bewährung erhalten, weil sie<br />
mich den Bullen ans Messer geliefert hatte. Sie waren ja<br />
schon lange hinter mir her, nun hatten sie endlich einen<br />
Grund, mich festzusetzen.<br />
Wenn ich bedachte, was ich so alles angestellt hatte, das<br />
man mir nie beweisen konnte, war ich eigentlich gut<br />
weggekommen, mein einziger Trost. Nun konnte ich<br />
mich für einen „Verschub“ fertig machen, ich würde sicher<br />
bald in einem anderen Knast landen, Aachen war<br />
nur für Untersuchungshäftlinge zuständig, jetzt war ich<br />
verurteilt, und würde mich sonst wo wieder finden.<br />
So ein Verschub war das Letzte. Man kam in einen großen<br />
grünen Bus, indem sich kleine Zellen befanden, in<br />
die man eingeschlossen wurde. Die hölzernen Sitzbänke<br />
waren schmal und nicht für längere Reisen konzipiert.<br />
Aber die Reise wurde sehr lang. Zunächst ging es von<br />
Aachen nach Köln, in den Knast natürlich. Dort gab´s<br />
Erbsensuppe, und Wartezeit. Bis dann von dort andere<br />
Gefangene in den Transporter geladen waren, ging´s<br />
weiter nach Duisburg.<br />
Duisburg-Hamborn war die Knastverteileranlage für<br />
Strafgefangene, also Verurteilte. Hier wurde geprüft, wer<br />
was begangen hatte, wie lange die Strafe war, dann wurde<br />
man auf einzelne Gefängnisse im Raum NRW weitergeleitet.<br />
Dieser Prozess dauerte zwei Monate, also<br />
musste ich mich erneut einrichten, den Bücherfritzen<br />
bestechen, mir eine Leibwache organisieren, und warten.<br />
Nach ca. drei Wochen, ich ahnte nichts Böses, rief ein<br />
Idiot auf dem Weg zum Hofgang zu mir hoch: „Hey<br />
Eric, hast du das Dope auch nicht vergessen“? „Du<br />
Scherzkeks“, antwortete ich nur, und ging die drei Treppen<br />
hinunter in den Hof. Ich hatte den dummen Spruch<br />
512<br />
längst vergessen, als ich bei der Rückkehr vom Kreise<br />
laufen an der Eingangstüre angehalten wurde. „Bleiben<br />
sie ´mal stehen“, befahl ein Beamter. Und schon war ich<br />
von Polizisten in Zivil umringt, die sogar einen Schäferhund<br />
bei sich führten. „Ausziehen“, orderte einer der<br />
Bullen. „Was wollt ihr von mir, ich hab doch nichts getan“.<br />
„Schnauze, ausziehen“.<br />
Ich war mir keiner Schuld bewusst, und fing in dem<br />
kleinen Flur, der zu den Treppen führte, an, mich auszuziehen.<br />
Als ich dann meine Klamotten um mich verteilt<br />
hatte, musste ich die Unterhose auch noch ausziehen,<br />
stand nackt vor den an mir vorbeilaufenden Mitknästlingen,<br />
und schaute sicher dumm auf meine Wäsche am<br />
Boden, und auf die Beamten, die sich daran zu schaffen
machten. Sie drehten alles auf links, checkten jede Naht<br />
meiner Kleidung, ließen ihren Köter darüber laufen und<br />
schnüffeln, fanden natürlich nichts.<br />
„Was soll der Scheiß“, fragte ich in die Runde, der Hund<br />
schaute mich blöde an, ich ihn auch.<br />
„Ab in die Zelle“, war das nächste Kommando. Ich zog<br />
mich also wieder an, verabschiedete mich freundlich von<br />
den ziemlich dumm dreinschauenden Zivilen, auch vom<br />
Hund, und begab mich auf den Weg in die Zelle.<br />
Oben angekommen fand ich ein totales Chaos vor. Die<br />
hatten jeden Winkel meiner Zelle abgesucht, all meine<br />
Sachen lagen verstreut auf dem Boden, das Bett war völlig<br />
auseinander genommen, man hatte sich hier richtig<br />
vergnügt.<br />
Also musste ich erstmal Ordnung schaffen, und fragte<br />
mich dauernd, wie es zu dieser Situation gekommen<br />
war. Nach langer Überlegung wusste ich plötzlich, es<br />
war der doofe Spruch von einem mir völlig unbekannten<br />
Mithäftling, als ich in die Freistunde ging. `Hast du<br />
das Dope…`. Nur wegen eines solchen Spruchs hatte<br />
513<br />
man alles auf den Kopf gestellt, glaubte ernsthaft ich<br />
deale mit Schit im Knast. Die mussten ja sehr unmögliche<br />
Anweisungen vom Staatsanwalt bekommen haben,<br />
wenn sie einen solchen Zirkus mit mir veranstalteten.<br />
Ich konnte letztlich nur den Kopf schütteln, mich in<br />
mein Buch vertiefen, den Tag herumkriegen. Ich hatte<br />
die Sache schnell vergessen, ein Buch hatte mich einmal<br />
mehr aus der Zelle katapultiert.<br />
Nach den zwei Monaten in Duisburg hatte man beschlossen,<br />
mich in das Gefängnis Willich zu verlegen,<br />
dort sollte ich den Rest meiner Strafe absitzen. Willich<br />
lag bei Mönchengladbach, und war als übler Knast berüchtigt.<br />
Dort saßen nur die ganz harten Jungs, bis hin<br />
zu Mördern, die zu Lebenslänglich absitzen mussten. Was<br />
sollte ich in einem solchen Gefängnis, ich war doch eigentlich<br />
nur ein kleiner Fisch. Sicher wieder eine<br />
schmutzige Maßnahme vom Aachener Staatsanwalt, der<br />
mir keine gute Zeit wünschte. Anders konnte ich mir die<br />
Sache nicht erklären.<br />
Der Knast war ziemlich neu, die Zellen sehr sauber, und<br />
es gab auch ein Haus für weibliche Strafgefangene. Ich<br />
hatte ein sehr ungutes Gefühl, als ich das erste Mal zur<br />
Freistunde in den Hof kam. Die Knackis schaute ich mir<br />
Alle genau an, viele ziemlich üble Gestalten liefen da im<br />
Kreis herum. Aber was sollte es schon, irgendwie musste<br />
ich mich arrangieren, zog meine Runden jedoch erstmal<br />
wieder alleine. Bis ich dann einige Tage später einen Bodo<br />
kennen lernte, der auch wegen BTM verurteilt war.<br />
Er hatte sieben Jahre für Schmuggel von Heroin aus der<br />
Türkei nach Deutschland eingefangen. Er wurde schon<br />
am Flughafen verhaftet, hatte seinen Einsatz sofort verloren.<br />
Eigentlich eine gute Sache, dachte ich mir, denn
mit solchen Drogen dealt man nicht. Er war aber einigermaßen<br />
nett, so unterhielt ich mich ab und an mit<br />
514<br />
ihm.<br />
Eines Tages gab er mir ein paar Pillen, „zum Schlafen“,<br />
sagte er mir. So waren sie auch. Zunächst probierte ich<br />
eine Halbe, schlief nach einigen Minuten tief und fest<br />
ein. `Gute Sache`, dachte ich, und nahm dann schon<br />
Tagsüber die Schlafkanonen. Bald wirkten sie jedoch<br />
nicht mehr nur zum schlafen, ich fühlte mich high von<br />
den Dingern, wenn ich mich wach hielt. Ich kaufte von<br />
Tabak und Kaffe mehr Tabletten, täglich war ich high bis<br />
unter die Schädeldecke, nachts schlief ich gut.<br />
So war der Knast auch in dem berüchtigten Willich erträglich,<br />
bis ich nur noch die Treppen ´rauf und ´runterfiel,<br />
so viele Pillen hatte ich mir eingefahren. Kaffee<br />
brauchte ich eh nicht, also versetzte ich meinen ganzen<br />
Bestand, den ich in Aachen angesammelt hatte für „Medinox“<br />
ein, so hießen die Dinger.<br />
Es dauerte keine drei Wochen, da wurde ich zum Direktor<br />
zitiert. „Sie laufen ja kaum noch gerade, habe ich von<br />
meinen Beamten gehört, was schlucken sie denn da“,<br />
fragte der Direktor sofort. „Ich, ich schlucke nichts, fühle<br />
mich nur oft sehr schwach, kann am Essen liegen“,<br />
antwortete ich lallend. Das war dem Obermacker der<br />
Anstalt aufgefallen. „Hören sie auf mit dem Mist, sonst<br />
muss ich Maßnahmen ergreifen“, warnte er mich. Man<br />
führte mich in meine Zelle zurück.<br />
Ich hörte nicht auf, torkelte weiter durch die Gefängnisgänge,<br />
