pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg
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d d<br />
er Ein-<br />
lung einer<br />
Die Entwick-<br />
demokratischen Politi-<br />
schen Kultur<br />
der Einfluss von<br />
nach 1945<br />
<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong><br />
Nils-Eyk Zimmermann<br />
Diplomarbeit an der Universität Potsdam<br />
1
Diplomarbeit<br />
von Nils-Eyk Zimmermann | Universität Potsdam<br />
Mat Nr. 127962 | Prüfer: Prof. Dr. Jürgen Dittberner<br />
Prof. Dr. Günther C. Behrmann | Eingereicht: 7.3. 2006<br />
Versicherung<br />
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Diplom-<br />
arbeit ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als<br />
der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt<br />
habe. Die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich<br />
entnommenen Stellen wurden als solche kenntlich ge-<br />
macht. Diese Arbeit hat noch keiner Prüfungsbehörde<br />
vorgelegen.<br />
Nils-Eyk Zimmermann<br />
2
Inhalt<br />
1.Politische Kultur: Begriff........................................................................................4<br />
1.1 Political Culture und Civic Culture....................................................................5<br />
1.2 Normativer Orientierungsrahmen..................................................................10<br />
1.3 Subkulturen, Eliten, Deutungskulturen...........................................................11<br />
1.4 Zeichenpolitik.............................................................................................13<br />
1.5 Horizontale Integration................................................................................15<br />
1.6 Zusammenfassung......................................................................................17<br />
2.Demokratische politische Kultur in Westdeutschland................................................19<br />
2.1 Von 1945 zum Verfassungspatriotismus?........................................................21<br />
2.2 Politische Elite nach 1945.............................................................................33<br />
3.Politische Normen bei <strong>Heuss</strong>.................................................................................39<br />
3.1 Politische und soziale Einbettung...................................................................39<br />
3.2 Formkraft eines demokratischen Stils.............................................................46<br />
3.3 Autonomie und Verantwortung: Vorstellungen von Politischer Führung...............52<br />
3.4 Zusammenfassung......................................................................................58<br />
4.Politisches Handeln..............................................................................................61<br />
4.1 Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp........................................................................................62<br />
4.2 <strong>Heuss</strong> als Parteipolitiker...............................................................................63<br />
4.3 Verfassungspolitik.......................................................................................70<br />
4.4 Bundespräsident.........................................................................................83<br />
5.Zusammenfassung: <strong>Heuss</strong> und die politische Kultur nach 1945...............................110<br />
5.1 Einfluss auf die politischen Institutionen.......................................................110<br />
5.2 Die politischen Einstellungen der westdeutschen nach 1945............................112<br />
6.Literatur...........................................................................................................119<br />
3
1. Politische Kultur: Begriff<br />
P<br />
olitische Kultur ist hierzulande etwas, was man »hat«, verlieren kann oder erwerben<br />
muss. Man klagt über den Verfall der Politischen Kultur oder über Politiker, denen sie<br />
fehlt. Dahrendorf schreibt zum Beispiel über <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: »Durch den Stil werden die<br />
Verfassungsartikel lebendig. Heute spricht man anspruchsvoller von 'Politischer Kultur'.<br />
Was immer der richtige Begriff sein mag, <strong>Heuss</strong> hat politischen Stil vorgeführt und wohl<br />
auch geprägt.« 1<br />
Wenn dies auch stimmt, so gilt es gleichfalls auch für Pol Pot, um nicht gleich mit<br />
einem schiefen Hitler-Vergleich anzufangen. Auch er hat eine bestimmte Vorstellung von<br />
Verfassung, einen politischen Stil vorgeführt und damit leider seinem Land einen Stempel<br />
aufgedrückt. Deutlich wird, dass das Problem ein normatives Kulturverständnis ist. Es<br />
eignet sich zwar zum Räsonnement, jedoch nur bedingt zur Erklärung von Wirklichkeit:<br />
Was ist denn mit denen, denen man jegliche politische Kultur abspricht? Was ist das<br />
Gegenteil von Politischer Kultur? Auch die Frage nach dem, was Politische Kultur fördert,<br />
zwingt uns, diese Art von Begriffsdefinition zu vermeiden. Unstrittig ist, dass nicht nur die,<br />
die beim Essen gerade sitzen und in ihrer Freizeit Bücher lesen, Subjekte Politischer Kultur<br />
sind. Auch die, von denen »man« gewöhnlich annimmt, dass »Kultur« für sie keine<br />
lebenszentrale Kategorie ist, müssen berücksichtigt werden.<br />
Begriffen wie »Moral«, oder »Zivilisation« sind also nicht die bestimmenden Faktoren<br />
der Politischen Kultur. Wenn sie auch dazu gehören, weil sie die eigene Haltung zum Poli-<br />
tischen beschreiben, bilden sie nur einen kleinen Teil der Politischen Kultur ab, die aber<br />
aus dem Rahmen unserer grundlegenden Orientierungen zum Politischen besteht. Poli-<br />
tische Kultur meint all das, was an Einstellungen und Vorstellungen dem eigenen poli-<br />
tischen Handeln zu Grunde liegt. Beziehungsweise, was das Verhältnis von Bürgern zum<br />
politischen System beeinflusst.<br />
▌ Kapitel 1: Konzept der politischen Kultur<br />
Was heißt das konkret? Im nächsten Abschnitt wird ein Modell der Politischen Kultur<br />
skizziert, das auf dem klassischen Konzept der amerikanischen Sozialwissenschaftler<br />
1 Dahrendorf (1984); S. 14<br />
4
Gabriel Almond und Sidney Verba aufbaut und jenes Modell um einige theoretische An-<br />
sätze neueren Datums ergänzt. Dieses dient dann als Grundlage für die Beschäftigung mit<br />
<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und der Politischen Kultur der Nachkriegszeit.<br />
▌ Kapitel 2: Beispiel Westdeutschland<br />
Wenn im ersten Teil dieses Kapitels das Modell erklärt wird, folgt im zweiten Teil eine<br />
exemplarische Darstellung einiger beispielhafter Entwicklungen der westdeutschen Poli-<br />
tischen Kultur. Neben den Einstellungen der Bevölkerung zum politischen System und sei-<br />
nen Teilen (Politische Kultur im engeren Sinne) wird kurz auf die politische Elite der Nach-<br />
kriegszeit eingegangen, da diese im konkreten deutschen Fall die Politische Kultur ganz<br />
entscheidend (vor-)strukturiert hat.<br />
▌ Kapitel 3: Vorstellung von Politischer Kultur<br />
In Kontrast dazu wird exemplarisch der normative Rahmen politisch-kultureller Vor-<br />
stellungen bei <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> nachgezeichnet. Hier interessiert also der normative Rah-<br />
men des Handelnden. Das Kapitel konzentriert sich auf die politische und soziale Ein-<br />
bettung von <strong>Heuss</strong>' in die Entwicklung des Liberalismus, seine Vorstellungen vom<br />
Verhältnis zwischen Bürger und politischem System sowie die Anforderungen, die <strong>Heuss</strong><br />
an die Träger der Politischen Kultur stellt, an Bürger und Politiker.<br />
▌ Kapitel 4: Politisches Handeln<br />
Nicht nur im Rahmen der eigenen Vorstellungen existiert Politische Kultur. Vor allem<br />
wird sie sichtbar, wenn sie in Handlungen und Kommunikationen veräußerlicht wird. Des-<br />
halb geht es in Teil 4 um die politische Praxis von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Diese untersuchen wir<br />
anhand der verschiedenen politischen Rollen, die <strong>Heuss</strong> einnahm – als Minister, Parteipoli-<br />
tiker, Mitglied des Parlamentarischen Rats oder Präsident.<br />
1.1 Political Culture und Civic Culture<br />
Die Ersten, die im Sinne eines politikwissenschaftlichen Konzepts von Politischer Kultur<br />
geredet haben, sind Gabriel Almond und Sidney Verba in ihrer 1963 veröffentlichten Stu-<br />
die zur »Civic Culture« in fünf Ländern. Sie untersuchen die Einstellungen der Bürger zum<br />
Politischen: Zum System, zu seinen Teilen und zu sich selbst. Damit begründen sie einen<br />
empirisch-behavioristischen Ansatz der Politische-Kultur-Forschung: »Politische Kultur«<br />
definieren sie demzufolge unter Bezugnahme auf die Systemtheorie Talcott Parsons als<br />
5
»attitudes toward the political system and its various parts, and attitudes toward the role<br />
of the self in the system.« 2<br />
Es wird also eine systemtheoretisch begründbare Unterscheidung zwischen politischem<br />
und anderen gesellschaftlichen Teilsystemen eingeführt. Demnach könne man über Poli-<br />
tische Kultur reden, wie man auch über ökonomische Kultur oder religiöse Kultur reden<br />
könne. Pointiert lautet die Standarddefinition des Begriffs: »The political culture of a nati-<br />
on is the particular distribution of patterns of orientation toward political objects among<br />
the members of a nation.« 3 Mit der Bezugnahme auf Parsons wird Politische Kultur auch<br />
als Modernisierungstheorie begreifbar, die durch die Vorstellung eines idealtypischen ra-<br />
tional herleitbaren Modells der Politischen Kultur (ob bewusst oder unbewusst) sowie<br />
durch die Vorstellung, die Stabilität Politischer Kultur rational erfassen und beeinflussen zu<br />
können, geprägt ist. Die Methodik dazu liefert die empirische Sozialforschung und die<br />
Arbeit Almonds und Verbas trägt bereits den Geist der computergestützten Forschung, wie<br />
er heute allgegenwärtig ist – obgleich diese Pionierarbeit die letzte derartig groß angeleg-<br />
te Studie gewesen sein dürfte, bei der noch alles handgemacht wurde, wie Verba in der<br />
Rückschau berichtet.<br />
▌ Kommunikationsebenen und Persistenz<br />
Die Verbindung des Individuums zu den unterschiedlichen politischen Objekten wird<br />
über die politische Kultur hergestellt und läuft dabei auf drei verschiedenen Ebenen ab.<br />
Erstens auf einer »kognitiven« Ebene über Wissen und Vorstellungen vom politischen Sys-<br />
tem, zweitens auf einer »affektiven«, gefühlsmäßigen Ebene und drittens auf einer »eva-<br />
luativen«, bewertenden Ebene.<br />
Die damit in Bezug zu setzende persönliche Haltung gegenüber einer politischen Kultur<br />
(gleich welcher Ausprägung diese ist) ist »allegiance (Loyalität), »apathy (Apathie) und<br />
»aliance (Entfremdung). Loyalität wird aus allen drei Quellen bezogen: Aus kognitiven, af-<br />
fektiven und evaluativen Komponenten. Apathie hat hingegen nur eine positive kognitive<br />
Rückbindung, den anderen Kommunikationsebenen gegenüber ist sie von Gleichgültigkeit<br />
gekennzeichnet. Entfremdung ist dem evaluativen und affektiven Bereich gegenüber<br />
weniger durch Gleichgültigkeit als durch Ablehnung beschreibbar.<br />
Um also eine dauerhafte politische Kultur zu bekommen, sollten die Beziehungen von<br />
den Bürgern zum Politischen überwiegend mit »allegiance« beschrieben werden können.<br />
Demzufolge ist es Almonds und Verbas Ziel zu untersuchen, inwieweit Bedingungen für<br />
Stabilität herrschen. Politische Struktur und politische Kultur sind in dieser Sichtweise im<br />
Idealfall deckungsgleich.<br />
2 Almond/Verba (1963); S. 12<br />
3 Almond/Verba (1963); S. 13<br />
6
Politische Kultur steht demnach zwischen dem Sozialen und der Systemstabilität: »The<br />
independent variables (social structures and processes), the intermediate variable (politi-<br />
cal culture especially the degree of [...] civic culture, and the dependent variable (demo-<br />
cratic stability).« 4 Deshalb stellt Easton die Stabilität oder »Persistenz« des politischen<br />
Systems in das Zentrum seiner Überlegungen. Zu fragen ist demnach, welche Bindungen<br />
zu dieser Stabilität beitragen. Diese findet Easton in der Gabe von Legitimation und Ver-<br />
trauen durch die Bürger. Die Konzentration auf diese Kernbegriffe ist der empirischen<br />
Operationalisierung dienlich: »Durch die Bezugnahme auf die Theorie politischer Unter-<br />
stützung von Easton können also die relevanten Einstellungen der Bürger auf die poli-<br />
tischen Wertorientierungen und die Unterstützung des Regimes reduziert werden.« 5 Kern<br />
dieser Überlegungen ist die Differenzierung zwischen »spezifischer« und »diffuser« Unter-<br />
stützung. Erstere kann kurzfristig gegeben werden, ist stärker an Personal gebunden und<br />
outputabhängig. Letztere wird über längere Zeiträume gebildet, ist einer konkreten Sys-<br />
temleistung nicht zuordenbar und wird dadurch bedeutend, dass sie langfristig stabil ist.<br />
Sie dient als »Stabilitätsreserve für das politische System (Sontheimer) 6 . Analytisch be-<br />
wegt sich Easton auf drei Ebenen: Dem »Regime«, den »politischen Autoritäten« und der<br />
»politischen Gemeinschaft.« Die diffuse Unterstützung richtet sich auf die Beobachtunsge-<br />
bene »Regime« und bringt politisches »Vertrauen (»trust«) hervor. Die spezifischen Un-<br />
terstützungsleistungen hingegen erzeugen »Legitimation (»legitimacy«).<br />
▌ Typen politischer Kultur<br />
Almond/Verba entwickelten ein theoretisches und ein auf Empirie basierendes Modell<br />
der politischen Kultur. Im Theoretischen wurden drei »reine« Typen Politischer Kulturen<br />
konstruiert. Diese unterscheiden sich in der Orientierung zu verschiedenen Aspekten eines<br />
politischen Systems. 7 Die allgemeinste analytische Ebene behandelt das System an sich,<br />
das etwa Elemente wie »Patriotismus«, »demokratisch«, »konstitutionell« beinhaltet. Das<br />
im Gegensatz dazu persönlichste Objekt der Analyse ist das Individuum, in der Sprache<br />
von Almond/Verba »Selbst als Objekt«: Hier spielen die Inhalte und Normen der eigenen<br />
politischen Anschauungen oder die eigenen politischen Kompetenzen ein Rolle.<br />
Eine weitere Dimension lässt sich zwischen den Begriffen »Input« und »Output« fest-<br />
machen. Input meint den Nachfragefluss aus der Gesellschaft in das Politische, den Mit-<br />
gestaltungswillen, der aus der Bürgerschaft auf das politische System gerichtet ist. Output<br />
meint die Umsetzung dieser Nachfrage in Politik(-ergebnisse). Ein durch starke Input-<br />
orientierung beschreibbares System besteht demnach aus einer Vielzahl von politisch ak-<br />
4 Lijphart (1980); S. 37f.<br />
5 Fuchs (2002); S. 31<br />
6 Sontheimer (1990); S. 19<br />
7 Almond/Verba (1963); S. 14<br />
7
tiven Bürgern, eines, das auf Output basiert, hat einen signifikanten Anteil derjenigen, die<br />
von der Politik im Wesentlichen eine Lösung ihrer Probleme erwarten, ohne sich selber<br />
einbringen zu wollen.<br />
Almond/Verba identifizieren die drei Typen Politischer Kultur, die sich jeweils in der un-<br />
terschiedlichen Gewichtung von Input, Output, System und Selbst unterscheiden. Die<br />
parochiale, die subjekt-orientierte und die partizipationsorientierte Politische Kultur.<br />
System Input Output Selbst<br />
Parochial 0 0 0 0<br />
Subjekt 1 0 1 0<br />
Partizipativ 1 1 1 1<br />
Abbildung 1<br />
Typen politischer Kultur<br />
Die parochiale Politische Kultur ist diejenige, in der auf keiner Ebene der politische<br />
Raum berührt wird: »The parochial expects nothing from the political system.« 8 Hier<br />
handelt es sich im reinen Typus um Gesellschaften ohne politische Rollen und ohne ein<br />
ausdifferenziertes politisches Teilsystem. Beispiele, die in Richtung einer parochialen poli-<br />
tischen Kultur gehen, kann man in einigen Stammeszusammenschlüssen finden.<br />
In einer subjektorientierten Politischen Kultur haben Individuen nahezu keine Ansprü-<br />
che und Nachfragen auf der Input-Seite. Auch sich selbst würden sie nicht als politisch re-<br />
levant betrachten: »The subject is aware of specialized governmental authority; he is af-<br />
fectively oriented to it, perhaps taking pride in it, perhaps disliking it; and he evaluates it<br />
either as legitimate or as not.« 9 Erwartungen hingegen bestehen auf der Output-Seite. In<br />
der deutschsprachigen Literatur wird diese Form auch als »Untertanenkultur« bezeich-<br />
net. 10<br />
Der partizipationsorientierte Typus schließlich ist derjenige, bei dem alle Ebenen rele-<br />
vant sind. Die Teilnehmer an einer solchen politischen Kultur »tend to be oriented toward<br />
an 'activist' role of the self in the polity, though their feelings and evaluations of such role<br />
may vary from acceptance to rejection.« 11<br />
▌ Civic Culture als ideale Mischform<br />
Wenn diese theoretischen Modelle mit den empirischen Daten in Beziehung gesetzt<br />
werden, kommt es zu Mischungen. So werden die »Parochial-Subjekt-Kultur«, die »Sub-<br />
8 Almond/Verba (1963); S. 17<br />
9 Almond/Verba (1963); S. 17<br />
10 so auch bei Gabriel (1987); Gabriel/Holtmann(2005);<br />
11 Almond/Verba (1963); S. 18<br />
8
jekt-Partizipations-Kultur« und die »Parochial-Partizipations-Kultur« erwähnt. Die jewei-<br />
ligen Bestandteile können in unterschiedlichen Mischverhältnissen vorkommen. Eine<br />
besondere Mischform identifizieren die Autoren als »Civic Culture.« Entgegen der nahe<br />
liegenden Annahme, dass es sich um ein vor allem partizipativ orientiertes Modell handeln<br />
könnte, heben Almond/Verba die Fusion von partizipativen mit parochialen oder subjekti-<br />
ven Elementen hervor. Vorbild für ihre »Civic Culture« ist die britische oder amerikanische<br />
Politische Kultur.<br />
Sie speist sich also aus Input- und Output-Ansprüchen. Zunächst soll kurz der idealty-<br />
pische Input-Bürger beschrieben werden. In der Studie wird er das »rationality-<br />
activist«-Modell genannt: »[He] is expected to be active in politics and to be involved.<br />
Furthermore, he is supposed to be rational in his approach to politics, guided by reason,<br />
not by emotion. He is supposed to be well informed and to make decisions – for instance,<br />
his decision on how to vote – on the basis of careful calculation as to the interests and the<br />
principles he would like to see furthered.« 12<br />
Neben der positiven Grundorientierung zum politischen Input, wie er in diesem Beispiel<br />
dargestellt wurde, besitzen Menschen auch positive Dispositionen, die sich nicht aus der<br />
konkreten Beteiligungs- oder Wirkungserfahrung erklären lassen. Zu einer ausbalancierten<br />
politischen Kultur (also einer, in der auch empirisch politische Struktur und Politische Kul-<br />
tur kongruent sind) kommt man demnach nur, wenn auch parochiale und Subjekt-Orien-<br />
tierungen integrierbar sind. In der Civic Culture handelt es sich also um eine idealtypische,<br />
an das britische oder amerikanische Modell angelehnte Balance, »in which political activi-<br />
ty, involvement, and rationality exist but are balanced by passivity, traditionality, and<br />
commitment to parochial values.« 13<br />
Almond/Verba begeben sich damit in die Grauzone zwischen Normativität und empi-<br />
rischem Anspruch. In ihrem Folgeband »The Civic Culture revisited« wird denn auch dar-<br />
auf eingegangen, dass der intellektuelle Stichwortgeber zweifellos Aristoteles und sein<br />
Modell der gemischten Herrschaft ist. Gleichwohl hat das Civic-Culture-Modell einige Be-<br />
rechtigung, da es die Realität beschreibt, wenn dergestalt parochiale und subjektive Ein-<br />
stellungen nicht ausgeblendet sondern integriert werden. Schließlich hätten sie auch ein<br />
Ideal der »vernünftigen« Demokratie in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen können.<br />
Implizit wird dadurch auch erklärt, dass Politische Kultur mehr ist als die zu einem be-<br />
stimmten Moment empirisch erfassten Orientierungen der Bürger, dass zum Beispiel<br />
Traditionen eine Rolle spielen.<br />
12 Almond/Verba (1963); S. 29<br />
13 Almond/Verba (1963); S. 30<br />
9
1.2 Normativer Orientierungsrahmen<br />
Die von Almond/Verba benutzte Formulierung, dass Politische Kultur die »Einstellungen<br />
zum politischen System und seinen verschiedenen Teilen« beschreibe, legt also nahe, den<br />
Begriff nicht allzu sehr auf die reine Legitimation oder Unterstützung zu beschränken.<br />
Hierbei gerät man in das Dilemma, auf der einen Seite an Komplexität reduzieren zu<br />
müssen, um den Ansatz empirisch handhabbar zu machen, auf der anderen Seite führt zu<br />
große Reduktion zu starker Verengung des Begriffs. Aus der Sicht bekennender Empiriker<br />
ist demnach Politische Kultur der Versuch, »einen Pudding an die Wand nageln« zu wollen<br />
(Kaase). Aus der Perspektive sich auch normativ orientierender Wissenschaftler wie zum<br />
Beispiel Rohe erklärt die konzeptionelle Verengung immer nur patchworkartige Teilaspek-<br />
te. Ihm geht es darum, die Bestandteile der politischen Kultur zum Thema zu machen, die<br />
vor dem empirisch Erfragbaren liegen. Demzufolge sollte man »nicht nach Einstellungen<br />
gegenüber konkreten politischen Regimen fragen [...], sondern nach den Wahrnehmungs-<br />
mustern und Beurteilungsmaßstäben, die solchen Einstellungen zugrundeliegen.« 14<br />
Hier zeigen sich die Probleme des empirischen Ansatzes. »Um an den Kern von Poli-<br />
tischer Kultur heranzukommen, muss man wissen, welche Tabus in einem sozialen Ver-<br />
band existieren, wie die Beweislastregeln funktionieren, also was man eigens rechtfertigen<br />
muss und welche Argumente und Handlungen wie selbstverständlich ohne Begründungen<br />
durchgehen.« 15 Zudem bestünde in vergleichenden Untersuchungen die Gefahr, dass an-<br />
gefragten Dingen eine unterschiedliche Bedeutung zukommt, da die gleichen Begriffe oft<br />
in unterschieldicher Weise normativ verwurzelt sind: Ein Amerikaner meint etwas anderes<br />
als ein Deutscher, wenn er von »Patriotismus« redet, ein Usbeke und ein Niederländer<br />
können sich möglicherweise auch nicht auf einen gemeinsamen Demokratie-Begriff<br />
einigen. Außerdem setze das Modell die Vorstellung von der amerikanischen oder briti-<br />
schen Demokratie voraus, was insbesondere mit dem neueren Wissen über differenzierte-<br />
re Demokratiemodelle unvereinbar ist.<br />
Auch Gabriel postuliert differenziertere Erhebungsverfahren. So müsste man die<br />
Formen des »Ausmaßes von Homogenität oder Heterogenität« innerhalb der politischen<br />
Kultur besser herausarbeiten oder zwischen »zentralen und peripheren politischen Einstel-<br />
lungen« differenzieren. 16 Gleichzeitig setze »die tatsächliche Datenlage [...] historischen<br />
und international vergleichenden Analysen der politischen Kultur enge Grenzen.« 17<br />
Aus diesen ja nicht prinzipiell empirische Forschung ablehnenden Einwänden kann man<br />
zwei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens muss die Methodik um normative und interdiszi-<br />
14 Rohe (1996); S. 1<br />
15 Rohe (1996); S. 4<br />
16 Gabriel(1987); S. 27<br />
17 Gabriel (1987); S. 29<br />
10
plinäre Elemente ergänzt werden. Zum Zweiten muss das Erkenntnisinteresse auf grund-<br />
legendere Dinge gelegt werden. Aus dieser Perspektive werden Zeit und die Dynamik so-<br />
zialer Prozesse zentral. Die zum Zeitpunkt der Beobachtung aktuelle Konfiguration ist ein-<br />
gebettet in soziale Prozesse und geschichtliche Erfahrung. Pye formuliert dies bereits zu<br />
einem frühen Zeitpunkt: »In exploring the origins of a political culture it is necessary, for<br />
example, to treat both the historical development of the system as whole and the life ex-<br />
periences of the individuals who currently embody the culture.« 18 Dadurch bekommt Poli-<br />
tische Kultur eine grundlegende Dimension, die über das bloße politische System hinaus-<br />
greift. Danach ist Politische Kultur eine Art Orientierungsrahmen oder, wie andere Autoren<br />
es nannten, »innere Landkarte«, die vorpolitische Orientierungsmuster umfasst.<br />
Traditionen, der institutionelle Geist, die Leidenschaften und Rationalitäten der Bürger, die<br />
Elitenkonfiguration sind somit auch keine zufälligen Produkte historischer Prozesse, son-<br />
dern selbst Teil der politischen Kultur und damit ihrer Dynamik ausgesetzt. »[...]The tradi-<br />
tions of a society, the spirit of its public institutions, the passions and the collective rea-<br />
soning of its citizenry, and the style and operating codes of its leaders are not random<br />
products of historical experience but fit together as a part of a meaningful whole and con-<br />
stitute a intelligible web of relations.« 19<br />
Wenn in dieser Arbeit die Einflussnahme handelnder Politiker auf dieses »Netz der Be-<br />
ziehungen« untersucht werden soll, müssen diese Quellen auch am Beispiel der so Han-<br />
delnden identifiziert werden: Sowohl im normativen Rahmen eigener Anschauungen, als<br />
auch in der sozialen Wirklichkeit ihrer Handlungen.<br />
1.3 Subkulturen, Eliten, Deutungskulturen<br />
Dies leitet auf eine Grundannahme hin, ohne die Politische Kultur nur unzureichend er-<br />
klärt werden kann. Wenn Politik aus Steuerungsleistungen besteht, muss auch angenom-<br />
men werden, dass die Steuerungsmöglichkeiten in der Gesellschaft asymmetrisch verteilt<br />
sind. Wie <strong>Heuss</strong> 1928 schreibt, nehmen wir die Existenz einer politischen Elite an. »In fast<br />
allen Demokratien, die mit Mehrheiten rechnen, entscheidet letztlich eben doch auch eine<br />
Minderheit: die Minderheit der Handelnden. Sie bestimmen die Auswahl der Bewerber um<br />
eine Führung, sie geben dem politischen Machtkampf Tempo und Farbe, und darüber hin-<br />
aus: der Staat wird von denen bestimmt, die von dem Recht der Machtteilnahme Ge-<br />
brauch machen.« 20 In Unterscheidung zu <strong>Heuss</strong> ziehen wir den Kreis deutlich enger: die<br />
Minderheit ist weniger mit der Gruppe der Wähler deckungsgleich, die von ihrem Recht<br />
18 Pye (1972); S. 7<br />
19 Pye (1972); S. 7<br />
20 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 84<br />
11
der Wahl Gebrauch machen, sie wird von denjenigen gebildet, die mit der Vollmacht zum<br />
Handeln durch Legitimation ausgestattet werden. Man hat es also mit mindestens zwei po-<br />
litischen Kulturen in einer Gesellschaft zu tun. Derjenigen der Bevölkerung und derjenigen<br />
der Elite. »In no society is there a single uniform political culture, and in all polities there<br />
is a fundamental distinction between the culture of the rulers or the power holders and<br />
that of the masses, whether they are parochial subjects or participating citizens.« 21 Elite<br />
ist demnach die Ausübung von machtbasierten Führungs- und Steuerungsleistungen:<br />
»Das Kriterium der Macht ist in erster Linie für politikwissenschaftliche Fragestellungen<br />
zentral, die sich mit dem Elitenproblem im Kontext von Herrschaft, Konflikt und Konsens<br />
beschäftigen und an der Rolle von Eliten in politischen Willensbildungsprozessen inter-<br />
essiert sind. Dabei wird den Mächtigen einer demokratischen Gesellschaft die Funktion<br />
zugeschrieben, politische Führungs- und Steuerungsleistungen wahrzunehmen.« 22 Auch<br />
eines der Leitmotive in Rohes Ansatz geht in diese Richtung. Er betont, dass es neben der<br />
affektiven, evaluativen und kognitiven Bindung der Bürger an das System auch noch eine<br />
ästhetische Komponente gäbe. Damit wird die Kultur in die Politische Kultur einge-<br />
schrieben und Politische Kultur zu einem symbolisch arbeitenden Medium. Rohe entwi-<br />
ckelte die Konzeption der Deutungskulturen: »In fast allen Gesellschaften haben wir es<br />
aber stets auch mit mehr oder minder professionalisierten Sinn- und Symbolproduzenten<br />
zu tun, deren Profession gleichsam darin besteht, politische Sinn- und Deutungsangebote<br />
für andere zu fabrizieren.« 23<br />
In der ersten Civic-Culture-Studie spielten Subkulturen oder Eliten eine marginale<br />
Rolle. Zwar reden Almond/Verba von Subkulturen, wie wir sie im Gegensatz zwischen<br />
Arbeiterkultur und Bürgerkultur oder zwischen Regierung und Opposition oder zwischen<br />
traditionellen und modernen Autoritäten (spezialisierter Herrschaft) finden können. Aber<br />
unbeantwortet bleibt die Frage nach der soziologischen und politischen Anatomie der Elite.<br />
Almond/Verba bemerken in der Rückschau, dass dies nicht konsequent genug in ihre Stu-<br />
die eingeflossen ist: »Though we appreciated their importance, we did not include special<br />
samples designed to get at the orientations of particular elite groups such as politicians,<br />
bureaucrats, interest-group officials, journalists, and local-opinion and political elites.« 24<br />
Bordieu liefert mit dem Begriff des »symbolischen Kapitals« eine Theorie, in der »feine<br />
Unterschiede« und »Habitus« Elite konstituieren, nicht allein in den dazu legitimierten poli-<br />
tischen Institutionen sondern gerade im zivilgesellschaftlichen Beziehungsgeflecht. Als Me-<br />
dium dient hierbei das symbolische Kapital: Eine normative Vorstellung von Bürgerlichkeit<br />
wird demnach wichtige Bedingung für die Positionierung innerhalb der Elite.<br />
21 Pye (1972); S. 15<br />
22 Kaina (2004); S. 8<br />
23 Rohe (1996); S. 8<br />
24 Almond/Verba (1980); S. 23<br />
12
Da die Grundlegung des politischen Systems der Bundesrepublik sehr stark von der<br />
politischen Elite und den Vorstellungen der Alliierten geprägt wurde, während die Einstel-<br />
lungen der Bevölkerung zu den verschiedenen Teilen des politischen Systems zunächst<br />
nur eine geringe Rolle spielten, ist die Elitenkonfiguration der frühen Bundesrepublik von<br />
besonderem Interesse: Wer waren die »Gründerväter« der Bundesrepublik? Aus welchen<br />
Milieus und Schichten kommen sie? Was verbindet sie über die Cleavages des Parteiensys-<br />
tems hinweg? In welchen Fragen gibt es Dissens mit den Einstellungen der Bevölkerung?<br />
In besonderer Weise interessiert hier die Positionierung von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> als Teil der<br />
politischen Elite.<br />
1.4 Zeichenpolitik<br />
Die symbolische Gestalt der Politischen Kultur wird bei Almond/Verba nur unvollkom-<br />
men berücksichtigt. Dies meint, dass Politik nicht nur über affektive, evaluative oder ko-<br />
gnitive Kanäle Bindung herstellt. Eine wichtige Rolle spielt auch die ästhetische Kategorie<br />
der »Form«: Wie wird politische Steuerung symbolisch veräußerlicht? Rohe setzt deshalb<br />
den drei Bindungen eine »ästhetische« hinzu, mit der nicht die »Ästhetisierung« der Politik<br />
als eine fragwürdige Kommunikationsstrategie gemeint ist, sondern ein auf der Bedeutung<br />
von Zeichen für die politische Kommunikation aufbauendes »kulturalistisches« Ver-<br />
ständnis.<br />
Grundlegend ist also die Annahme, dass Wirklichkeit durch Symbole konstituiert wird.<br />
»Der Mensch kann mit seiner Welt und auch mit seinesgleichen nur umgehen, indem er<br />
sich a u s d r ü c k t [Hervorh. im Original] – wenn er also zwischen sich und all dem,<br />
was ihm begegnet und was er schafft, eine Distanz legt, indem er es geistig reproduziert.<br />
So drückt er es s y m b o l i s c h aus.« 25 Symbole sind in diesem Zusammenhang inter-<br />
pretationsoffene Signifikante: »Als Zeichen verweisen Symbole auf einen Sachverhalt;<br />
aber als Symbole bezeichnen sie ihn nicht abkürzend so, dass jedes Mitglied einer Kom-<br />
munikationsgemeinschaft das Gleiche darunter versteht.« 26 Insofern spielen Symbole eine<br />
wichtige Rolle bei der gesellschaftlichen Konstruktion von Realität: Sinn und Wirklichkeit<br />
werden über symbolhafte Kommunikation generiert. Ein derartig kulturwissenschaftlicher<br />
Ansatz fordert Modifikationen des Kernkonzepts der Politischen Kultur.<br />
In den meisten Forschungen, die Politik in dieser Form untersuchen, hat »symbolische<br />
Politik« eine negative Konnotation. Diese steht im Verdacht, eine Schein-Realität zu erzeu-<br />
gen, die es ermöglicht, auf das Feld der Symbolik (und der Ideologie) auszuweichen um<br />
politische Problemlösung zu umgehen. Wiederum Rohe folgend, benutzen wir stattdessen<br />
25 Göhler (1989); S. 29<br />
26 Göhler (1989); S. 35<br />
13
den Begriff der »Zeichenpolitik.« So wie der Ansatz der symbolischen Politik geht auch<br />
Rohe davon aus, das kulturelle Regeln und Prinzipien »nicht nur der 'Verinnerlichung',<br />
sondern auch der 'Veräußerlichung' [bedürfen], damit sie ihre gesellschaftliche Funktion<br />
erfüllen können. Anders formuliert heißt das, dass sie auf zeichenhafte Verdeutlichung<br />
angewiesen sind und immer wieder durch Wort, Schrift, Bild und Tat in Erinnerung ge-<br />
rufen werden müssen.« 27 Rohe tritt dem Misstrauen entgegen, dass es sich dabei um eine<br />
fragwürdige Vermittlungsstrategie handelt. Eine veräußerlichende Politik darf in dieser<br />
Perspektive »eben nicht als Ersatzpolitik' oder 'Schaupolitik' begriffen werden werden<br />
[...], sondern als eine 'Zeichenpolitik', die ganz unverzichtbar ist, wenn man die kultu-<br />
rellen Grundlagen eines Gemeinwesens nicht gefährden will.« 28 So gesehen kann Zeichen-<br />
politik in verschiedenen Konfigurationen operationalisiert werden. Beichelt 29 tut dies mit<br />
seinem Konzept der »Herrschaftskultur«, indem er sie auf die politischen Eliten anwendet.<br />
Man kann sie auch auf den politischen Umgang mit Geschichte und Traditionen als »Ge-<br />
schichtspolitik (Wolfrum) oder als »Erinnerungspolitik (Reichelt) beziehen. Auch im in<br />
Deutschland aufmerksam rezipierten Konzept der »Streitkultur« 30 kommen Symbole zum<br />
Tragen. Sarcinelli differenziert hier zwischen »symbolischer Politik« und »politischer Sym-<br />
bolik.«<br />
Ob man nun Zeichenpolitik für gut oder schlecht hält, ist in der Bewertung einzelner<br />
politischer Steuerungsleistungen zwar nicht unwichtig, im Zusammenhang dieser Arbeit<br />
aber zweitrangig. Hier ist hingegen die einfache Feststellung von Bedeutung, dass Symbo-<br />
le eine Steuerungsfunktion übernehmen. Symbolisches Handeln kann mit Göhler dem ra-<br />
tionalen Steuerungshandeln gegenüber gestellt werden: »Wenn Symbole nun gegenüber<br />
Zeichen gerade durch ihren Überschussgehalt charakterisiert sind, dann steht dieser<br />
Überschussgehalt dem Rationalisierungstheorem entweder unvereinbar gegenüber oder er<br />
ist ihm gegenüber komplementär.« 31 Deutlich wird, dass erstens Politik aus beiden Hand-<br />
lungsformen schöpft und zweitens symbolisches Handeln zur Integration im Sinne einer<br />
langfristigen, diffusen Unterstützung dient: »Symbolen fehlt der Charakter der Berechen-<br />
barkeit, sie sind Medien der normativen Integration, aber keine Steuerungsinstrumente im<br />
präzisen Sinn.« 32<br />
Gerade in Bezug auf die Politik von <strong>Heuss</strong> ist ein auf das Theorem der Zeichenpolitik<br />
zugreifendes semiotisches Verständnis von Politischer Kultur gewinnbringend. Aus der<br />
Perspektive des Bundespräsidenten, dessen Amt weniger auf konkrete Steuerung als auf<br />
27 Rohe (1996); S. 7<br />
28 Rohe (1996); S. 16<br />
29 Beichelt (2004); S. 151ff.<br />
30 Sarcinelli (1990); S. 29ff.<br />
31 Göhler (1989); S. 37<br />
32 Göhler (1989); S. 39<br />
14
Repräsentation angelegt ist, bietet Zeichenpolitik mit die wirkungsvollste Möglichkeit, eine<br />
Bindungswirkung zwischen politischem System und Bevölkerung zu erreichen. Zur Spra-<br />
che kommen muss also nicht nur, dass <strong>Heuss</strong> in besonderem Maße zeichenpolitisch agier-<br />
te, sondern hier ist das »wie« zu analysieren sowie das Verhältnis von »weicher« Zei-<br />
chenpolitik zu »harter« rationaler Politik.<br />
1.5 Horizontale Integration<br />
Politik besteht nicht nur aus der vertikalen Integration einer Bevölkerung in das poli-<br />
tische System, in dem Politiker und Bürger sich gegenüberstehen. Darüber hinaus struktu-<br />
riert sie auch die Kommunikationsbeziehungen der Menschen untereinander. Sie integriert<br />
also auch horizontal. Das Dilemma, das sich in funktional differenzierten Gesellschaften<br />
einstellt, ist, dass gerade Vertrauen und damit Unterstützung in hohem Maße personenab-<br />
hängig ist und sich somit horizontal wesentlich besser entfalten kann als auf der vertikalen<br />
Ebene. Gleichzeitig wird aber auf der vertikalen Ebene eine abstrakte Form von System-<br />
vertrauen vorausgesetzt, die unabhängig von Personen sein muss. Luhmann nennt dieses<br />
im Gegensatz zum interpersonalen Vertrauen »Zuversicht«: »Ein Mangel an Zuversicht<br />
und das Bedürfnis nach Vertrauen [können demnach] einen Teufelskreis bilden. Ein Sys-<br />
tem – ökonomisch, legal oder politisch – erfordert Vertrauen als Eingangsbedingung.<br />
Ohne Vertrauen kann es in ungewissen oder riskanten Situationen keine unterstützenden<br />
Handlungen stimulieren. Gleichzeitig können die strukturllen und operationalen Eigen-<br />
schaften eines solchen Systems Zuversicht zur Erosion bringen und dadurch eine der<br />
wesentlichen Bedingungen des Vertrauens untergraben. 33<br />
Auch Offe macht deutlich, dass diese funktionalen Konsequenzen dafür sorgen, dass<br />
moderne Gesellschaft zu großen Teilen misstrauensbasiert sind, was sich vor allem auf der<br />
vertikalen Ebene äußert: »Demokratien verbinden ein Minimum an Gelegenheiten zur Ver-<br />
trauensbildung zwischen mir und allen anderen mit einem Maximum an Wirkungen, die<br />
alle anderen an mich zur Geltung bringen können.« 34<br />
Hieraus lassen sich verschiedene Konsequenzen ziehen, indem man personale Sub-<br />
stitute von vertikalem Vertrauen schafft. Offe schlägt dies erstens über »Vertrau-<br />
enskategorien« vor. Hierbei handelt es sich um identifikatorische Gemeinsamkeiten, die<br />
aus gleichen oder vorgestellt gleichen Eigenschaften entspringen. Zweitens über »Institu-<br />
tionenvertrauen.« Demnach müssen auf derartiger Vertrautheit basierende Institutionen<br />
einen erkennbaren Sinn haben, an den normativ an sie gerichteten Erwartungen aus-<br />
gerichtet sein und die Verletzung ihrer Funktionsprinzipien wirksam sanktionieren. Dritte<br />
33 Luhmann (2001); S. 157<br />
34 Offe (2001); S. 264<br />
15
Möglichkeit ist der »Populismus«: Kurzfristig als Substitut wirksam ist die »Reperso-<br />
nalisierung von Vertrauensbeziehungen.«<br />
Eine andere Theorie geht davon aus, dass ohnehin das horizontale Vertrauen als »Kitt<br />
der Gesellschaft« fungiert und es demnach vor allem darauf ankommt, diese interperso-<br />
nalen Bindungen zu stärken. Dies ist die Grundlage einiger Theorien von bürgergesell-<br />
schaftlichen Netzwerken. Von besonderem Einfluss ist die Konzeption des Sozialkapitals,<br />
die Systempersistenz über die kommunikative Praxis der Systemmitglieder denkt: »So-<br />
ziale Netzwerke rufen Wirkungen hervor. Vor allem weisen Netzwerke für die ihnen ange-<br />
hörenden Menschen einen Wert auf.« Stichwortgeber ist hier Bordieu, der kulturelles, so-<br />
ziales und ökonomisches Kapital gegenüberstellt. Putnam entwickelte die Theorie weiter<br />
und regte die Diskussion um Sinn und Unsinn dieser Vorstellungen an. Bei beiden ist es<br />
die Gesamtheit aller auf Bekanntheit oder Anerkanntheit beruhenden Beziehungen in-<br />
nerhalb einer Gesellschaft. Sozialkapital hat einen internen Nutzen (indirekt ist es auch re-<br />
kapitalisierbarer) und einen externen Nutzen: »Ein Grund dafür, dass soziale Netzwerke<br />
externe Effekte haben können, liegt darin, dass dichte soziale Interaktion offenbar zur<br />
Entstehung robuster Normen einer verallgemeinernden Gegenseitigkeit beitragen<br />
können« 35<br />
Putnam differenziert zwischen »binding« und »bridging« Sozialkapital. Ersteres bringt<br />
ähnliche Menschen zusammen, das Zweite bezieht sich auf die sozialen Netzwerke. 36 Ins-<br />
besondere das so genannte »überbrückende (»bridging«) Sozialkapital schafft in der Ak-<br />
kumulation auch über diese Reziprozitätsnormen hinaus gehendes Vertrauen – das so ge-<br />
nannte »generalisierte Vertrauen.« Eine wichtige Rolle spielen hierbei freiwillige<br />
Organisationen und dies macht die Theorie des Sozialkapitals auch für die kommunitaris-<br />
tische Denkschule interessant. Dietlind Stolle arbeitet heraus, welche Anziehungskraft hier<br />
die Bildung zivilgesellschaftlicher Zusammenschlüsse hat: Sie dienen als Erziehungsraum<br />
zu Kooperation, Vertrauen und Reziprozität, verbinden Staat und Bürger auf der Input-<br />
und Output-Ebene im Sinne intermediärer Organisationen: »Intermediary organizations<br />
aggregate individual interests, and thus contribute to processes of complexity-reduction<br />
and gate-keeping that are necessary for a political system to function effectively« 37 So<br />
eingängig die Theorie des Sozialkapitals zu sein scheint, sollte man doch vorsichtiger bei<br />
der Bewertung ihres Nutzens sein. Ein prinzipieller Einwand besteht darin, dass kommu-<br />
nikative Praxis nicht zwangsläufig zu demokratischer Politischer Kultur führt. Putnam führt<br />
selbst das Beispiel der mafia-typischen informellen Netzwerke an und redet von einer<br />
»dunklen Seite« des Sozialkapitals. Zudem fehlt innerhalb der gesellschaftlichen Kom-<br />
munikationen der Rahmen, der dafür sorgt, dass alle Beteiligten gleiche Möglichkeiten der<br />
35 Putnam/Goss (2001); S. 21<br />
36 Putnam/Goss (2001); S. 28<br />
37 Stolle/ Hooghe (2005); S. 149-167<br />
16
Deutungsmacht bekommen: Soziales Kapital ist wie alle Kapitale ungleich verteilt, hat<br />
aber den Unterschied, dass diese Ungleichverteilung schwerer sichtbar ist.<br />
Wenn diese beiden Ansätze nun in das Konzept der Politischen Kultur integriert werden<br />
sollen, hat dies zwei Konsequenzen: Erstens zeigt Offe, dass sich Unterstützung nicht nur<br />
bei zeichenpolitischer Steuerung, sondern gerade auch bei rationaler Steuerung im Zwei-<br />
felsfall auf eine konkrete Persönlichkeit richtet. Zweitens gibt es Möglichkeiten, diese Per-<br />
sonalisierung durch Substitution in Systemvertrauen umzuformen. Hierbei kommt dem<br />
politisch Handelnden eine (wenn nicht sogar die) wichtige Rolle zu. Drittens schärft die<br />
Theorie des Sozialkapitals unseren Sinn für den Wert gesellschaftlicher Institutionen.<br />
Diese können unterstützend wirken und bilden gesellschaftliche Kommunikationen (mit ih-<br />
ren Asymmetrien!) ab.<br />
Um die Akteure zu analysieren, muss man das Interesse auf ihre Art, vertikales Ver-<br />
trauen zu substituieren, richten. Welche Formen der Personalisierung bietet <strong>Heuss</strong>? Han-<br />
delt es sich hauptsächlich um die Schaffung von Vertrauenskategorien oder um ein Kon-<br />
zept der intensiven Personalisierung?<br />
Auf der horizontalen Ebene interessiert der Kontakt mit intermediären Institutionen<br />
und informellen Aggregationen. Es muss nachvollzogen werden, welchen gesellschaftli-<br />
chen Konfigurationen sich Politiker in besonderer Weise verbunden fühlen, welche Institu-<br />
tionen und Personen sie also in die Nähe des politischen Zentrums bringen und welche sie<br />
davon fernhalten. Oder konkret: Auf welche Kreise richtet sich die Zeichenpolitik von<br />
<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>? Welchen Institutionen und Personen bietet er einen stärkeren Zugang zu<br />
sich und den politischen Entscheidungsprozessen?<br />
1.6 Zusammenfassung<br />
Politische Kultur ist ein Konzept, dass seine Wurzeln in der empirischen Untersuchung<br />
der Stabilität von politischen Systemen hat. Über die Frage nach der Einstellung der<br />
Bürger zum System und seinen Akteuren erhält man Auskünfte über den Grad an spezi-<br />
fischer und diffuser Unterstützung.<br />
1. Notwendig ist die Ausweitung des Konzepts auf die dem zu Grunde liegenden Orien-<br />
tierungen. Auf Traditionen und die Einbettung der Bürger in eine soziale Praxis. Dem-<br />
zufolge umfasst Politische Kultur den normativer Orientierungsrahmen und die den<br />
konkreten Einstellungen zu Grunde liegenden Muster.<br />
2. Zudem muss, wenn die Bindung der Bevölkerung thematisiert wird auch die Bindung<br />
der politisch Handelnden zum Thema werden. Besonders notwendig ist dies, wenn es<br />
substantielle Differenzen zwischen Elite und Bevölkerung gibt. Von Interesse sind hier-<br />
bei die normativen Vorstellungen von der politischen Kultur sowie die Art ihrer Steue-<br />
17
ungsleistungen. Hier wird zwischen rationalem Steuerungshandeln und symbolischem<br />
Handeln differenziert. Letzteres eröffnet das Feld der Zeichenpolitik.<br />
3. Neben der vertikalen Integration der Bürger in das politische System muss die<br />
Dimension horizontaler Integration berücksichtigt werden. Mit Blick auf die politische<br />
Elite sollte untersucht werden, in welcher Form Bindungsangebote personalisiert wer-<br />
den, in welche gesellschaftlichen Kommunikationen sie sich selbst einordnen bezie-<br />
hungsweise welchen Personen und Institutionen sie eine Nähe zu den politischen Ent-<br />
scheidungsprozessen ermöglichen.<br />
18
2.Demokratische politische<br />
Kultur in<br />
Westdeutschland<br />
B<br />
ezeichnenderweise ist nicht »Enthusiasmus« oder »Identifikation« die zentrale Kate-<br />
gorie des klassischen Politische-Kultur-Ansatzes, wie ihn vielleicht Idealisten formu-<br />
lieren würden, sondern »Stabilität.« Normativ wird also sowohl derjenige, der nichts von<br />
demokratischen Systemen hält, als ähnlich destabilisierend angesehen, wie derjenige, der<br />
