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pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg

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d d<br />

er Ein-<br />

lung einer<br />

Die Entwick-<br />

demokratischen Politi-<br />

schen Kultur<br />

der Einfluss von<br />

nach 1945<br />

<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong><br />

Nils-Eyk Zimmermann<br />

Diplomarbeit an der Universität Potsdam<br />

1


Diplomarbeit<br />

von Nils-Eyk Zimmermann | Universität Potsdam<br />

Mat Nr. 127962 | Prüfer: Prof. Dr. Jürgen Dittberner<br />

Prof. Dr. Günther C. Behrmann | Eingereicht: 7.3. 2006<br />

Versicherung<br />

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Diplom-<br />

arbeit ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als<br />

der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt<br />

habe. Die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich<br />

entnommenen Stellen wurden als solche kenntlich ge-<br />

macht. Diese Arbeit hat noch keiner Prüfungsbehörde<br />

vorgelegen.<br />

Nils-Eyk Zimmermann<br />

2


Inhalt<br />

1.Politische Kultur: Begriff........................................................................................4<br />

1.1 Political Culture und Civic Culture....................................................................5<br />

1.2 Normativer Orientierungsrahmen..................................................................10<br />

1.3 Subkulturen, Eliten, Deutungskulturen...........................................................11<br />

1.4 Zeichenpolitik.............................................................................................13<br />

1.5 Horizontale Integration................................................................................15<br />

1.6 Zusammenfassung......................................................................................17<br />

2.Demokratische politische Kultur in Westdeutschland................................................19<br />

2.1 Von 1945 zum Verfassungspatriotismus?........................................................21<br />

2.2 Politische Elite nach 1945.............................................................................33<br />

3.Politische Normen bei <strong>Heuss</strong>.................................................................................39<br />

3.1 Politische und soziale Einbettung...................................................................39<br />

3.2 Formkraft eines demokratischen Stils.............................................................46<br />

3.3 Autonomie und Verantwortung: Vorstellungen von Politischer Führung...............52<br />

3.4 Zusammenfassung......................................................................................58<br />

4.Politisches Handeln..............................................................................................61<br />

4.1 Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp........................................................................................62<br />

4.2 <strong>Heuss</strong> als Parteipolitiker...............................................................................63<br />

4.3 Verfassungspolitik.......................................................................................70<br />

4.4 Bundespräsident.........................................................................................83<br />

5.Zusammenfassung: <strong>Heuss</strong> und die politische Kultur nach 1945...............................110<br />

5.1 Einfluss auf die politischen Institutionen.......................................................110<br />

5.2 Die politischen Einstellungen der westdeutschen nach 1945............................112<br />

6.Literatur...........................................................................................................119<br />

3


1. Politische Kultur: Begriff<br />

P<br />

olitische Kultur ist hierzulande etwas, was man »hat«, verlieren kann oder erwerben<br />

muss. Man klagt über den Verfall der Politischen Kultur oder über Politiker, denen sie<br />

fehlt. Dahrendorf schreibt zum Beispiel über <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: »Durch den Stil werden die<br />

Verfassungsartikel lebendig. Heute spricht man anspruchsvoller von 'Politischer Kultur'.<br />

Was immer der richtige Begriff sein mag, <strong>Heuss</strong> hat politischen Stil vorgeführt und wohl<br />

auch geprägt.« 1<br />

Wenn dies auch stimmt, so gilt es gleichfalls auch für Pol Pot, um nicht gleich mit<br />

einem schiefen Hitler-Vergleich anzufangen. Auch er hat eine bestimmte Vorstellung von<br />

Verfassung, einen politischen Stil vorgeführt und damit leider seinem Land einen Stempel<br />

aufgedrückt. Deutlich wird, dass das Problem ein normatives Kulturverständnis ist. Es<br />

eignet sich zwar zum Räsonnement, jedoch nur bedingt zur Erklärung von Wirklichkeit:<br />

Was ist denn mit denen, denen man jegliche politische Kultur abspricht? Was ist das<br />

Gegenteil von Politischer Kultur? Auch die Frage nach dem, was Politische Kultur fördert,<br />

zwingt uns, diese Art von Begriffsdefinition zu vermeiden. Unstrittig ist, dass nicht nur die,<br />

die beim Essen gerade sitzen und in ihrer Freizeit Bücher lesen, Subjekte Politischer Kultur<br />

sind. Auch die, von denen »man« gewöhnlich annimmt, dass »Kultur« für sie keine<br />

lebenszentrale Kategorie ist, müssen berücksichtigt werden.<br />

Begriffen wie »Moral«, oder »Zivilisation« sind also nicht die bestimmenden Faktoren<br />

der Politischen Kultur. Wenn sie auch dazu gehören, weil sie die eigene Haltung zum Poli-<br />

tischen beschreiben, bilden sie nur einen kleinen Teil der Politischen Kultur ab, die aber<br />

aus dem Rahmen unserer grundlegenden Orientierungen zum Politischen besteht. Poli-<br />

tische Kultur meint all das, was an Einstellungen und Vorstellungen dem eigenen poli-<br />

tischen Handeln zu Grunde liegt. Beziehungsweise, was das Verhältnis von Bürgern zum<br />

politischen System beeinflusst.<br />

▌ Kapitel 1: Konzept der politischen Kultur<br />

Was heißt das konkret? Im nächsten Abschnitt wird ein Modell der Politischen Kultur<br />

skizziert, das auf dem klassischen Konzept der amerikanischen Sozialwissenschaftler<br />

1 Dahrendorf (1984); S. 14<br />

4


Gabriel Almond und Sidney Verba aufbaut und jenes Modell um einige theoretische An-<br />

sätze neueren Datums ergänzt. Dieses dient dann als Grundlage für die Beschäftigung mit<br />

<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und der Politischen Kultur der Nachkriegszeit.<br />

▌ Kapitel 2: Beispiel Westdeutschland<br />

Wenn im ersten Teil dieses Kapitels das Modell erklärt wird, folgt im zweiten Teil eine<br />

exemplarische Darstellung einiger beispielhafter Entwicklungen der westdeutschen Poli-<br />

tischen Kultur. Neben den Einstellungen der Bevölkerung zum politischen System und sei-<br />

nen Teilen (Politische Kultur im engeren Sinne) wird kurz auf die politische Elite der Nach-<br />

kriegszeit eingegangen, da diese im konkreten deutschen Fall die Politische Kultur ganz<br />

entscheidend (vor-)strukturiert hat.<br />

▌ Kapitel 3: Vorstellung von Politischer Kultur<br />

In Kontrast dazu wird exemplarisch der normative Rahmen politisch-kultureller Vor-<br />

stellungen bei <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> nachgezeichnet. Hier interessiert also der normative Rah-<br />

men des Handelnden. Das Kapitel konzentriert sich auf die politische und soziale Ein-<br />

bettung von <strong>Heuss</strong>' in die Entwicklung des Liberalismus, seine Vorstellungen vom<br />

Verhältnis zwischen Bürger und politischem System sowie die Anforderungen, die <strong>Heuss</strong><br />

an die Träger der Politischen Kultur stellt, an Bürger und Politiker.<br />

▌ Kapitel 4: Politisches Handeln<br />

Nicht nur im Rahmen der eigenen Vorstellungen existiert Politische Kultur. Vor allem<br />

wird sie sichtbar, wenn sie in Handlungen und Kommunikationen veräußerlicht wird. Des-<br />

halb geht es in Teil 4 um die politische Praxis von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Diese untersuchen wir<br />

anhand der verschiedenen politischen Rollen, die <strong>Heuss</strong> einnahm – als Minister, Parteipoli-<br />

tiker, Mitglied des Parlamentarischen Rats oder Präsident.<br />

1.1 Political Culture und Civic Culture<br />

Die Ersten, die im Sinne eines politikwissenschaftlichen Konzepts von Politischer Kultur<br />

geredet haben, sind Gabriel Almond und Sidney Verba in ihrer 1963 veröffentlichten Stu-<br />

die zur »Civic Culture« in fünf Ländern. Sie untersuchen die Einstellungen der Bürger zum<br />

Politischen: Zum System, zu seinen Teilen und zu sich selbst. Damit begründen sie einen<br />

empirisch-behavioristischen Ansatz der Politische-Kultur-Forschung: »Politische Kultur«<br />

definieren sie demzufolge unter Bezugnahme auf die Systemtheorie Talcott Parsons als<br />

5


»attitudes toward the political system and its various parts, and attitudes toward the role<br />

of the self in the system.« 2<br />

Es wird also eine systemtheoretisch begründbare Unterscheidung zwischen politischem<br />

und anderen gesellschaftlichen Teilsystemen eingeführt. Demnach könne man über Poli-<br />

tische Kultur reden, wie man auch über ökonomische Kultur oder religiöse Kultur reden<br />

könne. Pointiert lautet die Standarddefinition des Begriffs: »The political culture of a nati-<br />

on is the particular distribution of patterns of orientation toward political objects among<br />

the members of a nation.« 3 Mit der Bezugnahme auf Parsons wird Politische Kultur auch<br />

als Modernisierungstheorie begreifbar, die durch die Vorstellung eines idealtypischen ra-<br />

tional herleitbaren Modells der Politischen Kultur (ob bewusst oder unbewusst) sowie<br />

durch die Vorstellung, die Stabilität Politischer Kultur rational erfassen und beeinflussen zu<br />

können, geprägt ist. Die Methodik dazu liefert die empirische Sozialforschung und die<br />

Arbeit Almonds und Verbas trägt bereits den Geist der computergestützten Forschung, wie<br />

er heute allgegenwärtig ist – obgleich diese Pionierarbeit die letzte derartig groß angeleg-<br />

te Studie gewesen sein dürfte, bei der noch alles handgemacht wurde, wie Verba in der<br />

Rückschau berichtet.<br />

▌ Kommunikationsebenen und Persistenz<br />

Die Verbindung des Individuums zu den unterschiedlichen politischen Objekten wird<br />

über die politische Kultur hergestellt und läuft dabei auf drei verschiedenen Ebenen ab.<br />

Erstens auf einer »kognitiven« Ebene über Wissen und Vorstellungen vom politischen Sys-<br />

tem, zweitens auf einer »affektiven«, gefühlsmäßigen Ebene und drittens auf einer »eva-<br />

luativen«, bewertenden Ebene.<br />

Die damit in Bezug zu setzende persönliche Haltung gegenüber einer politischen Kultur<br />

(gleich welcher Ausprägung diese ist) ist »allegiance (Loyalität), »apathy (Apathie) und<br />

»aliance (Entfremdung). Loyalität wird aus allen drei Quellen bezogen: Aus kognitiven, af-<br />

fektiven und evaluativen Komponenten. Apathie hat hingegen nur eine positive kognitive<br />

Rückbindung, den anderen Kommunikationsebenen gegenüber ist sie von Gleichgültigkeit<br />

gekennzeichnet. Entfremdung ist dem evaluativen und affektiven Bereich gegenüber<br />

weniger durch Gleichgültigkeit als durch Ablehnung beschreibbar.<br />

Um also eine dauerhafte politische Kultur zu bekommen, sollten die Beziehungen von<br />

den Bürgern zum Politischen überwiegend mit »allegiance« beschrieben werden können.<br />

Demzufolge ist es Almonds und Verbas Ziel zu untersuchen, inwieweit Bedingungen für<br />

Stabilität herrschen. Politische Struktur und politische Kultur sind in dieser Sichtweise im<br />

Idealfall deckungsgleich.<br />

2 Almond/Verba (1963); S. 12<br />

3 Almond/Verba (1963); S. 13<br />

6


Politische Kultur steht demnach zwischen dem Sozialen und der Systemstabilität: »The<br />

independent variables (social structures and processes), the intermediate variable (politi-<br />

cal culture especially the degree of [...] civic culture, and the dependent variable (demo-<br />

cratic stability).« 4 Deshalb stellt Easton die Stabilität oder »Persistenz« des politischen<br />

Systems in das Zentrum seiner Überlegungen. Zu fragen ist demnach, welche Bindungen<br />

zu dieser Stabilität beitragen. Diese findet Easton in der Gabe von Legitimation und Ver-<br />

trauen durch die Bürger. Die Konzentration auf diese Kernbegriffe ist der empirischen<br />

Operationalisierung dienlich: »Durch die Bezugnahme auf die Theorie politischer Unter-<br />

stützung von Easton können also die relevanten Einstellungen der Bürger auf die poli-<br />

tischen Wertorientierungen und die Unterstützung des Regimes reduziert werden.« 5 Kern<br />

dieser Überlegungen ist die Differenzierung zwischen »spezifischer« und »diffuser« Unter-<br />

stützung. Erstere kann kurzfristig gegeben werden, ist stärker an Personal gebunden und<br />

outputabhängig. Letztere wird über längere Zeiträume gebildet, ist einer konkreten Sys-<br />

temleistung nicht zuordenbar und wird dadurch bedeutend, dass sie langfristig stabil ist.<br />

Sie dient als »Stabilitätsreserve für das politische System (Sontheimer) 6 . Analytisch be-<br />

wegt sich Easton auf drei Ebenen: Dem »Regime«, den »politischen Autoritäten« und der<br />

»politischen Gemeinschaft.« Die diffuse Unterstützung richtet sich auf die Beobachtunsge-<br />

bene »Regime« und bringt politisches »Vertrauen (»trust«) hervor. Die spezifischen Un-<br />

terstützungsleistungen hingegen erzeugen »Legitimation (»legitimacy«).<br />

▌ Typen politischer Kultur<br />

Almond/Verba entwickelten ein theoretisches und ein auf Empirie basierendes Modell<br />

der politischen Kultur. Im Theoretischen wurden drei »reine« Typen Politischer Kulturen<br />

konstruiert. Diese unterscheiden sich in der Orientierung zu verschiedenen Aspekten eines<br />

politischen Systems. 7 Die allgemeinste analytische Ebene behandelt das System an sich,<br />

das etwa Elemente wie »Patriotismus«, »demokratisch«, »konstitutionell« beinhaltet. Das<br />

im Gegensatz dazu persönlichste Objekt der Analyse ist das Individuum, in der Sprache<br />

von Almond/Verba »Selbst als Objekt«: Hier spielen die Inhalte und Normen der eigenen<br />

politischen Anschauungen oder die eigenen politischen Kompetenzen ein Rolle.<br />

Eine weitere Dimension lässt sich zwischen den Begriffen »Input« und »Output« fest-<br />

machen. Input meint den Nachfragefluss aus der Gesellschaft in das Politische, den Mit-<br />

gestaltungswillen, der aus der Bürgerschaft auf das politische System gerichtet ist. Output<br />

meint die Umsetzung dieser Nachfrage in Politik(-ergebnisse). Ein durch starke Input-<br />

orientierung beschreibbares System besteht demnach aus einer Vielzahl von politisch ak-<br />

4 Lijphart (1980); S. 37f.<br />

5 Fuchs (2002); S. 31<br />

6 Sontheimer (1990); S. 19<br />

7 Almond/Verba (1963); S. 14<br />

7


tiven Bürgern, eines, das auf Output basiert, hat einen signifikanten Anteil derjenigen, die<br />

von der Politik im Wesentlichen eine Lösung ihrer Probleme erwarten, ohne sich selber<br />

einbringen zu wollen.<br />

Almond/Verba identifizieren die drei Typen Politischer Kultur, die sich jeweils in der un-<br />

terschiedlichen Gewichtung von Input, Output, System und Selbst unterscheiden. Die<br />

parochiale, die subjekt-orientierte und die partizipationsorientierte Politische Kultur.<br />

System Input Output Selbst<br />

Parochial 0 0 0 0<br />

Subjekt 1 0 1 0<br />

Partizipativ 1 1 1 1<br />

Abbildung 1<br />

Typen politischer Kultur<br />

Die parochiale Politische Kultur ist diejenige, in der auf keiner Ebene der politische<br />

Raum berührt wird: »The parochial expects nothing from the political system.« 8 Hier<br />

handelt es sich im reinen Typus um Gesellschaften ohne politische Rollen und ohne ein<br />

ausdifferenziertes politisches Teilsystem. Beispiele, die in Richtung einer parochialen poli-<br />

tischen Kultur gehen, kann man in einigen Stammeszusammenschlüssen finden.<br />

In einer subjektorientierten Politischen Kultur haben Individuen nahezu keine Ansprü-<br />

che und Nachfragen auf der Input-Seite. Auch sich selbst würden sie nicht als politisch re-<br />

levant betrachten: »The subject is aware of specialized governmental authority; he is af-<br />

fectively oriented to it, perhaps taking pride in it, perhaps disliking it; and he evaluates it<br />

either as legitimate or as not.« 9 Erwartungen hingegen bestehen auf der Output-Seite. In<br />

der deutschsprachigen Literatur wird diese Form auch als »Untertanenkultur« bezeich-<br />

net. 10<br />

Der partizipationsorientierte Typus schließlich ist derjenige, bei dem alle Ebenen rele-<br />

vant sind. Die Teilnehmer an einer solchen politischen Kultur »tend to be oriented toward<br />

an 'activist' role of the self in the polity, though their feelings and evaluations of such role<br />

may vary from acceptance to rejection.« 11<br />

▌ Civic Culture als ideale Mischform<br />

Wenn diese theoretischen Modelle mit den empirischen Daten in Beziehung gesetzt<br />

werden, kommt es zu Mischungen. So werden die »Parochial-Subjekt-Kultur«, die »Sub-<br />

8 Almond/Verba (1963); S. 17<br />

9 Almond/Verba (1963); S. 17<br />

10 so auch bei Gabriel (1987); Gabriel/Holtmann(2005);<br />

11 Almond/Verba (1963); S. 18<br />

8


jekt-Partizipations-Kultur« und die »Parochial-Partizipations-Kultur« erwähnt. Die jewei-<br />

ligen Bestandteile können in unterschiedlichen Mischverhältnissen vorkommen. Eine<br />

besondere Mischform identifizieren die Autoren als »Civic Culture.« Entgegen der nahe<br />

liegenden Annahme, dass es sich um ein vor allem partizipativ orientiertes Modell handeln<br />

könnte, heben Almond/Verba die Fusion von partizipativen mit parochialen oder subjekti-<br />

ven Elementen hervor. Vorbild für ihre »Civic Culture« ist die britische oder amerikanische<br />

Politische Kultur.<br />

Sie speist sich also aus Input- und Output-Ansprüchen. Zunächst soll kurz der idealty-<br />

pische Input-Bürger beschrieben werden. In der Studie wird er das »rationality-<br />

activist«-Modell genannt: »[He] is expected to be active in politics and to be involved.<br />

Furthermore, he is supposed to be rational in his approach to politics, guided by reason,<br />

not by emotion. He is supposed to be well informed and to make decisions – for instance,<br />

his decision on how to vote – on the basis of careful calculation as to the interests and the<br />

principles he would like to see furthered.« 12<br />

Neben der positiven Grundorientierung zum politischen Input, wie er in diesem Beispiel<br />

dargestellt wurde, besitzen Menschen auch positive Dispositionen, die sich nicht aus der<br />

konkreten Beteiligungs- oder Wirkungserfahrung erklären lassen. Zu einer ausbalancierten<br />

politischen Kultur (also einer, in der auch empirisch politische Struktur und Politische Kul-<br />

tur kongruent sind) kommt man demnach nur, wenn auch parochiale und Subjekt-Orien-<br />

tierungen integrierbar sind. In der Civic Culture handelt es sich also um eine idealtypische,<br />

an das britische oder amerikanische Modell angelehnte Balance, »in which political activi-<br />

ty, involvement, and rationality exist but are balanced by passivity, traditionality, and<br />

commitment to parochial values.« 13<br />

Almond/Verba begeben sich damit in die Grauzone zwischen Normativität und empi-<br />

rischem Anspruch. In ihrem Folgeband »The Civic Culture revisited« wird denn auch dar-<br />

auf eingegangen, dass der intellektuelle Stichwortgeber zweifellos Aristoteles und sein<br />

Modell der gemischten Herrschaft ist. Gleichwohl hat das Civic-Culture-Modell einige Be-<br />

rechtigung, da es die Realität beschreibt, wenn dergestalt parochiale und subjektive Ein-<br />

stellungen nicht ausgeblendet sondern integriert werden. Schließlich hätten sie auch ein<br />

Ideal der »vernünftigen« Demokratie in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen können.<br />

Implizit wird dadurch auch erklärt, dass Politische Kultur mehr ist als die zu einem be-<br />

stimmten Moment empirisch erfassten Orientierungen der Bürger, dass zum Beispiel<br />

Traditionen eine Rolle spielen.<br />

12 Almond/Verba (1963); S. 29<br />

13 Almond/Verba (1963); S. 30<br />

9


1.2 Normativer Orientierungsrahmen<br />

Die von Almond/Verba benutzte Formulierung, dass Politische Kultur die »Einstellungen<br />

zum politischen System und seinen verschiedenen Teilen« beschreibe, legt also nahe, den<br />

Begriff nicht allzu sehr auf die reine Legitimation oder Unterstützung zu beschränken.<br />

Hierbei gerät man in das Dilemma, auf der einen Seite an Komplexität reduzieren zu<br />

müssen, um den Ansatz empirisch handhabbar zu machen, auf der anderen Seite führt zu<br />

große Reduktion zu starker Verengung des Begriffs. Aus der Sicht bekennender Empiriker<br />

ist demnach Politische Kultur der Versuch, »einen Pudding an die Wand nageln« zu wollen<br />

(Kaase). Aus der Perspektive sich auch normativ orientierender Wissenschaftler wie zum<br />

Beispiel Rohe erklärt die konzeptionelle Verengung immer nur patchworkartige Teilaspek-<br />

te. Ihm geht es darum, die Bestandteile der politischen Kultur zum Thema zu machen, die<br />

vor dem empirisch Erfragbaren liegen. Demzufolge sollte man »nicht nach Einstellungen<br />

gegenüber konkreten politischen Regimen fragen [...], sondern nach den Wahrnehmungs-<br />

mustern und Beurteilungsmaßstäben, die solchen Einstellungen zugrundeliegen.« 14<br />

Hier zeigen sich die Probleme des empirischen Ansatzes. »Um an den Kern von Poli-<br />

tischer Kultur heranzukommen, muss man wissen, welche Tabus in einem sozialen Ver-<br />

band existieren, wie die Beweislastregeln funktionieren, also was man eigens rechtfertigen<br />

muss und welche Argumente und Handlungen wie selbstverständlich ohne Begründungen<br />

durchgehen.« 15 Zudem bestünde in vergleichenden Untersuchungen die Gefahr, dass an-<br />

gefragten Dingen eine unterschiedliche Bedeutung zukommt, da die gleichen Begriffe oft<br />

in unterschieldicher Weise normativ verwurzelt sind: Ein Amerikaner meint etwas anderes<br />

als ein Deutscher, wenn er von »Patriotismus« redet, ein Usbeke und ein Niederländer<br />

können sich möglicherweise auch nicht auf einen gemeinsamen Demokratie-Begriff<br />

einigen. Außerdem setze das Modell die Vorstellung von der amerikanischen oder briti-<br />

schen Demokratie voraus, was insbesondere mit dem neueren Wissen über differenzierte-<br />

re Demokratiemodelle unvereinbar ist.<br />

Auch Gabriel postuliert differenziertere Erhebungsverfahren. So müsste man die<br />

Formen des »Ausmaßes von Homogenität oder Heterogenität« innerhalb der politischen<br />

Kultur besser herausarbeiten oder zwischen »zentralen und peripheren politischen Einstel-<br />

lungen« differenzieren. 16 Gleichzeitig setze »die tatsächliche Datenlage [...] historischen<br />

und international vergleichenden Analysen der politischen Kultur enge Grenzen.« 17<br />

Aus diesen ja nicht prinzipiell empirische Forschung ablehnenden Einwänden kann man<br />

zwei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens muss die Methodik um normative und interdiszi-<br />

14 Rohe (1996); S. 1<br />

15 Rohe (1996); S. 4<br />

16 Gabriel(1987); S. 27<br />

17 Gabriel (1987); S. 29<br />

10


plinäre Elemente ergänzt werden. Zum Zweiten muss das Erkenntnisinteresse auf grund-<br />

legendere Dinge gelegt werden. Aus dieser Perspektive werden Zeit und die Dynamik so-<br />

zialer Prozesse zentral. Die zum Zeitpunkt der Beobachtung aktuelle Konfiguration ist ein-<br />

gebettet in soziale Prozesse und geschichtliche Erfahrung. Pye formuliert dies bereits zu<br />

einem frühen Zeitpunkt: »In exploring the origins of a political culture it is necessary, for<br />

example, to treat both the historical development of the system as whole and the life ex-<br />

periences of the individuals who currently embody the culture.« 18 Dadurch bekommt Poli-<br />

tische Kultur eine grundlegende Dimension, die über das bloße politische System hinaus-<br />

greift. Danach ist Politische Kultur eine Art Orientierungsrahmen oder, wie andere Autoren<br />

es nannten, »innere Landkarte«, die vorpolitische Orientierungsmuster umfasst.<br />

Traditionen, der institutionelle Geist, die Leidenschaften und Rationalitäten der Bürger, die<br />

Elitenkonfiguration sind somit auch keine zufälligen Produkte historischer Prozesse, son-<br />

dern selbst Teil der politischen Kultur und damit ihrer Dynamik ausgesetzt. »[...]The tradi-<br />

tions of a society, the spirit of its public institutions, the passions and the collective rea-<br />

soning of its citizenry, and the style and operating codes of its leaders are not random<br />

products of historical experience but fit together as a part of a meaningful whole and con-<br />

stitute a intelligible web of relations.« 19<br />

Wenn in dieser Arbeit die Einflussnahme handelnder Politiker auf dieses »Netz der Be-<br />

ziehungen« untersucht werden soll, müssen diese Quellen auch am Beispiel der so Han-<br />

delnden identifiziert werden: Sowohl im normativen Rahmen eigener Anschauungen, als<br />

auch in der sozialen Wirklichkeit ihrer Handlungen.<br />

1.3 Subkulturen, Eliten, Deutungskulturen<br />

Dies leitet auf eine Grundannahme hin, ohne die Politische Kultur nur unzureichend er-<br />

klärt werden kann. Wenn Politik aus Steuerungsleistungen besteht, muss auch angenom-<br />

men werden, dass die Steuerungsmöglichkeiten in der Gesellschaft asymmetrisch verteilt<br />

sind. Wie <strong>Heuss</strong> 1928 schreibt, nehmen wir die Existenz einer politischen Elite an. »In fast<br />

allen Demokratien, die mit Mehrheiten rechnen, entscheidet letztlich eben doch auch eine<br />

Minderheit: die Minderheit der Handelnden. Sie bestimmen die Auswahl der Bewerber um<br />

eine Führung, sie geben dem politischen Machtkampf Tempo und Farbe, und darüber hin-<br />

aus: der Staat wird von denen bestimmt, die von dem Recht der Machtteilnahme Ge-<br />

brauch machen.« 20 In Unterscheidung zu <strong>Heuss</strong> ziehen wir den Kreis deutlich enger: die<br />

Minderheit ist weniger mit der Gruppe der Wähler deckungsgleich, die von ihrem Recht<br />