fiel nun wirklich oft aufs Maul, machte mir aber<br />
nichts draus. Durch die Pillen flog ich auch aus der engen<br />
Zelle, ich merkte nicht mehr wo ich mich befand.<br />
Lesen konnte ich nicht mehr. Als ich keinen Kaffee mehr<br />
hatte, versetzte ich die Gitarre, die Lucie mir schon in<br />
Aachen besorgt hatte. Sie erfüllte mir jeden Wunsch, und<br />
ich benahm mich wie ein Bescheuerter. Immer belagerte<br />
ich ihre Gedanken mit meinen Eifersüchteleien, mal-<br />
515<br />
te mir in der Zelle Sonst was aus, das sie vielleicht draußen<br />
trieb. Ich wurde schier verrückt bei dem Gedanken,<br />
dass sie vielleicht mit einem Anderen im Bett läge, was<br />
aber nie der Fall war, wie ich später erfahren konnte.<br />
Meine Eifersucht trieb mich zum Wahnsinn, und ich<br />
Lucie auch.<br />
Als die Anstaltsleitung sah, dass ich meinen Tablettenkonsum<br />
in keiner Weise einschränkte, wurden Maßnahmen<br />
getroffen. „Hier können sie nicht bleiben“, sagte<br />
ein Sozialarbeiter eines Tages. „Wir werden sie in ein anderes<br />
Gefängnis überführen, wir können die Verantwortung<br />
für sie hier nicht weiter übernehmen“. Ich war jetzt<br />
schon zehn Wochen in Willich, und immer high.<br />
„Aufstehen, Sachen packen, sie werden verlegt“, schrie<br />
eines Morgens ein Beamter, nachdem er meine Zellentüre
krachend aufgerissen hatte. „Was ist los“, fragte ich<br />
völlig benommen, der Typ hatte mich aus Tiefschlaf geweckt.<br />
„Sie gehen nach Münster“, informierte mich der<br />
Schließer.<br />
Münster? Was sollte ich in Münster, das war ja noch weiter<br />
weg von Merschenich. Wie sollte mich da Lucie besuchen<br />
kommen? Und überhaupt.<br />
Mir half kein Gezeter, keine Beschwerde, ich wurde einfach<br />
aus der Zelle in einen großen Raum geführt, in<br />
dem schon andere Häftlinge saßen.<br />
Meine Klamotten mussten die Grünen packen, ich hatte<br />
das nicht geschafft, war viel zu benommen von den sicher<br />
fünf Tabletten, die ich am Vortag geschluckt hatte.<br />
Ich hatte noch einige Pillen in meiner Unterhose versteckt,<br />
die hatte man nicht gefunden. Zwei schmiss ich<br />
mir ein, ließ gleich meinen Kopf hängen. Es war mir<br />
völlig Gleichgültig, was man nun mit mir anstellte.<br />
Mit Hilfe von zwei Kopfschüttelnden Beamten wurde<br />
ich in den großen Bus gepackt, in eine der kleinen Zel-<br />
516<br />
len geschlossen, und ab ging die Reise, ca. 120 Kilometer<br />
weit. Ich merkte nichts von der langen fahrt, plötzlich<br />
war ich angekommen, durch viele Gänge geführt, in<br />
eine Zelle gesperrt, die sich in nichts von den Vorherigen<br />
unterschied. Vier mal zwei Meter, gleiche Ausstattung,<br />
eben Knast. Ich schluckte die letzten Pillen, und<br />
schlief erst mal zwei Tage. Dann wurde ich zitternd<br />
wach, spürte Entzugserscheinungen. Ich kannte das Gefühl<br />
vom Heroin, nur nicht ganz so stark, trotzdem heftig.<br />
„Einen Arzt“, verlangte ich, nachdem ich die Klingel gedrückt<br />
hatte, und ein Beamter erschien.<br />
„geht jetzt nicht, melden sie sich morgen früh“. Türe<br />
flog zu. Morgen Früh war lange hin, ich malte mir schon<br />
jetzt aus, wie der Tag und die folgende Nacht verlaufen<br />
würden.<br />
Nach vier Stunden klingelte ich erneut, ein Beamter erschien,<br />
es war die Ablösung für die Nachtwache, er<br />
kannte mich nicht. Ich erzählte ihm gequält von meinen<br />
Beschwerden, dass ich dringend einen Arzt brauche, sterben<br />
würde. „Mal sehen“, sagte der Mann und schloss die<br />
Türe.<br />
Dreißig Minuten später kam er zurück. „Mitkommen“.<br />
Ich folgte ihm durch die langen Gefängnisflure und Etagen,<br />
stand dann einem älteren bärtigen Herrn in Zivil<br />
gegenüber.<br />
„Wo sind die Beschwerden“, fragte er mich, ich erzählte<br />
ihm wie lange ich die Pillen geschluckt hatte, mich<br />
nun sauelend fühle. „Selbst Schuld, sie kennen sich doch<br />
mit Betäubungsmitteln aus, wie ich aus ihrer Akte entnehme“.<br />
„Ja klar, aber das Zeug hat mir in Willich geholfen<br />
die Zeit halb ohnmächtig zu überleben, es war<br />
die Hölle“. „Ich gebe ihnen jetzt ein Beruhigungsmittel,<br />
nicht so stark wie die Mandrax, aber es sollte ihnen hel-
517<br />
fen“. Er gab mir zwei von den grünen Würmern, die ich<br />
schon aus Aachen kannte. „Danke, ich denke das wird<br />
mir über die Nacht helfen“. „Morgen früh melden sie<br />
sich wieder, dann sehen wir weiter“, verabschiedete<br />
mich der freundliche Mensch.<br />
Die Zwei Tabletten beruhigten mich wirklich, ich fiel<br />
nach einer halben Stunde in Schlaf. Sie hatten wohl einen<br />
Wirkstoff, der auch in den Teufelspillen aus Willich<br />
war, jedenfalls war ich fürs Erste fast gesund. Morgen<br />
würde ich weiter sehen.<br />
Am nächsten Morgen jedoch kamen die körperlichen<br />
Horroreffekte zurück, ich meldete mich erneut beim<br />
Doktor. „Das wird auch noch einige Tage dauern, bis sie<br />
das Zeug aus dem Körper haben, nehmen sie weiterhin<br />
diese (grünen) Tabletten, eine Morgens, Mittags und<br />
Abends“, empfahl mir der Arzt. Ich nahm die drei Tabletten<br />
mit auf die Zelle, nahm Eine, es ging mir schon<br />
bald etwas besser. Nach drei Tagen war ich geheilt, ich<br />
spürte keinerlei Entzug mehr. Das war geschafft, nun<br />
musste ich mich in Münster zurecht finden.<br />
Ich hatte noch ein Jahr abzusitzen.<br />
Ein Sozialarbeiter meldete sich bei mir. „Wir haben hier<br />
in Münster eine Therapieabteilung für Drogenabhängige,<br />
wäre das nichts für sie“, erklärte er mir. „Doch, ich<br />
bin ja sowieso für ein Jahr hier, ich würde das Angebot<br />
gerne annehmen“. „Ich melde mich wieder bei ihnen“,<br />
verabschiedete sich der junge Mann. Nun war ich gespannt<br />
was da kommen sollte.<br />
Herr Meuser kam am nächsten Tag, um mich abzuholen.<br />
Wir gingen über einen Hof in ein anderes, kleineres<br />
Gebäude, Gitter vor den Fenstern, also war ich immer<br />
noch im Knast. Wäre ja auch zu schön gewesen. Hier<br />
war die Therapieabteilung. Eine ältere Dame empfing<br />
mich freundlich lächelnd an der Eingangstüre, „Ich bin<br />
518<br />
Dr. Rau, ich leite diese Abteilung“. Sie nahm mich mit<br />
in den Bau, ein großer breiter Flur, eine Küche, und<br />
sechs Zellen. Es liefen einige junge Leute herum, sicher<br />
Junkies, die nun hier therapiert werden sollten.<br />
„Sie müssen zunächst an einem Aufnahmegespräch teilnehmen,<br />
dann werden wir Alle entscheiden, ob sie zur<br />
Therapie geeignet sind“, erklärte mir Dr. Rau. Ich sah<br />
noch zwei Frauen, die wohl auch Sozialarbeiterinnen<br />
waren. Ich durfte mich umschauen, lugte in die Zellen,<br />
sie waren viel größer als die normalen zwei mal vier<br />
Knastzellen, fast schon Zimmer, die auch nett eingerichtet<br />
waren. Drei der Zimmer waren für je zwei Mann,<br />
drei Einzelräume. Es befanden sich sieben Häftlinge auf<br />
der Station, sie war für acht ausgerichtet. In einem<br />
Gruppenraum hatten sich die dort wohnenden, die Ärztin<br />
und zwei Sozialarbeiter im Kreis zusammengesetzt,<br />
ich musste in der Mitte des Kreises Platz nehmen.