zwar von einer Leidenschaft für Demokratie erfüllt ist, aber gerade dadurch das Verhältnis<br />
zwischen Bevölkerung und System durcheinander bringt: Zum Beispiel Aktivisten, die<br />
nicht nur von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollen sondern auch darüber hinaus In-<br />
put-Ansprüche formuliern. In dieser Perspektive ist »Civic Culture« ein konservatives Kon-<br />
zept, misstrauisch gegenüber neuen Legitimationsquellen und Legitimationsansprüchen,<br />
wie sie zum Beispiel durch die »partizipative Revolution« aufkamen. Hier ist der Zeitbezug<br />
der Studie zu sehen, die fünfziger Jahre waren bekanntlich weder in Amerika noch in<br />
Deutschland das Jahrzehnt von Partizipation und innerer Elitemobilität. <strong>Heuss</strong> zum Bei-<br />
spiel sprach des Öfteren von einem »amorphen Volk«, an einer Stelle auch davon, dass<br />
aus dem »Volk« erst noch eine »Bevölkerung« werden müsse. Damit meint er, dass sich<br />
die unpolitische Haltung der Mehrheit sowie die demokratiefeindliche Haltung einer<br />
einflussreichen Minderheit sich zu einer die Demokratie und ihren neuen Staat bejahenden<br />
Einstellung transformieren müssen. Dahinter steht insofern die Vorstellung der »Civic<br />
Culture« als einem Amalgam aus partizipativen und passiven, aber bejahenden Einstel-<br />
lungen. Im Nachfolgenden soll untersucht werden, inwieweit dieses normative Postulat<br />
des Wandels vom Volk zur Bevölkerung auch zu einer empirischen Tatsache wurde.<br />
Das Besondere an der Nachkriegssituation ist, dass die Staatsbildung nicht auf einen<br />
revolutionären Akt zurückgeht, wie es nach einer Idealtheorie der Nationsbildung eigent-<br />
lich geschehen sollte. Sie ist vielmehr das Werk einer politischen Elite, initiiert durch die<br />
Besatzungsmächte. Eine untergeordnete Rolle spielte dabei die Bevölkerung. Daraus folgt,<br />
dass ein institutionelles und verfassungsmäßiges Gerüst erst nach und nach mit »Ver-<br />
fassungsleben« gefüllt werden konnte, durch Unterstützungsleistungen der Bürger (Ver-<br />
trauen, Legitimation, Identifikation) und durch den Grad ihrer Partizipation.<br />
Das liegt auch daran, dass über einen längeren Zeitraum unklar blieb, auf welches Ter-<br />
ritorium sich neue Staatlichkeit erstrecken soll. Das Territorium des Deutschen Reichs<br />
19
wurde entsprechend den alliierten Beschlüssen von Jalta auf vier Besatzungszonen aufge-<br />
teilt und in diesen Besatzungszonen wurde von unten begonnen, wieder staatliche Institu-<br />
tionen aufzubauen. Wenn auch Realisten sehr früh erkannten, wie eine neue weltpolitische<br />
Konstellation das Entstehen neuer deutscher Staatlichkeit determinierte, so traten viele,<br />
darunter auch <strong>Heuss</strong>, der neuen Lage vorsichtig gegenüber. Dies bedeutete, zwar den<br />
Aufbau politischen Lebens auf der kommunalen Ebene und auf der Ebene der neu ge-<br />
schaffenen Länder voranzutreiben, aber darüber hinaus eine behutsame Strategie zu fah-<br />
ren -sowohl innerhalb der Besatzungszonen als darüber hinaus. Davon wird im Folgenden<br />
noch genauer die Rede sein. Die »Eingeborenen von Trizonesien«, so ein damals populä-<br />
rer Karnevalschlager, organisierten nach und nach (und nicht zuletzt aufgrund massiver<br />
Bemühungen von Briten und Amerikanern) ihre Staatlichkeit. Sie taten dies weniger en-<br />
thusiastisch als zunächst vorsichtig und widerstrebend, darauf bedacht, dies in alliiertem<br />
Auftrag zu machen, als Rückversicherung, falls das Vorhaben scheitern sollte. Wenn man<br />
jedoch anfangs davon ausging, ein »Provisorium« zu konstituieren, so gewann der<br />
Verfassungsgebungsprozess bald seine eigene Dynamik. Die »Verfassungsväter« strebten<br />
im Laufe ihrer Beratungen immer stärker eine vollwertige Verfassung an und zumindest in<br />
der politischen Elite stellte sich frühzeitig eine positive Bindung an die westdeutsche<br />
Demokratie ein. Wie im vorigen Unterkapitel bereits beschrieben wurde, unterscheiden<br />
sich bisweilen die Politische Kultur von politischen Akteuren und von Bevölkerung. Der<br />
empirischen Untersuchung sei vorweggenommen, dass dies gerade im westdeutschen Fall<br />
evident ist. Im Nachfolgenden soll nun an einigen vorwiegend empirisch ermittelten Bei-<br />
spielen die Wirklichkeit der politischen Kultur in den fünfziger Jahren anchgezeichnet<br />
werden. Von Interesse sind die Grundbedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit und<br />
der frühen Bundesrepublik sowie die Dynamik des Wandels.<br />
▌ Datenlage<br />
Dabei wird auf sehr unterschiedliches demoskopisches Material zurückgegriffen, was<br />
dadurch bereits dadurch bedingt ist, dass ex post keine neuen demoskopischen Untersu-<br />
chungen gemacht werden können. Die Datenlage ist also sehr heterogen. Erste wichtige<br />
Ressource sind die Untersuchungen der amerikanischen Besatzungsmacht (OMGUS-Sur-<br />
veys) in ihrer Besatzungszone. Sie wurden von Merritt/Merritt aufbereitet. Zweitens wird<br />
auf die Untersuchungen von Almond/Verba aus der Civic-Culture-Studie zurückgegriffen.<br />
Auch Material des Allensbach-Instituts hat einen wichtigen Stellenwert, da es mit die am<br />
frühesten verfügbaren planmäßig und kontinuierlich erhobenen Daten bietet. Viertens wird<br />
auf verschiedene empirische Untersuchungen zu Politischer Kultur und zu deren Teilaspek-<br />
ten Bezug genommen, die jüngeren Datums sind und zum Teil ihrerseits auch auf die<br />
ersten drei Quellen zugreifen.<br />
20
2.1 Von 1945 zum Verfassungspatriotismus?<br />
Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist der 08. Mai 1945. Wenn auch klar ist, dass<br />
die Westdeutschen sich nicht gerade die Interpretation des Datums als »Tag des Sieges«<br />
zu Eigen gemacht haben dürften, so war die Deutung dieses Datums umstritten. Deshalb<br />
ist häufig von der »Stunde Null« die Rede, die das vorher Gewesene sauber mathematisch<br />
in den negativen Bereich verdrängt. Für die damalige Zeit ungewöhnlich ist sicherlich die<br />
fünf Jahre später geäußerte Feststellung von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: »Im Grund bleibt dieser 8.<br />
Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns.<br />
Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.« 38 Wirkt die dem in-<br />
newohnende Symbolik aus heutiger Perspektive ein bisschen zu pathetisch, so zeigt sich<br />
doch die Differenziertheit im Kontrast zu konkurrierenden Deutungen: An anderer Stelle<br />
redet man von der »Niederlage« und meint damit die militärische und weniger die mo-<br />
ralische Kapitulation. Interessant ist zweifellos, wie grundsätzlich der 08. Mai eine Umdeu-<br />
tung erfahren hat. Die Rede von Richard v. Weizsäcker vierzig Jahre später führt dies ein-<br />
drucksvoll vor Augen. Der Bundespräsident stellte mit der Autorität seines Amtes klar,<br />
dass dies »ein Tag der Befreiung« für die Deutschen gewesen sei. Damit setzte er den<br />
Schlusspunkt unter eine Diskussion, die selbst in den achtziger Jahren noch einmal an Dy-<br />
namik gewann.<br />
▌ Nationalsozialimus<br />
Wie kaum anders zu erwarten, kommt es nicht zu einem totalen Bruch mit dessen<br />
Prinzipien und Ideologie. Man ist zwar damit beschäftigt, Parteiabzeichen und Ariernach-<br />
weise schnellstmöglich zu entsorgen, zu einer tiefgreifenden intellektuellen Ausein-<br />
andersetzung mit dessen Ideologie geschweige denn mit eigener »Schuld« hat dies nicht<br />
geführt. Wenn <strong>Heuss</strong> sieben Jahre später von einer »Kollektivscham« statt einer »Kollek-<br />
tivschuld« redet, ist dies möglicherweise eine fast provozierende Sichtweise – wenn man<br />
auch heute andere Standards bei der Beantwortung der Schuldfrage anlegen würde. Nach<br />
den OMGUS-Daten stößt die Idee des Nationalsozialimus auf relativ große Akzeptanz in<br />
der Bevölkerung. Ungefähr die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass der Nationalso-<br />
zialismus eine gute Sache ist, die schlecht ausgeführt wurde: 1945 sind es 53%, 1947<br />
55% und 1948 konstant 55,5%. 39<br />
38 Feldkamp (1998); S.176<br />
39 Merrit/Merrit (1970); S. 33<br />
21
Wann ging es den Deut-<br />
schen in diesem Jahrhundert<br />
am Besten? Bei den Ant-<br />
worten auf diese Frage zeigt<br />
sich von 1951 bis 1970 eine<br />
stärker werdende Unterstüt-<br />
zung der westdeutschen<br />
Demokratie. 40 (Abb. 2] Die<br />
Jahre zwischen 1951 und<br />
1959 sind in besonderer<br />
Weise ausschlaggebend, da<br />
hier nahezu linear die Bun-<br />
desrepublik zur Lieblingsepo-<br />
che der Deutschen aufsteigt.<br />
Die Gegenfrage, wann es<br />
Deutschland am schlechtes-<br />
ten ging, zeigt dennoch, wie<br />
ambivalent das deutsche<br />
Verhältnis zum Nationalsozialismus ist: Vier Fünftel nannten die Nachkriegszeit, 8% die<br />
Zeit des Nationalsozialismus. Schildt erklärt dies unter anderem damit, dass in der so-<br />
zialen Wahrnehmung die NS-Zeit in zwei Phasen unterteilt wird und dass dies nach<br />
folgendem Schema geschehen sei: »Diese lebensgeschichtliche Periodisierung – 1933/35<br />
bis 1941 als 'die guten Jahre', 1942 bis 1948 als die 'schlechte Zeit' und die folgenden<br />
Jahre als Phase stetiger Besserung.« 41<br />
Wenn die Frage auch nur bedingt die ideologische Verfestigung eines Weltbildes er-<br />
hebt, weil sie Output-Anforderungen wie Wohlstand, Sicherheit etc. integriert, muss den-<br />
noch von einem wesentlichen Bestandteil von NS-Ideologie in der frühen politischen Kultur<br />
ausgegangen werden. OMGUS teilt die Befragten 1947 in fünf ungefähr gleich große Grup-<br />
pen ein: Demnach sind nur ungefähr ein Fünftel der Bevölkerung keine Antisemiten, Na-<br />
tionalisten, Rassisten oder verfestigte Antisemiten. Ein ähnliches Bild zeigen auch andere<br />
(frühere) OMGUS-Umfrageergebnisse, denen zufolge 30% der Deutschen meinen, dass<br />
Farbige einer minderwertigen Rasse angehören. Ein Drittel meint, dass Juden nicht die<br />
gleichen Rechte wie Angehörige der arischen Rasse haben sollen. Immerhin 37% der<br />
Befragten verneinten die Feststellung, dass die Auslöschung von Juden, Polen und<br />
anderen Nicht-Ariern unnötig für die Sicherheit Deutschlands war.<br />
40 nach Conradt (1980); S. 226; Daten nach Allensbach-Institut;<br />
Frage: Wann in diesem Jahrhundert ging es Deutschland am besten?<br />
41 Schildt (1999); S. 91<br />
85<br />
80<br />
75<br />
70<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
45<br />
42<br />
7<br />
4<br />
2<br />
51 59 63 70<br />
Abbildung 2<br />
Wann ging es Deutschland am Besten?<br />
In Prozent<br />
22<br />
42<br />
28<br />
18<br />
62<br />
16<br />
81<br />
Bundesrepublik<br />
3. Reich<br />
(Vorkrieg)<br />
Weimarer Republik<br />
Kaiserreich<br />
andere<br />
10<br />
8 7 7<br />
4<br />
5<br />
5<br />
2
Eine Frage aus der Civic-Culture-Studie kombiniert die Einstellung mit der Bereitschaft<br />
zur Partizipation. (Abb. 3] 42<br />
pol. Interesse 1959 1962 1972<br />
hoch 48 57 59<br />
mittel 27 34 31<br />
gering 19 24 20<br />
Abbildung 3<br />
Aktive Opposition gegen neue Nazi-Partei?<br />
Die Zahl derjenigen, die aktiv werden wollen würden, steigt bei den politisch stark In-<br />
teressierten zwischen 1959 und 1972. Bei denjenigen mit mittlerem und geringem Inter-<br />
esse steigt diese Bereitschaft in geringerem Maße und geht nach 1962 sogar zurück. In<br />
Zusammenhang damit muss gesehen werden, dass die Gruppe der politisch Interessierten<br />
insgesamt größer geworden ist (29% im Jahr 1959, 37% im Jahr 1962) und die der nicht<br />
Interessierten kleiner (35% 1959, 24% 1962). Alles in allem bedeutet dies, dass 1962 ein<br />
größerer Teil der Befragten auf der Input-Seite mobilisierbar ist als 1959. Dies spricht erst<br />
einmal für größere System-Unterstützung. Zu fragen wäre, ob die Nicht-Bereitschaft zur<br />
Opposition durch mangelnde Partizipationskompetenz oder durch ideologische Überein-<br />
stimmung mit den Zielen einer Nazi-Partei erklärbar ist. Eine Ergänzung dieser Frage, die<br />
Allensbach vorgenommen hat, lässt Letzteres vermuten. Demnach wären die Deutschen<br />
eher geneigt, gegen ein kommunistisches System zu kämpfen als gegen ein NS-Regime.<br />
▌ Allgemeines politisches Interesse<br />
Nach 1945 überwog bei weitem die Einstellung, dass Politik keine erstrebenswerte be-<br />
rufliche Perspektive für den eigenen Nachwuchs sei. Laut OMGUS wollen 1947 und 1948<br />
drei Viertel der Bewohner der amerikanischen Zone (75%) ihre Kinder besser nicht in der<br />
Politik sehen. Dieser Wert ist im Ländervergleich mit den USA oder England um ca 10%<br />
höher. Ursachen sind zum Teil verwurzelte Ressentiments gegenüber der Politik, etwa<br />
dass Politik ein schmutziges Geschäft sei, zum Teil aber auch ganz praktische Befürch-<br />
tungen davor, sich politisch zu exponieren: »Jemand ist für 10 Jahre Politiker und dann<br />
42 Conradt (1980); S. 240; Daten nach Allensbach-Institut; Frage: Nehmen wir mal an, dass eine neue<br />
Nazi-Partei versucht, an die Macht zu kommen, wie würden Sie reagieren? Ich würde alles in meiner<br />
Macht Stehende tun, das zu verhindern.<br />
23
landet er im KZ.« 43 Eine korrespondierende Entwicklung ist die eher passive Haltung dem<br />
Politischen gegenüber: Mehr oder weniger konstant 60% der Befragten überlassen Politik<br />
lieber den anderen, nur 40% sind aktiv interessiert. 44 Im Vordergrund des Interesses<br />
stehen in der Zeit andere Dinge, an erster Stelle die Sicherung und Verbesserung der ma-<br />
teriellen Situation. Mit dem geringen Interesse korrespondiert ein geringes Informations-<br />
niveau: Demnach wussten im Mai 1949 nur 39% der durch OMGUS Befragten, dass der<br />
Parlamentarische Rat eine Verfassung erarbeitet hat, nur 17% der Befragten konnten et-<br />
was über deren Inhalt sagen. Über 96% der Befragten wussten zwar etwas über Wahlen<br />
zu sagen (1. Bundestagswahlen), jedoch nur weniger als die Hälfte wussten, was genau<br />
gewählt wurde. 45 Schildt ergänzt: »Dem niedrigen Niveau des politischen Interesses ent-<br />
sprach der geringe Informationsgrad über die institutionellen Regelungen des parlamen-<br />
tarischen Systems. Jeweils zwei Dritteln der Bevölkerung war es in der Frühphase der<br />
Bundesrepublik unbekannt, dass der eigene Wahlkreis durch einen Abgeordneten im<br />
Parlament vertreten war, und ebenso viele besaßen nicht einmal ungefähre Vorstellungen<br />
über den Gang der Gesetzgebung.« 46<br />
Dies scheint sich im Laufe der fünfziger Jahre geändert zu haben: Almond/Verbas Da-<br />
ten für 1959 sagen beispielsweise aus, dass die Deutschen im Fünf-Länder-Vergleich die-<br />
jenigen sind, die sich am regelmäßigsten über Politik informieren. 47 Dieser Trend zur<br />
besseren Information dürfte auch von den verbesserten Möglichkeiten sich zu informieren<br />
unterstützt worden sein. Eine wichtige Rolle spielte das Radio: Schon 1952 gab es so viele<br />
Radios in den westdeutschen Haushalten wie vor dem Krieg, bis zum Ende des Jahrzehnts<br />
stand ein solches Gerät in nahezu jedem Haushalt. 48<br />
43 Merritt/Merritt (1970); S. 45, S.210 2ff.<br />
44 Merritt/Merritt (1970); S. 295<br />
45 Merritt/Merritt (1970); S. 315<br />
46 Schildt (1999); S. 95<br />
47 Almond/Verba bewerten dies für 1959 anders: Sie weisen darauf hin, dass die Deutschen am Ende<br />
der 50er Jahre im Vergleich mit den anderen Ländern (UK, USA, MEX, IT) den höchsten Grad an In-<br />
formiertheit besitzen: 34% folgen politischen und Regierungsdingen regelmäßig, weitere 38% von<br />
Zeit zu Zeit. (Almond/Verba (1963); S. 54; S. 312) Demgegenüber sieht OMGUS die Bewohner der<br />
amerikanischen Zone als betont uninformiert.<br />
48 Schildt (1999); S. 67<br />
24
Das Allensbach-Institut er-<br />
fragt seit 1952 das politische In-<br />
teresse der Westdeutschen an<br />
Politik (Abb. 4] 49 Man kann bis<br />
1983 eine nahezu lineare Ent-<br />
wicklung in Richtung Interesse<br />
beobachten. Während sich 1952<br />
nur 27% der Befragten für Poli-<br />
tik interessierten, erreicht das<br />
Interesse 1973 mit 49% einen<br />
Höhepunkt. Der Wendepunkt, an<br />
dem mehr Menschen sich inter-<br />
essiert zeigten als nicht inter-<br />
essiert, trat um 1961 ein. Der<br />
Anteil derjenigen, die sich nicht<br />
besonders interessieren, liegt re-<br />
gelmäßig um 40% herum. Wenn<br />
man diese Daten nun auf die fünfziger Jahre bezieht, so lässt sich feststellen, dass die be-<br />
reits in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre beobachteten Einstellungen des Desinter-<br />
esses beziehungsweise Nicht-Interesses dominant waren. Beides ging bis Anfang der 60er<br />
Jahre zurück. Seitdem gab es mehr Interessierte als Nichtinteressierte.<br />
Charakteristisch für die Deutschen war, dass sie Politik nicht als interessant wahr-<br />
nahmen, aber als notwendig und für das eigene Leben bedeutsam: »Im Jahre 1953<br />
schrieben 64 Prozent der Bundesbürger der Politik eine große Bedeutung für das eigene<br />
Leben zu, im Jahre 1974 waren es 77, 1979 71 Prozent.« 50<br />
▌ Interesse auf der lokalen Ebene<br />
Bei Untersuchungen zum Engagement auf der lokalen Ebene wird deutlich, dass der<br />
Grad an politischem Interesse stieg, je konkreter das politische Umfeld war. Unter ande-<br />
rem am Beispiel des fränkischen Raums und des Ruhrgebiets untersuchten Beyer/Holt-<br />
mann das politische Verhalten der Deutschen auf lokaler Ebene: Demnach war das Inter-<br />
esse an Parteiveranstaltungen nach dem Krieg relativ hoch gewesen, wenn es auch<br />
schwankte: Vor Wahlen waren solche Veranstaltungen stärker und in Versorgungskrisen -<br />
vorwiegend im Winter – schwächer besucht. Auch sei eine Zunahme des unkon-<br />
ventionellen, nicht gebundenen Engagements zu beobachten gewesen. Charakteristisch<br />
49 Nach Gabriel (1987); S. 184; Daten von: Wiesendahl, Mannheimer Wahlstudien und Noelle-Nau-<br />
mann. Frage: Einmal ganz allgemein gesprochen – interessieren Sie sich für Politik?<br />
50 Gabriel (1987); S. 185<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Abbildung 4<br />
Allgemeines Interesse an Politik<br />
25<br />
41<br />
32<br />
27<br />
36<br />
35<br />
29<br />
ja<br />
nein<br />
40<br />
33<br />
27<br />
44<br />
31<br />
25<br />
nicht<br />
besonders<br />
39<br />
37<br />
24<br />
43<br />
35<br />
22<br />
40<br />
39<br />
52 59 60 61 62 65 67 69 71 77 83<br />
21<br />
44<br />
41<br />
15<br />
49<br />
43<br />
41 41<br />
16<br />
10<br />
53<br />
34<br />
13
war gleichzeitig eine »subjektiv vorpolitische oder unpolitische Interessenhaltung.« 51 Be-<br />
reitschaft zum Engagement verbindet sich dabei - ganz im Sinne der deutschen politisch-<br />
kulturellen Tradition - mit einer negativen Konnotation des Begriffs »politisch« und einer<br />
positiven Konnotation des Begriffs »unpolitisch.« Im Vordergrund stehen das Interesse an<br />
sachorientierten Lösungen und die Abwehr von Politisierung.<br />
Auch bei der Einschätzung ihres eigenen Gestaltungsspielraums sahen diesen die meis-<br />
ten Befragten auf der lokalen Ebene, wie die folgende (Abb. 5] illustriert. 52 »Während na-<br />
hezu zwei Drittel der Bundesbürger glaubten, etwas gegen eine ungerechtfertigte Verord-<br />
nung der Lokalverwaltung unternehmen zu können, sahen lediglich 37% eine Chance, sich<br />
gegen ein ungerechtfertigtes Gesetzgebungsvorhaben des Bundestages zur Wehr zu<br />
setzen.« 53<br />
Gemeindeverordnung<br />
1959 1974<br />
könnte etwas tun 62 67<br />
könnte nichts tun 31 29<br />
Abbildung 5<br />
Input-Seite: Einflussmöglichkeit auf legislative Akte<br />
▌ Wahlbeteiligung<br />
Bundesgesetz<br />
1959 1974<br />
38 56<br />
59 39<br />
Am 14. August 1949 gingen 78,5% der Wahlberechtigten zur ersten Bundestagswahl<br />
(die OMGUS-Prognosen waren waren hier relativ genau: 80% wurden prognostiziert).<br />
Dieses Resultat steigerte sich 1953 auf 86% und 1957 auf 87,8%. Diese Steigerung kann<br />
durchaus als Indikator für eine stärkere Unterstützung des politischen Systems gesehen<br />
werden. Eine andere Interpretation ist jedoch ebenfalls verbreitet: dass die Deutschen vor<br />
allem der Meinung seien, zur Wahl zu gehen sei ihre »staatsbürgerliche Pflicht.« 54 Dies<br />
korrespondiert auch mit den Ergebnissen von OMGUS von 1949: 27% gaben an, gewählt<br />
zu haben, weil es ihre Pflicht sei, 18% wollten den Kommunismus bekämpfen, 18% gaben<br />
51 Beyer/Holtmann (1987); S. 152<br />
52 Nach Gabriel (1987); S. 205<br />
Fragen: 1. Angenommen, hier in der Gemeindeverwaltung (Stadtverwaltung) würde eine Verord-<br />
nung in Betracht gezogen, die Sie als sehr ungerecht oder nachteilig betrachten. Was meinen Sie,<br />
könnten Sie etwas dagegen tun?; 2. Und wenn wir jetzt einmal annehmen, dass im Bundestag in<br />
Bonn ein Gesetz in Erwägung gezogen würde, das Sie als sehr ungerecht und nachteilig ansehen.<br />
Was meinen Sie, könnten Sie dagegen unternehmen?<br />
53 Gabriel (1987); S. 187<br />
54 Daten: Bundeswahlleiter: http://www.bundeswahlleiter.de<br />
26
an, eine Partei unterstützen zu wollen, und 14% erhofften sich primär bessere Lebensbe-<br />
dingungen. 55 Die auf 86% gestiegene Wahlbeteiligung ging 1953 einher mit einer deutli-<br />
chen Stärkung des Regierungslagers (allein 249 von 509 Sitzen für die CDU/CSU).<br />
▌ Parlament und Regierung<br />
Ein Vorbehalt gegen Parlamente und den »Parteienstreit« ist in der deutschen politi-<br />
schen Kultur verwurzelt. An der Akzeptanz mehrerer Parteien lässt sich ablesen, wie stark<br />
das pluralistische Prinzip an Einfluss gewann. Während 1953 die meisten Befragten keine<br />
Meinung zu dem Thema hatten oder glaubten, dass die Aufgabe des Parlamentarismus nur<br />
mit einer Partei erfüllt werden kann, änderte sich das bis 1979. (Abb. 6] 56<br />
Dessen ungeachtet sind die<br />
Westdeutschen nach 1950 der Mei-<br />
nung gewesen, ein Parlament sei<br />
prinzipiell notwendig. Zwischen den<br />
Jahren 1956 und 1962 meinten das<br />
immer um die 70%. Schüttemeyer<br />
untersucht die diffusen Bewertung<br />
des Bundestags als Volksvertre-<br />
tung: »Wie denken Sie über den<br />
Bonner Bundestag als unsere<br />
Volksvertretung?« 57 (Abb. 7] Zu-<br />
nächst fällt bei der Unterstützung<br />
ein Trend nach oben auf, gleich-<br />
wohl bis 1953 die Zahl derjenigen<br />
überwiegt, die das Parlament mä-<br />
ßig bis schlecht bewerten. Der Tief-<br />
punkt der Bewertung 1952 auszu-<br />
machen. Hierbei mag die<br />
Auseinandersetzung um Wiederbe-<br />
waffung und die Europäische Ver-<br />
teidigungsgemeinschaft eine Rolle<br />
55 Merrit/Merritt (1970); S. 316<br />
56 nach Institut für Demoskopie (1981); Tabelle 80<br />
Frage: Glauben Sie, dass es besser ist, wenn eine Partei, mehrere Parteien oder keine Partei gibt?<br />
Nachfrage: Wie viel Parteien etwa?<br />
57 nach Schüttemeyer (1987)<br />
Frage: Wie denken Sie über den Bundestag als Volksvertretung?«<br />
nach Daten von Schüttemeyer, Emnid<br />
27<br />
2 Parteien<br />
3 Parteien<br />
4 Parteien<br />
keine<br />
Partei<br />
1 Partei<br />
keine<br />
Meinung<br />
Abbildung 6<br />
1<br />
6<br />
6<br />
0 10 20 30 40<br />
Unterstützung für Pluralismus?<br />
7<br />
7<br />
8<br />
19<br />
21<br />
20<br />
22<br />
53<br />
79<br />
30<br />
36
gespielt haben. Die Mehrheit der Deutschen folgte damals den Auffassungen der par-<br />
lamentarischen Opposition. Andererseits folgt im November 1953 ein Höhepunkt (nach<br />
der Bundestagswahl).<br />
100<br />
95<br />
90<br />
85<br />
80<br />
75<br />
70<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
25 22 13 12 4 4 5 8 6 14 11 10 11<br />
9<br />
28<br />
7<br />
13<br />
31 35<br />
27<br />
3<br />
51 52 05/ 53 11/ 53 54 55 56 57 58 61 63 67 70<br />
ohne Meinung<br />
schlecht<br />
mäßig<br />
gut<br />
Abbildung 7<br />
10<br />
31<br />
37<br />
ausgesprochen gut<br />
Bewertung des Bundestags als Volksvertretung<br />
in Prozent, kumuliert<br />
9<br />
4<br />
25<br />
42<br />
17<br />
10 6 12<br />
37<br />
40<br />
9<br />
33<br />
43<br />
14<br />
37<br />
40<br />
Bei der Bewertung des Bundestags spielt nach Schüttemeyer auch die Bewertung der<br />
Regierungspolitik eine wichtige Rolle, weil bei bewusst unspezifisch gestellten Fragen<br />
wenig zwischen Legislative und Exekutive differenziert wird. Dies deckt sich auch mit den<br />
Aussagen Patzelts, der eine Art präsidentiellen Affekt feststellt: »Die meisten Deutschen<br />
wissen zwar, dass bei uns die Regierung aus dem Parlament hervorgeht und dass dem<br />
aus Regierung und regierungstragenden Fraktionen bestehenden Führungszentrum des<br />
politischen Systems die parlamentarische Minderheit als Opposition gegenübersteht. Dass<br />
ein Regierungssystem so, nämlich als parlamentarisches, auch konstruiert sein sollte,<br />
glaubt aber nur eine Minderheit der Bürger. Viel populärer ist unter ihnen das Konstruk-<br />
6<br />
28<br />
7<br />
30<br />
44<br />
11<br />
16<br />
41<br />
31<br />
6<br />
25<br />
49<br />
6 6<br />
7 4 5<br />
36<br />
28<br />
31<br />
42<br />
53<br />
47<br />
4 5 6
tionsprinzip des präsidentiellen Regierungssystems.« 58 Wenn dieses Beispiel den Einfluss<br />
der Tagespolitik auf die Zustimmungskurven zeigt, so kann man aus Schüttemeyers<br />
Ergebnissen auch eine langfristige Tendenz herauslesen. Mit der Zunahme der Zustim-<br />
mung geht gleichzeitig der Anteil derjenigen zurück, die vorgeben, keine Meinung zu<br />
haben, dies ist ein Zeichen für eine stärkere Politisierung. Bildet man zwei Lager, erstens<br />
die »Positiven (»gut« + »ausgesprochen gut«) sowie die »Skeptiker« (»mäßig« +<br />
»schlecht«), fällt in der hier verwendeten kumulativen Darstellung auf, dass sich seit Mai<br />
1953 ungefähr gleich große Blöcke gegenüberstehen, wobei der Block der Positiven seit<br />
Mai 1953 eher eine strukturelle Mehrheit besitzt. Noch deutlicher wird die Tendenz zur Un-<br />
terstützung, wenn man diejenigen ohne Meinung nicht berücksichtigt. Das heißt, dass seit<br />
1953 eine Stabilisierung des »diffuse support« beobachtbar ist.<br />
▌ Interpersonales Vertrauen<br />
Eine weitere Frage ist die nach dem interpersonalen Vertrauen. 1948 meinten lediglich<br />
9% der Deutschen, dass man den meisten Menschen trauen könne, 1959 ist dieser Anteil<br />
auf 19% gestiegen, 1967 auf 26% und 1976 auf 39%. Wenn das Fehlen von interperso-<br />
nalem Vertrauen dergestalt interpretiert werden kann, dass eine Gesellschaft wenig parti-<br />
zipativ, aber stark »privatisiert« ist, so sollte mit einem Anstieg eine höhere Bereitschaft<br />
zur Kommunikation und Partizipation einhergehen. Der Anstieg an interpersonalem Ver-<br />
trauen hat zusätzlich auch Rückwirkungen auf das Menschenbild und damit indirekt auf<br />
das System. Gabriel/Kunz/Roßteuscher/van Deth weisen auf die ambivalente Aussagekraft<br />
der Variable für »diffuse support« hin: Auf der einen Seite ließe sich am Beispiel der Bun-<br />
desrepublik »die Bedeutung von Demokratisierungsprozessen für das Entstehen sozialen<br />
Vertrauens« 59 exemplarisch studieren, auf der anderen Seite gibt es in unterschiedlichen<br />
Gesellschaften unterschiedliche Vertrauensniveaus: Während das Vertrauen in den USA<br />
und Großbritannien von 1950 bis heute zurückgegangen ist, ist es in Deutschland oder<br />
Italien angestiegen. Schweden und Norwegen sind weltweite Vertrauens-Spitenreiter.<br />
Schildt liefert uns den Hinweis, dass mangelndes interpersonales Vertrauen nicht nur aus<br />
Misstrauen, sondern auch aus Angst resultieren kann: In den frühen Jahren der Bundesre-<br />
publik war es nicht zuletzt die noch anhaltende Unbestimmtheit des sozialen Status vieler<br />
Menschen und die extreme Diffusität traditioneller Leitbilder angesichts des verlorenen<br />
Kriegs, die Verhaltensunsicherheit bewirkten, ebenso wie bald darauf die Einstellung auf<br />
die rasante gesellschaftliche Modernisierung mit ihren soziokulturellen Folgen.« 60 Dement-<br />
sprechend nimmt interpersonales Vertrauen mit zunehmender Statussicherheit und mit<br />
58 Patzelt (2000); S.4<br />
59 Gabriel/Kunz/Roßteutscher/van Deth (2002); S. 66f.<br />
60 Schildt (1999); S. 88<br />
29
der Form gesellschaftlicher Stabilität zu, die in der Lage ist, sozialen Wandel ohne Gefähr-<br />
dung von Staat und Status zu gewährleisten.<br />
▌ Politische Tugenden: Subjektiv oder Partizipativ?<br />
Eines der Kernanliegen Almond/Verbas ist die Differenzierung nach aktiven partizipa-<br />
tiven Ansprüchen an das Politische auf der einen Seite und nach passiven, an den Ergeb-<br />
nissen orientierten auf der Gegenseite. Das Erstere nennen sie Input-Ebene. Leitkompe-<br />
tenz ist hier die so genannte »Citizen Competence«: »As competent citizens they perceive<br />
themselves as able to affect governemental decisions through political influence.« Das<br />
Pendant auf der Output-Seite ist die »Subject Competence«: »As competent subjects they<br />
perceive themselves able to appeal to a set of regular and orderly rules in their dealings<br />
with administrative officials.« 61<br />
In diesem Sinne sind die Deutschen als primär subjektkompetent beschrieben worden.<br />
Ein Beispiel für Subjektkompetenz ist die von Almond/Verba so genannte Admini-<br />
strationskompetenz: Demnach erwarten Deutsche eine faire Behandlung sowie eine Be-<br />
rücksichtigung des eigenen Anliegens von Behörden (Abb. 8]. 62<br />
Behörden<br />
1959 1977 1980<br />
ja 65 66 68<br />
Das kommt<br />
darauf an<br />
19 18 19<br />
Nein 9 9 10<br />
Abbildung 8<br />
Polizei<br />
1959 1977 1980<br />
72 69 69<br />
15 16 17<br />
9 8 4<br />
Gerechtigkeit bei Behörden und Polizei: Administrationskompetenz<br />
Almond/Verba ziehen hieraus den Schluss, dass die Deutschen stärker zur Output-<br />
Ebene tendieren: »Germany is the only nation of the five studied in which the sense of<br />
administrative competence occurs more frequently than a sense of political<br />
61 Almond/Verba (1963); S. 168 ff.<br />
62 Gabriel (1987); S. 265; Daten nach Almond/Verba (1963); ALLBUS:<br />
Frage: 1. Angenommen, Sie hätten sich in irgendeiner Angelegenheit an eine Behörde zu wenden –<br />
z.B. in einer Steuer- oder Wohnungsangelegenheit: Glauben Sie, dass man sie dort gerecht be-<br />
handeln würde, also so wie jeden anderen auch? 2. Wenn Sie einmal Unannehmlichkeiten mit der<br />
Polizei hätten, etwa wegen einer Verkehrsübertretung oder wenn Sie eines geringen Vergehens be-<br />
schuldigt würden: Würde man Sie dort gerecht behandeln, d.h. ebenso wie jeden anderen auch?<br />
30
competence.« 63 In ihren Ansprüchen an den Staat wären die Deutschen mit einem bloß<br />
administrativen Staat bereits zufrieden. Auch OMGUS deckt dieses Fazit: Vor die Wahl ge-<br />
stellt, ob man eine Regierung hat, die ökonomische Sicherheit und gute Verdienst-<br />
möglichkeiten ermöglicht, oder eine, die freie Wahlen, Freiheit des Worts und religiöse<br />
Freiheit garantiert, entschieden sich 1947-1949 regelmäßig zweimal so viele Befragte für<br />
die ökonomische Sicherheit (60% zu 30%). 64 Auf der anderen Seite zeigt Turek eine Ver-<br />
änderung auf, die auf der Input-Ebene stattgefunden hat. Demnach sind 1978 zwei Drittel<br />
der Deutschen bereit, sich gegen ungerechtfertigte Behandlung zu wehren, und nur eine<br />
Minderheit fühlt sich noch politisch wehrlos: »Das resignierende 'hat keinen Sinn', 1950<br />
noch von 37% hervorgebracht, ist im Laufe der Jahre kontinuierlich zurückgegangen und<br />
betrug 1978 nur noch 22%. Der Wille, sich zu wehren, hat von 1950 mit 52% zu 1978<br />
mit 70% deutlich zugenommen.« 65<br />
Gabriel weist darauf hin, dass die Veränderungen in späteren Zeiten weniger »durch<br />
Abbau positiver Output-Orientierungen, sondern durch eine Ausbreitung des Gefühls der<br />
Staatsbürgerkompetenz bedingt« zustande kamen. 66 Das bedeutet, dass Output-<br />
Orientierung nach wie vor eine der wichtigsten Motivationen gegenüber der Demokratie<br />
ist. Sie ist kein aufgrund materiellen Mangels temporäres Phänomen, sondern ein Charak-<br />
teristikum der deutschen politischen Kultur, das diese allerdings mit der aller westlichen<br />
Industriegesellschaften teilt. 1999, im fünfzigsten Jahr des Bestehens der Bundesrepublik,<br />
gaben nach einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Banken 47% der Westdeut-<br />
schen an, besonders stolz auf die sozialen Errungenschaften ihres Staats zu sein. Auf Platz<br />
zwei steht die Wirtschaft mit 33% und danach erst kommt die Demokratie mit 32% der<br />
Nennungen. 67<br />
Doch selbst diejenigen, die diese Output-Orientierung des »Wirtschaftsnationalismus«<br />
verdächtigen, vermuten, dass eine substantielle Entwicklung hin zu einer unterstützenden<br />
politischen Kultur stattgefunden hat. So Habermas 1989: »Für uns in der Bundesrepublik<br />
bedeutet Verfassungspatriotismus unter anderem den Stolz darauf, dass es uns gelungen<br />
ist, den Faschismus auch auf Dauer zu überwinden, eine rechtsstaatliche Ordnung zu eta-<br />
blieren und diese in einer halbwegs liberalen politischen Kultur zu verankern.« 68<br />
63 Almond/Verba (1963); S. 313<br />
64 Merritt/Merritt (1970); S. 42; nach OMGUS Report June 1949; S.7<br />
65 Turek (1989); S. 243; Daten nach Allensbach-Institut<br />
66 Gabriel (1987); S. 264<br />
67 Bundesverband der deutschen Banken (1999); S. 15<br />
68 Habermas (1990); S. 152<br />
31
▌ Zusammenfassung: Output Input Partizipation<br />
Alles in allem erscheinen die fünfziger Jahre als eine Phase der Transformation. »In<br />
den Kulissen des neuen Stücks namens Bundesrepublik stehen noch höchst real das Ges-<br />
tern und Vorgestern – das Scheitern der Republik von Weimar, der Irrweg, den die Deut-<br />
schen mit dem Dritten Reich beschritten hatten, der verlorene Krieg und die Verwüs-<br />
tungen, die er hinterlassen hat – im Äußeren wie im Inneren.« 69 Um 1948, zum Zeitpunkt<br />
der Verfassungsgebung, der Gründung der ersten politischen Institutionen, die über Län-<br />
dergrenzen hinaus reichten, und als sich die Zweiteilung Deutschlands deutlich abzeich-<br />
nete, war die Einstellung der Bevölkerung gegenüber dem Politischen im Allgemeinen sehr<br />
reserviert. Weitaus wichtiger war die Verbesserung der Lebensbedingungen. Aus Sicht der<br />
Bevölkerung kam der Ökonomie eine wichtigere Rolle zu als der Politik. Wäre es nach ihr<br />
gegangen, wäre der Staat auch gut in den Händen einer kompetenten Verwaltung aufge-<br />
hoben gewesen. An dieser Wirtschaftsorientierung hat sich zwar nicht viel geändert, hin-<br />
zugekommen ist jedoch eine Stärkung der Input-Seite, sowohl als Einforderung partizipa-<br />
tiver Politik als auch als Bereitschaft, den zugewiesenen Einfluss zu nutzen. Dies jedoch<br />
unter dem Vorzeichen steigender Wirtschaftskraft. »Das Amalgam von Sozialer Marktwirt-<br />
schaft, Westintegration und demokratischer Ordnung – ein Erfolgsmodell unter einmalig<br />
günstigen weltwirtschaftlichen Bedingungen - wuchs auch im Bewusstsein der Bevölke-<br />
rung zu einem Erfolgsmodell zusammen, und dabei galt als entscheidende Zäsur die Wäh-<br />
rungsreform.« 70 Zeitlich lässt sich diese Veränderung der politischen Kultur bereits im<br />
ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik festmachen. Die Unterstützung von System und ein-<br />
zelnen Teilen nimmt zu, die Kabinette Adenauer sind in der komfortablen Lage, auf stabi-<br />
len Mehrheiten aufbauen zu können. Damit geht ein Konzentrationsprozess im Parteien-<br />
system einher, der seinen Höhepunkt erst um das Jahr 1976 herum erreicht.<br />
Ideologisch kommen nach dem Krieg deutliche Referenzen an die unmittelbare<br />
Vergangenheit zum Tragen. Die Vorkriegsjahre werden vielfach als die »guten Jahre« be-<br />
trachtet, antisemitische und autoritäre Parlamentarismusvorstellungen ergänzen dies. Bald<br />
kommt auch dem Antikommunismus eine wichtige Integrationsrolle zu.<br />
Wenn man die besondere Situation der politischen Kultur in der Bundesrepublik der<br />
Anfangsjahre betrachtet, den Vorlauf der Verfassungspolitik vor der Verfassungskultur, so<br />
herrscht später weitgehend Einigkeit darüber, dass die Erfüllung der Verfassung mit Leben<br />
weitgehend gelungen ist. Sternberger fasst dies 1979 unter dem Begriff des<br />
»Verfassungspatriotismus« zusammen und bilanziert: »Die Verfassung ist aus der<br />
Verschattung gekommen, worin sie entstanden war. In dem Maße, wie sie Leben gewann,<br />
wie aus bloßen Vorschriften kräftige Akteure und Aktionen hervorgingen, wie die Organe<br />
sich leibhaftig regten, die dort entworfen, wie wir selbst die Freiheit gebrauchten, die dort<br />
69 Rudolph (2000); S. 13<br />
70 Schildt (1999/2); S. 24<br />
32
gewährleistet waren, wie wir in diesem Staat uns zu bewegen lernten, hat sich unmerklich<br />
ein neuer, zweiter Patriotismus ausgebildet.« 71 Der Gedanke eines solchen sowohl empi-<br />
rischen als auch normativen demokratischen Patriotismus diffundierte bis über die acht-<br />
ziger Jahre hinaus in den Bereich des common sense.<br />
2.2 Politische Elite nach 1945<br />
Elite und Bevölkerung unterscheiden sich sowohl in ihren Handlungsmöglichkeiten als<br />
auch in ihren Einstellungen. Dies manifestiert sich beispielsweise in Ansichten zu poli-<br />
tischen Kernfragen. In den ersten Nachkriegsjahren stießen die Gedanke einer demokra-<br />
tisierten Wirtschaftsverfassung und der Sozialisierung von Industrien zunächst auf große<br />
Befürwortung in der Bevölkerung. In den Fällen, in denen Landtage Schritte in diese Rich-<br />
tung beschlossen, intervenierte allerdings auch die Besatzungsmächte (wie zum Beispiel in<br />
Nordrhein-Westfalen). Auch in der Frage der »Wiederbewaffnung«, also der Errichtung<br />
einer westdeutschen Armee im Rahmen eines westlichen Militärbündnisses, spiegelte sich<br />
ein Grunddissens zwischen Bevölkerung und politisch Handelnden wider: Im Dezember<br />
1949 antworteten auf die Frage, ob sie wieder Soldat werden möchten, 74,6% mit<br />
»nein« 72 . Auch 1952 während der Beratungen über die »Europäische Verteidgungsge-<br />
meinschaft (siehe auch im vierten Kapitel) antworteten lediglich 36% mit Ja (gegenüber<br />
50% Nein-Stimmen) auf die Frage: »Sind Sie für den Aufbau einer neuen deutschen<br />
Wehrmacht im Rahmen einer Europa-Armee?« 73 Eine zeitgleich in Großbritannien durch-<br />
geführte Untersuchung bot das gegenläufige Bild (44% ja; 29% nein). Dessen ungeachtet<br />
verfolgte die Regierung Adenauer bereits seit 1949 den Aufbau neuer militärischer Struk-<br />
turen.<br />
Gerade auch im Bereich des politischen Extremismus handelten die im Bundestag<br />
vertretenen Parteien konsequent. Die am 2.Oktober 1949 in Hameln gegründete »Sozia-<br />
listische Reichspartei« eine neofaschistische Organisation, begegnete ebenso wie die<br />
»Kommunistische Partei Deutschland« zunehmenden Einschränkungen in der politischen<br />
Arbeit. Das Strafgesetzbuch wird 1951 um das Delikt der »Staatsgefährdung« erweitert.<br />
Es folgten Verbote von Vorfeldorganisationen, Medienzensur und 1952 werden beide<br />
Parteien verboten. Wenn auch die Auffassungen über die angemessene Art der Auf-<br />
arbeitung des Nationalsozialismus Anlass zu heftigen Kontroversen lieferte, bildete sich in<br />
71 Sternberger (1990); S. 13<br />
72 nach Kraushaar, Wolfgang (1996/Band1); S.172; nach einer Umfrage von EMNID für den SPIEGEL<br />
(17.01.1950)<br />
73 nach Kraushaar, Wolfgang (1996/Band1); nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts für den<br />
SPIEGEL (21.04. 1952)<br />
33
der Haltung gegenüber diesen extremistischen Parteien ein frühzeitiger Konsens aus. Das<br />
bereits im Grundgesetz angelegte Prinzip der »wehrhaften Demokratie« zur Sicherung der<br />
»freiheitlich demokratischen Grundordnung« wird immer wieder ausgebaut. Auch bei Ver-<br />
suchen, über Bevölkerungsmobilisierungen auf außerparlamentarischem Weg Einfluss zu<br />
nehmen, reagierten die im Bundestag vertretenen Parteien mit Misstrauen. Charakteris-<br />
tisch ist vielleicht die Haltung von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> gegenüber den Aktivitäten des ehema-<br />
ligen Innenministers Gustav Heinemann oder gegenüber Martin Niemöllers gegen die Wie-<br />
derbewaffnung. Die Ablehnung galt beidem: Sowohl den konkreten Zielen als auch und<br />
vor allem den Mitteln.<br />
Wer sind die politischen Eliten in der jungen Bundesrepublik? Wenn auch die Beant-<br />
wortung dieser Frage schwer fällt so soll an dieser Stelle zumindest eine der ersten Studi-<br />
en zu den westdeutschen Eliten herangezogen werden. 74 Zapf interessiert die Verände-<br />
rung der Positionen innerhalb der Elite im Laufe mehrerer Jahrzehnte. Er berücksichtigt<br />
also keine auf den politischen Prozess einflussreichen Milieus, sondern interessiert sich für<br />
die Inhaber von identifizierbaren Führungspositionen, ihre Herkunft, ihren Verbleib und<br />
ihre Wechsel. Hierzu untersucht er 258 Positionen in 16 Gruppen: Zum Kern der poli-<br />
tischen Elite zählen Parlamentarier, Parteiführer und Minister. Folgende Grafik stellt ihren<br />
Verbleib in der Führunsgposition dar (Abbildung 9).<br />
gleiche Beschäftigung wie:<br />
n Gruppe vor 1933 1933-40 1940-44 1946 Verfolgung/Exil<br />
17 Kabinett 30% 0% 0% 59% 36%<br />
74<br />
Länderregierungen<br />
15% 1% 1% 32% 15%<br />
44 Parlament 18% 7% 2% 57% 29%<br />
23 CDU-Spitze 27% 0% 0% 57% 45%<br />
29 SPD-Spitze 38% 35% (Exil) 17% (Exil) 72% 68%<br />
66<br />
42<br />
Verwaltungsspitze<br />
Diplomatischer<br />
Dienst<br />
48% 60% 53% 45% 12%<br />
62% 71% 55% 0% 18%<br />
54 Generalität 62% 100% 100% 0% 6%<br />
47<br />
16<br />
19<br />
19<br />
41<br />
Wirtschaftselite<br />
Gewerkschaften<br />
Protestantische<br />
Kirche<br />
Katholische<br />
Kirche<br />
Kommunikation<br />
36% 37% 37% 33% 4%<br />
50% 0% 0% 63% 31%<br />
74% 84% 84% 100% 47%<br />
84% 95% 95% 100% 5%<br />
56% 29% 29% 56% 43%<br />
529 zusammen 43% 44% 38% 53% 23%<br />
Abbildung 9<br />
Vergangenheit von Elitegruppen in der Bundesrepublik 1956<br />
74 Zapf (1965)<br />
34
Zunächst ist ein deutlicher Unterschied der Karrierewege von politischer Elite und<br />
anderen Elitegruppen zu beobachten. Es fällt ins Auge, dass die Karrieren innerhalb der<br />
politischen Elite größtenteils nach dem Krieg begründet wurden – im Gegensatz zu Armee,<br />
Auswärtigem Dienst, Kirchen oder Teilen der Wirtschaftselite. Während etwa 1918 30%<br />
der Reichstagsparlamentarier in die neue Zeit wechselten, lag nach dem zweiten Weltkrieg<br />
der Anteil derjenigen, die vor 1933 MdR waren, bei 6%.<br />
Mit ca. 50 Jahren werden die Spitzenpositionen (im Gegensatz zur rund 10 Jahre<br />
jüngeren Nazi-Elite) relativ spät erreicht, dafür verbleiben die Funktionsträger länger an<br />
ihrer Position (im Verhältnis zur Weimarer Republik). Zudem nehme die Voraussetzung<br />
formaler Bildung als Eintrittskarte in die Führungsebene an Bedeutung zu, »ein Universi-<br />
tätsdiplom wird tendenziell zur Voraussetzung für Elitezugehörigkeit.« So haben zwei<br />
Drittel der bundesrepublikanischen Elite einen Hochschulabschluss. 75 Im Nachfolgenden<br />
die Daten zur Herkunft der Elitegruppen. 76 (Abbildung 10)<br />
soz. Schicht<br />
des Vaters ><br />
Adel<br />
obere<br />
Mittelschicht<br />
1925 1955<br />
untere<br />
Mittelschicht<br />
obere<br />
Unterschicht<br />
untere<br />
Unterschicht<br />
Adel<br />
obere<br />
Mittelschicht<br />
untere<br />
Mittelschicht<br />
obere<br />
Unterschicht<br />
Minister 2 8 3 0 0 2 8 7 3 0<br />
Länderchefs 2 4 4 2 0 1 4 5 0 1<br />
Parlamentsführer<br />
untere<br />
Unterschicht<br />
0 8 7 2 0 1 6 5 2 0<br />
Parteiführer 1 5 5 3 1 0 4 5 2 1<br />
Pol. Elite 5 25 19 7 1 4 22 22 7 2<br />
oberste Jur. 1 10 0 0 0 0 3 4 0 0<br />
Staatssekr. 1 9 4 0 0 2 12 2 0 0<br />
Botschafter 10 13 0 0 0 4 12 3 0 0<br />
Generäle 7 10 0 0 0 3 10 1 0 0<br />
Verw.elite 19 42 4 0 0 9 37 10 0 0<br />
Verb.führer 3 13 1 0 0 1 13 2 0 0<br />
Großuntern. 3 17 2 0 0 4 10 6 0 0<br />
Wirtsch.elite 6 30 3 0 0 5 23 8 0 0<br />
Gew.führer 0 1 5 3 2 0 1 1 8 2<br />
Kirchenführer 5 8 5 0 0 3 9 8 2 0<br />
Kultusmin. 3 7 5 0 0 0 8 5 1 1<br />
Chefred./Intend. 0 2 3 0 0 0 8 2 1 0<br />
insgesamt 38 115 44 10 3 21 108 56 19 5<br />
Abbildung 10<br />
Schicht-Herkunft der Eliten im vergleich 1925 zu 1955<br />
Hinsichtlich der Herkunft aus bestimmten sozialen Schichten kommen die Untersu-<br />
chungen zu dem Ergebnis, dass die tonangebende Schicht umgekehrt proportional zu ih-<br />
75 Zapf (1965); S. 176<br />
76 Zapf (1965); S. 146 (nach Modell von Edinger)<br />
35
er demografischen Größe das Bürgertum ist (wenn auch in der politischen Elite weniger<br />
dominant als in anderen Elitegruppen): »Die Unterschichten haben nur einen schmalen di-<br />
rekten Zugang zu den politischen Führungsgruppen; vor allem in der Sozialdemokratie<br />
und den Gewerkschaften existieren zwei enge Aufstiegswege für die begabtesten Vertre-<br />
ter der Arbeiterschaft. Allerdings sind die Mittelschichten in der politischen Elite, d.h. so-<br />
wohl unter den Bundestagsabgeordneten als auch unter den Bundesministern, stark<br />
vertreten; der Anteil des gehobenen Bürgertums (wie wir die gehobene Mittelschicht et-<br />
was plastischer nennen wollen) ist hier deutlich geringer als in allen Eliten, die durch eine<br />
spezifische Tradition (Generale, Wirtschaftsführer) und eine akademische Ausbildung<br />
(Verwaltung, Wissenschaft) charakterisiert sind.« 77 Eine Zusammenstellung der Daten<br />
findet man in folgender Tabelle. 78<br />
Zu ergänzen ist, dass es hier signifikante Unterschiede zwischen der Führungsebene in<br />