18 Pye (1972); S. 7<br />

19 Pye (1972); S. 7<br />

20 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 84<br />

11


der Wahl Gebrauch machen, sie wird von denjenigen gebildet, die mit der Vollmacht zum<br />

Handeln durch Legitimation ausgestattet werden. Man hat es also mit mindestens zwei po-<br />

litischen Kulturen in einer Gesellschaft zu tun. Derjenigen der Bevölkerung und derjenigen<br />

der Elite. »In no society is there a single uniform political culture, and in all polities there<br />

is a fundamental distinction between the culture of the rulers or the power holders and<br />

that of the masses, whether they are parochial subjects or participating citizens.« 21 Elite<br />

ist demnach die Ausübung von machtbasierten Führungs- und Steuerungsleistungen:<br />

»Das Kriterium der Macht ist in erster Linie für politikwissenschaftliche Fragestellungen<br />

zentral, die sich mit dem Elitenproblem im Kontext von Herrschaft, Konflikt und Konsens<br />

beschäftigen und an der Rolle von Eliten in politischen Willensbildungsprozessen inter-<br />

essiert sind. Dabei wird den Mächtigen einer demokratischen Gesellschaft die Funktion<br />

zugeschrieben, politische Führungs- und Steuerungsleistungen wahrzunehmen.« 22 Auch<br />

eines der Leitmotive in Rohes Ansatz geht in diese Richtung. Er betont, dass es neben der<br />

affektiven, evaluativen und kognitiven Bindung der Bürger an das System auch noch eine<br />

ästhetische Komponente gäbe. Damit wird die Kultur in die Politische Kultur einge-<br />

schrieben und Politische Kultur zu einem symbolisch arbeitenden Medium. Rohe entwi-<br />

ckelte die Konzeption der Deutungskulturen: »In fast allen Gesellschaften haben wir es<br />

aber stets auch mit mehr oder minder professionalisierten Sinn- und Symbolproduzenten<br />

zu tun, deren Profession gleichsam darin besteht, politische Sinn- und Deutungsangebote<br />

für andere zu fabrizieren.« 23<br />

In der ersten Civic-Culture-Studie spielten Subkulturen oder Eliten eine marginale<br />

Rolle. Zwar reden Almond/Verba von Subkulturen, wie wir sie im Gegensatz zwischen<br />

Arbeiterkultur und Bürgerkultur oder zwischen Regierung und Opposition oder zwischen<br />

traditionellen und modernen Autoritäten (spezialisierter Herrschaft) finden können. Aber<br />

unbeantwortet bleibt die Frage nach der soziologischen und politischen Anatomie der Elite.<br />

Almond/Verba bemerken in der Rückschau, dass dies nicht konsequent genug in ihre Stu-<br />

die eingeflossen ist: »Though we appreciated their importance, we did not include special<br />

samples designed to get at the orientations of particular elite groups such as politicians,<br />

bureaucrats, interest-group officials, journalists, and local-opinion and political elites.« 24<br />

Bordieu liefert mit dem Begriff des »symbolischen Kapitals« eine Theorie, in der »feine<br />

Unterschiede« und »Habitus« Elite konstituieren, nicht allein in den dazu legitimierten poli-<br />

tischen Institutionen sondern gerade im zivilgesellschaftlichen Beziehungsgeflecht. Als Me-<br />

dium dient hierbei das symbolische Kapital: Eine normative Vorstellung von Bürgerlichkeit<br />

wird demnach wichtige Bedingung für die Positionierung innerhalb der Elite.<br />

21 Pye (1972); S. 15<br />

22 Kaina (2004); S. 8<br />

23 Rohe (1996); S. 8<br />

24 Almond/Verba (1980); S. 23<br />

12


Da die Grundlegung des politischen Systems der Bundesrepublik sehr stark von der<br />

politischen Elite und den Vorstellungen der Alliierten geprägt wurde, während die Einstel-<br />

lungen der Bevölkerung zu den verschiedenen Teilen des politischen Systems zunächst<br />

nur eine geringe Rolle spielten, ist die Elitenkonfiguration der frühen Bundesrepublik von<br />

besonderem Interesse: Wer waren die »Gründerväter« der Bundesrepublik? Aus welchen<br />

Milieus und Schichten kommen sie? Was verbindet sie über die Cleavages des Parteiensys-<br />

tems hinweg? In welchen Fragen gibt es Dissens mit den Einstellungen der Bevölkerung?<br />

In besonderer Weise interessiert hier die Positionierung von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> als Teil der<br />

politischen Elite.<br />

1.4 Zeichenpolitik<br />

Die symbolische Gestalt der Politischen Kultur wird bei Almond/Verba nur unvollkom-<br />

men berücksichtigt. Dies meint, dass Politik nicht nur über affektive, evaluative oder ko-<br />

gnitive Kanäle Bindung herstellt. Eine wichtige Rolle spielt auch die ästhetische Kategorie<br />

der »Form«: Wie wird politische Steuerung symbolisch veräußerlicht? Rohe setzt deshalb<br />

den drei Bindungen eine »ästhetische« hinzu, mit der nicht die »Ästhetisierung« der Politik<br />

als eine fragwürdige Kommunikationsstrategie gemeint ist, sondern ein auf der Bedeutung<br />

von Zeichen für die politische Kommunikation aufbauendes »kulturalistisches« Ver-<br />

ständnis.<br />

Grundlegend ist also die Annahme, dass Wirklichkeit durch Symbole konstituiert wird.<br />

»Der Mensch kann mit seiner Welt und auch mit seinesgleichen nur umgehen, indem er<br />

sich a u s d r ü c k t [Hervorh. im Original] – wenn er also zwischen sich und all dem,<br />

was ihm begegnet und was er schafft, eine Distanz legt, indem er es geistig reproduziert.<br />

So drückt er es s y m b o l i s c h aus.« 25 Symbole sind in diesem Zusammenhang inter-<br />

pretationsoffene Signifikante: »Als Zeichen verweisen Symbole auf einen Sachverhalt;<br />

aber als Symbole bezeichnen sie ihn nicht abkürzend so, dass jedes Mitglied einer Kom-<br />

munikationsgemeinschaft das Gleiche darunter versteht.« 26 Insofern spielen Symbole eine<br />

wichtige Rolle bei der gesellschaftlichen Konstruktion von Realität: Sinn und Wirklichkeit<br />

werden über symbolhafte Kommunikation generiert. Ein derartig kulturwissenschaftlicher<br />

Ansatz fordert Modifikationen des Kernkonzepts der Politischen Kultur.<br />

In den meisten Forschungen, die Politik in dieser Form untersuchen, hat »symbolische<br />

Politik« eine negative Konnotation. Diese steht im Verdacht, eine Schein-Realität zu erzeu-<br />

gen, die es ermöglicht, auf das Feld der Symbolik (und der Ideologie) auszuweichen um<br />

politische Problemlösung zu umgehen. Wiederum Rohe folgend, benutzen wir stattdessen<br />

25 Göhler (1989); S. 29<br />

26 Göhler (1989); S. 35<br />

13


den Begriff der »Zeichenpolitik.« So wie der Ansatz der symbolischen Politik geht auch<br />

Rohe davon aus, das kulturelle Regeln und Prinzipien »nicht nur der 'Verinnerlichung',<br />

sondern auch der 'Veräußerlichung' [bedürfen], damit sie ihre gesellschaftliche Funktion<br />

erfüllen können. Anders formuliert heißt das, dass sie auf zeichenhafte Verdeutlichung<br />

angewiesen sind und immer wieder durch Wort, Schrift, Bild und Tat in Erinnerung ge-<br />

rufen werden müssen.« 27 Rohe tritt dem Misstrauen entgegen, dass es sich dabei um eine<br />

fragwürdige Vermittlungsstrategie handelt. Eine veräußerlichende Politik darf in dieser<br />

Perspektive »eben nicht als Ersatzpolitik' oder 'Schaupolitik' begriffen werden werden<br />

[...], sondern als eine 'Zeichenpolitik', die ganz unverzichtbar ist, wenn man die kultu-<br />

rellen Grundlagen eines Gemeinwesens nicht gefährden will.« 28 So gesehen kann Zeichen-<br />

politik in verschiedenen Konfigurationen operationalisiert werden. Beichelt 29 tut dies mit<br />

seinem Konzept der »Herrschaftskultur«, indem er sie auf die politischen Eliten anwendet.<br />

Man kann sie auch auf den politischen Umgang mit Geschichte und Traditionen als »Ge-<br />

schichtspolitik (Wolfrum) oder als »Erinnerungspolitik (Reichelt) beziehen. Auch im in<br />

Deutschland aufmerksam rezipierten Konzept der »Streitkultur« 30 kommen Symbole zum<br />

Tragen. Sarcinelli differenziert hier zwischen »symbolischer Politik« und »politischer Sym-<br />

bolik.«<br />

Ob man nun Zeichenpolitik für gut oder schlecht hält, ist in der Bewertung einzelner<br />

politischer Steuerungsleistungen zwar nicht unwichtig, im Zusammenhang dieser Arbeit<br />

aber zweitrangig. Hier ist hingegen die einfache Feststellung von Bedeutung, dass Symbo-<br />

le eine Steuerungsfunktion übernehmen. Symbolisches Handeln kann mit Göhler dem ra-<br />

tionalen Steuerungshandeln gegenüber gestellt werden: »Wenn Symbole nun gegenüber<br />

Zeichen gerade durch ihren Überschussgehalt charakterisiert sind, dann steht dieser<br />

Überschussgehalt dem Rationalisierungstheorem entweder unvereinbar gegenüber oder er<br />

ist ihm gegenüber komplementär.« 31 Deutlich wird, dass erstens Politik aus beiden Hand-<br />

lungsformen schöpft und zweitens symbolisches Handeln zur Integration im Sinne einer<br />

langfristigen, diffusen Unterstützung dient: »Symbolen fehlt der Charakter der Berechen-<br />

barkeit, sie sind Medien der normativen Integration, aber keine Steuerungsinstrumente im<br />

präzisen Sinn.« 32<br />

Gerade in Bezug auf die Politik von <strong>Heuss</strong> ist ein auf das Theorem der Zeichenpolitik<br />

zugreifendes semiotisches Verständnis von Politischer Kultur gewinnbringend. Aus der<br />

Perspektive des Bundespräsidenten, dessen Amt weniger auf konkrete Steuerung als auf<br />

27 Rohe (1996); S. 7<br />

28 Rohe (1996); S. 16<br />

29 Beichelt (2004); S. 151ff.<br />

30 Sarcinelli (1990); S. 29ff.<br />

31 Göhler (1989); S. 37<br />

32 Göhler (1989); S. 39<br />

14


Repräsentation angelegt ist, bietet Zeichenpolitik mit die wirkungsvollste Möglichkeit, eine<br />

Bindungswirkung zwischen politischem System und Bevölkerung zu erreichen. Zur Spra-<br />

che kommen muss also nicht nur, dass <strong>Heuss</strong> in besonderem Maße zeichenpolitisch agier-<br />

te, sondern hier ist das »wie« zu analysieren sowie das Verhältnis von »weicher« Zei-<br />

chenpolitik zu »harter« rationaler Politik.<br />

1.5 Horizontale Integration<br />

Politik besteht nicht nur aus der vertikalen Integration einer Bevölkerung in das poli-<br />

tische System, in dem Politiker und Bürger sich gegenüberstehen. Darüber hinaus struktu-<br />

riert sie auch die Kommunikationsbeziehungen der Menschen untereinander. Sie integriert<br />

also auch horizontal. Das Dilemma, das sich in funktional differenzierten Gesellschaften<br />

einstellt, ist, dass gerade Vertrauen und damit Unterstützung in hohem Maße personenab-<br />

hängig ist und sich somit horizontal wesentlich besser entfalten kann als auf der vertikalen<br />

Ebene. Gleichzeitig wird aber auf der vertikalen Ebene eine abstrakte Form von System-<br />

vertrauen vorausgesetzt, die unabhängig von Personen sein muss. Luhmann nennt dieses<br />

im Gegensatz zum interpersonalen Vertrauen »Zuversicht«: »Ein Mangel an Zuversicht<br />

und das Bedürfnis nach Vertrauen [können demnach] einen Teufelskreis bilden. Ein Sys-<br />

tem – ökonomisch, legal oder politisch – erfordert Vertrauen als Eingangsbedingung.<br />

Ohne Vertrauen kann es in ungewissen oder riskanten Situationen keine unterstützenden<br />

Handlungen stimulieren. Gleichzeitig können die strukturllen und operationalen Eigen-<br />

schaften eines solchen Systems Zuversicht zur Erosion bringen und dadurch eine der<br />

wesentlichen Bedingungen des Vertrauens untergraben. 33<br />

Auch Offe macht deutlich, dass diese funktionalen Konsequenzen dafür sorgen, dass<br />

moderne Gesellschaft zu großen Teilen misstrauensbasiert sind, was sich vor allem auf der<br />

vertikalen Ebene äußert: »Demokratien verbinden ein Minimum an Gelegenheiten zur Ver-<br />

trauensbildung zwischen mir und allen anderen mit einem Maximum an Wirkungen, die<br />

alle anderen an mich zur Geltung bringen können.« 34<br />

Hieraus lassen sich verschiedene Konsequenzen ziehen, indem man personale Sub-<br />

stitute von vertikalem Vertrauen schafft. Offe schlägt dies erstens über »Vertrau-<br />

enskategorien« vor. Hierbei handelt es sich um identifikatorische Gemeinsamkeiten, die<br />

aus gleichen oder vorgestellt gleichen Eigenschaften entspringen. Zweitens über »Institu-<br />

tionenvertrauen.« Demnach müssen auf derartiger Vertrautheit basierende Institutionen<br />

einen erkennbaren Sinn haben, an den normativ an sie gerichteten Erwartungen aus-<br />

gerichtet sein und die Verletzung ihrer Funktionsprinzipien wirksam sanktionieren. Dritte<br />

33 Luhmann (2001); S. 157<br />

34 Offe (2001); S. 264<br />

15


Möglichkeit ist der »Populismus«: Kurzfristig als Substitut wirksam ist die »Reperso-<br />

nalisierung von Vertrauensbeziehungen.«<br />

Eine andere Theorie geht davon aus, dass ohnehin das horizontale Vertrauen als »Kitt<br />

der Gesellschaft« fungiert und es demnach vor allem darauf ankommt, diese interperso-<br />

nalen Bindungen zu stärken. Dies ist die Grundlage einiger Theorien von bürgergesell-<br />

schaftlichen Netzwerken. Von besonderem Einfluss ist die Konzeption des Sozialkapitals,<br />

die Systempersistenz über die kommunikative Praxis der Systemmitglieder denkt: »So-<br />

ziale Netzwerke rufen Wirkungen hervor. Vor allem weisen Netzwerke für die ihnen ange-<br />

hörenden Menschen einen Wert auf.« Stichwortgeber ist hier Bordieu, der kulturelles, so-<br />

ziales und ökonomisches Kapital gegenüberstellt. Putnam entwickelte die Theorie weiter<br />

und regte die Diskussion um Sinn und Unsinn dieser Vorstellungen an. Bei beiden ist es<br />

die Gesamtheit aller auf Bekanntheit oder Anerkanntheit beruhenden Beziehungen in-<br />

nerhalb einer Gesellschaft. Sozialkapital hat einen internen Nutzen (indirekt ist es auch re-<br />

kapitalisierbarer) und einen externen Nutzen: »Ein Grund dafür, dass soziale Netzwerke<br />

externe Effekte haben können, liegt darin, dass dichte soziale Interaktion offenbar zur<br />

Entstehung robuster Normen einer verallgemeinernden Gegenseitigkeit beitragen<br />

können« 35<br />

Putnam differenziert zwischen »binding« und »bridging« Sozialkapital. Ersteres bringt<br />

ähnliche Menschen zusammen, das Zweite bezieht sich auf die sozialen Netzwerke. 36 Ins-<br />

besondere das so genannte »überbrückende (»bridging«) Sozialkapital schafft in der Ak-<br />

kumulation auch über diese Reziprozitätsnormen hinaus gehendes Vertrauen – das so ge-<br />

nannte »generalisierte Vertrauen.« Eine wichtige Rolle spielen hierbei freiwillige<br />

Organisationen und dies macht die Theorie des Sozialkapitals auch für die kommunitaris-<br />

tische Denkschule interessant. Dietlind Stolle arbeitet heraus, welche Anziehungskraft hier<br />

die Bildung zivilgesellschaftlicher Zusammenschlüsse hat: Sie dienen als Erziehungsraum<br />

zu Kooperation, Vertrauen und Reziprozität, verbinden Staat und Bürger auf der Input-<br />

und Output-Ebene im Sinne intermediärer Organisationen: »Intermediary organizations<br />

aggregate individual interests, and thus contribute to processes of complexity-reduction<br />

and gate-keeping that are necessary for a political system to function effectively« 37 So<br />

eingängig die Theorie des Sozialkapitals zu sein scheint, sollte man doch vorsichtiger bei<br />

der Bewertung ihres Nutzens sein. Ein prinzipieller Einwand besteht darin, dass kommu-<br />

nikative Praxis nicht zwangsläufig zu demokratischer Politischer Kultur führt. Putnam führt<br />

selbst das Beispiel der mafia-typischen informellen Netzwerke an und redet von einer<br />

»dunklen Seite« des Sozialkapitals. Zudem fehlt innerhalb der gesellschaftlichen Kom-<br />

munikationen der Rahmen, der dafür sorgt, dass alle Beteiligten gleiche Möglichkeiten der<br />

35 Putnam/Goss (2001); S. 21<br />

36 Putnam/Goss (2001); S. 28<br />

37 Stolle/ Hooghe (2005); S. 149-167<br />

16


Deutungsmacht bekommen: Soziales Kapital ist wie alle Kapitale ungleich verteilt, hat<br />

aber den Unterschied, dass diese Ungleichverteilung schwerer sichtbar ist.<br />

Wenn diese beiden Ansätze nun in das Konzept der Politischen Kultur integriert werden<br />

sollen, hat dies zwei Konsequenzen: Erstens zeigt Offe, dass sich Unterstützung nicht nur<br />

bei zeichenpolitischer Steuerung, sondern gerade auch bei rationaler Steuerung im Zwei-<br />

felsfall auf eine konkrete Persönlichkeit richtet. Zweitens gibt es Möglichkeiten, diese Per-<br />

sonalisierung durch Substitution in Systemvertrauen umzuformen. Hierbei kommt dem<br />

politisch Handelnden eine (wenn nicht sogar die) wichtige Rolle zu. Drittens schärft die<br />

Theorie des Sozialkapitals unseren Sinn für den Wert gesellschaftlicher Institutionen.<br />

Diese können unterstützend wirken und bilden gesellschaftliche Kommunikationen (mit ih-<br />

ren Asymmetrien!) ab.<br />

Um die Akteure zu analysieren, muss man das Interesse auf ihre Art, vertikales Ver-<br />

trauen zu substituieren, richten. Welche Formen der Personalisierung bietet <strong>Heuss</strong>? Han-<br />

delt es sich hauptsächlich um die Schaffung von Vertrauenskategorien oder um ein Kon-<br />

zept der intensiven Personalisierung?<br />

Auf der horizontalen Ebene interessiert der Kontakt mit intermediären Institutionen<br />

und informellen Aggregationen. Es muss nachvollzogen werden, welchen gesellschaftli-<br />

chen Konfigurationen sich Politiker in besonderer Weise verbunden fühlen, welche Institu-<br />

tionen und Personen sie also in die Nähe des politischen Zentrums bringen und welche sie<br />

davon fernhalten. Oder konkret: Auf welche Kreise richtet sich die Zeichenpolitik von<br />

<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>? Welchen Institutionen und Personen bietet er einen stärkeren Zugang zu<br />

sich und den politischen Entscheidungsprozessen?<br />

1.6 Zusammenfassung<br />

Politische Kultur ist ein Konzept, dass seine Wurzeln in der empirischen Untersuchung<br />

der Stabilität von politischen Systemen hat. Über die Frage nach der Einstellung der<br />

Bürger zum System und seinen Akteuren erhält man Auskünfte über den Grad an spezi-<br />

fischer und diffuser Unterstützung.<br />

1. Notwendig ist die Ausweitung des Konzepts auf die dem zu Grunde liegenden Orien-<br />

tierungen. Auf Traditionen und die Einbettung der Bürger in eine soziale Praxis. Dem-<br />

zufolge umfasst Politische Kultur den normativer Orientierungsrahmen und die den<br />

konkreten Einstellungen zu Grunde liegenden Muster.<br />

2. Zudem muss, wenn die Bindung der Bevölkerung thematisiert wird auch die Bindung<br />

der politisch Handelnden zum Thema werden. Besonders notwendig ist dies, wenn es<br />

substantielle Differenzen zwischen Elite und Bevölkerung gibt. Von Interesse sind hier-<br />

bei die normativen Vorstellungen von der politischen Kultur sowie die Art ihrer Steue-<br />

17


ungsleistungen. Hier wird zwischen rationalem Steuerungshandeln und symbolischem<br />

Handeln differenziert. Letzteres eröffnet das Feld der Zeichenpolitik.<br />

3. Neben der vertikalen Integration der Bürger in das politische System muss die<br />

Dimension horizontaler Integration berücksichtigt werden. Mit Blick auf die politische<br />

Elite sollte untersucht werden, in welcher Form Bindungsangebote personalisiert wer-<br />

den, in welche gesellschaftlichen Kommunikationen sie sich selbst einordnen bezie-<br />

hungsweise welchen Personen und Institutionen sie eine Nähe zu den politischen Ent-<br />

scheidungsprozessen ermöglichen.<br />

18


2.Demokratische politische<br />

Kultur in<br />

Westdeutschland<br />

B<br />

ezeichnenderweise ist nicht »Enthusiasmus« oder »Identifikation« die zentrale Kate-<br />

gorie des klassischen Politische-Kultur-Ansatzes, wie ihn vielleicht Idealisten formu-<br />

lieren würden, sondern »Stabilität.« Normativ wird also sowohl derjenige, der nichts von<br />

demokratischen Systemen hält, als ähnlich destabilisierend angesehen, wie derjenige, der<br />

zwar von einer Leidenschaft für Demokratie erfüllt ist, aber gerade dadurch das Verhältnis<br />

zwischen Bevölkerung und System durcheinander bringt: Zum Beispiel Aktivisten, die<br />

nicht nur von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollen sondern auch darüber hinaus In-<br />

put-Ansprüche formuliern. In dieser Perspektive ist »Civic Culture« ein konservatives Kon-<br />

zept, misstrauisch gegenüber neuen Legitimationsquellen und Legitimationsansprüchen,<br />

wie sie zum Beispiel durch die »partizipative Revolution« aufkamen. Hier ist der Zeitbezug<br />

der Studie zu sehen, die fünfziger Jahre waren bekanntlich weder in Amerika noch in<br />

Deutschland das Jahrzehnt von Partizipation und innerer Elitemobilität. <strong>Heuss</strong> zum Bei-<br />

spiel sprach des Öfteren von einem »amorphen Volk«, an einer Stelle auch davon, dass<br />

aus dem »Volk« erst noch eine »Bevölkerung« werden müsse. Damit meint er, dass sich<br />

die unpolitische Haltung der Mehrheit sowie die demokratiefeindliche Haltung einer<br />

einflussreichen Minderheit sich zu einer die Demokratie und ihren neuen Staat bejahenden<br />

Einstellung transformieren müssen. Dahinter steht insofern die Vorstellung der »Civic<br />

Culture« als einem Amalgam aus partizipativen und passiven, aber bejahenden Einstel-<br />

lungen. Im Nachfolgenden soll untersucht werden, inwieweit dieses normative Postulat<br />

des Wandels vom Volk zur Bevölkerung auch zu einer empirischen Tatsache wurde.<br />

Das Besondere an der Nachkriegssituation ist, dass die Staatsbildung nicht auf einen<br />

revolutionären Akt zurückgeht, wie es nach einer Idealtheorie der Nationsbildung eigent-<br />

lich geschehen sollte. Sie ist vielmehr das Werk einer politischen Elite, initiiert durch die<br />

Besatzungsmächte. Eine untergeordnete Rolle spielte dabei die Bevölkerung. Daraus folgt,<br />

dass ein institutionelles und verfassungsmäßiges Gerüst erst nach und nach mit »Ver-<br />

fassungsleben« gefüllt werden konnte, durch Unterstützungsleistungen der Bürger (Ver-<br />

trauen, Legitimation, Identifikation) und durch den Grad ihrer Partizipation.<br />

Das liegt auch daran, dass über einen längeren Zeitraum unklar blieb, auf welches Ter-<br />

ritorium sich neue Staatlichkeit erstrecken soll. Das Territorium des Deutschen Reichs<br />

19


wurde entsprechend den alliierten Beschlüssen von Jalta auf vier Besatzungszonen aufge-<br />

teilt und in diesen Besatzungszonen wurde von unten begonnen, wieder staatliche Institu-<br />

tionen aufzubauen. Wenn auch Realisten sehr früh erkannten, wie eine neue weltpolitische<br />

Konstellation das Entstehen neuer deutscher Staatlichkeit determinierte, so traten viele,<br />

darunter auch <strong>Heuss</strong>, der neuen Lage vorsichtig gegenüber. Dies bedeutete, zwar den<br />

Aufbau politischen Lebens auf der kommunalen Ebene und auf der Ebene der neu ge-<br />

schaffenen Länder voranzutreiben, aber darüber hinaus eine behutsame Strategie zu fah-<br />

ren -sowohl innerhalb der Besatzungszonen als darüber hinaus. Davon wird im Folgenden<br />

noch genauer die Rede sein. Die »Eingeborenen von Trizonesien«, so ein damals populä-<br />

rer Karnevalschlager, organisierten nach und nach (und nicht zuletzt aufgrund massiver<br />

Bemühungen von Briten und Amerikanern) ihre Staatlichkeit. Sie taten dies weniger en-<br />

thusiastisch als zunächst vorsichtig und widerstrebend, darauf bedacht, dies in alliiertem<br />

Auftrag zu machen, als Rückversicherung, falls das Vorhaben scheitern sollte. Wenn man<br />

jedoch anfangs davon ausging, ein »Provisorium« zu konstituieren, so gewann der<br />

Verfassungsgebungsprozess bald seine eigene Dynamik. Die »Verfassungsväter« strebten<br />

im Laufe ihrer Beratungen immer stärker eine vollwertige Verfassung an und zumindest in<br />

der politischen Elite stellte sich frühzeitig eine positive Bindung an die westdeutsche<br />

Demokratie ein. Wie im vorigen Unterkapitel bereits beschrieben wurde, unterscheiden<br />

sich bisweilen die Politische Kultur von politischen Akteuren und von Bevölkerung. Der<br />

empirischen Untersuchung sei vorweggenommen, dass dies gerade im westdeutschen Fall<br />

evident ist. Im Nachfolgenden soll nun an einigen vorwiegend empirisch ermittelten Bei-<br />

spielen die Wirklichkeit der politischen Kultur in den fünfziger Jahren anchgezeichnet<br />

werden. Von Interesse sind die Grundbedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit und<br />

der frühen Bundesrepublik sowie die Dynamik des Wandels.<br />

▌ Datenlage<br />

Dabei wird auf sehr unterschiedliches demoskopisches Material zurückgegriffen, was<br />

dadurch bereits dadurch bedingt ist, dass ex post keine neuen demoskopischen Untersu-<br />

chungen gemacht werden können. Die Datenlage ist also sehr heterogen. Erste wichtige<br />