Schon prasselten Fragen aus allen Richtungen auf mich<br />
ein. „Willst du wirklich Drogenfrei leben“? „Warum“?<br />
„Was hast du draußen alles genommen“? „Wieso bist du<br />
hier“? „Meinst du das auch wirklich ernst, oder willst du<br />
dich nur vom Knast drücken“? Ich antwortete wahrheitsgemäß,<br />
wie ich an die Drogen geraten war, wie ich<br />
in Willich nur herumgetorkelt war, ich sagte einfach Alles.<br />
Auch dass ich vorhatte die Therapie durchzuziehen,<br />
um draußen clean zu bleiben. Dann gab es eine kurze<br />
Beratung, bei der ich nicht anwesend sein durfte, wurde<br />
zurück in den Raum gerufen, „herzlichen Glückwunsch,<br />
wir haben beschlossen sie hier aufzunehmen“,<br />
sagte die Ärztin freundlich. Erfreut war ich auch, hier<br />
würde ich für das Jahr, das ich noch brummen musste, sicher<br />
besser aufgehoben sein, als in einer kleinen Zelle.<br />
Die Leute, die mich vorher ziemlich aggressiv angemacht<br />
hatten, kamen nun zu mir, gaben mir die Hand,<br />
519<br />
stellten sich vor, waren wie verwandelt, alles nette Zeitgenossen,<br />
die den gleichen Weg gegangen waren wie<br />
ich. Nur Einer schaute mich kritisch an, Ingo aus Düsseldorf,<br />
ein großer, sehr drahtiger Kerl, der sicher das<br />
Kommando hatte. „Benimm dich hier, dann kommen<br />
auch wir klar“, brummte er bei unserer Begrüßung.<br />
Ich ging mit Isa, einer der Sozialarbeiterinnen in meine<br />
Zelle, holten alle meine Klamotten ab, ich wurde gründlich<br />
durchsucht, ob ich nicht eventuell etwas Verbotenes<br />
einschmuggeln wollte, dann kam ich in einen Raum mit<br />
Bodo, der war schon drei Monate hier. Er hatte Poster<br />
über seinem Bett, ein Regal an der Wand, sich einigermaßen<br />
gemütlich eingerichtet.<br />
Ich bekam das zweite Bett im Raum, Bodo sagte mir, ich<br />
könne mich einrichten wie ich wolle, wenn er mir helfen<br />
könne, solle ich ihn fragen.<br />
Beim Essen am Abend saßen wir Alle zusammen im<br />
Gruppenraum, ein sehr viel anderes Gefühl, als in einer<br />
Zelle alleine zu essen. Auch die Toiletten waren außerhalb<br />
der Räume, das Leben hier war völlig anders als im<br />
richtigen Knast. Ich war nun sehr froh hier zu sein, auch<br />
wenn es weit von meiner Heimat war. Ich hatte Lucie<br />
schon gesagt, dass sie mich nicht mehr so oft zu besuchen<br />
brauchte, es war zu weit für sie, und ich kam auch<br />
alleine klar. Trotzdem freute ich mich über jeden Brief<br />
von ihr und den Kindern, wartete täglich ungeduldig auf<br />
Post. Besuch war natürlich der Höhepunkt eines Monats,<br />
auf den wir uns geeinigt hatten.<br />
Auch bekam ich regelmäßig Post aus Los Angeles, immer<br />
sehr schöne, große geschmackvoll bunte Karten von<br />
Doris. Aus Stockholm, schrieb mir Linnéa, mit der ich ja<br />
in Ibiza sehr stark aneinander geraten war, die dort mein<br />
Herz elektrisiert hatte. Nun berichtete sie mir auch von<br />
ihrem Job in Schweden, über den wir im Liebesrausch<br />
520
auf der Insel im Mittelmeer nie gesprochen hatten. Sie<br />
war Einkäuferin für Filme für das Schwedische Fernsehen,<br />
flog permanent von einem Filmfestival zum Anderen<br />
und suchte das Spielfilm-Unterhaltungsprogramm<br />
für die Schwedischen Fernsehzuschauer. Eine äußerst<br />
verantwortungsvolle Tätigkeit, die sie mit aller Hingabe<br />
ausübte. Ich mochte sie noch immer sehr, nach unseren<br />
Liebestagen und -Nächten auf Ibiza waren wir immer<br />
gute Freunde geblieben. Sie schrieb mir regelmäßig von<br />
wo sie gerade war. Berlin, Cannes, Venedig, Los Angeles,<br />
Tokio und alle Städte, die Filmfeste veranstalteten wurden<br />
mir so bekannt.<br />
Jürgen schrieb mir ab und an einen Brief, aus dem ich<br />
immer erlesen konnte, dass er ein überzeugter Junkie geblieben<br />
war, nichts daran zu ändern suchte. Trotzdem<br />
freute ich mich über seine Post, Jürgen war mein Bruder.<br />
Jeder Brief in den Knast behandelte man beim Eintreffen<br />
wie einen Schatz.<br />
Mein Leben als Gefangener hatte sich in der Therapieabteilung<br />
völlig verändert. Hier war ich ein Mensch,<br />
kein „Knacki“. Es gab Gruppengespräche, Einzelgespräche<br />
mit der Ärztin und anderen Psychologen, Kontakte<br />
zu den Sozialarbeiterinnen, alles Maßnahmen, mich aus<br />
der Sucht hinauszuführen.<br />
Mit Ingo freundete ich mich dann doch so langsam an.<br />
War er zuerst ein Brummbär, der mir nicht über den<br />
Weg trauen wollte, so begann nach ungefähr zwei Monaten<br />
eine sehr intensive Freundschaft zwischen uns<br />
Beiden. Wir spielten täglich Backgammon, wurden richtig<br />
gut, unschlagbar. Auch machten wir viel Sport, ich<br />
wurde fast zur Fußballkanone, was ich früher nie gespielt<br />
hatte. Es machte mir einen Heidenspaß, ich wurde richtig<br />
fit.<br />
Eines Tages wurde uns Arbeit angeboten. Wir sollten<br />
521<br />
draußen in Münster in einer Gärtnerei arbeiten, die einen<br />
Großauftrag erhalten hatte. Sofort waren wir waren<br />
sofort einverstanden, wollten den Job machen. Bodo, Ingo<br />
und ich fuhren morgens hinaus in eine neu anzulegende<br />
Parkanlage, wo wir Rollrasen verlegen sollten. Es<br />
war Sommer, die Arbeit machte richtig Spaß. Oft fuhr<br />
ich sogar mit einem kleinen Traktor über das Gelände,<br />
und verteilte die Rollen Rasen, fünf cm hoher Boden,<br />
auf dem kurzer Rasen angewachsen war. Dieses jungfräuliche<br />
Gras wurde vor- und nebeneinander gelegt,<br />
gewässert, so entstand eine große Rasenfläche.<br />
Abends fuhren wir zurück in den Knast, wo man mit Essen<br />
auf uns wartete. Mittlerweile hatte ich einen Raum<br />
für mich alleine bekommen, den ich mir wohnlich eingerichtet<br />
hatte. Nach Feierabend spielte ich mit Ingo<br />
weiterhin Backgammon, und las später bis zum Einschlafen<br />
in meinen vielen Büchern, die ich stets vom Bibliothekar<br />
erhielt. Das Lesen war Freiheit für mich, ich
eiste weiter durch die Welt, wie früher als Beatnik.<br />
An Drogen verschwendete ich keinen Gedanken mehr,<br />
ich war richtig gesund geworden. Selbst simples Aspirin<br />
gegen manchmal aufkommende Kopfschmerzen wurde<br />
Tabu, ich regulierte die Beschwerden mit Chinesischer<br />
Salbe. Die Arbeit draußen unter der Sonne half mir sehr,<br />
die Vergangenheit zu bewältigen. Meine Haut war schon<br />
so braun gebrannt, als sei ich im Urlaub am Mittelmeer<br />
gewesen. Geld verdiente ich auch, jeden Monat wurden<br />
mir dreihundert Mark aufs Konto gutgeschrieben. Nicht<br />
viel, aber schon der Aufenthalt außerhalb der Gefängnismauern<br />
war Belohnung genug.<br />
Eines Tages erhielt ich einen Brief von Lucie, der mich<br />
in Mark und Bein traf, mein Herz zum bluten brachte.<br />
Sie hatte Jemand kennen gelernt, in den sie sich verliebt<br />
522<br />
hatte, und der sie wohl auch liebte. Ich war sehr aufgeregt,<br />
so etwas hätte ich mir im Traum nicht vorstellen<br />
können, ich war mir der Liebe von Lucie so sicher, dass<br />
mir ein Gedanke an einen neuen Geliebten für sie im<br />
Traum nicht gekommen wäre. Dass sie sich vielleicht<br />
vergnügte, was meine Eifersucht anstachelte, konnte ich<br />
mir schon vorstellen, hatte ich ja auch oft genug unbegründet<br />
getan. Dass sie sich jedoch völlig von mir abwenden<br />
würde, wäre mir niemals in den Kopf gekommen.<br />
Und doch schien es so zu sein, nie hätte sie mir so etwas<br />
im Scherz geschrieben. Ich war außer mir, konnte keinen<br />
klaren Gedanken mehr fassen, zudem völlig machtlos,<br />
ich konnte nicht eingreifen, war eingesperrt. Ich<br />
dachte sogar an Flucht, schnellstes nach Hause, und die<br />
Sache irgendwie beenden, Es wäre mir leicht gefallen,<br />
mich von der Arbeit zu entfernen, nach Merschenich zu<br />
fahren, aber dann hätte ich die vier Jahre und drei Monate<br />
voll absitzen müssen, meinen Chance nach zwei<br />
Dritteln der Strafe entlassen zu werden wäre vertan.<br />
Ich hatte bald die Möglichkeit, dass mich Lucie besuchen<br />
konnte, ich mit ihr nach draußen gehen, einen Tag<br />
alleine mit ihr verbringen dürfe.<br />
Sie kam dann auch. Sie war kühl, sagte mir dass es mit<br />
uns vorbei sei, und sie nun ein neues Leben beginnen<br />
würde. Ich redete auf sie ein. „Wie kannst du mir das antun,<br />
wir sind schon so lange zusammen, und was ist mit<br />
den Kindern“, sagte ich in meiner Verzweiflung. „Die<br />
Kinder bleiben natürlich bei mir, du wiest sicher nicht<br />
mit ihrer Erziehung zurechtkommen“, sagte sie klar und<br />
deutlich. Sie lud mich zum Kaffee ein, „ wenn du möchtest,<br />
können wir in ein Hotel gehen, du hast ja nun lange<br />
keine Frau mehr gesehen“, lud sie mich ein. Ich nahm<br />
das Angebot gerne an, dachte auch, dass ich sie so auf an-<br />
523<br />
dere Gedanken bringen könne. Außerdem hatte ich mir<br />
schon vor dem Besuch vorgestellt, wie es wäre, endlich<br />
wieder mit ihr schlafen zu können.