Bund und Land auf der einen Seite, sowie Kommunen und Landkreisen auf der anderen<br />
Seite gibt. Eine Untersuchung von Rauh-Kühne stellt fest: »Auf der unteren Ebene der<br />
Landkreise und Kommunen hingegen scheint - neueren Forschungsergebnissen zufolge-<br />
1945 eine beachtliche Zahl von 'homines novi' der Einstieg in die Politik geglückt zu<br />
sein.« 79<br />
Wir haben es nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer vor allem für die Zusammen-<br />
setzung der politischen Elite im westlichen Nachkriegsdeutschland besonderen Situation zu<br />
tun. Durch die alliierten Politiken der Entnazifizierung und des Aufbaus eines neuen staatli-<br />
chen Gefüges kamen Funktionsträger nicht in gewöhnlicher Weise ins Amt, sondern sie<br />
wurden zunächst nach 1945 ernannt und starteten von einer privilegierten Position aus in<br />
die sich neu formierenden Parteien. Bei <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> führte dieser Weg über die Er-<br />
nennung zum württembergischen Kultminister über den Vorsitz der sich neu gründenden<br />
FDP und die Herausgeberschaft der Rhein-Neckar-Zeitung zur Tätigkeit im Parlamentari-<br />
schen Rat und zur Bekleidung des Amtes des Bundespräsidenten. Bei anderen verliefen<br />
die Wege nicht so geradlinig. Adenauer etwa wurde zwar nach 1945 wieder in das Amt<br />
des Oberbürgermeisters von Köln eingesetzt, dann aber abgesetzt und setzte seine in<br />
Weimarer Zeiten begonnene politische Karriere in der neu entstehenden CDU fort. In<br />
anderen gesellschaftlichen Bereichen hingegen gibt es wesentlich mehr Kontinuität, zum<br />
Beispiel in den Verwaltungen (als besonderes Beispiel personeller Kontinuität dient in den<br />
fünfziger Jahren der auswärtige Dienst) oder in der Wirtschaft, wenn man von einigen<br />
»Entflechtungen« sehr großer Betriebe einmal absieht. Aber selbst dort nahmen nach<br />
einer Pause die alten Eliten gewöhnlich wieder vergleichbare Positionen ein.<br />
77 Zapf (1965); S. 183<br />
78 Zapf (1965); S. 181<br />
79 Rauh-Kühne (1995); S. 69<br />
36
In den politischen und publizistischen Schlüsselpositionen wurden Männer eingesetzt,<br />
die bereits auf Erfahrungen mit dem politischen System der Weimarer Republik aufzu-<br />
weisen hatten und die »unbelastet« erschienen. Pikart weist auf eine generationelle<br />
Besonderheit hin, die auch durch die Untersuchungen von Zapf bestätigt wird: »Es<br />
handelt sich meist um Personen, die in der Weimarer Zeit zu erstem größeren politischen<br />
Einfluss kamen, die den Nationalsozialismus ablehnten bzw. von ihm abgelehnt wurden,<br />
die in der nationalsozialistischen Zeit aus ihren Ämtern entfernt worden waren, teilweise<br />
emigrierten, die den Krieg überlebt hatten und nach 1945 noch einmal zu größtem und<br />
lang anhaltendem Einfluss kamen.« 80 Herzog weist jedoch darauf hin, dass dies nicht die<br />
von Laswell entwickelte These von der Existenz einer »Gegenelite« im Nationalsozialismus<br />
bestätige. Die Elitenkonfiguration bestünde vielmehr (basierend auf den Untersuchungen<br />
Edingers) aus einer »Koalition von Eliten, deren Mitglieder im Wesentlichen aus Kreisen<br />
solcher Personen kamen, die weder eindeutige Befürworter noch ausgemachte Gegner<br />
des totalitären NS-Regimes gewesen waren.« 81 Abgesehen davon, dass in den Einstel-<br />
lungen der Bevölkerung deutliche Referenzen an den Nationalsozialismus vorhanden<br />
waren, so zeigt die politische Elite, dass man nicht von einer Stunde Null sprechen kann:<br />
Zwar spielte die nationalsozialistische Verstrickung in ihren Reihen eine geringe Rolle (im<br />
Vergleich zu anderen Elitegruppen), aber natürlich wurden über das Personal Kontinuitä-<br />
ten hergestellt, wie wir sie in der Person <strong>Heuss</strong> in einer außergewöhnlichen Form sehen.<br />
Während er bereits im Kaiserreich politisch und publizistisch wirkte, hatten die meisten<br />
der Angehörigen der westdeutschen Elite ihren Berufseinstieg in der Weimarer Republik.<br />
(wenngleich der Berufseinstieg nicht gleichbedeutend mit der Elitenposition ist).<br />
Einleuchtend ist zudem, dass diese Gruppe nicht das gesamte Weimarer Spektrum re-<br />
präsentiert, es fehlen überzeugte Nationalsozialisten, diejenigen, die den Nationalsozialis-<br />
mus nicht überlebt haben und auch diejenigen, die in der sowjetischen Besatzungszone<br />
leben und sich dort am Aufbau beteiligen. Grundlage der Besatzungspolitik war zudem das<br />
Kriterium der »Zuverlässigkeit«, und dementsprechend fielen Personen heraus, die bei-<br />
spielsweise den Kommunisten nahe standen und nicht auf den »white lists« der unbelaste-<br />
ten Personen standen.<br />
Aus dieser Konfiguration erklärt sich auch das Vorhandensein eines starken bürgerli-<br />
chen Einflusses auf die Entwicklung der politischen Kultur und der Ausbildung eines<br />
minimalen Konsenses, eine marktwirtschaftliche, mit dem Sozialstaatsprinzip verbundene<br />
Ordnung anzustreben, ein stabiles Institutionengefüge in einem starken Staat zu schaffen<br />
und diesen gegen den Einfluss von Extremisten zu schützen. Dass diese Vorstellungen<br />
von herausragender Bedeutung für die Politische Kultur der Bundesrepublik sind, ist of-<br />
fensichtlich. Wenn Handelnde auch nur begrenzt vermögen, in kurzer Zeit diffuse Unter-<br />
80 Pikart (1976); S. 12<br />
81 Herzog (1982); S. 69<br />
37
stützung und generalisiertes Vertrauen in das System zu stimulieren, so haben sie doch in<br />
verschiedenen Bereichen die Möglichkeit zur effektiven Steuerung. Ein Feld ist die<br />
Verfassungspolitik und die damit verbundene Kreation staatlicher Institutionen. Ein wei-<br />
teres ist die Wirkung, die durch einfache gesetzgeberische und exekutive Tätigkeit durch<br />
rationale und zeichenpolitische Steuerung hervorgerufen wird. Zudem muss die Einfluss-<br />
nahme auf die Politische Kultur nicht unbedingt auf die Ebene der politischen Institutionen<br />
beschränkt sein: Dies kann zum Beispiel auch über Verbandsarbeit, Medien, Netzwerke<br />
oder die Kultur geschehen – über Doppelrollen oder Allianzen.<br />
Verbunden damit ist jedoch trotz aller systemischen Voraussetzungen, dass politisch<br />
Handelnde eigene Ordnungsvorstellungen durchsetzen, die gerade im Bereich symbol-<br />
hafter Politik zum Vorschein kommen. Deshalb soll es im nächsten Kapitel um diese Vor-<br />
stellungen bei <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> gehen, um seine »innere Landkarte.« Zwei Dinge werden<br />
von besonderem Interesse sein: Die Vorstellung davon, wie das Verhältnis von Bürgern zu<br />
politischem System ausgestaltet sein sollte und welche Rollen und Anforderungen sich da-<br />
raus für die politische Führung ergeben.<br />
38
3.Politische Normen bei <strong>Heuss</strong><br />
<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> ist 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, bereits 30 Jahre alt,<br />
verheiratet, Vater und ein erfolgreicher Publizist. Ab 1918 tritt er in die Geschäfts-<br />
führung des Deutschen Werkbunds ein, schreibt und gibt politische Zeitschriften heraus,<br />
wird im Nachfolgenden Kommunalpolitiker und Dozent an der neugegründeten »Hoch-<br />
schule für Politik.« Mit 40 Jahren zieht er in den Reichstag ein, wird 1928 nicht wiederge-<br />
wählt, schafft aber 1930, mit 46 Jahren, erneut den Sprung ins Parlament. Zu dem Zeit-<br />
punkt, an dem die Nationalsozialisten das Ermächtigungsgesetz zur Abstimmung stellen<br />
und <strong>Heuss</strong>' politische Karriere vorerst beendet wird, ist er bereits 49 Jahre alt. 1945, in<br />
dem Jahr, in dem er sie wieder aufnimmt, hat er bereits das sechzigste Lebensjahr über-<br />
schritten.<br />
Dies soll deutlich machen, dass <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen vom Politischen auf Tradi-<br />
tionslinien zurückgehen, die weit früher zu verorten sind als in der Nachkriegszeit. <strong>Heuss</strong><br />
ist zehn Jahre älter als der Durchschnitt der politischen Elite nach 1945. Er gehört nicht<br />
der 1890er oder 1900er Generation an. Auch verfügt er bereits über Parlamentserfah-<br />
rung: Damit gehört er zu einer Minderheit von ca 6% der Mitglieder der politischen Elite.<br />
3.1 Politische und soziale Einbettung<br />
Neben seinem Alter ist es gerade sein Habitus, mit dem er ein Modell des Bürgers verkör-<br />
pert, das in dieser Form bereits damals ungewöhnlich war. »Dass <strong>Heuss</strong> ein Bildungs-<br />
bürger war, steht außer Frage: Seine soziale Herkunft, der väterliche Bücherschrank, die<br />
schulische Laufbahn, Studium und Promotion eröffneten in geradezu prototypischer Weise<br />
eine bildungsbürgerliche Karriere.« 82<br />
Das daraus resultierende Politikermodell ist das des Honoratiorenpolitikers: »Er ver-<br />
körperte in vielem den Typus eines liberalen gebildeten Bürgers, der sich als Honoratio-<br />
renpolitiker betätigte, weil ihn sein Verantwortungsgefühl ebenso umtrieb wie das<br />
gesunde Selbstbewusstsein, dass es ohne ihn um Gemeinwesen und Staat schlechter be-<br />
82 Hertfelder (2000); S. 94<br />
39
stellt sei, als mit ihm.« 83 Dieser Politkertypus beruft sich auf seine prinzipielle Unabhän-<br />
gigkeit von der Politik. Statt des politischen Amtes konstituieren andere Bezüge die eigene<br />
Identität. Dazu gehört insbesondere eine hohe Wertschätzung kulturellen und sozialen Ka-<br />
pitals: Der Besitz von Büchern und Titeln (<strong>Heuss</strong> zum Beispiel promovierte mit 21 Jahren)<br />
wie eine breite Bildung und die Fähigkeit zur sozialen Vernetzung gehören dazu. Auch sei-<br />
ne Herkunft passt zu diesem Muster: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> ist der Sohn des Stadtbaurats von<br />
Heilbronn, seine Frau die Tochter eines bekannten Ökonomieprofessors mit breiten<br />
verwandtschaftlichen Beziehungen in die bürgerliche Elite der Zeit.<br />
Das Besondere an <strong>Heuss</strong>' beruflichem Werdegang ist, dass er sich in vielen verschie-<br />
denen Betätigungsfeldern wiederfindet: Er beginnt seine Karriere als Journalist und<br />
ergänzt diese Richtung um die Praxis als Verbandsfunktionär (Werkbund, Schutzverband<br />
der deutschen Schriftsteller), Politiker (zunächst kommunalpolitisch in Berlin, dann als<br />
MdR, MdL, Bundespräsident), Hochschuldozent (Hochschule für Politik) und Schriftsteller<br />
(zum Beispiel als Verfasser mehrerer Biografien, eines Politiklexikons und eines politik-<br />
wissenschaftlichen Lehrwerks). Dies spiegelt sich auch in der <strong>Heuss</strong>-Literatur: So gibt es<br />
keine umfassende politische <strong>Heuss</strong>-Biografie, in der er als Teil des politischen Systems in<br />
das Zentrum rückt und die gerade seine politischen Leistungen einer kritischen Bewertung<br />
unterzieht. Diejenigen, die dazu etwas beitragen könnten, wie zum Beispiel sein persönli-<br />
cher Referent Hans Bott, ziehen es oft vor, <strong>Heuss</strong> im Zweifelsfall als einen »Literaten«,<br />
»Homme de lettres« oder »Intellektuellen« zu betrachten, der auch in der Politik aktiv ist.<br />
Zweifellos liegt dies nahe, wenn man sich <strong>Heuss</strong> biografisch nähert, denn das entspricht<br />
wie beschrieben seinem Selbstbild. Sein Verhältnis zur aktiven Politik war dergestalt<br />
immer mit einer Portion Distanz versehen, er war sich der anderen lebenserfüllenden<br />
Optionen durchaus bewusst und sein politischer Ehrgeiz bestand mehr im Zugang in das<br />
informelle Zentrum darin, in den Vordergrund der parteipolitischen Auseinandersetzungen<br />
zu rücken. Hertfelder weist aber darauf hin, dass Selbstbeschreibung, Wahrnehmung<br />
wohlgesinnter Biografen und Realität nicht unbedingt kongruent sein müssen. »<strong>Heuss</strong><br />
agierte in den Jahren 1918 bis 1933 keineswegs aus einem autonomen intellektuellen Feld<br />
heraus. Durch seine Verbandstätigkeit und sein Mandat für die DDP war seine Position von<br />
Anfang n i c h t die des 'freischwebenden' Intellektuellen.« 84<br />
▌ Naumann-Kreis<br />
In äußerst engem Kontakt steht <strong>Heuss</strong> seit 1902 zu den Ideen des Kreises um Fried-<br />
rich Naumann. Schnell gehört <strong>Heuss</strong> zum inneren Zentrum des so genannten Naumann-<br />
Kreises. 85 Das Beispiel von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und Elly Knapp illustriert die Mischung aus per-<br />
83 Möller (1990); S. 12<br />
84 Hertfelder (2000); S. 101<br />
40
sönlicher, beruflicher und politischer Bindung zu Naumann. 86 Naumann war weniger<br />
Parteiorganisator als charismatischer Kopf und Reformer innerhalb eines bürgerlich-pro-<br />
testantischen aufgeklärten Milieus, bis 1896 zunächst mit einer eher christlich-sozialen<br />
Grundtendenz. Im Folgenden trennt er insbesondere dank des Einflusses Max Webers Re-<br />
ligiosität und Politik und nun übernimmt die »Nation« die Aufgabe der Integration der<br />
Klassen. <strong>Heuss</strong> sieht darin 1919 eine »Befreiung von Marx«: »Ihm [Naumann] war deut-<br />
lich: dass der Sozialismus, sol er eine höhere Form der wirtschaftlichen Arbeit und der so-<br />
zialen Gemeinschaft sein, der nationalen Begrenzung und der ethischen Führung und<br />
Zielsetzung bedürftig ist.« 87<br />
Naumann gründet den Nationalsozialen Verein, der später mit der Freisinnigen Vereini-<br />
gung fusionierte. 1907 gelang ihm vermittelt über den jungen <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> der Gewinn<br />
eines Direktmandats in Heilbronn und der Einzug in den Reichstag. Ab 1910 arbeitet er in<br />
der neu als liberale Sammlungspartei gegründeten »Fortschrittliche Volkspartei« mit und<br />
sitzt für diese Partei bis 1918 im Reichstag. Der Einfluss Naumanns und seiner Anhänger<br />
war parteipolitisch weniger bedeutend. Intellektuell hingegen lieferte das Netzwerk<br />
wichtige Impulse und war in der Lage Einfluss zu nehmen. Eine zentrale Rolle übernimmt<br />
hierbei nicht die Parteiorganisation sondern andere Arten der Bindung.<br />
Dazu gehört ein Netz karitativer Aktivitäten, etwa im Bereich der Volksbildung, in dem<br />
sich beispielsweise Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp in besonderer Weise engagiert. Diese Organisationen<br />
und Zusammenschlüsse waren freilich keine politischen Vorfeldorganisationen mit Massen-<br />
wirkung, sondern entsprangen eher dem Engagement kleiner aber in ihrem Einfluss nicht<br />
unbedeutender Gruppen.<br />
Ein weiteres Beispiel für von Naumann inspirierte Institutionen ist der Deutsche Werk-<br />
bund, eine Institution, die sich die Propagierung eines modernen Kulturbegriffs zur Aufga-<br />
be gemacht hat und der sich <strong>Heuss</strong> seit der Gründung 1907 verbunden fühlt - bald als<br />
Mitglied, 1918 bis 1921 in dessen Geschäftsführung und bis 1933 im Vorstand. Die Ver-<br />
bindung von Sozialem, Kultur und Politik im Sinne eines umfangreichen gesellschaftlichen<br />
Reformprogramms ist charakteristisch für den Kreis um Naumann. <strong>Heuss</strong> formuliert dies<br />
1955 mit Blick auf seine eigene Biografie: »Gegenüber der Verstädterung der Massen, der<br />
Typisierung des bürgerlichen Lebens, den erstarrten oder verstaubten Konventionen der<br />
gesellschaftlichen Formenwelt, in all diesen verschiedenen Stufen meldete sich bei uns<br />
eine unmittelbare Gegenhaltung, als vor 50 Jahren eine neue Jugendbewegung aufbrach,<br />
85 vgl Krey (2000); S. 78ff. Sie geht von insgesamt 170 Personen im Zentrum des Kreises aus, ca 750<br />
Multiplikatoren und 1772 Rezipienten.<br />
86 z.B. Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 6.3.56: S. 154<br />
87 Dahrendorf/Vogt (1984); Friedrich Naumann zum Gedächtnis; S. 112<br />
41
sie wollte bewusst etwas wie einen neuen Lebensstil formen, der auch sein politisches<br />
Gewicht bekommen würde.« 88<br />
Auch in seinen publizistischen Aktivitäten ist der Naumannsche Liberalismus nicht un-<br />
bedeutend, wenn auch »Bedeutung« nicht mit »Massenwirkung« gleichzusetzen ist. Ein<br />
Beispiel ist die kleine aber einflussreiche Zeitschrift »Hilfe.« Für <strong>Heuss</strong> ist die Hilfe eine<br />
wichtige Station seines Berufslebens: »Als junger Redakteur der 'Hilfe' und enger Mit-<br />
arbeiter Naumanns saß <strong>Heuss</strong> überdies an einem zentralen Knotenpunkt des eher in-<br />
formellen Kommunikationsnetzes der Links- bzw. Sozialliberalen.« 89<br />
Der Karriereweg von <strong>Heuss</strong> erklärt sich daraus, dass die informelle und kommunikative<br />
Struktur des liberalen Beziehungsgeflechts seinem Wesen als Kommunikator entgegen-<br />
kamen. »Dem öffentlichen Manifest zog <strong>Heuss</strong> die Beteiligung an informellen Diskussions-<br />
zirkeln vor. So begegnen wir ihm am Vorabend des ersten Weltkriegs zuweilen als Teil-<br />
nehmer am sonntäglichen 'Jour' im Hause Max Weber, 1917 als Debattenredner in der<br />
berühmten Pfingsttagung auf Burg Lauenstein, zu Beginn der Weimarer Republik als<br />
jüngsten Gast der Hans-Delbrück-Abende in Berlin, sodann zwischen 1926 und 1933 im<br />
so genannten Dienstags-Kreis, der Gustav Stolper, Kurt Rietzler und Bernhard v. Bülow<br />
mit höheren Beamten des Auswärtigen Amtes zum allwöchentlichen politischen Meinungs-<br />
austausch zusammenführte.« 90 Zudem sucht er nicht die Abgrenzung zu den ton-<br />
angebenden Persönlichkeiten, sondern den Kontakt, der über rein politische Bindungen<br />
hinausgeht. Hertfelder nennt seinen Doktorvater, den Nationalökonomen Lujo von Brenta-<br />
no, Friedrich Naumann und den Vater seiner Frau Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp die drei »Vaterfigu-<br />
ren« in seinem Leben.<br />
Dieses politisch-soziale Umfeld, in dem sich <strong>Heuss</strong> bewegte, hat zweifellos eine exklu-<br />
sive Komponente. Es ist elitär, weil Bildung die zentrale Exklusionsressource ist. In der<br />
Selbstbeschreibung wird dies jedoch ins Gegenteilige umgedeutet. Demnach wirkt ein zi-<br />
vilreligiös aufgeladener Individualitäts- und Bürgerbegriff »inklusiv.« Dies grenzt sein Um-<br />
feld von der Mehrheit eines sich ständisch definierenden Bürgertum ab. Zudem sorgt ein<br />
kulturhegemoniales Geschichtsbild dafür, »evolutionistisch auf die eigene Sozialgruppe«<br />
(Hübinger) zuzulaufen. Überspitzt gesagt: Eine demokratische Geschichte Deutschlands<br />
lässt sich aus dieser Perspektive als eine Geschichte des liberalen Bürgertums lesen oder<br />
so, wie <strong>Heuss</strong> in Bezug zu seiner Familientradition auch eines seiner Bücher nannte:<br />
»1848 – Auftrag und Erbe.« <strong>Heuss</strong> sieht sich als einen Menschen, »in dessen Kinderstube<br />
noch als Familienlegende der politische Sturm von 1848, wenn freilich zu einem Abend-<br />
wind gelindert« 91 als positiver Bezugspunkt vermittelt wurde.<br />
88 Felder (1995); Formkräfte einer politischen Stilbildung; Rede am 02.05.1952; S. 313<br />
89 Hertfelder (2000); S. 95<br />
90 Hertfelder (2000); S. 105<br />
91 <strong>Heuss</strong> (1960); S. 23<br />
42
Wenn auch die Ausweitung des Naumann-Kreises in den gesellschaftlichen Bereich et-<br />
was anderes vermuten lassen würde, richten sich die politischen Vorstellungen auf den<br />
Staat und weniger auf die Gesellschaft: »Die religiös-politischen Ordnungsvorstellungen<br />
des liberalen Protestantismus sind primär staats- und weniger gesellschaftsbezogen. Aber<br />
die dezidiert zivilreligiöse Grundhaltung produzierte eine eigentümliche Dialektik von<br />
Staatsnähe und Staatsferne.« 92<br />
▌ Volksstaat und Kaisertum<br />
Innenpolitisch bewegt sich der Naumann-Kreis im Spannungsfeld von Nationalismus<br />
und Sozialreform: Auf der einen Seite die Unterstützung eines deutschen Imperialismus,<br />
auf der anderen Seite die Forcierung innerer Demokratisierung. »Nation und nationaler<br />
Machtstaat fielen für sie zusammen, und das Nationale war beiden oberster Wert, bei We-<br />
ber gesteigert zu einer Art säkularen Glaubens, zum Glauben an Deutschland (W.J. Mom-<br />
msen), aber an ein erneuertes Deutschland, stark nach außen und politisch und sozial re-<br />
formfähig nach innen.« 93 Nach Naumanns Vorstellungen sollten diese Reformen im<br />
Bündnis von Linksliberalen und Sozialdemokratie getragen werden, im »Block von<br />
Bassermann bis Bebel« als einer breiten sozialen und politischen Bewegung. Noch 1918<br />
schreibt er den flammenden Appell: »Noch ist es möglich. Jetzt können sich Kaiser und<br />
Masse verstehen, jetzt kann neben dem zerbrechenden Russland unser deutsches Volk<br />
zeigen, welche höhere geschichtliche Einsicht und praktische Vernunft ihm gegeben ist.<br />
Die Vorbereitungen sind vorhanden, der Wille zum Volksstaat regt sich, der Nationalgeist<br />
ist lebendig, und der Kaiser ist umflutet von seinem Heer, das aus deutschen Söhnen be-<br />
steht, aus deutschen Bürgern. Im Volksstaat ist er groß und sicher, im Volksstaat reift das<br />
Werk seiner und unserer Ahnen.« 94 Das Schicksal dieser Vorstellungen war, dass das<br />
Kaisertum weder zu retten gewesen ist noch dass dem Kaiser daran gelegen war, die ihm<br />
von Naumann und Weber zugewiesene Verantwortung zu übernehmen. Dies zu erkennen,<br />
gelang Naumann relativ spät. Nach Kapitulation und Revolution beteiligte sich Naumann<br />
am Verfassungsgebungsprozess und wurde in die Nationalversammlung gewählt. Weiteren<br />
Einfluss als seine Person nahmen jedoch seine Ideen auf die politischen Geschicke der<br />
Weimarer Republik. Bereits 1919 starb Naumann im Alter von 59 Jahren.<br />
▌ Mitteleuropa<br />
Außenpolitisch besteht Naumanns Programm in einem kultur- und wirtschaftshegemo-<br />
nial um die Großdeutsche Lösung herumgruppiertes »Mitteleuropa.« Unter deutscher Vor-<br />
92 Hübinger (2000a); S. 120<br />
93 Langewiesche (1988); S. 221<br />
94 Naumann (1917); S. 56<br />
43
herrschaft wollte er einen gemeinsamen Raum schaffen. Diesbezüglich ist es auch nicht<br />
verwunderlich, dass das Buch auch in kaiserlichen Regierungskreisen eine freundliche Auf-<br />
nahme fand. <strong>Heuss</strong> relativiert später übrigens die imperiale Stoßrichtung des Werks in<br />
einem Vortrag vor französischem Publikum: »Später, während des Ersten Weltkrieges,<br />
wurde mit den Missverständnissen, die während eines Existenzkrieges zwar nicht<br />
erwünscht, so doch verständlich sind, Naumanns Werk 'Mitteleuropa' ins Französische und<br />
Englische übersetzt und als Dokument des 'deutschen Imperialismus' gedeutet, während<br />
das Werk, ich kann es aus persönlichen Gesprächen bezeugen, die Rückzugslinie deut-<br />
scher Politik aus außereuropäischen Aspirationen darstellte.« 95 Den <strong>Heuss</strong>'schen Re-<br />
lativierungen des Konzepts ungeachtet, erklärt diese Idee, warum <strong>Heuss</strong> zunächst auch<br />
die deutsche Kriegsführung unterstützte. Einen Wendepunkt markiert die so genannte<br />
Lauenstein-Tagung, die insbesondere Max Weber durch seine harsche Kritik an der Refor-<br />
munfähigkeit des Kaisertums prägte. Diese Tagung kennzeichnet denn auch den Übergang<br />
des Naumannschen Liberalismus in eine staatstragende Rolle in den letzten Monaten des<br />
Kaiserreichs und in der frühen Weimarer Republik.<br />
▌ Im Netzwerk des Liberalismus in Weimar<br />
In der Weimarer Zeit organisierte sich die Anhängerschaft Naumanns in der Deutschen<br />
Demokratischen Partei, einer laizistischen, republikanisch und sozial-marktwirtschaftlich<br />
organisierten Partei. Großen Einfluss hatte sie auf den Verfassungsprozess 1918/19 in<br />
Gestalt ihrer Mitglieder Hugo Preuß, Conrad Haußmann und Friedrich Naumann. Ihr par-<br />
lamentarischer Einfluss sank jedoch im Laufe der Weimarer Jahre, da sie es weder<br />
vermochte, ihre Wählerschaft zu stabilisieren, noch eine breite Mitgliedschaft zu binden.<br />
Ihr mit Abstand bestes Wahlergebnis erzielte sie denn auch 1919 mit 18,5% der<br />
Stimmen. Die DDP, deren erster Vorsitzender Naumann kurz gewesen ist, tritt die Erb-<br />
folge seiner Ideen an und bildet einen wichtigen Kristallisationskern für den um ihn grup-<br />
pierten Kreis. <strong>Heuss</strong> bewirbt sich um ein Reichstagsmandat, wird aber wenig aussichts-<br />
reich platziert.<br />
Auch nach Naumanns Tod taugte die alte Idee des »national plus sozial« als Integra-<br />
tionsideologie, wie Mommsen illustriert: »Und dieses staatliche nationale Denken muss<br />
eine Ergänzung in dem wahrhaft sozialen Gedanken finden, der jedes klassenmäßige Den-<br />
ken überwindet und in jedem Staatsbürger in erster Linie den deutschen Volksgenossen<br />
sieht über alle politischen und sozialen Gegensätze hinweg.« 96 <strong>Heuss</strong>, 1924 in den Reichs-<br />
tag gewählt, betätigte sich in erster Linie auf dem Feld der Kulturpolitik. In seiner ersten<br />
Legislaturperiode erregte er vor allem durch den Konflikt Aufsehen, in den er mit seiner<br />
Rolle als Vorsitzender des »Schutzverbandes deutscher Schriftsteller« geriet, als er sich<br />
95 <strong>Heuss</strong> (1960); S. 18<br />
96 Wilhelm Mommsen zit. nach Langewiesche (1988); S. 266<br />
44
1926 stark für ein »Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund und Schmutzschriften«<br />
im Reichstag einsetzte 97 Im November 1926 legte er dieses Amt nieder.<br />
Schwierig gestaltet sich in dieser Zeit das Verhältnis der liberalen Parteien zueinander.<br />
Zudem ist die Weimarer Zeit von einer Volatilität geprägt, die aus der Mitte des Parteien-<br />
systems an die Ränder führte. Die DDP erlitt das Schicksal, zwar zu den Stützen der<br />
Weimarer Republik gehört zu haben, aber gleichzeitig immer weiter an Einfluss zu ver-<br />
lieren: Ihre Wählerbasis erodierte bis zum Ende hin fast völlig weg. Gleichwohl war sie<br />
und ihre Nachfolgerin, die Deutsche Staatspartei bis 1932 fast ununterbrochen an der Re-<br />
gierung beteiligt. Ihre Heterogenität konnte nur mühsam zusammengefasst werden: »Um<br />
die materiellen Interessengegensätze nicht aus der Integrationsformel 'Staats- und<br />
Verfassungspartei' ausbrechen zu lassen, war die DDP gezwungen, in Fragen der Wirt-<br />
schafts- und Sozialpolitik selbst in zentralen Bereichen gegensätzliche Meinungen und Ab-<br />
stimmungen zuzulassen.« 98 1930 wird <strong>Heuss</strong> wieder in den Reichstag gewählt und wird<br />
Fraktionsgeschäftsführer der Deutschen Staatspartei (die Fusion der DDP mit dem »Jung-<br />
deutschen Orden«), die allerdings nur noch wenig Gestaltungsmöglichkeiten hatte.<br />
Neben den Parteien sei hier auch die »Hochschule für Politik« als Teil des liberalen<br />
Netzwerks erwähnt. Auf die Anregung Naumanns zurückgehend, durch Unterstützung des<br />
Industriellen Robert Bosch ermöglicht, wurde in der ehemaligen Bauakademie in Berlin-<br />
Mitte die deutsche Politikwissenschaft im Sinne eines interdisziplinären an die Praxis zu-<br />
rückgebundenen Ansatzes erfunden: <strong>Heuss</strong> war dort 1920-24 Studienleiter und bis 1933<br />
Dozent. Obgleich diese Einrichtung überparteilich konzipiert wurde und nur in einem Punkt<br />
ideologisch determiniert war – sie stellte sich in den Dienst der Demokratie – sind Demo-<br />
kraten und Anhänger Naumanns hier äußerst einflussreich.<br />
Ein weiterer wichtiger Pfeiler des linksliberalen Milieus ist die politische und kulturelle<br />
Publizistik. Zu nennen sind hier an Tagespresse die Vossische Zeitung, das Berliner Tage-<br />
blatt oder auch die Frankfurter Zeitung. Weniger auflagenstark, dafür aber einflussreich<br />
sind verschiedene politisch-kulturelle Zeitschriften. <strong>Heuss</strong> betätigt sich unter anderem in<br />
den Blättern »Deutsche Politik« und »Deutsche Nation« oder schreibt für Zeitungen. Ab<br />
1932 gibt er die »Hilfe« heraus und behält dies Position bis 1936.<br />
▌ Linksliberale Ideen nach 1945<br />
Nach 1945 werden einige der Gedanken aus dem liberalen Milieu anschlussfähig. An<br />
erster Stelle ist hierbei an den rationalen, sich sowohl gegen völkische als auch revolutio-<br />
näre Romantisierung wendenden Politikbegriff zu denken. Rudolph schreibt im Hinblick auf<br />
die »Väter des Grundgesetzes«, sie seien, »wie <strong>Heuss</strong> formulierte, durch die 'Schule der<br />
97 Huber (1984); S. 600<br />
98 Langewiesche (1988); S. 268<br />
45
Skepsis' gegangen.« 99 Auch das um den Staat herum arrangierte, sich auf Repräsentativi-<br />
tät stützende Staatsverständnis kann man wiederfinden, insbesondere im institutionellen<br />
Design des Grundgesetzes. Zu denken ist auch an die Vorstellung vom friedlichen sozialen<br />
Ausgleich, die nicht von einer Umverteilung der Besitzverhältnisse ausgeht, sondern deren<br />
Leitbild die »Verbürgerlichung« breiter Bevölkerungsteile ist. Was Kirchheimer 1930 über<br />
Naumanns Vermächtnis sagte, kann deshalb gerade nach 1945 gelten: »Die Idee des so-<br />
zialen Staates war es, die Naumann dem Individualismus der liberalen Grundrechte und<br />
dem sozialistischen Willen der Arbeiterschaft entgegenstellte.« 100<br />
Wenn auch der Einfluss der Liberalen im Gegensatz zu 1919 institutionell eher gering<br />
war, so kann man die westdeutsche Staatswerdung doch als ein Diffundieren liberaler<br />
Vorstellungen begreifen. »Obwohl Friedrich Naumann kurz vor seinem Tode 1919 zum<br />
ersten Parteivorsitzenden der DDP gewählt wurde, blieb sein Einfluss auf die praktische<br />
Politik seiner Partei gering. [...] Bei der Wiedergründung liberaler Parteiorganisationen<br />
nach 1945 spielten die Ideen Naumanns dann jedoch eine große Rolle.« 101 Dabei ist der<br />
Liberalismus parteipolitisch ein kleiner Akteur – wesentlicher wirkt er auf die Entwicklung<br />
der Bundesrepublik als ein liberales Paradigma, das in andere parteipolitische Richtungen<br />
diffundierte: »Mit der Bundesrepublik Deutschland hat sich erstmals in der deutschen Ge-<br />
schichte ein Staat entwickelt, dessen Bevölkerung mehrheitlich Liberalität als ein Ensem-<br />
ble politischer sozialer und kultureller Werte zu akzeptieren gelernt hat und dessen In-<br />
stitutionen liberalen Normen verpflichtet sind.« 102<br />
3.2 Formkraft eines demokratischen Stils<br />
<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> hat den Begriff der »politischen Kultur« zwar nicht gekannt, gleichwohl<br />
hatte er Vorstellungen, wie die Bindung zwischen Bürger und Politik gestaltet sein soll be-<br />
ziehungsweise wie ein Politiker Politik gestalten sollte. Sehr nahe daran kommt die von<br />
<strong>Heuss</strong> verwendete Vokabel des »Stils.« So handelt eine seiner wichtigsten Reden 1952<br />
von den »Formkräften einer politischen Stilbildung.« Hiermit ist eine grundlegende Konfi-<br />
guration der Staatlichkeit gemeint, »Stil« wird weder normativ benutzt noch bezieht er<br />
sich auf Personen. <strong>Heuss</strong> meint damit Aspekte des Institutionendesigns (Gewaltenteilung/<br />
Checks und Balances/ Wahlrecht/ Parteiensystem), die Art der Partizipation und Iden-<br />
tifikation (Unterordnung/ Loyalität/ Aktivität) beziehungsweise die persönlichen oder sys-<br />
99 Rudolph (2000); S. 24<br />
100 Otto Kirchheimer (1930): Weimar - und was dann? Analyse einer Verfassung«; zit. nach Llanque; S.<br />
146<br />
101 Dittberner (2005); S. 31<br />
102 Langewiesche (1988); S. 287<br />
46
temischen Einflüsse. Ein demokratischer Stil ist demnach etwas Ähnliches wie »Civic<br />
Culture«, die in der »Bürgergesellschaft« vorkommende spezielle Konfiguration von Ein-<br />
stellungen, Institutionen und Akteuren.<br />
Dieser Stil ist nach <strong>Heuss</strong> nicht nur eine politische Wunschvorstellung, sondern gerade<br />
auch eine empirische (ökonomisch-kulturelle) Tatsache, die alte Naumannsche Träume<br />
wahr werden lässt: »Was Reinhold Mayer mir in seinen grundsätzlichen Erörterungen<br />
falsch zu machen scheint, ist dies, dass er oft geneigt ist, Arbeiterschaft und Sozial-<br />
demokratie gleichzusetzen. Nach meinem Gefühl stellt sich die soziologische Struktur der<br />
Gegenwart wesentlich anders dar. In der Arbeiterschaft ist längst im Gange, was ich<br />
schon vor Jahren einmal den 'Verbürgerlichungsprozess' genannt habe.« 103<br />
▌ Zentralität der Bürgergesinnung<br />
Die zentrale Quelle der politischen Legitimation ist bei <strong>Heuss</strong> die »Bürgergesinnung«:<br />
»Gibt es aus der freien Bürgergesinnung, die die aktuelle Legitimierung dieses Staats sein<br />
soll und alleine sein kann, die Möglichkeit, eine Formkraft zu entwickeln, dass sie ihren<br />
'Stil' gestalte?« 104 Interessant ist hier eine Nähe der bei <strong>Heuss</strong> gefundenen Konzeption<br />
politischer »Form« zu der, die man in einer Schrift von Max Weber aus dem Jahr 1918 fin-<br />
det: »Die Entwicklung einer wirklich vornehmen und zugleich dem bürgerlichen Charakter<br />
der sozial maßgebenden Schichten angemessenen 'deutschen Form' liegt jedenfalls noch<br />
im Schoß der Zukunft.« 105 Bürgersinn übernimmt zwei Funktionen im Bereich des Metapo-<br />
litischen: zum einen die Unterstützung des Politischen durch die Gabe von Legitimation,<br />
zum anderen durch die Entfaltung von »Formkraft.« Diejenigen, die diese Formkraft ent-<br />
falten sollen, sind die Bürger.<br />
▌ Ehrenamt als Auslesestelle<br />
Den Personen, die diesen Bürgersinn tragen, macht <strong>Heuss</strong> die Bereitschaft zum<br />
»Ehrenamt« zur Aufgabe und Lust: »Demokratie lebt nur aus dem Ehrenamt und nicht<br />
bloß im kommunalen Bereich.« Es hat vor allem die Funktion der Auslese derjenigen, die<br />
für verantwortungsvolle Positionen in Frage kommen: An einer Stelle spricht <strong>Heuss</strong> davon,<br />
dass »das gemeindliche und andere Ehrenamt als Auslesestelle der Bewährungen« zu be-<br />
trachten sei. 106 An anderer Stelle diskutiert er den Ehrenamtsbegriff in Bezug zum von<br />
ihm ungern benutzten Begriff »Elite«: »Das 'Ehrenamt' als Gerüst der Demokratie zu pre-<br />
digen, ist seit Jahrzehnten mein 'Hobby', doch immer mit der Korrektur des Begriffs 'Elite',<br />
103 Henning (1983); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Thomas Dehler vom 25.11.1952; S. 85<br />
104 Dahrendorf/Vogt (1984); Formkräfte der politischen Stilbildung; S. 219<br />
105 Weber (1918); S. 41; Weber (1999); S. 315<br />
106 Pikart (1970); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 24.10.1958; S.358<br />
47
zumal die SS unter diesen Firmentitel gestellt wurde.« 107 Bereits 1926 findet man dies als<br />
eine Konzeption: »In solchem Sinn ist die Durchsetzung und Gliederung der Nation durch<br />
die vielfältigen Selbstverwaltungen nicht nur ein System zur Erweckung des Gemeinsinns,<br />
der an das Nahe, Kleine sich bindet, um dadurch in das Große zu wirken, sondern sie ist<br />
auch das Werkzeug der Auslese, die von unten nach oben drängt und den sozialen Kreis-<br />
lauf mit immer neuen Kräften stärkt und erhält.« 108<br />
Hannah Arendt weist <strong>Heuss</strong> auf den oligarchischen Charakter der meritorischen Aus-<br />
lese hin: »Von unmittelbar praktischer Bedeutung, und zwar von sehr großer, scheint mir<br />
vor allem Ihr Begriff des 'Ehrenamtes'[...]. Damit geben Sie der Demokratie eine im<br />
Grunde aristokratische Einrichtung, ohne die sie aber gerade im Massenzeitalter nicht aus-<br />
kommen wird.« 109 Mit der Forderung nach einer derartigen Elite wird ein repräsentatives<br />
Element in die Politische Kultur eingeführt und mit Sternberger kann geschlussfolgert<br />
werden, dass das Zusammenspiel von oligarchischen Elementen und demokratischen<br />
Elementen Politische Kulturen speziell macht: »Es gibt keine Demokratie ohne Oligarchie.<br />
Alles kommt darauf an, das freie Zusammenspiel und Widerspiel der Grundkräfte des<br />
verfassungsstaatlichen Lebensprozesses zu ermöglichen, diese Möglichkeit zu erhalten<br />
und dort, wo sie versperrt ist, auf Mittel des Ausgleichs zu sinnen.« 110 Der Verfassung ob-<br />
liegt nun die Aufgabe, beide Prinzipien angemessen zu mischen. 111 Zudem erfahren wir<br />
etwas über die Auswahlkriterien, nach denen diese Aristokratie der Bürgergesinnung aus-<br />
gewählt werden soll. <strong>Heuss</strong> ist originell, weil er die Auslese im Wesentlichen durch die Ak-<br />
tivität der Minderheit selbst vollziehen lässt. Die Elite ist mit Arendts Worten »self-ap-<br />
pointed, aber nur in dem Sinne, dass sie sich dadurch von der Masse aussondern würde,<br />
dass sie ihre Lebensideale, die prinzipiell unpolitisch sind, nicht teilt.« 112<br />
▌ Ehrenamt, Altruismus und Staat<br />
Wenn man diesen letzten Satz mit dem Schwerpunkt auf den »Lebensidealen« liest,<br />
wird »Bürgergesinnung« auf die altruistische Dimension der ehrenamtlichen Arbeit redu-<br />
ziert. Die auch egoistisch deutbaren Motivationen werden ignoriert: sei es das Interesse<br />
107 Pikart (1970); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 28.11.1958 ; S. 371<br />
108 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 146<br />
109 Hannah Arendt an <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Hannah Arendt an <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Brief vom 26.10.1958; The<br />
Hannah Arendt Papers at the Library of Congress; http://memory.loc.gov/ammem/arendthtml/<br />
arendthome.html; Brief vom 26.10.1958 (zur Entstehungsgeschichte: <strong>Heuss</strong> an Stolper vom<br />
27.09.1958 und am 2.10.1958 in Pikart (1970); S. 344, S. 346)<br />
110 Sternberger (1986); S. 349<br />
111 Sternberger (1986); S. 330<br />
112 Hannah Arendt an <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Brief vom 26.10.1958; The Hannah Arendt Papers at the Library<br />
of Congress; http://memory.loc.gov/ammem/arendthtml/arendthome.html<br />
48
daran, etwas zu schaffen, das man später nutzen kann, sei es die Erlangung eines kompa-<br />
rativen Vorteils durch Wissensvorsprung oder Kontakte. Gefordert wird stattdessen ein<br />
demokratisches Ethos, »dass der Gemeinschaft Rat, Hingabe, Verantwortung geleistet<br />
wird, ohne dass sich dies in einem Geldanspruch wiederfindet.« 113 Gerade hier tritt der zi-<br />
vilreligiöse Charakter der »Bürgergesinnung« deutlich hervor: Die Ehre zu haben, ein Amt<br />
zu bekleiden, ist demzufolge ein Dienst an der Gemeinschaft. Die freiwillige Arbeit in<br />
Gesellschaft und Staat ist »Heimat und Nährboden eines demokratischen Lebensstils,<br />
nicht die Büros, in denen man Befehle oder Anweisungen entwirft oder empfängt oder<br />
weitergibt.« 114 Wenn dies auch zeigt, dass vor allem die Wohlfahrtsverbände eine in-<br />
termediäre Rolle zwischen Staat und Individuum übernehmen, so hat Ehrenamt <strong>Heuss</strong> zu-<br />
folge seine Wurzel im Politischen. In diesem Zusammenhang beruft sich <strong>Heuss</strong> immer<br />
wieder auf den Freiherren von und zum Stein: Dieser habe mit seinen (staatlichen) Re-<br />
formen »das moralische Grundelement der Demokratie staatspolitisch erst recht be-<br />
gründet.« 115 Das Steinsche Ehrenamt ist, wie Sachße betont, »seinem Ursprung nach ad-<br />
ministrativ, d.h. es war 'Amt ' im Sinne der Ausübung öffentlicher Gewalt.« 116 Demzufolge<br />
wird deutlich, dass <strong>Heuss</strong>' Ehrenamtsbegriff staatszentrierter als etwa der des »sozialen<br />
Engagements« ist (mit dem man etwa seine Frau Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp in Verbindung sehen<br />
könnte).<br />
Das <strong>Heuss</strong>'sche Konzept vom meritokratischen Ehrenamt entfaltet mehr Wirkung in<br />
der Entfaltung eines bürgerlichen Idealismus, als dass es empirisch Wirklichkeit beschrei-<br />
ben würde. Zwar dient es der horizontalen Integration, wenn Menschen aller Schichten in<br />
Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz eingebunden sind oder im Rahmen einer<br />
politischen Partei oder der Gemeinde mitarbeiten. Empirische Untersuchungen haben je-<br />
doch schon immer feststellen können, dass das »Gesetz der Oligarchie« auch für gesell-<br />
schaftliche Institutionen und ihre Führungsauslese Anwendung findet. Zudem sorgt die<br />
Ungleichverteilung von symbolischen, kulturellen und ökonomischen Kapital für Asymme-<br />
trien bei den Gestaltungschancen, die bei <strong>Heuss</strong> jedoch ausgeblendet werden.<br />
Neben den freiwilligen Ämtern besteht dem Staat gegenüber auch die Ehrenpflicht in<br />
Gestalt der Wehrpflicht. Eine Wehrpflichtarmee ist nach <strong>Heuss</strong> nicht nur »legitimes Kind<br />
der Demokratie«, sondern auch eine der wichtigsten »stilbildenden« Institutionen. Dies<br />
deshalb, weil sie einen »ganz elementaren Pflichtsinn« 117 wecken würde, der eine über<br />
den Dienst hinaus reichende allumfassende Bindung zwischen Wehrpflichtigen und Staat<br />
113 <strong>Heuss</strong> (1921); S. 11<br />
114 Felder (1995); S. 316<br />
115 Puknus (1964); Freiherr vom Stein; Rede am 12. Februar 1951 in Nassau , S. 11;<br />
116 Sachße (2002); S. 24<br />
117 Dahrendorf/Vogt (1984); Soldatentum in unsrer Zeit; S. 490<br />
49
schafft. Vor Augen stand ihm eine an Jean Jaurès und Hans Delbrück 118 angelehnte Kon-<br />
zeption eines demokratischen Heers, »'das neue Heer', d.h. das demokratische, zugleich<br />
geistig durchgeschulte Heer.« 119 Eine wichtige Rolle spielt diese Vorstellung bei der De-<br />
batte um die Wiederbewaffnung, auf die wir noch eingehen werden. Bei <strong>Heuss</strong> steht vor<br />
allem der Gedanke der Prägung demokratischen Stils über die Schaffung militärischer Ge-<br />
meinschaft im Vordergrund. Gar nicht thematisiert wird hingegen die Frage, welche Legi-<br />
timation der Staat besitzt, in derart grundsätzlicher Weise den Rechtskreis des Bürgers<br />
beschränken zu dürfen und woraus sich der Prägungsanspruch speisen kann. Wenn diese<br />
Fragestellung für jemanden relevant sein dürfte, der das Politische nicht vom Staat her<br />
denkt, so wird auch deutlich, dass <strong>Heuss</strong> den Sinn der Frage nicht verstehen würde: Die<br />
Legitimation liegt seiner Auffassung nach bereits in der Existenz eines Staats begründet.<br />
▌ Bürgergesinnung statt Partizipation<br />
Der Gestaltungsraum des Bürgersinns ist vorrangig der Staat mit seinen repräsentativ<br />
konstruierten Institutionen. Im Gegensatz etwa zu Anhängern partizipativer Vorstellungen<br />
hegt <strong>Heuss</strong> ein Misstrauen gegenüber direkten oder unkonventionellen Beteiligungs-<br />
formen. Im Parlamentarischen Rat tätigte er die berühmt gewordene Äußerung, dass<br />
diese Elemente eine »Prämie für jeden Demagogen« seien. Prinzipiell konzediert er gleich-<br />
wohl, dass es erfolgreiche mit Elementen der direkten Demokratie verfasste Systeme gibt<br />
(Schweiz) und dass diese auch in der Übersichtlichkeit lokaler Selbstverwaltung positive<br />
Ergebnisse zeitigen können. Für Deutschland jedoch lehnt er sie als Möglichkeit katego-<br />
risch ab, weil »ein wachsender industrieller Massenstaat eine andere Situation darbietet<br />
als ein geschichtlich gewachsener, doch in Tradition bäuerlich-bürgerlich bestimmter.« 120<br />
Prinzipiell stellt er an direktdemokratische Modelle sehr hohe Anforderungen. Seiner An-<br />
sicht nach ist das politisch kulturelle Institutionengerüst so zu konstruieren, dass reprä-<br />
sentative Sicherheitsstufen in den Willensbildungsprozess eingebaut werden, weil man<br />
eine »Überforderung des Abstimmenden« annimmt oder aber ihm misstraut: Der<br />
Parlamentarische Rat hat demnach aus dem Wissen heraus gehandelt, »wie die primitive<br />
Demagogie in einem von Kriegsfolgen entwurzelten und zerstörten Volke zur Staatsgefahr<br />
werden kann.« 121<br />
Doch nicht die Erfahrung des Nationalsozialismus, sondern eine prinzipiell repräsenta-<br />
tiv denkende etatistische Denktradition steht hinter dieser Ablehnung: Der Staat muss<br />
demnach zuerst geschützt werden, seine Stabilität gewährleistet sein: Hertfelder weist auf<br />
die Wurzel dieses Staatsverständnisses hin: »Auch sei der demokratische Staat [...] nicht<br />
118 siehe Krumreich (2000); S.184 ff.<br />
119 Dahrendorf/Vogt (1984); Soldatentum in unsrer Zeit; S. 492<br />
120 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 455<br />
121 <strong>Heuss</strong> (1948); S. 244<br />
50
nur ein Dienstleistungsbetrieb oder eine bloße 'Apparatur', sondern ein 'Träger eingebo-<br />
rener Würde'- mit dieser ausdrücklichen Verneigung vor seinem Landsmann Hegel be-<br />
kannte sich <strong>Heuss</strong> einmal mehr zu jener auf den Staat orientierten Spielart des deutschen<br />
Liberalismus, die sich vom frühen 19. Jahrhundert bis zur DDP der Weimarer Republik<br />
verfolgen lässt.« 122 Langewiesche arbeitet heraus, welche Vorstellungen dazu <strong>Heuss</strong> be-<br />
reits 1920 hatte: »Ein starkes Zentralparlament als Organ der Volkssouveränität, hervor-<br />
gehend aus allgemeinen und freien Wahlen für Männer und Frauen, ohne jede Abstufung<br />
nach welchen Kriterien auch immer. Regierungsbildung aus dem Parlament heraus heißt<br />
das Ziel. Dafür sollte das Wahlsystem sorgen. <strong>Heuss</strong> favorisierte deshalb das Mehrheits-<br />
wahlrecht.« 123 Vorbild dafür ist das englische Zwei-Parteien-System, und der intendierte<br />
Gedanke ist ein Primat der institutionellen Stabilität. Diese Ansicht ändert sich nach dem<br />
Krieg in Akzenten. Zwar sieht <strong>Heuss</strong> in dem Verhältniswahlrecht der Weimarer Zeit (»der<br />
großen Kreise und der langen Listen«) 124 einen wesentlichen Grund für den Verlust an Un-<br />
terstützung des politischen Systems, andererseits befürchtet er in einer einfachen Über-<br />
nahme des britischen Mehrheitswahlrechts gerade die politische Aktivität vieler Demo-<br />
kraten zu lähmen: »Der Proporz [in den Landesregierungen] hatte immerhin in der<br />
politischen 'Diaspora' politisches Leben geweckt, das beim einfachen Majorz wieder ein-<br />