Ressource sind die Untersuchungen der amerikanischen Besatzungsmacht (OMGUS-Sur-<br />

veys) in ihrer Besatzungszone. Sie wurden von Merritt/Merritt aufbereitet. Zweitens wird<br />

auf die Untersuchungen von Almond/Verba aus der Civic-Culture-Studie zurückgegriffen.<br />

Auch Material des Allensbach-Instituts hat einen wichtigen Stellenwert, da es mit die am<br />

frühesten verfügbaren planmäßig und kontinuierlich erhobenen Daten bietet. Viertens wird<br />

auf verschiedene empirische Untersuchungen zu Politischer Kultur und zu deren Teilaspek-<br />

ten Bezug genommen, die jüngeren Datums sind und zum Teil ihrerseits auch auf die<br />

ersten drei Quellen zugreifen.<br />

20


2.1 Von 1945 zum Verfassungspatriotismus?<br />

Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist der 08. Mai 1945. Wenn auch klar ist, dass<br />

die Westdeutschen sich nicht gerade die Interpretation des Datums als »Tag des Sieges«<br />

zu Eigen gemacht haben dürften, so war die Deutung dieses Datums umstritten. Deshalb<br />

ist häufig von der »Stunde Null« die Rede, die das vorher Gewesene sauber mathematisch<br />

in den negativen Bereich verdrängt. Für die damalige Zeit ungewöhnlich ist sicherlich die<br />

fünf Jahre später geäußerte Feststellung von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: »Im Grund bleibt dieser 8.<br />

Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns.<br />

Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.« 38 Wirkt die dem in-<br />

newohnende Symbolik aus heutiger Perspektive ein bisschen zu pathetisch, so zeigt sich<br />

doch die Differenziertheit im Kontrast zu konkurrierenden Deutungen: An anderer Stelle<br />

redet man von der »Niederlage« und meint damit die militärische und weniger die mo-<br />

ralische Kapitulation. Interessant ist zweifellos, wie grundsätzlich der 08. Mai eine Umdeu-<br />

tung erfahren hat. Die Rede von Richard v. Weizsäcker vierzig Jahre später führt dies ein-<br />

drucksvoll vor Augen. Der Bundespräsident stellte mit der Autorität seines Amtes klar,<br />

dass dies »ein Tag der Befreiung« für die Deutschen gewesen sei. Damit setzte er den<br />

Schlusspunkt unter eine Diskussion, die selbst in den achtziger Jahren noch einmal an Dy-<br />

namik gewann.<br />

▌ Nationalsozialimus<br />

Wie kaum anders zu erwarten, kommt es nicht zu einem totalen Bruch mit dessen<br />

Prinzipien und Ideologie. Man ist zwar damit beschäftigt, Parteiabzeichen und Ariernach-<br />

weise schnellstmöglich zu entsorgen, zu einer tiefgreifenden intellektuellen Ausein-<br />

andersetzung mit dessen Ideologie geschweige denn mit eigener »Schuld« hat dies nicht<br />

geführt. Wenn <strong>Heuss</strong> sieben Jahre später von einer »Kollektivscham« statt einer »Kollek-<br />

tivschuld« redet, ist dies möglicherweise eine fast provozierende Sichtweise – wenn man<br />

auch heute andere Standards bei der Beantwortung der Schuldfrage anlegen würde. Nach<br />

den OMGUS-Daten stößt die Idee des Nationalsozialimus auf relativ große Akzeptanz in<br />

der Bevölkerung. Ungefähr die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass der Nationalso-<br />

zialismus eine gute Sache ist, die schlecht ausgeführt wurde: 1945 sind es 53%, 1947<br />

55% und 1948 konstant 55,5%. 39<br />

38 Feldkamp (1998); S.176<br />

39 Merrit/Merrit (1970); S. 33<br />

21


Wann ging es den Deut-<br />

schen in diesem Jahrhundert<br />

am Besten? Bei den Ant-<br />

worten auf diese Frage zeigt<br />

sich von 1951 bis 1970 eine<br />

stärker werdende Unterstüt-<br />

zung der westdeutschen<br />

Demokratie. 40 (Abb. 2] Die<br />

Jahre zwischen 1951 und<br />

1959 sind in besonderer<br />

Weise ausschlaggebend, da<br />

hier nahezu linear die Bun-<br />

desrepublik zur Lieblingsepo-<br />

che der Deutschen aufsteigt.<br />

Die Gegenfrage, wann es<br />

Deutschland am schlechtes-<br />

ten ging, zeigt dennoch, wie<br />

ambivalent das deutsche<br />

Verhältnis zum Nationalsozialismus ist: Vier Fünftel nannten die Nachkriegszeit, 8% die<br />

Zeit des Nationalsozialismus. Schildt erklärt dies unter anderem damit, dass in der so-<br />

zialen Wahrnehmung die NS-Zeit in zwei Phasen unterteilt wird und dass dies nach<br />

folgendem Schema geschehen sei: »Diese lebensgeschichtliche Periodisierung – 1933/35<br />

bis 1941 als 'die guten Jahre', 1942 bis 1948 als die 'schlechte Zeit' und die folgenden<br />

Jahre als Phase stetiger Besserung.« 41<br />

Wenn die Frage auch nur bedingt die ideologische Verfestigung eines Weltbildes er-<br />

hebt, weil sie Output-Anforderungen wie Wohlstand, Sicherheit etc. integriert, muss den-<br />

noch von einem wesentlichen Bestandteil von NS-Ideologie in der frühen politischen Kultur<br />

ausgegangen werden. OMGUS teilt die Befragten 1947 in fünf ungefähr gleich große Grup-<br />

pen ein: Demnach sind nur ungefähr ein Fünftel der Bevölkerung keine Antisemiten, Na-<br />

tionalisten, Rassisten oder verfestigte Antisemiten. Ein ähnliches Bild zeigen auch andere<br />

(frühere) OMGUS-Umfrageergebnisse, denen zufolge 30% der Deutschen meinen, dass<br />

Farbige einer minderwertigen Rasse angehören. Ein Drittel meint, dass Juden nicht die<br />

gleichen Rechte wie Angehörige der arischen Rasse haben sollen. Immerhin 37% der<br />

Befragten verneinten die Feststellung, dass die Auslöschung von Juden, Polen und<br />

anderen Nicht-Ariern unnötig für die Sicherheit Deutschlands war.<br />

40 nach Conradt (1980); S. 226; Daten nach Allensbach-Institut;<br />

Frage: Wann in diesem Jahrhundert ging es Deutschland am besten?<br />

41 Schildt (1999); S. 91<br />

85<br />

80<br />

75<br />

70<br />

65<br />

60<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

45<br />

42<br />

7<br />

4<br />

2<br />

51 59 63 70<br />

Abbildung 2<br />

Wann ging es Deutschland am Besten?<br />

In Prozent<br />

22<br />

42<br />

28<br />

18<br />

62<br />

16<br />

81<br />

Bundesrepublik<br />

3. Reich<br />

(Vorkrieg)<br />

Weimarer Republik<br />

Kaiserreich<br />

andere<br />

10<br />

8 7 7<br />

4<br />

5<br />

5<br />

2


Eine Frage aus der Civic-Culture-Studie kombiniert die Einstellung mit der Bereitschaft<br />

zur Partizipation. (Abb. 3] 42<br />

pol. Interesse 1959 1962 1972<br />

hoch 48 57 59<br />

mittel 27 34 31<br />

gering 19 24 20<br />

Abbildung 3<br />

Aktive Opposition gegen neue Nazi-Partei?<br />

Die Zahl derjenigen, die aktiv werden wollen würden, steigt bei den politisch stark In-<br />

teressierten zwischen 1959 und 1972. Bei denjenigen mit mittlerem und geringem Inter-<br />

esse steigt diese Bereitschaft in geringerem Maße und geht nach 1962 sogar zurück. In<br />

Zusammenhang damit muss gesehen werden, dass die Gruppe der politisch Interessierten<br />

insgesamt größer geworden ist (29% im Jahr 1959, 37% im Jahr 1962) und die der nicht<br />

Interessierten kleiner (35% 1959, 24% 1962). Alles in allem bedeutet dies, dass 1962 ein<br />

größerer Teil der Befragten auf der Input-Seite mobilisierbar ist als 1959. Dies spricht erst<br />

einmal für größere System-Unterstützung. Zu fragen wäre, ob die Nicht-Bereitschaft zur<br />

Opposition durch mangelnde Partizipationskompetenz oder durch ideologische Überein-<br />

stimmung mit den Zielen einer Nazi-Partei erklärbar ist. Eine Ergänzung dieser Frage, die<br />

Allensbach vorgenommen hat, lässt Letzteres vermuten. Demnach wären die Deutschen<br />

eher geneigt, gegen ein kommunistisches System zu kämpfen als gegen ein NS-Regime.<br />

▌ Allgemeines politisches Interesse<br />

Nach 1945 überwog bei weitem die Einstellung, dass Politik keine erstrebenswerte be-<br />

rufliche Perspektive für den eigenen Nachwuchs sei. Laut OMGUS wollen 1947 und 1948<br />

drei Viertel der Bewohner der amerikanischen Zone (75%) ihre Kinder besser nicht in der<br />

Politik sehen. Dieser Wert ist im Ländervergleich mit den USA oder England um ca 10%<br />

höher. Ursachen sind zum Teil verwurzelte Ressentiments gegenüber der Politik, etwa<br />

dass Politik ein schmutziges Geschäft sei, zum Teil aber auch ganz praktische Befürch-<br />

tungen davor, sich politisch zu exponieren: »Jemand ist für 10 Jahre Politiker und dann<br />

42 Conradt (1980); S. 240; Daten nach Allensbach-Institut; Frage: Nehmen wir mal an, dass eine neue<br />

Nazi-Partei versucht, an die Macht zu kommen, wie würden Sie reagieren? Ich würde alles in meiner<br />

Macht Stehende tun, das zu verhindern.<br />

23


landet er im KZ.« 43 Eine korrespondierende Entwicklung ist die eher passive Haltung dem<br />

Politischen gegenüber: Mehr oder weniger konstant 60% der Befragten überlassen Politik<br />

lieber den anderen, nur 40% sind aktiv interessiert. 44 Im Vordergrund des Interesses<br />

stehen in der Zeit andere Dinge, an erster Stelle die Sicherung und Verbesserung der ma-<br />

teriellen Situation. Mit dem geringen Interesse korrespondiert ein geringes Informations-<br />

niveau: Demnach wussten im Mai 1949 nur 39% der durch OMGUS Befragten, dass der<br />

Parlamentarische Rat eine Verfassung erarbeitet hat, nur 17% der Befragten konnten et-<br />

was über deren Inhalt sagen. Über 96% der Befragten wussten zwar etwas über Wahlen<br />

zu sagen (1. Bundestagswahlen), jedoch nur weniger als die Hälfte wussten, was genau<br />

gewählt wurde. 45 Schildt ergänzt: »Dem niedrigen Niveau des politischen Interesses ent-<br />

sprach der geringe Informationsgrad über die institutionellen Regelungen des parlamen-<br />

tarischen Systems. Jeweils zwei Dritteln der Bevölkerung war es in der Frühphase der<br />

Bundesrepublik unbekannt, dass der eigene Wahlkreis durch einen Abgeordneten im<br />

Parlament vertreten war, und ebenso viele besaßen nicht einmal ungefähre Vorstellungen<br />

über den Gang der Gesetzgebung.« 46<br />

Dies scheint sich im Laufe der fünfziger Jahre geändert zu haben: Almond/Verbas Da-<br />

ten für 1959 sagen beispielsweise aus, dass die Deutschen im Fünf-Länder-Vergleich die-<br />

jenigen sind, die sich am regelmäßigsten über Politik informieren. 47 Dieser Trend zur<br />

besseren Information dürfte auch von den verbesserten Möglichkeiten sich zu informieren<br />

unterstützt worden sein. Eine wichtige Rolle spielte das Radio: Schon 1952 gab es so viele<br />

Radios in den westdeutschen Haushalten wie vor dem Krieg, bis zum Ende des Jahrzehnts<br />

stand ein solches Gerät in nahezu jedem Haushalt. 48<br />

43 Merritt/Merritt (1970); S. 45, S.210 2ff.<br />

44 Merritt/Merritt (1970); S. 295<br />

45 Merritt/Merritt (1970); S. 315<br />

46 Schildt (1999); S. 95<br />

47 Almond/Verba bewerten dies für 1959 anders: Sie weisen darauf hin, dass die Deutschen am Ende<br />

der 50er Jahre im Vergleich mit den anderen Ländern (UK, USA, MEX, IT) den höchsten Grad an In-<br />

formiertheit besitzen: 34% folgen politischen und Regierungsdingen regelmäßig, weitere 38% von<br />

Zeit zu Zeit. (Almond/Verba (1963); S. 54; S. 312) Demgegenüber sieht OMGUS die Bewohner der<br />

amerikanischen Zone als betont uninformiert.<br />

48 Schildt (1999); S. 67<br />

24


Das Allensbach-Institut er-<br />

fragt seit 1952 das politische In-<br />

teresse der Westdeutschen an<br />

Politik (Abb. 4] 49 Man kann bis<br />

1983 eine nahezu lineare Ent-<br />

wicklung in Richtung Interesse<br />

beobachten. Während sich 1952<br />

nur 27% der Befragten für Poli-<br />

tik interessierten, erreicht das<br />

Interesse 1973 mit 49% einen<br />

Höhepunkt. Der Wendepunkt, an<br />

dem mehr Menschen sich inter-<br />

essiert zeigten als nicht inter-<br />

essiert, trat um 1961 ein. Der<br />

Anteil derjenigen, die sich nicht<br />

besonders interessieren, liegt re-<br />

gelmäßig um 40% herum. Wenn<br />

man diese Daten nun auf die fünfziger Jahre bezieht, so lässt sich feststellen, dass die be-<br />

reits in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre beobachteten Einstellungen des Desinter-<br />

esses beziehungsweise Nicht-Interesses dominant waren. Beides ging bis Anfang der 60er<br />

Jahre zurück. Seitdem gab es mehr Interessierte als Nichtinteressierte.<br />

Charakteristisch für die Deutschen war, dass sie Politik nicht als interessant wahr-<br />

nahmen, aber als notwendig und für das eigene Leben bedeutsam: »Im Jahre 1953<br />

schrieben 64 Prozent der Bundesbürger der Politik eine große Bedeutung für das eigene<br />

Leben zu, im Jahre 1974 waren es 77, 1979 71 Prozent.« 50<br />

▌ Interesse auf der lokalen Ebene<br />

Bei Untersuchungen zum Engagement auf der lokalen Ebene wird deutlich, dass der<br />

Grad an politischem Interesse stieg, je konkreter das politische Umfeld war. Unter ande-<br />

rem am Beispiel des fränkischen Raums und des Ruhrgebiets untersuchten Beyer/Holt-<br />

mann das politische Verhalten der Deutschen auf lokaler Ebene: Demnach war das Inter-<br />

esse an Parteiveranstaltungen nach dem Krieg relativ hoch gewesen, wenn es auch<br />

schwankte: Vor Wahlen waren solche Veranstaltungen stärker und in Versorgungskrisen -<br />

vorwiegend im Winter – schwächer besucht. Auch sei eine Zunahme des unkon-<br />

ventionellen, nicht gebundenen Engagements zu beobachten gewesen. Charakteristisch<br />

49 Nach Gabriel (1987); S. 184; Daten von: Wiesendahl, Mannheimer Wahlstudien und Noelle-Nau-<br />

mann. Frage: Einmal ganz allgemein gesprochen – interessieren Sie sich für Politik?<br />

50 Gabriel (1987); S. 185<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Abbildung 4<br />

Allgemeines Interesse an Politik<br />

25<br />

41<br />

32<br />

27<br />

36<br />

35<br />

29<br />

ja<br />

nein<br />

40<br />

33<br />

27<br />

44<br />

31<br />

25<br />

nicht<br />

besonders<br />

39<br />

37<br />

24<br />

43<br />

35<br />

22<br />

40<br />

39<br />

52 59 60 61 62 65 67 69 71 77 83<br />

21<br />

44<br />

41<br />

15<br />

49<br />

43<br />

41 41<br />

16<br />

10<br />

53<br />

34<br />

13


war gleichzeitig eine »subjektiv vorpolitische oder unpolitische Interessenhaltung.« 51 Be-<br />

reitschaft zum Engagement verbindet sich dabei - ganz im Sinne der deutschen politisch-<br />

kulturellen Tradition - mit einer negativen Konnotation des Begriffs »politisch« und einer<br />

positiven Konnotation des Begriffs »unpolitisch.« Im Vordergrund stehen das Interesse an<br />

sachorientierten Lösungen und die Abwehr von Politisierung.<br />

Auch bei der Einschätzung ihres eigenen Gestaltungsspielraums sahen diesen die meis-<br />

ten Befragten auf der lokalen Ebene, wie die folgende (Abb. 5] illustriert. 52 »Während na-<br />

hezu zwei Drittel der Bundesbürger glaubten, etwas gegen eine ungerechtfertigte Verord-<br />

nung der Lokalverwaltung unternehmen zu können, sahen lediglich 37% eine Chance, sich<br />

gegen ein ungerechtfertigtes Gesetzgebungsvorhaben des Bundestages zur Wehr zu<br />

setzen.« 53<br />

Gemeindeverordnung<br />

1959 1974<br />

könnte etwas tun 62 67<br />

könnte nichts tun 31 29<br />

Abbildung 5<br />

Input-Seite: Einflussmöglichkeit auf legislative Akte<br />

▌ Wahlbeteiligung<br />

Bundesgesetz<br />

1959 1974<br />

38 56<br />

59 39<br />

Am 14. August 1949 gingen 78,5% der Wahlberechtigten zur ersten Bundestagswahl<br />

(die OMGUS-Prognosen waren waren hier relativ genau: 80% wurden prognostiziert).<br />

Dieses Resultat steigerte sich 1953 auf 86% und 1957 auf 87,8%. Diese Steigerung kann<br />

durchaus als Indikator für eine stärkere Unterstützung des politischen Systems gesehen<br />

werden. Eine andere Interpretation ist jedoch ebenfalls verbreitet: dass die Deutschen vor<br />

allem der Meinung seien, zur Wahl zu gehen sei ihre »staatsbürgerliche Pflicht.« 54 Dies<br />

korrespondiert auch mit den Ergebnissen von OMGUS von 1949: 27% gaben an, gewählt<br />

zu haben, weil es ihre Pflicht sei, 18% wollten den Kommunismus bekämpfen, 18% gaben<br />

51 Beyer/Holtmann (1987); S. 152<br />

52 Nach Gabriel (1987); S. 205<br />

Fragen: 1. Angenommen, hier in der Gemeindeverwaltung (Stadtverwaltung) würde eine Verord-<br />

nung in Betracht gezogen, die Sie als sehr ungerecht oder nachteilig betrachten. Was meinen Sie,<br />

könnten Sie etwas dagegen tun?; 2. Und wenn wir jetzt einmal annehmen, dass im Bundestag in<br />

Bonn ein Gesetz in Erwägung gezogen würde, das Sie als sehr ungerecht und nachteilig ansehen.<br />

Was meinen Sie, könnten Sie dagegen unternehmen?<br />

53 Gabriel (1987); S. 187<br />

54 Daten: Bundeswahlleiter: http://www.bundeswahlleiter.de<br />

26


an, eine Partei unterstützen zu wollen, und 14% erhofften sich primär bessere Lebensbe-<br />

dingungen. 55 Die auf 86% gestiegene Wahlbeteiligung ging 1953 einher mit einer deutli-<br />

chen Stärkung des Regierungslagers (allein 249 von 509 Sitzen für die CDU/CSU).<br />

▌ Parlament und Regierung<br />

Ein Vorbehalt gegen Parlamente und den »Parteienstreit« ist in der deutschen politi-<br />

schen Kultur verwurzelt. An der Akzeptanz mehrerer Parteien lässt sich ablesen, wie stark<br />

das pluralistische Prinzip an Einfluss gewann. Während 1953 die meisten Befragten keine<br />

Meinung zu dem Thema hatten oder glaubten, dass die Aufgabe des Parlamentarismus nur<br />

mit einer Partei erfüllt werden kann, änderte sich das bis 1979. (Abb. 6] 56<br />

Dessen ungeachtet sind die<br />

Westdeutschen nach 1950 der Mei-<br />

nung gewesen, ein Parlament sei<br />

prinzipiell notwendig. Zwischen den<br />

Jahren 1956 und 1962 meinten das<br />

immer um die 70%. Schüttemeyer<br />

untersucht die diffusen Bewertung<br />

des Bundestags als Volksvertre-<br />

tung: »Wie denken Sie über den<br />

Bonner Bundestag als unsere<br />

Volksvertretung?« 57 (Abb. 7] Zu-<br />

nächst fällt bei der Unterstützung<br />

ein Trend nach oben auf, gleich-<br />

wohl bis 1953 die Zahl derjenigen<br />

überwiegt, die das Parlament mä-<br />

ßig bis schlecht bewerten. Der Tief-<br />

punkt der Bewertung 1952 auszu-<br />

machen. Hierbei mag die<br />

Auseinandersetzung um Wiederbe-<br />

waffung und die Europäische Ver-<br />

teidigungsgemeinschaft eine Rolle<br />

55 Merrit/Merritt (1970); S. 316<br />

56 nach Institut für Demoskopie (1981); Tabelle 80<br />

Frage: Glauben Sie, dass es besser ist, wenn eine Partei, mehrere Parteien oder keine Partei gibt?<br />

Nachfrage: Wie viel Parteien etwa?<br />

57 nach Schüttemeyer (1987)<br />

Frage: Wie denken Sie über den Bundestag als Volksvertretung?«<br />

nach Daten von Schüttemeyer, Emnid<br />

27<br />

2 Parteien<br />

3 Parteien<br />

4 Parteien<br />

keine<br />

Partei<br />

1 Partei<br />

keine<br />

Meinung<br />

Abbildung 6<br />

1<br />

6<br />

6<br />

0 10 20 30 40<br />

Unterstützung für Pluralismus?<br />

7<br />

7<br />

8<br />

19<br />

21<br />

20<br />

22<br />

53<br />

79<br />

30<br />

36


gespielt haben. Die Mehrheit der Deutschen folgte damals den Auffassungen der par-<br />

lamentarischen Opposition. Andererseits folgt im November 1953 ein Höhepunkt (nach<br />

der Bundestagswahl).<br />

100<br />

95<br />

90<br />

85<br />

80<br />

75<br />

70<br />

65<br />

60<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

25 22 13 12 4 4 5 8 6 14 11 10 11<br />

9<br />

28<br />

7<br />

13<br />

31 35<br />

27<br />

3<br />

51 52 05/ 53 11/ 53 54 55 56 57 58 61 63 67 70<br />

ohne Meinung<br />

schlecht<br />

mäßig<br />

gut<br />

Abbildung 7<br />

10<br />

31<br />

37<br />

ausgesprochen gut<br />

Bewertung des Bundestags als Volksvertretung<br />

in Prozent, kumuliert<br />

9<br />

4<br />

25<br />

42<br />

17<br />

10 6 12<br />

37<br />

40<br />

9<br />

33<br />

43<br />

14<br />

37<br />

40<br />

Bei der Bewertung des Bundestags spielt nach Schüttemeyer auch die Bewertung der<br />

Regierungspolitik eine wichtige Rolle, weil bei bewusst unspezifisch gestellten Fragen<br />

wenig zwischen Legislative und Exekutive differenziert wird. Dies deckt sich auch mit den<br />

Aussagen Patzelts, der eine Art präsidentiellen Affekt feststellt: »Die meisten Deutschen<br />

wissen zwar, dass bei uns die Regierung aus dem Parlament hervorgeht und dass dem<br />

aus Regierung und regierungstragenden Fraktionen bestehenden Führungszentrum des<br />

politischen Systems die parlamentarische Minderheit als Opposition gegenübersteht. Dass<br />

ein Regierungssystem so, nämlich als parlamentarisches, auch konstruiert sein sollte,<br />

glaubt aber nur eine Minderheit der Bürger. Viel populärer ist unter ihnen das Konstruk-<br />

6<br />

28<br />

7<br />

30<br />

44<br />

11<br />

16<br />

41<br />

31<br />

6<br />

25<br />

49<br />

6 6<br />

7 4 5<br />

36<br />

28<br />

31<br />

42<br />

53<br />

47<br />

4 5 6


tionsprinzip des präsidentiellen Regierungssystems.« 58 Wenn dieses Beispiel den Einfluss<br />

der Tagespolitik auf die Zustimmungskurven zeigt, so kann man aus Schüttemeyers<br />

Ergebnissen auch eine langfristige Tendenz herauslesen. Mit der Zunahme der Zustim-<br />

mung geht gleichzeitig der Anteil derjenigen zurück, die vorgeben, keine Meinung zu<br />

haben, dies ist ein Zeichen für eine stärkere Politisierung. Bildet man zwei Lager, erstens<br />

die »Positiven (»gut« + »ausgesprochen gut«) sowie die »Skeptiker« (»mäßig« +<br />

»schlecht«), fällt in der hier verwendeten kumulativen Darstellung auf, dass sich seit Mai<br />

1953 ungefähr gleich große Blöcke gegenüberstehen, wobei der Block der Positiven seit<br />

Mai 1953 eher eine strukturelle Mehrheit besitzt. Noch deutlicher wird die Tendenz zur Un-<br />

terstützung, wenn man diejenigen ohne Meinung nicht berücksichtigt. Das heißt, dass seit<br />

1953 eine Stabilisierung des »diffuse support« beobachtbar ist.<br />

▌ Interpersonales Vertrauen<br />

Eine weitere Frage ist die nach dem interpersonalen Vertrauen. 1948 meinten lediglich<br />

9% der Deutschen, dass man den meisten Menschen trauen könne, 1959 ist dieser Anteil<br />

auf 19% gestiegen, 1967 auf 26% und 1976 auf 39%. Wenn das Fehlen von interperso-<br />

nalem Vertrauen dergestalt interpretiert werden kann, dass eine Gesellschaft wenig parti-<br />

zipativ, aber stark »privatisiert« ist, so sollte mit einem Anstieg eine höhere Bereitschaft<br />

zur Kommunikation und Partizipation einhergehen. Der Anstieg an interpersonalem Ver-<br />

trauen hat zusätzlich auch Rückwirkungen auf das Menschenbild und damit indirekt auf<br />

das System. Gabriel/Kunz/Roßteuscher/van Deth weisen auf die ambivalente Aussagekraft<br />

der Variable für »diffuse support« hin: Auf der einen Seite ließe sich am Beispiel der Bun-<br />

desrepublik »die Bedeutung von Demokratisierungsprozessen für das Entstehen sozialen<br />

Vertrauens« 59 exemplarisch studieren, auf der anderen Seite gibt es in unterschiedlichen<br />

