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Ein Sozialpakt für Europa<br />

Herausforderung an die EU: nicht überflüssig machen<br />

Europa ist in der Krise. Nicht erst seit<br />

der Finanz- und Wirtschaftsflaute.<br />

Mit der Forderung nach einem europäischen<br />

Sozialpakt steuern die Gewerkschaften<br />

gegen.<br />

Europa steht 2009 vor einer<br />

Bewährungsprobe: Die Europäische<br />

Union (EU) muss<br />

die schwerste Finanz- und<br />

Wirtschaftskrise seit ihrer<br />

Gründung bewältigen, gleichzeitig<br />

stehen die Wahlen zum Europäischen<br />

Parlament an, im Herbst wird eine<br />

neue EU-Kommission ernannt.<br />

Doch die EU ist ausgerechnet jetzt in<br />

keiner guten Verfassung – von einem effizienten<br />

europäischen Krisenmanagement<br />

ist sie entfernter denn je. Mit dem<br />

tschechischen Präsidenten Mirek Topolánek<br />

hat die EU einen Ratspräsidenten,<br />

der in seinem Land nur noch kommissarisch<br />

die Geschäfte führt. Und Kommissionspräsident<br />

José Barroso scheint vor<br />

allem daran interessiert, sich die Unterstützung<br />

der Mitgliedsstaaten zu sichern,<br />

um ab Herbst erneut der Kommission<br />

vorzustehen.<br />

Auch die Staats- und Regierungschefs<br />

haben auf ihrem letzten Gipfel Anfang<br />

April in London gezeigt, dass sie den<br />

Ernst der Lage noch nicht erkannt haben<br />

und den sozialen Folgen des Finanzdebakels<br />

– vor allem auf europäischer<br />

Ebene – zu wenig Bedeutung beimessen.<br />

Warum hätten sie sonst beschlossen,<br />

den geplanten Beschäftigungsgipfel<br />

mit allen 27 Staats- und Regierungschefs<br />

ausfallen zu lassen. Am 7.<br />

Mai soll es stattdessen lediglich ein Treffen<br />

zwischen dem Kommissionspräsidenten,<br />

dem Ratspräsidenten und den<br />

Sozialpartnern geben. Die Mehrheit der<br />

EU-Regierungschefs war sich offenbar<br />

einig: Die EU habe keine Kompetenzen<br />

in der Sozial- und Beschäftigungspolitik,<br />

die Probleme sollten vielmehr national<br />

gelöst werden.<br />

Vorrang sozialer Grundrechte<br />

Die europäischen Gewerkschaften sind<br />

dagegen überzeugt: Damit sich die Finanz-<br />

und Wirtschaftskrise nicht zu einer<br />

sozialen ausweitet, brauchen wir europäische<br />

Strategien und Lösungen. Der<br />

Europäische Gewerkschaftsbund (EGB)<br />

und der DGB fordern einen neuen Sozi-<br />

alpakt für Europa, der die Menschen<br />

schnell und nachhaltig schützt. Dieser<br />

Pakt muss verbindliche Vorgaben für<br />

mehr und bessere Jobs und eine nachhaltige<br />

Sozialpolitik* enthalten. Eine<br />

„soziale Fortschrittsklausel“ in allen Europäischen<br />

Verträgen sollte den Vorrang<br />

sozialer Grundrechte vor wirtschaftlichen<br />

Interessen und Binnenmarktfreiheiten<br />

festschreiben. Die europäische<br />

Beschäftigungsstrategie muss sich vor allem<br />

auf die Bewältigung der Krise ausrichten<br />

– mit sinnvollen arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahmen wie „Kurzarbeit<br />