Wir gingen in ein Hotel, Lucie bezahlte, mieteten ein<br />
einfaches Zimmer mit einem großen Bett. Sofort begann<br />
Lucie sich auszuziehen, legte sich aufs Bett. Keinerlei<br />
Zärtlichkeit vorher, einfach nur ins Bett. Auch ich<br />
legte mich auf die Schlafstädte, und fasste sie zärtlich an.<br />
Sie ließ alles geschehen, war auch lieb zu mir, ich stellte<br />
jedoch eine Kälte fest, die ich bei ihr nie gespürt hatte.<br />
Ich stand auf und zog mich wieder an. „So nicht, das<br />
kann ich nicht, ich bin doch nicht im Puff“, regte ich<br />
mich auf. Sie schüttelte nur lächelnd den Kopf, zog sich<br />
an, wir verließen das Hotel. „Es tut mir leid, mehr gibt’s<br />
nicht mehr von mir“, sagte sie klar. „Dann hau ab“, sagte<br />
ich ihr, und ging alleine zurück in den Knast. Drei<br />
Stunden früher als ich noch frei hatte.<br />
Heulend erzählte ich Ingo von der Begegnung. „So sind<br />
die Weiber“, sagte er nur, „ mach dir nichts draus, du findest<br />
dir zwanzig Neue wenn wir hier raus sind“, versuchte<br />
er mich zu trösten. Das gelang ihm nicht. Ich legte<br />
mich in mein Zimmer, verschloss es von innen, und<br />
ließ mich nicht mehr blicken. Ich weinte, war sehr traurig.<br />
Am meisten über die Stunden im Hotel, wo eine<br />
Eiswand zwischen Lucie und mir gestanden hatte. Das<br />
hätte ich nicht erwartet. Wieso hatte sie mich in ein Hotel<br />
eingeladen, wollte sie mich verhöhnen, oder tat ich<br />
ihr nur leid? Beide Motive fand ich zum kotzen, wusste<br />
erstmal nicht weiter.<br />
Am nächsten Morgen meldete ich mich krank. Wenn ich<br />
mit zur Arbeit gegangen wäre, wäre ich sicher geflüchtet,<br />
soviel war mir klar. Dieses Risiko wollte ich nicht<br />
eingehen.<br />
Ich schrieb viele Briefe an Lucie, durfte auch mit ihr te-<br />
524<br />
lefonieren.<br />
Irgendwann kam sie erneut zu Besuch, nahm meine<br />
Hand, „ich will mit dir zusammen bleiben, ich habe mit<br />
dem Anderen Schluss gemacht, ich liebe dich doch noch<br />
mehr als andere Männer“, gestand sie mir mit einem<br />
ehrlichen Lächeln im Gesicht. „Außerdem mochten die<br />
Kinder ihn nicht“. Sie hatte nie seinen Namen ausgesprochen.<br />
Mir fiel mal wieder ein Stein vom Herzen.<br />
Froh und glücklich kam ich vom Besucherzimmer zurück,<br />
sprach mit Ingo, der sich mit mir freute. „Heute<br />
backen wir einen Kuchen für dich“, sagte er freudig. Wir<br />
konnten in der Abteilung kochen und backen, eine große<br />
Errungenschaft für Menschen im Gefängnis. Ingo<br />
machte uns einen schönen Apfelkuchen, wir feierten das<br />
glückliche Zusammenkommen von mir mit Lucie.<br />
Am 21. September 1981 wurde ich aus dem Gefängnis<br />
entlassen. Es gab ein großes Abschiedsfest am Abend zuvor,<br />
wir versprachen, dass wir in Kontakt bleiben wollten,<br />
die Ärztin wünschte mir Glück, warnte mich ein<br />
letztes Mal vor Drogenkonsum, und beschied mir eine<br />
schöne Zukunft.
Nur Hasch hatten wir ab und zu geraucht. Am unteren<br />
Ende des Parks, den wir angelegt hatten, stand ein kleines<br />
Haus, in dem Hippies wohnten. Die versorgten uns<br />
manchmal mit Dope, das wir dann gemeinsam abends,<br />
wenn die „Bewacher“ fort waren, zusammen mit den<br />
anderen Kumpels rauchten. Dann war die Freude aller<br />
Therapierten immer groß. Shit rauchen wollte jeder von<br />
ihnen auch draußen weiter. Schließlich tranken selbst die<br />
Ärztin und die Sozialarbeiter abends ihr Bier. Daran fanden<br />
sie nichts Verwerfliches. Von Haschisch war noch<br />
Niemand süchtig oder gar abhängig geworden. Vom Bier<br />
schon eher.<br />
525<br />
Lucie stand mit dem zweiten Mann meiner Mutter vor<br />
dem großen Tor des Münsteraner Gefängnisses an einem<br />
Auto, und erwartete mich freudig lachend. Sie kam auf<br />
mich zugelaufen und umarmte mich herzlich, was ich<br />
deutlich spürte. „Ich liebe nur dich“, sagte sie sofort, „ fast<br />
hätte ich einen großen Fehler gemacht“. „Und jetzt<br />
komm nach Hause, die Kinder warten schon ungeduldig<br />
auf dich“.<br />
Mit nur einem Karton, einigen selbst gebastelten Rahmen<br />
und Kupferbildern, selbstverständlich waren alle Briefe<br />
und Fotos, die ich in den drei Jahren bekommen hatte,<br />
auch darin enthalten, stand ich vor dem hässlichen Tor der<br />
Haftanstalt in Münster. Das war Alles, was von drei Jahren<br />
Leben übrig geblieben war. Endlich war ich frei, ich<br />
konnte es noch kaum fassen, gleich mit Lucie und meinen<br />
Kindern zu Hause an einem Tisch sitzen zu können.<br />
Die Kinder freuten sich sehr mich zu Hause zu sehen. Sie<br />
liefen auf mich zu und umarmten mich lange. „Jetzt<br />
bleibst du für immer bei uns“, sagte Fleure mit einem Lachen<br />
im Gesicht. „Natürlich, nun bleib ich bei euch, ich<br />
war lange sehr krank, deshalb musste ich fort sein“, sagte<br />
ich wahrheitsgemäß. Ich war ja auch krank gewesen, die<br />
Drogen hätten mich fast aufgefressen. Nun aber war ich<br />
clean und voller Kraft für das, was da kommen sollte.<br />
Ich meldete mich sofort beim Arbeitsamt. Die schickten<br />
mich zum Sozialamt, da es keine Arbeit für mich gab.<br />
Beim Sozialamt stellte ich einen Antrag, darauf hin bekam<br />
ich monatlich Geld zu Überleben. Das war natürlich nur<br />
wenig befriedigend, ich wollte etwas tun. Nur in eine Fabrik<br />
wollte ich nicht. Alles hätte ich gerne gemacht um<br />
etwas Geld zu verdienen, um beschäftigt zu sein, nur der<br />
Gedanke in einer Fabrik an irgendeinem Fließband zu<br />
stehen war mir überaus unangenehm.<br />
526<br />
Kapitel 63<br />
Es wurde Frühling, ich saß mit zwei Freunden am Flussufer,<br />
wir hatten einen Joint geraucht, als ich plötzlich auf<br />
die Idee kam, ein Rock-Festival in Merschenich zu veranstalten.<br />
Gegenüber dem Fluss war ein großer Platz,<br />
festgetretener Lehm, von alten Kasematten umgeben.