Gesellschaften unterschiedliche Vertrauensniveaus: Während das Vertrauen in den USA<br />

und Großbritannien von 1950 bis heute zurückgegangen ist, ist es in Deutschland oder<br />

Italien angestiegen. Schweden und Norwegen sind weltweite Vertrauens-Spitenreiter.<br />

Schildt liefert uns den Hinweis, dass mangelndes interpersonales Vertrauen nicht nur aus<br />

Misstrauen, sondern auch aus Angst resultieren kann: In den frühen Jahren der Bundesre-<br />

publik war es nicht zuletzt die noch anhaltende Unbestimmtheit des sozialen Status vieler<br />

Menschen und die extreme Diffusität traditioneller Leitbilder angesichts des verlorenen<br />

Kriegs, die Verhaltensunsicherheit bewirkten, ebenso wie bald darauf die Einstellung auf<br />

die rasante gesellschaftliche Modernisierung mit ihren soziokulturellen Folgen.« 60 Dement-<br />

sprechend nimmt interpersonales Vertrauen mit zunehmender Statussicherheit und mit<br />

58 Patzelt (2000); S.4<br />

59 Gabriel/Kunz/Roßteutscher/van Deth (2002); S. 66f.<br />

60 Schildt (1999); S. 88<br />

29


der Form gesellschaftlicher Stabilität zu, die in der Lage ist, sozialen Wandel ohne Gefähr-<br />

dung von Staat und Status zu gewährleisten.<br />

▌ Politische Tugenden: Subjektiv oder Partizipativ?<br />

Eines der Kernanliegen Almond/Verbas ist die Differenzierung nach aktiven partizipa-<br />

tiven Ansprüchen an das Politische auf der einen Seite und nach passiven, an den Ergeb-<br />

nissen orientierten auf der Gegenseite. Das Erstere nennen sie Input-Ebene. Leitkompe-<br />

tenz ist hier die so genannte »Citizen Competence«: »As competent citizens they perceive<br />

themselves as able to affect governemental decisions through political influence.« Das<br />

Pendant auf der Output-Seite ist die »Subject Competence«: »As competent subjects they<br />

perceive themselves able to appeal to a set of regular and orderly rules in their dealings<br />

with administrative officials.« 61<br />

In diesem Sinne sind die Deutschen als primär subjektkompetent beschrieben worden.<br />

Ein Beispiel für Subjektkompetenz ist die von Almond/Verba so genannte Admini-<br />

strationskompetenz: Demnach erwarten Deutsche eine faire Behandlung sowie eine Be-<br />

rücksichtigung des eigenen Anliegens von Behörden (Abb. 8]. 62<br />

Behörden<br />

1959 1977 1980<br />

ja 65 66 68<br />

Das kommt<br />

darauf an<br />

19 18 19<br />

Nein 9 9 10<br />

Abbildung 8<br />

Polizei<br />

1959 1977 1980<br />

72 69 69<br />

15 16 17<br />

9 8 4<br />

Gerechtigkeit bei Behörden und Polizei: Administrationskompetenz<br />

Almond/Verba ziehen hieraus den Schluss, dass die Deutschen stärker zur Output-<br />

Ebene tendieren: »Germany is the only nation of the five studied in which the sense of<br />

administrative competence occurs more frequently than a sense of political<br />

61 Almond/Verba (1963); S. 168 ff.<br />

62 Gabriel (1987); S. 265; Daten nach Almond/Verba (1963); ALLBUS:<br />

Frage: 1. Angenommen, Sie hätten sich in irgendeiner Angelegenheit an eine Behörde zu wenden –<br />

z.B. in einer Steuer- oder Wohnungsangelegenheit: Glauben Sie, dass man sie dort gerecht be-<br />

handeln würde, also so wie jeden anderen auch? 2. Wenn Sie einmal Unannehmlichkeiten mit der<br />

Polizei hätten, etwa wegen einer Verkehrsübertretung oder wenn Sie eines geringen Vergehens be-<br />

schuldigt würden: Würde man Sie dort gerecht behandeln, d.h. ebenso wie jeden anderen auch?<br />

30


competence.« 63 In ihren Ansprüchen an den Staat wären die Deutschen mit einem bloß<br />

administrativen Staat bereits zufrieden. Auch OMGUS deckt dieses Fazit: Vor die Wahl ge-<br />

stellt, ob man eine Regierung hat, die ökonomische Sicherheit und gute Verdienst-<br />

möglichkeiten ermöglicht, oder eine, die freie Wahlen, Freiheit des Worts und religiöse<br />

Freiheit garantiert, entschieden sich 1947-1949 regelmäßig zweimal so viele Befragte für<br />

die ökonomische Sicherheit (60% zu 30%). 64 Auf der anderen Seite zeigt Turek eine Ver-<br />

änderung auf, die auf der Input-Ebene stattgefunden hat. Demnach sind 1978 zwei Drittel<br />

der Deutschen bereit, sich gegen ungerechtfertigte Behandlung zu wehren, und nur eine<br />

Minderheit fühlt sich noch politisch wehrlos: »Das resignierende 'hat keinen Sinn', 1950<br />

noch von 37% hervorgebracht, ist im Laufe der Jahre kontinuierlich zurückgegangen und<br />

betrug 1978 nur noch 22%. Der Wille, sich zu wehren, hat von 1950 mit 52% zu 1978<br />

mit 70% deutlich zugenommen.« 65<br />

Gabriel weist darauf hin, dass die Veränderungen in späteren Zeiten weniger »durch<br />

Abbau positiver Output-Orientierungen, sondern durch eine Ausbreitung des Gefühls der<br />

Staatsbürgerkompetenz bedingt« zustande kamen. 66 Das bedeutet, dass Output-<br />

Orientierung nach wie vor eine der wichtigsten Motivationen gegenüber der Demokratie<br />

ist. Sie ist kein aufgrund materiellen Mangels temporäres Phänomen, sondern ein Charak-<br />

teristikum der deutschen politischen Kultur, das diese allerdings mit der aller westlichen<br />

Industriegesellschaften teilt. 1999, im fünfzigsten Jahr des Bestehens der Bundesrepublik,<br />

gaben nach einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Banken 47% der Westdeut-<br />

schen an, besonders stolz auf die sozialen Errungenschaften ihres Staats zu sein. Auf Platz<br />

zwei steht die Wirtschaft mit 33% und danach erst kommt die Demokratie mit 32% der<br />

Nennungen. 67<br />

Doch selbst diejenigen, die diese Output-Orientierung des »Wirtschaftsnationalismus«<br />

verdächtigen, vermuten, dass eine substantielle Entwicklung hin zu einer unterstützenden<br />

politischen Kultur stattgefunden hat. So Habermas 1989: »Für uns in der Bundesrepublik<br />

bedeutet Verfassungspatriotismus unter anderem den Stolz darauf, dass es uns gelungen<br />

ist, den Faschismus auch auf Dauer zu überwinden, eine rechtsstaatliche Ordnung zu eta-<br />

blieren und diese in einer halbwegs liberalen politischen Kultur zu verankern.« 68<br />

63 Almond/Verba (1963); S. 313<br />

64 Merritt/Merritt (1970); S. 42; nach OMGUS Report June 1949; S.7<br />

65 Turek (1989); S. 243; Daten nach Allensbach-Institut<br />

66 Gabriel (1987); S. 264<br />

67 Bundesverband der deutschen Banken (1999); S. 15<br />

68 Habermas (1990); S. 152<br />

31


▌ Zusammenfassung: Output Input Partizipation<br />

Alles in allem erscheinen die fünfziger Jahre als eine Phase der Transformation. »In<br />

den Kulissen des neuen Stücks namens Bundesrepublik stehen noch höchst real das Ges-<br />

tern und Vorgestern – das Scheitern der Republik von Weimar, der Irrweg, den die Deut-<br />

schen mit dem Dritten Reich beschritten hatten, der verlorene Krieg und die Verwüs-<br />

tungen, die er hinterlassen hat – im Äußeren wie im Inneren.« 69 Um 1948, zum Zeitpunkt<br />

der Verfassungsgebung, der Gründung der ersten politischen Institutionen, die über Län-<br />

dergrenzen hinaus reichten, und als sich die Zweiteilung Deutschlands deutlich abzeich-<br />

nete, war die Einstellung der Bevölkerung gegenüber dem Politischen im Allgemeinen sehr<br />

reserviert. Weitaus wichtiger war die Verbesserung der Lebensbedingungen. Aus Sicht der<br />

Bevölkerung kam der Ökonomie eine wichtigere Rolle zu als der Politik. Wäre es nach ihr<br />

gegangen, wäre der Staat auch gut in den Händen einer kompetenten Verwaltung aufge-<br />

hoben gewesen. An dieser Wirtschaftsorientierung hat sich zwar nicht viel geändert, hin-<br />

zugekommen ist jedoch eine Stärkung der Input-Seite, sowohl als Einforderung partizipa-<br />

tiver Politik als auch als Bereitschaft, den zugewiesenen Einfluss zu nutzen. Dies jedoch<br />

unter dem Vorzeichen steigender Wirtschaftskraft. »Das Amalgam von Sozialer Marktwirt-<br />

schaft, Westintegration und demokratischer Ordnung – ein Erfolgsmodell unter einmalig<br />

günstigen weltwirtschaftlichen Bedingungen - wuchs auch im Bewusstsein der Bevölke-<br />

rung zu einem Erfolgsmodell zusammen, und dabei galt als entscheidende Zäsur die Wäh-<br />

rungsreform.« 70 Zeitlich lässt sich diese Veränderung der politischen Kultur bereits im<br />

ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik festmachen. Die Unterstützung von System und ein-<br />

zelnen Teilen nimmt zu, die Kabinette Adenauer sind in der komfortablen Lage, auf stabi-<br />

len Mehrheiten aufbauen zu können. Damit geht ein Konzentrationsprozess im Parteien-<br />

system einher, der seinen Höhepunkt erst um das Jahr 1976 herum erreicht.<br />

Ideologisch kommen nach dem Krieg deutliche Referenzen an die unmittelbare<br />

Vergangenheit zum Tragen. Die Vorkriegsjahre werden vielfach als die »guten Jahre« be-<br />

trachtet, antisemitische und autoritäre Parlamentarismusvorstellungen ergänzen dies. Bald<br />

kommt auch dem Antikommunismus eine wichtige Integrationsrolle zu.<br />

Wenn man die besondere Situation der politischen Kultur in der Bundesrepublik der<br />

Anfangsjahre betrachtet, den Vorlauf der Verfassungspolitik vor der Verfassungskultur, so<br />

herrscht später weitgehend Einigkeit darüber, dass die Erfüllung der Verfassung mit Leben<br />

weitgehend gelungen ist. Sternberger fasst dies 1979 unter dem Begriff des<br />

»Verfassungspatriotismus« zusammen und bilanziert: »Die Verfassung ist aus der<br />

Verschattung gekommen, worin sie entstanden war. In dem Maße, wie sie Leben gewann,<br />

wie aus bloßen Vorschriften kräftige Akteure und Aktionen hervorgingen, wie die Organe<br />

sich leibhaftig regten, die dort entworfen, wie wir selbst die Freiheit gebrauchten, die dort<br />

69 Rudolph (2000); S. 13<br />

70 Schildt (1999/2); S. 24<br />

32


gewährleistet waren, wie wir in diesem Staat uns zu bewegen lernten, hat sich unmerklich<br />

ein neuer, zweiter Patriotismus ausgebildet.« 71 Der Gedanke eines solchen sowohl empi-<br />

rischen als auch normativen demokratischen Patriotismus diffundierte bis über die acht-<br />

ziger Jahre hinaus in den Bereich des common sense.<br />

2.2 Politische Elite nach 1945<br />

Elite und Bevölkerung unterscheiden sich sowohl in ihren Handlungsmöglichkeiten als<br />

auch in ihren Einstellungen. Dies manifestiert sich beispielsweise in Ansichten zu poli-<br />

tischen Kernfragen. In den ersten Nachkriegsjahren stießen die Gedanke einer demokra-<br />

tisierten Wirtschaftsverfassung und der Sozialisierung von Industrien zunächst auf große<br />

Befürwortung in der Bevölkerung. In den Fällen, in denen Landtage Schritte in diese Rich-<br />

tung beschlossen, intervenierte allerdings auch die Besatzungsmächte (wie zum Beispiel in<br />

Nordrhein-Westfalen). Auch in der Frage der »Wiederbewaffnung«, also der Errichtung<br />

einer westdeutschen Armee im Rahmen eines westlichen Militärbündnisses, spiegelte sich<br />

ein Grunddissens zwischen Bevölkerung und politisch Handelnden wider: Im Dezember<br />

1949 antworteten auf die Frage, ob sie wieder Soldat werden möchten, 74,6% mit<br />

»nein« 72 . Auch 1952 während der Beratungen über die »Europäische Verteidgungsge-<br />

meinschaft (siehe auch im vierten Kapitel) antworteten lediglich 36% mit Ja (gegenüber<br />

50% Nein-Stimmen) auf die Frage: »Sind Sie für den Aufbau einer neuen deutschen<br />

Wehrmacht im Rahmen einer Europa-Armee?« 73 Eine zeitgleich in Großbritannien durch-<br />

geführte Untersuchung bot das gegenläufige Bild (44% ja; 29% nein). Dessen ungeachtet<br />

verfolgte die Regierung Adenauer bereits seit 1949 den Aufbau neuer militärischer Struk-<br />

turen.<br />

Gerade auch im Bereich des politischen Extremismus handelten die im Bundestag<br />

vertretenen Parteien konsequent. Die am 2.Oktober 1949 in Hameln gegründete »Sozia-<br />

listische Reichspartei« eine neofaschistische Organisation, begegnete ebenso wie die<br />

»Kommunistische Partei Deutschland« zunehmenden Einschränkungen in der politischen<br />

Arbeit. Das Strafgesetzbuch wird 1951 um das Delikt der »Staatsgefährdung« erweitert.<br />

Es folgten Verbote von Vorfeldorganisationen, Medienzensur und 1952 werden beide<br />

Parteien verboten. Wenn auch die Auffassungen über die angemessene Art der Auf-<br />

arbeitung des Nationalsozialismus Anlass zu heftigen Kontroversen lieferte, bildete sich in<br />

71 Sternberger (1990); S. 13<br />

72 nach Kraushaar, Wolfgang (1996/Band1); S.172; nach einer Umfrage von EMNID für den SPIEGEL<br />

(17.01.1950)<br />

73 nach Kraushaar, Wolfgang (1996/Band1); nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts für den<br />

SPIEGEL (21.04. 1952)<br />

33


der Haltung gegenüber diesen extremistischen Parteien ein frühzeitiger Konsens aus. Das<br />

bereits im Grundgesetz angelegte Prinzip der »wehrhaften Demokratie« zur Sicherung der<br />

»freiheitlich demokratischen Grundordnung« wird immer wieder ausgebaut. Auch bei Ver-<br />

suchen, über Bevölkerungsmobilisierungen auf außerparlamentarischem Weg Einfluss zu<br />

nehmen, reagierten die im Bundestag vertretenen Parteien mit Misstrauen. Charakteris-<br />

tisch ist vielleicht die Haltung von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> gegenüber den Aktivitäten des ehema-<br />

ligen Innenministers Gustav Heinemann oder gegenüber Martin Niemöllers gegen die Wie-<br />

derbewaffnung. Die Ablehnung galt beidem: Sowohl den konkreten Zielen als auch und<br />

vor allem den Mitteln.<br />

Wer sind die politischen Eliten in der jungen Bundesrepublik? Wenn auch die Beant-<br />

wortung dieser Frage schwer fällt so soll an dieser Stelle zumindest eine der ersten Studi-<br />

en zu den westdeutschen Eliten herangezogen werden. 74 Zapf interessiert die Verände-<br />

rung der Positionen innerhalb der Elite im Laufe mehrerer Jahrzehnte. Er berücksichtigt<br />

also keine auf den politischen Prozess einflussreichen Milieus, sondern interessiert sich für<br />

die Inhaber von identifizierbaren Führungspositionen, ihre Herkunft, ihren Verbleib und<br />

ihre Wechsel. Hierzu untersucht er 258 Positionen in 16 Gruppen: Zum Kern der poli-<br />

tischen Elite zählen Parlamentarier, Parteiführer und Minister. Folgende Grafik stellt ihren<br />

Verbleib in der Führunsgposition dar (Abbildung 9).<br />

gleiche Beschäftigung wie:<br />

n Gruppe vor 1933 1933-40 1940-44 1946 Verfolgung/Exil<br />

17 Kabinett 30% 0% 0% 59% 36%<br />

74<br />

Länderregierungen<br />

15% 1% 1% 32% 15%<br />

44 Parlament 18% 7% 2% 57% 29%<br />

23 CDU-Spitze 27% 0% 0% 57% 45%<br />

29 SPD-Spitze 38% 35% (Exil) 17% (Exil) 72% 68%<br />

66<br />

42<br />

Verwaltungsspitze<br />

Diplomatischer<br />

Dienst<br />

48% 60% 53% 45% 12%<br />

62% 71% 55% 0% 18%<br />

54 Generalität 62% 100% 100% 0% 6%<br />

47<br />

16<br />

19<br />

19<br />

41<br />

Wirtschaftselite<br />

Gewerkschaften<br />

Protestantische<br />

Kirche<br />

Katholische<br />

Kirche<br />

Kommunikation<br />

36% 37% 37% 33% 4%<br />

50% 0% 0% 63% 31%<br />

74% 84% 84% 100% 47%<br />

84% 95% 95% 100% 5%<br />

56% 29% 29% 56% 43%<br />

529 zusammen 43% 44% 38% 53% 23%<br />

Abbildung 9<br />

Vergangenheit von Elitegruppen in der Bundesrepublik 1956<br />

74 Zapf (1965)<br />

34


Zunächst ist ein deutlicher Unterschied der Karrierewege von politischer Elite und<br />

anderen Elitegruppen zu beobachten. Es fällt ins Auge, dass die Karrieren innerhalb der<br />

politischen Elite größtenteils nach dem Krieg begründet wurden – im Gegensatz zu Armee,<br />

Auswärtigem Dienst, Kirchen oder Teilen der Wirtschaftselite. Während etwa 1918 30%<br />

der Reichstagsparlamentarier in die neue Zeit wechselten, lag nach dem zweiten Weltkrieg<br />

der Anteil derjenigen, die vor 1933 MdR waren, bei 6%.<br />

Mit ca. 50 Jahren werden die Spitzenpositionen (im Gegensatz zur rund 10 Jahre<br />

jüngeren Nazi-Elite) relativ spät erreicht, dafür verbleiben die Funktionsträger länger an<br />

ihrer Position (im Verhältnis zur Weimarer Republik). Zudem nehme die Voraussetzung<br />

formaler Bildung als Eintrittskarte in die Führungsebene an Bedeutung zu, »ein Universi-<br />

tätsdiplom wird tendenziell zur Voraussetzung für Elitezugehörigkeit.« So haben zwei<br />

Drittel der bundesrepublikanischen Elite einen Hochschulabschluss. 75 Im Nachfolgenden<br />

die Daten zur Herkunft der Elitegruppen. 76 (Abbildung 10)<br />

soz. Schicht<br />

des Vaters ><br />

Adel<br />

obere<br />

Mittelschicht<br />

1925 1955<br />

untere<br />

Mittelschicht<br />

obere<br />

Unterschicht<br />

untere<br />

Unterschicht<br />

Adel<br />

obere<br />

Mittelschicht<br />

untere<br />

Mittelschicht<br />

obere<br />

Unterschicht<br />

Minister 2 8 3 0 0 2 8 7 3 0<br />

Länderchefs 2 4 4 2 0 1 4 5 0 1<br />

Parlamentsführer<br />

untere<br />

Unterschicht<br />

0 8 7 2 0 1 6 5 2 0<br />

Parteiführer 1 5 5 3 1 0 4 5 2 1<br />

Pol. Elite 5 25 19 7 1 4 22 22 7 2<br />

oberste Jur. 1 10 0 0 0 0 3 4 0 0<br />

Staatssekr. 1 9 4 0 0 2 12 2 0 0<br />

Botschafter 10 13 0 0 0 4 12 3 0 0<br />

Generäle 7 10 0 0 0 3 10 1 0 0<br />

Verw.elite 19 42 4 0 0 9 37 10 0 0<br />

Verb.führer 3 13 1 0 0 1 13 2 0 0<br />

Großuntern. 3 17 2 0 0 4 10 6 0 0<br />

Wirtsch.elite 6 30 3 0 0 5 23 8 0 0<br />

Gew.führer 0 1 5 3 2 0 1 1 8 2<br />

Kirchenführer 5 8 5 0 0 3 9 8 2 0<br />

Kultusmin. 3 7 5 0 0 0 8 5 1 1<br />

Chefred./Intend. 0 2 3 0 0 0 8 2 1 0<br />

insgesamt 38 115 44 10 3 21 108 56 19 5<br />

Abbildung 10<br />

Schicht-Herkunft der Eliten im vergleich 1925 zu 1955<br />

Hinsichtlich der Herkunft aus bestimmten sozialen Schichten kommen die Untersu-<br />

chungen zu dem Ergebnis, dass die tonangebende Schicht umgekehrt proportional zu ih-<br />

75 Zapf (1965); S. 176<br />

76 Zapf (1965); S. 146 (nach Modell von Edinger)<br />

35


er demografischen Größe das Bürgertum ist (wenn auch in der politischen Elite weniger<br />

dominant als in anderen Elitegruppen): »Die Unterschichten haben nur einen schmalen di-<br />

rekten Zugang zu den politischen Führungsgruppen; vor allem in der Sozialdemokratie<br />

und den Gewerkschaften existieren zwei enge Aufstiegswege für die begabtesten Vertre-<br />

ter der Arbeiterschaft. Allerdings sind die Mittelschichten in der politischen Elite, d.h. so-<br />

wohl unter den Bundestagsabgeordneten als auch unter den Bundesministern, stark<br />

vertreten; der Anteil des gehobenen Bürgertums (wie wir die gehobene Mittelschicht et-<br />

was plastischer nennen wollen) ist hier deutlich geringer als in allen Eliten, die durch eine<br />

spezifische Tradition (Generale, Wirtschaftsführer) und eine akademische Ausbildung<br />

(Verwaltung, Wissenschaft) charakterisiert sind.« 77 Eine Zusammenstellung der Daten<br />

findet man in folgender Tabelle. 78<br />

Zu ergänzen ist, dass es hier signifikante Unterschiede zwischen der Führungsebene in<br />

Bund und Land auf der einen Seite, sowie Kommunen und Landkreisen auf der anderen<br />

Seite gibt. Eine Untersuchung von Rauh-Kühne stellt fest: »Auf der unteren Ebene der<br />

Landkreise und Kommunen hingegen scheint - neueren Forschungsergebnissen zufolge-<br />

1945 eine beachtliche Zahl von 'homines novi' der Einstieg in die Politik geglückt zu<br />

sein.« 79<br />

Wir haben es nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer vor allem für die Zusammen-<br />

setzung der politischen Elite im westlichen Nachkriegsdeutschland besonderen Situation zu<br />

tun. Durch die alliierten Politiken der Entnazifizierung und des Aufbaus eines neuen staatli-<br />

chen Gefüges kamen Funktionsträger nicht in gewöhnlicher Weise ins Amt, sondern sie<br />

wurden zunächst nach 1945 ernannt und starteten von einer privilegierten Position aus in<br />

die sich neu formierenden Parteien. Bei <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> führte dieser Weg über die Er-<br />

nennung zum württembergischen Kultminister über den Vorsitz der sich neu gründenden<br />

FDP und die Herausgeberschaft der Rhein-Neckar-Zeitung zur Tätigkeit im Parlamentari-<br />

schen Rat und zur Bekleidung des Amtes des Bundespräsidenten. Bei anderen verliefen<br />

die Wege nicht so geradlinig. Adenauer etwa wurde zwar nach 1945 wieder in das Amt<br />

des Oberbürgermeisters von Köln eingesetzt, dann aber abgesetzt und setzte seine in<br />

Weimarer Zeiten begonnene politische Karriere in der neu entstehenden CDU fort. In<br />

anderen gesellschaftlichen Bereichen hingegen gibt es wesentlich mehr Kontinuität, zum<br />

Beispiel in den Verwaltungen (als besonderes Beispiel personeller Kontinuität dient in den<br />

fünfziger Jahren der auswärtige Dienst) oder in der Wirtschaft, wenn man von einigen<br />

»Entflechtungen« sehr großer Betriebe einmal absieht. Aber selbst dort nahmen nach<br />

einer Pause die alten Eliten gewöhnlich wieder vergleichbare Positionen ein.<br />

77 Zapf (1965); S. 183<br />

78 Zapf (1965); S. 181<br />

79 Rauh-Kühne (1995); S. 69<br />

36


In den politischen und publizistischen Schlüsselpositionen wurden Männer eingesetzt,<br />

die bereits auf Erfahrungen mit dem politischen System der Weimarer Republik aufzu-<br />

weisen hatten und die »unbelastet« erschienen. Pikart weist auf eine generationelle<br />

Besonderheit hin, die auch durch die Untersuchungen von Zapf bestätigt wird: »Es<br />

handelt sich meist um Personen, die in der Weimarer Zeit zu erstem größeren politischen<br />

Einfluss kamen, die den Nationalsozialismus ablehnten bzw. von ihm abgelehnt wurden,<br />

die in der nationalsozialistischen Zeit aus ihren Ämtern entfernt worden waren, teilweise<br />

emigrierten, die den Krieg überlebt hatten und nach 1945 noch einmal zu größtem und<br />

lang anhaltendem Einfluss kamen.« 80 Herzog weist jedoch darauf hin, dass dies nicht die<br />

von Laswell entwickelte These von der Existenz einer »Gegenelite« im Nationalsozialismus<br />

bestätige. Die Elitenkonfiguration bestünde vielmehr (basierend auf den Untersuchungen<br />

Edingers) aus einer »Koalition von Eliten, deren Mitglieder im Wesentlichen aus Kreisen<br />

solcher Personen kamen, die weder eindeutige Befürworter noch ausgemachte Gegner<br />

des totalitären NS-Regimes gewesen waren.« 81 Abgesehen davon, dass in den Einstel-<br />

lungen der Bevölkerung deutliche Referenzen an den Nationalsozialismus vorhanden<br />

waren, so zeigt die politische Elite, dass man nicht von einer Stunde Null sprechen kann:<br />

Zwar spielte die nationalsozialistische Verstrickung in ihren Reihen eine geringe Rolle (im<br />

Vergleich zu anderen Elitegruppen), aber natürlich wurden über das Personal Kontinuitä-<br />

ten hergestellt, wie wir sie in der Person <strong>Heuss</strong> in einer außergewöhnlichen Form sehen.<br />

Während er bereits im Kaiserreich politisch und publizistisch wirkte, hatten die meisten<br />

der Angehörigen der westdeutschen Elite ihren Berufseinstieg in der Weimarer Republik.<br />

(wenngleich der Berufseinstieg nicht gleichbedeutend mit der Elitenposition ist).<br />