schlafen würde.« 125 Als Ergebnis empfahl er originellerweise ein Mehrheitswahlsystem mit<br />
einem zweiten Verhältniswahlgang, wo er notwendig ist. 126<br />
Es wird deutlich, dass das, was wir heute als »Zivilgesellschaft« diskutieren, nur be-<br />
dingt mit dem zu tun hat, was <strong>Heuss</strong> sich vorstellen wollte: In den aktuellen theoretischen<br />
Diskussionen um Zivilgesellschaft, Sozialkapital oder Kommunitarismus werden gerade die<br />
nicht-staatlichen Bindungskräfte betont, Bürgersinn bei <strong>Heuss</strong> hat demgegenüber weniger<br />
einen aktivierenden, als einen die Parlaments- und Regierungstätigkeit unterstützenden<br />
Charakter. Die »partizipative Revolution (Kaase) und die »Auseinandersetzung zwischen<br />
zwei politischen Kulturen« 127 - der staatsferneren alternativen politischen Kultur und der<br />
staatsnahen repräsentativen politischen Kultur- müsste man demzufolge nicht als Bele-<br />
bung, sondern als Bedrohung des Staates wahrnehmen. Rudolph zieht insbesondere vor<br />
dem Hintergrund der späteren Entwicklungen eine kritische Bilanz: »Auf der anderen Sei-<br />
te lässt Demokratie in <strong>Heuss</strong>' Verständnis verblüffend wenig Raum für die Tendenzen, von<br />
denen viele heute die Verlebendigung einer träge gewordenen politischen Ordnung erwar-<br />
122 Hertfelder (2005); S. 240<br />
123 Langewiesche (2005); S. 16f.<br />
124 Pikart (1966); S. 138<br />
125 Pikart (1966); S. 139<br />
126 Es braucht keine große Phantasie, sich vorzustellen, welchen Platz die Liberalen heute im politischen<br />
System hätten, hätte sich diese Vorstellung durchgesetzt.<br />
127 Sontheimer (1990); S. 29<br />
51
ten: »plebiszitäres Element, stärkere Minderheitenrechte, das beständige Schleifen der<br />
Mauern der Institutionen.« 128<br />
Ausgerechnet ein Bericht der »Enquete-Kommission 'Zukunft des Bürgerschaftlichen<br />
Engagements« des Deutschen Bundestags ist an dieser Stelle geeignet, <strong>Heuss</strong>' Vorstel-<br />
lungen in den Zeitkontext einzuordnen. Dabei wird deutlich, dass <strong>Heuss</strong>' Vorstellung vom<br />
Ehrenamt durchaus einen fortschrittlichen Akzent besaß: »In den ersten Jahrzehnten der<br />
Bundesrepublik Deutschland herrschte weithin ein 'realistisches' Demokratieverständnis<br />
vor. Nach diesem Modell soll ein politisch nur begrenzt interessiertes und informiertes Pu-<br />
blikum in regelmäßigen Wahlen über konkurrierende Eliten, die das politische Geschäft<br />
professionell betreiben, entscheiden. Ein weiter reichendes politisches Engagement der<br />
Bürgerschaft ist nach diesem Modell verzichtbar, sieht man einmal von der Mitgliedschaft<br />
in politischen Parteien ab, in denen das professionelle Personal ausgebildet und ausge-<br />
wählt wird.« 129<br />
3.3 Autonomie und Verantwortung:<br />
Vorstellungen von Politischer Führung<br />
Mittelpunkt der Bürgergesinnung (und damit auch seines Politikerbildes) ist nach <strong>Heuss</strong><br />
das autonome Individuum, das dem notwendigen Übel der »Verwaltung« oder des »Appa-<br />
rats« gegenübersteht: »Was die Selbstverwaltung braucht, ist eine gesunde Mischung von<br />
Berufsbeamten und unabhängigen 'Laien'. Die Beamten haben für die technische Leis-<br />
tungsfähigkeit des Verwaltungsapparats zu sorgen, die 'Laien' neben der Kontrolle die<br />
Aufgabe zu verhüten, dass eine Verwaltung eine Maschine mit zwangsläufigem Formalis-<br />
mus werde.« 130 Was im Bereich der kommunalen Verwaltung die Formalisierung, ist auf<br />
der gesamtstaatlichen Ebene der »Parteienstaat.« Dieser Schreckensvision zufolge wird<br />
der Staat fortwährend bürokratisiert und von den Parteien monopolisiert. Dazu eine zeit-<br />
genössische Impression aus dem Jahr 1957: »Das von den Honoratiorenpolitikern zu Be-<br />
ginn des Jahrhunderts beschworene Schreckgespenst der entpersönlichten, technokratisch<br />
geleiteten Parteimaschine hat sich – zumindest im Ansatz – bereits deutlich<br />
ausgeformt.« 131 Zwar ist <strong>Heuss</strong> auf der einen Seite Realist genug, um die Notwendigkeit<br />
erhöhter Staatstätigkeit unter den Bedingungen der Moderne anzuerkennen, in seinem Ur-<br />
teil über diese Entwicklung überwiegt jedoch die Skepsis: Es würden gerade diejenigen<br />
128 Rudolph (2000); S. 22<br />
129 Enquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements des Deutschen Bundestags<br />
(2002); S. 319<br />
130 <strong>Heuss</strong> (1921); S. 11<br />
131 Knoll (1957); S. 16<br />
52
enachteiligt, »die in der örtlichen Sphäre aufstehen und sich bewähren, sich nicht mehr<br />
organisch den gemäßen Wirkungsraum schaffen können, der sie dann aus dem Heimat-<br />
boden zu größeren Aufgaben wachsen lässt.« 132 Produkt dieser Staatsmaschine ist ein<br />
neuer Politikertypus, der sich nicht über die Gemeinwohlfunktion des Politischen definiert<br />
sondern sich in den Dienst einer Organisation und ihrer Gesetze stellt.<br />
Der Parteipolitiker und Spezialist löst den Honoratiorenpolitiker und Generalisten ab:<br />
»Hier in dem Vordringen der Hauptberuflichen, des Apparaturmäßigen, sehe ich die Frage<br />
sich öffnen, ob nicht die technische Vervollkommnung bezahlt wird mit einer Einbuße an<br />
ethischem Elan, der allein der Demokratie die dynamische Kraft gibt, geben soll, geben<br />
kann und damit den inneren Stil.« 133 Als ein Referenzmodell bietet sich ihm der Politiker-<br />
typus von 1848 an: »Wenn es auch an politischen Wichtigtuern nicht fehlte, so war das<br />
erste deutsche Parlament frei von dem Routinier, dem verhüllten oder offenen Interessen-<br />
vertreter, dem Syndikus- und Sekretär-Typus, der, gewiss nicht ohne sachliche Verdiens-<br />
te, später die deutschen Parlamente überschwemmte.« Der Ruhm der Paulskirche mani-<br />
festiere sich gerade in der Ansammlung »durch geistige Leistung hervorragender<br />
Männer«, die den Deutschen zwar keine politische, aber dafür eine »geistige Einheit«<br />
ermöglichten. 134 Das Negativbeispiel ist prototypisch im Abgeordneten Heinrich Rönne-<br />
berg der Weimarer DDP zu finden: »Er war zum 'Geschäftsführer' der Fraktion bestimmt,<br />
höchst betriebsam und bereit, allen Anregungen und Wünschen, den Staat zum Wohle<br />
einzelner Gruppen zu belasten, nachzukommen.« 135<br />
Unter den Bedingungen des Jahres 1945 war diese Skepsis den Prozessen der moder-<br />
nen parlamentarischen Demokratie gegenüber, wie wir sie heute kennen, weit verbreitet.<br />
Demzufolge war auch ein Politikermodell wie das, das <strong>Heuss</strong> entwickelt, anschlussfähig.<br />
So glaubten viele Politiker der ersten Stunde, ihr Amt für ein paar Jahre parallel zu ihren<br />
anderen Aktivitäten ausüben zu können. Bald zeigte sich jedoch, dass Politik ein Vollzeit-<br />
beruf geworden war und dass der Typus des locker mit seiner Fraktion assoziierten Hono-<br />
ratiorenpolitikers den neuen Bedingungen des Parlamentsbetriebs und des Parteiensys-<br />
tems nicht mehr genügt: »Der anhaltende Regelungsbedarf, die immer umfangreicher<br />
und komplexer werdenden, immer mehr spezialisierte Sachkenntnisse erfordernden Ge-<br />
setzgebungsmaterien taten ein übriges.« 136 Wenn auch <strong>Heuss</strong> Realist genug war, um die<br />
Gründe für jenen Paradigmenwechsel in der politischen Führung nachvollziehen zu<br />
können, so fehlen ihm die Antworten auf die Frage, wie man unter solchen Bedingungen<br />
seinen eigenen Ansprüchen an autonome politische Führung gerecht werden kann. Dies<br />
132 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 159<br />
133 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie«; S. 464<br />
134 <strong>Heuss</strong> (1948); S. 109<br />
135 <strong>Heuss</strong> (1965); S. 222<br />
136 Schüttemeyer (1999); S. 492<br />
53
mag vor allem darin begründet zu sein, dass er selbst die neue parlamentarische Arbeits-<br />
weise weder in Weimar richtig erlebte, denn er gehörte nicht zu denjenigen, die für die<br />
Organisation der Fraktion verantwortlich waren, noch, dass er sie im neuen Bundestag<br />
einnahm - etwa als Fraktionsführer oder Ausschussmitarbeiter, dessen parlamentarischer<br />
Aufstieg nun immer stärker über den Weg Spezialisierung auf immer komplizierter<br />
werdende Sachfragen und über immer stärkere innerfraktionelle Hierarchieebenen führte.<br />
▌ Mässigung und Masse<br />
Schon im aristotelischen Athen fürchtete man die Zerstörung der politischen Ordnung<br />
durch die Demagogie. Dahinter stand und steht die Angst, dass statt der Vernunft das Un-<br />
bewusste die Politik gestaltet. Dadurch, dass Politik nicht mehr der Kommunikation der<br />
Freien sondern der Affirmation der Gleichen entspringt, wird das Politische selbst abge-<br />
schafft. Wird dieser Gedanke bereits bei Thomas Hobbes wieder aufgegriffen, so findet er<br />
nach der französischen Revolution Eingang in die Theorie von der »Psychologie der<br />
Masse.« Insbesondere unter den Vorzeichen der Proletarisierung breiter Bevölkerungs-<br />
schichten im Zuge der industriellen Revolution wird die Masse zunehmend als die<br />
elementare Gefährdung der staatlichen Ordnung wahrgenommen. Ortega Y Gasset<br />
schreibt: »Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigen-<br />
begabt und erlesen ist. Wer nicht 'wie alle' denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.<br />
Und es ist klar, dass 'alle' eben nicht alle sind.« 137 Sie ist ein triebhaftes, irrationales von<br />
Demagogen manipulierbares Wesen. Unter der Masse haben wir uns die Negierung der in-<br />
dividuellen Bürgergesinnung vorzustellen. In diesem Sinne benutzt 1928 auch <strong>Heuss</strong> den<br />
Terminus: »Die Beispiele der Geschichte, Anzeichen unserer Gegenwart zeigen, wie sehr<br />
die 'besitzlose' Masse, von Bindungen und Tradition gelöst, in der Gefahr steht, Raub des<br />
bloßen Schlagworts, Gefolgschaft des Demagogen zu werden.« 138 Deutlich wird, dass<br />
demnach vor allem die Besitzlosen gefährdet sind, Masse sind demnach vor allem die<br />
anderen. »Masse« ist somit auch ein Schlüsselbegriff, der anzeigt, welchen Stellenwert<br />
sein Benutzer als Teil der Nicht-Masse dem Individuum in der anonymen Mehrheit geben<br />
will.<br />
Liest man das <strong>Heuss</strong>-Zitat unter diesen Vorzeichen, so zeigt sich, dass vor allem Besitz<br />
und Tradition zentrale Begriffe sind, die das Individuum immun gegen »Vermassung« ma-<br />
chen. Im Gegensatz zu Le Bon oder Ortega will <strong>Heuss</strong> der Masse nicht mit einem repressi-<br />
ven Programm begegnen. Bei ihm konturiert sich ein klarer Erziehungsanspruch. Er rela-<br />
tiviert das, wie er sich ausdrückt, »Vermassungsgerede« 139 und sieht das Phänomen in<br />
137 Ortega Y Gasset (1956); S. 12<br />
138 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 190<br />
139 Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 24.02.1958 ; S. 313<br />
54
Wahlkampfeinsätzen »als kämpferische Lockung.« 140 Auf der sozialpolitischen Ebene muss<br />
Politik deshalb die Bildung von Eigentum ermöglichen, da dadurch ja Traditionsbildung<br />
ermöglicht wird. Auf der bildungspolitischen Ebene ergeht der Auftrag der Individuumsbil-<br />
dung.<br />
Wenn <strong>Heuss</strong> gerade nach 1945 auf die Massentheorien Bezug nimmt und seine<br />
zentrale politisch-kulturelle Botschaft in Bezug zu dieser Theorie stellt, dann tut er dies<br />
aus einer Position der Nüchternheit. Nicht weil er befürchtet, dass der Trieb per se stärker<br />
ist als die Vernunft. Vielmehr betrachtet er »Masse« als Resultat einer manipulativen auf<br />
»Romantik«, Demagogie und Maßlosigkeit basierenden politischen Herrschaftsstrategie.<br />
»Die Vermassung [...] wird ein bewusstes Ziel, um politische Herrschaft zu gestalten und<br />
zu sichern mit einer sehr merkwürdigen, aus fremden Welten, auch quasi-religiösen, kom-<br />
menden Kraft.« 141<br />
Die zentrale Handlungsnorm für Politiker, die es verdienen, das Etikett demokratisch<br />
zu tragen wird deshalb die »Mäßigung«, auf die <strong>Heuss</strong> immer wieder zu sprechen kommt.<br />
»Dann gibt es Situationen, in denen ich versuche, in einer ruhigen Argumentation den<br />
Leuten, ob es Deutsche oder Ausländer sind, das Gesetz des Maßes zu lehren« 142 Exem-<br />
plarisch wird dies in der Silvesteransprache 1949 formuliert: »Wollt Ihr wieder den<br />
Reichstag der dreißiger Jahre, wo alles 'glatt' ging? Es war der glatte Weg, der in den Ab-<br />
grund führte. Das demokratische Verfahren war nie glatt und bequem. Mit seinen Brems-<br />
vorrichtungen verteilt es Verantwortungen und im tiefen Sinn will es den Bürger dazu er-<br />
ziehen, selber Verantwortung zu übernehmen.« 143<br />
Zentrale Aufgabe der Politik ist es demnach, Gemeinschaft zu ermöglichen, ohne sich<br />
suggestiver und demagogischer Techniken zu bemächtigen. Beispielhaft ist demnach das<br />
Erlebnis eines Staatsbesuchs in Berlin: »Masse? Menge? Die Unterscheidung verschwimmt<br />
– die äußere Freiheit der vielen lebt aus der inneren Freiheit des Einzelnen.« 144<br />
Eigentümlich ist die Ambivalenz der <strong>Heuss</strong>'schen Ansichten vom Individuum. Auf der<br />
einen Seite scheint sein Glaube an die individuelle Kraft ungebrochen zu sein, auf der<br />
anderen Seite verträgt sich der von <strong>Heuss</strong> formulierte politische Führungs- und Erzie-<br />
hungsanspruch nur bedingt mit der Vorstellung individueller Autonomie. Unklar ist zum<br />
Beispiel, woher die Legitimationsquelle dieser Ansprüche stammt oder wo ihre Grenzen im<br />
Sinne einklagbarer Abwehrrechte zu verorten sind.<br />
140 siehe <strong>Heuss</strong> (1964); Die Volksversammlung ; S. 308<br />
141 Felder (1995); Formkräfte einer politischen Stilbildung; Rede am 02.05.1952; S. 314<br />
142 Pikart/Mende (1967); Brief an Friedrich Dessauer ; S. 290<br />
143 Kohler (1989); Sylvesteransprache vom 31.12.1949; S. 21<br />
144 Felder (1995); Formkräfte einer politischen Stilbildung; Rede am 02.05.1952; S. 316<br />
55
▌ Verantwortungsethik<br />
Wenn obige Einwände aus der Perspektive der Mehrheit gegenüber der Minderheit der<br />
politisch Handelnden gelten, so sind sie aus der Perspektive des »guten« Politikers einfach<br />
auszuräumen. Dieser muss demnach seinen Führungsanspruch mit einer inneren Haltung<br />
verknüpfen, die ihr Handeln an ihrer Verantwortung misst. <strong>Heuss</strong> nennt dies mit Max We-<br />
ber »Verantwortungsethik.« Demgegenüber steht die »Gesinnungsethik.« Weber: »Der<br />
Verantwortungsethiker [...] fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit<br />
er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen. Er wird sagen: diese Folgen werden<br />
meinem Tun zugerechnet. 'Verantwortlich' fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, daß<br />
die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtig-<br />
keit der sozialen Ordnung, nicht erlischt.« 145 Ein strenger Diesseitsbezug (so wie <strong>Heuss</strong><br />
generell ein laizistischer Politiker war) und die Anerkenntnis, das »Demokratie Herrschaft<br />
auf Frist« sei.<br />
Das meint zum einen die Einsicht in die verfassungsmäßig festgelegten Fristen zwi-<br />
schen den Wahlen, und die Respektierung der in der Verfassung verankerten Limi-<br />
tierungen. Zum Anderen ist damit auch die rollenmäßige Selbstbeschränkung und die Ein-<br />
sicht in die eigene Begrenztheit verbunden, wie <strong>Heuss</strong> bereits 1928 formuliert. »Dass der<br />
morgige Wahltag eine Korrektur des heute bringen kann, bedeutet eine natürliche Züge-<br />
lung in der Demokratie, mildert die Gewalt der Herrschaft, mildert auch, wenigstens im<br />
theoretischen Anspruch, die Heftigkeit der Opposition.« 146<br />
Die Einsicht in die Befristung korrespondiert mit einer innerlichen Nüchternheit (die mit<br />
der Tugend des Maßes verwandt ist). Nüchternheit ist die Gegenhaltung zur »Romantik als<br />
Erziehungselement der Parteipolitik«, in der <strong>Heuss</strong> eines der größten Probleme der deut-<br />
schen politischen Kultur sieht. Ihre Bekämpfung ist demnach eine zentrale Aufgabe:<br />
»Wenn ich für unsere Generation oder unsere Richtung eine pädagogische Aufgabe sehe,<br />
so ist es die, den Menschen die Nüchternheit zur Pflicht zu machen.« 147<br />
Neben der »Verantwortungsethik« als zentraler ethischer Handlungsnorm, der intellek-<br />
tuellen Einsicht in seine eigene Begrenzung und dem Postulat der Nüchternheit als Tugend<br />
gehört zu diesem Themenfeld auch noch ein vierter Aspekt. Verantwortung bezieht sich<br />
demnach auch auf das konkrete politische Amt und auf seine Würde.<br />
▌ opposition und Verständigung<br />
Eine Haltung, die mit der von <strong>Heuss</strong> geforderten geistigen Autonomie des Politikers<br />
einhergeht, ist die, sich nicht prinzipiell einem Fraktionszwang zu unterwerfen. »Manche<br />
145 Weber (1999); Politik als Beruf; S. 442<br />
146 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 86<br />
147 Henning (1981); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Thomas Dehler vom 25.11.1952; S. 83<br />
56
Leute, zumal solche, die Aufsätze über die so genannten 'Spielregeln der Demokratie'<br />
fabrizieren, meinen, das Wesen der Politik sei in dem Kampfspiel von 'Regierung' und 'Op-<br />
position' beschlossen. Es fällt mir nicht ein, die Gegensätzlichkeit von Anschauungen oder<br />
Interessen im politischen Raum zu verharmlosen; sie ist ein belebendes Element des An-<br />
triebs und Kraft der Kontrolle. Aber sie darf nie zum politisch-technischen Selbstzweck<br />
erstarren, bei dem ein gescheites Wort als dumm gilt, eine verständige Handlung als<br />
falsch, nur weil sie im anderen Lager gesprochen oder vollzogen wurden.« 148<br />
Damit nimmt <strong>Heuss</strong> Bezug auf eine Äußerung Kurt Schuhmachers. Die <strong>Heuss</strong>che Vor-<br />
stellung von Opposition steht wuer zum Politikverständnis Adenauers. Mit seiner bereits<br />
auf der »Rhöndorfer Konferenz« im Mai 1949 innerhalb der CDU durchgesetzten kleinen<br />
Koalition verfolgte er schließlich die Strategie, Allparteienkoalitionen zu vermeiden und<br />
eine bewusste Zuspitzung des politischen Prozesses zu erreichen, die sich weniger am<br />
Modell der Weimarer Koalition als am britischen Modell der Konkurrenzdemokratie<br />
orientiert. »Die andere Veränderung betrifft das sich erst in den ersten beiden Kabinetten<br />
Konrad Adenauers herausbildende gewandelte Demokratieverständnis, welches das<br />
englische Vorbild aufnimmt und von einem Ringen zwischen Regierungsparteien und Op-<br />
position ausgeht. Den Parteien fällt damit die Rolle der Mehrheitsbeschaffung für die<br />
Kanzlerbestellung zu, die an die Stelle der noch 1949 vorherrschenden Funktion einer an-<br />
teiligen Repräsentation gesellschaftlicher Interessen getreten ist und damit die Bildung<br />
großer Volksparteien erst ermöglichte.« 149 Damit wird dem traditionell konkordanten Aus-<br />
richtung des politischen Systems eine konkurrenzdemokratische Komponente beigefügt<br />
und durchgesetzt.<br />
▌ Bildung als Inklusionsquelle<br />
<strong>Heuss</strong> hatte eine ausgeprägte qualitative Vorstellung von Politik, die zuallererst an Bil-<br />
dung gekoppelt ist. Deutlich wird diese bildungsbürgerliche Vorstellungswelt an <strong>Heuss</strong>'<br />
Personenbeschreibungen: Als höchste Form der Anerkennung kann man einen »klugen«<br />
»geistvollen« »Staatsmann« »von Rang« und »innerer Spannkraft« sehen, ambivalent,<br />
aber immerhin eher positiv konnotiert, ist das Attribut »brav.« Der von <strong>Heuss</strong> sehr ge-<br />
schätzte »Tafelaufsatz im Proletarierhaushalt« Carlo Schmid 150 entsprach demnach den<br />
Vorstellungen von Niveau, und <strong>Heuss</strong> verband eine politische Freundschaft mit diesem<br />
Quereinsteiger in der SPD. Neben der allgemeinen Bildung konstituierte auch das ange-<br />
messene Verhalten den Unterschied - besonders sensibel reagiert <strong>Heuss</strong> auf Grobheit und<br />
kann dabei den üblichen, indirekten Tonfall verlassen: »Lieber Dehler, die Meinung, ich<br />
könnte Sie ermuntern, auf die Rolle des enfant terrible für eine Zeit zu verzichten, habe<br />
148 Dahrendorf/Vogt (1984); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: Sylvesteransprache 31.12.1950 ; S. 403<br />
149 Mommsen (1998)<br />
150 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 28.11.1956 ; S. 220<br />
57
ich längst nicht mehr. Sie sind von ihr so angetan, dass Sie sie bis zum - wie ich fürchte -<br />
tragischen Ende durchführen werden.« 151 Dies nur als eine nette Eigentümlichkeit von<br />
<strong>Heuss</strong> zu sehen, wird der Zentralität solcher qualitativen Vorstellungen nicht gerecht. Der<br />
souveräne Umgang mit dem bildungsbürgerlichen Arsenal wird zu einem zentralen Ein-<br />
schlusskriterium. Anders gesagt: Es ist nicht genug, sich seine Meriten im Ehrenamt<br />
erworben zu haben, »Bildung« erscheint als weitere, aber weniger explizit formulierte<br />
Voraussetzung neben dem Engagement: Der meritokratischen Vorstellung wird ein bil-<br />
dungselitäres Element beigefügt.<br />
Damit verbunden ist auch die Zentralität von Geschichte als Deutungskategorie: »Bei<br />
dieser staatsmännischen Aufgabe wird immer mit etwas davon abhängen, was man an<br />
Geschichte mit weiß, um das Gewicht der Geschichte mit abzuwägen. Das ist einmal die<br />
Kraftreserve, es ist aber ein andermal die hemmende Last. Man darf nicht der Sklave des<br />
Gewesenen sein, aber ein Glück, wenn man einen Spürsinn für das Werdende zu besitzen<br />
glaubt, und noch besser, wenn man ihn besitzt.« 152<br />
Träger des Staats sind nach <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen die in »Eigenverantwortung<br />
verwurzelten« Bürger. Damit wird neben geistiger auch ökonomische Unabhängigkeit ver-<br />
standen. Eine wichtige staatliche Rolle spielt demnach der ökonomische Mittelstand: »Die-<br />
ser so genannte Mittelstand mit seiner verhältnismäßigen ökonomischen Unabhängigkeit<br />
und Beweglichkeit ist aus seiner ganzen Lage heraus staatserhaltend.« 153<br />
3.4 Zusammenfassung<br />
Im Zentrum von <strong>Heuss</strong>' Überlegungen steht die Idee der Bürgergesinnung. Kern der Vor-<br />
stellung ist ein altruistisch motivierter Ehrenamtsbegriff. Die Ehre des Amtes ist demnach<br />
eine Auszeichnung – keine Belastung und auch nicht in erster Linie dem persönlichen<br />
Nutzen zuarbeitend. Deshalb sollen Bürger Ehrenämter im gesellschaftlichen wie im staat-<br />
lichen Bereich übernehmen (wollen). Ehrenamt soll Grundlage und Ergebnis eines Auslese-<br />
prozesses sein, der durch die ehrenamtliche Arbeit selbst gesteuert wird. Der Staat soll<br />
also von einer politischen Elite getragen werden, die aus einem Ausleseprozess der »Be-<br />
währungen« hervorgegangen ist. Das grundlegende Ehrenamt ist <strong>Heuss</strong> zufolge das staat-<br />
liche, wobei die Verbindung zum sozialen Ehrenamt nicht eindeutig beschrieben ist. Es ist<br />
anzunehmen, dass der vertikale Ausleseprozess sich vor allem auf diese staatlichen<br />
Ehrenämter bezieht.<br />
151 Henning (1983); Brief an Thomas Dehler vom 28.05.1953; S. 97<br />
152 <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> (1950); S. 40<br />
153 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 190<br />
58
Unverträglich ist diese Vorstellung von Engagement im Staat mit Partizipation im Sinne<br />
eines partizipativen Demokratieverständnisses. <strong>Heuss</strong> geht es außerhalb der staatlichen<br />
politischen Institutionen nur um eine Gabe von Unterstützung. Überspitzt gesagt: Partizi-<br />
pation ist dergestalt eine Anmaßung - unklar ist, inwieweit sie sogar als Risiko wahrge-<br />
nommen wird. Ganz im Sinne repräsentativ-demokratischer Vorstellungen werden Partizi-<br />
pationsmöglichkeiten auf die in längeren Abständen stattfindenden Wahlen oder die<br />
Mitarbeit in einer Partei begrenzt. Informelle Partizipation findet zwar empirisch statt (wie<br />
der Naumann-Kreis exemplarisch vorführt), wird jedoch nicht konzeptualisiert.<br />
Im Kern dieser Vorstellung stehen dem Idealismus der »vielen Freiwilligkeiten« ein<br />
hierarchisches und monopolistisches Staatsverständnis gegenüber. <strong>Heuss</strong> überwindet<br />
diesen Widerspruch durch die meritokratische Konstruktion der Führungsauslese durch<br />
Engagement.<br />
Wenn dieses Konzept den selbstbewussten politischen Anführer innerhalb einer poli-<br />
tischen Elite voraussetzt, so stellt <strong>Heuss</strong> an diesen einige ethisch-moralische An-<br />
forderungen. An erster Stelle ist die Unabhängigkeit zu nennen, die ihn frei in der Ent-<br />
scheidung und der Kommunikation macht. Die eigenen Interessen finden demnach eine<br />
Begrenzung in den Interessen der Anderen. Demokratie wird als ein Regel-Arrangement<br />
verstanden, dass Herrschaft befristet und demnach muss ein Politiker diese Befristung ak-<br />
zeptieren – die verfassungsmäßige zeitliche Befristung, die Befristung der Aufgaben, und<br />
auch eine Kultur des »Maßes« als Handlungsnorm internalisieren. Das dahinter stehende<br />
moralische Prinzip ist das der »Verantwortungsethik.« Der Bevölkerung gegenüber wird<br />
hieraus ein erzieherischer Auftrag abgeleitet.<br />
Wenn man wiederum Weber vergleichend neben <strong>Heuss</strong> stellt, findet man die Nähe zu<br />
dessen Vorstellung vom idealen Politiker: »Man kann sagen, dass drei Qualitäten vor-<br />
nehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft - Verantwortungsgefühl -<br />
Augenmaß.« 154 Bei <strong>Heuss</strong> wird damit ein eher konkordantes Oppositionsverständnis ver-<br />
bunden, das Interessenpolitik und Gemeinwohlausrichtung verbindet, wenngleich letztere<br />
prioritär zu sein scheint.<br />
Zu einem bildungsbürgerlichen Konzept werden diese Vorstellungen nicht zuletzt des-<br />
wegen, weil die meritokratische Vorstellung der Auslese über einen verdeckten Inklusions-<br />
mechanismus vollzogen wird, der Bildung. In der Selbstbeschreibung erscheint das Kon-<br />
zept also als eine meritokratische auf Freiwilligkeit basierende Vorstellung, auf einer<br />
reflexiven Ebene fällt auf, dass die Inklusionsmechanismen vorhandene Ungleichheit ver-<br />
stärken und »auf die eigene Sozialgruppe« zulaufen.<br />
154 Weber (1999); Politik als Beruf; S. 435<br />
59
▌ Mann des Übergangs<br />
Dass <strong>Heuss</strong> nicht einfach ein Politikmodell des 19. Jahrhunderts konserviert, sondern<br />
dass er Spuren eines solchen Modells mit explizit modernen, die Welt des Bildungsbürgers<br />
ins Wanken bringenden Vorstellungen vermischt, muss an dieser Stelle erwähnt werden.<br />
Innerhalb des bildungsbürgerlichen Milieus gehört er zu denjenigen, die ihren Anspruch<br />
auf eine tragende Rolle nicht aus ihrer ständischen Position herleiten. Statt Stand und Sta-<br />
tus werden die Kategorien Individualität und Konkurrenz zentral. Ebenso verzichtet er auf<br />
ein sich auf traditionale Quellen beziehendes Politikbild und vertritt einen sachlich-moder-<br />
nen Politikbegriff. Auch in seiner Tätigkeit als Journalist und Publizist stellt er traditionelle<br />
Deutungsmacht in Frage: »Als Journalist und politischer Publizist bewegte sich <strong>Heuss</strong> auf<br />
der Agora des publizistischen Massenmarktes, ohne eine privilegierte Deutungskompetenz<br />
qua akademischer Weihen zu beanspruchen.« 155 So verbindet sich mit seinem Lebensweg<br />
das Vordringen moderner Politik- und Gesellschaftsvorstellungen.<br />
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg passt auf <strong>Heuss</strong> die Metapher des Übergangs. Das<br />
von ihm vertretene Konzept des Honoratiorenpolitikers ist 1949 im Verschwinden begrif-<br />
fen. Der Einfluss der Parteien steigt und mit ihnen der Stellenwert von arbeitsteiliger<br />
Organisation im politischen Prozess: Die Parteiorganisationen werden gestärkt und im<br />
parlamentarischen Bereich, innerhalb der Fraktionen ändern sich die Aufstiegswege, Spe-<br />
zialisierung in komplexeren Politikfeldern nimmt zu, innerfraktionelle Hierarchien und Äm-<br />
ter stehen zwischen dem unabhängigen Abgeordneten und der Fraktionsmeinung. Zwar ist<br />
<strong>Heuss</strong> nicht er einzige Honoratiorentypus, der in den Bundestag einziehen wird, wohl aber<br />
wird dieses Politikermodell an ihm exemplarisch sichtbar.<br />
155 Hertfelder (2000); S. 109<br />
60
4.Politisches Handeln<br />
Im Jahr 1933 gehört <strong>Heuss</strong> nicht zu denjenigen, die große Illusionen über den Aufstieg<br />
des Nationalsozialismus hatten. Als Autor des Buches »Hitlers Weg« wie als Parlamen-<br />
tarier setzte sich <strong>Heuss</strong> bereits 1932 mit der nationalsozialistischen Ideologie auseinander.<br />
Demzufolge gehört er auch zu den ersten, die die Auswirkungen der »Machtergreifung« zu<br />
spüren bekommen. Auf dem Berliner Opernplatz verbrannten unter anderem auch Bücher<br />
von <strong>Heuss</strong>. Als Dozent und Politiker verlor er schnell einen Großteil seiner Betätigungs-<br />
möglichkeiten. Übrig blieb die Herausgeberschaft der »Hilfe«, die gelegentliche freie jour-<br />
nalistische Arbeit sowie das Verfassen schriftstellerischer Werke. 1937 kam sein Haupt-<br />
werk, die Naumann-Biografie heraus. Es folgten weitere Biografien wie die über den<br />
Architekten Hans Poelzig, mit dem <strong>Heuss</strong> aus gemeinsamen Werkbund-Zeiten eine gute<br />
Bekanntschaft verband, eine Biografie über den Biologen Anton Dohrn, eine über Justus<br />
von Liebig und in den vierziger Jahren ein großes Auftragswerk die Robert Bosch-Biogra-<br />
fie. Sie erschien erst 1946 nach dem Krieg.<br />
Wenn <strong>Heuss</strong> auch kein Widerstandskämpfer war, so lebte er in kritischer Distanz zum<br />
NS-Staat und ging seinen schriftstellerischen Projekten nach. Wäre das Attentat des<br />
20.Juli 1944 ein Erfolg gewesen, dann hätte <strong>Heuss</strong> möglicherweise früher wieder an seine<br />
politische Karriere anknüpfen können, losen Kontakt hatte er zu Carl Friedrich Goerdeler.<br />
Stattdessen begann er sein politisches Comeback im Jahr 1945.<br />
Weil er von den amerikanischen Besatzungstruppen als eine unbelastete Person einge-<br />
stuft wurde, befand er sich bereits Anfang 1945 auf den weißen Listen der Amerikaner.<br />
»Apparently his name has gotten on a white list, so that everyone takes every possible<br />
opportunity to interview him on one thing or another, and they usually come back to.« 156<br />
In der Folge wird er zunächst wieder journalistisch tätig, als einer von drei Lizenzträgern<br />
der Rhein-Neckar-Zeitung (bis er 1949 seine Anteile verkaufte).<br />
Im August 1945 wurde er zum Württemberg-Badener Kultminister unter Ministerprä-<br />
sident Reinhold Mayer ernannt. Bis zur ersten Wahl im Dezember 1946 übte er das Amt<br />
aus. Anschließend wurde er nicht wieder ernannt, da der Deutschen Volkspartei, der<br />
<strong>Heuss</strong> angehörte, nur ein Kabinettsposten zustand, den Ministerpräsident Mayer einnahm.<br />
Stattdessen wurde er ab Juni 1946 Landesparlamentarier, erst als Abgeordneter der »Ver-<br />
156 Pikart (1966); Max Stolper über <strong>Heuss</strong> , zit. nach: 1945-1947; S. 20<br />
61
fassungsgebenden Landesversammlung«, dann ab November 1946 als Abgeordneter des<br />
Landtags, so wie auch seine Frau, Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp. 157<br />
4.1 Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp<br />
die dreissiger Jahre, waren für die Familie <strong>Heuss</strong> auch von problematischen Phasen ge-<br />
kennzeichnet. Die wichtige politische Rolle, die <strong>Heuss</strong> möglicherweise eingenommen hätte,<br />
wäre die parlamentarische Entwicklung in Deutschland nicht unterbrochen worden, sowie<br />
die publizistische und wissenschaftliche Tätigkeit blieben ihm weitestgehend verschlossen.<br />
Im Gegensatz dazu entwickelte sich Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp zu einer profilierten, Werbeexpertin<br />
und zu einer Pionierin der Rundfunk-Werbung in Deutschland (»eigentlich ist mir gar nicht<br />
humoristisch zumut, außer, wenn ich gerade Schallplatten mache«). 158 Damit dürfte<br />
<strong>Heuss</strong> zu einer Minderheit gehört haben, die vom Erwerbseinkommen seiner Frau abhän-<br />
gig ist ohne dass dies ernsthafte Auswirkungen auf sein Selbstbewusstsein gehabt hätte.<br />
Angefangen mit Produkten der Firma Wybert arbeitet Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp für viele der<br />
großen Marken in Rundfunk und Kino: »Ich habe nur noch Nivea im Kopf und Sonne-<br />
brickets und Knäckebrot. Ein schönes Gemisch, manchmal denke ich, es explodiert.« 159<br />
Auch im politischen und sozialpädagogischen Engagement entspricht Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp<br />
nicht dem traditionellen Rollenbild: In jungen Jahren setzt sie sich für das Frauen-<br />
wahlrecht ein, kandidiert 1919 für die Weimarer Nationalversammlung, arbeitet sozialpäd-<br />
agogisch. Sie, die Tochter des Nationalökonomen Georg Knapp aus Straßburg, hat also<br />
nicht die Absicht, das Leben als Zierde ihres Gatten zu bestreiten.<br />
Im November 1946 wird sie in den Landtag Württembergs gewählt, nimmt zahlreiche<br />
Ehrenämter war (wie z.B. das der stv. Vorsitzenden der Europäischen Bewegung) und<br />
konzentriert sich auf ihr altes Spezialgebiet die Volksbildung. Der Höhepunkt ihrer poli-<br />
tischen Karriere fällt gleichzeitig mit einer starken Schwächung ihrer Konstitution zu-<br />
sammen, die sie immer wieder zu Krankenhaus- und Kuraufenthalten zwingt. Insofern<br />
sieht sie die Übernahme des Bundespräsidentenamtes auch eher skeptisch. 160 Die la-<br />
konische Anmerkung aus einem privaten Brief ist programmatisch: »Jetzt ist es bereits<br />
einige Wochen her, dass wir das neue Amt angetreten haben.« 161 Der sich selbst als Teil<br />
des Amtes betrachtende Plural gibt dem Rollenverständnis der First Lady einen modernen<br />
Akzent, wie man ihn weder bei Ebert, Hindenburg oder Hitler zu finden war. Modern und<br />
157 Henning (1984); S. 94<br />
158 <strong>Heuss</strong>-Knapp (1961); S. 230<br />
159 <strong>Heuss</strong>-Knapp (1961); S. 253<br />
160 <strong>Heuss</strong>-Knapp (1961); an Gertrud Stettiner-Fuhrmann vom 23.07.1949; S. 334<br />
161 Elly <strong>Heuss</strong> Knapp (1961); S. 334<br />
62
damit das Rollenprofil der Präsidentengattin bis heute definierend ist die Tatsache, dass<br />
sie das Amt nutzt, um Publizität für soziale Zwecke zu erzeugen und die Rolle der<br />
»Landesmutter« mit einer Funktion verknüpft. Dies war weder für das Amt des Reichsprä-<br />
sidenten geschehen, noch für das Amt des Bundeskanzlers. Hauptschwerpunkt ihrer so-<br />
zialen Aktivitäten war die Gründung des »Müttergenesungswerks«, das heute den Namen<br />
»Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp-Stiftung« trägt. Auch ihre Nachfolgerin, Wilhelmine Lübke gehörte zu<br />
diesem Typ Frau, ohne den die Amtsausübung des Mannes nur schwer vorstellbar war. In-<br />
sofern sind beide traditionsbildend tätig gewesen.<br />
Nun wäre es eine starke Verkürzung, Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp als Mutter des modernen Fe-<br />
minismus zu sehen und sie quasi zur älteren Schwester Alice Schwarzers zu machen– den<br />
zu ihrer Modernität gehört auch eine Portion Konservatismus und eine Religiosität, die bei-<br />
spielsweise ihr Mann gar nicht teilte. Sätze wie der nachfolgende entsprechen nicht dem,<br />
was wir heute unter Chancengleichheit verstehen: »Nichts ist von der Frau aus gesehen<br />
kurzsichtiger als z. B. die Erleichterung der Ehescheidung, denn immer sind die Kinder der<br />
leidende Teil.« Auch entspricht die Annahme von der Familie als Kernelement neuer Ge-<br />
schlechterbeziehungen wohl nur bedingt auf Zustimmung gerade der Frauen in Führungs-<br />
positionen: »Die Erhaltung und Festigung der Familie ist tatsächlich der Angelpunkt für<br />
eine neue Sozialpolitik.« 162 Symptomatisch indes ist die retrospektive Wahrnehmung<br />
allein ihres karitativen Engagements und als Beiwerk ihres Mannes. Dies ist möglicher-<br />
weise aber auch dem Umstand geschuldet, dass sie bereits im Juli 1952 im 71. Lebensjahr<br />
verstirbt.<br />
4.2 <strong>Heuss</strong> als Parteipolitiker<br />
In GremienSitzungen seine Zeit zu verbringen und Mehrheiten zu organisieren war<br />
weniger die Sache von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Eher entsprach er dem Modell des sich über größe-<br />
re Linien definierenden Honoratiorenpolitikers, der seinem parlamentarischen <strong>Kolleg</strong>en ge-<br />
legentlich Toqueville zur Lektüre empfiehlt. Gleichwohl wird er aber am Ende der vierziger<br />
Jahre erster Vorsitzender der Freien Demokratischen Partei sein. Im Folgenden soll<br />
deshalb seine Rolle als Parteipolitiker nachvollzogen werden.<br />
Gerade die Liberalen, die vor 1933 politisch aktiv waren, hatten 1945 eine klare Vor-<br />
stellung davon, was sie nicht wollten. Die Weimarer Zeit hatten sie als eine Entwicklung<br />
der Zersplitterung und zunehmenden Einflusslosigkeit erfahren. Dies galt es nun dauerhaft<br />
zu überwinden. Bereits im August 1945 schrieb <strong>Heuss</strong>: »Es ist in höchstem Maße wün-<br />
schenswert, dass die alten Parteiformierungen nicht einfach in dem Stile wiederkehren,<br />
162 Pikart /Mende (1967); Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp vom 15.01.1949; S. 264<br />
63
wie er vor 1933 in Deutschland geherrscht hat.« 163 Prioritär ging es ihm darum, eine Neu-<br />
auflage des katholischen Zentrums zu verhindern, weshalb er bei moderaten ehemaligen<br />
Zentrums-Politikern vorfühlte, um diese für eine neue in ihren Werten liberale und weltli-<br />
che Partei zu gewinnen. Nennenswerte Aktivitäten sind hier die Gründung einer lokalen<br />
Partei in Heilbronn und ein größer angelegtes Verhandlungstreffen mit der »CSP« in Stutt-<br />
gart.<br />
Es war keine Selbstverständlichkeit, dass er als ehemaliges DDP-Mitglied später Vor-<br />
sitzender der FDP wird. In einem Brief an Thomas Dehler bemerkt er hierzu: »Mir selber<br />
ist es ähnlich gegangen wie Frau Dr. Bäumer, dass ich sowohl von der CDU wie von der<br />
LDP stark in Anspruch genommen bzw. umworben war. Eine große Anzahl unserer alten<br />
Freunde sind ja am Aufbau der CDU führend mit tätig gewesen.« 164 Heß macht deutlich,<br />
dass vor allem der Ort eine entscheidende Rolle gespielt hat: <strong>Heuss</strong> ist erst kurz vor<br />
Kriegsende wieder nach Württemberg gezogen, seine politische Heimat ist Berlin ge-<br />
wesen: »Hätte <strong>Heuss</strong> das Kriegsende nicht in Heidelberg erlebt und hätte ihn sein Weg -<br />
unter entscheidender Mithilfe der Amerikaner – von dort nicht schon im September 1945<br />
als Kultminister nach Stuttgart geführt, sondern wäre er noch in Berlin gewesen bzw.<br />
dorthin zurückgekehrt, so können wir davon ausgehen, dass auch er sich dort wie andere<br />
DDP-Politiker wie Ferdinand Friedensburg, Ernst Lemmer oder Otto Nuschke mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit der neugegründeten CDU angeschlossen hätte.« 165<br />
Dies lag auch daran, dass der Aufbau der Parteiorganisationen in den Ländern unter<br />
höchst unterschiedlichen Voraussetzungen vonstatten ging. In Württemberg-Baden, das in<br />
der amerikanischen Zone lag, strebte die Besatzungsmacht einen Aufbau von der lokalen<br />
Ebene aus nach oben an, eine Vorstellung, die auch <strong>Heuss</strong> teilte, der zunächst keine über<br />
das Land hinausgehenden politischen Ambitionen pflegte. 166 Dies war gerade in der so-<br />
wjetischen Besatzungzone anders. Hier entfaltete die LDP unter dem ehemaligen Reichs-<br />
innenminister Wilhelm Külz sehr frühe einen Anspruch auf die zonenübbergreifende Neu-<br />
organisation des Liberalismus. Wenn man beide Positionen gegenüberstellt, so trifft »der<br />
deutschlandpolitische Aktivismus eines Wilhelm Külz« auf die »äußerste deutschlandpoli-<br />
tische Zurückhaltung eines <strong>Heuss</strong>.« 167 Gerade die württembergischen Liberalen posi-<br />
tionieren sich früh gegen eine Einigung des Liberalismus mit der treibenden Kraft LDP. Sie<br />
waren gleichzeitig das Land, in dem Liberalismus auf eine Verwurzelung in den politischen<br />
Traditionen zurückgreifen kann. Das Selbstbewusstsein der Württemberger Liberalen<br />
paarte sich in dieser Beziehung mit ausgeprägten regionalistischen Tendenzen – wenn-<br />
163 Pikart (1966); S. 105<br />
164 Henning (1984); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> and Thomas Dehler vom 8.06.1946; S. 24<br />
165 Heß (1997): S. 88<br />
166 Heß (1997); S. 93<br />
167 Heß (1997); S. 94<br />
64
gleich <strong>Heuss</strong> die Ausnahme von dieser Regel darstellt, da er zu denjenigen gehört, die in<br />
seinen Vorstellungen vom Staatsaufbau eher zu den »Zentralisten« zu zählen wäre. 168<br />
Demzufolge wurde während eines Treffens der liberalen Parteien am 16.Mai 1946 in<br />
Bad Pyrmont die Initiative, die von Külz ausging vom strategisch bedeutendsten Land der<br />
liberalen Bewegung, je nach Einschätzung boykottiert oder aber verlangsamt. Dies hat mit<br />
den unterschiedlichen Vorstellungen von Föderalismus zu tun. Hinzu kam das Misstrauen<br />
gegenüber den politischen Bedingungen in der sowjetischen Besatzungszone sowie gegen-<br />
über Külz als Person.<br />
▌ Parteivorsitzender<br />
Am 28. und 29. September 1946 vereinigten sich schließlich die liberalen Parteien in<br />
der amerikanischen Besatzungszone: FDP (Bayern), DVP (Württemberg-Baden) und LDP<br />
(Hessen) bildeten eine Dachorganisation mit dem Namen DVP: <strong>Heuss</strong> wird zu ihrem Vor-<br />
sitzenden gewählt, Stellvertreter sind August Martin Euler (Hessen) und Thomas Dehler<br />
(Bayern). Dieser Zusammenschluss blieb jedoch ein eher lockeres Bündnis und dient der<br />
profilaktischen Eindämmung des Berliner Einflusses. Insbesondere aus Württemberg-Ba-<br />
den kamen Signale, die auf eine tatsächliche Vereinigung eher bremsend wirkten – stär-<br />
ker als von <strong>Heuss</strong> als von anderen, wie Reinhold Maier, dem württembergischen Minister-<br />
präsidenten. Hein bemerkt skeptisch: »Allzu sehr blieben die Württemberg-Badener in<br />
einem engen föderalistischen Denken befangen, allzu sehr waren sie auf die Kontroverse<br />
mit Berlin fixiert.« 169<br />
Wenn man deshalb nicht in der Lage war, eine zentrale länderübergreifende Partei-<br />
organisation aufzubauen, so wurde im März 1947 dennoch ein weiterer Schritt unternom-<br />
men und die »Demokratische Partei Deutschlands« gegründet. Auch diese hatte eher den<br />
Charakter eines losen Dachverbands. Als Vorsitzende wurden <strong>Heuss</strong> und Külz gewählt.<br />
<strong>Heuss</strong> arbeitet im Folgenden eng mit Ernst Mayer zusammen, der mit der Bezeichnung<br />
»Parteisekretär« nur unvollkommen beschrieben wäre. Das Gleiche, was <strong>Heuss</strong> über<br />
Mayers Funktion für den DVP-Vorsitzenden Haussmann sagte, trifft nunmehr auch für ihn<br />
zu: »Der Vorsitzende der Partei ist Dr. Wolfgang Haussmann, seine motorische Kraft aber<br />
unser Freund, Generalsekretär Ernst Mayer.« 170<br />
Dittberner weist darauf hin, dass die DPD eine Vorreiterrolle im deutschen Parteisys-<br />
tem hatte: »Die DPD ist die einzige gesamtdeutsche Parteiorganisation geblieben, die sich<br />
mit einiger Effektivität nach 1945 gebildet hat.« 171 Auf der anderen Seite wurde sie nicht<br />
zur weiteren nationalen Integration der Liberalen genutzt. Gerade <strong>Heuss</strong> zögerte in<br />
168 Hein (1985); S. 282<br />
169 Hein (1985); S. 275<br />
170 Henning (1983); S.24<br />
171 Dittberner (2005); S. 36<br />
65
deutschlandpolitischen Fragen, er wollte sich »gesamtdeutsche Optionen offen halten.« 172<br />
Diese Haltung änderte sich langsam – trotz dem sich nach der gescheiterten Londoner<br />
Außenministerkonferenz eine immer deutlichere Zweiteilung des Landes abzeichnete, mit<br />
der Entwicklung zur Bi- und schließlich zur Trizone im Westen und der Entwicklung in der<br />
SBZ.<br />
Nachdem sich die östliche LDP in die Volkskongress-Bewegung der SED einbinden ließ<br />
(6./7. Dezember 1947), provozierte <strong>Heuss</strong> schließlich den Bruch innerhalb der DPD. <strong>Heuss</strong><br />
erklärt dies in einem Brief an seinen Vorsitzenden-<strong>Kolleg</strong>en Wilhelm Külz: »Ich will mich<br />
nicht pharisäerhaft zu einem Gerichtsherren über die parteipolitische Situation in der Ost-<br />
zone aufwerfen. ich spüre nur dies deutlich genug: von Demokratie und deutscher Ent-<br />
scheidung wird solange nicht die Rede sein können, als interne Parteibesprechungen in<br />
der Anwesenheit fremder Offiziere, gleichviel welcher Besatzungsmacht, stattfinden.«<br />
Deutlicher wird er in der direkten Adresse an Külz: »Ich habe die Empfindung, dass Jakob<br />
Kaiser [...] in der Niederlage eine deutsche Figur geworden ist, während Sie, so hart es<br />
ist, das anzusprechen, eine gewesen sind.« 173<br />
Einen Monat später wird dieser Bruch vollzogen, am 18. Januar 1948 in Frankfurt.<br />
Sieht dies zu diesem Zeitpunkt so aus, als ob <strong>Heuss</strong> nun seine abwartende Strategie auf-<br />
geben will, und schnell in Richtung einer Westzonen-Fusion steuert, so sind es doch ande-<br />
re Politiker, die diese logische Konsequenz anmahnen. Für den Fall der Gründung einer<br />
solchen Partei hatte zum Beispiel der zukünftige Vizekanzler Blücher vorsorglich seinen<br />
Führungsanspruch angemeldet. 174<br />
Dies weist auf zwei Dynamiken hin, die auf <strong>Heuss</strong> einwirken: Auf der einen Seite kann<br />
man sicherlich Heß recht geben wenn er feststellt: »Dort wo Külz zunehmend verlor, ge-<br />