Diese hatten Napoleon dazu gedient, deutsche Feinde<br />
abzuhalten, er war schon bis hierher vorgedrungen, war<br />
dann aber später weitergezogen Richtung Osten, hatte<br />
die Stellungen verrotten lassen. So standen die Reste der<br />
Festung noch stets als ruinöse Reste um den Platz herum.<br />
Brückenkopf nannte sich das Gelände, eingezäunt wäre<br />
es der ideale Platz für ein Festival, 10.000 Menschen<br />
würde er aufnehmen. Banan und Andy waren sofort<br />
Feuer und Flamme von meinem Vorschlag, wir malten<br />
uns schon aus, wie das Ganze aussehen sollte. Ich hatte<br />
durch meine Bekanntschaften aus Dortmund, und die<br />
vielen Konzertbesuche einige Kontakte zu Musikagenturen,<br />
die ich nutzen wollte. Als wir dem Projekt einen<br />
Namen gaben, sich das Ganze zu einer wirklich realisierbaren<br />
Sache herausstellte, bekam Andy kalte Füße, und<br />
verabschiedete sich von unserem Projekt.<br />
Nun waren nur noch Banan und ich die voraussichtlichen<br />
Veranstalter, wir wollten das Ding einfach angehen.<br />
Zunächst kramte ich einige Adressen von Agenturen<br />
hervor, wir machten uns mir Banans klapprigem Auto<br />
auf den Weg nach Hamburg, wo die meisten Musikervermieter<br />
ansässig waren. Wir wollten ein Zugpferd mit<br />
bekanntem Namen und drei oder vier andere Bands engagieren.<br />
Wir hatten keinen Pfennig Geld, außer der<br />
Kohle für den Sprit fürs Auto nach Hamburg und zu-<br />
527<br />
rück. Das war aber meine geringste Sorge, ich war mir<br />
sicher Sponsoren zu finden, wenn wir Namhafte Musiker<br />
aufweisen könnten.<br />
Bei der ersten Agentur erhielten wir sofort eine Abfuhr,<br />
„wer sind sie denn überhaupt, haben sie so was den<br />
schon mal gemacht“? Natürlich nicht, dies war unser erstes<br />
Konzert, was wir aber nicht sagten. Wir behaupteten,<br />
dass wir schon kleine Konzerte mit lokalen Musikern in<br />
unserer Umgebung veranstaltet hätten. „das reicht<br />
nicht“, war die Antwort eines dicklichen Managers einer<br />
großen Agentur. „Wir müssen sicher sein, dass unsere<br />
Künstler in gute Hände kommen, da könnte ja Jeder<br />
Konzerte veranstalten“. Ich betrachtete uns nicht als Jeder,<br />
immerhin hatte ich schon mal Adressen, die nicht<br />
Jeder hatte. Ich hatte die Adressen, war auch die Lokomotive<br />
bei der Veranstaltung, Banan war lediglich mein<br />
Helferlein und Fahrer, hatte keine Ahnung vom Musikgeschäft.<br />
Jedenfalls hatte er Mut genug, sich auf die Sache<br />
mit mir einzulassen.<br />
Übrigens war unser Startkapital 80 Pfennige, wir<br />
brauchten 90-, um einen ersten Brief nach Hamburg zu<br />
versenden. Die restlichen zehn Pfennige für die notwendige<br />
90er Briefmarke schnorrten wir vor der Post. So<br />
fing Alles an.<br />
Nachdem wir vier Agenturen abgeklappert hatten, nur<br />
Absagen erhielten, fuhren wir noch zu einem Agenten,<br />
der seinen eigenen Ein Mann Betrieb hatte. Er freute
sich über unseren Besuch, erklärte uns, dass er der Agent<br />
für Mitch Ryder in Deutschland sei. Mitch Ryder klang<br />
gut, er hatte im Rockpallastfernsehen ein skandalöses<br />
Konzert hingelegt, war ziemlich besoffen fast von der<br />
Bühne gefallen. Trotzdem wurde das Konzert ein Riesenerfolg,<br />
Joe Cocker sang auch gut, wenn er Schnaps in<br />
der Birne hatte. So hatte er sich in Deutschland einen<br />
528<br />
Namen gemacht. Das Konzert war gut, Ryder war Vollprofi<br />
im Rockbuiseness. Er hatte eine sehr gute Band im<br />
Rücken, die „Detroit Weels“, die auch schon in Amerika<br />
mit ihm Erfolge hatten.<br />
„15.000 Mark kostet der Gig“, verlangte Rick, ein englischer<br />
Staatsbürger, der schon lange in Deutschland lebte.<br />
15.000 Mark, für uns eine kaum vorstellbare Summe.<br />
Wir sagte Rick, dass wir die Sache durchrechnen müssten,<br />
wir uns bald bei ihm melden würden. „Wartet nicht<br />
zu lange, Mitch kommt nur für bislang drei Konzerte<br />
nach Deutschland, ich muss bald wissen wie ihr euch<br />
entscheidet“. „Klar“.<br />
Eigentlich hatten wir uns Joe Cocker oder die Simple<br />
Minds als Zugpferde vorgestellt, die waren zwar auch in<br />
Deutschland unterwegs, leider preislich und organisatorisch<br />
unerreichbar für uns. Die wollte man uns sowieso<br />
nicht zur Verfügung stellen.<br />
In Frankfurt hatte ich noch einen Bekannten, der bei<br />
Lippmann und Rau arbeitete. Die größten Konzertveranstalter<br />
Deutschlands wollten wir nicht direkt angehen,<br />
sicher hätten sie uns ausgelacht. Aber über Dietmar, den<br />
ich noch aus Dortmund kannte, wäre vielleicht etwas zu<br />
machen. Ich rief in Frankfurt an, Dietmar war cool, erklärte,<br />
dass er Herrn Rau nicht behelligen könne, gab<br />
uns aber eine Adresse eines anderen Agenten in München,<br />
der eventuell etwas für uns tun könnte.<br />
Mike Berger, so hieß der Mann in München, bot und eine<br />
Raggee-Band aus Jamaika an, die im Juni auf<br />
Deutschlandtournee sein würden. „Challice“, eine acht<br />
Mann Raggee Band aus Kingston, Jamaica.<br />
Sollten in Deutschland promotet werden und 3,5 Tausend<br />
Mark kosten.<br />
Wir hatten mittlerweile schon mit dem Ordnungsamt in<br />
Merschenich gesprochen, die uns den Platz für den 30.<br />
529<br />
Juni 1984 für 1.000 Mark vermieten wollten, uns die<br />
Genehmigung für das Konzert zusagten. Nun waren wir<br />
wirklich mittendrin, das Ding würde laufen. Ich war voller<br />
Energie, war mir sicher, dass ich die Sache auf die<br />
Beine stellen konnte.<br />
Wir riefen Rick in Hamburg an, bestätigten das Engagement<br />
von Mitch Ryder als Top Act, er wollte 7.500,-<br />
Mark vorab, die andere Hälfte der Gage vor dem Konzert<br />
am Platz.<br />
Ich rief bei Brauereien an, erklärte das geplante Projekt,
trug dick auf, bot ihnen die Möglichkeit, ihre Getränke<br />
exklusiv bei unserem Konzert anbieten zu können,<br />
prahlte mit sicher 10.000 Zuschauern, verlangte Geld<br />
vorab. Eine Brauerei ließ sich auf die Sache ein, schickte<br />
uns einen Vertreter mit Vertrag auf Exklusivrechte und<br />
10.000,- Mark. „Eine Mark für jeden angekündigten<br />
Zuschauer“, lachte der Mann der Brauerei. Wir waren<br />
zufrieden, logen ihm das Blaue vom Himmel herunter,<br />
wie erfolgreich das Konzert sein würde. Wir hatten keine<br />
Ahnung, wie viele Leute wirklich kommen würden.<br />
Als nächstes waren Imbissbudenbesitzer an der Reihe,<br />
denen wollte ich auch Geld vorab aus dem Kreuz leiern.<br />
Ein Metzger aus einem Dorf nahe unsrer Stadt besaß<br />
zehn Fressbuden, von denen er fünf auf unserem Gelände<br />
aufstellen wollte. Auch er war nach meinen großartigen<br />
Geschichten über ein erfolgreiches Rockfestival begeistert<br />
und schickte auch 10.000,- Mark auf mein<br />
Konto.<br />
Drei weitere Bands waren schnell gefunden. Eine Hardrock-<br />
Band aus Holland, die für lau spielen wollten, froh<br />
waren, einen Auftritt zu bekommen. Eine Rockabilly<br />
Gruppe mit zwei Sängerinnen für 1.500 Mark aus dem<br />
Ruhrgebiet, und eine gerade angesagte Band aus Aachen,<br />
die 2.000 Mark haben wollten. Wir engagierten<br />
530<br />
Alle, überwiesen jeweils die Hälfte der Gage.<br />
Nun besorgten wir von einer holländischen Firma „Boels,<br />
vermietet Alles“, die Abzäunung, Zelte, Stühle für<br />
die Künstler, Toilettenwagen und einen Aufzug für die<br />
jeweiligen Anlagen der Gruppen. Die Bühne bekamen<br />
wir auch günstig aus Holland, 2 Meter hoch, 30 Meter<br />
breit und acht Meter tief, für 3.000 Mark. Wir brauchten<br />
nur noch die Soundanlage, die auch aus Holland<br />
kam, zwei mal 10.000 Watt versprach, und 5.000 Mark<br />
kostete.<br />
Das Geld war uns längst ausgegangen, wir fanden aber<br />
einen Freund von Banan, der uns mit einem Knebelvertrag<br />
den noch gebrauchten Rest des Geldes, 15.000<br />
Mark lieh. Dafür wollte er natürlich auch noch am Gewinn<br />
beteiligt sein, und sein Geld schnellstens zurückerhalten.<br />
Jedenfalls glaubte er an unser Unternehmen,<br />
sonst hätte der Geizhals, Lehrer und Mietshausbesitzer,<br />
keinen Heller rausgerückt.<br />
Nun hatten wir Alles soweit beieinander, bezahlt und gut<br />
geplant. Wir ließen 10.000 Plakate<br />
Din A1 drucken, hängten sie mit Hilfe vieler Freunde<br />
im Umkreis von fünfzig Kilometern um Merschenich,<br />
von Köln, Düsseldorf bis hin nach Holland und Belgien<br />
auf. 1.000 Programmhefte, das ich selbst zusammengebastelt<br />
hatte, ließen wir zudem drucken und verteilen.<br />
Auch wusste ich Radiostationen zu überzeugen, für unser<br />
Konzert Werbung zu machen, ich hatte Alles getan,<br />
um die Sache bekannt zu machen. Außerdem war für
fast jeden Geschmack eine Band im Programm.<br />
Wir hatten 25 Vorverkaufsstellen eingerichtet, Kulturämter,<br />