Einleuchtend ist zudem, dass diese Gruppe nicht das gesamte Weimarer Spektrum re-<br />

präsentiert, es fehlen überzeugte Nationalsozialisten, diejenigen, die den Nationalsozialis-<br />

mus nicht überlebt haben und auch diejenigen, die in der sowjetischen Besatzungszone<br />

leben und sich dort am Aufbau beteiligen. Grundlage der Besatzungspolitik war zudem das<br />

Kriterium der »Zuverlässigkeit«, und dementsprechend fielen Personen heraus, die bei-<br />

spielsweise den Kommunisten nahe standen und nicht auf den »white lists« der unbelaste-<br />

ten Personen standen.<br />

Aus dieser Konfiguration erklärt sich auch das Vorhandensein eines starken bürgerli-<br />

chen Einflusses auf die Entwicklung der politischen Kultur und der Ausbildung eines<br />

minimalen Konsenses, eine marktwirtschaftliche, mit dem Sozialstaatsprinzip verbundene<br />

Ordnung anzustreben, ein stabiles Institutionengefüge in einem starken Staat zu schaffen<br />

und diesen gegen den Einfluss von Extremisten zu schützen. Dass diese Vorstellungen<br />

von herausragender Bedeutung für die Politische Kultur der Bundesrepublik sind, ist of-<br />

fensichtlich. Wenn Handelnde auch nur begrenzt vermögen, in kurzer Zeit diffuse Unter-<br />

80 Pikart (1976); S. 12<br />

81 Herzog (1982); S. 69<br />

37


stützung und generalisiertes Vertrauen in das System zu stimulieren, so haben sie doch in<br />

verschiedenen Bereichen die Möglichkeit zur effektiven Steuerung. Ein Feld ist die<br />

Verfassungspolitik und die damit verbundene Kreation staatlicher Institutionen. Ein wei-<br />

teres ist die Wirkung, die durch einfache gesetzgeberische und exekutive Tätigkeit durch<br />

rationale und zeichenpolitische Steuerung hervorgerufen wird. Zudem muss die Einfluss-<br />

nahme auf die Politische Kultur nicht unbedingt auf die Ebene der politischen Institutionen<br />

beschränkt sein: Dies kann zum Beispiel auch über Verbandsarbeit, Medien, Netzwerke<br />

oder die Kultur geschehen – über Doppelrollen oder Allianzen.<br />

Verbunden damit ist jedoch trotz aller systemischen Voraussetzungen, dass politisch<br />

Handelnde eigene Ordnungsvorstellungen durchsetzen, die gerade im Bereich symbol-<br />

hafter Politik zum Vorschein kommen. Deshalb soll es im nächsten Kapitel um diese Vor-<br />

stellungen bei <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> gehen, um seine »innere Landkarte.« Zwei Dinge werden<br />

von besonderem Interesse sein: Die Vorstellung davon, wie das Verhältnis von Bürgern zu<br />

politischem System ausgestaltet sein sollte und welche Rollen und Anforderungen sich da-<br />

raus für die politische Führung ergeben.<br />

38


3.Politische Normen bei <strong>Heuss</strong><br />

<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> ist 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, bereits 30 Jahre alt,<br />

verheiratet, Vater und ein erfolgreicher Publizist. Ab 1918 tritt er in die Geschäfts-<br />

führung des Deutschen Werkbunds ein, schreibt und gibt politische Zeitschriften heraus,<br />

wird im Nachfolgenden Kommunalpolitiker und Dozent an der neugegründeten »Hoch-<br />

schule für Politik.« Mit 40 Jahren zieht er in den Reichstag ein, wird 1928 nicht wiederge-<br />

wählt, schafft aber 1930, mit 46 Jahren, erneut den Sprung ins Parlament. Zu dem Zeit-<br />

punkt, an dem die Nationalsozialisten das Ermächtigungsgesetz zur Abstimmung stellen<br />

und <strong>Heuss</strong>' politische Karriere vorerst beendet wird, ist er bereits 49 Jahre alt. 1945, in<br />

dem Jahr, in dem er sie wieder aufnimmt, hat er bereits das sechzigste Lebensjahr über-<br />

schritten.<br />

Dies soll deutlich machen, dass <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen vom Politischen auf Tradi-<br />

tionslinien zurückgehen, die weit früher zu verorten sind als in der Nachkriegszeit. <strong>Heuss</strong><br />

ist zehn Jahre älter als der Durchschnitt der politischen Elite nach 1945. Er gehört nicht<br />

der 1890er oder 1900er Generation an. Auch verfügt er bereits über Parlamentserfah-<br />

rung: Damit gehört er zu einer Minderheit von ca 6% der Mitglieder der politischen Elite.<br />

3.1 Politische und soziale Einbettung<br />

Neben seinem Alter ist es gerade sein Habitus, mit dem er ein Modell des Bürgers verkör-<br />

pert, das in dieser Form bereits damals ungewöhnlich war. »Dass <strong>Heuss</strong> ein Bildungs-<br />

bürger war, steht außer Frage: Seine soziale Herkunft, der väterliche Bücherschrank, die<br />

schulische Laufbahn, Studium und Promotion eröffneten in geradezu prototypischer Weise<br />

eine bildungsbürgerliche Karriere.« 82<br />

Das daraus resultierende Politikermodell ist das des Honoratiorenpolitikers: »Er ver-<br />

körperte in vielem den Typus eines liberalen gebildeten Bürgers, der sich als Honoratio-<br />

renpolitiker betätigte, weil ihn sein Verantwortungsgefühl ebenso umtrieb wie das<br />

gesunde Selbstbewusstsein, dass es ohne ihn um Gemeinwesen und Staat schlechter be-<br />

82 Hertfelder (2000); S. 94<br />

39


stellt sei, als mit ihm.« 83 Dieser Politkertypus beruft sich auf seine prinzipielle Unabhän-<br />

gigkeit von der Politik. Statt des politischen Amtes konstituieren andere Bezüge die eigene<br />

Identität. Dazu gehört insbesondere eine hohe Wertschätzung kulturellen und sozialen Ka-<br />

pitals: Der Besitz von Büchern und Titeln (<strong>Heuss</strong> zum Beispiel promovierte mit 21 Jahren)<br />

wie eine breite Bildung und die Fähigkeit zur sozialen Vernetzung gehören dazu. Auch sei-<br />

ne Herkunft passt zu diesem Muster: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> ist der Sohn des Stadtbaurats von<br />

Heilbronn, seine Frau die Tochter eines bekannten Ökonomieprofessors mit breiten<br />

verwandtschaftlichen Beziehungen in die bürgerliche Elite der Zeit.<br />

Das Besondere an <strong>Heuss</strong>' beruflichem Werdegang ist, dass er sich in vielen verschie-<br />

denen Betätigungsfeldern wiederfindet: Er beginnt seine Karriere als Journalist und<br />

ergänzt diese Richtung um die Praxis als Verbandsfunktionär (Werkbund, Schutzverband<br />

der deutschen Schriftsteller), Politiker (zunächst kommunalpolitisch in Berlin, dann als<br />

MdR, MdL, Bundespräsident), Hochschuldozent (Hochschule für Politik) und Schriftsteller<br />

(zum Beispiel als Verfasser mehrerer Biografien, eines Politiklexikons und eines politik-<br />

wissenschaftlichen Lehrwerks). Dies spiegelt sich auch in der <strong>Heuss</strong>-Literatur: So gibt es<br />

keine umfassende politische <strong>Heuss</strong>-Biografie, in der er als Teil des politischen Systems in<br />

das Zentrum rückt und die gerade seine politischen Leistungen einer kritischen Bewertung<br />

unterzieht. Diejenigen, die dazu etwas beitragen könnten, wie zum Beispiel sein persönli-<br />

cher Referent Hans Bott, ziehen es oft vor, <strong>Heuss</strong> im Zweifelsfall als einen »Literaten«,<br />

»Homme de lettres« oder »Intellektuellen« zu betrachten, der auch in der Politik aktiv ist.<br />

Zweifellos liegt dies nahe, wenn man sich <strong>Heuss</strong> biografisch nähert, denn das entspricht<br />

wie beschrieben seinem Selbstbild. Sein Verhältnis zur aktiven Politik war dergestalt<br />

immer mit einer Portion Distanz versehen, er war sich der anderen lebenserfüllenden<br />

Optionen durchaus bewusst und sein politischer Ehrgeiz bestand mehr im Zugang in das<br />

informelle Zentrum darin, in den Vordergrund der parteipolitischen Auseinandersetzungen<br />

zu rücken. Hertfelder weist aber darauf hin, dass Selbstbeschreibung, Wahrnehmung<br />

wohlgesinnter Biografen und Realität nicht unbedingt kongruent sein müssen. »<strong>Heuss</strong><br />

agierte in den Jahren 1918 bis 1933 keineswegs aus einem autonomen intellektuellen Feld<br />

heraus. Durch seine Verbandstätigkeit und sein Mandat für die DDP war seine Position von<br />

Anfang n i c h t die des 'freischwebenden' Intellektuellen.« 84<br />

▌ Naumann-Kreis<br />

In äußerst engem Kontakt steht <strong>Heuss</strong> seit 1902 zu den Ideen des Kreises um Fried-<br />

rich Naumann. Schnell gehört <strong>Heuss</strong> zum inneren Zentrum des so genannten Naumann-<br />

Kreises. 85 Das Beispiel von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und Elly Knapp illustriert die Mischung aus per-<br />

83 Möller (1990); S. 12<br />

84 Hertfelder (2000); S. 101<br />

40


sönlicher, beruflicher und politischer Bindung zu Naumann. 86 Naumann war weniger<br />

Parteiorganisator als charismatischer Kopf und Reformer innerhalb eines bürgerlich-pro-<br />

testantischen aufgeklärten Milieus, bis 1896 zunächst mit einer eher christlich-sozialen<br />

Grundtendenz. Im Folgenden trennt er insbesondere dank des Einflusses Max Webers Re-<br />

ligiosität und Politik und nun übernimmt die »Nation« die Aufgabe der Integration der<br />

Klassen. <strong>Heuss</strong> sieht darin 1919 eine »Befreiung von Marx«: »Ihm [Naumann] war deut-<br />

lich: dass der Sozialismus, sol er eine höhere Form der wirtschaftlichen Arbeit und der so-<br />

zialen Gemeinschaft sein, der nationalen Begrenzung und der ethischen Führung und<br />

Zielsetzung bedürftig ist.« 87<br />

Naumann gründet den Nationalsozialen Verein, der später mit der Freisinnigen Vereini-<br />

gung fusionierte. 1907 gelang ihm vermittelt über den jungen <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> der Gewinn<br />

eines Direktmandats in Heilbronn und der Einzug in den Reichstag. Ab 1910 arbeitet er in<br />

der neu als liberale Sammlungspartei gegründeten »Fortschrittliche Volkspartei« mit und<br />

sitzt für diese Partei bis 1918 im Reichstag. Der Einfluss Naumanns und seiner Anhänger<br />

war parteipolitisch weniger bedeutend. Intellektuell hingegen lieferte das Netzwerk<br />

wichtige Impulse und war in der Lage Einfluss zu nehmen. Eine zentrale Rolle übernimmt<br />

hierbei nicht die Parteiorganisation sondern andere Arten der Bindung.<br />

Dazu gehört ein Netz karitativer Aktivitäten, etwa im Bereich der Volksbildung, in dem<br />

sich beispielsweise Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp in besonderer Weise engagiert. Diese Organisationen<br />

und Zusammenschlüsse waren freilich keine politischen Vorfeldorganisationen mit Massen-<br />

wirkung, sondern entsprangen eher dem Engagement kleiner aber in ihrem Einfluss nicht<br />

unbedeutender Gruppen.<br />

Ein weiteres Beispiel für von Naumann inspirierte Institutionen ist der Deutsche Werk-<br />

bund, eine Institution, die sich die Propagierung eines modernen Kulturbegriffs zur Aufga-<br />

be gemacht hat und der sich <strong>Heuss</strong> seit der Gründung 1907 verbunden fühlt - bald als<br />

Mitglied, 1918 bis 1921 in dessen Geschäftsführung und bis 1933 im Vorstand. Die Ver-<br />

bindung von Sozialem, Kultur und Politik im Sinne eines umfangreichen gesellschaftlichen<br />

Reformprogramms ist charakteristisch für den Kreis um Naumann. <strong>Heuss</strong> formuliert dies<br />

1955 mit Blick auf seine eigene Biografie: »Gegenüber der Verstädterung der Massen, der<br />

Typisierung des bürgerlichen Lebens, den erstarrten oder verstaubten Konventionen der<br />

gesellschaftlichen Formenwelt, in all diesen verschiedenen Stufen meldete sich bei uns<br />

eine unmittelbare Gegenhaltung, als vor 50 Jahren eine neue Jugendbewegung aufbrach,<br />

85 vgl Krey (2000); S. 78ff. Sie geht von insgesamt 170 Personen im Zentrum des Kreises aus, ca 750<br />

Multiplikatoren und 1772 Rezipienten.<br />

86 z.B. Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 6.3.56: S. 154<br />

87 Dahrendorf/Vogt (1984); Friedrich Naumann zum Gedächtnis; S. 112<br />

41


sie wollte bewusst etwas wie einen neuen Lebensstil formen, der auch sein politisches<br />

Gewicht bekommen würde.« 88<br />

Auch in seinen publizistischen Aktivitäten ist der Naumannsche Liberalismus nicht un-<br />

bedeutend, wenn auch »Bedeutung« nicht mit »Massenwirkung« gleichzusetzen ist. Ein<br />

Beispiel ist die kleine aber einflussreiche Zeitschrift »Hilfe.« Für <strong>Heuss</strong> ist die Hilfe eine<br />

wichtige Station seines Berufslebens: »Als junger Redakteur der 'Hilfe' und enger Mit-<br />

arbeiter Naumanns saß <strong>Heuss</strong> überdies an einem zentralen Knotenpunkt des eher in-<br />

formellen Kommunikationsnetzes der Links- bzw. Sozialliberalen.« 89<br />

Der Karriereweg von <strong>Heuss</strong> erklärt sich daraus, dass die informelle und kommunikative<br />

Struktur des liberalen Beziehungsgeflechts seinem Wesen als Kommunikator entgegen-<br />

kamen. »Dem öffentlichen Manifest zog <strong>Heuss</strong> die Beteiligung an informellen Diskussions-<br />

zirkeln vor. So begegnen wir ihm am Vorabend des ersten Weltkriegs zuweilen als Teil-<br />

nehmer am sonntäglichen 'Jour' im Hause Max Weber, 1917 als Debattenredner in der<br />

berühmten Pfingsttagung auf Burg Lauenstein, zu Beginn der Weimarer Republik als<br />

jüngsten Gast der Hans-Delbrück-Abende in Berlin, sodann zwischen 1926 und 1933 im<br />

so genannten Dienstags-Kreis, der Gustav Stolper, Kurt Rietzler und Bernhard v. Bülow<br />

mit höheren Beamten des Auswärtigen Amtes zum allwöchentlichen politischen Meinungs-<br />

austausch zusammenführte.« 90 Zudem sucht er nicht die Abgrenzung zu den ton-<br />

angebenden Persönlichkeiten, sondern den Kontakt, der über rein politische Bindungen<br />

hinausgeht. Hertfelder nennt seinen Doktorvater, den Nationalökonomen Lujo von Brenta-<br />

no, Friedrich Naumann und den Vater seiner Frau Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp die drei »Vaterfigu-<br />

ren« in seinem Leben.<br />

Dieses politisch-soziale Umfeld, in dem sich <strong>Heuss</strong> bewegte, hat zweifellos eine exklu-<br />

sive Komponente. Es ist elitär, weil Bildung die zentrale Exklusionsressource ist. In der<br />

Selbstbeschreibung wird dies jedoch ins Gegenteilige umgedeutet. Demnach wirkt ein zi-<br />

vilreligiös aufgeladener Individualitäts- und Bürgerbegriff »inklusiv.« Dies grenzt sein Um-<br />

feld von der Mehrheit eines sich ständisch definierenden Bürgertum ab. Zudem sorgt ein<br />

kulturhegemoniales Geschichtsbild dafür, »evolutionistisch auf die eigene Sozialgruppe«<br />

(Hübinger) zuzulaufen. Überspitzt gesagt: Eine demokratische Geschichte Deutschlands<br />

lässt sich aus dieser Perspektive als eine Geschichte des liberalen Bürgertums lesen oder<br />

so, wie <strong>Heuss</strong> in Bezug zu seiner Familientradition auch eines seiner Bücher nannte:<br />

»1848 – Auftrag und Erbe.« <strong>Heuss</strong> sieht sich als einen Menschen, »in dessen Kinderstube<br />

noch als Familienlegende der politische Sturm von 1848, wenn freilich zu einem Abend-<br />

wind gelindert« 91 als positiver Bezugspunkt vermittelt wurde.<br />

88 Felder (1995); Formkräfte einer politischen Stilbildung; Rede am 02.05.1952; S. 313<br />

89 Hertfelder (2000); S. 95<br />

90 Hertfelder (2000); S. 105<br />

91 <strong>Heuss</strong> (1960); S. 23<br />

42


Wenn auch die Ausweitung des Naumann-Kreises in den gesellschaftlichen Bereich et-<br />

was anderes vermuten lassen würde, richten sich die politischen Vorstellungen auf den<br />

Staat und weniger auf die Gesellschaft: »Die religiös-politischen Ordnungsvorstellungen<br />

des liberalen Protestantismus sind primär staats- und weniger gesellschaftsbezogen. Aber<br />

die dezidiert zivilreligiöse Grundhaltung produzierte eine eigentümliche Dialektik von<br />

Staatsnähe und Staatsferne.« 92<br />

▌ Volksstaat und Kaisertum<br />

Innenpolitisch bewegt sich der Naumann-Kreis im Spannungsfeld von Nationalismus<br />

und Sozialreform: Auf der einen Seite die Unterstützung eines deutschen Imperialismus,<br />

auf der anderen Seite die Forcierung innerer Demokratisierung. »Nation und nationaler<br />

Machtstaat fielen für sie zusammen, und das Nationale war beiden oberster Wert, bei We-<br />

ber gesteigert zu einer Art säkularen Glaubens, zum Glauben an Deutschland (W.J. Mom-<br />

msen), aber an ein erneuertes Deutschland, stark nach außen und politisch und sozial re-<br />

formfähig nach innen.« 93 Nach Naumanns Vorstellungen sollten diese Reformen im<br />

Bündnis von Linksliberalen und Sozialdemokratie getragen werden, im »Block von<br />

Bassermann bis Bebel« als einer breiten sozialen und politischen Bewegung. Noch 1918<br />

schreibt er den flammenden Appell: »Noch ist es möglich. Jetzt können sich Kaiser und<br />

Masse verstehen, jetzt kann neben dem zerbrechenden Russland unser deutsches Volk<br />

zeigen, welche höhere geschichtliche Einsicht und praktische Vernunft ihm gegeben ist.<br />

Die Vorbereitungen sind vorhanden, der Wille zum Volksstaat regt sich, der Nationalgeist<br />

ist lebendig, und der Kaiser ist umflutet von seinem Heer, das aus deutschen Söhnen be-<br />

steht, aus deutschen Bürgern. Im Volksstaat ist er groß und sicher, im Volksstaat reift das<br />

Werk seiner und unserer Ahnen.« 94 Das Schicksal dieser Vorstellungen war, dass das<br />

Kaisertum weder zu retten gewesen ist noch dass dem Kaiser daran gelegen war, die ihm<br />

von Naumann und Weber zugewiesene Verantwortung zu übernehmen. Dies zu erkennen,<br />

gelang Naumann relativ spät. Nach Kapitulation und Revolution beteiligte sich Naumann<br />

am Verfassungsgebungsprozess und wurde in die Nationalversammlung gewählt. Weiteren<br />

Einfluss als seine Person nahmen jedoch seine Ideen auf die politischen Geschicke der<br />

Weimarer Republik. Bereits 1919 starb Naumann im Alter von 59 Jahren.<br />

▌ Mitteleuropa<br />

Außenpolitisch besteht Naumanns Programm in einem kultur- und wirtschaftshegemo-<br />

nial um die Großdeutsche Lösung herumgruppiertes »Mitteleuropa.« Unter deutscher Vor-<br />

92 Hübinger (2000a); S. 120<br />

93 Langewiesche (1988); S. 221<br />

94 Naumann (1917); S. 56<br />

43


herrschaft wollte er einen gemeinsamen Raum schaffen. Diesbezüglich ist es auch nicht<br />

verwunderlich, dass das Buch auch in kaiserlichen Regierungskreisen eine freundliche Auf-<br />

nahme fand. <strong>Heuss</strong> relativiert später übrigens die imperiale Stoßrichtung des Werks in<br />

einem Vortrag vor französischem Publikum: »Später, während des Ersten Weltkrieges,<br />

wurde mit den Missverständnissen, die während eines Existenzkrieges zwar nicht<br />

erwünscht, so doch verständlich sind, Naumanns Werk 'Mitteleuropa' ins Französische und<br />

Englische übersetzt und als Dokument des 'deutschen Imperialismus' gedeutet, während<br />

das Werk, ich kann es aus persönlichen Gesprächen bezeugen, die Rückzugslinie deut-<br />

scher Politik aus außereuropäischen Aspirationen darstellte.« 95 Den <strong>Heuss</strong>'schen Re-<br />

lativierungen des Konzepts ungeachtet, erklärt diese Idee, warum <strong>Heuss</strong> zunächst auch<br />

die deutsche Kriegsführung unterstützte. Einen Wendepunkt markiert die so genannte<br />

Lauenstein-Tagung, die insbesondere Max Weber durch seine harsche Kritik an der Refor-<br />

munfähigkeit des Kaisertums prägte. Diese Tagung kennzeichnet denn auch den Übergang<br />

des Naumannschen Liberalismus in eine staatstragende Rolle in den letzten Monaten des<br />

Kaiserreichs und in der frühen Weimarer Republik.<br />

▌ Im Netzwerk des Liberalismus in Weimar<br />

In der Weimarer Zeit organisierte sich die Anhängerschaft Naumanns in der Deutschen<br />

Demokratischen Partei, einer laizistischen, republikanisch und sozial-marktwirtschaftlich<br />

organisierten Partei. Großen Einfluss hatte sie auf den Verfassungsprozess 1918/19 in<br />

Gestalt ihrer Mitglieder Hugo Preuß, Conrad Haußmann und Friedrich Naumann. Ihr par-<br />

lamentarischer Einfluss sank jedoch im Laufe der Weimarer Jahre, da sie es weder<br />

vermochte, ihre Wählerschaft zu stabilisieren, noch eine breite Mitgliedschaft zu binden.<br />

Ihr mit Abstand bestes Wahlergebnis erzielte sie denn auch 1919 mit 18,5% der<br />

Stimmen. Die DDP, deren erster Vorsitzender Naumann kurz gewesen ist, tritt die Erb-<br />

folge seiner Ideen an und bildet einen wichtigen Kristallisationskern für den um ihn grup-<br />

pierten Kreis. <strong>Heuss</strong> bewirbt sich um ein Reichstagsmandat, wird aber wenig aussichts-<br />

reich platziert.<br />

Auch nach Naumanns Tod taugte die alte Idee des »national plus sozial« als Integra-<br />

tionsideologie, wie Mommsen illustriert: »Und dieses staatliche nationale Denken muss<br />

eine Ergänzung in dem wahrhaft sozialen Gedanken finden, der jedes klassenmäßige Den-<br />

ken überwindet und in jedem Staatsbürger in erster Linie den deutschen Volksgenossen<br />

sieht über alle politischen und sozialen Gegensätze hinweg.« 96 <strong>Heuss</strong>, 1924 in den Reichs-<br />

tag gewählt, betätigte sich in erster Linie auf dem Feld der Kulturpolitik. In seiner ersten<br />

Legislaturperiode erregte er vor allem durch den Konflikt Aufsehen, in den er mit seiner<br />

Rolle als Vorsitzender des »Schutzverbandes deutscher Schriftsteller« geriet, als er sich<br />

95 <strong>Heuss</strong> (1960); S. 18<br />

96 Wilhelm Mommsen zit. nach Langewiesche (1988); S. 266<br />

44


1926 stark für ein »Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund und Schmutzschriften«<br />

im Reichstag einsetzte 97 Im November 1926 legte er dieses Amt nieder.<br />

Schwierig gestaltet sich in dieser Zeit das Verhältnis der liberalen Parteien zueinander.<br />

Zudem ist die Weimarer Zeit von einer Volatilität geprägt, die aus der Mitte des Parteien-<br />

systems an die Ränder führte. Die DDP erlitt das Schicksal, zwar zu den Stützen der<br />

Weimarer Republik gehört zu haben, aber gleichzeitig immer weiter an Einfluss zu ver-<br />

lieren: Ihre Wählerbasis erodierte bis zum Ende hin fast völlig weg. Gleichwohl war sie<br />

und ihre Nachfolgerin, die Deutsche Staatspartei bis 1932 fast ununterbrochen an der Re-<br />

gierung beteiligt. Ihre Heterogenität konnte nur mühsam zusammengefasst werden: »Um<br />

die materiellen Interessengegensätze nicht aus der Integrationsformel 'Staats- und<br />

Verfassungspartei' ausbrechen zu lassen, war die DDP gezwungen, in Fragen der Wirt-<br />

schafts- und Sozialpolitik selbst in zentralen Bereichen gegensätzliche Meinungen und Ab-<br />

stimmungen zuzulassen.« 98 1930 wird <strong>Heuss</strong> wieder in den Reichstag gewählt und wird<br />

Fraktionsgeschäftsführer der Deutschen Staatspartei (die Fusion der DDP mit dem »Jung-<br />

deutschen Orden«), die allerdings nur noch wenig Gestaltungsmöglichkeiten hatte.<br />

Neben den Parteien sei hier auch die »Hochschule für Politik« als Teil des liberalen<br />

Netzwerks erwähnt. Auf die Anregung Naumanns zurückgehend, durch Unterstützung des<br />

Industriellen Robert Bosch ermöglicht, wurde in der ehemaligen Bauakademie in Berlin-<br />

Mitte die deutsche Politikwissenschaft im Sinne eines interdisziplinären an die Praxis zu-<br />

rückgebundenen Ansatzes erfunden: <strong>Heuss</strong> war dort 1920-24 Studienleiter und bis 1933<br />

Dozent. Obgleich diese Einrichtung überparteilich konzipiert wurde und nur in einem Punkt<br />

ideologisch determiniert war – sie stellte sich in den Dienst der Demokratie – sind Demo-<br />

kraten und Anhänger Naumanns hier äußerst einflussreich.<br />

Ein weiterer wichtiger Pfeiler des linksliberalen Milieus ist die politische und kulturelle<br />

Publizistik. Zu nennen sind hier an Tagespresse die Vossische Zeitung, das Berliner Tage-<br />

blatt oder auch die Frankfurter Zeitung. Weniger auflagenstark, dafür aber einflussreich<br />

sind verschiedene politisch-kulturelle Zeitschriften. <strong>Heuss</strong> betätigt sich unter anderem in<br />

den Blättern »Deutsche Politik« und »Deutsche Nation« oder schreibt für Zeitungen. Ab<br />