wann <strong>Heuss</strong> an Gewicht.« 175 Wenn dies für den Ost-West-Gegensatz galt, so forderte die<br />
neue politische Situation in den Westzonen nun eine organisatorische Vertiefung der<br />
Partei. Weil aber die liberalen Landesorganisationen extrem unterschiedliche Profile haben,<br />
kommt hier nun der Konflikt zwischen zwei Flügeln zum Tragen, der durch die Ost-West-<br />
Kontroverse nur überlagert wurde. Wenn in der Anfangsphase die württembergische DVP<br />
eine dominante Rolle spielen konnte, so gewinnt nun ein nationalliberaler Flügel an<br />
Einfluss, der in den nördlichen Ländern seine Heimat hat. »Der sich nun formierende rech-<br />
te Parteiflügel drängte auf eine schnelle Parteikonstituierung und knüpfte politisch wie<br />
organisatorisch vor allem an die Arbeit der FDP-Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat an:<br />
172 Heß (1985); S. 97<br />
173 <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Wilhelm Külz vom 19.12.1947 (abgedruckt bei Klessmann); S. 455<br />
174 Hein (1985); S. 320<br />
175 Heß (1997); S. 119<br />
66
»primär als Vorkämpferin der freien Marktwirtschaft, als Sammlungsbewegung der antiso-<br />
zialistischen Kräfte sollte sich die neue liberale Partei verstehen.« 176<br />
Das bedeutete, dass <strong>Heuss</strong> immer stärker in innerparteiliche Auseinandersetzungen<br />
verwickelt wird. Diese Entwicklung geht einher mit der generellen Ausdifferenzierung des<br />
Parteiensystems: Parteien werden als politische Akteure zunehmend wichtiger. Bis zur<br />
ersten Bundestagswahl wanderte die politische Gestaltungsmacht schließlich von den<br />
Ministerpräsidenten zu den Parteien und für den Parteivorsitzenden muss dies bedeuten,<br />
zunehmend »apparatförmige« Parteipolitik zu organisieren, eine Rolle, die <strong>Heuss</strong> nur be-<br />
dingt liegt.<br />
▌ Aufstieg der Parteien<br />
Sehr bedeutend für diesen Aufstieg der Parteien zu zentralen gestaltenden Akteuren,<br />
die begannen, den Landesregierungen in der politischen Bedeutung Konkurrenz zu ma-<br />
chen, war die Gründung des Wirtschaftsrats der Bizone am 25. Juni 1947 in Frankfurt.<br />
Denn mit seiner Errichtung wurde ein erster (52 Personen umfassender) überzonaler poli-<br />
tischer Nukleus geschaffen, der nicht nur koordinierend tätig wurde, sondern auch poli-<br />
tische Entscheidungen treffen konnte. In der FDP-Fraktion des Wirtschaftsrats dominierten<br />
die Vertreter des rechten Flügels und somit gewann er für diese auch im innerparteilichen<br />
Bereich eine strategische Bedeutung. »Seit die Militärregierungen zudem im August 1947<br />
auch noch die Inkompatibilität von Landtagsmandat bzw. Regierungsamt festgeschrieben<br />
hatten, sprach aus Eulers und vor allem Blüchers Entscheidung für die Frankfurter Auf-<br />
gabe unübersehbar die Überzeugung, dass der Wirtschaftsrat weit mehr als nur eine Ver-<br />
tretungskörperschaft dieser oder jener wirtschaftspolitischer Detailfrage sein werde.« 177<br />
Auch in der medialen Wahrnehmung spielen die Frankfurter Fraktionen eine immer<br />
wichtigere Rolle. Unter anderem wird hier der Grundstein für die spätere Regierungskoali-<br />
tion unter Adenauer gelegt. »Die Durchsetzung des bayrischen Wirtschaftsprüfers Jo-<br />
hannes Semler auf der zweiten Vollsitzung des Wirtschaftsrats Ende Juli 1947 als Direktor<br />
für die Verwaltung der Wirtschaft (d.h. Wirtschaftsminister) gegen den Anspruch der SPD<br />
auf dieses für die künftige Wirtschaftspolitik in Westdeutschland so wichtige Amt machte<br />
diesen Tatbestand ebenfalls deutlich.« 178 Im Frühjahr 1948 wurde übrigens mit den<br />
Stimmen dieser Koalition Ludwig Erhard (auf Vorschlag der FDP-Fraktion) als Nachfolger<br />
für Semler gewählt. Treffend schildert Franz-Josef Strauß das Selbstbewusstsein der Wirt-<br />
schaftsrat-Abgeordneten: »Wir im Frankfurter Wirtschaftsrat haben auf die Verfassungs-<br />
176 Hein (1985); S. 352<br />
177 Hein (1985); S. 322<br />
178 Rupp (2000); S. 58<br />
67
macher des Parlamentarischen Rates ein wenig heruntergeschaut. Wir fühlten uns erstens<br />
als die Früheren und zweitens als die Besseren.« 179<br />
Von Frankfurt aus kamen also die Impulse, die Fusionierung der Parteien zu<br />
beschleunigen. Zudem wurde es nach der Londoner Konferenz der westlichen Allierten<br />
höchste Zeit, sich organisatorisch an die veränderten politischen Begebenheiten anzu-<br />
passen. Die westdeutsche Politik wurde von den Alliierten nachdrücklich auf den Weststaat<br />
orientiert. Am 10. März 1948 zogen <strong>Heuss</strong> und Ernst Mayer schließlich die notwendigen<br />
Schlüsse und übernahmen die Initiative zur Fusion der westdeutschen Liberalen. In einem<br />
DPD-Rundschreiben formulierten sie ihre Essentials für eine solche Vereinigung. 180 Gerade<br />
im Kontrast zu den anderen Parteien, zu SPD und CDU, zeigt sich jedoch, welche unter-<br />
schiedliche Bedeutung der Parteivorsitzende <strong>Heuss</strong> hat. Er hat es zum einen mit einer de-<br />
zentral organisierten Partei zu tun, die wenig Interesse an einer Stärkung seiner Position<br />
hat. Auf der anderen Seite scheint <strong>Heuss</strong> nicht die Gelegenheiten zu nutzen, die sich ihm<br />
bieten würden, um seine Position auszubauen. Eine der wichtigsten hätte sicherlich im<br />
schnellen Ausbau der Partei zu einem steuernden Akteur unter seinem Vorsitz gelegen.<br />
Wenn der rechte Flügel der Liberalen einen großen Einfluss auf die Wirtschaftsrat-Frak-<br />
tion hatte, so konnte der linke Flügel stärkern Einfluss auf die Verfassungspolitik im neuen<br />
Parlamentarischen Rat nehmen. Somit ergab sich im Herbst 1948 ein weiteres politisches<br />
Gestaltungsfeld, das <strong>Heuss</strong> für sich entdeckte. Dort wurde er FDP-Fraktionsvorsitzender<br />
und diese Funktion ist es denn auch, die seinen bundespolitischen Einfluss sichert sowie<br />
ihm zu einer größeren Bekanntheit verhilft.<br />
Der rechte Flügel stark im Wirtschaftsrat, der linke Flügel gestärkt durch dessen Rolle<br />
im Parlamentarischen Rat, so zogen die Liberalen am 11.Dezember 1948 ins württember-<br />
gische Heppenheim, wo der Fusionsparteitag stattfand. Die Ergebnisse des Gründungs-<br />
parteitags sind ganz von der programmatischen Zweiteilung der Partei dominiert und die<br />
Atmosphäre ist nicht unbedingt von Harmonie geprägt. Die Bilanz von <strong>Heuss</strong> fällt dabei<br />
gemischt aus: Zwar wird er zum ersten Bundesvorsitzenden gewählt, jedoch muss er mit<br />
einer großen Zahl von Enthaltungen leben: 72 Ja-Stimmen /15 Enthaltungen. Zudem wird<br />
Ernst Mayer bei den Vorstandswahlen durchgereicht. Insofern trifft nicht zu, was Hans-<br />
Heinrich Welchert behauptet: »Noch in Heppenheim gab er [der FDP] die geistige Rich-<br />
tung an, in die sie sich entwickeln sollte.« 181 Diese Sicht neigt dazu, die Auseinander-<br />
setzungen und Diskussionslagen innerhalb der FDP zu ignorieren und nicht zuletzt <strong>Heuss</strong><br />
eine Rolle zuzuweisen, die nicht seinem Wirken entspricht. Insbesondere über die unter-<br />
schiedlichen Vorstellungen in Bezug auf die Arbeit in Wirtschaftsrat und Parlamen-<br />
179 Strauß (1989); S. 101<br />
180 Hein (1985); S. 325<br />
181 Welchert (1968); S. 94<br />
68
tarischem Rat geben die Protokolle der FDP-Vorstandssitzungen nach Heppenheim Aus-<br />
kunft. 182<br />
Die programmatischen Differenzen wurden bei diesem Gründungsparteitag sorgsam<br />
ausgespart: »Weder eine Parteisatzung noch eine programmatische Plattform hatten ver-<br />
abschiedet werden können; ebenso war in wichtigen Streitfragen von höchster politischer<br />
Aktualität, wie etwa hinsichtlich der Grundgesetzberatungen wegen der offenkundigen Un-<br />
vereinbarkeit der Standpunkte bewusst auf eine Entscheidungsfindung verzichtet<br />
worden.« 183<br />
Im Nachfolgenden wurde damit begonnen, inhaltliche Differenzen durch Ausschüsse zu<br />
mediatisieren. Konflikte ließen sich aber nur im Rahmen des Notwendigsten unterdrücken,<br />
zu groß waren die Differenzen: Während die einen sich für schwarz-rot-gold als zukünftige<br />
Bundesfahnen aussprachen, wollten die anderen schwarz-weiß-rot, während die einen<br />
eine Satzung wünschten, die den unteren Parteiebenen relative Autonomie zusicherte,<br />
forderten die anderen Durchgriffsrechte von oben nach unten, während die einen dem<br />
Verfassungsentwurf eher ablehnend gegenüberstanden, entsprach dieser den Ansichten<br />
der anderen Gruppe. Beim Bremer Parteitag vom 11.06.1949 gelang relativ erfolgreich<br />
eine Begrenzung der Konflikte und eine Positionierung zur Bundestagswahl. Neben dem<br />
Führungsduo <strong>Heuss</strong>/ Blücher zog nun auch der zwischenzeitlich zum Bundesgeschäftsfüh-<br />
rer ernannte Ernst Mayer in den geschäftsführenden Bundesvorstand ein.<br />
Die letzte Vorstandssitzung der FDP unter <strong>Heuss</strong>' Leitung fand am 10.6.1949 statt, im<br />
Nachfolgenden übernahm Blücher als Stellvertreter die kommissarische Parteiführung und<br />
wurde auf dem Bremer Parteitag auch in diesem Amt bestätigt. <strong>Heuss</strong>' Ausflug in die<br />
Parteipolitik endet im Prinzip damit. Alles in allem scheint er ganz zufrieden mit dem Lauf<br />
der Dinge gewesen zu sein und sich dem Amt des Bundespräsidenten geistig näher zu<br />
fühlen als dem eines Ministers oder Fraktionsführers, was notwendigerweise aus einer<br />
weiteren Tätigkeit als Parteichef hätte folgen müssen.<br />
Bis auf einige Ausnahmen, hielt sich <strong>Heuss</strong> von der Parteipolitik und den innerparteili-<br />
chen Prozessen weitgehend fern. Insbesondere um die Jahre 1953 und 1956 herum<br />
machte er eine Ausnahme von diesem Prinzip. 1953 im Zuge der »Naumann-Affäre«, als<br />
rechtsextreme Kreise die FDP in Nordrhein-Westfalen unterwanderten und es durch den<br />
britischen Kommissar veranlasst zu Verhaftungen kam. Auch bei der Entlassung des FDP-<br />
Justizministers Dehler nach der zweiten Bundestagswahl spielte <strong>Heuss</strong> eine maßgebliche<br />
Rolle. Oft wurde er in den vertraulichen Gesprächen mit dem Bundeskanzler gebeten, bei<br />
heiklen Fragen eine vermittelnde Rolle einzunehmen. Besonders zu dem Zeitpunkt, als die<br />
so genannten »Jungtürken« in der FDP Nordrhein-Westfalens eine Koalition mit der SPD<br />
vollzogen, wurde er aktiver.<br />
182 Bracher/Morsey/Schwarz (1990)<br />
183 Hein (1985); S. 338<br />
69
▌ Zusammenfassung: Parteipolitik<br />
Wenn man die Positionierung von <strong>Heuss</strong> zu den aktuellen parteipolitischen Themen der<br />
Zeit betrachtet, fällt seine zögernde Grundhaltung auf: Bei der Fusionierung der liberalen<br />
Parteien verhält er sich eher defensiv und reagierend. Auch in den deutschlandpolitischen<br />
Debatten ist er zunächst nicht präsent. Erst nach dem Bruch mit der Ost-LDP beendet er<br />
seine »Sendepause« (Heß) und orientiert sich auf die Westbindung. Das Gespür für die in-<br />
nerparteilichen Dynamiken scheint weniger zu seinen Stärken gehört zu haben, wenn er<br />
auch in Zusammenarbeit mit Ernst Meyer die FDP-Gründung unter den selbst gesetzten<br />
Vorzeichen bewerkstelligt und erster Bundesvorsitzender wird. Gleichzeitig nimmt sein<br />
Einfluss ab, wohingegen der rechte Flügel an Einfluss hinzugewinnt. Die Zeit vor der Wahl<br />
von <strong>Heuss</strong> zum Bundespräsidenten ist geprägt von einem pragmatischen Überdecken<br />
dieser Gegensätze. Im Nachfolgenden nimmt <strong>Heuss</strong> eine seiner Partei gegenüber zurück-<br />
haltende Position ein und wird auf Wunsch hin und wieder vermittelnd aktiv.<br />
Interessant ist eine von Becker zitierte Einschätzung der amerikanischen Militärre-<br />
gierung: »<strong>Heuss</strong> has also serious shortcomings. One of them is that he has grown old.<br />
Another one is the fact that although he is certainly an author [...], although he is possib-<br />
ly a statesman, he is not a politician, not an organizer, and that his appeal to mass au-<br />
diences may be doubted.« 184 Wenn die Absolutheit der Einschätzung zwar zu hinterfragen<br />
ist, so scheint einiges für die These zu sprechen. Dadurch aber, dass <strong>Heuss</strong> über die<br />
Arbeit im Parlamentarischen Rat der FDP ein alternatives Profil zu dem der FDP-Wirt-<br />
schaftsrat-Fraktion geben konnte, konnte er seine »staatsmännischen« Stärken zur<br />
Geltung bringen, und mit Publizität verknüpfen. Dies ist ein Zufall, denn sowohl Aufgabe<br />
als auch Politikstil des Rates sind bis heute außergewöhnlich geblieben. Die Ausübung des<br />
Bundespräsidenten-Amts schließlich sicherte ihm die Möglichkeit, den Parteivorsitz abge-<br />
ben zu können, bevor die Flügelkämpfe sich verschärfen. Dass er aus diesen als ein<br />
Sieger heraus vorgegangen wäre, kann man bezweifeln. Dabei hätte er sich konflikt-<br />
trächtiger positionieren müssen, Mehrheiten organisieren und zusätzlich noch die Rolle der<br />
Partei in der Regierungskoalition im Auge haben müssen. Dies entsprach jedoch nur be-<br />
dingt seinem Politikverständnis.<br />
4.3 Verfassungspolitik<br />
Mehrere Jahre war ungeklärt, in welcher Form und in welchem Rahmen sich deutsche<br />
Politik entfalten werden kann. Seit Februar/März 1948 konkretisierte sich dies. Vom 23.-<br />
26. Februar 1948 konferierten die drei westlichen Alliierten, unter Beteiligung der Bene-<br />
lux-Staaten über die Zukunft der drei Besatzungszonen und ihre engere Kooperation. Ins-<br />
184 Becker (2003); S. 141<br />
70
esondere bei den Vorstellungen über das Verhältnis von zentraler Staatsmacht zu den<br />
föderalen Teilen eines zukünftigen westdeutschen Staats gab es deutliche Differenzen.<br />
Frankreich, das entgegen dem eigenen Staatsprinzip für Deutschland einen weitrei-<br />
chenden Föderalismus forderte, stand den Positionen von USA und Großbritannien gegen-<br />
über. USA und Großbritannien reagierten auf diese Positionierung mit der konkreten Pla-<br />
nung des Umbaus der Bizonenverwaltung. »Frankreich konnte hiergegen nichts<br />
unternehmen und musste erkennen, dass die amerikanisch-britische Allianz langsam, aber<br />
zunehmend kraftvoller, vollendete Tatsachen schuf, denen sich die angegliederte franzö-<br />
sische Zone nicht hätte entziehen können.« 185 Aufgrund dieser Kontroversen einigte sich<br />
die Konferenz in ihrem Schlusskommuniqué nur auf die notwendigsten Punkte, die sich<br />
ungefähr so zusammenfassen lassen: »angemessene Zentralinstanz«, »Regierungsform<br />
föderalistischen Typs« und »Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten.« Daraus<br />
entsprangen später weitere Probleme, wie Blank hervorhebt: »Der Auftrag, eine Re-<br />
gierungsform zu schaffen, die sowohl die Rechte der Länder sicherte als auch eine ange-<br />
messene Zentralinstanz vorsah, beschwor nicht nur in der Frage der Ausgestaltung der<br />
künftigen Ordnung den alten Gegensatz zwischen Unitarismus/Zentralismus und Föde-<br />
ralismus wieder herauf, [...] sondern führte mehr noch dazu, dass beide Richtungen sich<br />
mit der gleichen Berechtigung auf den Inhalt des Dokuments berufen konnten.« 186 Neben<br />
der Schaffung eines dergestalt umrissenen politischen Körpers und einer deutschen<br />
Verfassung beschäftigten sich die Beschlüsse mit der territorialen Gliederung der Länder<br />
sowie der Zusammenarbeit der drei Zonen »zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik und<br />
Praxis in der britisch-amerikanischen und der französischen Zone.« 187 Dies ist die Ge-<br />
burtsstunde der westdeutschen Verfassungspolitik, wenn sie auch Vorläufer in den<br />
Länderverfassungen hat.<br />
▌ Frankfurter Dokumente<br />
Am 1. Juli 1948 überreichten die drei Westalliierten den deutschen Ministerpräsidenten<br />
die aus den Londoner Beschlüssen resultierenden Handlungsaufträge. Dies geschah in<br />
einem formellen Akt und im Nachfolgenden wurden sie als die »Frankfurter Dokumente«<br />
bezeichnet.<br />
Das erste Dokument beinhaltete den Auftrag zur Schaffung einer Verfassung föderalis-<br />
tischen Typs. Hierbei wurden die Formeln des Londoner Kommuniqués wiederholt: So sei<br />
eine verfassungsgebende Versammlung zu berufen. Auftrag ist erstens »die gegenwärtig<br />
zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen« 188 nebst Schaffung einer<br />
185 Wilms (1999); S. 56<br />
186 Blank (1995); S. 319<br />
187 Wilms (1999); S. 58<br />
71
»angemessenen Zentralinstanz,« zweitens aber auch »die Rechte der beteiligten Länder«<br />
zu schützen.<br />
Das zweite Dokument enthielt die Aufforderung, »die Grenzen der einzelnen Länder zu<br />
überprüfen, um zu bestimmen, welche Änderungen sie etwa vorzuschlagen wünschen.«<br />
Ziel dabei sei es, »möglichst die Schaffung von Ländern vermeiden, die im Vergleich mit<br />
anderen Ländern zu groß oder zu klein sind.«<br />
Im dritten Dokument wurden die Grundsätze für ein Besatzungsstatut veröffentlicht,<br />
das die »sorgfältige Definition der Beziehungen zwischen dieser Regierung und den Alli-<br />
ierten Behörden«vornehmen sollte (und am 10.Mai 1949 erlassen wurde).<br />
▌ Rolle der Landesregierungen<br />
Den Ländern kommt bei diesem Vorgehen die zentrale Rolle in der Bildung des neuen<br />
Staats zu. Und demzufolge übernahmen die Ministerpräsidenten die wichtige Rolle der Po-<br />
sitionsbildung und der Vorbereitung der Verfassungsgebenden Versammlung. Blank weist<br />
darauf hin, dass dies nicht bedeutete, dass das Prinzip der parteipolitischen Vorstellungen<br />
dadurch aufgehoben wurdw. Waren die Ministerpräsidenten diejenigen, die zum Handeln<br />
in der Frage ermächtigt wurden, so weitete sich der Einfluss der Parteiwn sowohl über die<br />
Arbeit des Wirtschaftsrats als auch über ein in Veränderung befindliches Politikverständnis<br />
auf Länderebene aus. »Die Doppelfunktion der Ministerpräsidenten als Regierungschefs<br />
beziehungsweise als Repräsentanten ihrer Länder und zugleich parteipolitischer Akteure<br />
rief dabei jenen Widerstreit zwischen dem in realpolitischen Pragmatismus eines in poli-<br />
tischer Verantwortung stehenden Landespolitikers und dem Prinzipienstreit parteipoli-<br />
tischer Grundpositionen hervor.« 189 Der Zeitraum von der Londoner Konferenz zur Verab-<br />
schiedung des Grundgesetzes ist dadurch gekennzeichnet, dass das auf Landesebene<br />
zunächst praktizierte konkordante Prinzip allmählich einem Modell von Koalitions- oder<br />
sogar Alleinregierungen wich.<br />
Die erste gemeinsame Beratung über die Dokumente geschah im Berghotel »Ritter-<br />
sturz« in Koblenz. Diese Konferenz hat in mehrerlei Aspekten eine herausgehobene Be-<br />
deutung. Erstens weil hier die Generallinie der Ministerpräsidenten zur zukünftigen Ver-<br />
fassung formuliert werden. Zweitens wird sie neben dem Feld der Verfassungspolitik (und<br />
gerade im Zusammenhang mit der Bildung des Wirtschaftsrats) zum Formulierungsfeld<br />
bundesparteilicher Positionen. Zwar nahmen die Parteivorsitzenden der großen Parteien,<br />
Adenauer und Ollenhauer (i. V. für Schuhmacher) nicht kraft Mandat daran teil, übten<br />
188 Michaelis/Schraepler/Scheel (1978) ; Die Frankfurter Richtlinien der Militärgouverneure der USA,<br />
Großbritanniens und Frankreichs an die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen vom<br />
1.Juli 1948; S. 148ff.<br />
189 Blank (1995); S. 303<br />
72
aber über Fraktionssitzungen ihren Einfluss aus. 190 »<strong>Heuss</strong> hatte es allerdings abgelehnt,<br />
als Parteiführer und durch persönliche Anwesenheit direkten Einfluss auf den Gang der<br />
Koblenzer Verhandlungen der Ministerpräsidenten zu nehmen. Für diese unter den west-<br />
deutschen Liberalen keineswegs unumstrittene Entscheidung lassen sich die Gründe leider<br />
nur vermuten, da Aussagen von <strong>Heuss</strong> selbst fehlen.« 191 Die Tatsache freilich, dass <strong>Heuss</strong><br />
dies nicht tat, ist gerade vor dem Hintergrund der beginnenden parteipolitischen Pro-<br />
filierungen der bundesweiten Kräfte verwunderlich. Einmal deshalb, weil dadurch der<br />
Einfluss der württembergisch-badenschen DVP auf die Gestaltung der Bundespolitik po-<br />
tenziell geschwächt wurde und zweitens die Funktion des Parteivorsitzenden von vornher-<br />
ein nicht in der Art genutzt wurde, wie dies Adenauer oder Schuhmacher zur Durch-<br />
setzung ihrer Politik taten.<br />
▌ Charakter des Staats und Verfassungsgebung<br />
Die Ministerpräsidenten wichen an einigen Stellen sehr deutlich von den Frankfurter<br />
Dokumenten ab: So wünschten die Anwesenden zwar eine engere Kooperation der drei<br />
Westzonen aber eine gleichzeitige Ablehnung eines finalen westdeutschen Staats um das<br />
Ziel der deutschen Einheit nicht zu gefährden. Bei diesem neuen Staatsgebilde sollte es<br />
sich »lediglich um ein Provisorium« handeln. Jung beschreibt das sich aus der Aufgaben-<br />
stellung ergebene Dilemma: »Ergriffen sie die ihnen seit der Londoner Sechs-Mächte-Kon-<br />
ferenmz gebotene Chance, fürchteten sie die faktische Teilung Deutschlands festzu-<br />
schreiben.« 192 Zudem fürchtete man die Einheitspropaganda, die von östlicher Seite zu<br />
erwarten gewesen wäre, die in Einklang mit erwarteter rechtsextremistischer Obstruktion<br />
das Anliegen zu einem schweren politischen Kampf machen könnte. 193 Für den Verzicht<br />
auf die naheliegende und von den Alliierten ausdrücklich geforderte direkte Legitimation<br />
musste eine Rechtfertigung für die Ausnahme von der demokratischen Regel gefunden<br />
werden: Die daraus entspringende später stilbildende Konstruktion war das Konzept der<br />
»Überlegitimation.« Eine zu direkte und eindeutige Legitimation hätte demnach suggeriert,<br />
dass das »Provisorium« zum finalen Gebilde werden würde. 194 Zudem suchte man nach<br />
einer Möglichkeit, den Alliierten die politische Verantwortung für die Verfassung zu über-<br />
tragen: Die Rede war von einem »politischen Alibi«, dass vor neuen Dolchstoßlegenden<br />
schützen sollte. Allgemein befanden sich die Beteiligten in dem Dilemma, die Konsequenz<br />
aus der faktischen Teilung Deutschlands ziehen zu müssen um den Wiederaufbau<br />
voranzubringen ohne die Teilung Deutschlands zementieren. Heß arbeitet heraus, wie<br />
190 Hein (1985); S. 327 (Anmerkung Nr. 43)<br />
191 Heß (1985); S. 119<br />
192 Jung (1994); S. 209<br />
193 Jung (1994); S. 211<br />
194 ein Beispiel für diese Übernahme aus dem Jahr 1960 findet sich bei Fromme (1999); S. 17<br />
73
schwer es <strong>Heuss</strong> vor diesem Hintergrund fiel, zwischen einem realistischen Sinn für die<br />
deutschen Handlungsspielräume und einer Nationsvorstellung, die alle Besatzungszonen<br />
umfasste, den Weg zu einem zielstrebigen politischen Programm zu finden. Im Gegensatz<br />
zu Adenauer hatte <strong>Heuss</strong> keine klare Vorstellung davon, was sich seiner Meinung nach aus<br />
der geopolitischen Lage ergeben muss. Der spätere Kanzler äußerte bereits 1945 eine sol-<br />
che klare Vorstellung: »Der nicht von Russland besetzte Teil Deutschlands ist ein in-<br />
tegrierender Teil Westeuropas.« 195 Die <strong>Heuss</strong>-Strategie bestand darin, sich weder für eine<br />
Option einzusetzen, noch irgendeine Vorentscheidung herbeizuführen. Auffallend ist die<br />
lange »Sendepause« (Heß) zum Thema. Diese Verweigerung einer Optionswahl zwischen<br />
gesamtdeutsch und Westen wurde erst nach dem endgültigen Scheitern der DPD im Ja-<br />
nuar 1948 beendet. »Irgendwann in den Wochen nach der gescheiterten Tagung der DPD<br />
vom 18. Januar 1948 wird er sich auf den Weststaat eingestellt haben.« 196<br />
Letztlich ist <strong>Heuss</strong>' Handlungsstrategie ein gutes Beispiel für die Wirkung der norma-<br />
tiven Kraft des Faktischen: Abwarten heißt de facto Partei ergreifen für den Weststaat.<br />
Wilms weist darauf hin, dass Amerikaner und Briten dies ähnlich sahen: »Die erste Vari-<br />
ante der Bizone hatte lediglich eine wirtschaftliche Bedeutung. Allerdings war es von<br />
Anfang an vorhersehbar, dass eine bloße wirtschaftliche Vereinigung der beiden Zonen<br />
ohne politische und staatsorganisatorische Konsequenzen auf Dauer nicht funktionieren<br />
können. Dies wurde bereits während der Verhandlungen zum Abschluss der Verwaltungs-<br />
abkommen Ende 1946 von Mitgliedern der US-Militärregierung zugegeben, auch wenn in<br />
der Öffentlichkeit zunächst noch anderes behauptet wurde« 197<br />
Die in Koblenz zu den Fragen von Dokument 1 getroffenen Entscheidungen 198 trafen<br />
auf die Kritik insbesondere der amerikanischen Besatzungsmacht. Die zögernde Haltung<br />
zur Bildung eines Weststaats (»ein Grundgesetz für die einheitliche Verwaltung des Be-<br />
satzungsgebiets«) und der Versuch, sowohl Volk als auch Länderparlamente weitestge-<br />
hend aus dem Verfassungsprozess herauszuhalten, zeigte General Clay kein Verständnis.<br />
Da die französische Seite dies für den Versuch nutzte, sich vorsichtig von den mühsam<br />
vereinbarten Londoner Empfehlungen weg zu orientieren, erhöhten die USA den Druck.<br />
Zwischen dem 15. und 20. Juli wurde nun verhandelt. Insbesondere stießen auf alliierter<br />
Seite auf: Die Bezeichnung »Grundgesetz« anstelle von Verfassung, darüber hinaus die<br />
Zugriffe der Ministerpräsidenten auf die Ernennung der Mitglieder einer verfassungsge-<br />
benden Versammlung (statt der Landesparlamente) und auf die Zuständigkeit für die<br />
Wahlen zu den neuen politischen Körperschaften. Außerdem beharrten die Amerikaner auf<br />
einer Volksabstimmung und darauf, dass die Arbeit der verfassunggebenden Versamm-<br />
195 Klessmann(1991); Schreiben an den Oberbürgermeister von Duisburg vom 31.10.1945; S. 425<br />
196 Heß (1985); S. 115<br />
197 Wilms (1999); S. 47<br />
198 Wilms (1999); S. 68<br />
74
lung sich nicht zu sehr von den Londoner Beschlüssen entfernen dürfe. Nach einigem hin<br />
und her der Positionen unter Deutschen sowie unter Deutschen und Alliierten wurde<br />
schließlich am 26.Juli 1948 den Deutschen weitgehende Zugeständnisse gemacht. Das<br />
Werk durfte »Grundgesetz« heißen (mit dem Zusatz »Verfassung«), darüber hinaus wurde<br />
signalisiert, dass man eine Ratifizierung der Verfassung durch die Landtage statt durch<br />
Volksabstimmung akzeptieren würde. Bedingung dafür war jedoch die Akzeptanz der<br />
Frankfurter Dokumente. 199<br />
▌ Neuordnung der Ländergrenzen<br />
Ein den westlichen Alliierten wichtiger Punkt betraf die Neuordnung der Länder-<br />
grenzen, wie sie in Dokument 2 angemahnt wurden. Die Ministerpräsidenten wollten dies<br />
jedoch hintanstellen. Eindeutiger belegt als zu Dokument 1 sind <strong>Heuss</strong> Einstellungen zu<br />
dieser Frage. Bereits im Juli 1945 nimmt er in einem Gutachten Stellung zur Schaffung<br />
eines neuen Landes Württemberg-Baden: Vor allem Gründe der materiellen Versorgung<br />
und der staatlichen Effizienz spielten hierbei eine Rolle: »Nach dem Wegfall der Dynastien<br />
(1918) wurden die Möglichkeiten einer ökonomischen Bedürfnissen entsprechenden Neu-<br />
gliederung versäumt; die Rücksicht auf den eingespielten Verwaltungsapparat und auch<br />
Machtpositionen in den parlamentarischen Länderregierungen war stärker als das rationell<br />
Gebotene.« 200 Dies trug zur Schaffung eines gemeinsamen nordwürttembergisch-nord-<br />
badischen Landes maßgeblich bei (innerhalb der amerikanischen Besatzungszone). Blank<br />
weist auf die später vorgenommene de facto »verfassungsmäßige Verankerung« der<br />
Vereinigung des Landes mit Südwürttemberg und Südbaden hin, die im Geiste dieser Ide-<br />
en folgt (einfache Mehrheit für diese Schaffung des Südweststaats, Landesverfassung Art<br />
107). <strong>Heuss</strong> wie Maier sind aktive Förderer dieser Vereinigungspolitik.<br />
▌ Verhältnis Zentralstaat - Länder<br />
Die von den Frankfurter Dokumenten so unklar definierte Frage des Verhältnisses von<br />
Zentralgewalt zu Ländern spielte in Koblenz eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl hatten<br />
Länder, Ministerpräsidenten und Parteien durchaus eigene Vorstellungen davon, wie das<br />
aussehen soll. Von den Ländern der amerikanischen Besatzungszone wünschte Hessen<br />
eine stärker zentralistische Verfassung mit präsidialem Charakter, dagegen übernahm<br />
Bayern bereits sehr früh die Rolle des Fürsprechers starker föderaler Elemente. In der<br />
amerikanischen Zone wurde die Diskussion darüber seit 1947 maßgeblich durch das<br />
»Deutsche Büro für Friedensfragen« koordiniert. Schnabel verortet Württemberg-Baden<br />
zwischen diesen Polen: »Im Vorfeld des Parlamentarischen Rats stand Württemberg-<br />
199 Die Details und Chronologien sind auch für die Haltungen der verschiedenen Bundesländer ausführ-<br />
lich beschrieben bei: Blank (1995); v.a. S. 33-58<br />
200 Pikart (1966); S. 92<br />
75
Baden den bayerischen Verfassungsvorstellungen nicht allzufern, auch wenn man in Stutt-<br />
gart die Zentralgewalt stärker als in München ausbauen wollte.« 201 <strong>Heuss</strong> nimmt eine<br />
mittlere Position ein. Er betont die Notwendigkeit einer sinnvollen Balance zwischen den<br />
föderalen Teilen: »Wenn man an eine föderative Gestaltung Deutschlands denkt, so muss<br />
das Bestreben sein, nachdem der Großkörper Preußen verschwunden ist und die Kleinge-<br />
bilde (Braunschweig, Anhalt usf.) aufgesogen, die Glieder ungefähr entsprechend zu hal-<br />
ten.« 202 Insbesondere die südwestdeutsche Vereinigung würde hier die »zentripetalen<br />
Strömungen in Bayern« unterstützen. Diese Denkweise findet sich auch in seinem 1945er<br />
Gutachten: »Dass Bayern, die Heimat des Nationalsozialismus, als abgeschlossenes Staa-<br />
tengebilde nun unter partikularistischer Leitung mit vielleicht klerikalem Einschlag erhalten<br />
blieb, während die beiden Staaten der demokratischen und liberalen Tradition, Württem-<br />
berg und Baden, zerschnitten sind, erscheint für die deutsche Gesamtentwicklung als<br />
wenig erfreulich.« 203 Insofern kommt implizit dem Zentralstaat die Aufgabe zu, diese Ba-<br />
lance zu gewährleisten und den »hegemonialen Föderalismus« des Kaiserreichs im Kern<br />
zu verhindern. 204 Bereits 1918 findet man bei <strong>Heuss</strong> Überlegungen wieder, die dem<br />
Zentralstaat eine wichtige Funktion zuweisen: Wenn auch stärker unter dem Dach des Na-<br />
umannschen Konzepts sozialen Kaisertums, so wünscht er eine Verlagerung der Gewichte<br />
von den Teilstaaten (und ihren Monarchen) hin zur Zentralgewalt (in Form ihrer parlamen-<br />
tarischen Vertretung). Der erste Grund betrifft die Interessenlagen: Die weisungsgebun-<br />
denen Regierungsvertreter eines Länderrats oder gar der Dynastien sieht <strong>Heuss</strong> als Brem-<br />
sen des Demokratisierungsprozesses. Einzig der aus dem Parlamentarismus<br />
entstammende unabhängige Abgeordnete konnte dem Projekt der Demokratisierung die<br />
notwendige Schubkraft geben. Der zweite Grund ist pragmatischer Natur: Eine Neuaus-<br />
richtung des Zentralstaats dient der Bewältigung von Problemen im Bereich der Infra-<br />
struktur (»Verkehrspolitik, die wasserwirtschaftliche Zukunft«), der Neuordnung der<br />
»Reichsfinanzfrage« oder im Bereich des Kartellrechts. 205<br />
▌ Besatzungsstatut<br />
Die Ministerpräsidenten wünschten den Erlass eines Besatzungsstatuts zeitlich vor der<br />
Schaffung einer Verfassung und kamen überein, eigene Vorschläge zu dessen Gestaltung<br />
vorzulegen. Dies entsprach auch der Ansicht von <strong>Heuss</strong> im Jahr 1947: »Ich selber habe<br />
die Auffassung, dass im Augenblick der Erlass eines Statuts über Deutschland uns für die<br />
201 Schnabel(1989); S.43<br />
202 Pikart (1966); Zur Frage der staatsrechtlichen Gestaltung Deutschlands (Juli 1947) ; S. 135<br />
203 Pikart (1966); Nordbaden-Nordwürttemberg (08.07.1945); S. 93f.<br />
204 <strong>Heuss</strong> (1950); S. 15<br />
205 siehe im Einzelnen <strong>Heuss</strong> (1918)<br />
76
innen- und außenpolitische Entwicklung erwünschter sein muss als der eines Vertrags, der<br />
irgend einmal nachfolgen kann, denn die Lebensbedingungen für Deutschland werden so<br />
schwer sein, dass eine vertragliche Verpflichtung eine Lähmung jener Kräfte mit sich füh-<br />
ren würde, die ihr Ja dazu sagen.« 206 1948 stellte er die Frage des vorzeitigen Erlasses<br />
weniger deutlich in den Vordergrund wie Carlo Schmid dies tat. <strong>Heuss</strong> war es vorrangig<br />
darum gegangen, die Verfassungsgebung nicht zu stark von den Formulierungen eines<br />
solchen Statuts abhängig zu machen. Einerseits stellte er sich aus Realismus hinter die<br />
Grundgedanken der Londoner Empfehlungen, andererseits mahnte er eine den eigenen<br />
Vorstellungen entsprechende selbstbewusste Verfassungsgestaltung an, »als ob« man<br />
souverän wäre. 207 Da man es nicht ist, muss man den Alliierten möglichst sachlich die<br />
Verantwortung geben ohne die eigene für das eigene Werk zu leugnen: »Ich will kein<br />
großes Pathos für diese Aufgabe, aber ich will eine innerlich saubere Atmosphäre und will<br />
dann den Militärgouverneuren die Verantwortung geben. Ich will ihnen gar nichts Provo-<br />
zierendes hingestellt haben, aber etwas, was sich sehen lässt.« 208 Letztendlich wurde der<br />
Wunsch, das Besatzungsstatut vor der Verfassung zu veröffentlichen von den Kommissa-<br />
ren abgelehnt und es trat zeitgleich mit dem Grundgesetz in Kraft.<br />
▌ Vorarbeiten zum Parlamentarischen Rat<br />
Nach dem 26.Juli 1948 konnte nun mit den Vorarbeiten zum Parlamentarischen Rat<br />
begonnen werden. Bevor dieser einberufen wurde, traf sich vom 10. bis 23. August 1948<br />
auf der bayrischen Insel Herrenchiemsee ein »Konvent« von Sachverständigen der<br />
Länder, der die Aufgabe hatte, Grundzüge einer neuen Verfassung zu erörtern und zu<br />
entwerfen. »Formal lediglich als Expertengremium ohne politische Legitimation« 209<br />
werden hier auf Einladung der Ministerpräsidenten jedoch wichtige Vordiskussionen ge-<br />
führt. 210 Während des Treffens wurden die Grundzüge, die später das institutionelle Ge-<br />
füge der Bundesrepublik charakterisieren bereits vordiskutiert, wie etwa das Zwei-<br />
kammerprinzip mit einer Länderkammer, Hoheiten der Länder, der Ausschluss<br />
direktdemokratischer Elemente, ein neutrales Staatsoberhaupt und der Bindung der Re-<br />
gierung an eine Parlamentsmehrheit (parlamentarisches statt präsidentielles System). Im<br />
Nachgang der Arbeit in Herrenchiemsee gab es Kontroversen darüber, welchen Status die<br />
Arbeit des Konvents hat, ob er also nur die Privatmeinung von verschiedenen Personen<br />
äußerte oder mehr darstelle. Feldkamp bilanziert, dass die Realität in der Mitte anzu-<br />
206 Heß (1985); <strong>Heuss</strong> an August Weber am 22.11.1947; S. 105<br />
207 Heß (1985); S. 118<br />
208 Heß (1985); Rede vom 07.07.1948; S. 118<br />
209 Klessmann (1991); S. 196<br />
210 Jung (1994); Zur Kritik Jungs an Qualität , Legitimation und Ausgewogenheit der Diskussion; S.<br />
234ff.<br />
77
treffen ist und die Arbeit in Herrenchiemsee auch weitestgehend das Ende der Einfluss-<br />
nahme der Landesregierungen bedeutete: »Obwohl der Entwurf des Verfassungskonvents<br />
nicht den Charakter einer offiziellen Vorlage an den Parlamentarischen Rat erhielt, so<br />
hatten die Ministerpräsidenten auf Herrenchiemsee doch umfassend zur Arbeit an einer<br />
westdeutschen Verfassung beitragen können und für den Parlamentarischen Rat 'wertvolle<br />
Vorarbeiten' geleistet. Ihre Mitarbeit war damit aber auch weitestgehend erschöpft.« 211<br />
Als Vertreter Württemberg-Badens beim Herrenchiemseer Konvent nehmen Kurt Held und<br />
Josef Beyerle teil, nicht <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>.<br />
▌ Parlamentarischer Rat<br />
Während der Einfluss von <strong>Heuss</strong> auf die Positionen der Ministerpräsidentenkonferenzen<br />
relativ gering gewesen ist, weil er seine Rolle als Parteivorsitzender nicht einsetzte,<br />
änderte sich dies im Parlamentarischen Rat: In der sechsköpfigen FDP-Delegation war er<br />
der Fraktionsvorsitzende. Daneben eher gemäßigte bis linke ehemalige DDPler, auch aus<br />
Ländern delegiert, »deren liberale Organisationen zum Kern des sich mehr und mehr<br />
formierenden rechten Flügels gerechnet werden mussten« 212 Nur ein Vertreter, Max Be-<br />
cker aus Hessen kam aus der Weimarer DVP. Diese eher zufällige Konstellation stärkte<br />
<strong>Heuss</strong>' Position. Zudem entsprach der eher durch die Materie geforderte konsensuelle Stil<br />
des Gremiums seinen politischen Fähigkeiten und seinen politischen Grundvorstellungen.<br />
<strong>Heuss</strong> konnte zudem Positionen durchsetzen, die innerparteilich umstritten waren: Das<br />
beginnt bei der Befürwortung des Verfassungsentwurfs an sich und führt insbesondere zu<br />
einem moderaten Föderalismusverständnis und einer Festlegung auf ein parlamen-<br />
tarisches statt eines präsidentiellen Systems. <strong>Heuss</strong> sprach rückblickend davon im<br />
parlamentarischen Rat »zwischen CDU und SPD mit meinen Freunden eine Art von<br />
Schlüsselfigur« gewesen zu sein. 213 Zum Einen ergibt sich diese Konstellation rein funktio-<br />
nal aus der Fraktions-Arithmetik und dem zahlenmäßig geringen Einfluss der FDP.<br />
Andererseits ist dies Schlüsselstellung gerade das Ergebnis von <strong>Heuss</strong>' Positionierung. So<br />
gelang es ihm, die Arbeit der Fraktion gegenüber der Bundespartei abzusichern. 214 Inner-<br />
parteilich bewegten sich die FDPler im Parlamentarischen Rat auf schmalen Fundament:<br />
»Ihr Standpunkt wurde allerdings in der Partei nur von einer, wenngleich zahlenmäßig be-<br />
deutenden, Minderheit, nämlich den vier süddeutschen Landesverbänden uneingeschränkt<br />
211 Feldkamp (1998); S. 32<br />
212 Hein (1985); S. 328; In der Fraktion befanden sich: <strong>Heuss</strong>, Höppker-Aschoff (später Präsi. d.<br />
Bundesverfassungsgerichts), Reif (später MdB, MdA Berlin), Dehler (später Justizminister), Schäfer<br />
(später Min. f. bes. Aufgaben) und Becker (später Vizepräsident d. Bundestages)<br />
213 Kohler (1989); Rede vor der evangelischen Akademie in Bad Boll am 29.09.1955; S. 35<br />
214 vgl. Hein (1985); S. 331<br />
78
unterstützt.« 215 Der verglichen mit der historischen Situation 1919 geringeren Einfluss<br />
legte eine moderierend-vermittelnde Rolle während der Verhandlungen nahe, was wieder-<br />
um <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> sehr entgegen kam. Die Erfolge dieses liberalen Einflusses sind denn<br />
auch weniger in Abstimmungsergebnissen als in dem Maße sichtbar, in dem liberale Vor-<br />
stellungen letztlich das Grundgesetz prägen.<br />
Der Arbeitsauftrag des Parlamentarischen Rats wurde aus zwei Quellen gebildet - aus<br />
den Frankfurter Dokumenten und aus der Positionierung der Ministerpräsidenten zu diesen<br />
Dokumenten. Hinsichtlich der Erfüllung dieses Auftrags hat jedoch auch der Umstand eine<br />
große Bedeutung, dass sich ein neues politisches Organ auch selbst definiert und gegen-<br />
über dem Wirtschaftsrat, den Parteien oder den Landesregierungen positioniert. Gerade<br />
letztere sahen ihre Aufgabe noch nicht als erledigt an und wollten sich nicht auf die Brief-<br />
träger-Funktion im Nachgang der Arbeit des Rats beschränkt sehen. Deshalb wurde ein<br />
Koordinationsbüro der Ministerpräsidenten in Bonn gegründet, Landesregierungen nahmen<br />
auch an den Sitzungen teil, jedoch eine offensivere Einflussnahme erfolgte lediglich von<br />
Bayern, das den Versuch unternahm, seine föderalen Vorstellungen durchzusetzen.<br />
Der Parlamentarische Arbeit entfaltete bald seine eigene Dynamik: Dabei spielten ohne<br />
Frage die Fraktionen eine wichtige Rolle, vor allem die Positionsbildungen von CDU und<br />
SPD und die Tatsache, dass vieles in so genannten »interfraktionellen Besprechungen«<br />
geklärt wurde. Gleichzeitig ermöglichte die Struktur der Arbeit und die Art der Aufgabe<br />
eine relativ große Einflussnahme des einzelnen Abgeordneten. Helms hebt den konsensu-<br />
ellen Grundcharakter des Parlamentarischen Rats hervor: »Die Grundprinzipien des<br />
parlamentarischen Systems, einschließlich seiner Besonderheiten, wie der parlamen-<br />
tarischen Kanzlerwahl oder des 'konstruktiven' Misstrauensvotums, wurden zügig und<br />
weitgehend einvernehmlich beschlossen.« 216 Ausnahmen dieser eher am Konsens<br />
orientierten Diskussionskultur bildeten die föderale Verfasstheit. Insbesondere der bay-<br />
rische Ministerpräsident Ehard versucht hier stark auf eine Föderalisierung Einfluss zu<br />
nehmen. Dennoch gelang es, eine Lösung herbeizuführen: »Die vollkommene Gleichbe-<br />
rechtigung von Bundesrat und Bundestag konnte nicht erzielt werden; sie wurde jedoch<br />
im wesentlichen durch eine Erweiterung des Katalogs der Gesetze, für die eine Zustim-<br />
mung des Bundesrats erforderlich wurde, sichergestellt.« 217 Dies wurde durch einen Kom-<br />
promiss bei der Frage der Bundesfinanzverwaltung ergänzt.<br />
Auch an den Akteuren lässt sich die Ambivalenz von Parteiarbeit und konkordantem<br />
Prinzip des Gremiums verdeutlichen. Zunächst am Vorsitzenden des Rats, Konrad Adenau-<br />
er: Zwar »schien das Amt Adenauers eher dem eines Parlamentspräsidenten als dem<br />
eines Regierungschefs vergleichbar« zu sein, dennoch nutzte Adenauer die Möglichkeiten,<br />
215 Hein (1985); S. 344<br />
216 Helms (1999); S. 148<br />
217 Feldkamp (1998); S. 134<br />
79
die sich ihm boten für eine Profilierung in Richtung Kanzlerschaft: »Als Ratspräsident<br />
wurde er [...] zum alleinigen Sprecher der (west-)deutschen Seite mit den drei Besatz-<br />
ungsmächten. Auch fasst er sein Amt als höchste Repräsentanz der (west-)deutschen<br />
Kräfte oberhalb der Länderebene auf. [...] Schließlich festigte er die eigene Führungsrolle<br />
in der CDU/CSU, obschon er sich um die Details der Grundsatzberatungen nur in wenigen<br />
Ausnahmefällen kümmerte, und wurde für die breitere Öffentlichkeit neben Kurt Schuh-<br />
macher, in dem viele den zukünftigen Kanzler sahen, eine 'Figur'.« 218 <strong>Heuss</strong> kritisierte<br />
diese wenig auf die Details der eigentlichen Arbeit konzentrierte Politikstrategie, gleichfalls<br />
bot der Parlamentarische Rat auch ihm das Feld, sich zu profilieren, gerade als Gegen-<br />
modell zu Adenauer, als der Intellektuelle in der Politik.<br />
Mit anhaltender Arbeit veränderte sich das Verhältnis der Abgeordneten zum Arbeits-<br />
auftrag, eine Verfassung für ein »Provisorium« zu schaffen. »Für die meisten Parlamenta-<br />
rier stand jedoch bald fest – und mit zunehmenden Gedeihen des Werkes mag die<br />
Erwartung gewachsen sein, den Aufwand für mehr als ein Provisorium zu betreiben -,<br />
dass das Grundgesetz 'vor allem im geografischen Sinne' [<strong>Heuss</strong>] als Provisorium zu ver-<br />
stehen sei, 'strukturell' aber etwas geschaffen werden sollte, was den Staat neu zu<br />
organisieren vermochte und die 'Tore zu einer besseren Zukunft Deutschlands' [Schmid]<br />
öffnete.« 219 Bauer-Kirsch zitiert hier <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>, der nüchtern mit Blick auf die Ko-<br />
blenzer Beschlüsse feststellt: »Es ist beschlossen worden, keine Verfassung zu machen.<br />
Tatsächlich machen wir eine Verfassung.« 220<br />
Die Themenfelder, in denen <strong>Heuss</strong> sich in besonderer Weise eingebracht hat, hier dar-<br />
stellen zu wollen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Schließlich gehörte er den<br />
wichtigsten Gremien an, dem Hauptausschuss und dem Ausschuss für Grundsatzfragen. In<br />
dieser Perspektive ist alles relevant – und <strong>Heuss</strong> hat intensiv von seinem Recht Gebrauch<br />
gemacht, sich an Debatten zu beteiligen.<br />
Von hervorgehobenen Interesse sind auch aus der Verfassungstradition die Grundrech-<br />
te. Im Grundsatzfragen-Ausschuss einigte man sich darauf, der Verfassung wieder einen<br />
Katalog von Grundrechten voranzustellen. Diese sollten allerdings vom Umfang her<br />
beschränkt werden und nicht die sozialen oder wirtschaftlichen Grundrechte umfassen.<br />
Dafür sollten sie eine möglichst konkrete Rechtswirkung statt eine symbolischen Wirkung<br />
entfalten können, was noch in Weimar anders war. 221 »Der Ausschuss wollte, dass die<br />
Grundrechte soweit wie möglich konkretisiert und für Verwaltung, Rechtsprechung und<br />
Gesetzgeber bindend werden, also ihrer Substanz nach unverlierbar werden.« 222<br />
218 Pikart (1976); S. 23<br />
219 Bauer-Kirsch (2002); S.176f.<br />
220 Bauer-Kirsch (2002); <strong>Heuss</strong> im Ausschuss für Grundsatzfragen am 9.November 1948 ; S. 177<br />
221 Llanque (2000); S. 131<br />
222 Feldkamp (1998); S. 63<br />
80
Prononciert lehnt <strong>Heuss</strong> das über eine Bevölkerungseingabe in die Verhandlungen ge-<br />
kommene Recht auf Kriegsdienstverweigerung ab, kann sich aber nicht durchsetzen.<br />
»Nach meiner geschichtlichen Kenntnis ist der Kriegsdienst auch eine Pflicht der Demokra-<br />
tie. Es ist also unglücklich, in eine demokratische Verfassung grundsätzlich hineinzu-<br />
schreiben, dass jeder sich drücken darf, auch wenn es sich um einen Verteidigungskrieg<br />
handelt.« 223<br />
Eine intensive Diskussion entspinnt sich vor allem im Grundsatzfragen-Ausschuss über<br />
die Präambel. Diese gehört mit Sicherheit zu den am sorgfältigsten erörterten Teilen der<br />
Verfassung und wird die Arbeit des Parlamentarischen Rats durch verschiedene Aus-<br />
schüsse bis zum Ende begleiten. Kennzeichnend für die Arbeit des Grundsatzfragen-Aus-<br />
schusses ist überhaupt die untypische bisweilen weit ins Grundsätzliche ausgreifende Art<br />
der Diskussion.<br />