Schallplattenläden und Musikalienhandlungen.<br />
Eigentlich sollte Nichts mehr schief gehen. Wir hatten<br />
ausgerechnet, dass wir mit dreitausendfünfhundert zahlenden<br />
Zuschauern die Kosten eingefahren hätten, mehr<br />
531<br />
wollte ich auch nicht. Nur ein erfolgreiches Konzert<br />
veranstalten, dann eine Agentur gründen und so weiter<br />
arbeiten. In einem Bereich, den ich liebte, und für den<br />
ich auch 20 Stunden täglich zu schaffen bereit war.<br />
Im Vorverkauf sollten die Karten 18 Mark kosten, an der<br />
Kasse 22 Mark. Das war sehr günstig, andere Veranstalter<br />
verlangten zu dieser Zeit mindestens 40 Mark für einen<br />
Nachmittag und Abend Musik. OK, dafür boten sie<br />
auch die Stars, die man mir verweigert hatte.<br />
Eine Rockergruppe, 20 Leute, die überzeugte Harley-<br />
Davidson Fahrer waren, und deren Boss ich gut kannte,<br />
engagierten wir als Ordner. Friedliche Zeitgenossen, die<br />
leider grundlos einen schlechten Ruf in der Öffentlichkeit<br />
hatten. Ihnen hatte ich im Programmheft einen extra<br />
Artikel gewidmet, um mit Vorurteilen aufzuräumen.<br />
Alleine dafür waren sie bereit für mich zu arbeiten.<br />
Und für Freibier natürlich.<br />
Am 27. Juni kamen die Zäune, die Toilettenwagen, der<br />
Aufzug, Zelte, Tische und Stühle von Boels. Wir stellten<br />
die Zäune mit Hilfe von fünf Freunden auf, bekamen<br />
Elektro- und Wasseranschlüsse vom örtlichen Stadtwerkeamt,<br />
dann kam die Bühne. Sie war innerhalb von<br />
sechs Stunden aufgebaut. Hatte sogar ein Stoffdach in<br />
acht Metern Höhe, bei den hiesigen Wetterverhältnissen<br />
unvermeidbar. Wir hatten uns beim Wetteramt in Bochum<br />
nach den Voraussichten für den 30. Juni erkundigt,<br />
dem Tag der Veranstaltung, bekamen die Nachricht<br />
„leicht bewölkt mit Sonne, kein Regen“. Super. Leider<br />
hatten die Leute von der Bühne eine Treppe für die Musiker<br />
vergessen, lieferten sie jedoch am nächsten Tag.<br />
Für jede Bands hatten wir 5 Wohnwagen gemietet, die<br />
wir hinter der Bühne neben den Zelten aufstellen ließen.<br />
Abends kam Mitch Ryder mit Band angereist. Er war<br />
532<br />
kein bisschen blau, ein fröhlicher, lustiger Mann, der sich<br />
auf seinen Gig freute. Wir hatten für sieben Leute Hotelzimmer<br />
gemietet, wohin wir sie verfrachteten. Rick<br />
war natürlich mit von der Party. Er wollte ja noch die<br />
zweite Hälfte der Gage einstreichen, ich konnte nur hoffen.<br />
Der Vorverkauf lief sehr schlecht, ich telefonierte täglich<br />
mit den Stellen, erhielt nur recht unbefriedigende Nachrichten.<br />
Wir mussten mit den Geldern des Vorverkaufs<br />
und der Tageskasse die restlichen Gagen bestreiten. Es<br />
war keine Mark mehr in meiner Tasche.<br />
Am 29. Juni, einen Tag vor dem großen Ereignis kamen<br />
die Leute mit der Soundanlage. Sie türmten Riesenlautsprecher
über- und nebeneinander auf die linke und<br />
rechte Seite der Bühne. Als sie den ersten Test durchführten,<br />
ein Mikrophon einsteckten, dachte ich eine<br />
Bombe wäre hochgegangen, so laut war nur das Geräusch.<br />
Als sie dann die erste Musik auflegten, um den<br />
Stereosound zu testen, ging mir das Herz auf. Sehr laute,<br />
äußerst klare Musik klang über den Platz bis in die<br />
Stadt hinein. So liebte ich es, laut und klar, ich war fasziniert,<br />
machte Luftsprünge, die Manni, der die gesamte<br />
Aktion auf Video aufnahm, filmisch festhielt. Nach fünf<br />
Minuten Musiktest kamen Leute aus dem nahe gelegenen<br />
Restaurant gelaufen, sagten dass eine Versammlung<br />
stattfinde, wir uns bitte eine Stunde ruhig verhalten sollten,<br />
man höre kein Wort mehr. Gut so, aber wir beendeten<br />
die Testphase für eine Stunde.<br />
Als die Nacht hereinbrach, musste irgendjemand auf das<br />
nun sehr wertvolle Gelände achten, ich war mit meiner<br />
Kraft am Ende, schon beim Arzt gewesen. „Stress“, sagte<br />
der nur, machte ein EKG, gab mir Pillen, „mach langsamer“,<br />
riet er mir.<br />
Paulchen, mein Cousin, eigentlich Paul, etwas klein ge-<br />
533<br />
raten, unser Oberelektriker und Installateur stellte sich<br />
zu Verfügung, die Nacht auf der Bühne im Schlafsack zu<br />
verbringen, aufzupassen.<br />
In der Nacht hatte er eine Begegnung der dritten Art.<br />
Das Terrain war ja nun abgeschlossen, trotzdem wollte<br />
ein benachbarter Pferdehallenbesitzer über den Platz<br />
fahren, was Päulchen nicht erlaubte. Es war sowieso<br />
durch die Umzäunung unmöglich, was der Herr aber<br />
nicht begreifen wollte. Er war stinksauer, wollte unseren<br />
Wachmann einfach umfahren, was ihm aber nicht gelang,<br />
er lief schnell hinter einen Zaun.<br />
Päulchen wurde zum großen Paul, verwies den Mann in<br />
seine Grenzen. Der war schon stinkig, weil seine Pferde<br />
durch den Krach am nächsten Tag sicher nervös werden<br />
könnten. „Dann bringen sie die weg“, maulte Paul. Der<br />
unfreundliche Mann legte den Rückwärtsgang ein.<br />
Paulchen schlief weiter auf der Bühne.<br />
Banan kümmerte sich um unseren Star, Mitch Ryder,<br />
führte ihn durch die kleine Stadt, erzählte von Napoleon,<br />
dem Hexenturm, Mitch war begeistert ob der steinalten<br />
Kultur unsrer Stadt. Zusammen gingen sie dann<br />
noch gut essen, auf meine Kosten, aber so war das nun<br />
mal mit den Stars. Die Band war erst drei Tage vorher direkt<br />
aus Detroit gekommen, machten ihr erstes Konzert<br />
in Deutschland bei uns. Und Mitch rührte keinen Tropfen<br />
Alkohol an, er würde wohl völlig nüchtern auftreten.<br />
Das konnte mir nur recht sein, denn er war ein guter<br />
Musiker. Besoffen war er ein schwierig umgänglicher<br />
Scheißkerl.<br />
Am nächsten Morgen stand ich um acht Uhr an der<br />
Bühne. Es gab einen Regenschauer. Ich war geschockt,
würde das Wetter so bleiben? Um zehn Uhr sollte das<br />
Spektakel beginnen, um neun kam die Sonne hervor.<br />
534<br />
Regen ade, der Platz war schnell trocken.<br />
Die holländischen Musiker waren schon eingetroffen,<br />
wollten die Bühne mit riesigen Eisengeräten bestücken,<br />
„notwendig für die Show“, meinten sie und dann<br />
Soundcheck machen. „Nix da, das Zeug von der Bühne,<br />
und Soundcheck nur maximal 15 Minuten“, befahl<br />
ich den Jünglingen, die auf ihre große Chance hofften.<br />
Bisher hatten sich nur wenige Zuschauer eingefunden,<br />
aber es war ja noch früh, tröstete ich mich. Die Holländer<br />
machten maximalen Heavy Mattel- sehr laut Sound,<br />
ein Glück, dass ich denen nur 45 Minuten zugestanden<br />
hatte. Sie sollten den Tag eröffnen.<br />
Um zehn Uhr waren alle eingeladenen Presseleute,<br />
Freunde und Bekannte eingetroffen, wir hatten 300 Einladungen<br />
verschickt. Natürlich für kein Geld. Und ein<br />
Pressezelt mit kaltem Buffet aufgebaut. Auch umsonst.<br />
Die Holländer begannen zu rocken, so laut und schräg,<br />
dass es sogar mir in den Ohren klingelte. Unangenehm,<br />
aber was sollte es, die jungen Musiker sollten auch ihre<br />
Freude haben. Zuschauer kamen nur sehr spärlich, ich<br />
schaute immer auf den nicht voll werdenden Eingangsbereich.<br />
Hatte sehr auf die Tageskasse gehofft. Als die Aachener<br />
Band auftreten sollte, fehlte die zweite Hälfte der<br />
Gage. Der Boss stellte sich stur. „Schau was du bisher an<br />
der Kasse eingenommen hast, wir wollen unser Geld,<br />
sonst spielen wir nicht“. Das Theater begann. Mit einem<br />
Fahrrad fuhr ich zur Kasse, wartete auf eine Freundin<br />
der Band, die Zeichen geben sollte, wenn sie das fehlende<br />
Geld in Händen hielt. Zum Glück waren schon tausend<br />
Mark in der Kasse, die ich dem Mädel übergab. Ich<br />
mich fast auch. Sie gab das Zeichen, die Band begann zu<br />
spielen, leider nur eine halbe Stunde, das war´s. „Mehr<br />
war nicht ausgemacht“, sagten sie mir, als ich mich beschweren<br />
wollte.<br />
535<br />
Banan hatte den Vertrag mit ihnen abgeschlossen, nicht<br />
einmal mit Brille diesen Passus gelesen. „Haut ab“, sagte<br />
ich nur und legte ein Band mit guter Rockmusik ein,<br />
die durch die große Anlage sehr gut klang. Ich hatte die<br />
Bänder für die Pausen noch in der Nacht zusammen geschnitten.<br />
Mittlerweile waren vielleicht 1.200 zahlende<br />
Zuschauer auf dem Gelände, die Immbissbuden kaum<br />
gefragt, Getränkestände fast leer. Aber ich hatte ja schon<br />
kassiert, Unternehmerrisiko.<br />
Dann kamen die „Ace Cats“, die Band aus dem Ruhrgebiet.<br />
Zwei aufgedonnerte Weiber, ein Kontrabassist,<br />
ein Gittarist und ein Schlagzeuger. Die hängten sich auf<br />
deutsch an den großen Welterfolg der „Stray Casts“, was<br />
ihnen nur mäßig gelang. Aber sie waren bezahlt, unterhielten<br />
die Leute 60 Minuten lang.