1932 gibt er die »Hilfe« heraus und behält dies Position bis 1936.<br />

▌ Linksliberale Ideen nach 1945<br />

Nach 1945 werden einige der Gedanken aus dem liberalen Milieu anschlussfähig. An<br />

erster Stelle ist hierbei an den rationalen, sich sowohl gegen völkische als auch revolutio-<br />

näre Romantisierung wendenden Politikbegriff zu denken. Rudolph schreibt im Hinblick auf<br />

die »Väter des Grundgesetzes«, sie seien, »wie <strong>Heuss</strong> formulierte, durch die 'Schule der<br />

97 Huber (1984); S. 600<br />

98 Langewiesche (1988); S. 268<br />

45


Skepsis' gegangen.« 99 Auch das um den Staat herum arrangierte, sich auf Repräsentativi-<br />

tät stützende Staatsverständnis kann man wiederfinden, insbesondere im institutionellen<br />

Design des Grundgesetzes. Zu denken ist auch an die Vorstellung vom friedlichen sozialen<br />

Ausgleich, die nicht von einer Umverteilung der Besitzverhältnisse ausgeht, sondern deren<br />

Leitbild die »Verbürgerlichung« breiter Bevölkerungsteile ist. Was Kirchheimer 1930 über<br />

Naumanns Vermächtnis sagte, kann deshalb gerade nach 1945 gelten: »Die Idee des so-<br />

zialen Staates war es, die Naumann dem Individualismus der liberalen Grundrechte und<br />

dem sozialistischen Willen der Arbeiterschaft entgegenstellte.« 100<br />

Wenn auch der Einfluss der Liberalen im Gegensatz zu 1919 institutionell eher gering<br />

war, so kann man die westdeutsche Staatswerdung doch als ein Diffundieren liberaler<br />

Vorstellungen begreifen. »Obwohl Friedrich Naumann kurz vor seinem Tode 1919 zum<br />

ersten Parteivorsitzenden der DDP gewählt wurde, blieb sein Einfluss auf die praktische<br />

Politik seiner Partei gering. [...] Bei der Wiedergründung liberaler Parteiorganisationen<br />

nach 1945 spielten die Ideen Naumanns dann jedoch eine große Rolle.« 101 Dabei ist der<br />

Liberalismus parteipolitisch ein kleiner Akteur – wesentlicher wirkt er auf die Entwicklung<br />

der Bundesrepublik als ein liberales Paradigma, das in andere parteipolitische Richtungen<br />

diffundierte: »Mit der Bundesrepublik Deutschland hat sich erstmals in der deutschen Ge-<br />

schichte ein Staat entwickelt, dessen Bevölkerung mehrheitlich Liberalität als ein Ensem-<br />

ble politischer sozialer und kultureller Werte zu akzeptieren gelernt hat und dessen In-<br />

stitutionen liberalen Normen verpflichtet sind.« 102<br />

3.2 Formkraft eines demokratischen Stils<br />

<strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> hat den Begriff der »politischen Kultur« zwar nicht gekannt, gleichwohl<br />

hatte er Vorstellungen, wie die Bindung zwischen Bürger und Politik gestaltet sein soll be-<br />

ziehungsweise wie ein Politiker Politik gestalten sollte. Sehr nahe daran kommt die von<br />

<strong>Heuss</strong> verwendete Vokabel des »Stils.« So handelt eine seiner wichtigsten Reden 1952<br />

von den »Formkräften einer politischen Stilbildung.« Hiermit ist eine grundlegende Konfi-<br />

guration der Staatlichkeit gemeint, »Stil« wird weder normativ benutzt noch bezieht er<br />

sich auf Personen. <strong>Heuss</strong> meint damit Aspekte des Institutionendesigns (Gewaltenteilung/<br />

Checks und Balances/ Wahlrecht/ Parteiensystem), die Art der Partizipation und Iden-<br />

tifikation (Unterordnung/ Loyalität/ Aktivität) beziehungsweise die persönlichen oder sys-<br />

99 Rudolph (2000); S. 24<br />

100 Otto Kirchheimer (1930): Weimar - und was dann? Analyse einer Verfassung«; zit. nach Llanque; S.<br />

146<br />

101 Dittberner (2005); S. 31<br />

102 Langewiesche (1988); S. 287<br />

46


temischen Einflüsse. Ein demokratischer Stil ist demnach etwas Ähnliches wie »Civic<br />

Culture«, die in der »Bürgergesellschaft« vorkommende spezielle Konfiguration von Ein-<br />

stellungen, Institutionen und Akteuren.<br />

Dieser Stil ist nach <strong>Heuss</strong> nicht nur eine politische Wunschvorstellung, sondern gerade<br />

auch eine empirische (ökonomisch-kulturelle) Tatsache, die alte Naumannsche Träume<br />

wahr werden lässt: »Was Reinhold Mayer mir in seinen grundsätzlichen Erörterungen<br />

falsch zu machen scheint, ist dies, dass er oft geneigt ist, Arbeiterschaft und Sozial-<br />

demokratie gleichzusetzen. Nach meinem Gefühl stellt sich die soziologische Struktur der<br />

Gegenwart wesentlich anders dar. In der Arbeiterschaft ist längst im Gange, was ich<br />

schon vor Jahren einmal den 'Verbürgerlichungsprozess' genannt habe.« 103<br />

▌ Zentralität der Bürgergesinnung<br />

Die zentrale Quelle der politischen Legitimation ist bei <strong>Heuss</strong> die »Bürgergesinnung«:<br />

»Gibt es aus der freien Bürgergesinnung, die die aktuelle Legitimierung dieses Staats sein<br />

soll und alleine sein kann, die Möglichkeit, eine Formkraft zu entwickeln, dass sie ihren<br />

'Stil' gestalte?« 104 Interessant ist hier eine Nähe der bei <strong>Heuss</strong> gefundenen Konzeption<br />

politischer »Form« zu der, die man in einer Schrift von Max Weber aus dem Jahr 1918 fin-<br />

det: »Die Entwicklung einer wirklich vornehmen und zugleich dem bürgerlichen Charakter<br />

der sozial maßgebenden Schichten angemessenen 'deutschen Form' liegt jedenfalls noch<br />

im Schoß der Zukunft.« 105 Bürgersinn übernimmt zwei Funktionen im Bereich des Metapo-<br />

litischen: zum einen die Unterstützung des Politischen durch die Gabe von Legitimation,<br />

zum anderen durch die Entfaltung von »Formkraft.« Diejenigen, die diese Formkraft ent-<br />

falten sollen, sind die Bürger.<br />

▌ Ehrenamt als Auslesestelle<br />

Den Personen, die diesen Bürgersinn tragen, macht <strong>Heuss</strong> die Bereitschaft zum<br />

»Ehrenamt« zur Aufgabe und Lust: »Demokratie lebt nur aus dem Ehrenamt und nicht<br />

bloß im kommunalen Bereich.« Es hat vor allem die Funktion der Auslese derjenigen, die<br />

für verantwortungsvolle Positionen in Frage kommen: An einer Stelle spricht <strong>Heuss</strong> davon,<br />

dass »das gemeindliche und andere Ehrenamt als Auslesestelle der Bewährungen« zu be-<br />

trachten sei. 106 An anderer Stelle diskutiert er den Ehrenamtsbegriff in Bezug zum von<br />

ihm ungern benutzten Begriff »Elite«: »Das 'Ehrenamt' als Gerüst der Demokratie zu pre-<br />

digen, ist seit Jahrzehnten mein 'Hobby', doch immer mit der Korrektur des Begriffs 'Elite',<br />

103 Henning (1983); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Thomas Dehler vom 25.11.1952; S. 85<br />

104 Dahrendorf/Vogt (1984); Formkräfte der politischen Stilbildung; S. 219<br />

105 Weber (1918); S. 41; Weber (1999); S. 315<br />

106 Pikart (1970); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 24.10.1958; S.358<br />

47


zumal die SS unter diesen Firmentitel gestellt wurde.« 107 Bereits 1926 findet man dies als<br />

eine Konzeption: »In solchem Sinn ist die Durchsetzung und Gliederung der Nation durch<br />

die vielfältigen Selbstverwaltungen nicht nur ein System zur Erweckung des Gemeinsinns,<br />

der an das Nahe, Kleine sich bindet, um dadurch in das Große zu wirken, sondern sie ist<br />

auch das Werkzeug der Auslese, die von unten nach oben drängt und den sozialen Kreis-<br />

lauf mit immer neuen Kräften stärkt und erhält.« 108<br />

Hannah Arendt weist <strong>Heuss</strong> auf den oligarchischen Charakter der meritorischen Aus-<br />

lese hin: »Von unmittelbar praktischer Bedeutung, und zwar von sehr großer, scheint mir<br />

vor allem Ihr Begriff des 'Ehrenamtes'[...]. Damit geben Sie der Demokratie eine im<br />

Grunde aristokratische Einrichtung, ohne die sie aber gerade im Massenzeitalter nicht aus-<br />

kommen wird.« 109 Mit der Forderung nach einer derartigen Elite wird ein repräsentatives<br />

Element in die Politische Kultur eingeführt und mit Sternberger kann geschlussfolgert<br />

werden, dass das Zusammenspiel von oligarchischen Elementen und demokratischen<br />

Elementen Politische Kulturen speziell macht: »Es gibt keine Demokratie ohne Oligarchie.<br />

Alles kommt darauf an, das freie Zusammenspiel und Widerspiel der Grundkräfte des<br />

verfassungsstaatlichen Lebensprozesses zu ermöglichen, diese Möglichkeit zu erhalten<br />

und dort, wo sie versperrt ist, auf Mittel des Ausgleichs zu sinnen.« 110 Der Verfassung ob-<br />

liegt nun die Aufgabe, beide Prinzipien angemessen zu mischen. 111 Zudem erfahren wir<br />

etwas über die Auswahlkriterien, nach denen diese Aristokratie der Bürgergesinnung aus-<br />

gewählt werden soll. <strong>Heuss</strong> ist originell, weil er die Auslese im Wesentlichen durch die Ak-<br />

tivität der Minderheit selbst vollziehen lässt. Die Elite ist mit Arendts Worten »self-ap-<br />

pointed, aber nur in dem Sinne, dass sie sich dadurch von der Masse aussondern würde,<br />

dass sie ihre Lebensideale, die prinzipiell unpolitisch sind, nicht teilt.« 112<br />

▌ Ehrenamt, Altruismus und Staat<br />

Wenn man diesen letzten Satz mit dem Schwerpunkt auf den »Lebensidealen« liest,<br />

wird »Bürgergesinnung« auf die altruistische Dimension der ehrenamtlichen Arbeit redu-<br />

ziert. Die auch egoistisch deutbaren Motivationen werden ignoriert: sei es das Interesse<br />

107 Pikart (1970); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 28.11.1958 ; S. 371<br />

108 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 146<br />

109 Hannah Arendt an <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Hannah Arendt an <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Brief vom 26.10.1958; The<br />

Hannah Arendt Papers at the Library of Congress; http://memory.loc.gov/ammem/arendthtml/<br />

arendthome.html; Brief vom 26.10.1958 (zur Entstehungsgeschichte: <strong>Heuss</strong> an Stolper vom<br />

27.09.1958 und am 2.10.1958 in Pikart (1970); S. 344, S. 346)<br />

110 Sternberger (1986); S. 349<br />

111 Sternberger (1986); S. 330<br />

112 Hannah Arendt an <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Brief vom 26.10.1958; The Hannah Arendt Papers at the Library<br />

of Congress; http://memory.loc.gov/ammem/arendthtml/arendthome.html<br />

48


daran, etwas zu schaffen, das man später nutzen kann, sei es die Erlangung eines kompa-<br />

rativen Vorteils durch Wissensvorsprung oder Kontakte. Gefordert wird stattdessen ein<br />

demokratisches Ethos, »dass der Gemeinschaft Rat, Hingabe, Verantwortung geleistet<br />

wird, ohne dass sich dies in einem Geldanspruch wiederfindet.« 113 Gerade hier tritt der zi-<br />

vilreligiöse Charakter der »Bürgergesinnung« deutlich hervor: Die Ehre zu haben, ein Amt<br />

zu bekleiden, ist demzufolge ein Dienst an der Gemeinschaft. Die freiwillige Arbeit in<br />

Gesellschaft und Staat ist »Heimat und Nährboden eines demokratischen Lebensstils,<br />

nicht die Büros, in denen man Befehle oder Anweisungen entwirft oder empfängt oder<br />

weitergibt.« 114 Wenn dies auch zeigt, dass vor allem die Wohlfahrtsverbände eine in-<br />

termediäre Rolle zwischen Staat und Individuum übernehmen, so hat Ehrenamt <strong>Heuss</strong> zu-<br />

folge seine Wurzel im Politischen. In diesem Zusammenhang beruft sich <strong>Heuss</strong> immer<br />

wieder auf den Freiherren von und zum Stein: Dieser habe mit seinen (staatlichen) Re-<br />

formen »das moralische Grundelement der Demokratie staatspolitisch erst recht be-<br />

gründet.« 115 Das Steinsche Ehrenamt ist, wie Sachße betont, »seinem Ursprung nach ad-<br />

ministrativ, d.h. es war 'Amt ' im Sinne der Ausübung öffentlicher Gewalt.« 116 Demzufolge<br />

wird deutlich, dass <strong>Heuss</strong>' Ehrenamtsbegriff staatszentrierter als etwa der des »sozialen<br />

Engagements« ist (mit dem man etwa seine Frau Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp in Verbindung sehen<br />

könnte).<br />

Das <strong>Heuss</strong>'sche Konzept vom meritokratischen Ehrenamt entfaltet mehr Wirkung in<br />

der Entfaltung eines bürgerlichen Idealismus, als dass es empirisch Wirklichkeit beschrei-<br />

ben würde. Zwar dient es der horizontalen Integration, wenn Menschen aller Schichten in<br />

Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz eingebunden sind oder im Rahmen einer<br />

politischen Partei oder der Gemeinde mitarbeiten. Empirische Untersuchungen haben je-<br />

doch schon immer feststellen können, dass das »Gesetz der Oligarchie« auch für gesell-<br />

schaftliche Institutionen und ihre Führungsauslese Anwendung findet. Zudem sorgt die<br />

Ungleichverteilung von symbolischen, kulturellen und ökonomischen Kapital für Asymme-<br />

trien bei den Gestaltungschancen, die bei <strong>Heuss</strong> jedoch ausgeblendet werden.<br />

Neben den freiwilligen Ämtern besteht dem Staat gegenüber auch die Ehrenpflicht in<br />

Gestalt der Wehrpflicht. Eine Wehrpflichtarmee ist nach <strong>Heuss</strong> nicht nur »legitimes Kind<br />

der Demokratie«, sondern auch eine der wichtigsten »stilbildenden« Institutionen. Dies<br />

deshalb, weil sie einen »ganz elementaren Pflichtsinn« 117 wecken würde, der eine über<br />

den Dienst hinaus reichende allumfassende Bindung zwischen Wehrpflichtigen und Staat<br />

113 <strong>Heuss</strong> (1921); S. 11<br />

114 Felder (1995); S. 316<br />

115 Puknus (1964); Freiherr vom Stein; Rede am 12. Februar 1951 in Nassau , S. 11;<br />

116 Sachße (2002); S. 24<br />

117 Dahrendorf/Vogt (1984); Soldatentum in unsrer Zeit; S. 490<br />

49


schafft. Vor Augen stand ihm eine an Jean Jaurès und Hans Delbrück 118 angelehnte Kon-<br />

zeption eines demokratischen Heers, »'das neue Heer', d.h. das demokratische, zugleich<br />

geistig durchgeschulte Heer.« 119 Eine wichtige Rolle spielt diese Vorstellung bei der De-<br />

batte um die Wiederbewaffnung, auf die wir noch eingehen werden. Bei <strong>Heuss</strong> steht vor<br />

allem der Gedanke der Prägung demokratischen Stils über die Schaffung militärischer Ge-<br />

meinschaft im Vordergrund. Gar nicht thematisiert wird hingegen die Frage, welche Legi-<br />

timation der Staat besitzt, in derart grundsätzlicher Weise den Rechtskreis des Bürgers<br />

beschränken zu dürfen und woraus sich der Prägungsanspruch speisen kann. Wenn diese<br />

Fragestellung für jemanden relevant sein dürfte, der das Politische nicht vom Staat her<br />

denkt, so wird auch deutlich, dass <strong>Heuss</strong> den Sinn der Frage nicht verstehen würde: Die<br />

Legitimation liegt seiner Auffassung nach bereits in der Existenz eines Staats begründet.<br />

▌ Bürgergesinnung statt Partizipation<br />

Der Gestaltungsraum des Bürgersinns ist vorrangig der Staat mit seinen repräsentativ<br />

konstruierten Institutionen. Im Gegensatz etwa zu Anhängern partizipativer Vorstellungen<br />

hegt <strong>Heuss</strong> ein Misstrauen gegenüber direkten oder unkonventionellen Beteiligungs-<br />

formen. Im Parlamentarischen Rat tätigte er die berühmt gewordene Äußerung, dass<br />

diese Elemente eine »Prämie für jeden Demagogen« seien. Prinzipiell konzediert er gleich-<br />

wohl, dass es erfolgreiche mit Elementen der direkten Demokratie verfasste Systeme gibt<br />

(Schweiz) und dass diese auch in der Übersichtlichkeit lokaler Selbstverwaltung positive<br />

Ergebnisse zeitigen können. Für Deutschland jedoch lehnt er sie als Möglichkeit katego-<br />

risch ab, weil »ein wachsender industrieller Massenstaat eine andere Situation darbietet<br />

als ein geschichtlich gewachsener, doch in Tradition bäuerlich-bürgerlich bestimmter.« 120<br />

Prinzipiell stellt er an direktdemokratische Modelle sehr hohe Anforderungen. Seiner An-<br />

sicht nach ist das politisch kulturelle Institutionengerüst so zu konstruieren, dass reprä-<br />

sentative Sicherheitsstufen in den Willensbildungsprozess eingebaut werden, weil man<br />

eine »Überforderung des Abstimmenden« annimmt oder aber ihm misstraut: Der<br />

Parlamentarische Rat hat demnach aus dem Wissen heraus gehandelt, »wie die primitive<br />

Demagogie in einem von Kriegsfolgen entwurzelten und zerstörten Volke zur Staatsgefahr<br />

werden kann.« 121<br />

Doch nicht die Erfahrung des Nationalsozialismus, sondern eine prinzipiell repräsenta-<br />

tiv denkende etatistische Denktradition steht hinter dieser Ablehnung: Der Staat muss<br />

demnach zuerst geschützt werden, seine Stabilität gewährleistet sein: Hertfelder weist auf<br />

die Wurzel dieses Staatsverständnisses hin: »Auch sei der demokratische Staat [...] nicht<br />

118 siehe Krumreich (2000); S.184 ff.<br />

119 Dahrendorf/Vogt (1984); Soldatentum in unsrer Zeit; S. 492<br />

120 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 455<br />

121 <strong>Heuss</strong> (1948); S. 244<br />

50


nur ein Dienstleistungsbetrieb oder eine bloße 'Apparatur', sondern ein 'Träger eingebo-<br />

rener Würde'- mit dieser ausdrücklichen Verneigung vor seinem Landsmann Hegel be-<br />

kannte sich <strong>Heuss</strong> einmal mehr zu jener auf den Staat orientierten Spielart des deutschen<br />

Liberalismus, die sich vom frühen 19. Jahrhundert bis zur DDP der Weimarer Republik<br />

verfolgen lässt.« 122 Langewiesche arbeitet heraus, welche Vorstellungen dazu <strong>Heuss</strong> be-<br />

reits 1920 hatte: »Ein starkes Zentralparlament als Organ der Volkssouveränität, hervor-<br />

gehend aus allgemeinen und freien Wahlen für Männer und Frauen, ohne jede Abstufung<br />

nach welchen Kriterien auch immer. Regierungsbildung aus dem Parlament heraus heißt<br />

das Ziel. Dafür sollte das Wahlsystem sorgen. <strong>Heuss</strong> favorisierte deshalb das Mehrheits-<br />

wahlrecht.« 123 Vorbild dafür ist das englische Zwei-Parteien-System, und der intendierte<br />

Gedanke ist ein Primat der institutionellen Stabilität. Diese Ansicht ändert sich nach dem<br />

Krieg in Akzenten. Zwar sieht <strong>Heuss</strong> in dem Verhältniswahlrecht der Weimarer Zeit (»der<br />

großen Kreise und der langen Listen«) 124 einen wesentlichen Grund für den Verlust an Un-<br />

terstützung des politischen Systems, andererseits befürchtet er in einer einfachen Über-<br />

nahme des britischen Mehrheitswahlrechts gerade die politische Aktivität vieler Demo-<br />

kraten zu lähmen: »Der Proporz [in den Landesregierungen] hatte immerhin in der<br />

politischen 'Diaspora' politisches Leben geweckt, das beim einfachen Majorz wieder ein-<br />

schlafen würde.« 125 Als Ergebnis empfahl er originellerweise ein Mehrheitswahlsystem mit<br />

einem zweiten Verhältniswahlgang, wo er notwendig ist. 126<br />

Es wird deutlich, dass das, was wir heute als »Zivilgesellschaft« diskutieren, nur be-<br />

dingt mit dem zu tun hat, was <strong>Heuss</strong> sich vorstellen wollte: In den aktuellen theoretischen<br />

Diskussionen um Zivilgesellschaft, Sozialkapital oder Kommunitarismus werden gerade die<br />

nicht-staatlichen Bindungskräfte betont, Bürgersinn bei <strong>Heuss</strong> hat demgegenüber weniger<br />

einen aktivierenden, als einen die Parlaments- und Regierungstätigkeit unterstützenden<br />

Charakter. Die »partizipative Revolution (Kaase) und die »Auseinandersetzung zwischen<br />

zwei politischen Kulturen« 127 - der staatsferneren alternativen politischen Kultur und der<br />

staatsnahen repräsentativen politischen Kultur- müsste man demzufolge nicht als Bele-<br />

bung, sondern als Bedrohung des Staates wahrnehmen. Rudolph zieht insbesondere vor<br />

dem Hintergrund der späteren Entwicklungen eine kritische Bilanz: »Auf der anderen Sei-<br />

te lässt Demokratie in <strong>Heuss</strong>' Verständnis verblüffend wenig Raum für die Tendenzen, von<br />

denen viele heute die Verlebendigung einer träge gewordenen politischen Ordnung erwar-<br />

122 Hertfelder (2005); S. 240<br />

123 Langewiesche (2005); S. 16f.<br />

124 Pikart (1966); S. 138<br />

125 Pikart (1966); S. 139<br />

126 Es braucht keine große Phantasie, sich vorzustellen, welchen Platz die Liberalen heute im politischen<br />

System hätten, hätte sich diese Vorstellung durchgesetzt.<br />

127 Sontheimer (1990); S. 29<br />

51


ten: »plebiszitäres Element, stärkere Minderheitenrechte, das beständige Schleifen der<br />

Mauern der Institutionen.« 128<br />

Ausgerechnet ein Bericht der »Enquete-Kommission 'Zukunft des Bürgerschaftlichen<br />

Engagements« des Deutschen Bundestags ist an dieser Stelle geeignet, <strong>Heuss</strong>' Vorstel-<br />

lungen in den Zeitkontext einzuordnen. Dabei wird deutlich, dass <strong>Heuss</strong>' Vorstellung vom<br />

Ehrenamt durchaus einen fortschrittlichen Akzent besaß: »In den ersten Jahrzehnten der<br />

Bundesrepublik Deutschland herrschte weithin ein 'realistisches' Demokratieverständnis<br />

vor. Nach diesem Modell soll ein politisch nur begrenzt interessiertes und informiertes Pu-<br />

blikum in regelmäßigen Wahlen über konkurrierende Eliten, die das politische Geschäft<br />

professionell betreiben, entscheiden. Ein weiter reichendes politisches Engagement der<br />

Bürgerschaft ist nach diesem Modell verzichtbar, sieht man einmal von der Mitgliedschaft<br />

in politischen Parteien ab, in denen das professionelle Personal ausgebildet und ausge-<br />

wählt wird.« 129<br />

3.3 Autonomie und Verantwortung:<br />

Vorstellungen von Politischer Führung<br />

Mittelpunkt der Bürgergesinnung (und damit auch seines Politikerbildes) ist nach <strong>Heuss</strong><br />

das autonome Individuum, das dem notwendigen Übel der »Verwaltung« oder des »Appa-<br />

rats« gegenübersteht: »Was die Selbstverwaltung braucht, ist eine gesunde Mischung von<br />

Berufsbeamten und unabhängigen 'Laien'. Die Beamten haben für die technische Leis-<br />

tungsfähigkeit des Verwaltungsapparats zu sorgen, die 'Laien' neben der Kontrolle die<br />

Aufgabe zu verhüten, dass eine Verwaltung eine Maschine mit zwangsläufigem Formalis-<br />

mus werde.« 130 Was im Bereich der kommunalen Verwaltung die Formalisierung, ist auf<br />

der gesamtstaatlichen Ebene der »Parteienstaat.« Dieser Schreckensvision zufolge wird<br />

der Staat fortwährend bürokratisiert und von den Parteien monopolisiert. Dazu eine zeit-<br />

genössische Impression aus dem Jahr 1957: »Das von den Honoratiorenpolitikern zu Be-<br />

ginn des Jahrhunderts beschworene Schreckgespenst der entpersönlichten, technokratisch<br />

geleiteten Parteimaschine hat sich – zumindest im Ansatz – bereits deutlich<br />

ausgeformt.« 131 Zwar ist <strong>Heuss</strong> auf der einen Seite Realist genug, um die Notwendigkeit<br />

erhöhter Staatstätigkeit unter den Bedingungen der Moderne anzuerkennen, in seinem Ur-<br />

teil über diese Entwicklung überwiegt jedoch die Skepsis: Es würden gerade diejenigen<br />

128 Rudolph (2000); S. 22<br />

129 Enquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements des Deutschen Bundestags<br />

(2002); S. 319<br />

130 <strong>Heuss</strong> (1921); S. 11<br />

131 Knoll (1957); S. 16<br />

52


enachteiligt, »die in der örtlichen Sphäre aufstehen und sich bewähren, sich nicht mehr<br />

organisch den gemäßen Wirkungsraum schaffen können, der sie dann aus dem Heimat-<br />

boden zu größeren Aufgaben wachsen lässt.« 132 Produkt dieser Staatsmaschine ist ein<br />

neuer Politikertypus, der sich nicht über die Gemeinwohlfunktion des Politischen definiert<br />

sondern sich in den Dienst einer Organisation und ihrer Gesetze stellt.<br />

Der Parteipolitiker und Spezialist löst den Honoratiorenpolitiker und Generalisten ab:<br />