Ähnliche Debatten finden um die Überschrift der Verfassung und des von ihr konstitu-<br />
ierten Gebildes statt. Wenn auch das »Grundgesetz« sich schon in den Verhandlungen der<br />
Ministerpräsidenten abzeichnete, so rang man um den richtigen Namen für den Staat.<br />
»Bund Deutscher Länder« war zu föderal, »Reich« zu vielschichtig besetzt, eine Alterna-<br />
tive die »Republik Deutschland«, <strong>Heuss</strong> propagiert die »Bundesrepublik Deutschland.« 224<br />
Weniger diskutiert hingegen die Frage der Flagge. Wenn dies auch eine Angelegenheit ist,<br />
die innerhalb der Bundes-FDP umstritten war, so ist bereits in Herrenchiemsee eine<br />
Prädisposition für schwarz-rot-gold erzielt worden, was auch <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen ent-<br />
sprach. Die von der CDU eingebrachte Erweiterung um ein Kreuz wurde, nachdem die<br />
Angelegenheit noch durch einen Flaggenausschuss gegangen ist, ziemlich eindeutig<br />
verworfen. 225<br />
Eine umstrittene von den Kirchen mit heftigen Lobbyismus begleiteter Komplex war<br />
derjenige des Elternrechts auf religiöse Bildung, der religiösen Schulen und der Geltung<br />
des Konkordats aus den dreißiger Jahren. Auf <strong>Heuss</strong> geht die Lösung zurück, die Weima-<br />
rer Verfassungsartikel in das Grundgesetzes zu integrieren und somit die Freiheit der reli-<br />
gionsgemeinschaften zu gewährleisten ohne eine Staatskirche ins Leben zu rufen. Eng da-<br />
mit verbunden die Frage der Konfessionsschule und dem Elternrecht auf konfessionelle<br />
Bildung, die aus heutiger Perspektive bereits vergessen ist. <strong>Heuss</strong> ist dabei der Verteidiger<br />
der staatlichen Bindung des Bildungswesens. Welchert bilanziert: »Zu keinem Problem<br />
sprach <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> im Parlamentarischen Rat so häufig und so eingehend wie zu<br />
diesem.« 226 Am Ende entstand mit Artikel 7 zwar die Implementierung des Religionsunter-<br />
richts als ordentliches Schulfach, die Aufsicht über das Schulwesen war jedoch beim Staat<br />
223 Bundestag/Bundesarchiv/Pikart/Werner (1993); S.419<br />
224 Bundestag/Bundesarchiv/Pikart/Werner (1993); S. 169 ff.<br />
225 Bundestag/Bundesarchiv/Pikart/Werner (1993); S. XLVIII f.<br />
226 Welchert (1968); S.108<br />
81
angesiedelt. Zudem ließ die »Bremer Klausel« (Art. 141) Ländern die Möglichkeit abzuwei-<br />
chen, sofern sie zum 1.1.1949 andere Regelungen hatten.<br />
Zum Thema Volksabstimmungen äußert sich <strong>Heuss</strong> als Gegner direkter demokratischer<br />
Elemente wie man weiß besonders profiliert. Diese seien »in der Zeit der Vermassung und<br />
Entwurzelung in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen und die<br />
dauernde Erschütterung des mühsamen Ansehens, worum sich die Gesetzgebungskörper,<br />
die vom Volk gewählt sind, noch werbend bemühen müssen, um es zu gewinnen.« 227 Da-<br />
mit trug er allerdings weniger zur Meinungsbildung bei, als dass er die Mehrheitsmeinung<br />
im Gremium abbildet, die bereits in Koblenz Konsens war.<br />
Interessant ist an dieser Stelle auch die Erfindung des Bundespräsidenten. Gerade bei<br />
der Konstruktion der Bundesversammlung greift der Parlamentarische Rat auf eine<br />
<strong>Heuss</strong>/Meyersche Idee zurück.<br />
Im Kontrast zur Beschränkung der Funktionen des Präsidenten steht die Aufwertung<br />
des Regierungschefs, die später als »Kanzlerdemokratie« bezeichnet wurde. Diese findet<br />
aber ihre Begrenzung in der Koppelung an eine Parlamentsmehrheit. Wesentlich um-<br />
strittener war die Frage, wie eine zweite Kammer konstruiert werden sollte. Damit ver-<br />
bunden das bereits in den Frankfurter Dokumenten formulierte Problem, sich über das<br />
richtige Verhältnis von Föderalismus zum Zentralstaat einigen zu müssen.<br />
Wenn man den Versuch Frommes,das Grundgesetz zusammenfassen, zur Hand nimmt,<br />
so fällt in der Bilanz doch auf, wie nahe die FDP-Positionen am Ergebnis liegen. »Das<br />
Grundgesetz, so könnte man formelhaft vereinfacht sagen, ist eine modifizierte Neubele-<br />
bung der Weimarer Reichsverfassung. Es vermindert diese um das Plebiszit und um das<br />
präsidiale Element. Letzteres wird durch neuartige Kautelen für die Funktion des<br />
Parlamentarismus ersetzt, aus denen sich absichtsvoll eine Führungskonzentration beim<br />
Regierungschef ergibt. Das Grundgesetz vermehrt die Weimarer Reichsverfassung um<br />
eine verfassungsrechtlich gebändigte Notgesetzgebung und einen ausdrücklichen Repu-<br />
blikschutz.« 228 Dies bedeutet in Bezug auf die Gestaltung des institutionellen Rahmens der<br />
politischen Kultur allgemein eine Stärkung des repräsentativen Systems. Im Besonderen<br />
wird der Kanzler aufgewertet und durch dessen Parlamentsbindung bekommen nun indi-<br />
rekt die Fraktionen eine wichtigere Rolle zugesprochen. Dies geht auch einher mit der<br />
Stärkung der sie bildenden Parteien, die zudem nun in der Verfassung verankert sind.<br />
▌ Zusammenfassung: Verfassungspolitik<br />
Wenn man die Verfassungspolitik in gemeinsamer Perspektive mit dem vorherigen Ab-<br />
schnitt betrachtet, der parteipolitischen Betätigung von <strong>Heuss</strong>, lassen sich zunächst Par-<br />
allelen beobachten. So wie <strong>Heuss</strong> in Fragen der Parteiorganisation und -fusion zunächst<br />
227 <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> am 9.September 1948<br />
228 Fromme (1999); S. 222<br />
82
abwartend vorgeht, so ambivalent bleibt seine Haltung zu den deutschlandpolitischen Wei-<br />
chenstellungen. Auf der einen Seite ist er Realist genug, um die entstehende Lage zu se-<br />
hen und zieht mit der Aufkündigung des Bündnisses mit der Ost-LDP die parteiinternen<br />
Konsequenzen aus der Spaltung Deutschlands. Auf der anderen Seite beteiligt er sich zu-<br />
rückhaltend an den mit den Frankfurter Dokumenten verbundenen Debatten, was ihn ge-<br />
rade von der Einflussnahme der Parteivorsitzenden von CDU und SPD unterscheidet.<br />
Auch auf die wichtigen Prädispositionen des Konvents von Herrenchiemsee nimmt er<br />
keinen Einfluss.<br />
Ganz im Gegensatz dazu füllt er seine Rolle als FDP-Fraktionsvorsitzender im Parla-<br />
mentarischen Rat aus. Das hängt zum einen mit der besonderen Situation zusammen,<br />
dass die Fraktion in sich nur geringes Konfliktpotenzial barg und dass sie ihre mittlere Po-<br />
sition geschickt zu nutzen wusste. Sowohl dieser Umstand als auch die generell besondere<br />
Arbeitsweise des Parlamentarischen Rats (was gerade für den Ausschuss für Grundsatz-<br />
fragen gilt) bringen die Diskussions- und Vermittlungskompetenzen von <strong>Heuss</strong> voll zur<br />
Geltung. Damit profiliert er sich grundlegend anders als Adenauer oder Schuhmacher.<br />
Wenn zuvor geschrieben wurde, dass das Amt des Bundespräsidenten <strong>Heuss</strong> näher ge-<br />
legen hätte, als das eines Fraktionsvorsitzenden im Bundestag oder das eines Ministers,<br />
so weist dies auf <strong>Heuss</strong>' Vorliebe für die »großen Linien« hin und für den Politikbereich,<br />
der symbolische Bedeutung besitzt: Die der Demokratie angemessene Form der Re-<br />
präsentation, die sich unter anderem im Namen und in den Staatssymbolen widerspiegelt,<br />
gehört dazu. Auch die Formulierung ihre Selbstbildes zum Beispiel in der Präambel be-<br />
trachtet er eher als identitätspolitischen Akt, denn als juristische Textproduktion.<br />
4.4 Bundespräsident<br />
Die Nominierung von <strong>Heuss</strong> um Bundespräsidenten geht auf das als »Rhöndorfer Konfe-<br />
renz« bezeichnete informelle Treffen der CDU-Spitze im Haus von Konrad Adenauer zu-<br />
rück. Hier fielen die Entscheidungen, eine Koalition mit DP und FDP eingehen zu wollen,<br />
Adenauer zum Kanzler zu machen und <strong>Heuss</strong> zum Bundespräsidenten. In den Worten des<br />
zukünftigen Kanzlers. »Da die zweitstärkste Fraktion in der Regierung die FDP sein würde,<br />
schlug ich vor, Professor <strong>Heuss</strong> das Amt des Bundespräsidenten zu übertragen.« 229 Heißt<br />
dies nun, dass <strong>Heuss</strong> das Amt seiner parteipolitischen Position nach verdankt? Pikart weist<br />
darauf hin: »Nie wurde, wie z.T. in der Weimarer Zeit, eine 'unabhängige', über den<br />
Parteien stehende Persönlichkeit gesucht.« 230 Auf der anderen Seite ist es gerade <strong>Heuss</strong>,<br />
der dies etwas anders betont: »Es ergab sich im Parlamentarischen Rat, dass ich durch<br />
229 Konrad Adenauer: Erinnerungen S. 228; zit. nach Pikart; S. 27<br />
230 Pikart (1976): S. 28<br />
83
einigen Fleiß und einige gute Reden und durch loyales Verhalten für die Menschen Figur<br />
geworden bin.« 231 Wie dem auch sei, so kann man Pikart folgen, wenn er das Amt des<br />
Bundespräsidenten als einen untergeordneten Teil der Koalitionsfrage sieht. »Die Prä-<br />
sidentschaftsfrage wurde einbezogen in die Koalitionsfrage, das geringe politische Gewicht<br />
des Bundespräsidentenamts konnte den Ehrgeiz von Politikern wie Schuhmacher und Ade-<br />
nauer nicht auf sich lenken.« 232<br />
Nach der Wahl zum Bundespräsidenten legte <strong>Heuss</strong> Partei- und Ehrenämter nieder, bis<br />
auf die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat des Germanischen Nationalmuseums in Nürn-<br />
berg. Die Mitgliedschaft in der FDP ruhte und auch seine Beteiligung an der Rhein-Neckar-<br />
Zeitung veräußerte er.<br />
▌ VerfassungsRahmen und persönliche Ausweitung<br />
Verfassungsmäßig wurde das Amt vor allem durch repräsentative Aufgaben be-<br />
schrieben. Zunächst ist die Ausübung des Amts an erhöhte Anforderungen geknüpft: Der<br />
Bundespräsident darf weder ein parlamentarisches noch ein Regierungsamt innehaben<br />
und muss das vierzigste Lebensjahr überschritten haben. Er kann nur einmal wiederge-<br />
wählt werden. Auch die Legitimation des Präsidentenamts wurde durch die Konstruktion<br />
der Bundesversammlung (wie bereits dargestellt eine <strong>Heuss</strong>-Erfindung) auf eine andere<br />
Basis gestellt als zu Weimarer Zeiten: Um zu verhindern, dass der Präsident unmittelbarer<br />
legitimiert wird als der Bundeskanzler, wurde diese besondere nur alle fünf Jahre zur Wahl<br />
zusammenkommende Versammlung gebildet. Sie setzt sich zur Hälfte aus den Abgeordne-<br />
ten des Bundestags und zur anderen Hälfte aus Vertretern der Länder zusammen. Der<br />
Stellvertreter des Präsidenten ist der aktuelle Bundesratspräsident, also einer der Minis-<br />
terpräsidenten.<br />
Vor allem wurde der Einfluss des Präsidentenamts auf die Tagespolitik beschränkt: An-<br />
ordnungen und Verfügungen des Präsidenten bedürfen der Gegenzeichnung durch den zu-<br />
ständigen Minister oder den Bundeskanzler. Bundesgesetze werden vom Bundes-<br />
präsidenten unterzeichnet, müssen jedoch vorher vom Bundestag beschlossen sein. Dies<br />
ist der wesentliche Punkt, bei dem der Bundespräsident mit Tagespolitik verfassungsmä-<br />
ßig in Kontakt kommt. Auch bei der Ernennung von Kanzler und Ministern spielt er eine le-<br />
diglich formale Rolle. Das Recht, regulär an Bundestagssitzungen teilzunehmen, wurde<br />
ihm von Anfang an verwehrt.<br />
Vor allem in Ausnahmesituationen agiert der Präsident im Zentrum der politischen Auf-<br />
merksamkeit: Sei es, dass er den Bundestag nach einer gescheiterten Vertrauensfrage<br />
auflösen darf (Ermessensentscheidung) oder dass er an der Feststellung des Verteidi-<br />
gungsfalls beteiligt ist (wenn der Bundestag nicht zusammentreffen kann, können<br />
231 Pikart (1976) ; S. 163<br />
232 Pikart (1976); S. 28<br />
84
Bundeskanzler und Präsident gemeinsam den Verteidigungsfall verkünden). In diesem<br />
Sinne ist auch die Verweigerung einer Unterschrift unter ein Gesetz zu einer Aus-<br />
nahmesituation zu zählen. Interessant ist in diesem Fall die Organklage des Bundesrats<br />
gegen den Bundespräsidenten vom 24.1.1958. Dieser hatte im Juli 1957 das Stiftungsge-<br />
setz zur Errichtung der »Stiftung preußischer Kulturbesitz« unterzeichnet, obwohl die<br />
Länder der Auffassung waren, zustimmungspflichtig zu sein. 233 Zu <strong>Heuss</strong>' Zeiten hatte der<br />
Bundespräsident zudem das im Bundesverfassungsgericht-Gesetz fixierte Recht, das<br />
Verfassungsgericht um ein Rechtsgutachten zu ersuchen, was <strong>Heuss</strong> auch zweimal prakti-<br />
zierte.<br />
Diese Zurückdrängung des Bundespräsidenten aus der Tagespolitik legt eine weitge-<br />
hend neutrale oder überparteiliche Amtsauffassung nahe, obwohl die Wahl des Bundes-<br />
präsidenten, immer mit der Parteiarithmetik im politischen System verknüpft war. Bun-<br />
despräsidentenwahlen machen häufig die Kräfteverhältnissen in Bund und Ländern<br />
sichtbar (und haben damit eine seismographische Funktion).<br />
Die Konstruktion des Amts bringt es mit sich, dass jedes Staatsoberhaupt den Spiel-<br />
raum hat, das Amt selbst mitzudefinieren. Auch <strong>Heuss</strong> versuchte es stärker mit den aktu-<br />
ellen politischen Prozessen zu verknüpfen: So wünschte er eine Unterrichtung des<br />
Bundespräsidenten über die Kabinettsposten durch eine Liste, wurde dabei von Adenauer<br />
jedoch ausgebremst, wohl, weil dies ein Gewohnheitsrecht hätte konstituieren können.<br />
Auch der Bitte von <strong>Heuss</strong>, an den Kabinettssitzungen teilnehmen zu dürfen, wurde nicht<br />
entsprochen, in der Regel nahm aber der Chef des Bundespräsidialamts daran teil und zu<br />
besonderen Anlässen und sehr selten auch <strong>Heuss</strong> selbst. Dass er in besonderen Fällen<br />
versuchte, Dinge in das Kabinett zu bringen, beweist eine Äußerung im Briefwechsel mit<br />
Toni Stolper: »In der Saar-Frage hat sich das Kabinett, das auf meine Bitte sich damit<br />
eingehend damit beschäftigt, meine Bedenken und Anregungen akzeptiert.« 234<br />
Kanzler und Präsident tauschten sich regelmäßig in Vier-Augen-Gesprächen aus. Zwi-<br />
schen 1949 und 1959 gab es 74 Unterredungen. 235 Diese Unterredungen sind im Blick auf<br />
die politischen Prozesse nicht unbedeutend, wenn sie auch nicht konstitutionell verankert<br />
sind. Denn es wurde vor allem über die Tagespolitik geredet: Sei es, dass Adenauer über<br />
Personalfragen berichtete (und klagte), sei es, dass anstehende Entscheidungen erörtert<br />
wurden oder dass Postenbesetzungen insbesondere im Auswärtigen Dienst thematisiert<br />
wurden. Überhaupt nahm das Feld der Außenpolitik eine zentralen Platz bei diesen Un-<br />
terredungen ein: Dies gerade vor der Souveränität 1955, ab der <strong>Heuss</strong> Staatsbesuche<br />
machen durfte.<br />
233 Pikart (1970); Anmerkungen 304, 8; S. 584<br />
234Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper 05.12.1956; S. 222<br />
235 siehe Morsey/Schwarz/Mensing (1997)<br />
85
Des öfteren wird dem Bundespräsidenten die Rolle zugewiesen, Schiedsrichter oder<br />
Mahner zu sein. Da diese Aufgabe nicht in der Verfassung verankert ist, kann man argu-<br />
mentieren, entspringt sie der jeweiligen Amtsauffassung des Präsidenten. Als eine Art<br />
Streitschlichtungsorgan wurde er im engeren Sinne auf die parlamentarischen Abläufe be-<br />
zogen nicht benötigt: »Hier sollte das neue Kanzlersystem dafür sorgen, dass kritische Si-<br />
tuationen zu Kanzlerkrisen wurden und nur durch Wahlen, Kanzler- und Koalitionswechsel,<br />
unabhängig vom Präsidenten, ihre Entschärfung erfuhren.« 236 Andererseits wird dem Amt<br />
eine besondere Autorität zugeschrieben und einige Bundespräsidenten nahmen diese Rolle<br />
deshalb auch stärker wahr als <strong>Heuss</strong> es getan hat. Stellvertretend soll hier Schildt zitiert<br />
werden, der im politisch-geistigen Klima gerade die »dunkle Seite der frühen 50er Jahre«<br />
sieht. »Auf Wahlplakaten der Regierungsparteien zur Bundestagswahl 1953 hieß es: 'Alle<br />
Wege des Marxismus führen nach Moskau' oder 'Wo Ollenhauer sät, erntet Stalin'. Auch<br />
der Umgang mit wegen ihrer Stalin-Hörigkeit marginalisierten Kommunisten und ihrer<br />
Sympathisanten im Vorfeld und infolge des KPD-Verbots1956 entsprach kaum heutigen<br />
rechtsstaatlichen Vorstellungen.« 237 Da man zu dem hier erwähnten bei <strong>Heuss</strong> keine<br />
Äußerung findet, legt dies nahe, dass er sie entweder nicht wahrnahm oder sein Amt da-<br />
mit nicht belasten wollte. Zu seinem Amtsstil gehörte es, sich in Kontroversen im<br />
Zweifelsfall zurückzuhalten beziehungsweise intern die Regierungskoalition zu unter-<br />
stützen.<br />
<strong>Heuss</strong> führte seine Geschäfte relativ unabhängig von der Regierung und sprach nur<br />
Dinge mit tagespolitischem Bezug oder außenpolitischer Relevanz mit dem Bundeskanzler-<br />
amt ab. 238 Das verhältnis zu Adenauer war alles in allem von Loyalität und Vertrauen ge-<br />
prägt, was ihm auch diese Autonomie ermöglichte. Auch legte er seinem Politikerver-<br />
ständnis gemäß Wert darauf, personale Unabhängigkeit in seiner Rolle zu bewahren: »Ich<br />
bin nicht das Opfer des Funktionsbetriebs geworden, erhalte meine persönliche Atmo-<br />
sphäre, lerne auch immer gern aus diplomatischen Berichten u.s.f.; was mir so langweilig<br />
und störend ist, sind die zeitraubenden offiziellen Empfänge, Diners, Rathaus- und Re-<br />
gierungsbesuche, die nett sein könnten ohne das Gepränge. Und jener unendliche Brief-<br />
wechsel, da man mit den unmöglichsten Dingen an mich, an das Amt kommt – ich halte<br />
darauf, die Sache, um des redlichen Vertrauens willen, nicht bloß kalt bürokratisch abzu-<br />
wimmeln.« 239 Dennoch war <strong>Heuss</strong> regelmäßig diesem Funktionsbetrieb ausgesetzt. Wenn<br />
er auch hauptsächlich eine repräsentative Funktion ausfüllte, so heißt dies nicht, dass er<br />
nicht im Sinne rationaler Steuerungspolitik auf die tagespolitischen Prozesse einwirkte.<br />
Über den zeitlichen Verlauf seiner Präsidentschaft lässt sich ungefähr festhalten, dass in<br />
236 Pikart (1976); S. 40<br />
237 Axel Schildt (1999/2); S. 26<br />
238 Pikart (1976); S. 26<br />
239 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 29.06.1955 ; S. 42<br />
86
den ersten Jahren bis 1954 die Aufbauphase des Amtes stattgefunden hat. Entschei-<br />
dungen über grundlegende Dinge spielten eine Rolle wie über Hymne, Verhältnis zu den<br />
anderen Verfassungsorganen, der Rangordnung. Zudem stand diese Amtszeit stärker un-<br />
ter innenpolitischem Schwerpunkt. In der zweiten Amtszeit werden die ersten Staatsbesu-<br />
che unternommen, sie fällt zusammen mit der Souveränität der Bundesrepublik seit Rati-<br />
fizierung der Pariser Verträge im Mai 1955.<br />
▌ Hymne: Land des Glaubens, deutsches Land<br />
Sehr früh unternahm <strong>Heuss</strong> den Versuch, eine Nationalhymne neu zu schaffen. Im No-<br />
vember 1950 findet sich in den Besprechungsprotokollen zwischen <strong>Heuss</strong> und Adenauer<br />
folgende Notiz: »Bundespräsident überreichte dem Bundeskanzler den Text der geplanten<br />
neuen Nationalhymne. Bundeskanzler zeigte sich von der Hymne und ihrer christlichen<br />
Transparenz sehr beeindruckt. Bundespräsident eine baldige Besprechung mit dem<br />
Kabinett unter Vorführung der Hymne in Aussicht und teilte mit, auch mit Kardinal Frings<br />
darüber vorher sprechen zu wollen.« 240 Mit der Ausarbeitung des Entwurfs beauftragte<br />
<strong>Heuss</strong> den ihm bekannten Dichter Rudolf-Alexander Schröder. Ziel war es, das alte<br />
Deutschlandlied, das bei offiziellen Anlässen immer wieder verwendet wurde und ins-<br />
besondere dessen erste Strophe zu ersetzen. Die erste Strophe der geplanten Hymne<br />
lautete:<br />
Land des Glaubens, deutsches Land,<br />
Land der Väter und der Erben,<br />
Uns im Leben und im Sterben<br />
Haus und Herberg, Trost und Pfand,<br />
sei den Toten zum Gedächtnis,<br />
den Lebend´gen zum Vermächtnis,<br />
freudig vor der Welt bekannt,<br />
Land des Glaubens, deutsches Land!<br />
In den weiteren Strophen ist die Rede vom »Land der Hoffnung, Heimatland« sowie<br />
vom »Land der Liebe, Vaterland.« 241 Zu einer ernsten Auseinandersetzung in dieser Frage<br />
kam es bereits am 8.Mai 1950 als sich <strong>Heuss</strong> bei Adenauer darüber beschwerte, dass<br />
während des Berliner Besuchs des Kanzlers die dritte Strophe des Deutschlandliedes<br />
gesungen wurde. Adenauer rechtfertigte dies damit, dass er »keineswegs einen Vorgriff in<br />
der Frage der Nationalhymne« beabsichtigte und dass er auch nicht glaube, dass sich »die<br />
240Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Besprechung Nr. 3 vom 17. November 1950; S. 44<br />
241 Die Hymne ist abgedruckt bei: Pikart/Mende (1963); 322 f.<br />
87
dritte Strophe sich zur Nationalhymne für die Bundesrepublik eigne.« 242 Am 14.12.1950<br />
stellte <strong>Heuss</strong> die Hymne dem Bundeskabinett vor und nach seiner Sylvesteransprache im<br />
Fernsehen verlas er den Text des Entwurfs von Schröder. Aus der Besprechung von Kanz-<br />
ler und Präsident vom 2. Februar 1950 erfahren wir, dass <strong>Heuss</strong> nun beabsichtigte, die<br />
Reaktion der Öffentlichkeit zu testen: »Bundespräsident erklärt, er wolle jetzt die Aus-<br />
wirkung der Hymne in Schulen sowie bei den Sportorganisationen und Gesangsvereinen<br />
abwarten.« 243 Adenauers Äußerung vom 17. November 1950 ist jedoch eher als strate-<br />
gisch wahrzunehmen, denn er favorisierte zunehmend die Dritte Strophe des Deutsch-<br />
land-Liedes und setzte sie bei Parteiveranstaltungen ein. Zudem stellte sich ihm die Frage,<br />
ob der Bundespräsident überhaupt befugt ist, eine Hymne zu initiieren und so eskalierten<br />
die Dinge etwas. Auch andere Politiker aus CDU und FDP äußerten ihre Ablehnung gegen-<br />
über <strong>Heuss</strong>' Plänen nun deutlich. Kurt Schuhmacher nannte das Schrödersche Werk am<br />
14.08.1951 einen »Schwäbisch-pietistischen National-Choral« und hielt auch das »Glaube-<br />
Liebe-Hoffnung«-Motiv für nicht angemessen. 244 <strong>Heuss</strong> analysiert rückblickend, dass vor<br />
allem die Haltung Schuhmachers im Endeffekt dazu beigetragen hat, dass der Entwurf<br />
scheiterte, Pikart sieht indes die breite Front der Ablehnung als Ursache: »Als <strong>Heuss</strong> nun<br />
eigentlich von allen Parteien die Unterstützung verweigert wurde, gab er nach. Am<br />
3.4.1952 verfasste er ein Memorandum, in dem er die Form seines Einlenkens niederleg-<br />
te. Er entwarf selbst einen Brief, den der Kanzler ihm schreiben sollte, und gleichzeitig<br />
seine Antwort.« 245 Der Briefaustausch fand am 29.4. und am 2.5. 1952 statt.<br />
Im Rückblick verwundert die Wahl des Verfahrens. Der übliche Weg wäre gewesen,<br />
vorher mit den wichtigsten Parteien oder zumindest vertraulich mit Repräsentanten zu re-<br />
den. Erst dann wäre eine Auftragserteilung sinnvoll. Abgesehen davon, kann man auch<br />
darüber streiten kann, ob das Vergabeverfahren geeignet war (Beauftragung eines<br />
Freundes der Familie) und ob <strong>Heuss</strong> politische Klugheit in der Formulierung des Auftrags<br />
selber gezeigt hat: Nämlich eine Hymne mit einem christlichen Grundbezug zu schaffen.<br />
So sehr es das Verdienst des ersten Bundespräsidenten war, die Frage geeigneter natio-<br />
naler Symbolik zu thematisieren anstatt einfach pragmatisch auf einen beliebigen Tradi-<br />
tionsbezug zurückzugreifen, so sehr verwundert seine politische Umsetzungsstrategie, die<br />
die Rolle des Präsidenten zu über- und die der Fraktionsvorsitzenden eher zu un-<br />
terschätzen scheint.<br />
242 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Besprechung Nr 2 vom 08.05.1950; S. 41<br />
243Morsey/Schwarz/Mensing (1997); S. 53<br />
244Morsey/Schwarz/Mensing (1997); S. 359 (Anm. 33); Pikart (1976); S. 98<br />
245Pikart (1976); S. 98<br />
88
▌ Wehrpflicht, Europäische Verteidigungsgemeinschaft<br />
Eine der Angelegenheiten, in denen der Bundespräsident stark den tagespolitischen Er-<br />
eignissen ausgesetzt war, waren die Beratungen des Vertrags über die Europäische<br />
Verteidigungsgemeinschaft, die 1952 verhandelt wurden. Inhaltlich ging es bei diesem<br />
Vertragswerk um die deutsch-französische Gründung eines solchen Bündnisses und damit<br />
implizit um die Aufstellung einer Armee (oder eines deutschen »Wehrbeitrags«). Am<br />
26./27.02.1952 unterzeichnete Adenauer das Vertragswerk und die SPD-Opposition im<br />
Bundestag erhob eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht, weil sie der<br />
Meinung war, dass derartige Änderungen einer verfassungsändernden Mehrheit bedürfen<br />
und nicht der Ratifizierung mit einer absoluten Mehrheit der Bundestagsstimmen.<br />
Erschwerend kam hinzu, dass das Verhalten des Bundesrats schwer kalkulierbar war: Den<br />
Ausschlag für dessen Zustimmung hätte Baden-Württemberg geben können, das von SPD<br />
und FDP unter dem Ministerpräsidenten Reinhold Mayer regiert wurde, also von Parteien<br />
mit in dieser Frage konträren Ansichten. Mayer trat denn nun auch zur Unfreude seines<br />
ehemaligen Regierungskollegen <strong>Heuss</strong> als Adenauers föderaler Widerpart auf. Im Mai/Juni<br />
fanden nun die Lesungen des Vertragswerks vor dem Bundestag statt, gleichzeitig, am<br />
10.6.1952 die erste Verhandlung im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, vor dem so<br />
genannten »roten« ersten Senat (der tendenziell der SPD zugeneigt war, während der<br />
zweite Senat tendenziell eher den Auffassungen von CDU/CSU entsprach). Vor dieser Si-<br />
tuation erbat <strong>Heuss</strong> am gleichen Tag ein Rechtsgutachten, das die Frage klären sollte, ob<br />
der Vertrag mit Bezug auf Artikel 24 des Grundgesetzes (Übertragung von Hoheitsrech-<br />
ten) verfassungskonform sei. Dieses Gutachten sollte auf der einen Seite den Präsidenten<br />
für sein Verhalten nach der erfolgten Zustimmung beraten und auf der anderen Seite die<br />
Lesung des Vertragswerks im Bundestag von den juristischen Erörterungen befreien, die<br />
eine politische Entscheidung zu überlagern drohten. 246 Eine dritte Motivation bestand dar-<br />
in, über ein positives Gutachten Bedenken in Bundestag und Bundesrat zu zerstreuen und<br />
so auf eine Entscheidung im Sinne der Regierungsmeinung einzuwirken. Auch Adenauer<br />
stützt diese Sicht auf die Dinge in seinen Memoiren: Demnach sei <strong>Heuss</strong> »nicht ganz<br />
überzeugt [gewesen], ob der Vertrag mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei.« 247 Dies<br />
kann aber schon deshalb nicht stimmen, weil das Gutachten auf Wunsch der Bundesre-<br />
gierung vom Präsidenten veranlasst wurde. Unter anderem liefert das Protokoll einer Vier-<br />
Augen-Besprechung zwischen Adenauer und <strong>Heuss</strong> am 3. März 1952 einen deutlichen Hin-<br />
weis darauf, dass die Idee des Gutachtens auch einem sachpolitischen Kalkül von <strong>Heuss</strong><br />
entspringt: »Der Bundespräsident erzählte dem Bundeskanzler, dass der Gedanke ihn be-<br />
wegt habe, zur Beschleunigung der Entscheidung eventuell ein Gutachten zu erbitten.« 248<br />
246Pikart (76); S. 105<br />
247 Sternberger (1990); S. 117<br />
248 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Besprechung am 03.05.1952; S. 83<br />
89
<strong>Heuss</strong> wollte demnach ein Gutachten nicht einfach zur Klarstellung nutzen, sondern auch<br />
einen politischen Effekt erzielen. Ihm ging es darum, die Aufstellung einer Armee nicht zu<br />
gefährden, da er eine solche »mit der Staatlichkeit essenziell« gleichsetzte. Staat, Wehr-<br />
pflicht und Armee sind für <strong>Heuss</strong> ein zentrales Politikfeld, wie wir spätestens seit seiner<br />
engagierten Rede gegen die Kriegsdienstverweigerung im Parlamentarischen Rat wissen.<br />
Nach <strong>Heuss</strong> Meinung wäre eine politische Entscheidung übrigens »innerhalb der normalen<br />
Arbeitsleistung« des Parlaments beschließbar gewesen. Ergänzend stellte er Überlegungen<br />
an, wie man die die Wehrpflicht quasi über die Hintertür zu einem selbstverständlichen<br />
Bestandteil von Staatlichkeit machen könnte: »Dass die Frage des Wehrgesetzes eine<br />
Vorklärung einfach dadurch erhalte, dass in dem Kompetenzkatalog die Wehrzuständigkeit<br />
des Bundes ausgesprochen werde.« 249<br />
Am 30.Juli 1952 entschied der erste Senat des Verfassungsgerichts, dass die Klage der<br />
SPD vor der Abstimmung im Bundestag unzulässig ist. Deshalb kündigte die Oppositions-<br />
partei an, im Nachhinein noch einmal zu klagen. Gleichzeitig kamen erste Signale aus<br />
Karlsruhe, dass das Gericht sich nicht der Auffassung der Regierung anschließen könnte<br />
und eher zur Auffassung der SPD tendieren könnte. Daraufhin entschlossen sich nun die<br />
Parteien der Regierungskoalition zu einer eigenen Klage vor dem Gericht.<br />
Begründet wurde diese Klage damit, dass die Oppositionsrolle durch deren Klagedro-<br />
hung unverhälnismäßig gestärkt werde. Die Hoffnung, die sich an dieses Argument knüpf-<br />
te war, dass sich das Gericht deshalb vor dem <strong>Heuss</strong>-Gutachten mit der Regierungsklage<br />
beschäftigen werde. Zudem nun gemäß der Geschäftsordnung des Gerichts dies vor dem<br />
»schwarzen« Senat verhandelt werden müsste, von dem man eine wohlgesonnene Ent-<br />
scheidung erwartete. 250 Dies ist zweifellos der Höhepunkt der Instrumentalisierungen des<br />
Gerichts, die auch in der Öffentlichkeit auf starke Kritik stießen.<br />
Das Verfassungsgericht wehrte sich dagegen, indem es am 08.12. zweierlei entschied:<br />
Erstens, dass das Gutachten des Präsidenten vor der Klage der Regierungsparteien be-<br />
handelt werden sollte. Zweitens, dass ein solches im Plenum des Gerichts erarbeitetes<br />
Gutachten bindend ist für beide Senate.<br />
Dies führte die Bundesregierung in eine schwierige politische Situation: Die Chancen<br />
zu einer Klärung der verfassungsrechtlichen Situation in ihrem Sinne sanken, die Chancen,<br />
dass sich die Rechtsauffassung der SPD durchsetzen würde, stiegen. Gleichzeitig er-<br />
wuchsen aus der Entscheidung Konsequenzen für den Bundespräsidenten. Denn entgegen<br />
seiner Absicht, sich lediglich beraten zu lassen, entschied das Gericht, dass ein Gutachten<br />
eine Vorfestlegung ist, die in der Konsequenz den Präsidenten in seiner Entscheidung<br />
bindet. Daraufhin und auf Anraten der Bundesregierung zog <strong>Heuss</strong> das Gutachtenersuchen<br />
zurück.<br />
249Pikart (76); S.104<br />
250 Am 07.03.1953 als unzulässig abgelehnt, weil die Bundestagsmehrheit kein Organ ist.<br />
90
Gerade diese Entscheidung des Präsidenten ist scharf kritisiert worden und nach den<br />
justizmäßigen Verwirrungen signalisierte <strong>Heuss</strong> den Sozialdemokraten, dass er erst nach<br />
der Entscheidung des Verfassungsgerichts über eine neue SPD-Klage eine Entscheidung<br />
über die Ausfertigung des Gesetzes treffen werde. Dies war allerdings insofern unbedeu-<br />
tend, als nach der Bundestagswahl die Regierungskoalition ihre verfassungsändernde<br />
Mehrheit nutzte und am 26.02.1954 die »erste Wehrergänzung« beschloss. Gescheitert ist<br />
die EVG hingegen am Votum der Französischen Nationalversammlung, so wie Adenauer<br />
übrigens bereits im zuvor zitierten Gespräch vermutete. 251<br />
Pikart bewertet die Zurücknahme des Gutachtens »als notwendiges Rückzugsgefecht«<br />
sehen, um das Amt des Bundespräsidenten aus dem »Strudel des Parteienkampfs« her-<br />
auszuhalten. 252 Diese Sichtweise ist jedoch zu stark auf die Selbstsicht des Präsidenten<br />
bezogen. Zu verschwommen berücksichtigt sie das Moment der Instrumentalisierung des<br />
Gerichts, das Pikart selber erkennt: »Bis in den November 1952 glaubte der Bundesprä-<br />
sident [...] das Plenum des Bundesverfassungsgerichts würde sich in seinem Gutachten<br />
einer vernünftigen Lösung im Sinne seiner Vorstellungen, die sich mit denen der Bundes-<br />
regierung deckten, nicht verschließen.« 253 <strong>Heuss</strong> folgt nicht irgendeiner unabhängigen Po-<br />
sition sondern einem in seinen politischen Vorstellungen grundlegend verwurzelten Inter-<br />
esse. Ob er sich von der Regierung hat instrumentalisieren lassen, ist öfter gefragt<br />
worden. Selbstverständlich hat <strong>Heuss</strong> immer betont, dass er sich nicht als den Erfüllungs-<br />
gehilfen der Regierung sehe. Ob das nun heißt, dass er es wenn nicht freiwillig, so unfrei-<br />
willig dennoch war, ist eine offene Frage. Das Urteil von Schwarz lautet folgendermaßen:<br />
»Entschlossene Berechnung des Kanzlers und der Wille des Präsidenten, die Unabhängig-<br />
keit seines Amtes zu bewahren, wirkten so zusammen, die Westverträge um die gefähr-<br />
lichste Klippe zu steuern.« 254 »Berechnung« gegenüber »Willen« – wenn es ein Fazit<br />
dieser Analyse geben kann, dann die, dass Adenauer der taktisch-politisch Versiertere von<br />
den beiden gewesen sein muss. <strong>Heuss</strong> zog aus der Angelegenheit die Konsequenz, nicht<br />
mehr von der Möglichkeit eines Gutachtens Gebrauch zu machen. Nicht zuletzt dank sei-<br />
ner bereits aus Weimarer Zeiten und dem Parlamentarischen Rat stammenden guten Be-<br />
ziehung zum Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts, Hermann Höpker-Aschoff, ge-<br />
lang es ihm im Nachgang, den Schaden zu begrenzen.<br />
251 Morsey/Schwarz/Mensing (1997): »Umso besorgter sähe er – Bundeskanzler – die innenpolitische<br />
Lage in Frankreich an, das sich jetzt wieder in einer ernsten Regierungskrise befinde. In weiten<br />
Kreisen Frankreichs stehe man der Eingliederung der Bundesrepublik in die EVG mit einer aus<br />
Minderwertigkeitskomplexen stammenden Angst gegenüber, und niemand könne die endgültioge<br />
französische Haltung zur Ratifizierung des Abkommens über die EVG voraussehen.«<br />
252 Pikart (1976); S. 112<br />
253 Pikart (1976); S. 107<br />
254Bracher/Eschenburg,Fest/Jäckel/ Schwarz (1981); S. 177 (Band 2)<br />
91
▌ Aussenpolitik<br />
Gerade in der Frühzeit der Bundesrepublik kommt der Außenrepräsentation des neuen<br />
Staates eine wichtige Funktion zu. Gleichfalls ist hier <strong>Heuss</strong>' Einfluss relativ begrenzt. Die<br />
Gestaltung der Außenpolitik obliegt zunächst dem Bundeskanzler. 1950 wird das Aus-<br />
wärtige Amt eingerichtet. In den Vier-Augen-Gesprächen unterrichtete Adenauer <strong>Heuss</strong><br />
regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen und dieser interessiert sich auch en Detail<br />
für diese Fragen der auswärtigen Repräsentation. Gerade in den ersten Jahren spielen<br />
Personalfragen eine große Rolle, Generalkonsulate und Botschafterposten müssen besetzt<br />
werden. Wenn in der Öffentlichkeit über die Übernahme von Personal aus der NS-Zeit im<br />
Auswärtigen Amt diskutiert wird, spielt das Thema in den internen Gesprächen kaum eine<br />
Rolle. Als es 1951 zur Einrichtung eines »Untersuchungsausschusses über die Personalpo-<br />
litik im Auswärtigen Amt« kommt, äußert sich <strong>Heuss</strong> hierzu im Gegensatz zu Adenauer<br />
denn auch nicht öffentlich (der der Meinung war, dass man »mit der Naziriecherei<br />
Schluss« machen sollte). Intern drängt <strong>Heuss</strong> zwar immer wieder auf eine stärkere Füh-<br />
rung des Hauses, die Personalpolitik des Bundeskanzlers unterstützt er jedoch: »Bundes-<br />
präsident teilt Bundeskanzler mit, er habe dem Fraktionsvorsitzenden der CDU von<br />
Brentano in einem Schreiben seine Besorgnis über die wenig sachliche Arbeitsweise des<br />
Untersuchungsausschusses des Bundestages [...]mitgeteilt.« 255 Auch im kulturpolitischen<br />
Feld hatte <strong>Heuss</strong> ein starkes außenpolitisches Interesse eingebracht. Dies galt neben der<br />
Besetzung des für Kultur zuständigen Referats auch der Errichtung von kulturpolitischen<br />
Institutionen, die eine ähnliche Rolle einnehmen sollten wie die Amerikahäuser oder Bri-<br />
tish Councils. Hierfür setzt er sich im »kulturpolitischen Beirat« des Auswärtigen Amts ein.<br />
Wenn es ein zentrales Themenfeld der Außenpolitik gab, dann das der Sicherheitspoli-<br />
tik. <strong>Heuss</strong> folgte im Wesentlichen der Strategie Adenauers mit Westbindung, Einbettung in<br />
ein multilaterales Sicherheitssystem und Wiederbewaffnung. Die um das Jahr 1957 publi-<br />
zierte einflussreiche Denkschrift von Karl-Georg Pfleiderer mit dem Alternativkonzept<br />
eines neutralen Deutschlands mit westlichen Brückenköpfen 256 zum Beispiel rezipierte<br />
<strong>Heuss</strong> wohlwollend aber skeptisch: »Mit Pfleiderers Denkschrift ist es so eine offene<br />
Frage: sehr behutsame und vielfarbige Diagnose, aber doch ohne gewisse Sicherheit in<br />
Anregungen zur Therapie.« 257 <strong>Heuss</strong> interessierte sich zwar für sicherheitspolitische<br />
Fragen und ließ sich regelmäßig auf dem Laufenden halten, griff aber nicht in dieses Poli-<br />
tikfeld ein. Als er dies in seiner Silvesteransprache 1957/58 aus versehen tut, indem er<br />
eine Äußerung des amerikanischen Diplomaten Kennan zum Anlass nahm, internationale<br />
Verhandlungen »mit Scheinwerfer, Lautsprecher und Pressekonferenzen« zu kritisieren,<br />
255 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch am 03.03.1952; S. 82<br />
256 Overesch (1995); S. 49<br />
257 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 22.10.1957; S. 272<br />
92
eagierte Adenauer scharf. 258 Während es <strong>Heuss</strong> um die Scheinwerfer ging, ging es Ade-<br />
nauer um Kennan. Adenauer ahnte, welche Publizität diese Äußerung bekommen kann<br />
und er hat recht behalten. Internationale Medien beschäftigten sich mit der Ansprache,<br />
sogar die New York Times. Die Gründe sind im Verhältnis von US-Präsident Eisenhower zu<br />
Kennan (dem Erfinder des »Kalten Kriegs«) zu suchen. Dieses Versehen zeigte dem Prä-<br />
sidenten, wie unwägbar das außenpolitische Terrain sein kann und deshalb hielt er sich im<br />
Weiteren auf diesem Gebiet zurück.<br />
Häufig verbunden mit Sicherheitspolitik sind die deutsch-französischen Angelegenhei-<br />
ten, in erster Linie betrifft dies Fragen der Europa- und Verteidigungspolitik. Wie kom-<br />
pliziert das deutsch-französische Verhältnis gewesen ist, kann gut anhand der Vier-Augen-<br />
Protokolle nachvollzogen werden. Wenn <strong>Heuss</strong> nach 1945 der Aussöhnung mit Frankreich<br />
einen großen Stellenwert zumaß, so war der Handelnde eindeutig Adenauer. Lediglich zum<br />
Zeitpunkt der Eingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik, wirkte <strong>Heuss</strong> direkt auf<br />
das französisch-deutsche Verhältnis ein. Mit einer Denkschrift forderte er eine zurückhal-<br />
tend begangene Eingliederung des Landes. 259 »Intensives politisches Eingreifen durch<br />
eine kleine Niederschrift, für die 'man', d. h. im Kabinett und Bundesrat, sehr dankbar ist.<br />
Die Saar-Großen und einige Bonner Dummköpfe wollten am 01.Januar ganz großes<br />
Theater machen, hatten auch über mich verfügt u.s.f. Ich habe den Plan zerschlagen, vor<br />
allem seine Mitteilung verhindert, weil die Franzosen erst vor der Ratifikation im<br />
Parlament stehen.« 260<br />
Eine ähnliche Haltung hat <strong>Heuss</strong> bereits vier Jahre zuvor in Bezug auf die Rückgabe<br />
der Insel Helgoland vertreten. »Er [Bundespräsident] bittet den Kanzler, bei der Pro-<br />
grammgestaltung der Feier, die man offensichtlich zu einer lauten vaterländischen<br />
Demonstration gestalten wolle, von seiner Person abzusehen.« 261<br />
Sichtbarstes Zeichen äußerer Repräsentation sind die Staatsbesuche des Bundesprä-<br />
sidenten, wenngleich die wichtigen Arbeitstermine in der Regel vom Bundeskanzler<br />
wahrgenommen. Insofern sind Präsidentenbesuche und ihre Wahrnehmung im Land ein<br />
Gradmesser für die allgemeinen Beziehungen zwischen den Ländern, für die Einstellung<br />
des Auslandes gegenüber Westdeutschland. <strong>Heuss</strong> arbeitet in diesem Sinne eher am<br />
Image der neuen Demokratie als dass er außenpolitisch steuert. Dies gilt sowohl für Emp-<br />
fänge und Begegnungen mit Diplomaten in Bonn, als auch für Staatsbesuche. Erst ab<br />
1955 ändert sich dies, wenn auch diplomatische Kontakte schon vorher einen sehr großen<br />
Teil seiner Arbeit ausmachen. Bott, sein persönlicher Referent schreibt zur »turbulenten<br />
Zeit« ab 1955 etwas wolkig: »Es verging kaum ein Monat, in dem der Präsident nicht den<br />
258 Pikart (1970); S. 582<br />
259 Pikart (1976); Denkschrift: Zur Feier der Rückgliederung des Saarlandes vom 03.12.1956; S. 120<br />
260 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 04.12.1956<br />
261 Morsey/Schwarz/Mensing; Besprechung am 17.01.1952; S. 78<br />
93
'<strong>Kolleg</strong>en' oder einen 'Regierenden' aus einem anderen Land im 'neuen Deutschland' will-<br />
kommen hieß.« 262 Ab 1956 unternimmt <strong>Heuss</strong> selbst Staatsbesuche, der erste führt nach<br />
Griechenland. Die Zahl der Visiten ist relativ überschaubar, es folgen Aufenthalte in Rom<br />
(Italien und Vatikan), der Türkei, Kanada, den USA und Großbritannien. Gerade in der<br />
zweiten Amtszeit häufen sich in persönlichen Briefen die Klagen vor allem über die mit<br />
dem Protokoll verbundenen Repräsentationspflichten.<br />
Ein besonderes auch intellektuelles Interesse hat <strong>Heuss</strong> an Israel. Außenpolitisch<br />
zentral sind die Luxemburger Verhandlungen über ein Wiedergutmachungsabkommen,<br />
das 1952 in höchst kontroverser Atmosphäre verabschiedet wurde. Den komplizierten<br />
Verhandlungsprozess begleitete <strong>Heuss</strong> informell. Überraschend dies: Wenngleich <strong>Heuss</strong><br />
und Adenauer in einer Politik der »Sonderbeziehungen« zu Israel übereinstimmten, so<br />
wird die Abstimmung über das Abkommen, das ein Volumen von 3,5 Milliarden DM an<br />
Sach- und Kapitalleistungen bis 1966 umfasste, nur mit den Stimmen der SPD ge-<br />
wonnen. 263 1960 wird <strong>Heuss</strong> als Privatmann das Land bereisen.<br />
▌ Auszeichnungen<br />
Eine im öffentlichen Leben weithin sichtbare Funktion des Präsidentenamts ist es, im<br />
Namen des Staats Anerkennung und Dank für Verdienste auszusprechen. Bereits im Juni<br />
1950 stiftet <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> das »Silberne Lorbeerblatt«, eine Auszeichnung für sportliche<br />
Leistungen. Im Rückblick kommt <strong>Heuss</strong> hier auf die symbolische Bedeutung zu sprechen,<br />
die eine solche Gabe hat. Mit ihr sollen keine materiellen Vorteile verknüpft werden, son-<br />
dern auf einer anderen Ebene die Anerkennung ausgesprochen werden: »Es war die<br />
Frage, etwas zu finden, was im Symbolcharakter und nicht im Besitzsein gewürdigt<br />
wird.« 264<br />
Ein Jahr später wird mit dem »Erlaß über die Stiftung des Verdienstordens der<br />
Bundesrepublik Deutschland« 265 der Bundesverdienstorden mit einem umfangreichen Sys-<br />
tem an Klassen gestiftet. Bis heute ist es gängige Praxis, die unteren Klassen dieses<br />
Ordens, das Verdienstkreuz am Bande oder die Verdienstmedaille als Anerkennung für<br />
besonderes gesellschaftliches Engagement zu verleihen und so ein wirksames Instrument<br />
der Bindung zwischen Gesellschaft und Staat zu schaffen. Im breiten Bewusstsein ist dies<br />
die zentrale Auszeichnung der Bundesrepublik geworden.<br />
Wenn die Stiftung von Auszeichnungen als selbstverständliche Konsequenz von Staat-<br />
lichkeit erscheint, ist es dies vor dem Hintergrund der eingeschränkten Souveränität der<br />
262 Bott (1966); S. 91<br />
263 Bracher/Eschenburg/Fest/Jäckel/Schwarz (1981); S. 186<br />
264 Dahrendorf/Vogt (1984): Stilfragen der Demokratie; S. 460<br />
265 Erlaß über die Stiftung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland vom 7. September<br />
1951; vgl. Bundespräsidialamt (2001)<br />
94
Bundesrepublik nicht unbedingt. Deshalb spielte das Thema bei den Besprechungen zwi-<br />
schen Kanzler und Bundespräsident mehrfach eine Rolle. Insbesondere stellte sich die<br />
Frage, wie man mit in der Vergangenheit verliehenen Abzeichen umgehen wollte. Elegant<br />
löste <strong>Heuss</strong> die Schwierigkeit, hier möglichst geräuschlos zu einer für möglichst viele trag-<br />
baren Lösung zu kommen, indem er zum einen die Rückendeckung Schuhmachers suchte,<br />
den ehemaligen Reichswehrminister Gessler (ein ehemaliger Parteifreund von <strong>Heuss</strong>) zum<br />
Vorsitzenden einer Kommission machte, die Richtlinien zum Tragen solcher »Tapferkeits-<br />
auszeichnungen« entwickeln sollte, und indem das Thema in Gesprächen mit den Alliierten<br />
zur Sprache gebracht wurde. 266 Endgültig einer Lösung zugeführt wurde die Frage der na-<br />
tionalsozialistischen Auszeichnungen übrigens mit dem »Gesetz über Titel, Orden und<br />
Ehrenzeichen« von 1957, in dem geregelt wurde, dass einige genau bezeichnete Ehrenzei-<br />
chen und Auszeichnungen aus der Zeit des zweiten Weltkriegs zwar getragen werden<br />
dürfen, aber dass die Hakenkreuze entfernt werden müssen. 267 Dieser Kompromiss ent-<br />
spricht dem, was Reichelt den »zwiespältigen Vergangenheitsbezug« nennt, unter dem die<br />
nationale Identitätsbildung der Bundesrepublik verlaufen musste: »Der westdeutsche Teil-<br />
staat schloss an die Kontinuität des Deutschen Reichs an, um sich zugleich von ihr zu<br />
distanzieren.« 268 Dem Bundespräsidenten kommt als oberster Repräsentant der Nation in<br />
diesem schwierigen Feld eine hervorgehobene Rolle zu, worauf im weiteren (zur Posi-<br />
tionierung von <strong>Heuss</strong> zum Nationalsozialismus) noch eingegangen wird. Gerade auch in<br />
den internen Gesprächen zwischen Kanzler und Präsident wurde dieser Zwiespalt auch so<br />
gesehen, vor allem im Bereich der militärischen Auszeichnungen. 269 <strong>Heuss</strong> schreibt in<br />
