5 10 15 20 25 Document A Am kürzeren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sonnenallee ist ein Roman von Thomas Brussig. Er spielt im Ostberlin <strong>de</strong>r späten 70er bzw. zu Beginn <strong>de</strong>r 80er Jahre. Schminke Frau Kuppisch glaubte <strong>de</strong>nnoch an eine Chance – an ihre Chance. Denn Frau Kuppisch war es, die <strong>de</strong>n Paß von Helene Rumpel gefun<strong>de</strong>n hatte, und seit<strong>de</strong>m arbeit<strong>et</strong>e sie an sich. Sie wollte so aussehen wie die Paßinhaberin Helene Rumpel. Und als Helene Rumpel wollte sie durch die Sperre kommen. Helene Rumpel war zwanzig Jahre älter als Frau Kuppisch – dieses Problem hatte Frau Kuppisch am Schmincktischchen gelöst. Frau Kuppisch hatte Klei<strong>de</strong>r und Schuhe aus <strong>de</strong>m Westen, und in ihrer Handtasche waren eine angebrochene Packung Kuki<strong>de</strong>nt und ein unbenutzter Westberliner Fahrschein. Auch die Unterschrift von Helene Rumpel konnte sie wie ihre eigene. Eines Abends ging sie los, um im Schummerlicht als Helene Rumpel durch die Kontrolle zu kommen. Ängstlich, wie sie war, beobacht<strong>et</strong>e sie zuerst aus sicherer Entfernung <strong>de</strong>n Grenzübergang. Sie sah ein Pärchen, das zurück nach Westberlin wollte, und als Frau Kuppisch sah, wie locker und selbstbewußt die auftr<strong>et</strong>en, wie laut die re<strong>de</strong>n, wie gespielt die lachen und wie raumgreifend sie agieren – als sie all das sah, wusste sie, dass ihr zu einem Westler mehr fehlt als nur <strong>de</strong>r Paß, die Schuhe, die Klei<strong>de</strong>r und das Kuki<strong>de</strong>nt. Und sie wusste, dass sie niemals so wer<strong>de</strong>n wird wie die. Und dass sie tatsächlich keine Chance hat, über die Grenze von ihrer Haustür zu kommen. Frau Kuppisch ging wie<strong>de</strong>r nach Hause. Was blieb ihr an<strong>de</strong>res übrig ? Sie schämte sich allerdings nicht für ihre Ängstlichkeit, die sie davon abhielt, die l<strong>et</strong>zten dreißig M<strong>et</strong>er zu gehen. Sie hatte ohnehin geahnt, dass sie nicht zur abgebrühten Hälfte <strong>de</strong>r Menschheit gehört. Aber nach<strong>de</strong>m sie keinen Grund mehr hatte, sich älter zu machen, wur<strong>de</strong> sie wie<strong>de</strong>r wie früher. Zu Hause s<strong>et</strong>zte sie sich sofort an <strong>de</strong>n Schmincktisch. Herr Kuppisch wollte seinen Augen gar nicht trauen, als er heimkam. Frau Kuppisch wirkte sogar noch jünger als je zuvor – zumin<strong>de</strong>st sagte das je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r sie in <strong>de</strong>n ersten Wochen nach ihrer Verjüngung sah. Niemand konnte sich das erklären. Micha vermut<strong>et</strong>e einen heimlichen Geliebten, Sabine einen neuen Friseur, und Heinz sah ein Indiz für Lungenkrebs, <strong>de</strong>nn bekanntlich wer<strong>de</strong>n Krebskranke optimistisch, wenn’s aufs En<strong>de</strong> zugeht. Thomas Brussig – Am kürzeren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sonnenallee – 1999. 2/3
Document B Entwurf für die Titelseite <strong>de</strong>s Comics drüben! von Simon Schwartz (2009) 3/3