Chalice, die Band aus Jamaika hatte ich schon in der<br />
Phillipshalle einige Tage vorher sehen können, 8.000<br />
Fans in der Düsseldorfer Halle waren von Anfang bis<br />
Ende des Konzertes völlig aus dem Häuschen. Ich dachte<br />
mir an dem Tag, dass wir mit dieser Band alles rausreißen<br />
könnten. Eine Tag vor dem Konzert hatte der Manager<br />
mich angerufen. „Ich habe durchgerechnet, du<br />
kannst die Band um tausend Mark günstiger haben, also<br />
brauchst du nur 2,5 Tausend zu zahlen“. So etwas hatte<br />
ich noch nie erlebt, dass ein Projekt günstiger verkauft<br />
wurde, als vertraglich vereinbart. Ich liebte den Mann.<br />
Als der Bus mit den Rasta Männern dann ankam, war<br />
ich hoch erfreut, sie hatten bei einem anderen Festival,<br />
200 km weiter, von dem ich bei meiner Planung natürlich<br />
nichts wissen konnte, den Eröffnungs- Act gemacht.<br />
Dort waren Joe Cocker und die Simple Minds, die Veranstalter<br />
hatten mir kräftig in die Suppe gespuckt.<br />
Acht bekiffte Reggae-Musiker stolperten aus dem Bus,<br />
ein kleiner Rasta Mann, mit Dreadlocks bis zum Hin-<br />
536<br />
tern fuhr mit einem mitgebrachten Fahrrad über den<br />
fast leeren Platz. Er war der Tourmanager der Gruppe.<br />
Dann aber kam der Buchhalter, ein serieus aussehender<br />
junger Engländer in Jeans und Jackett, der die zweite<br />
Hälfte der Gage einforderte. Die hatte ich natürlich nur<br />
zum Teil, es fehlten immerhin 600 Mark. „Dann werden<br />
wir nicht auftreten“, beharrte der Buchhalter. „Das<br />
könnt ihr nicht machen, das wäre eine Katastrophe“,<br />
klagte ich. „Ich werde telefonieren“, sagte der Mann. Er<br />
telefonierte mit dem Manager, ich raufte mir schon ´mal<br />
die Haare, dann kam er zu mir, „wir spielen“, sagte er lächelnd,<br />
„du bist ein Glückspilz, der Chef scheint dich zu<br />
mögen“. Mir fiel mal wieder ein Stein vom Herzen, ausgerechnet<br />
diese Spitzenband sollte mir nicht durch die<br />
Lappen gehen.<br />
Mitch Ryder saß mit seiner Band in einem der Zelte an<br />
einem großen Tisch, und aß Sauerbraten mit Knödeln,<br />
das hatte er sich bestellt, die Tochter des Metzgers, der<br />
uns 10.000 Mark vorgestreckt hatte, kochte die Sachen<br />
am Platz und ausgezeichnet. Lucie und eine Freundin<br />
servierten den Künstlern die Urdeutschen Speisen.<br />
Mitch war noch immer nicht auf Alkohol, er tank Wasser<br />
zum Essen. Die Band trank roten Wein.<br />
Ich hatte einen Live Anruf von einem belgischen Radiosender<br />
erhalten, ich sollte sagen wie es bei uns lief.<br />
Nochmals konnte ich im letzten Augenblick Werbung<br />
machen, erzählte den Zuhörern sie sollen schnell kommen,<br />
das Konzert sei ab jetzt frei, gleich tanze der Bär.<br />
Der Sender war im gesamten Umkreis Aachen, Düren,<br />
Merschenich zu hören, ich hoffte dass noch viele Leute<br />
kommen würden, so wäre die Sache nicht ganz umsonst<br />
gewesen. Die Kassen wurden geschlossen, so konnten<br />
auch die Leute, die vor dem Eingang nur auf die Musik
hörten, weil sie vielleicht kein Geld hatten, auch etwas<br />
537<br />
sehen. Denn gleich ging´s erst richtig los. Es war 18 Uhr<br />
geworden. Nun waren ca. 2.000 Menschen auf den Gelände,<br />
ich sah dass die Getränkefritzen endlich Geld verdienten,<br />
auch Bratwürste wurden gegessen. Und es kamen<br />
immer noch Leute auf den Platz. Schmarotzer,<br />
dachte ich mir, ich geh Pleite und ihr könnt euch vergnügen.<br />
Aber egal, Hauptsache die Bands, die jetzt noch<br />
spielen sollten hatten einigermaßen viele Zuschauer.<br />
Die acht Rastamänner aus Jamaika betraten die Bühne.<br />
Ein Feuerwerk aus Reggae-Musik der karibischen Insel<br />
beschallte die Fans, die, wie in der Phillipshalle, bis auf<br />
den Letzten zu tanzen begannen. Ein wunderbarer Anblick<br />
für mich. Ich bemerkte auch Mitch Ryder und seine<br />
Band unter den Zuschauern, die fröhlich hin und her<br />
wippten. Es wurde ein großartiges eineinhalbstündiges<br />
Konzert, die Leute schrieen immer wieder nach Zugaben,<br />
bis Chalice ausgepumpt war.<br />
Der Obermacker vom Ordnungsamt war mit seinem<br />
Untergebenen eingetroffen, mit hochrotem Kopf schrie<br />
er mich an. „Wir haben schon vierhundert Beschwerdeanrufe<br />
aus der gesamten Umgebung, ihr seid zu laut“.<br />
„Wir haben auch kein Beethovenkonzert beantragt, sondern<br />
ein Rockkonzert“, antwortete ich ihm. „Um<br />
Punkt Zehn ist Schluss, sonst hacke ich euch die Kabel<br />
mit einer Axt durch“, warnte mich der Ordnungshüter.<br />
„Dann kriegst du aber einen riesigen elektrischen<br />
Schlag und jede Menge Stress mit den Leuten hier“, antwortete<br />
ich frech, der Typ ging mir auf den Geist. Wenn<br />
laute Marschmusik durch den Ort zog, oder drei Tage<br />
laute Kirmes war, regte sich Niemand auf, einen Tag<br />
Rockkonzert brachte die Meute auf die Barrikaden.<br />
Und es war das Erste in dieser Stadt.<br />
Ich hatte natürlich die Zweite Hälfte der Gage für Mitch<br />
538<br />
Ryder nicht, Rick nervte mich dauernd mit dem Thema.<br />
„Wir spielen nicht, wenn ich keine Kohle sehe“,<br />
warnte er. Mich konnte jetzt nichts mehr schocken, ich<br />
ließ ihn stehen, ging zu Mitch, erklärte ihm die Lage.<br />
„No Problem, we play“, sagte er mir lachend. Wusste ich<br />
doch, der Mann wartete schon drei Tage auf eine Bühne,<br />
war ein Vollblutmusiker und das wollte er den Leuten<br />
zeigen.<br />
Hätten die nun auf dem Gelände Versammelten alle gezahlt,<br />
wäre ich aus den Unkosten gekommen, hätte zwar<br />
nichts verdient, das war ja auch nicht unbedingt mein<br />
Ziel. Jedenfalls hätte ich ein erfolgreiches Unternehmen<br />
durchgezogen. Persönlich betrachtete ich es als Erfolgreich,<br />
kein Trouble unter den Leuten die Bühne brannte<br />
nur von der Musik, eigentlich konnte ich mit meiner<br />
Organisation zufrieden sein. Dass am gleichen Tag noch<br />
ein anderes Festival in Münster mit großem Staraufgebot
stattfand konnte ich nicht ahnen.<br />
Mitch Ryder hielt was er versprach, er sang mit kräftiger<br />
Stimme seine Rocksongs, die Band schubste ihn aus<br />
dem Hintergrund in immer neue Höhen, das versammelte<br />
Volk tobte.<br />
Und wieder kam der Typ vom Ordnungsamt, sein Schädel<br />
brannte mittlerweile. „Hört auf, ich drehe noch<br />
durch, dauernd rufen Leute an“. „Kann ich nichts für,<br />
lass mich in Ruhe, das Ding wird bis zum Ende durchgezogen,<br />
basta“. „Dann stell ich euch den Strom ab“,<br />
warnte er mich erneut. Dazu hätte er an den Elektrokasten<br />
kommen müssen, der stand hinter der Bühne, und<br />
wurde vorsichtshalber von zwei breiten Ordnern bewacht.<br />
Keine Chance für das Ordnungsamt.<br />
Von denen würde ich mir mein Fest nicht versauen lassen,<br />
was auch immer später geschehen sollte. Für Heute<br />
waren die ausgeschaltet.<br />
539<br />
Mr. Ryder rockte weiter über die Bühne, brachte die<br />
Zuschauer von einer Höhe in die Nächste. Nach drei<br />
Zugaben war das Spektakel zu Ende. Die Leute schrieen<br />
und pfiffen, Mitch war geschafft, seine Kleidung von<br />
Schweiß durchtränkt, die Haare klebten nass an seinem<br />
Schädel, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen.<br />
„See you next Jear“, verabschiedete er sich endgültig<br />
und verließ die Bühne. Dann wurde es sehr still auf dem<br />
Platz. Die Leute gingen zivilisiert in Richtung Heimat,<br />
kein Theater, außer dem Ordnungsgeist, der schnauzte<br />
immer noch. „Gieb endlich Frieden, ich bin geschafft“,<br />
sagte ich ihm noch.<br />