einem Brief an Toni Stolper, dass er »auch in diesem Bereich weder mit Wilhelm II. noch<br />
mit Adolf Hitler in Wettbewerb zu treten beabsichtige.« 270<br />
Bezieht sich dieses Problem auf diejenigen, deren Anerkennung durch den Nationalso-<br />
zialismus in die Anerkennungspolitik der Bundesrepublik integriert werden soll, so hat die<br />
von <strong>Heuss</strong> initiierte »Dankspende des deutschen Volks« eine andere Ausrichtung. Sie ist<br />
ein symbolischer Beitrag des Dankes für die Unterstützung des Wiederaufbaus. Inter-<br />
essant ist die Verbindung von außenpolitischen, aktivierenden und kulturpolitischen<br />
Elementen dieser indirekten Künstlerförderung: »Aus den Spenden, um die wir freund-<br />
lichst bitten, sollen Werke zeitgenössischer Künstler erworben werden. Den Völkern, die<br />
uns beschenkt haben, sollen dieses Kunstwerke ein Gruß des Dankes sein.« 271<br />
266 Pikart (1976); Gespräche vom 24.08.1951 und 23.11.1951; S. 64; S. 70<br />
267 Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen; §6.2, 6.3<br />
268 Reichelt (1999); S. 22<br />
269 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch vom 23.01.1956; S. 191<br />
270 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 16.11.1955; S. 96<br />
271 Pikart/Mende (1967); <strong>Heuss</strong> am 21.11.1951; S. 331<br />
95
Eher im Schatten der Öffentlichkeit lebt der Orden »Pour Le Merite« oder besser seine<br />
Friedensklasse. Der Orden ist keine Medaille, sondern ein tatsächlicher Zusammenschluss<br />
von Menschen, die laut Satzung »durch weit verbreitete Anerkennung ihrer Verdienste in<br />
der Wissenschaft oder in der Kunst einen ausgezeichneten Namen erworben haben.« Die<br />
Stiftung des Ordens geht auf den preußischen König Friedrich II. zurück (als ein Militä-<br />
rorden). 1842 wurde er durch Friedrich Wilhelm IV. um eine Friedensklasse ergänzt.<br />
Nachdem der Orden 1922 als eine freie Vereinigung weiterbestand, wurde er während des<br />
Nationalsozialismus nicht weitergeführt. Da die Ritterschaft sich selbst ergänzte, war sie<br />
auf regelmäßige Nachwahlen angewiesen, die jedoch vom preußischen Kultusministerium<br />
1934 verboten wurden. 272 Auf Initiative von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> wählten die letzten drei ver-<br />
bliebenen Pour-Le-Merite-Träger neue Mitglieder hinzu und der Orden konstituierte sich<br />
1952 neu. 1954 übernahm der Bundespräsident das Protektorat über den Orden. Warum<br />
tat er das? Es mag eine Rolle gespielt haben, dass sein Schwiegervater Teil dieses preu-<br />
ßischen »Areopag des Geistes« war. Aber der eigentliche Grund dürfte darin gelegen<br />
haben, sowohl Tradition stiften zu können als auch einen einflussreichen Teil der<br />
kulturellen und wissenschaftlichen Elite langfristig an die Bundesrepublik Deutschland im<br />
Allgemeinen und das Amt des Bundespräsidenten im Besonderen zu binden. In der Selbst-<br />
ergänzungspraxis des Ordens sieht <strong>Heuss</strong> beides, eine traditionelle wie eine gegenwärtige<br />
Bindung. So schreibt er 1942: »Es ist geistesgeschichtlich interessant genug, wie sich in<br />
den Ergänzungen [...] die Auseinandersetzung mit der Gegenwart und das Bedürfnis<br />
spiegeln, die große und bedeutende historische Kontinuität zu wahren.« 273 Insofern<br />
kommt den Ordensträgern eine staatstragende Rolle zu.<br />
Die Konstitution einer Auszeichnungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland ist vor<br />
allem auf <strong>Heuss</strong>' Initiative zurückzuführen. Deutlich wird die den unterschiedlichen Aus-<br />
zeichnungsformen zu Grunde liegenden unterschiedlichen Bindungsziele. Über die Ent-<br />
scheidung, auch nationalsozialistische Orden wieder tragbar zu machen, wurde ein großer<br />
Teil der männlichen Bevölkerung integriert. Auch die Verleihung des Bundesver-<br />
dienstordens hat eine breit angelegte Wirkung, vor allem aber in den untersten beiden<br />
Klassen. Wenn dies auch nahe liegen mag, so besteht doch <strong>Heuss</strong>' origineller Beitrag in<br />
der Organisation von Bindungsangeboten für die kulturell-wissenschaftliche Elite.<br />
▌ Wirkung in die kulturell-wissenschaftliche Elite<br />
Das öffentliche Bild von <strong>Heuss</strong> oszillierte zwischen der bürgerlichen »Volkstümlichkeit«,<br />
mit der er sich gerne als dem Genuss in Form von Zigarren und württembergischen Rot-<br />
272 Pikart/Mende (1963); S. 355<br />
273 Dahrendorf/Vogt (1984); Ein Aeropag des Geistes. Hundert Jahre Friedensklasse des Pour le méri-<br />
te; S. 287<br />
96
wein zugetanen einfachen Bürger präsentierte, und dem Duktus des gelehrten Bildungs-<br />
bürgers. Wenn auch das Bild von »Papa <strong>Heuss</strong>« mit der Zigarre in die Ikonographie der<br />
Bundesrepublik eingegangen ist, so ist er doch politisch wesentlich präsenter in den<br />
Kreisen der deutschen Elite. Er bemüht sich geradezu um die Einwirkung in die Sphären<br />
der Kultur, der Ökonomie und der Wissenschaft, hält sorgfältig vorbereitete Reden, knüpft<br />
Kontakte und unterstützt Initiativen. »Gerade mit diesem für die deutsche Geschichte<br />
eher unüblichen Zusammenspiel von Geist und Politik setzt er als Bundespräsident seine<br />
eigenen Akzente. Obwohl die Kulturpolitik des Bundes offiziell zu den Aufgaben des Innen-<br />
ministeriums gehört, ist es vor allem <strong>Heuss</strong>, der sich um die Beziehung zwischen Staat<br />
und Künstlern sowie um die ästhetische Selbstdarstellung der jungen Republik<br />
kümmert.« 274<br />
Einmalig dürfte <strong>Heuss</strong>' Anspruch sein, Reden zu verschiedenen Anlässen selbst vorzu-<br />
bereiten und auf einen Rede-Schreiber zu verzichten. Pikart berichtet auch, dass er ge-<br />
legentlich Antworten auf Schreiben im Namen seines persönlichen Referenten verfasste<br />
und diesen unterschreiben ließ. Insofern stellen die öffentlichen Reden von <strong>Heuss</strong> wegen<br />
ihrer Authentizität einen besonderen Wert für die Forschung da und die Mühe des Autors<br />
belegt, dass sie auch nicht als einfache Politikerreden erscheinen sollten. Vielmehr besteht<br />
der Ehrgeiz von <strong>Heuss</strong> darin, über seine Person eine Verbindung von Eliten und Staat zu<br />
konstituieren. Die so demonstrierte geistige Ebenbürtigkeit zieht den Effekt nach sich, den<br />
Bundespräsidenten nicht nur als Teil des politischen Systems wahrzunehmen, der auf die<br />
»Masse« gerichtet ist, sondern der ein integraler Bestandteil des eigenen Selbst ist: In<br />
dieser Perspektive erscheint <strong>Heuss</strong> wieder als der Intellektuelle, der in die Politik ge-<br />
gangen ist, nicht das »political animal.« Die Wertschätzung von Kultur und Wissenschaft<br />
macht sich neben den informellen Kontakten auch institutionell fest. So beteiligt sich<br />
<strong>Heuss</strong> zum Beispiel an der Gründung des Wissenschaftsrats: »Die Geschäftsstelle wird<br />
beim BuPrä etabliert, weil der so nett und dabei so neutral ist.« 275 Das einzige Ehrenamt,<br />
das er während seiner Präsidentschaft behält ist zudem die Mitgliedschaft im Beirat des<br />
»Germanischen Nationalmuseums« in Nürnberg.<br />
Eine wichtige Rolle in dieser Politik nimmt auch der Kontakt mit dem Exil ein. Am Bei-<br />
spiel der amerikanischen Emigration lässt sich exemplarisch studieren, wie dies aus <strong>Heuss</strong>'<br />
alten Verbindungen heraus ermöglicht wird. Gerade in Amerika leben einige der wichtigen<br />
Personen aus <strong>Heuss</strong>' alten Weimarer Netzwerk. So sammeln sich an der »New School« in<br />
New York einige Wissenschaftler aus dem Umfeld der »Hochschule für Politik«, Hans Si-<br />
mons wird zeitweise ihr Präsident. Ernst Jäckh, Else und Hans Staudinger, Ernst Jäckh<br />
Albert Salomon befinden sich ebenfalls in New York. 276 <strong>Heuss</strong>' Staatsbesuch in den USA<br />
274 Gudrun Kruip (2003); S. 162<br />
275 Pikart (1970); S.311, S. 584<br />
276 siehe auch Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 11.03.1958<br />
97
1958 dient vor diesem Hintergrund nicht nur der Repräsentation der westdeutschen Repu-<br />
blik, sondern auch der Bindung der alten demokratischen Elite an das neue Westdeutsch-<br />
land und bietet dieser Gruppe einen informellen Zugang zu der neuen politischen Elite.<br />
Ähnliches trifft auch auf den Besuch in Großbritannien im Oktober 1958 zu: »In der<br />
Botschaft hatte ich dann 30-40 Leute, so ziemlich alles Emigranten, aber auch V.Gollancz,<br />
zum Essen eingeladen etwa Bonn, Demut, Zeitlin, die Eycks, u.s.f. auch die Stuttgarter<br />
Mainzers, Baecks Tochter [...]« 277<br />
Auch in Bezug auf andere Gruppen ist <strong>Heuss</strong> ein erfolgreicher Integrator. Dies wird<br />
insbesondere an seinem Engagement für die in Deutschland lebenden Juden sowie für den<br />
deutsch-israelischen Austausch sichtbar. Er ist einer von wenigen, die nicht in irgendeinem<br />
Verdacht stehen. Auch hier kommen freundschaftliche Beziehungen zu Tragen, die aus der<br />
Weimarer Zeit stammen. <strong>Heuss</strong> beschreibt dazu in seinen Erinnerungen eine Episode aus<br />
dem Jahr 1930: »In Schwenningen wurde ich von dem Naziblatt, das ein Trossinger In-<br />
dustrieller gegründet hatte, als 'der bekannte Jude und Freimaurer' begrüßt, und die<br />
dortigen Demokraten bedrängten mich, Anzeige wegen Beleidigung zu erstatten. Ich<br />
musste den Leuten klarmachen, dass das schlechterdings nicht gehe, da ich sehr nahe<br />
Freunde jüdischer Herkunft besitze oder solche, die Mitglieder einer Loge – nun müssten<br />
ja diese durch solchen Akt sich beleidigt fühlen.« 278 Immer wieder einmal wird <strong>Heuss</strong> in<br />
christlich-jüdische Angelegenheiten einbinden. Die Aussöhnung sowohl mit Israel als auch<br />
mit den in Deutschland befindlichen Juden gehört zu seinen Neigungsaufgaben. Ein Bei-<br />
spiel lässt sich in den Tagebuch-Briefen finden, in denen <strong>Heuss</strong> sich mokiert, dass man zu<br />
einer Gedenkrede auf Heinrich Heine extra Max Brod aus Tel Aviv einfliegen lassen will.<br />
»Nichts gegen M. Br., der ein zarter und gebildeter Mann ist – er hat mich (im letzten Jahr<br />
wohl) hier besucht. Aber welche instinktlose Simpelei, einen jüdischen Mann aus Tel Aviv<br />
kommen zu lassen! Das heißt, in Deutschland findet sich keiner, der das 'heiße Eisen' an-<br />
packen will. [...] Jetzt haben sie in Düsseldorf beschlossen, und der Herausgeber der<br />
Jüdischen Wochenschrift, Marx, ist beauftragt, [...] mich um die Bestimmung des Festred-<br />
ners zu ersuchen« 279 Unter anderem verband <strong>Heuss</strong> eine vertrauensvolle Beziehung mit<br />
dem Vorsitzenden des Jüdischen Weltkongresses Nahum Goldmann, eine von besonderer<br />
Wertschätzung getragene Beziehung hat er zu Leo Baeck.<br />
Wenn nicht in gleicher Intensität, so konnte er auch zu der Seite ein Verhältnis aufbau-<br />
en, mit der diejenigen nur unter Vorbehalt den freien Austausch pflegten. Hans Globke<br />
gegenüber pflegte er ein pragmatisch-vertrauensvolles Verhältnis einzunehmen, Ernst<br />
Jünger wollte er zum Beispiel den »dezidiert-romantisch abstrahierenden Konservatismus<br />
277 Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 24.10.1958; S. 356<br />
278 Lamm (1964); S. 204<br />
279 ein Beispiel dafür findet sich bei Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 4.12.1955; S.108<br />
98
etwas aberziehen.« 280 Großindustrielle Kreise gehören ebenfalls dazu: »Abend intimes<br />
Essen bei Alfried Kr[upp], der mir gegenüber immer locker wird.« 281 Gelegentlich trifft er<br />
auch alte politische Weggefährten. Zu erwähnen wäre der von ihm verehrte ehemalige<br />
Reichswehrminister Otto Gessler oder Heinrich Brüning, dessen Kabinett er ab 1930 als<br />
Geschäftsführer der Staatspartei-Fraktion unterstützt.<br />
▌ Breitenwirkung<br />
In der ersten Amtsperiode (1949-1954) bestand die Aufgabe <strong>Heuss</strong>' in der stärkeren<br />
Repräsentation nach innen: »Die Zeit war noch fern, in der der Bundespräsident die<br />
Bundesrepublik durch Staatsbesuche nach außen vertreten und sichtbar machen<br />
sollte.« 282 Dabei war sich <strong>Heuss</strong> jedoch bewusst, dass in der besonderen Situation des<br />
westdeutschen Staats eine solche nach innen gerichtete Arbeit zwangsläufig eine außen-<br />
politische Komponente hatte. In diesem Sinne galt es ein anderes Modell politischer<br />
Tugenden sichtbar zu machen, dass vor allem die »maßvollen« und vernünftigen Aspekte<br />
der politischen Prozesse zu popularisieren. Sein zentrales Stichwort bei der auf Breiten-<br />
wirkung angelegten Repräsentation ist nach eigenen Worten die »Entkrampfung«: »Ich<br />
habe mein unmittelbares Regierungsprogramm in das einfache Wort gepackt: Entkramp-<br />
fung. Damit ist natürlich noch nicht die oder die konkrete Entscheidung geleistet, aber<br />
eine psychologische Situation geschaffen, die die innere Gesundung der Deutschen<br />
erleichtert.« 283<br />
Die äußere durch Insignien der Herrschaft generierte Distanz zum Bürger weicht einer<br />
nach außen gekehrten jovialen Zivilität, die gleichzeitig Ausdruck bürgerlichen Selbstbe-<br />
wusstseins ist: Mit <strong>Heuss</strong> ist das Modell des Bürgers in (wenn auch mit »Verspätung«) in<br />
die obersten Spitzen des politischen Systems eingedrungen. <strong>Heuss</strong> hatte zudem die Gabe,<br />
sich interessieren zu können. Deshalb konnte er unbefangen mit Stenographie-Weltmeis-<br />
terinnen wie mit Pour le mérite-Trägern kommunizieren.<br />
In der breiteren öffentlichen Wirkung, auf Marktplätzen, Messen, im Kontakt mit »der<br />
Bevölkerung« gab er sich betont bescheiden, umgänglich, spontan und humorvoll. Dies<br />
führte schnell zu einer von ihm zwiespältig wahrgenommenen Popularität. Vor allem in der<br />
zweiten Amtszeit sprach er öfter von der »Verkitschung« 284 seiner Person: »Die 'Populari-<br />
tät' als Dauerzustand der Verbands-'Integration' kann nämlich, das ist mein Sorgegefühl,<br />
dem Amt als solches abträglich werden.« 285 Obwohl <strong>Heuss</strong> um die Wichtigkeit symbo-<br />
280 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 18.10.1955; S. 79<br />
281 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 20.11.1961; S.500<br />
282 Pikart (1976); S. 35<br />
283 Baumgärtner (2001); S. 144<br />
284 <strong>Heuss</strong> benutzt das Wort immer wieder, z.B.: Pikart (1970) S.40, S.85<br />
285 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 27.10.1955 ; S. 86<br />
99
lischer Politik wusste, zeigte er deshalb bisweilen einen Überdruss an der Erfüllung re-<br />
präsentativer Verpflichtungen - »wieder ein mal Staats-Sklave im Frack« 286 , ein anderes<br />
Beispiel anlässlich des Rundgangs über die Automobil-Ausstellung in Frankfurt und eines<br />
Artikels in der FAZ: »Mein ganzes schlechtes Benehmen ist darin gespiegelt, auch wie ich<br />
Bott [persönlicher Referent] anpfiff, als er mir zum Mit-mir-photographiert-werden die<br />
'Miss Germany' anschleppte, die für Zigaretten-oder Haut-'Creme'-Plakate gewachsen ist.<br />
Man streitet jetzt, ob ich ihn ein Rindvieh genannt habe, was er behauptet, oder einen<br />
Dackel, was ich für möglich halte. Die Volkspsychologen im Amt streiten, ob mir diese<br />
Darstellung 'abträglich' (wegen Grobheit) oder 'zuträglich (wegen Abwehr der Verkit-<br />
schung).« 287<br />
▌ Die grossen Deutschen<br />
In der zweiten Amtszeit ab 1954 wendet <strong>Heuss</strong> sich regelmäßig der Herausgabe eines<br />
fünfbändigen Werks namens »die großen Deutschen« zu. Zusammen mit den Historikern<br />
Heimpel und Reifenberg besorgt er die Neuausgabe der bereits 1935-37 erschienenen<br />
Reihe. Bereits 1937 war <strong>Heuss</strong> dort mit einem Beitrag, über den Ökonomen Friedrich List,<br />
vertreten. 288 »Weil 'wir' uns streiten, Reifenberg, Heimpel und ich, ob Hans Freyer [Ge-<br />
schichtsphilosoph, 1878-1969; Anm. NEZ] , der auch Nazi-Konzessionen gemacht hat,<br />
einen Beitrag für die 'Gr. D.' schreiben dürfte, habe ich gestern dessen neues Buch 'Theo-<br />
rie des gegenwärtigen Zeitalters' zu lesen begonnen [...] - Du siehst, wie komplex mein<br />
Dasein zwischen Männergesangsverein Tumringen und Sinngebung dieser Zeit ist!« 289 Die<br />
Auswahl sowohl der Schreiber als auch derjenigen, über die geschrieben wurde, macht die<br />
geschichtspolitische Dimension deutlich, in der dieses Werk, in das <strong>Heuss</strong> viel private und<br />
dienstliche Zeit investierte, agiert: »Nein, ich schreibe nicht über Brecht, von dem ich<br />
außer der Dreigroschenoper gar nichts kenne. Heimpel und Reifenberg sind dafür. Ich<br />
nicht dagegen, wenn seine dichterische Qualität glaubhaft dargestellt wird. Deutlich muss<br />
dann werden, dass er um der SED willen auch alberne Parteilyrik gemacht hat. [...] Wir<br />
haben uns ja im Ganzen bemüht, 'unbefangen' zu sein, vielleicht auch befangen in der Ab-<br />
lehnung von Tirpitz, Hindenburg u.s.f., aber das wird überstanden.« 290 Das fünfbändige<br />
Werk ist 1957 veröffentlicht worden.<br />
286 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 17.10.1958 ; S. 352<br />
287 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 21.09.1957 ; S. 260<br />
288 Pikart (1970); S. 526<br />
289 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 2.1.1956; S.125<br />
290 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 20.12.1956; S. 228<br />
100
▌ Gedenktage<br />
Die politische Selbstbeschreibung einer Gesellschaft kann insbesondere an ihren<br />
Traditionsbezügen abgelesen werden. In diesem Sinn ist Politik eingebettet in eine »Er-<br />
innerungskultur« als einem Teilbereich der Politischen Kultur. Die gezielt diese Selbstbe-<br />
schreibung beeinflussende Form der Politik ist die »Geschichtspolitik.« Steinbach schlägt<br />
die definitorische Brücke zum Bereich politischen Handelns: »Deutungen der Vergangen-<br />
heit sind nicht selten das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, der 'Geschichtspoli-<br />
tik'. Geschichte ist somit nicht mehr allein das Ergebnis vergangener Politik, sondern eine<br />
bestimmte Deutung der Vergangenheit wird vielfach zur wichtigen Voraussetzung neuer<br />
politischer Auseinandersetzungen und damit zu einem wichtigen Element politischer<br />
Gestaltung. » 291 Die Entscheidung für Gedenktage und die Nutzung von Gedenkanlässen<br />
fällt demnach direkt in diesen Bereich der Zeichenpolitik. In der Nation bekommt ein na-<br />
tionaler Gedenktag eine integrale Funktion, da das ihm zugrunde liegende Deutungsmus-<br />
ter in die gesellschaftliche Praxis inkorporiert wird. Demzufolge ist es konsequent, wenn<br />
<strong>Heuss</strong> frühzeitig darüber nachdenkt, eine angemessene »Form« des Gedenkens zu finden.<br />
»Will man den Staat ins Bewusstsein der Jugend als Integrationskraft geben, so muss<br />
man einen Werktag nehmen und entweder ganz oder halb schulfrei machen.« 292 Er dachte<br />
über verschiedene Gedenkanlässe nach – den 7.September als dem Datum, an dem der<br />
Bundestag das erste Mal zusammentrat oder das ambivalente aber dafür symbolisch be-<br />
deutungsvollere Datum des 8.Mai (Beschluss des Grundgesetzes, Kriegsende). 293 Aus dem<br />
Bundeskabinett kam der Vorschlag, am 3. September die Erinnerung an die Toten mit<br />
dem »Wiederentstehen des politischen Lebens« zu verbinden und am 3.September zu be-<br />
gehen. 294 Letztlich entschied man sich dafür, am 9.September 1950 eine feierliche Veran-<br />
staltung durchzuführen, auf der Bundeskanzler und Bundespräsident sprachen. Auch in<br />
den folgenden Jahren wurde das Datum des Bundestags-Zusammentritts zum Anlass für<br />
eine solche Veranstaltung genommen, wenn auch jedes Jahr die Diskussion über Termin<br />
und Zweck neu geführt wurde und das Datum nicht popularisiert wurde. Nachdem es am<br />
17. Juni 1953 in der DDR zu Unruhen kam, beschloss der Bundestag Anfang Juli 1953 auf<br />
Antrag der SPD-Fraktion und mit Unterstützung aller Parteien außer der KPD, den 17..Juni<br />
als »Tag der Einheit« zu begehen. Wenn dies auch so aussieht, als ob hier der Konsens<br />
mobilisiert wurde, der für die Durchsetzung einer breit verwurzelten gemeinsamen Ge-<br />
denkpraxis notwendig ist, so weist Wolfrum gerade das Gegenteil nach: Zwar war man<br />
sich über das Datum einig, hatte aber ziemlich gegensätzliche Vorstellungen davon,<br />
291 Steinbach (2001)<br />
292 Baumgärtner (2001); S. 174<br />
293 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch am 18.03.1955; S. 159<br />
294In die Entscheidungsfindung für ein Datum spielte auch hinein, dass die DDR am 12. September den<br />
Tag der Opfer des Faschismus beging (später am 10. September)<br />
101
wessen man gedachte. Volkserhebung? Arbeiteraufstand? Aufrechterhaltung des gesamt-<br />
deutschen Anspruchs? Wiedergeburt Deutschlands? »Auffälligerweise war die Schaffung<br />
eines Gedächtnisortes 'Tag der deutschen Einheit' geknüpft an je unterschiedliche, sozial<br />
rückgebundene, historisch überkommene und politisch aktivierte Wahrnehmungen gesell-<br />
schaftlicher Teilgruppen in der frühen Bundesrepublik.« 295<br />
Deutlich wird, dass die Durchsetzung eines zentralen staatlichen Gedenkanlasses unter<br />
den politischen Bedingungen der 50er Jahre nicht möglich war. Gerade <strong>Heuss</strong> dürfte dies<br />
schon aus der Erfahrung der Weimarer Republik bewusst gewesen sein. Im Gegensatz zu<br />
den Möglichkeiten der DDR, die unter völlig anderen politischen Bedingungen eine homo-<br />
gene Geschichtserzählung durchsetzte, waren die politischen Vorstellungen von der<br />
eigenen Identität zu plural: »In der bundesdeutschen Demokratie rangen (und ringen)<br />
verschiedene Gruppen um die Deutungskompetenz – Differenzierung, Öffentlichkeit und<br />
Konkurrenz waren (und sind) konstitutiv.« 296 Stattdessen entstand ein »Gedenktags-<br />
gefüge.« Baumgärtner bezeichnet es mit Blick auf die Aufarbeitung des Nationalsozialis-<br />
mus als eine Trias bestehend aus der »Woche der Brüderlichkeit«, die im Zeichen des<br />
christlich-jüdischen Dialogs stand, aus dem »Volkstrauertag« und aus dem Gedenken an<br />
den Widerstand gegen den Nationalsozialismus am 20. Juli. »Die Trias 'Juden als Opfer –<br />
Deutsche als Opfer – gute Deutsche' bildete so das Koordinatensystem der öffentlichen<br />
Erinnerung an den Nationalsozialismus.« 297 <strong>Heuss</strong> gelang es, innerhalb dieses Gefüges<br />
eigene Deutungen in die sich entwickelnde Gedenktradition zu implementieren. »<strong>Theodor</strong><br />
<strong>Heuss</strong> gestaltete dies ganz wesentlich mit, indem er darauf Einfluss nahm, bestimmte Ge-<br />
denkanlässe wie den 20. Juli zu etablieren, indem er andere Anlässe mit einer bundesprä-<br />
sidialen Rede bewusst aufwertete wie die Woche der Brüderlichkeit oder den Volkstrauer-<br />
tag und indem er ihnen eine dezidierte Bedeutung verlieh wie bei den Einweihungen der<br />
Soldatenfriedhöfe.« 298<br />
▌ Nationalsozialismus, Schuld und Widerstand<br />
Einen wichtigen Impuls gab <strong>Heuss</strong> beispielsweise der Debatte um die Schuld der Deut-<br />
schen an den nationalsozialistischen Verbrechen. Die Tatsache, dass man sich mit seiner<br />
eigenen Verstrickung in den Nationalsozialismus auseinander setzen muss, steht für <strong>Heuss</strong><br />
außer Frage. »Das deutsche Volk hat es sich leicht gemacht, zu leicht gemacht in seiner<br />
Masse, sich in die Fesseln des Nationalsozialismus zu geben. Es darf es sich nicht leicht<br />
machen, diese Fesseln, an denen es schlimm trug, von denen es sich selber nicht hätte lö-<br />
sen können, es darf es sich nicht leicht machen, die bösen Dinge wie in einem wüsten<br />
295 Wolfrum (1998); S. 395<br />
296 Wolfrum (2002); S. 71<br />
297 Baumgärtner (2001); S. 183<br />
298 Baumgärtner (2001); S. 340<br />
102
Traum hinter sich zu werfen.« 299 Daraus folgt bei <strong>Heuss</strong> jedoch kein politisches Programm<br />
der konfliktären Aufarbeitung, wie sie seit ca 1965 immer stärker eingefordert wurde.<br />
Aufarbeitung hat vor allem auf der individuellen Ebene zu geschehen, denn das Hauptpro-<br />
blem des Nationalsozialismus ist nach <strong>Heuss</strong>, die Veränderung des Menschenbilds in den<br />
Köpfen der Menschen. »D e r Mensch, d i e Menschheit ist ein abstrakte Annahme, eine<br />
statistische Feststellung, oft nur eine unverbindliche Phrase; aber die M e n s c h l i c h -<br />
k e i t ist ein individuelles Sich-Verhalten, ein ganz einfaches Sich-Bewähren gegenüber<br />
dem anderen, welcher Religion, welcher Rasse, welchen Standes, welchen Berufs er auch<br />
sei.« 300 Dieses Motiv legt nahe, die Bewältigung des Nationalsozialismus in der inneren<br />
Befragung zu finden, die eigene Menschlichkeit zu suchen. So gesehen ist Nationalsozialis-<br />
mus für <strong>Heuss</strong> ein ideologisch-geistiges Problem.<br />
In ambivalenter Weise stehen bei <strong>Heuss</strong> Schuld und Entlastung nebeneinander, was<br />
dann insbesondere bei seiner These von der »Kollektivscham« eine Rolle spielt. <strong>Heuss</strong><br />
geht davon aus, dass die Deutschen etwas von den Verbrechen des Nationalsozialismus<br />
wussten und tritt damit einer weit verbreiteten Haltung entgegen, die genau dies in Frage<br />
stellt. Auf der anderen Seite relativiert er dies. Man habe zwar etwas gewusst, aber nicht<br />
vom wahren Ausmaß, vom Zivilisationsbruch, der diesen Verbrechen zu Grunde gelegen<br />
habe. »Wir h a b e n von den Dingen gewusst. Wir wussten auch aus den Schreiben<br />
evangelischer und katholischer Bischöfe, die ihren geheimnisreichen Weg zu den Men-<br />
schen fanden, von der systematischen Ermordung der Insassen deutscher Heilanstalten.<br />
[...] Unsere Phantasie, die aus den bürgerlichen und christlichen Tradition sich nährte,<br />
umfasste nicht die Quantität dieser kalten und leidvollen Vernichtung.« 301 Die Relativierung<br />
geschieht nun dort, wo »wir« mit unserer »Tradition« den anonymen Nationalsozialisten<br />
gegenüberstehen. Mindestens genau so schwer wie die materielllen Verbrechen wiegt die<br />
Tatsache des im eigenen Namen begangenen Traditionsbruchs. »Aber etwas wie eine<br />
Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Das Schlimmste, was Hitler<br />
uns angetan -, ist doch dies gewesen, dass er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm<br />
und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen.« 302 So gelesen gibt es<br />
verschiedene Quellen des Schamempfindens, zum Beispiel, weil man sich ungeachtet<br />
eigener Schuld verantwortlich fühlen kann. Bei <strong>Heuss</strong> ist es das Mit-Den-Opfern-Emp-<br />
finden und Verantwortlich-Fühlen weil Verbrechen im eigenen Namen (jedoch nicht im<br />
eigenen Auftrag) geschehen sind. »Wir müssen im Verhältnis Mensch zu Mensch eine freie<br />
Bewertung des Menschentums zurückgewinnen.« 303 In einem Interview anlässlich seines<br />
299 Lamm (1964); <strong>Heuss</strong> am 25.11.1945; S. 95<br />
300 Lamm (1964); Das Mahnmal; S. 140<br />
301 Lamm (1964); Das Mahnmal; S. 136<br />
302 Lamm (1964); Mut zur Liebe 07.12.1949; S. 122<br />
303 Dahrendorf/Vogt (1984); Mut zur Liebe; S. 384<br />
103
Besuchs in Israel fasste <strong>Heuss</strong> dies konkreter: »Jeder von uns Deutschen hat sich für sei-<br />
ne Person, und unser ganzes Volk als Kollektiv vor den Juden in ihrer Gesamtheit und vor<br />
jedem Individuum dessen zu schämen, was Menschen meiner Nation verbrochen<br />
haben.« 304 »Kollektivscham« ist insofern kompatibel mit einem Prozess der Besinnung auf<br />
Menschlichkeit und einem positiven Bezug auf die eigenen zivilisatorischen Werte.<br />
In kritischer Bestandsaufnahme fällt auf, dass das Schamgefühl nur unvollkommen als<br />
Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dienen kann.<br />
Abgesehen davon, dass dies für die Opfer und ihr Gerechtigkeitsempfinden nur wenig Re-<br />
levanz haben kann, kommt man um eine klarere und möglicherweise auch schmerzhaftere<br />
Konsequenzen einfordernde Schulddefinition nicht herum. Baumgärtner zieht eine kri-<br />
tische Bilanz: »Aufgrund der Unbestimmtheit seiner Äußerungen fand in seinen Reden<br />
keine Erörterung des Ausmaßes und der Intensität dieser Schuldverstrickung statt,<br />
weshalb die Klärung der Schuldfrage bei <strong>Heuss</strong> offen blieb. Die Aporie, grundsätzlich<br />
Schuld zu bekennen, ohne sie individuell zuzurechnen, war ein Signum seiner 'Reden nach<br />
Hitler'.« 305 Wenn von <strong>Heuss</strong> eine besondere Ausstrahlung auf die öffentliche Ausein-<br />
andersetzung mit dem Nationalsozialismus ausging, dann gerade deshalb, weil er<br />
»Menschlichkeit« einfordert. Empathie für die Opfer zu empfinden, sie als Gleiche, als In-<br />
dividuen und als Verlust wahrzunehmen. »Der Mensch, die Menschheit ist eine abstrakte<br />
Annahme, eine statistische Feststellung, oft nur eine unverbindliche Phrase; aber die<br />
Menschlichkeit ist ein individuelles Sich-Verhalten, ein ganz einfaches Sich-Bewähren<br />
gegenüber anderen, welcher Religion, welcher Rasse, welchen Standes, welchen Berufes<br />
er auch sei.« 306<br />
Wenn sich das oben beschriebene auf den Umgang mit Schuld und Opfern bezieht, so<br />
ist <strong>Heuss</strong> daran gelegen, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu rehabilitieren<br />
und ein »Recht zum Widerstand« abzuleiten. In der gleichnamigen Rede von 1955 be-<br />
handelt <strong>Heuss</strong> den militärischen Widerstand des 20.Juli. Ein zentrales mit dieser Rede ver-<br />
bundenes Ziel von <strong>Heuss</strong> und Adenauer war offensichtlich, hier einen geschichtspolitischen<br />
Akzent zu setzen: »Im Hinblick auf den 10.Jahrestag des Kriegsendes im Mai 1955 ver-<br />
ständigten sich <strong>Heuss</strong> und Adenauer darauf, 'dass dieser Tag möglichst geräuschlos vor-<br />
übergehe'. Wenn lediglich das Attentat auf Hitler als 'positives' Datum gemäß des Impera-<br />
tivs der runden Zahl als gedenkwürdig erachtet wurde, deutet dies auf das Anliegen hin,<br />
die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mit der Würdigung des Widerstands<br />
zu verbinden.« 307 Die Wahl des Orts - Berlin – für diese Rede war demnach auch kein Zu-<br />
fall, konzentrierte sich doch in dieser Stadt, am Ort der Hinrichtung der führenden Vertre-<br />
304Lamm (1964); S. 206<br />
305 Baumgärtner (2001); S. 342D<br />
306 Dahrendorf/Vogt (1984); Das Mahnmal; S. 411<br />
307 Baumgärtner (2001); S. 300<br />
104
ter dieser Gruppe in der Strafanstalt Plötzensee das 20.Juli-Gedenken. Zudem war die<br />
Rede in ein intensives politisches Großprogramm eingebettet. Die Bundesversammlung<br />
bestätigte <strong>Heuss</strong> im Amt und im Olympia-Stadion hielt er eine Kundgebung für die Fuß-<br />
ball-Weltmeister ab. Die Rede zum 20.Juli wurde im Auditorium Maximum der Freien Uni-<br />
versität gehalten.<br />
Der Kern von <strong>Heuss</strong> Ausführungen dreht sich darum, die Legitimität des Eids, den die<br />
Soldaten auf Hitler abgaben, mehrfach in Zweifel zu ziehen. »Dieser Fahneneid wurde<br />
einem Manne geleistet, der formalrechtlich' und moralisch-geschichtlich einen mehrfachen<br />
Eidbruch schon hinter sich hatte.« 308 Demnach waren die Widerständler in einer »Grenzsi-<br />
tuation« zwischen »Staatsräson« und »Freiheit.« Wenn auch der Staat »eine Veran-<br />
staltung, die auf Befehlsgewalt und Gehorsamsanspruch beruht« 309 sei, so handelt es<br />
sich hier um die Art von »Gehorsamsverweigerungen, die einen h i s t o r i s c h e n<br />
Rang besitzen.« 310 Die Wahl des christlichen Pathos dient <strong>Heuss</strong> dazu, klarzumachen, dass<br />
unsere Erlösung in ihrem Tod begründet liege: »Das Gemartert-Werden brachte allen die<br />
gleiche Q u a l , und das Sterben durch den Strang, der sie schänden, durch die Kugel,<br />
die sie bloß vernichten sollte, der selbstgewählte Tod aus Verzweiflung gab ihnen allen<br />
das g l e i c h e A n r e c h t , dass der Dank ihr Opfer als ein G e s c h e n k a n d i e<br />
d e u t s c h e Z u k u n f t würdigt.«<br />
Dieses Opfer gilt allen in der Schicksalsgemeinschaft der Deutschen zusammmen-<br />
fassbaren Bürger. <strong>Heuss</strong> rückt zudem den Durchschnittssoldaten in die Nähe des Wider-<br />
stands, zumindest verstanden als eine Art innerer Widerstand. »Die seelische Situation<br />
von Hunderttausenden von Millionen Soldaten war furchtbar, denn es zogen doch nicht<br />
bloß fanatisierte Nationalsozialisten ins Feld, sondern deutsche Menschen, darunter zahl-<br />
lose, die durch diesen Krieg hindurch, in dem sie sich durch Tapferkeit auszeichneten, von<br />
einem dauernden inneren Konflikt begleitet waren.« 311<br />
Am Ende wird das in der Synthese von Nation, Gewissen und Opfer aufgebaute Pathos<br />
ins Archaische überhöht: »Aber wenn ich am Beginn meiner Worte sagte, die Stunde soll<br />
Bekenntnis und Dank sein, so will ich das noch einmal aussprechen: Bekenntnis zur<br />
Gesinnung wie zum Rechte der jungen Männer [...] Dank für ein Vermächtnis, das durch<br />
das stolze Sterben dem Leben der Nation geschenkt wurde. Die Scham, in die Hitler uns<br />
Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen<br />
wieder weggewischt.« 312 <strong>Heuss</strong> empfiehlt die Gruppe des 20. Juli als zentrale Heldenfigu-<br />
ren einer positiven Gedenktradition. Insofern war diese auch von <strong>Heuss</strong> in ihrer Bedeu-<br />
308 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand; S.434<br />
309 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S. 433<br />
310 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S. 435<br />
311 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S.436<br />
312 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S. 439<br />
105
tung sehr hoch eingestufte Rede Standard setzend, weil sie einer Geschichtssicht zum<br />
Durchbruch verholfen, die den Widerstand aus dem Umfeld des Kriminellen herausgeführt<br />
hat. Auf der anderen Seite wird eine neue Legendenbildung nahe gelegt, die in den<br />
folgenden Jahrzehnten eifrig gepflegt wird. Die »Männer des 20.Juli« monopolisieren den<br />
Widerstand, Fragen nach Schuld und Gesinnung werden tabuisiert. Wenn das Motiv, den<br />
Widerstand zu entkriminalisieren, ehrenvoll sein mag, so ist doch fraglich, ob diese af-<br />
firmative Monumentalisierung eine sinnvolle Weiterentwicklung der Gedenkstandards ist.<br />
Wenn hier der Versuch gemacht wird, eine deutsche Widerstandstradition zu imple-<br />
mentieren, so sucht <strong>Heuss</strong> gleichzeitig den engen Kontakt zu den in Deutschland lebenden<br />
Juden. Wie bereits erwähnt, nutzt er die »Woche der Brüderlichkeit« und wertet sie auf zu<br />
einem Forum für den christlich-jüdischen Dialog. 1952 gibt er ihr über eine Rundfunkan-<br />
sprache die notwendige Publizität, nimmt darüber hinaus an den Gründungen christlich-<br />
jüdischer Gesellschaften teil, die in den fünfziger Jahren an vielen Orten entstehen. Auch<br />
in den Vier-Augen-Gesprächen mit dem Bundeskanzler kommen jüdische Themen ge-<br />
legentlich zur Sprache.<br />
▌ Wehrpflicht und Armee<br />
Wie schon an verschiedenen Stellen beschrieben wurde, konnte sich <strong>Heuss</strong> Staatlich-<br />
keit ohne Armee nicht vorstellen. Schon im Parlamentarischen Rat hat er die Wehrpflicht<br />
als ein »legitimes Kind der Demokratie« gesehen, auch im Zuge der Diskussionen um die<br />
Europäische Verteidigungsgemeinschaft betont er den natürlichen Zusammenhang von<br />
Souveränität und Landesverteidigung. Die Armee ist demnach ein natürlicher Bestandteil<br />
der politischen Kultur. »Die geschichtlich interessanteste Fragestellung in der Entwicklung<br />
der Stilfragen bildete und mag wieder bilden das Problem des Soldatischen.« 313 Das<br />
Prinzip der »Levée en masse« ist dabei in zwei Richtungen dienlich: Sie demokratisiert die<br />
Streitkräfte und umgekehrt eröffnet der Militärdienst einen gemeinsamen Kommunika-<br />
tionsraum. Originellerweise führt <strong>Heuss</strong> die parallelen Erfahrungen Israels an. »Schon vor<br />
vielen Jahren habe ich schon einmal gesagt, welche Bedeutung der hebräischen Kom-<br />
mandosprache des Heeres zukommt. Das Zusammenwachsen von sehr vielen Herkünften<br />
ist eine pädagogische, organisatorische – ich will nicht sagen: militärische – Leistung,<br />
denn in den Schulen ist die Grundsprache ganz selbstverständlich das Hebräische geworden<br />
[...]« 314<br />
Wenngleich <strong>Heuss</strong> die prinzipielle Notwendigkeit militärischer Strukturen immer wieder<br />
betont, so begleitet er die Einrichtung der Bundeswehr kritisch, insbesondere im Bereich<br />
der Traditionsbildung. Um dies nachvollziehen zu können, muss auf <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen<br />
313 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 461<br />
314 Lamm (1964); Reiseeindrücke aus Israel (28.06.1960); S. 213<br />
106
von einer der Demokratie entsprechenden Armee rekurriert werden. Es wurde bereits an<br />
anderer Stelle erwähnt, dass Jaures und Delbrück diese Vorstellungen inspiriert haben.<br />
<strong>Heuss</strong> zieht hierzu die Veränderung der Kriegsführung hinzu: In der Technisierung und<br />
professionellen Spezialisierung sieht er die Gefahr einer Verselbständigung der Armee, der<br />
Krieg sei »von den Übungsfeldern in die Laboratorien, in die Berechnungswerkstätten ge-<br />
wandert.« 315 Zudem könne die unhinterfragte Übernahme von Traditionsbeständen nicht<br />
den Anforderungen an eine Bürgerarmee genügen: »Vom Technischen wie vom Poli-<br />
tischen her sind wir in eine n e u e geistige Situation gezwungen!« 316 Sichtbarer Aus-<br />
druck dieser überkommenen Militärkultur sei der Umgang mit den militärischen Symbolen,<br />
mit Fahnen, Märschen, Uniformen, Abzeichen. Sowohl in der Veräußerlichung einer neuen<br />
Armee als auch im Selbstverständnis gelte es, das Soldat-Sein neu zu definieren. Mit der<br />
vollständigen Einbindung der Bundeswehr in die NATO sei eine Militärtradition an ein Ende<br />
gelangt, weil sich ihr Auftrag geändert hat. An die Adresse von Offizieren der Bundeswehr<br />
richtet <strong>Heuss</strong> diesen Auftrag: »Sie werden ausgebildet und bilden aus für die unberechen-<br />
baren Aufgaben eines modernen Kriegs. Und der tiefe paradoxe Sinn dieser mühseligen<br />
Arbeit ist doch dies, nicht nur durch die wagende oder ausweichende Aktion, sondern<br />
einfach durch Da-Sein und So-Sein die Verwirklichung jener schlimmen Gegebenheiten<br />
einer militärischen Konfliktlage zu verhindern.« 317 Aus diese Beschränkung der Aufgabe<br />
einer Armee wächst eine andere Vorstellung vom Soldat-Sein. Auf die traditionellen Wert-<br />
kategorien wie zum Beispiel Ruhm und Sieg sollten staatsbürgerliche Werte folgen, die<br />
Politische Kultur in die Militärkultur getragen werden. <strong>Heuss</strong> empfiehlt eine staatsbürgerli-<br />
che Bildung als Ergänzung zur militärischen Ausbildung, die Verantwortung der Soldaten<br />
zu stärken und lieber neue Traditionen zu schaffen als alte ungefragt zu übernehmen. Im<br />
Grunde nimmt er damit das Konzept der »Inneren Führung« vorweg. Den Text der Rede<br />
spricht er denn auch mit Graf Baudissin, dem spiritus rector des Konzepts ab. 318<br />
<strong>Heuss</strong> bewegt sich in der Armeefrage zwischen den Stühlen der öffentlichen Meinung.<br />
Auf der einen Seite gehört er zu denjenigen, die die Bildung der Bundeswehr immer un-<br />
terstützt haben. <strong>Heuss</strong> zieht eine scharfe Grenze zwischen Armeegegnern und Armeebe-<br />
fürwortern: »Bundespräsident unterrichtet den Bundeskanzler [...], dass er eine Einladung<br />
der Roten Falken (sozialistische Jugend) zu einer Tagung Ende Juli abgesagt habe – ob-<br />
wohl er auch bei einer Tagung z.B. der katholischen Jugendverbände gesprochen habe -,<br />
da die Falken verschiedentlich Resolutionen gegen die Wiederaufrüstung gefasst<br />
hätten.« 319 Persönlich ist deshalb auch sein Verhältnis zu Martin Niemöller zerrüttet, der<br />
315 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 463<br />
316 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 463<br />
317 Dahrendorf/Vogt (1984); Soldatentum in unserer Zeit; S. 490<br />
318 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 8.3.1959; S.405<br />
319 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch vom 27.07.1955 ; S. 170<br />
107
zusammen mit Gustav Heinemann zu den Initiatoren der öffentlichen Mobilisierung gegen<br />
die Aufrüstung gehörte: »Die Soldatenrede, wie Du vielleicht sahst, von der FAZ in exten-<br />
so abgedruckt, animiert zu Briefen, zumal die 'christlich eingekleidete Demagogie'.« 320<br />
Andererseits ist das Zustandekommen der beiden programmatischen Reden zum The-<br />
ma (»Stilfragen der Demokratie« und »Soldatentum in unserer Zeit«) gerade dadurch er-<br />
klärbar, dass die Bundeswehr nur zögerlich auf seine Anregungen reagiert und im<br />
Zweifelsfall den Traditionsbezug wählt als die Erfindung von Tradition. Diese kritische<br />
Distanz wird in einer Äußerung deutlich, die er 1956 tätigt und in der er über sein Verhält-<br />
nis zu Adenauer in Militärfragen spricht: »Wir liegen im Moment nicht gleich. Er will der<br />
werdenden Armee alle Chancen geben, sichtbar zu werden, nachdem er sich in der Zeit<br />
des Parlamentarischen Rates gar nicht darum kümmerte und mich im Stich ließ, er nimmt<br />
jetzt 'Paraden' ab, während ich, der ich 1948/49 der einzige 'Militarist' war, d.h. die<br />
Verteidigungspflicht der Demokratie aussprach, jetzt retardierend wirke, da ich glaube,<br />
ein stärkeres Gefühl für die innerdeutsche Normalstimmung zu haben.« 321 Zu dieser<br />
Distanz dürfte auch beigetragen haben, dass seine Anregungen zur Einbindung des<br />
Bundespräsidenten in die Befehlsstrukturen nicht aufgegriffen wurden. <strong>Heuss</strong> plante, so-<br />
wohl den Oberbefehl als auch einen »Verteidigungsrat (wie in Frankreich) an das Amt des<br />
Präsidenten zu binden, um die Autorität des Bundespräsidenten, wenn im allgemeinen In-<br />
teresse nötig, in die Waagschale werfen zu können.« 322<br />
▌ Zusammenfassung: Bundespräsident<br />
Das Charakteristikum des Bundespräsidenten-Amtes ist es, sowohl im Zentrum des<br />
politischen Systems zu stehen, als auch in Bezug auf die tagespolitischen Einflussmöglich-<br />
keiten, eher peripher angesiedelt zu sein. Wichtigste Aufgabe ist die Repräsentation des<br />
Staats. Dessen ungeachtet hat <strong>Heuss</strong> versucht, die Funktionen des Amts über diesen Be-<br />
reich hinaus auszudehnen. Zum größten Teil wurde ihm dies verwehrt: Beispiele von<br />
besonderer Bedeutung sind Fragen der Teilnahme an Kabinettssitzungen und Bundestags-<br />
Debatten oder der Versuch, den Oberbefehl über die Bundeswehr zu bekommen. Auch<br />
seine Versuche, eine Hymne zu implementieren und in die Frage der Europäischen<br />
Verteidigungsgemeinschaft einzugreifen, waren nicht von Erfolg gekrönt und von hand-<br />
werklichen Fehlern im prozessualen Bereich des Politischen begleitet. Man kann vermuten,<br />
dass <strong>Heuss</strong> dennoch regelmäßig über die drängenden aktuellen politischen Fragen unter-<br />
richtet wurde, weil Adenauer ihn persönlich wertschätzte und auch Interesse an seinem<br />
Urteil hatte. Daraus zu schließen, dass der Bundeskanzler der Meinung war, dass dies dem<br />
320 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 21.03.1959; S. 409<br />
321 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 18.01.1956; S. 134<br />
322 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch vom 06.06.1955; S. 164<br />
108
verfassungsgemäßen Rang von <strong>Heuss</strong> als ideell über ihm stehend entspräche, soll nicht<br />
gewagt werden. Adenauer war sich bewusst, dass er auf dem unebenen Terrain der Politik<br />
immer derjenige mit dem robusteren Schuhwerk war.<br />
<strong>Heuss</strong> versucht gegen diese Beschränkungen des Amts keine Gegenposition aufzubau-<br />
en, wird deshalb nicht machtbewusster. Statt seine repräsentative Funktion in die Nähe<br />
der Tagespolitik zu stellen und »öffentlich zu intervenieren« nimmt er eine im Hintergrund<br />
agierende und sich überparteilich definierende aber intern die Regierung unterstützende<br />
Rolle ein. Wenn also in der Öffentlichkeit öfter vom Gegensatz <strong>Heuss</strong>-Adenauer die Rede<br />
ist, dann entspricht dies im Wesentlichen zwar den unterschiedlichen Grundeinstellungen<br />
der beiden, nicht jedoch deren politischer Beziehung. Die Tatsache, dass sich Menschen<br />
von <strong>Heuss</strong> angezogen fühlten, die Adenauers Politik ablehnten, lässt nicht vermuten, dass<br />
<strong>Heuss</strong> eine im Ergebnis andere Politik als Adenauer verfolgte.<br />
Anders sieht dies im Bereich der Zeichenpolitik aus, in der Gestaltung des »wie«: Sen-<br />
sibler als der Kanzler war <strong>Heuss</strong> in der Einschätzung durch Symbole erzielbarer<br />
Wirkungen. Dies ist einer der Hauptpunkte in der Hymnenfrage und taucht immer wieder<br />
auf, etwa in der Helgoland oder bei der Eingliederung des Saarlands. Bei der Einführung<br />
staatlicher Auszeichnungen kann sich <strong>Heuss</strong> im Wesentlichen mit seinen Vorstellungen<br />
durchsetzen. Die Wiedererweckung des »Pour le mérite« mit der Ansammlung unzähliger<br />
»Männer von Rang« kann man dabei als <strong>Heuss</strong>-typischste Auszeichnung sehen. Bis heute<br />
ist sie ein Instrument der Bindung in- und ausländischer Intelligenz an die Bundesrepu-<br />
blik. Dieser Zielgruppe gilt auch ein Großteil der <strong>Heuss</strong>'schen Bemühungen. So gelten<br />
einige der wichtigsten <strong>Heuss</strong>-Reden einem geschlossenen Kreis. <strong>Heuss</strong> redet vor Politik-<br />