statt Entlassungen“ und einem<br />

„Schutzschirm für Ausbildungsplätze“.<br />

Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche<br />

Arbeit am gleichen Ort“ muss sich europaweit<br />

durchsetzen. Niemand soll künftig<br />

von Lohndiskriminierung betroffen<br />

sein – weder Leiharbeiterinnen und -arbeiter,<br />

noch Frauen oder Migranten.<br />

Dazu bedarf es auch einer Revision der<br />

Entsenderichtlinie.<br />

Um schnelle Hilfe leisten zu können,<br />

muss man den Europäischen Sozialfonds<br />

(ESF) und den Globalisierungsfonds<br />

an die Herausforderungen der<br />

Krise anpassen. Die Sozialsysteme müssen<br />

durch eine bessere, nachhaltige Finanzierung<br />

krisensicher gemacht werden.<br />

Eine Industriepolitik, die sich an<br />

Nachhaltigkeit orientiert, sowie eine Innovations-Offensive<br />

für CO 2 -arme<br />

Technologien eröffnen neue Chancen<br />

für die Zukunft.<br />

Konsequente Regulierung<br />

Wir brauchen einen Politikwechsel auf<br />

europäischer Ebene, um in Zukunft Krisen<br />

zu verhindern, deren Zeche vor allem<br />

die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

zahlen. Die EU muss eine kon-<br />

sequente Regulierung der Finanzmärkte<br />

beschließen und diese auch realisieren.<br />

Aber das allein reicht nicht. Die EU<br />

muss sich auch selbstkritisch eingestehen,<br />

dass ihre Deregulierungs- und Liberalisierungspolitik<br />

mit zur Krise beigetragen<br />

hat. Bereits vor dem Finanzund<br />

Wirtschaftsdebakel waren die<br />

27 Mitgliedsstaaten wie gelähmt. Die<br />

Beschwörungsformel, EU-Erweiterung<br />

und -Vertiefung seien gleichzeitig zu<br />

leisten, hat sich als Trugbild erwiesen.<br />

Ohne eine neue, erweiterte vertragliche<br />

Grundlage (Lissabon-Vertrag, s. Seiten<br />

26/27) wird Europa kaum handlungsfähiger.<br />

Doch diese scheint erst einmal<br />

in weite Ferne gerückt. Dabei macht sich<br />

Europa selbst überflüssig, wenn es das<br />

Krisenmanagement vor allem den Mitgliedsstaaten<br />

bzw. der globalen politischen<br />

Ebene überlässt. Wenn Europa<br />

jetzt seinen „Mehrwert“ nicht unter Beweis<br />

stellen kann, wird es enorm an Bedeutung<br />

verlieren. Nur ein radikaler<br />

Kurswechsel sichert die Zukunft der<br />

EU.<br />

Das heißt: Die Europäer müssen jetzt<br />

die Kräfte bündeln, alle Instrumente auf<br />

die Krisenbewältigung konzentrieren<br />

und ihre einseitige Deregulierungspolitik<br />

beenden, die Teil des Problems ist.<br />

Vor allem darf die EU die Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer in den Zeiten<br />

des wirtschaftlichen Abschwungs nicht<br />

im Regen stehen lassen. Europa hat nur<br />

eine Zukunft, wenn wirtschaftliche und<br />

soziale Integration Hand in Hand gehen.<br />

Dafür demonstrieren die europäischen<br />

Gewerkschaften am 14., 15. und<br />

16. Mai in mehreren europäischen Metropolen<br />

– am 16. Mai 2009 in Berlin (s.<br />

auch Seite 19).<br />

Gabriele Bischoff, DGB-Bundesvorstand<br />

Foto: imago<br />

EUROPA<br />

*Nachhaltige Sozialpolitik:<br />

Folgt man der<br />

Weltkommission für<br />

Umwelt und Entwicklung,<br />

ist eine Entwicklung<br />

nachhaltig, wenn<br />

sie „den Bedürfnissen<br />

der heutigen Generation<br />

entspricht, ohne die<br />

Möglichkeiten künftiger<br />

Generationen zu gefährden,<br />

ihre eigenen Bedürfnisse<br />

zu befriedigen<br />

und ihren Lebensstil zu<br />

wählen“.<br />

Zum Begriff „nachhaltige<br />

Sozialpolitik“<br />

schreibt der Wirtschaftswissenschaftler<br />

Bert<br />

Rürup: „Wenn man<br />

akzeptiert, dass zu einer<br />

besseren Auslastung des<br />

Faktors Arbeit eine<br />

Reduktion der Grenzbelastung<br />

auf Arbeitnehmereinkommenbeitragen<br />

kann, ..., dann folgt<br />

als wesentlicher Ansatzpunkt<br />

einer nachhaltigen<br />

Sozialpolitik daraus,<br />

dass versucht werden<br />

sollte, die derzeitige<br />

Verkoppelung der Finanzierung<br />

der sozialen<br />

Sicherungssysteme von<br />

den Kosten des Faktors<br />

Arbeit zu lockern.“<br />

(Näheres in: Bert Rürup:<br />

Nachhaltige Sozialpolitik<br />

im alternden<br />

Deutschland, WZB-Vorlesungen)<br />

Die EU muss sich<br />

eingestehen,<br />

dass ihre Deregulierungs-<br />

und<br />

Liberalisierungspolitik<br />

mit zur<br />

Krise beigetragen<br />

hat (links der derzeitigeRatspräsident<br />

Mirek Topolánek,<br />

rechts<br />

Kommissionspräsident<br />

José<br />

Barroso).<br />

5/2009 Erziehung und Wissenschaft 25

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