»Hier in dem Vordringen der Hauptberuflichen, des Apparaturmäßigen, sehe ich die Frage<br />

sich öffnen, ob nicht die technische Vervollkommnung bezahlt wird mit einer Einbuße an<br />

ethischem Elan, der allein der Demokratie die dynamische Kraft gibt, geben soll, geben<br />

kann und damit den inneren Stil.« 133 Als ein Referenzmodell bietet sich ihm der Politiker-<br />

typus von 1848 an: »Wenn es auch an politischen Wichtigtuern nicht fehlte, so war das<br />

erste deutsche Parlament frei von dem Routinier, dem verhüllten oder offenen Interessen-<br />

vertreter, dem Syndikus- und Sekretär-Typus, der, gewiss nicht ohne sachliche Verdiens-<br />

te, später die deutschen Parlamente überschwemmte.« Der Ruhm der Paulskirche mani-<br />

festiere sich gerade in der Ansammlung »durch geistige Leistung hervorragender<br />

Männer«, die den Deutschen zwar keine politische, aber dafür eine »geistige Einheit«<br />

ermöglichten. 134 Das Negativbeispiel ist prototypisch im Abgeordneten Heinrich Rönne-<br />

berg der Weimarer DDP zu finden: »Er war zum 'Geschäftsführer' der Fraktion bestimmt,<br />

höchst betriebsam und bereit, allen Anregungen und Wünschen, den Staat zum Wohle<br />

einzelner Gruppen zu belasten, nachzukommen.« 135<br />

Unter den Bedingungen des Jahres 1945 war diese Skepsis den Prozessen der moder-<br />

nen parlamentarischen Demokratie gegenüber, wie wir sie heute kennen, weit verbreitet.<br />

Demzufolge war auch ein Politikermodell wie das, das <strong>Heuss</strong> entwickelt, anschlussfähig.<br />

So glaubten viele Politiker der ersten Stunde, ihr Amt für ein paar Jahre parallel zu ihren<br />

anderen Aktivitäten ausüben zu können. Bald zeigte sich jedoch, dass Politik ein Vollzeit-<br />

beruf geworden war und dass der Typus des locker mit seiner Fraktion assoziierten Hono-<br />

ratiorenpolitikers den neuen Bedingungen des Parlamentsbetriebs und des Parteiensys-<br />

tems nicht mehr genügt: »Der anhaltende Regelungsbedarf, die immer umfangreicher<br />

und komplexer werdenden, immer mehr spezialisierte Sachkenntnisse erfordernden Ge-<br />

setzgebungsmaterien taten ein übriges.« 136 Wenn auch <strong>Heuss</strong> Realist genug war, um die<br />

Gründe für jenen Paradigmenwechsel in der politischen Führung nachvollziehen zu<br />

können, so fehlen ihm die Antworten auf die Frage, wie man unter solchen Bedingungen<br />

seinen eigenen Ansprüchen an autonome politische Führung gerecht werden kann. Dies<br />

132 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 159<br />

133 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie«; S. 464<br />

134 <strong>Heuss</strong> (1948); S. 109<br />

135 <strong>Heuss</strong> (1965); S. 222<br />

136 Schüttemeyer (1999); S. 492<br />

53


mag vor allem darin begründet zu sein, dass er selbst die neue parlamentarische Arbeits-<br />

weise weder in Weimar richtig erlebte, denn er gehörte nicht zu denjenigen, die für die<br />

Organisation der Fraktion verantwortlich waren, noch, dass er sie im neuen Bundestag<br />

einnahm - etwa als Fraktionsführer oder Ausschussmitarbeiter, dessen parlamentarischer<br />

Aufstieg nun immer stärker über den Weg Spezialisierung auf immer komplizierter<br />

werdende Sachfragen und über immer stärkere innerfraktionelle Hierarchieebenen führte.<br />

▌ Mässigung und Masse<br />

Schon im aristotelischen Athen fürchtete man die Zerstörung der politischen Ordnung<br />

durch die Demagogie. Dahinter stand und steht die Angst, dass statt der Vernunft das Un-<br />

bewusste die Politik gestaltet. Dadurch, dass Politik nicht mehr der Kommunikation der<br />

Freien sondern der Affirmation der Gleichen entspringt, wird das Politische selbst abge-<br />

schafft. Wird dieser Gedanke bereits bei Thomas Hobbes wieder aufgegriffen, so findet er<br />

nach der französischen Revolution Eingang in die Theorie von der »Psychologie der<br />

Masse.« Insbesondere unter den Vorzeichen der Proletarisierung breiter Bevölkerungs-<br />

schichten im Zuge der industriellen Revolution wird die Masse zunehmend als die<br />

elementare Gefährdung der staatlichen Ordnung wahrgenommen. Ortega Y Gasset<br />

schreibt: »Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigen-<br />

begabt und erlesen ist. Wer nicht 'wie alle' denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.<br />

Und es ist klar, dass 'alle' eben nicht alle sind.« 137 Sie ist ein triebhaftes, irrationales von<br />

Demagogen manipulierbares Wesen. Unter der Masse haben wir uns die Negierung der in-<br />

dividuellen Bürgergesinnung vorzustellen. In diesem Sinne benutzt 1928 auch <strong>Heuss</strong> den<br />

Terminus: »Die Beispiele der Geschichte, Anzeichen unserer Gegenwart zeigen, wie sehr<br />

die 'besitzlose' Masse, von Bindungen und Tradition gelöst, in der Gefahr steht, Raub des<br />

bloßen Schlagworts, Gefolgschaft des Demagogen zu werden.« 138 Deutlich wird, dass<br />

demnach vor allem die Besitzlosen gefährdet sind, Masse sind demnach vor allem die<br />

anderen. »Masse« ist somit auch ein Schlüsselbegriff, der anzeigt, welchen Stellenwert<br />

sein Benutzer als Teil der Nicht-Masse dem Individuum in der anonymen Mehrheit geben<br />

will.<br />

Liest man das <strong>Heuss</strong>-Zitat unter diesen Vorzeichen, so zeigt sich, dass vor allem Besitz<br />

und Tradition zentrale Begriffe sind, die das Individuum immun gegen »Vermassung« ma-<br />

chen. Im Gegensatz zu Le Bon oder Ortega will <strong>Heuss</strong> der Masse nicht mit einem repressi-<br />

ven Programm begegnen. Bei ihm konturiert sich ein klarer Erziehungsanspruch. Er rela-<br />

tiviert das, wie er sich ausdrückt, »Vermassungsgerede« 139 und sieht das Phänomen in<br />

137 Ortega Y Gasset (1956); S. 12<br />

138 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 190<br />

139 Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 24.02.1958 ; S. 313<br />

54


Wahlkampfeinsätzen »als kämpferische Lockung.« 140 Auf der sozialpolitischen Ebene muss<br />

Politik deshalb die Bildung von Eigentum ermöglichen, da dadurch ja Traditionsbildung<br />

ermöglicht wird. Auf der bildungspolitischen Ebene ergeht der Auftrag der Individuumsbil-<br />

dung.<br />

Wenn <strong>Heuss</strong> gerade nach 1945 auf die Massentheorien Bezug nimmt und seine<br />

zentrale politisch-kulturelle Botschaft in Bezug zu dieser Theorie stellt, dann tut er dies<br />

aus einer Position der Nüchternheit. Nicht weil er befürchtet, dass der Trieb per se stärker<br />

ist als die Vernunft. Vielmehr betrachtet er »Masse« als Resultat einer manipulativen auf<br />

»Romantik«, Demagogie und Maßlosigkeit basierenden politischen Herrschaftsstrategie.<br />

»Die Vermassung [...] wird ein bewusstes Ziel, um politische Herrschaft zu gestalten und<br />

zu sichern mit einer sehr merkwürdigen, aus fremden Welten, auch quasi-religiösen, kom-<br />

menden Kraft.« 141<br />

Die zentrale Handlungsnorm für Politiker, die es verdienen, das Etikett demokratisch<br />

zu tragen wird deshalb die »Mäßigung«, auf die <strong>Heuss</strong> immer wieder zu sprechen kommt.<br />

»Dann gibt es Situationen, in denen ich versuche, in einer ruhigen Argumentation den<br />

Leuten, ob es Deutsche oder Ausländer sind, das Gesetz des Maßes zu lehren« 142 Exem-<br />

plarisch wird dies in der Silvesteransprache 1949 formuliert: »Wollt Ihr wieder den<br />

Reichstag der dreißiger Jahre, wo alles 'glatt' ging? Es war der glatte Weg, der in den Ab-<br />

grund führte. Das demokratische Verfahren war nie glatt und bequem. Mit seinen Brems-<br />

vorrichtungen verteilt es Verantwortungen und im tiefen Sinn will es den Bürger dazu er-<br />

ziehen, selber Verantwortung zu übernehmen.« 143<br />

Zentrale Aufgabe der Politik ist es demnach, Gemeinschaft zu ermöglichen, ohne sich<br />

suggestiver und demagogischer Techniken zu bemächtigen. Beispielhaft ist demnach das<br />

Erlebnis eines Staatsbesuchs in Berlin: »Masse? Menge? Die Unterscheidung verschwimmt<br />

– die äußere Freiheit der vielen lebt aus der inneren Freiheit des Einzelnen.« 144<br />

Eigentümlich ist die Ambivalenz der <strong>Heuss</strong>'schen Ansichten vom Individuum. Auf der<br />

einen Seite scheint sein Glaube an die individuelle Kraft ungebrochen zu sein, auf der<br />

anderen Seite verträgt sich der von <strong>Heuss</strong> formulierte politische Führungs- und Erzie-<br />

hungsanspruch nur bedingt mit der Vorstellung individueller Autonomie. Unklar ist zum<br />

Beispiel, woher die Legitimationsquelle dieser Ansprüche stammt oder wo ihre Grenzen im<br />

Sinne einklagbarer Abwehrrechte zu verorten sind.<br />

140 siehe <strong>Heuss</strong> (1964); Die Volksversammlung ; S. 308<br />

141 Felder (1995); Formkräfte einer politischen Stilbildung; Rede am 02.05.1952; S. 314<br />

142 Pikart/Mende (1967); Brief an Friedrich Dessauer ; S. 290<br />

143 Kohler (1989); Sylvesteransprache vom 31.12.1949; S. 21<br />

144 Felder (1995); Formkräfte einer politischen Stilbildung; Rede am 02.05.1952; S. 316<br />

55


▌ Verantwortungsethik<br />

Wenn obige Einwände aus der Perspektive der Mehrheit gegenüber der Minderheit der<br />

politisch Handelnden gelten, so sind sie aus der Perspektive des »guten« Politikers einfach<br />

auszuräumen. Dieser muss demnach seinen Führungsanspruch mit einer inneren Haltung<br />

verknüpfen, die ihr Handeln an ihrer Verantwortung misst. <strong>Heuss</strong> nennt dies mit Max We-<br />

ber »Verantwortungsethik.« Demgegenüber steht die »Gesinnungsethik.« Weber: »Der<br />

Verantwortungsethiker [...] fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit<br />

er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen. Er wird sagen: diese Folgen werden<br />

meinem Tun zugerechnet. 'Verantwortlich' fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, daß<br />

die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtig-<br />

keit der sozialen Ordnung, nicht erlischt.« 145 Ein strenger Diesseitsbezug (so wie <strong>Heuss</strong><br />

generell ein laizistischer Politiker war) und die Anerkenntnis, das »Demokratie Herrschaft<br />

auf Frist« sei.<br />

Das meint zum einen die Einsicht in die verfassungsmäßig festgelegten Fristen zwi-<br />

schen den Wahlen, und die Respektierung der in der Verfassung verankerten Limi-<br />

tierungen. Zum Anderen ist damit auch die rollenmäßige Selbstbeschränkung und die Ein-<br />

sicht in die eigene Begrenztheit verbunden, wie <strong>Heuss</strong> bereits 1928 formuliert. »Dass der<br />

morgige Wahltag eine Korrektur des heute bringen kann, bedeutet eine natürliche Züge-<br />

lung in der Demokratie, mildert die Gewalt der Herrschaft, mildert auch, wenigstens im<br />

theoretischen Anspruch, die Heftigkeit der Opposition.« 146<br />

Die Einsicht in die Befristung korrespondiert mit einer innerlichen Nüchternheit (die mit<br />

der Tugend des Maßes verwandt ist). Nüchternheit ist die Gegenhaltung zur »Romantik als<br />

Erziehungselement der Parteipolitik«, in der <strong>Heuss</strong> eines der größten Probleme der deut-<br />

schen politischen Kultur sieht. Ihre Bekämpfung ist demnach eine zentrale Aufgabe:<br />

»Wenn ich für unsere Generation oder unsere Richtung eine pädagogische Aufgabe sehe,<br />

so ist es die, den Menschen die Nüchternheit zur Pflicht zu machen.« 147<br />

Neben der »Verantwortungsethik« als zentraler ethischer Handlungsnorm, der intellek-<br />

tuellen Einsicht in seine eigene Begrenzung und dem Postulat der Nüchternheit als Tugend<br />

gehört zu diesem Themenfeld auch noch ein vierter Aspekt. Verantwortung bezieht sich<br />

demnach auch auf das konkrete politische Amt und auf seine Würde.<br />

▌ opposition und Verständigung<br />

Eine Haltung, die mit der von <strong>Heuss</strong> geforderten geistigen Autonomie des Politikers<br />

einhergeht, ist die, sich nicht prinzipiell einem Fraktionszwang zu unterwerfen. »Manche<br />

145 Weber (1999); Politik als Beruf; S. 442<br />

146 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 86<br />

147 Henning (1981); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Thomas Dehler vom 25.11.1952; S. 83<br />

56


Leute, zumal solche, die Aufsätze über die so genannten 'Spielregeln der Demokratie'<br />

fabrizieren, meinen, das Wesen der Politik sei in dem Kampfspiel von 'Regierung' und 'Op-<br />

position' beschlossen. Es fällt mir nicht ein, die Gegensätzlichkeit von Anschauungen oder<br />

Interessen im politischen Raum zu verharmlosen; sie ist ein belebendes Element des An-<br />

triebs und Kraft der Kontrolle. Aber sie darf nie zum politisch-technischen Selbstzweck<br />

erstarren, bei dem ein gescheites Wort als dumm gilt, eine verständige Handlung als<br />

falsch, nur weil sie im anderen Lager gesprochen oder vollzogen wurden.« 148<br />

Damit nimmt <strong>Heuss</strong> Bezug auf eine Äußerung Kurt Schuhmachers. Die <strong>Heuss</strong>che Vor-<br />

stellung von Opposition steht wuer zum Politikverständnis Adenauers. Mit seiner bereits<br />

auf der »Rhöndorfer Konferenz« im Mai 1949 innerhalb der CDU durchgesetzten kleinen<br />

Koalition verfolgte er schließlich die Strategie, Allparteienkoalitionen zu vermeiden und<br />

eine bewusste Zuspitzung des politischen Prozesses zu erreichen, die sich weniger am<br />

Modell der Weimarer Koalition als am britischen Modell der Konkurrenzdemokratie<br />

orientiert. »Die andere Veränderung betrifft das sich erst in den ersten beiden Kabinetten<br />

Konrad Adenauers herausbildende gewandelte Demokratieverständnis, welches das<br />

englische Vorbild aufnimmt und von einem Ringen zwischen Regierungsparteien und Op-<br />

position ausgeht. Den Parteien fällt damit die Rolle der Mehrheitsbeschaffung für die<br />

Kanzlerbestellung zu, die an die Stelle der noch 1949 vorherrschenden Funktion einer an-<br />

teiligen Repräsentation gesellschaftlicher Interessen getreten ist und damit die Bildung<br />

großer Volksparteien erst ermöglichte.« 149 Damit wird dem traditionell konkordanten Aus-<br />

richtung des politischen Systems eine konkurrenzdemokratische Komponente beigefügt<br />

und durchgesetzt.<br />

▌ Bildung als Inklusionsquelle<br />

<strong>Heuss</strong> hatte eine ausgeprägte qualitative Vorstellung von Politik, die zuallererst an Bil-<br />

dung gekoppelt ist. Deutlich wird diese bildungsbürgerliche Vorstellungswelt an <strong>Heuss</strong>'<br />

Personenbeschreibungen: Als höchste Form der Anerkennung kann man einen »klugen«<br />

»geistvollen« »Staatsmann« »von Rang« und »innerer Spannkraft« sehen, ambivalent,<br />

aber immerhin eher positiv konnotiert, ist das Attribut »brav.« Der von <strong>Heuss</strong> sehr ge-<br />

schätzte »Tafelaufsatz im Proletarierhaushalt« Carlo Schmid 150 entsprach demnach den<br />

Vorstellungen von Niveau, und <strong>Heuss</strong> verband eine politische Freundschaft mit diesem<br />

Quereinsteiger in der SPD. Neben der allgemeinen Bildung konstituierte auch das ange-<br />

messene Verhalten den Unterschied - besonders sensibel reagiert <strong>Heuss</strong> auf Grobheit und<br />

kann dabei den üblichen, indirekten Tonfall verlassen: »Lieber Dehler, die Meinung, ich<br />

könnte Sie ermuntern, auf die Rolle des enfant terrible für eine Zeit zu verzichten, habe<br />

148 Dahrendorf/Vogt (1984); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: Sylvesteransprache 31.12.1950 ; S. 403<br />

149 Mommsen (1998)<br />

150 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 28.11.1956 ; S. 220<br />

57


ich längst nicht mehr. Sie sind von ihr so angetan, dass Sie sie bis zum - wie ich fürchte -<br />

tragischen Ende durchführen werden.« 151 Dies nur als eine nette Eigentümlichkeit von<br />

<strong>Heuss</strong> zu sehen, wird der Zentralität solcher qualitativen Vorstellungen nicht gerecht. Der<br />

souveräne Umgang mit dem bildungsbürgerlichen Arsenal wird zu einem zentralen Ein-<br />

schlusskriterium. Anders gesagt: Es ist nicht genug, sich seine Meriten im Ehrenamt<br />

erworben zu haben, »Bildung« erscheint als weitere, aber weniger explizit formulierte<br />

Voraussetzung neben dem Engagement: Der meritokratischen Vorstellung wird ein bil-<br />

dungselitäres Element beigefügt.<br />

Damit verbunden ist auch die Zentralität von Geschichte als Deutungskategorie: »Bei<br />

dieser staatsmännischen Aufgabe wird immer mit etwas davon abhängen, was man an<br />

Geschichte mit weiß, um das Gewicht der Geschichte mit abzuwägen. Das ist einmal die<br />

Kraftreserve, es ist aber ein andermal die hemmende Last. Man darf nicht der Sklave des<br />

Gewesenen sein, aber ein Glück, wenn man einen Spürsinn für das Werdende zu besitzen<br />

glaubt, und noch besser, wenn man ihn besitzt.« 152<br />

Träger des Staats sind nach <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen die in »Eigenverantwortung<br />

verwurzelten« Bürger. Damit wird neben geistiger auch ökonomische Unabhängigkeit ver-<br />

standen. Eine wichtige staatliche Rolle spielt demnach der ökonomische Mittelstand: »Die-<br />

ser so genannte Mittelstand mit seiner verhältnismäßigen ökonomischen Unabhängigkeit<br />

und Beweglichkeit ist aus seiner ganzen Lage heraus staatserhaltend.« 153<br />

3.4 Zusammenfassung<br />

Im Zentrum von <strong>Heuss</strong>' Überlegungen steht die Idee der Bürgergesinnung. Kern der Vor-<br />

stellung ist ein altruistisch motivierter Ehrenamtsbegriff. Die Ehre des Amtes ist demnach<br />

eine Auszeichnung – keine Belastung und auch nicht in erster Linie dem persönlichen<br />

Nutzen zuarbeitend. Deshalb sollen Bürger Ehrenämter im gesellschaftlichen wie im staat-<br />

lichen Bereich übernehmen (wollen). Ehrenamt soll Grundlage und Ergebnis eines Auslese-<br />

prozesses sein, der durch die ehrenamtliche Arbeit selbst gesteuert wird. Der Staat soll<br />

also von einer politischen Elite getragen werden, die aus einem Ausleseprozess der »Be-<br />

währungen« hervorgegangen ist. Das grundlegende Ehrenamt ist <strong>Heuss</strong> zufolge das staat-<br />

liche, wobei die Verbindung zum sozialen Ehrenamt nicht eindeutig beschrieben ist. Es ist<br />

anzunehmen, dass der vertikale Ausleseprozess sich vor allem auf diese staatlichen<br />

Ehrenämter bezieht.<br />

151 Henning (1983); Brief an Thomas Dehler vom 28.05.1953; S. 97<br />

152 <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> (1950); S. 40<br />

153 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 190<br />

58


Unverträglich ist diese Vorstellung von Engagement im Staat mit Partizipation im Sinne<br />

eines partizipativen Demokratieverständnisses. <strong>Heuss</strong> geht es außerhalb der staatlichen<br />

politischen Institutionen nur um eine Gabe von Unterstützung. Überspitzt gesagt: Partizi-<br />

pation ist dergestalt eine Anmaßung - unklar ist, inwieweit sie sogar als Risiko wahrge-<br />

nommen wird. Ganz im Sinne repräsentativ-demokratischer Vorstellungen werden Partizi-<br />

pationsmöglichkeiten auf die in längeren Abständen stattfindenden Wahlen oder die<br />

Mitarbeit in einer Partei begrenzt. Informelle Partizipation findet zwar empirisch statt (wie<br />

der Naumann-Kreis exemplarisch vorführt), wird jedoch nicht konzeptualisiert.<br />

Im Kern dieser Vorstellung stehen dem Idealismus der »vielen Freiwilligkeiten« ein<br />

hierarchisches und monopolistisches Staatsverständnis gegenüber. <strong>Heuss</strong> überwindet<br />

diesen Widerspruch durch die meritokratische Konstruktion der Führungsauslese durch<br />

Engagement.<br />

Wenn dieses Konzept den selbstbewussten politischen Anführer innerhalb einer poli-<br />

tischen Elite voraussetzt, so stellt <strong>Heuss</strong> an diesen einige ethisch-moralische An-<br />

forderungen. An erster Stelle ist die Unabhängigkeit zu nennen, die ihn frei in der Ent-<br />

scheidung und der Kommunikation macht. Die eigenen Interessen finden demnach eine<br />

Begrenzung in den Interessen der Anderen. Demokratie wird als ein Regel-Arrangement<br />

verstanden, dass Herrschaft befristet und demnach muss ein Politiker diese Befristung ak-<br />

zeptieren – die verfassungsmäßige zeitliche Befristung, die Befristung der Aufgaben, und<br />

auch eine Kultur des »Maßes« als Handlungsnorm internalisieren. Das dahinter stehende<br />

moralische Prinzip ist das der »Verantwortungsethik.« Der Bevölkerung gegenüber wird<br />

hieraus ein erzieherischer Auftrag abgeleitet.<br />

Wenn man wiederum Weber vergleichend neben <strong>Heuss</strong> stellt, findet man die Nähe zu<br />

dessen Vorstellung vom idealen Politiker: »Man kann sagen, dass drei Qualitäten vor-<br />

nehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft - Verantwortungsgefühl -<br />

Augenmaß.« 154 Bei <strong>Heuss</strong> wird damit ein eher konkordantes Oppositionsverständnis ver-<br />

bunden, das Interessenpolitik und Gemeinwohlausrichtung verbindet, wenngleich letztere<br />

prioritär zu sein scheint.<br />

Zu einem bildungsbürgerlichen Konzept werden diese Vorstellungen nicht zuletzt des-<br />

wegen, weil die meritokratische Vorstellung der Auslese über einen verdeckten Inklusions-<br />

mechanismus vollzogen wird, der Bildung. In der Selbstbeschreibung erscheint das Kon-<br />

zept also als eine meritokratische auf Freiwilligkeit basierende Vorstellung, auf einer<br />

reflexiven Ebene fällt auf, dass die Inklusionsmechanismen vorhandene Ungleichheit ver-<br />

stärken und »auf die eigene Sozialgruppe« zulaufen.<br />

154 Weber (1999); Politik als Beruf; S. 435<br />

59


▌ Mann des Übergangs<br />

Dass <strong>Heuss</strong> nicht einfach ein Politikmodell des 19. Jahrhunderts konserviert, sondern<br />

dass er Spuren eines solchen Modells mit explizit modernen, die Welt des Bildungsbürgers<br />

ins Wanken bringenden Vorstellungen vermischt, muss an dieser Stelle erwähnt werden.<br />

Innerhalb des bildungsbürgerlichen Milieus gehört er zu denjenigen, die ihren Anspruch<br />

auf eine tragende Rolle nicht aus ihrer ständischen Position herleiten. Statt Stand und Sta-<br />

tus werden die Kategorien Individualität und Konkurrenz zentral. Ebenso verzichtet er auf<br />

ein sich auf traditionale Quellen beziehendes Politikbild und vertritt einen sachlich-moder-<br />

nen Politikbegriff. Auch in seiner Tätigkeit als Journalist und Publizist stellt er traditionelle<br />

Deutungsmacht in Frage: »Als Journalist und politischer Publizist bewegte sich <strong>Heuss</strong> auf<br />

der Agora des publizistischen Massenmarktes, ohne eine privilegierte Deutungskompetenz<br />

qua akademischer Weihen zu beanspruchen.« 155 So verbindet sich mit seinem Lebensweg<br />

das Vordringen moderner Politik- und Gesellschaftsvorstellungen.<br />

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg passt auf <strong>Heuss</strong> die Metapher des Übergangs. Das<br />

von ihm vertretene Konzept des Honoratiorenpolitikers ist 1949 im Verschwinden begrif-<br />

fen. Der Einfluss der Parteien steigt und mit ihnen der Stellenwert von arbeitsteiliger<br />

Organisation im politischen Prozess: Die Parteiorganisationen werden gestärkt und im<br />

parlamentarischen Bereich, innerhalb der Fraktionen ändern sich die Aufstiegswege, Spe-<br />

zialisierung in komplexeren Politikfeldern nimmt zu, innerfraktionelle Hierarchien und Äm-<br />

ter stehen zwischen dem unabhängigen Abgeordneten und der Fraktionsmeinung. Zwar ist<br />

<strong>Heuss</strong> nicht er einzige Honoratiorentypus, der in den Bundestag einziehen wird, wohl aber<br />

wird dieses Politikermodell an ihm exemplarisch sichtbar.<br />

155 Hertfelder (2000); S. 109<br />

60


4.Politisches Handeln<br />

Im Jahr 1933 gehört <strong>Heuss</strong> nicht zu denjenigen, die große Illusionen über den Aufstieg<br />

des Nationalsozialismus hatten. Als Autor des Buches »Hitlers Weg« wie als Parlamen-<br />

tarier setzte sich <strong>Heuss</strong> bereits 1932 mit der nationalsozialistischen Ideologie auseinander.<br />

Demzufolge gehört er auch zu den ersten, die die Auswirkungen der »Machtergreifung« zu<br />

spüren bekommen. Auf dem Berliner Opernplatz verbrannten unter anderem auch Bücher<br />

von <strong>Heuss</strong>. Als Dozent und Politiker verlor er schnell einen Großteil seiner Betätigungs-<br />

möglichkeiten. Übrig blieb die Herausgeberschaft der »Hilfe«, die gelegentliche freie jour-<br />

nalistische Arbeit sowie das Verfassen schriftstellerischer Werke. 1937 kam sein Haupt-<br />

werk, die Naumann-Biografie heraus. Es folgten weitere Biografien wie die über den<br />