wissenschaftlern, Journalisten, Offizieren. In der Öffentlichkeit setzt sich allmählich das<br />
Bild des gemütlich-humorigen Papa <strong>Heuss</strong> durch, der als der nette Mensch von Bonn<br />
neben dem strengen Adenauer steht. In seiner öffentlichen Programmatik stehen drei Be-<br />
griffe im Vordergrund: »Entkrampfung«, »Mäßigung« und »Verkitschung.« Das Verhältnis<br />
der Bürger zur Staatsspitze ordnet <strong>Heuss</strong> mit dem Schlagwort der Entkrampfung neu. Mit<br />
dem Begriff der Mäßigung ist sein politisch-kulturelles Erziehungsprogramm umschrieben.<br />
Unter andauernden Popularitätsgaben wächst bei <strong>Heuss</strong> schließlich die Befürchtung der<br />
»Verkitschung« seiner Person - nicht zu unrecht. Demzufolge steht die personale Bindung<br />
der Bürger über Volkstümlickeit und die dem staatlichen Amt angemessene Distanz in<br />
einem widersprüchlichen Verhältnis. <strong>Heuss</strong> changiert hier zwischen diesen Polen.<br />
In seinen zeichenpolitischen Beiträgen versucht <strong>Heuss</strong> sowohl neue Deutungen durch-<br />
zusetzen als auch konträr dazu stehende Positionen zu integrieren. Seine Standpunkte<br />
zum Beispiel zum Nationalsozialismus oder zur Bundeswehr drücken auf der einen Seite<br />
eine Modernität aus, die ihrer Zeit voraus zu sein scheint. Auf der anderen Seite führt das<br />
nie zu einer Entfernung von den Mainstream-Positionen: Schuld ja aber nicht generell, Ar-<br />
mee unbedingt, aber demokratischer als diese – Gegner und Befürworter können sich<br />
immer zumindest in Teilen wiederfinden.<br />
109
5.Zusammenfassung: <strong>Heuss</strong><br />
und die politische Kultur<br />
nach 1945<br />
W<br />
enn politische Köpfe zum Thema einer Arbeit werden, bewegt man sich zwischen<br />
zwei Extremen: Das eine Extrem schreibt die Geschichte des Steuermanns. Ent-<br />
schlossen führt er das Staatsschiff durch die Unwägbarkeiten der Zeit und drückt Epochen<br />
seinen Stempel auf. Das andere Extrem sieht den Handelnden nur als das Produkt von<br />
außerpolitisch determinierten Verhältnissen. Steuerung kann aus dieser Perspektive als<br />
die Freiheit wahrgenommen werden, die sich aus der Einsicht in die Notwendigkeit objek-<br />
tiver Bedingungen ergibt. Das Individuelle verschwimmt dahinter. Da diese Arbeit keine<br />
Herzensbildung betreiben soll, stellt sich die Frage des angemessenen Zugangs zur Person<br />
und zur Bewertung seiner Leistung. Da der Nachweis eines Einflusses einer Person auf die<br />
Einstellungen der Bevölkerung, auf die Entwicklung von gesellschaftlichen Debatten oder<br />
auf Ereignisse, die weit in der Zukunft liegen, nicht möglich ist, können im Folgenden nur<br />
begründete Überlegungen angestellt werden. Diese beziehen sich auf der einen Seite auf<br />
den Einfluss von <strong>Heuss</strong> auf die politischen Institutionen und darauf folgend auf die poli-<br />
tischen Einstellungen der Bevölkerung<br />
5.1 Einfluss auf die politischen Institutionen<br />
Über den Einfluss von <strong>Heuss</strong> auf die Gestaltung der politischen Institutionen soll anhand<br />
seiner Aktivitäten als Partei- und Verfassungspolitiker sowie als Präsident nachgedacht<br />
werden.<br />
Ausgangslage ist die politische Nachkriegskarriere, die <strong>Heuss</strong> in die DVP in Württemberg<br />
führt. In der Zeit, in der er als Parteipolitiker aktiv war, beginnt sich das westdeutsche<br />
Parteiensystem zu formieren. Dieses zeigt nur wenig Kohärenz mit der politischen Land-<br />
schaft der Weimarer Republik, auch <strong>Heuss</strong> gehörte zu denen, die versuchten, von einer<br />
größeren politischen Basis aus zu agieren. Seine Mitgliedschaft in der FDP ist insoweit Zu-<br />
fall, als sie vor allem ortsabhängig war. Die Parteiorganisationen entwickelten sich von<br />
den Ländern her und diese Entwicklung wurde zudem von einem Ost-West-Konflikt über-<br />
lagert. Nach der Trennung von der LDP der sowjetischen Besatzungszone zeichneten sich<br />
110
zwei Dynamiken ab: Zum Einen eine Fusion innerhalb der Trizone und zum anderen die<br />
politische Zweispaltung der Partei. Der um die Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat<br />
gruppierte rechte Flügel bekam mehr Gewicht, drängte auf einen schnellen Zu-<br />
sammenschluss und setzte damit die südwestdeutschen Liberalen unter Zugzwang, woll-<br />
ten sie einen Zusammenschluss der Parteien, zu dem es nun keine Alternativen mehr gab,<br />
unter ihren Bedingungen forcieren. <strong>Heuss</strong> gehört hier nicht zu den Protagonisten sondern<br />
nimmt eine zögerliche Haltung ein. »Erst mit dem Zusammentreten des Parlamen-<br />
tarischen Rats 1948 änderte sich das Bild: Dass eine liberale Partei in Verfassungsbera-<br />
tungen zu besonderer Verantwortung aufgerufen sei und ihr die entscheidende Vermitt-<br />
lungsaufgabe zwischen den beiden großen Flügeln zufalle, war nicht nur die Leitlinie, die<br />
die Bonner FDP-Fraktion ihrem Wirken zugrunde legte; es umriss auch weitgehend die<br />
Zielsetzung, die die gemäßigten Kräfte der Partei überhaupt zugedacht hatten.« 323 Dem-<br />
zufolge ist es das Verdienst von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und Ernst Mayer, wieder an die liberale<br />
Tradition anzuknüpfen, die Aufgabe einer Verfassungspartei wahrzunehmen. Wenn dies<br />
auch innerparteilich äußerst umstritten ist, so bietet diese Ausrichtung in späteren Zeiten<br />
Anknüpfungspunkte für eine sozialliberale Ausrichtung der FDP. Gleichwohl gelingt es dem<br />
linken Flügel nicht, diese Ausrichtung durchzusetzen. Bis in die sechziger Jahre bleibt die<br />
FDP eine heterogene Partei, die von den Flügelkämpfen, die in den vierziger Jahren be-<br />
ginnen, weiter gezeichnet ist. Insofern wirkt diese Traditionsbildung nicht unmittelbar in<br />
das entstehende Parteiensystem. Generell scheint <strong>Heuss</strong> die Rolle eines Parteivorsitzenden<br />
eher fremd zu sein. Dies resultiert aus seinem Politikerverständnis, das auch unter den<br />
veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit noch dem Typus des Honoratiorenpolitikers<br />
gleicht. Wenn er stilbildend wirken kann, dann in Sonderbereichen des politischen Sys-<br />
tems: Im Parlamentarischen Rat oder im repräsentativ definierten Amt des Bundesprä-<br />
sidenten.<br />
Wenn es nicht gelingt, die FDP zur Verfassungspartei umzuformen, so steht außer<br />
Frage, dass <strong>Heuss</strong> ein Verfassungspolitiker war. Im Parlamentarischen Rat brachte er sich<br />
unter anderem in den Bereichen ein, die das Selbstverständnis des Staats betreffen, zum<br />
Beispiel bei der Diskussion der Präambel, des Namens des zukünftigen Staats, bei der<br />
Frage der Grundrechte. Bei den institutionellen Grundentscheidungen findet sich <strong>Heuss</strong><br />
mit der Mehrheit des Gremiums als ein Gegner direkter Demokratie wieder, als Befür-<br />
worter eines gemäßigten Föderalismus und einer Entmachtung des Bundespräsidenten zu-<br />
gunsten eines an das Parlament gebundenen Kanzlers. Wenn <strong>Heuss</strong> auch zu den »Vielred-<br />
nern« gehörte und dank seines Amts als Fraktionsvorsitzender auch zu denen, die in den<br />
wichtigen Ausschüssen saßen, so kann mit Sicherheit gesagt werden, dass er großen<br />
Einfluss auf die Arbeit des Parlamentarischen Rats ausgeübt hat. Aber angesichts der<br />
Arbeitsweise des Gremiums und der Komplexität von Materie und Entscheidungspro-<br />
323 Hein (1985); S.352<br />
111
zessen, können keine Aussagen darüber getroffen werden, wie stark sein Einfluss exakt<br />
auf diese oder jene Formulierung gewesen ist.<br />
Anders gestaltet sich dies bei der Untersuchung seines Einflusses auf die Deutschland-<br />
politik. Insbesondere in der Diskussion über die Frankfurter Dokumente beteiligte er sich<br />
nicht. Seine Haltung ist mit abwartend beschreibbar, de facto hat er keinen Einfluss ge-<br />
nommen, wenn er auch von Beginn an alle mit der Gründung des Weststaats und seiner<br />
internationalen Einbindung verbundenen Entscheidungen unterstützte.<br />
Im Gegensatz dazu hat er das Amt des Bundespräsidenten maßgeblich geformt. Auch<br />
hier sucht er wie im Parlamentarischen Rat nach den angemessenen Formen der Staatsre-<br />
präsentation, zum Beispiel in der Hymnenfrage, bei der Stiftung von Auszeichnungen oder<br />
bei der Suche nach einem angemessenen präsidialen Auftreten. Hieraus leitet sich auf der<br />
einen Seite die Aufgabe des Präsidenten ab, sich zu grundsätzlichen Fragen der Demokra-<br />
tie oder des Gedenkens zu äußern. Gleichzeitig hat der Präsident seit <strong>Heuss</strong> auch die un-<br />
beschriebene Aufgabe, integrativer in die Gesellschaft zu wirken als dies anderen Trägern<br />
politischer Rollen möglich ist: Zum Rollenprofil des Präsidenten gehört neben einer ge-<br />
wissen präsidialen Distinguiertheit auch eine Bereitschaft zur »Volksnähe« (wenn <strong>Heuss</strong><br />
die daraus resultierende Wirkung »Verkitschung« nennt, so überdeckt das Etikett diese<br />
dem Amt innewohnende Funktion).<br />
5.2 Die politischen Einstellungen der<br />
westdeutschen nach 1945<br />
Wenn man die in Kapitel 2 zusammengefassten Aspekte der Politische-Kultur-Forschung in<br />
Beziehung setzt zu <strong>Heuss</strong>' Ansichten über den Grad demokratischer Reife, den die Deut-<br />
schen nach 1945 besitzen, so lässt sich dieses Verhältnis als gegenseitiges Misstrauen<br />
beschreiben.<br />
Wie Offe beschrieben hat, ist allen modernen Demokratien eigen, dass sie zu einem<br />
großen Teil auf misstrauensbasierter vertikaler Kommunikation beruhen, weil eine eher<br />
geringe Möglichkeit der Einflussnahme auf den politischen Prozess einer maximalen Be-<br />
troffenheit von Entscheidungen gegenübersteht. Wenn dies ein normaler Grundzug einer<br />
Demokratie zu sein scheint, so ist das »unnormale« an der frühen westdeutschen poli-<br />
tischen Kultur, dass die ergänzenden Vertrauensbeziehungen unvollkommen ausgeprägt<br />
sind. Insofern besteht in der Bevölkerung zunächst wneig Interesse an politischen Fragen,<br />
geschweige denn daran, sich politisch zu engagieren. Auf der anderen Seite meint die<br />
Äußerung von <strong>Heuss</strong>, dass die neuen politischen Eliten durch die Schule der Skepsis ge-<br />
gangen sind, gerade die eigene Skepsis gegenüber der politischen Zurechnungsfähigkeit<br />
des Volkes.<br />
112
<strong>Heuss</strong> findet einen Ausweg aus dieser Situation nicht in der sozialen Kontrolle, sondern<br />
in der verantwortungsethischen Erziehung: Die Rückbesinnung auf die eigene Menschlich-<br />
keit, das Herausbilden von Bürgersinn, Mäßigung und die Beteiligung im Ehrenamt sind<br />
die Leitwerte, die er versucht durch Kommunikation aus einer privilegierten Funktion<br />
durchzusetzen. Zudem leitet er die Autorität des eigenen Amts aus dem Glauben an diese<br />
Prinzipien ab. Die nach außen getragene Bürgerlichkeit schafft auf der einen Seite Nähe,<br />
die Demonstration seines symbolischen Kapitals schafft Würde, aber eine andere Würde<br />
als sie Hindenburgs oder Hitlers Ämter besessen haben.<br />
Wenn man dies wiederum ins Verhältnis zu den Umfragedaten setzt, sieht man, dass<br />
sich tatsächlich die Einstellung der Bürger zum politischen System ändert. Wenn bei der<br />
ersten Bundestagswahl zum Beispiel die Vorstellung von der Wahl als staatsbürgerliche<br />
Pflicht dominiert, so wird die Gelegenheit zur Pflichterfüllung bei der zweiten Wahl 1953<br />
mit einer eindrucksvollen Mehrheit für die Regierung verbunden, das politische Interesse<br />
steigt ebenso die Einschätzung der Leistung der politischen Institutionen. Damit ver-<br />
bunden eine zunehmende spezifische und diffuse Unterstützung.<br />
Das Bild wäre unvollkommen, wenn nicht erwähnt würde, dass dies mit einer deutli-<br />
chen Outputorientierung der Bürger verbunden ist: Die Unterstützung ist demnach eine<br />
Prämie für Stabilität und eine Verbesserung der Lebenssituation. Demzufolge ginge der<br />
Wandel in den Einstellungen zu einem großen Teil auf das Konto der Regierung, also in<br />
einer personalisierten Sichtweise auf den Kanzler. Das würde erklären, warum zwar Lud-<br />
wig Erhard und Konrad Adenauer als Ikonen der Gründerjahre ihren Platz im kollektiven<br />
Gedenken gefunden haben, <strong>Heuss</strong> jedoch trotz seiner damaligen Popularität heute am<br />
Rande steht.<br />
Andererseits zeigt Gabriel, dass der Wandel der politischen Kultur sowohl auf<br />
konstanten Output-Anforderungen als auch in der Zunahme der Input-Nachfrage erklärbar<br />
ist. Demzufolge ist diese Zunahme nicht allein durch positive wirtschaftliche und soziale<br />
Rahmendaten zu erklären, auch »weiche« Kategorien bekommen ihre Berechtigung.<br />
Deshalb soll an dieser Stelle über verschiedene Möglichkeiten der Bindung von Bürgern<br />
an den Staat nachgedacht werden, die von handelnden Politikern beeinflusst werden<br />
können. Eine Form der Bindung geschieht über das Teilen gemeinsamer normativer Vor-<br />
stellungen vom Politischen. Hier steht die Identifikation der Bürger mit den Vorstellungen<br />
des Politikers im Zentrum. Darüber hinaus können weitere Bindungsangebote geschaffen<br />
werden, die zwar ebenfalls personal substituiert sind, aber im Gegensatz zur Identifikation<br />
mit der Person stärker abstrakte Bindungswirkungen hervorrufen. Beispielsweise Aus-<br />
zeichnungen. Zu guter Letzt können bestimmte gesellschaftliche Gruppen dadurch an das<br />
politische System gebunden werden, dass sie eine besondere Förderung erfahren und<br />
einen besonderen informellen Zugang bekommen. Wenn dies auch nicht tieferen Ansprü-<br />
chen an eine Systematik von Vertrauensbeziehungen genügt, so soll es dennoch unserem<br />
113
Zweck dienen, die verschiedenen auf die Bürger gerichteten Politiken von <strong>Heuss</strong> zu<br />
analysieren.<br />
▌ 1. Teilung normativer Vorstellungen<br />
Übereinstimmung mit den der politischen Kultur zu Grunde liegenden Orientierungen<br />
Orientierungen schafft Identifikation. Wenn <strong>Heuss</strong> also auf einen überwältigenden Teil der-<br />
jenigen, die sich mit ihm beschäftigen, eine Faszination ausübt, dann deshalb, weil er<br />
nicht einem vorherrschenden Politiker-Stereotyps entspricht: Dem des allenfalls mit Halb-<br />
wissen ausgestatteten Organisators von Mehrheiten, der die Frage nach seinem eigenen<br />
Weltbild allenfalls mit »pragmatisch« beantworten kann.<br />
Zudem beeindruckt seine Bildung, seine Kontakte und damit seine Verwobenheit mit<br />
der an Entwicklung reichen Geschichte des letzten Jahrhunderts: »In diesem Leben<br />
spiegelt sich eine Epoche von imponierender Spannweite. in seiner Persönlichkeit, so hat<br />
die ihm befreundete Journalistin Margarete Bovery einmal geschrieben, habe sich 'aus<br />
dem Stoff der Zeit unendlich viel gebrochen [...]'«. 324 So wie <strong>Heuss</strong> sich selbst in eine<br />
demokratische politische Tradition seit 1848 einordnet, gibt der Bezug zu seiner Person<br />
dem eigenen Geschichtsbild eine positive Färbung. 1959 formuliert er im Andenken<br />
Schillers: »an diesem Tag, heute vor zehn Jahren, gingen immer wieder – Trost,<br />
Mahnung, Sicherung – drei Zeilen Schillers durch den Sinn: Stürzte auch in Krieges-<br />
flammen / Deutsches Kaiserreich zusammen / Deutsche Größe bleibt bestehen.« 325<br />
Dies ist vor allem für Angehörige eines Bildung als zentralen Wert begreifenden Milieus<br />
ein besonders attraktives Identifikationsangebot. Auf andere wirkt er möglicherweise be-<br />
eindruckend oder originell, gleichzeitig aber auch fremd und distanziert. Auf diese Ziel-<br />
gruppe und besonders auf die diesem Milieu zuzuschreibende Deutungselite konzentriert<br />
<strong>Heuss</strong> seine zeichenpolitischen Handlungen als Bundespräsident. Demzufolge erscheint er<br />
als großer und sorgfältiger Redner, der den nachfolgenden Bundespräsidenten die Stan-<br />
dards gesetzt hat. Für Heinrich Lübke, den Nachfolger von <strong>Heuss</strong>, muss extra eine<br />
»Ghostwriter«-Stelle eingerichtet werden und <strong>Heuss</strong> ist stolz darauf, eine solche Zuarbeit<br />
nicht in Anspruch genommen zu haben. Dem Präsidentenamt hat <strong>Heuss</strong> einen »Stil« gege-<br />
ben, der den Zugriff auf dieses Amt für Vertreter des bildungsbürgerlichen Milieus nahe-<br />
legt.<br />
Auch mit seinen geschichtspolitischen Äußerungen ist er traditionsbildend gewesen:<br />
Wenn auch solche Konstruktionen wie die »Kollektivscham« heute zum Widerspruch auf-<br />
fordern, so gilt die <strong>Heuss</strong>sche Betonung des Zwangs zur Erinnerung nach wie vor. Einge-<br />
schränkt kann man Hildegard Hamm-Brücher Recht geben: »Dieses unbequeme immer<br />
wieder mahnende 'wir dürfen nicht vergessen' erforderte in der dumpfen 'Zeit des Be-<br />
324Rudolph (2000); S. 26<br />
325 Dahrendorf/Vogt (1984); Ein Vermächtnis: Friedrich Schiller; S.448<br />
114
schweigens' – wie die fünfziger Jahre heute von namhaften Historikern genannt werden –<br />
wirklich Zivilcourage.« 326 Die Einschränkung gilt deshalb, weil bezweifelt werden kann,<br />
dass dies über das symbolische Wirken hinaus das Handeln von <strong>Heuss</strong> motivierte. Das<br />
Bundespräsidialamt wird zu jener Zeit eben nicht das Zentrum der Bekämpfung alter Na-<br />
tionalsozialisten in Führungspositionen. Auch dem Mitläufertum bringt <strong>Heuss</strong> viel Ver-<br />
ständnis entgegen und er gehört nicht zu denen, die »aufstehen«, um eine beliebte Me-<br />
tapher der Zivilcourage-Sprache zu verwenden. Insbesondere missbilligt er gerade die<br />
unbotmäßige Einmischung aus Medien und Bevölkerung als »Demagogie«. Dies entsprach<br />
seinem wenig konfliktären Wesen und statt der »Bewältigung« der Vergangenheit steht<br />
bei ihm die »Aussöhnung« oben auf der Agenda. In späteren Jahren ist die Einsicht er-<br />
folgt, dass das eine wechselseitig das andere bedingt. Gerade vor dem Hintergrund der<br />
Auschwitz-, Majdanek- und Eichmann-Prozesse, muss die Schuldfrage nun in einer<br />
anderen Weise thematisiert werden. Wenn <strong>Heuss</strong> dies nicht leistete, so baute er doch mit<br />
seiner Haltung eine Brücke zu jenen späteren Debatten, die die Politische Kultur prägen<br />
werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Recht auf Widerstand. Ohne die Bemühungen des<br />
Bundespräsidenten, die offizielle Rehabilitierung des 20. Juli durch Würdigung einzuleiten,<br />
wäre das »integrale Verständnis des Widerstands« 327 , das auch in andere Traditionen ein-<br />
gebettete Widerstände einbezieht und beispielsweise in der Neukonzeption der »Gedenk-<br />
stätte Deutscher Widerstand« zum Ausdruck kommt, nicht vorstellbar. Auch mit seinen<br />
Äußerungen zum Bürgerheer gibt <strong>Heuss</strong> entscheidende Stichpunkte. Zwar ist es nicht so,<br />
dass Graf Baudissin wegen <strong>Heuss</strong> ein Konzept des Staatsbürgers in Uniform entwickelte,<br />
gleichwohl sorgt <strong>Heuss</strong> durch regelmäßige Thematisierung in Gesprächen dafür, dass der<br />
Gedanke der Bürgerarmee präsent bleibt. Bis zum Ende der alten Bundesrepublik wird<br />
sich das Prinzip der »Inneren Führung« langsam in der Bundeswehr durchsetzen. Wenn<br />
man von der demokratischen Ausgestaltung der Armee redet, muss freilich auch die ge-<br />
rade durch <strong>Heuss</strong> mit eingeleitete Tradition der Diskreditierung von Ersatzdienstleistenden<br />
zur Sprache kommen. Der »Massenverschleiß« des Gewissens wird zum Vorwurf der<br />
Drückebergerei und erst in den achtziger Jahren durch eine gesellschaftliche Anerkennung<br />
der damals noch wesentlich schwereren Arbeit von Zivildienstleistenden abgelöst werden.<br />
»Zivilcourage« besteht vor diesem Hintergrund darin, sich dieser ungeheuerlichen Unter-<br />
stellung durch den Staat, die ja breite Auswirkung auf die zukünftige Lebensplanung der<br />
Betroffenen hat, zu widersetzen.<br />
Wenn heute verstärkt über »aktive Bürgergesellschaft« geredet wird, dann kann man<br />
dies in Beziehung zu dem von <strong>Heuss</strong> propaqierten »Ehrenamt« sehen. Zwar wurde be-<br />
reits darauf hingewiesen, dass die beiden Konstruktionen in einem Spannungsverhältnis<br />
zueinander stehen, weil das Eine auch den Anspruch auf Einmischung in die Sphäre des<br />
326 Hamm-Brücher (2002); S.23<br />
327 Steinbach (2004); S.10<br />
115
Politischen formuliert, während <strong>Heuss</strong> sich diese Einmischung in der Regel verbeten hat.<br />
Dennoch trägt eine von <strong>Heuss</strong>' herausgehobener Position formulierte Ehrenamt-Propagan-<br />
da, dazu bei, dass sich immer mehr Menschen mit dem Thema auseinandersetzen, dass<br />
ehrenamtlicher Arbeit Respekt statt Misstrauen entgegengebracht wird und dass schließ-<br />
lich diese Menschen weitergehende Ansprüche formulieren, die dann mit den ursprüngli-<br />
chen Intentionen des Präsidenten nicht mehr übereinstimmen.<br />
Als das erste Mal die Zivilgesellschaft der Bundesrepublik auf die Probe gestellt wird,<br />
weil Adenauer und Strauß eine Ausgabe des SPIEGEL beschlagnahmen ließen und Chef-<br />
redakteur sowie Herausgeber unter Vorwurf des Landesverrats verhaften ließen, scheint<br />
<strong>Heuss</strong> zunächst in gewohnter Weise eher dem Staat als der Gesellschaft zu vertrauen:<br />
»Wir haben in Deutschland seit gestern eine völlig überraschende Spezialoffensive (s.<br />
heutige FAZ, Leitartikel von A. Rapp), die Verhaftung des Spiegel-Herausgebers Augstein<br />
und einiger seiner Redakteure. Da ich den Spiegel nicht lese, weiß ich selber nichts Ge-<br />
naues über die Hintergründe. Hoffen wir, dass der Bundesanwalt nicht leichtfertig vorging.<br />
Sonst macht er nur für diese Zeitung Reklame.« 328<br />
Der pauschale Vorwurf der »Gesinnungsethik« gegen kritische Öffentlichkeit gehört zu<br />
<strong>Heuss</strong>' Eigenheiten und aus heutiger Sicht spricht dies nicht unbedingt für <strong>Heuss</strong>' »Sinn<br />
für das Werdende«. Wie der überwiegende Teil des politischen Establishments hätte <strong>Heuss</strong><br />
wahrscheinlich, hätte er 1967 noch erleben können, ebenfalls nicht zwischen sozialis-<br />
tischer Verbalradikalität und einem darunter liegenden Paradigmenwechsel in der poli-<br />
tischen Kultur unterscheiden können. Das ist geradezu kennzeichnend für die<br />
Gründergeneration der Bundesrepublik geworden. Die politische Mitte hat erst in den<br />
Achtziger Jahren erkannt, dass das Wort »Bürgerinitiative« gerade mit ihren eher be-<br />
wahrenden Wertvorstellungen kompatibel ist und damit eine kommunitaristische Sicht auf<br />
die Bürgergesellschaft inspiriert. Sie ist seitdem beides – Kind des Ehrenamtsgedankens<br />
von <strong>Heuss</strong> und Kind einer partizipativen Politikvorstellung.<br />
▌ 2. Bindungen zwischen politik und Bevölkerung<br />
Neben der Bindung derjenigen, die das eigene Weltbild teilen, können Politiker über<br />
die Schaffung von verschiedenen Bindungsangeboten die Grundlage für eine Vertrauens-<br />
beziehung zwischen Regierenden und Regierten schaffen. Obgleich dies offen lässt, ob<br />
diese Bindungen in beide Richtungen wirken sollen oder nur eine Gruppe an die andere<br />
binden soll, so ist nachvollziehbar, dass es sich insbesondere aus dem <strong>Heuss</strong>schen Staats-<br />
verständnis heraus eher um Angebote zur Bindung der Bevölkerung an den Staat handelt.<br />
Dies geschieht zum Beispiel über Auszeichnungen. Mit dem Bundesverdienstkreuz ist eine<br />
Auszeichnung geschaffen worden, die in ihren unteren Klassen gerade das Engagement<br />
von »einfachen« Bürgern würdigt. Wenn diese einfachen Bürger innerhalb ihrer Umge-<br />
328 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 25.10.1962; S.507f.<br />
116
ung meistens zur Führungsoligarchie gehören dürften (Gemeinderatsmitglieder, Vor-<br />
sitzende, ...), so verwurzelt diese Auszeichnungspraxis die Identifikation mit dem Staat im<br />
ganzen Land. Heute gibt es wohl kaum einen größeren Ort, in dem nicht ein Bundesver-<br />
dienstkreuz-Träger wohnen würde. Die Tatsache, dass auch diejenigen ausgezeichnet<br />
werden, die sich über langjähriges Engagement zum Beispiel in Vereinen verdient ge-<br />
macht haben, lässt dem Orden ein besonderes Renommee zukommen. Zudem können<br />
Vorschläge zur Auszeichnung von jedem Bürger eingereicht werden.<br />
Ein weiteres Bindungsangebot ist die regelmäßige Sylvesteransprache des Präsidenten.<br />
Diese bietet die Gelegenheit, einmal im Jahr auch denen seine Gedanken vorzutragen, die<br />
sich nicht für Politik interessieren. Wenn auch derartige Ansprachen nicht zu spezifischer<br />
Unterstützung beitragen, so doch zu diffuser – gerade dadurch, dass sie Teil einer ge-<br />
meinsamen Feierpraxis sind. Heute beginnt der Fernseh-Sylvesterabend mit »Dinner for<br />
one« und meistens führt er dann über die »Tagesschau« zur »Neujahrsansprache des<br />
Bundeskanzlers«. Ein zweifellos sein Image prägendes Merkmal ist es, dass <strong>Heuss</strong> auch in<br />
diesen auf breitere Wirkung ausgerichteten Reden den Zuschauern und Zuhörern eine ge-<br />
wisse Fähigkeit zur politischen Abstraktion zumutete, also auf ein ausgewogenes Verhält-<br />
nis von affektiven und kognitiven Anteilen achtete.<br />
Wenn vom Image die Rede ist, muss auch die generelle Außenwirkung von <strong>Heuss</strong> the-<br />
matisiert werden. Diese hat ihn zu einem der populärsten Politiker in Deutschland ge-<br />
macht - Papa <strong>Heuss</strong>. Wie beschrieben wurde, sah <strong>Heuss</strong> die »Verkitschung« seiner Per-<br />
son, was meinte, dass seine intellektuellen Vorstellungen nur ungenügenden Einfluss auf<br />
sein Image hatten. Das bedeutet, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung diesen Prä-<br />
sidenten bereit war als den Schriftsteller/Literaten/Bildungsbürger zu sehen, eine Min-<br />
derheit der Multiplikatoren der Meinung war, ihn als diesen darstellen zu müssen und dass<br />
das Bundespräsidialamt keine Erfahrungen mit zielgerichteter Öffentlichkeitsarbeit hatte.<br />
Wenn der intellektuelle <strong>Heuss</strong> zu wenig wahrgenommen wurde und der humorige um-<br />
gängliche <strong>Heuss</strong> zu stark, dann ist das freilich ein Problem, an dem <strong>Heuss</strong> auch selbst be-<br />
teiligt war. Es entspringt neben dem eigenen Wesen auch auch der eigenen Kalkulation.<br />
Nicht das Volk trägt die Verantwortung für die »Verkitschung«. Sie ist sowohl im Rollen-<br />
profil des Bundespräsidenten angelegt, als auch durch dessen konkrete Ausfüllung form-<br />
bar.<br />
▌ 3. Förderung von Wissenschaft und Kultur<br />
Wenn bereits festgestellt wurde, dass <strong>Heuss</strong> seine Zeichenpolitik wie kaum ein anderer<br />
Präsident auf die bildungsbürgerliche Schicht ausrichtete, so ist das bereits eine Teilant-<br />
wort auf die Frage, welchen gesellschaftlichen Gruppen er einen informellen Zugang zum<br />
politischen System eröffnete. Dies lässt sich allerdings genauer spezifizieren. Zunächst<br />
sind die viele seiner Weggefährten, die sich nun zu einem großen Teil im Ausland be-<br />
finden. Eine andere ist die jüdische Bevölkerung, der er sich in besonderem Maße ver-<br />
117
pflichtet fühlt, zusammen mit denen, die überall im Land die christlich-jüdische Verständi-<br />
gung vorantreiben. Zudem bemüht sich <strong>Heuss</strong> um den Kontakt zu und die Unterstützung<br />
von Künstlern, einmal institutionell, etwa durch die Dankesspende des Deutschen Volks<br />
oder durch die Bemühung um Unterstützung für einzelne Künstler. Kulturpolitik begreift<br />
<strong>Heuss</strong> von Beginn an als auswärtige Politik und weist ihr eine hohe Bedeutung zu, die sich<br />
in seiner Mitarbeit im kulturpolitischen Beirat des Auswärtigen Amts äußert. Eine weitere<br />
Gruppe kommt aus den Wissenschaften. Institutionell ist <strong>Heuss</strong> an der Gründung von<br />
Wissenschaftsinstitutionen beteiligt wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder dem<br />
Wissenschaftsrat, der auch beim Bundespräsidenten angesiedelt ist. <strong>Heuss</strong> stellt sein<br />
Verdienst um die Nähe zu Wissenschaft und Kultur denn auch Adenauer gegenüber mit<br />
einem historischen Selbstbewusstsein ausgestattet heraus: »Wollen Sie, bitte, das, was<br />
ich in Kreisen der Wissenschaft und der musischen Dinge zum ersten Mal in der deutschen<br />
Geschichte, neben Ludwig I. von Bayern und wohl auch Friedrich Wilhelm IV., good will<br />
für den Staat geschaffen habe nie vernachlässigen.« 329<br />
329 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Adenauer am 09.05.1959; S. 22<br />
118<br />
[<br />
Ich selber habe mein<br />
Amt immer als ein<br />
eminent politisches<br />
Amt begriffen und<br />
zu führen versucht,<br />
wenn es auch oft<br />
genug sich wesentlich<br />
in den Sphären des<br />
Metapolitischen<br />
auswirkte.
6.Literatur<br />
1. Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney: The Civic Culture. Political Attitudes and Democra-<br />
cy in Five Nations, Princeton 1963<br />
2. Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney: The Civic Culture Revisited, Boston/Toronto 1980<br />
3. Bauer-Kirsch, Angela: Zur Legitimation des Bonner Grundgesetzes in: Zeitschrift für<br />
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4. Becker, Ernst Wolfgang: Erzieher zur Demokratie; Neue Herausforderungen 1945-<br />
1949 in: Hertfelder/Ketterle (2003)<br />
5. Berg-Schlosser, Dirk; Schissler, Jakob (Hg.): Politische Kultur in Deutschland: Bilanz<br />
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Westdeutscher Verlag 1987<br />
6. Behrmann, Günther: Wertwandel, Bildungsexpansion, Säkularisierung und politische<br />
Sozialisation in der Bundesrepublik in: Berg-Schlosser/Schissler (1987)<br />
7. Beichelt, Timm: Herrschaftskultur; Symbolisierung von Politik am Beispiel der bundes-<br />
deutschen Außenpolitik in: Schwelling (2004)<br />
8. Beyer, Jutta; Holtmann, Everhard: Sachpolitik, Partizipation und Apathie in der Nach-<br />
kriegsgesellschaft, in: Berg-Schlosser/Schissler (1987)<br />
9. Blank, Bettina: Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik; Zur<br />
Auseinandersetzung um die Frankfurter Dokumente vom Juli 1948, München 1995<br />
10. Bracher, Karl Dietrich; Morsey, Rudolf; Schwarz, Hans Peter (Hg.): FDP-Bundesvor-<br />
stand; Die Liberalen unter dem Vorsitz von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und Franz Blücher;<br />
Sitzungsprotokolle 1949-1952; Band 7/1 der Reihe: Quellen zur Geschichte des<br />
Parlamentarismus und der politischen Parteien, vierte Reihe: Deutschland seit 1945;<br />
Düsseldorf 1990<br />
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(Hg.): Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in fünf Bänden; Stuttgart/Wies-<br />
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12. Breit, Gotthard (Hg.): Politische Kultur in Deutschland; Schwalbach 2004 (2.Auflage)<br />
13. Bundespräsidialamt: Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, 2001<br />
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119
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Frankfurt/Main 2000<br />
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1998<br />
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22.Ellwein, Thomas; Holtmann, Everhard (Hg.): 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland.<br />
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23.Faber, Richard (Hg.): Liberalismus in Geschichte und Gegenwart; Würzburg 2000<br />
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lin 1999 (3. Auflage)<br />
27.Fuchs, Dieter: Bürger und Demokratie in Ost und West : Studien zur politischen Kultur<br />
und zum politischen Prozess; Festschrift für Hans-Dieter Klingemann;<br />
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28.Fuchs, Dieter: Das Konzept der politischen Kultur: die Fortsetzung einer Kontroverse in<br />
konstruktiver Absicht in: Fuchs (2002)<br />
29.Gabriel, Oscar W.: Politische Kultur, Postmaterialismus und Materialismus in der<br />
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30.Gabriel, Oskar W.; Holtmann, Everhard (Hg.): Handbuch politisches System der<br />
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31. Gabriel, Oscar W.; Kunz, Volker; Roßteutscher, Sigrid; van Deth, Jan W.: Sozialkapital<br />
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32.Göhler, Gerhard: Politische Symbole – symbolische Politik in:<br />
Rossade/Sauer/Schirmer (2002)<br />
120
33.Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen Sylvia: Deutschland und die Zivilgesellschaft in:<br />
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Zeitschrift DER<br />
BÜRGER IM STAAT Heft 3/99: Auf dem Wege zur Zivilgesellschaft: 50 Jahre Bundesre-<br />
publik<br />
34.Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen Sylvia Ein schwieriges Vaterland; zur politischen<br />
Kultur im vereinigten Deutschland; München 1993<br />
35.Habermas, Jürgen: Grenzen des Neohistorismus in: Die nachholende Revolution;<br />
kleine politische Schriften VII; Frankfurt/Main, erste Auflage 1990<br />
36.Hamm-Brücher, Hildegard: Wiederbegegnung mit <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> in: Hamm-<br />
Brücher/Rudolph (1983)<br />
37.Hamm-Brücher, Hildegard; Rudolph, Hermann: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Eine Bildbiographie;<br />
Stuttgart 1983<br />
38.Hartmann, Martin; Offe, Claus (Hg.): Vertrauen – die Grundlage des sozialen Zu-<br />
sammenhalts; Frankfurt/Main 2001<br />
39.Hein, Dieter: Zwischen liberalen Milieupartei und nationaler Sammelbewegung;<br />
Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949;<br />
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41. Henning, Friedrich: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Vom Naumann-Schüler zum Bundespräsidenten;<br />
Gerlingen 1984<br />
42.Henning Friedrich (Hg.): <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Lieber Dehler; Briefwechsel mit Thomas Deh-<br />
ler; München 1983<br />
43.Hertfelder, Thomas: Das symbolische Kapital der Bildung in: Hübinger/Hertfelder<br />
(2000)<br />
44.Hertfelder, Thomas: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> 1884-1963 in: Mayer/Mayer (2005)<br />
45.Hertfelder, Thomas; Ketterle, Christiane: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Publizist-Politiker-Präsident;<br />
Begleitband zur ständigen Ausstellung im <strong>Theodor</strong>-<strong>Heuss</strong>-Haus; Stuttgart 2003<br />
46.Herzog, Dietrich: Politische Führungsgruppen: Probleme und Ergebnisse der modernen<br />
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47.Heß, Jürgen C.: Fehlstart. <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und die Demokratische Partei Deutschlands<br />
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48.Heß, Jürgen C.: Machtlos inmitten des Mächtespiels der anderen. <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und<br />
die deutsche Frage 1945-1949; in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 33. Jg. 1985<br />
49.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Die Bundesstaaten und das Kaiserreich in: Der deutsche Volksstaat:<br />
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50.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Demokratie und Selbstverwaltung; Berlin 1921<br />
51. <strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Politik; Halberstadt 1928 (2. Auflage)<br />
121
52.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Staat und Volk; Betrachtungen über Wirtschaft, Politik und Kultur;<br />
Berlin 1926<br />
53.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit; Berlin 1937<br />
54.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Ein Vermächtnis; Werk und Erbe von 1848; Tübingen 1948<br />
55.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Verfassungsrecht und Verfassungspolitik; Vom monarchischen Kon-<br />
stitutionalismus zum demokratischen Parlamentarismus; Bonn 1950<br />
56.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Friedrich Naumann und die deutsche Demokratie; Wiesbaden 1960<br />
57.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Erinnerungen 1905-1933; Frankfurt/Main 1965<br />
58.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Robert Bosch; Leben und Leistung; Stuttgart 2002 (erw. Neuaus-<br />
gabe)<br />
59.<strong>Heuss</strong>-Knapp, Elly: Bürgerin zweier Welten; Ein Leben in Briefen und Aufzeichnungen<br />
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60.Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789; Band 7: Ausbau,<br />
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61. Hübinger, Gangolf: Liberalismus und Protestantismus im Kaiserreich in: Faber (2000)<br />
[Hübinger 2000a]<br />
62.Hübinger, Gangolf; Hertfelder, Thomas (Hrsg.): Kritik und Mandat; Intellektuelle in der<br />
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65.Jones, Larry Eugene; Retallack, James (Hg.): Elections, Mass Politics and Social<br />
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67.Kaina, Viktoria: Deutschlands Eliten zwischen Kontinuität und Wandel in: Aus Politik<br />
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68.Kilian, Jörg: Demokratische Sprache zwischen Tradition und Neuanfang: am Beispiel<br />
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73.Kraushaar, Wolfgang: Die Protest-Chronik; Band 1; 1949-1952; Bremen 1996<br />
122
74.Krey, Ursula: Demokratie durch Opposition in: Hübinger/Hertfelder (2000)<br />
75.Kruip, Gudrun: Der Bundespräsident 1949-1959 in: Hertfelder/Ketterle (2003)<br />
76.Kube, Alfred; Schnabel, Thomas: Südwestdeutschland und die Entstehung des Grund-<br />
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77. Krumeich, Gerd: Militärgeschichte für eine zivile Gesellschaft in: Cornelißen (2000)<br />
78. Lamm, Hans (Hg.): An und über Juden; Düsseldorf/Wien 1964 (2.Auflage)<br />
79.Langewiesche, Dieter: Liberalismus und Demokratie im Staatsdenken von <strong>Theodor</strong><br />
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82.Llanque, Marcus: Friedrich Naumann und das Problem des nationalen Sozialliberalis-<br />
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83.Luhmann: Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen: Probleme und Alternativen in: Hart-<br />
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85.Mandt, Hella: Politik in der Demokratie. Aufsätze zu ihrer Theorie und Ideengeschich-<br />
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91. Mommsen, Hans: Lehren aus der Geschichte der Weimar Republik bei der Demokratie-<br />
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Mensing, Hans Peter (Bearbeitung): Adenauer – <strong>Heuss</strong>: Unter vier Augen; Gespräche<br />
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93.Naumann, Friedrich: Der Kaiser im Volksstaat in: Der deutsche Volksstaat; Schriften<br />
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95.Offe, Claus: Wie können wir unseren Mitbürgern vertrauen? in Hartmann/Offe (2001)<br />
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96.Ortega Y Gasset, Jose: Der Aufstand der Massen; Reinbek 1956<br />
97.Overesch, Manfred: Ein neutralisiertes Gesamtdeutschland? Konzeptionen deutscher<br />
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98.Patzelt, Werner J.: Reformwünsche in Deutschlands latentem Verfassungskonflikt in:<br />
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99.Pikart, Eberhard: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und Konrad Adenauer; Die Rolle des Bundesprä-<br />
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100.Pikart, Eberhard; Mende, Dirk: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>- Der Mann, das Werk, die Zeit; Eine<br />
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101.Pikart, Eberhard (Hg.): <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Aufzeichnungen 1945-1947; Tübingen 1966<br />
102.Pikart, Eberhard (Hg.): <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Tagebuchbriefe 1955/1963 ein Auswahl aus<br />
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103.Puknus, Heinz (Hg.): <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Ernte der Jahre; Eine Auswahl aus seinen<br />
Schriften; Gütersloh 1964<br />
104.Putnam, Robert (Hg.): Gesellschaft und Gemeinsinn; Sozialkapital im internationalen<br />
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105.Putnam, Robert; Goss, Kristin A.: Einleitung in: Putnam, Robert (2001)<br />
106.Pye, Lucian W.; Verba, Sidney (Hg.): Political Culture and Political Development; Prin-<br />
ceton, 1972 (2. Auflage)<br />
107.Raitel, Thomas: Fußball-Weltmeisterschaft 1954; Sport-Geschichte- Mythos; München<br />
2004<br />
108.Rauh-Kühne, Cornelia: Die Entnazifizierung und die deutsche Gesellschaft in: Archiv f.<br />
Sozialgeschichte Nr. 35, 1995<br />
109.Reichelt, Peter: Politik mit der Erinnerung; Gedächtnisorte im Streit um die national-<br />
sozialistische Vergangenheit; Frankfurt/Main 1999<br />
110.Rohe, Karl: Politische Kultur: Zum Verständnis eines Konzepts in: Oskar<br />
Niedermayer/Klaus v. Beyme (1996)<br />
111.Rossade, Werner; Sauer, Birgit; Schirmer, Dietmar (Hg.): Politik und Bedeutung; Stu-<br />
dien zu den kulturellen Grundlagen politischen Handelns und politischer Institutionen.<br />
Ralf Rytlewski zum 65. Geburtstag; Wiesbaden 2002<br />
112.Rudolph, Hermann: Ein neues Stück deutscher Geschichte; <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und die po-<br />
litische Kultur der Bundesrepublik; <strong>Theodor</strong>-<strong>Heuss</strong>-Gedächtnis-Vorlesung 1999; Stutt-<br />
gart 2000<br />
113.Rupp, Hans Karl: Politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage;<br />
München/Wien 2000<br />
114.Sarcinelli, Ulrich (Hg.): Demokratische Streitkultur: Theoretische Grundpositionen und<br />
Handlungsalternativen in Politikfeldern; Bonn 1990<br />
115.Sarcinelli, Ulrich: Auf dem Weg in eine kommunikative Demokratie? Demokratische<br />
Streitkultur als Element politischer Kultur in: Sarcinelli (1990)<br />
124
116.Sachße, Christoph: Traditionslinien bürgerschaftlichen Engagements in: Enquete-Kom-<br />
mission ... (2002)<br />
117.Schildt, Axel: Ankunft im Westen; Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik<br />
Deutschland; Frankfurt/Main 1999<br />
118.Schildt, Axel: Entwicklungsphasen der Bundesrepublik nach 1949 in: Ellwein/Holtmann<br />
(1999) [Schildt 1999/2]<br />
119.Schnabel, Thomas: Die Verfassungsdiskussion im Deutschen Büro für Friedensfragen<br />
in Stuttgart (1947-1948) in: Kube/Schnabel (1989)<br />
120.Schüttemeyer, Suzanne S.: Der Bundestag im Urteil seiner Bürger; Zur Parlamen-<br />
tarismusperzeption in der Bundesrepublik in: Berg-Schlosser/Schissler (1987)<br />
121.Schüttemeyer; Suzanne S.: 50 Jahre deutscher Parlamentarismus: Kategorien und<br />
Kriterien für Leistungen und Defizite in: Ellwein/Holtmann (1999)<br />
122.Schwelling, Birgit (Hg.): Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft; Theorien, Metho-<br />
den, Problemstellungen; Wiesbaden 2004<br />
123.Schwarz, Hans-Peter: Die Ära Adenauer; Gründerjahre der Republik; 1949-1957; Ge-<br />
schichte der Bundesrepublik Deutschland; Band 2 in: Bracher/Eschenburg/Fest/Jäckel<br />
(1981)<br />
124.Sontheimer, Kurt: Deutschlands politische Kultur; München 1990<br />
125.Sternberger, Dolf: Verfassungspatriotismus (Schriften X); Frankfurt/Main 1990<br />
126.Sternberger, Dolf: Grund und Abgrund der Macht, (Schriften VII); Frankfurt/Main<br />
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127.Steinbach, Peter: Geschichte und Politik - nicht nur ein wissenschaftliches Verhältnis<br />
in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2001<br />
128.Steinbach, Peter: Der 20. Juli 1944 - mehr als ein Tag der Besinnung und Verpflich-<br />
tung in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 27/2004<br />
129.Stolle, Dietlind; Hooghe, Marc: Inaccurate, Exceptional, One-Sided or Irrelevant? The<br />
Debate about the Alleged Decline of Social Capital and Civic Engagement in Western<br />
Societies in: British Journal of Political Science, Volume 35/1, Jan2005<br />
130.Strauß, Franz-Josef: Die Erinnerungen; Berlin 1989<br />
131.Turek, Jürgen: Demokratie und Staatsbewusstsein: Entwicklung der politischen Kultur<br />
in der Bundesrepublik Deutschland in: Werner Weidenfeld (Hg.)<br />
132.Weber, Max: Wahlrecht und Demokratie in Deutschland in: Der deutsche Volksstaat;<br />
Schriften zur inneren Politik; Berlin 1918<br />
133.Weber, Max: Gesammelte Politische Schriften. Potsdamer Internet-Ausgabe (nach der<br />
Münchner Ausgabe von 1921); Potsdam 1999<br />
http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/<br />
134.Weidenfeld, Werner (Hg.): Politische Kultur und deutsche Frage: Materialien zum<br />
Staats- und Nationalbewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland; Köln 1989<br />
135.Welchert, Hans-Heinrich: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: Ein Lebensbild; Frankfurt/Bonn 1968<br />
125
136.Wilms, Heinrich: Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes;<br />
Stuttgart/Berlin/Köln 1999<br />
137.Wolfrum, Edgar: Geschichte als Waffe; Vom Kaiserreich zur Wiedervereinigung; Göt-<br />
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138.Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik und deutsche Frage; Der 17. Juli im nationalen Ge-<br />
dächtnis der Bundesrepublik (1953-89) in: Geschichte und Gesellschaft Band 24<br />
(1998)<br />
139.Zapf Wolfgang: Wandlungen der deutschen Elite; München 1965<br />
126