Manni hatte alles auf Video festgehalten, vom Beginn des<br />
Aufbaus bis zum letzten Takt der Musik. Ich freute mich<br />
schon auf die Aufnahmen. So hatte ich ein Dokument<br />
meiner Tat.<br />
Banan saß in unserem Bürowagen. Er hatte die Tageskasse<br />
bei sich. Wir waren alleine, er zeigte mir eine Menge<br />
Scheine, die er gebunkert hatte. Es gab für jeden von uns<br />
600 Mark, wenigstens etwas Geld für all die Mühe, die<br />
mir aber einen Riesenspaß gemacht hatte. Sicher hatte er<br />
sich schon Einiges eingesteckt, der Kerl war Geldgierig,<br />
seine Leidenschaft. Ich bereute nicht einen Augenblick<br />
der vier Monate Organisation für die Sache.<br />
Die Rocker wollten plötzlich auch noch Geld, was nicht<br />
vereinbart war. „Ihr habt doch gesehen, dass wir nichts<br />
verdient haben“, erklärte ich den nun angetrunkenen<br />
Bikern. Ich sprach mit Bodo, dem Chef der Bande, er<br />
beruhigte seine Freunde, sie zogen murrend ab. 20 Harley-<br />
Davidson Maschinen brausten krachend auf und<br />
verschwanden in der Nacht.<br />
Am nächsten Tag, es war Sonntag, trafen wir uns, um den<br />
540<br />
Platz in Ordnung zu bringen. Die guten Freunde, die<br />
sich zur Mithilfe angeboten hatten blieben weg, sicher
schliefen sie irgendeinen Rausch aus.<br />
Lucie, meine Kinder, Banan, zwei weitere Bekannte,<br />
Paulchen und ich brachen die Umzäunungen ab, Die<br />
Mädels kehrten den riesigen Platz von all den Abfällen<br />
der 2,5 Tausend Zuschauer sauber. Die Arbeit war überraschend<br />
schnell getan, schon am Nachmittag saßen wir<br />
alle in unserem Garten, tranken den von Lucie gekochten<br />
Kaffee, aßen Kuchen, und ließen die Show Revue<br />
passieren. „War doch super“, sagte Paul, der für seine<br />
viele Arbeit nicht einen Pfennig verlangt hatte. „Sicher,<br />
das Ding ist gut gelaufen, aber nun sitzen wir auf einem<br />
Berg Schulden“, wandte ich ein. „Scheiß egal“, maulte<br />
Banan, er hatte gut reden, die Verträge hatte ich unterschrieben.<br />
Der von ihm gemachte Super-Vertrag mit<br />
der Aachener Band war erfüllt. Dann noch möglicher<br />
Stress mit den in Vorkasse gegangenen Getränke- und<br />
Imbissfritzen, ich sorgte mich schon etwas.<br />
Ich stieß die Nöte aus meinem Hirn und feierte den<br />
vergangenen Tag. War sowieso kein Geld bei mir zu holen,<br />
einem nackten Mann konnten sie schlecht in eine<br />
Tasche greifen. Es lagen noch zwei Flaschen von sehr<br />
gutem französischem Champagner auf Eis, die wurden<br />
geköpft, wir tranken auf ein gelungenes Rockfestival.<br />
Mein Bestreben eine Musikagentur zu gründen war jedoch<br />
erstmal hinfällig.<br />
541<br />
Kapitel 64<br />
Fortan kümmerte ich mich mehr um meine Familie, die<br />
ich in den vielen vorherigen Jahren nicht sonderlich beachtet<br />
hatte. Vielleicht weil ich nie wirklich Eine wollte,<br />
einen Horror bekam, wenn ich an das dachte, was ich als<br />
Junge Familie nennen musste. So glaubte ich stets, dass<br />
Familie nicht für mich bestimmt war, ich ein einsamer<br />
Wolf mit wechselnden Beziehungen sein sollte.<br />
Die Heirat war mir ja aufgezwungen worden, sonst hätte<br />
ich Lucie und meine erste Tochter sicher Niemals<br />
wieder gesehen, hatte mich letztlich jedoch auch damit<br />
abgefunden. Was hieß das schon, verheiratet zu sein, für<br />
mich war das immer nur ein Fetzen Papier, der irgendwo<br />
tief im Keller vergraben lag, ich wusste sehr lange<br />
Zeit nicht, wann unser Hochzeitstag war, selbst später<br />
musste ich immer wieder nach dem Datum fragen, wenn<br />
es Frühling wurde.<br />
Das war Alles, an das ich mich erinnerte, dass es irgendwann<br />
im Frühling war. Die Situation selbst hatte ich nie<br />
vergessen, es war eine wirkliche Hippie- Hochzeit, wir<br />
hatten die Standesbeamten in Dortmund reichlich geschockt.<br />
Eine Meute wilder langhaariger Menschen,<br />
bunt und schrill gekleidet, die Braut hochschwanger mit<br />
Laura, die eine Monat später auf die Welt rutschte, kamen<br />
da zwischen drei ganz bürgerlichen Brautpaaren<br />
mit Gefolge und wollten schnell mal getraut werden.<br />
Wir Männer hatten alle LSD im Hirn, gingen bald nach
der Zeremonie unsere eigenen Wege, ließen die Frauen<br />
unter sich Hochzeit feiern. Wir hörten Frank Zappa und<br />
Velvet Underground in irgendwelchen Kommunen und<br />
rauchten Joints. Zum Glück hatte Lucie Freundinnen,<br />
sonst wäre sie am Hochzeitstag alleine mit Fleure gewe-<br />
542<br />
sen. Ich war ein totaler Egomane.<br />
Das war einmal, jetzt war alles anders. Ich liebte Lucie,<br />
Fleure und Laura, wollte mich ganz auf sie konzentrieren.<br />
Hatte sowieso nichts Besseres zu tun, der Film vom<br />
Impressario war abgelaufen, ich war wieder arbeitslos.<br />
Lucie ging Geld verdienen, leitete die Filiale eines großen<br />
Textilienkonzerns, Fleur machte Abitur, sie wurde<br />
eine fabelhafte Lehrerin für Deutsch und französisch an<br />
einer Schule in der Nähe von Köln, wo sie auch lebte.<br />
Laura wurde Tänzerin. Sie war schon mit 17 Jahren an<br />
die Folkwangschule in Essen gegangen, studierte Bühnentanz.<br />
Dann beschäftigte sie sich mit Pina Bausch und<br />
gründete eine Compagnie BLICKE, zog nach Paris, von<br />
wo aus sie sehr erfolgreich um die Welt tanzte. Beide<br />
Kinder schenkten mir Enkel, Fleure gebar einen Jungen,<br />
Finn, der mein bester Freund wurde. Laura bekam die<br />
kleine Matilda, ein wunderschönes, sehr lebendiges<br />
Mädchen, das schon mit drei Jahren in drei verschiedenen<br />
Sprachen reden konnte.<br />
Ich lernte gut zu kochen, Lucie wurde nach Feierabend<br />
stets gut von mir beköstigt. Der Beatnik und Hippie endete<br />
als Hausmann, feierte irgendwann den 40ten Hochzeitstag.<br />
Mein größtes Hobby blieb die Musik, meine<br />
letzte und einzige Droge, von der ich ein sehr weites<br />
Spektrum in meiner Seele gespeichert hatte. Ich besuchte<br />
weiterhin Live Konzerte, die erreichbar waren, die<br />
Bands, die ich nicht zu sehen bekam holte ich mir per<br />
DVD ins Haus, wo ich sie dann über meine brachialen<br />
Lautsprecher und meinem großen Bildschirm losrocken<br />
hören und sehen konnte. Die Nachbarn zitterten mit im<br />
Takt, wenn ich mal wieder neue Musik in mein schön<br />
gestaltetes und von vielen Buddhas geschmücktes Haus<br />
bekam. Sie beschwerten sich nur sehr selten. Ich nahm´s<br />
543<br />
immer leicht, hatte meinen inneren Frieden gefunden.<br />
Für alle meine Freundinnen und Freunde die mein Leben<br />
bereichern.<br />
544<br />
Ende<br />
545<br />
Biografie<br />
Im März 1948 in Rödingen Nähe Holländischer<br />
Grenze geboren.<br />
Acht Jahre Volksschule in verschiedenen Schulen,<br />
Heimen.<br />
Lehre als Elektrotechniker nach drei Monaten abgebrochen.
Wegen Wiedrigkeiten in der Familie Heimaufenthalte.<br />
Immer wieder auf der Flucht aus den Heimen, Reisen<br />
durch Europa<br />
In Nordafrika 1968 erste Tochter von französischer<br />
Frau geboren.<br />
Zweite Tochter wurde 1970 in Dortmund geboren.<br />
Arbeiten zunächst als Pflastermaler überall in Europa,<br />
später als<br />
Disc-Jockey gearbeitet.<br />
2 Jahre lebte ich auf Ibiza in Spanien, dann in Jülich<br />
bei Aachen.<br />
Wurde Konzertveranstalter und führte zwei Bistrots<br />
in Jülich.<br />
Arbeitete zwei Jahre für die Jülicher Zeitung und anderen<br />
Print-Medien als freier Schreiber und Fotograf.<br />
Seit 2.000 arbeitsloser Hausmann und Autor, lebe<br />
seit vierzig Jahren mit meiner französischen Frau zusammen.<br />
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