Architekten Hans Poelzig, mit dem <strong>Heuss</strong> aus gemeinsamen Werkbund-Zeiten eine gute<br />

Bekanntschaft verband, eine Biografie über den Biologen Anton Dohrn, eine über Justus<br />

von Liebig und in den vierziger Jahren ein großes Auftragswerk die Robert Bosch-Biogra-<br />

fie. Sie erschien erst 1946 nach dem Krieg.<br />

Wenn <strong>Heuss</strong> auch kein Widerstandskämpfer war, so lebte er in kritischer Distanz zum<br />

NS-Staat und ging seinen schriftstellerischen Projekten nach. Wäre das Attentat des<br />

20.Juli 1944 ein Erfolg gewesen, dann hätte <strong>Heuss</strong> möglicherweise früher wieder an seine<br />

politische Karriere anknüpfen können, losen Kontakt hatte er zu Carl Friedrich Goerdeler.<br />

Stattdessen begann er sein politisches Comeback im Jahr 1945.<br />

Weil er von den amerikanischen Besatzungstruppen als eine unbelastete Person einge-<br />

stuft wurde, befand er sich bereits Anfang 1945 auf den weißen Listen der Amerikaner.<br />

»Apparently his name has gotten on a white list, so that everyone takes every possible<br />

opportunity to interview him on one thing or another, and they usually come back to.« 156<br />

In der Folge wird er zunächst wieder journalistisch tätig, als einer von drei Lizenzträgern<br />

der Rhein-Neckar-Zeitung (bis er 1949 seine Anteile verkaufte).<br />

Im August 1945 wurde er zum Württemberg-Badener Kultminister unter Ministerprä-<br />

sident Reinhold Mayer ernannt. Bis zur ersten Wahl im Dezember 1946 übte er das Amt<br />

aus. Anschließend wurde er nicht wieder ernannt, da der Deutschen Volkspartei, der<br />

<strong>Heuss</strong> angehörte, nur ein Kabinettsposten zustand, den Ministerpräsident Mayer einnahm.<br />

Stattdessen wurde er ab Juni 1946 Landesparlamentarier, erst als Abgeordneter der »Ver-<br />

156 Pikart (1966); Max Stolper über <strong>Heuss</strong> , zit. nach: 1945-1947; S. 20<br />

61


fassungsgebenden Landesversammlung«, dann ab November 1946 als Abgeordneter des<br />

Landtags, so wie auch seine Frau, Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp. 157<br />

4.1 Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp<br />

die dreissiger Jahre, waren für die Familie <strong>Heuss</strong> auch von problematischen Phasen ge-<br />

kennzeichnet. Die wichtige politische Rolle, die <strong>Heuss</strong> möglicherweise eingenommen hätte,<br />

wäre die parlamentarische Entwicklung in Deutschland nicht unterbrochen worden, sowie<br />

die publizistische und wissenschaftliche Tätigkeit blieben ihm weitestgehend verschlossen.<br />

Im Gegensatz dazu entwickelte sich Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp zu einer profilierten, Werbeexpertin<br />

und zu einer Pionierin der Rundfunk-Werbung in Deutschland (»eigentlich ist mir gar nicht<br />

humoristisch zumut, außer, wenn ich gerade Schallplatten mache«). 158 Damit dürfte<br />

<strong>Heuss</strong> zu einer Minderheit gehört haben, die vom Erwerbseinkommen seiner Frau abhän-<br />

gig ist ohne dass dies ernsthafte Auswirkungen auf sein Selbstbewusstsein gehabt hätte.<br />

Angefangen mit Produkten der Firma Wybert arbeitet Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp für viele der<br />

großen Marken in Rundfunk und Kino: »Ich habe nur noch Nivea im Kopf und Sonne-<br />

brickets und Knäckebrot. Ein schönes Gemisch, manchmal denke ich, es explodiert.« 159<br />

Auch im politischen und sozialpädagogischen Engagement entspricht Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp<br />

nicht dem traditionellen Rollenbild: In jungen Jahren setzt sie sich für das Frauen-<br />

wahlrecht ein, kandidiert 1919 für die Weimarer Nationalversammlung, arbeitet sozialpäd-<br />

agogisch. Sie, die Tochter des Nationalökonomen Georg Knapp aus Straßburg, hat also<br />

nicht die Absicht, das Leben als Zierde ihres Gatten zu bestreiten.<br />

Im November 1946 wird sie in den Landtag Württembergs gewählt, nimmt zahlreiche<br />

Ehrenämter war (wie z.B. das der stv. Vorsitzenden der Europäischen Bewegung) und<br />

konzentriert sich auf ihr altes Spezialgebiet die Volksbildung. Der Höhepunkt ihrer poli-<br />

tischen Karriere fällt gleichzeitig mit einer starken Schwächung ihrer Konstitution zu-<br />

sammen, die sie immer wieder zu Krankenhaus- und Kuraufenthalten zwingt. Insofern<br />

sieht sie die Übernahme des Bundespräsidentenamtes auch eher skeptisch. 160 Die la-<br />

konische Anmerkung aus einem privaten Brief ist programmatisch: »Jetzt ist es bereits<br />

einige Wochen her, dass wir das neue Amt angetreten haben.« 161 Der sich selbst als Teil<br />

des Amtes betrachtende Plural gibt dem Rollenverständnis der First Lady einen modernen<br />

Akzent, wie man ihn weder bei Ebert, Hindenburg oder Hitler zu finden war. Modern und<br />

157 Henning (1984); S. 94<br />

158 <strong>Heuss</strong>-Knapp (1961); S. 230<br />

159 <strong>Heuss</strong>-Knapp (1961); S. 253<br />

160 <strong>Heuss</strong>-Knapp (1961); an Gertrud Stettiner-Fuhrmann vom 23.07.1949; S. 334<br />

161 Elly <strong>Heuss</strong> Knapp (1961); S. 334<br />

62


damit das Rollenprofil der Präsidentengattin bis heute definierend ist die Tatsache, dass<br />

sie das Amt nutzt, um Publizität für soziale Zwecke zu erzeugen und die Rolle der<br />

»Landesmutter« mit einer Funktion verknüpft. Dies war weder für das Amt des Reichsprä-<br />

sidenten geschehen, noch für das Amt des Bundeskanzlers. Hauptschwerpunkt ihrer so-<br />

zialen Aktivitäten war die Gründung des »Müttergenesungswerks«, das heute den Namen<br />

»Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp-Stiftung« trägt. Auch ihre Nachfolgerin, Wilhelmine Lübke gehörte zu<br />

diesem Typ Frau, ohne den die Amtsausübung des Mannes nur schwer vorstellbar war. In-<br />

sofern sind beide traditionsbildend tätig gewesen.<br />

Nun wäre es eine starke Verkürzung, Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp als Mutter des modernen Fe-<br />

minismus zu sehen und sie quasi zur älteren Schwester Alice Schwarzers zu machen– den<br />

zu ihrer Modernität gehört auch eine Portion Konservatismus und eine Religiosität, die bei-<br />

spielsweise ihr Mann gar nicht teilte. Sätze wie der nachfolgende entsprechen nicht dem,<br />

was wir heute unter Chancengleichheit verstehen: »Nichts ist von der Frau aus gesehen<br />

kurzsichtiger als z. B. die Erleichterung der Ehescheidung, denn immer sind die Kinder der<br />

leidende Teil.« Auch entspricht die Annahme von der Familie als Kernelement neuer Ge-<br />

schlechterbeziehungen wohl nur bedingt auf Zustimmung gerade der Frauen in Führungs-<br />

positionen: »Die Erhaltung und Festigung der Familie ist tatsächlich der Angelpunkt für<br />

eine neue Sozialpolitik.« 162 Symptomatisch indes ist die retrospektive Wahrnehmung<br />

allein ihres karitativen Engagements und als Beiwerk ihres Mannes. Dies ist möglicher-<br />

weise aber auch dem Umstand geschuldet, dass sie bereits im Juli 1952 im 71. Lebensjahr<br />

verstirbt.<br />

4.2 <strong>Heuss</strong> als Parteipolitiker<br />

In GremienSitzungen seine Zeit zu verbringen und Mehrheiten zu organisieren war<br />

weniger die Sache von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>. Eher entsprach er dem Modell des sich über größe-<br />

re Linien definierenden Honoratiorenpolitikers, der seinem parlamentarischen <strong>Kolleg</strong>en ge-<br />

legentlich Toqueville zur Lektüre empfiehlt. Gleichwohl wird er aber am Ende der vierziger<br />

Jahre erster Vorsitzender der Freien Demokratischen Partei sein. Im Folgenden soll<br />

deshalb seine Rolle als Parteipolitiker nachvollzogen werden.<br />

Gerade die Liberalen, die vor 1933 politisch aktiv waren, hatten 1945 eine klare Vor-<br />

stellung davon, was sie nicht wollten. Die Weimarer Zeit hatten sie als eine Entwicklung<br />

der Zersplitterung und zunehmenden Einflusslosigkeit erfahren. Dies galt es nun dauerhaft<br />

zu überwinden. Bereits im August 1945 schrieb <strong>Heuss</strong>: »Es ist in höchstem Maße wün-<br />

schenswert, dass die alten Parteiformierungen nicht einfach in dem Stile wiederkehren,<br />

162 Pikart /Mende (1967); Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp vom 15.01.1949; S. 264<br />

63


wie er vor 1933 in Deutschland geherrscht hat.« 163 Prioritär ging es ihm darum, eine Neu-<br />

auflage des katholischen Zentrums zu verhindern, weshalb er bei moderaten ehemaligen<br />

Zentrums-Politikern vorfühlte, um diese für eine neue in ihren Werten liberale und weltli-<br />

che Partei zu gewinnen. Nennenswerte Aktivitäten sind hier die Gründung einer lokalen<br />

Partei in Heilbronn und ein größer angelegtes Verhandlungstreffen mit der »CSP« in Stutt-<br />

gart.<br />

Es war keine Selbstverständlichkeit, dass er als ehemaliges DDP-Mitglied später Vor-<br />

sitzender der FDP wird. In einem Brief an Thomas Dehler bemerkt er hierzu: »Mir selber<br />

ist es ähnlich gegangen wie Frau Dr. Bäumer, dass ich sowohl von der CDU wie von der<br />

LDP stark in Anspruch genommen bzw. umworben war. Eine große Anzahl unserer alten<br />

Freunde sind ja am Aufbau der CDU führend mit tätig gewesen.« 164 Heß macht deutlich,<br />

dass vor allem der Ort eine entscheidende Rolle gespielt hat: <strong>Heuss</strong> ist erst kurz vor<br />

Kriegsende wieder nach Württemberg gezogen, seine politische Heimat ist Berlin ge-<br />

wesen: »Hätte <strong>Heuss</strong> das Kriegsende nicht in Heidelberg erlebt und hätte ihn sein Weg -<br />

unter entscheidender Mithilfe der Amerikaner – von dort nicht schon im September 1945<br />

als Kultminister nach Stuttgart geführt, sondern wäre er noch in Berlin gewesen bzw.<br />

dorthin zurückgekehrt, so können wir davon ausgehen, dass auch er sich dort wie andere<br />

DDP-Politiker wie Ferdinand Friedensburg, Ernst Lemmer oder Otto Nuschke mit großer<br />

Wahrscheinlichkeit der neugegründeten CDU angeschlossen hätte.« 165<br />

Dies lag auch daran, dass der Aufbau der Parteiorganisationen in den Ländern unter<br />

höchst unterschiedlichen Voraussetzungen vonstatten ging. In Württemberg-Baden, das in<br />

der amerikanischen Zone lag, strebte die Besatzungsmacht einen Aufbau von der lokalen<br />

Ebene aus nach oben an, eine Vorstellung, die auch <strong>Heuss</strong> teilte, der zunächst keine über<br />

das Land hinausgehenden politischen Ambitionen pflegte. 166 Dies war gerade in der so-<br />

wjetischen Besatzungzone anders. Hier entfaltete die LDP unter dem ehemaligen Reichs-<br />

innenminister Wilhelm Külz sehr frühe einen Anspruch auf die zonenübbergreifende Neu-<br />

organisation des Liberalismus. Wenn man beide Positionen gegenüberstellt, so trifft »der<br />

deutschlandpolitische Aktivismus eines Wilhelm Külz« auf die »äußerste deutschlandpoli-<br />

tische Zurückhaltung eines <strong>Heuss</strong>.« 167 Gerade die württembergischen Liberalen posi-<br />

tionieren sich früh gegen eine Einigung des Liberalismus mit der treibenden Kraft LDP. Sie<br />

waren gleichzeitig das Land, in dem Liberalismus auf eine Verwurzelung in den politischen<br />

Traditionen zurückgreifen kann. Das Selbstbewusstsein der Württemberger Liberalen<br />

paarte sich in dieser Beziehung mit ausgeprägten regionalistischen Tendenzen – wenn-<br />

163 Pikart (1966); S. 105<br />

164 Henning (1984); <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> and Thomas Dehler vom 8.06.1946; S. 24<br />

165 Heß (1997): S. 88<br />

166 Heß (1997); S. 93<br />

167 Heß (1997); S. 94<br />

64


gleich <strong>Heuss</strong> die Ausnahme von dieser Regel darstellt, da er zu denjenigen gehört, die in<br />

seinen Vorstellungen vom Staatsaufbau eher zu den »Zentralisten« zu zählen wäre. 168<br />

Demzufolge wurde während eines Treffens der liberalen Parteien am 16.Mai 1946 in<br />

Bad Pyrmont die Initiative, die von Külz ausging vom strategisch bedeutendsten Land der<br />

liberalen Bewegung, je nach Einschätzung boykottiert oder aber verlangsamt. Dies hat mit<br />

den unterschiedlichen Vorstellungen von Föderalismus zu tun. Hinzu kam das Misstrauen<br />

gegenüber den politischen Bedingungen in der sowjetischen Besatzungszone sowie gegen-<br />

über Külz als Person.<br />

▌ Parteivorsitzender<br />

Am 28. und 29. September 1946 vereinigten sich schließlich die liberalen Parteien in<br />

der amerikanischen Besatzungszone: FDP (Bayern), DVP (Württemberg-Baden) und LDP<br />

(Hessen) bildeten eine Dachorganisation mit dem Namen DVP: <strong>Heuss</strong> wird zu ihrem Vor-<br />

sitzenden gewählt, Stellvertreter sind August Martin Euler (Hessen) und Thomas Dehler<br />

(Bayern). Dieser Zusammenschluss blieb jedoch ein eher lockeres Bündnis und dient der<br />

profilaktischen Eindämmung des Berliner Einflusses. Insbesondere aus Württemberg-Ba-<br />

den kamen Signale, die auf eine tatsächliche Vereinigung eher bremsend wirkten – stär-<br />

ker als von <strong>Heuss</strong> als von anderen, wie Reinhold Maier, dem württembergischen Minister-<br />

präsidenten. Hein bemerkt skeptisch: »Allzu sehr blieben die Württemberg-Badener in<br />

einem engen föderalistischen Denken befangen, allzu sehr waren sie auf die Kontroverse<br />

mit Berlin fixiert.« 169<br />

Wenn man deshalb nicht in der Lage war, eine zentrale länderübergreifende Partei-<br />

organisation aufzubauen, so wurde im März 1947 dennoch ein weiterer Schritt unternom-<br />

men und die »Demokratische Partei Deutschlands« gegründet. Auch diese hatte eher den<br />

Charakter eines losen Dachverbands. Als Vorsitzende wurden <strong>Heuss</strong> und Külz gewählt.<br />

<strong>Heuss</strong> arbeitet im Folgenden eng mit Ernst Mayer zusammen, der mit der Bezeichnung<br />

»Parteisekretär« nur unvollkommen beschrieben wäre. Das Gleiche, was <strong>Heuss</strong> über<br />

Mayers Funktion für den DVP-Vorsitzenden Haussmann sagte, trifft nunmehr auch für ihn<br />

zu: »Der Vorsitzende der Partei ist Dr. Wolfgang Haussmann, seine motorische Kraft aber<br />

unser Freund, Generalsekretär Ernst Mayer.« 170<br />

Dittberner weist darauf hin, dass die DPD eine Vorreiterrolle im deutschen Parteisys-<br />

tem hatte: »Die DPD ist die einzige gesamtdeutsche Parteiorganisation geblieben, die sich<br />

mit einiger Effektivität nach 1945 gebildet hat.« 171 Auf der anderen Seite wurde sie nicht<br />

zur weiteren nationalen Integration der Liberalen genutzt. Gerade <strong>Heuss</strong> zögerte in<br />

168 Hein (1985); S. 282<br />

169 Hein (1985); S. 275<br />

170 Henning (1983); S.24<br />

171 Dittberner (2005); S. 36<br />

65


deutschlandpolitischen Fragen, er wollte sich »gesamtdeutsche Optionen offen halten.« 172<br />

Diese Haltung änderte sich langsam – trotz dem sich nach der gescheiterten Londoner<br />

Außenministerkonferenz eine immer deutlichere Zweiteilung des Landes abzeichnete, mit<br />

der Entwicklung zur Bi- und schließlich zur Trizone im Westen und der Entwicklung in der<br />

SBZ.<br />

Nachdem sich die östliche LDP in die Volkskongress-Bewegung der SED einbinden ließ<br />

(6./7. Dezember 1947), provozierte <strong>Heuss</strong> schließlich den Bruch innerhalb der DPD. <strong>Heuss</strong><br />

erklärt dies in einem Brief an seinen Vorsitzenden-<strong>Kolleg</strong>en Wilhelm Külz: »Ich will mich<br />

nicht pharisäerhaft zu einem Gerichtsherren über die parteipolitische Situation in der Ost-<br />

zone aufwerfen. ich spüre nur dies deutlich genug: von Demokratie und deutscher Ent-<br />

scheidung wird solange nicht die Rede sein können, als interne Parteibesprechungen in<br />

der Anwesenheit fremder Offiziere, gleichviel welcher Besatzungsmacht, stattfinden.«<br />

Deutlicher wird er in der direkten Adresse an Külz: »Ich habe die Empfindung, dass Jakob<br />

Kaiser [...] in der Niederlage eine deutsche Figur geworden ist, während Sie, so hart es<br />

ist, das anzusprechen, eine gewesen sind.« 173<br />

Einen Monat später wird dieser Bruch vollzogen, am 18. Januar 1948 in Frankfurt.<br />

Sieht dies zu diesem Zeitpunkt so aus, als ob <strong>Heuss</strong> nun seine abwartende Strategie auf-<br />

geben will, und schnell in Richtung einer Westzonen-Fusion steuert, so sind es doch ande-<br />

re Politiker, die diese logische Konsequenz anmahnen. Für den Fall der Gründung einer<br />

solchen Partei hatte zum Beispiel der zukünftige Vizekanzler Blücher vorsorglich seinen<br />

Führungsanspruch angemeldet. 174<br />

Dies weist auf zwei Dynamiken hin, die auf <strong>Heuss</strong> einwirken: Auf der einen Seite kann<br />

man sicherlich Heß recht geben wenn er feststellt: »Dort wo Külz zunehmend verlor, ge-<br />

wann <strong>Heuss</strong> an Gewicht.« 175 Wenn dies für den Ost-West-Gegensatz galt, so forderte die<br />

neue politische Situation in den Westzonen nun eine organisatorische Vertiefung der<br />

Partei. Weil aber die liberalen Landesorganisationen extrem unterschiedliche Profile haben,<br />

kommt hier nun der Konflikt zwischen zwei Flügeln zum Tragen, der durch die Ost-West-<br />

Kontroverse nur überlagert wurde. Wenn in der Anfangsphase die württembergische DVP<br />

eine dominante Rolle spielen konnte, so gewinnt nun ein nationalliberaler Flügel an<br />

Einfluss, der in den nördlichen Ländern seine Heimat hat. »Der sich nun formierende rech-<br />

te Parteiflügel drängte auf eine schnelle Parteikonstituierung und knüpfte politisch wie<br />

organisatorisch vor allem an die Arbeit der FDP-Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat an:<br />

172 Heß (1985); S. 97<br />

173 <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> an Wilhelm Külz vom 19.12.1947 (abgedruckt bei Klessmann); S. 455<br />

174 Hein (1985); S. 320<br />

175 Heß (1997); S. 119<br />

66


»primär als Vorkämpferin der freien Marktwirtschaft, als Sammlungsbewegung der antiso-<br />

zialistischen Kräfte sollte sich die neue liberale Partei verstehen.« 176<br />

Das bedeutete, dass <strong>Heuss</strong> immer stärker in innerparteiliche Auseinandersetzungen<br />

verwickelt wird. Diese Entwicklung geht einher mit der generellen Ausdifferenzierung des<br />

Parteiensystems: Parteien werden als politische Akteure zunehmend wichtiger. Bis zur<br />

ersten Bundestagswahl wanderte die politische Gestaltungsmacht schließlich von den<br />

Ministerpräsidenten zu den Parteien und für den Parteivorsitzenden muss dies bedeuten,<br />

zunehmend »apparatförmige« Parteipolitik zu organisieren, eine Rolle, die <strong>Heuss</strong> nur be-<br />

dingt liegt.<br />

▌ Aufstieg der Parteien<br />

Sehr bedeutend für diesen Aufstieg der Parteien zu zentralen gestaltenden Akteuren,<br />

die begannen, den Landesregierungen in der politischen Bedeutung Konkurrenz zu ma-<br />

chen, war die Gründung des Wirtschaftsrats der Bizone am 25. Juni 1947 in Frankfurt.<br />

Denn mit seiner Errichtung wurde ein erster (52 Personen umfassender) überzonaler poli-<br />

tischer Nukleus geschaffen, der nicht nur koordinierend tätig wurde, sondern auch poli-<br />

tische Entscheidungen treffen konnte. In der FDP-Fraktion des Wirtschaftsrats dominierten<br />

die Vertreter des rechten Flügels und somit gewann er für diese auch im innerparteilichen<br />

Bereich eine strategische Bedeutung. »Seit die Militärregierungen zudem im August 1947<br />

auch noch die Inkompatibilität von Landtagsmandat bzw. Regierungsamt festgeschrieben<br />

hatten, sprach aus Eulers und vor allem Blüchers Entscheidung für die Frankfurter Auf-<br />

gabe unübersehbar die Überzeugung, dass der Wirtschaftsrat weit mehr als nur eine Ver-<br />

tretungskörperschaft dieser oder jener wirtschaftspolitischer Detailfrage sein werde.« 177<br />

Auch in der medialen Wahrnehmung spielen die Frankfurter Fraktionen eine immer<br />

wichtigere Rolle. Unter anderem wird hier der Grundstein für die spätere Regierungskoali-<br />

tion unter Adenauer gelegt. »Die Durchsetzung des bayrischen Wirtschaftsprüfers Jo-<br />

hannes Semler auf der zweiten Vollsitzung des Wirtschaftsrats Ende Juli 1947 als Direktor<br />

für die Verwaltung der Wirtschaft (d.h. Wirtschaftsminister) gegen den Anspruch der SPD<br />

auf dieses für die künftige Wirtschaftspolitik in Westdeutschland so wichtige Amt machte<br />

diesen Tatbestand ebenfalls deutlich.« 178 Im Frühjahr 1948 wurde übrigens mit den<br />

Stimmen dieser Koalition Ludwig Erhard (auf Vorschlag der FDP-Fraktion) als Nachfolger<br />

für Semler gewählt. Treffend schildert Franz-Josef Strauß das Selbstbewusstsein der Wirt-<br />

schaftsrat-Abgeordneten: »Wir im Frankfurter Wirtschaftsrat haben auf die Verfassungs-<br />

176 Hein (1985); S. 352<br />

177 Hein (1985); S. 322<br />

178 Rupp (2000); S. 58<br />

67


macher des Parlamentarischen Rates ein wenig heruntergeschaut. Wir fühlten uns erstens<br />

als die Früheren und zweitens als die Besseren.« 179<br />

Von Frankfurt aus kamen also die Impulse, die Fusionierung der Parteien zu<br />

beschleunigen. Zudem wurde es nach der Londoner Konferenz der westlichen Allierten<br />

höchste Zeit, sich organisatorisch an die veränderten politischen Begebenheiten anzu-<br />

passen. Die westdeutsche Politik wurde von den Alliierten nachdrücklich auf den Weststaat<br />

orientiert. Am 10. März 1948 zogen <strong>Heuss</strong> und Ernst Mayer schließlich die notwendigen<br />

Schlüsse und übernahmen die Initiative zur Fusion der westdeutschen Liberalen. In einem<br />

DPD-Rundschreiben formulierten sie ihre Essentials für eine solche Vereinigung. 180 Gerade<br />

im Kontrast zu den anderen Parteien, zu SPD und CDU, zeigt sich jedoch, welche unter-<br />

schiedliche Bedeutung der Parteivorsitzende <strong>Heuss</strong> hat. Er hat es zum einen mit einer de-<br />

zentral organisierten Partei zu tun, die wenig Interesse an einer Stärkung seiner Position<br />

hat. Auf der anderen Seite scheint <strong>Heuss</strong> nicht die Gelegenheiten zu nutzen, die sich ihm<br />

bieten würden, um seine Position auszubauen. Eine der wichtigsten hätte sicherlich im<br />

schnellen Ausbau der Partei zu einem steuernden Akteur unter seinem Vorsitz gelegen.<br />

Wenn der rechte Flügel der Liberalen einen großen Einfluss auf die Wirtschaftsrat-Frak-<br />

tion hatte, so konnte der linke Flügel stärkern Einfluss auf die Verfassungspolitik im neuen<br />

Parlamentarischen Rat nehmen. Somit ergab sich im Herbst 1948 ein weiteres politisches<br />

Gestaltungsfeld, das <strong>Heuss</strong> für sich entdeckte. Dort wurde er FDP-Fraktionsvorsitzender<br />

und diese Funktion ist es denn auch, die seinen bundespolitischen Einfluss sichert sowie<br />

ihm zu einer größeren Bekanntheit verhilft.<br />

Der rechte Flügel stark im Wirtschaftsrat, der linke Flügel gestärkt durch dessen Rolle<br />

im Parlamentarischen Rat, so zogen die Liberalen am 11.Dezember 1948 ins württember-<br />

gische Heppenheim, wo der Fusionsparteitag stattfand. Die Ergebnisse des Gründungs-<br />

parteitags sind ganz von der programmatischen Zweiteilung der Partei dominiert und die<br />

Atmosphäre ist nicht unbedingt von Harmonie geprägt. Die Bilanz von <strong>Heuss</strong> fällt dabei<br />

gemischt aus: Zwar wird er zum ersten Bundesvorsitzenden gewählt, jedoch muss er mit<br />

einer großen Zahl von Enthaltungen leben: 72 Ja-Stimmen /15 Enthaltungen. Zudem wird<br />

Ernst Mayer bei den Vorstandswahlen durchgereicht. Insofern trifft nicht zu, was Hans-<br />

Heinrich Welchert behauptet: »Noch in Heppenheim gab er [der FDP] die geistige Rich-<br />

tung an, in die sie sich entwickeln sollte.« 181 Diese Sicht neigt dazu, die Auseinander-<br />

setzungen und Diskussionslagen innerhalb der FDP zu ignorieren und nicht zuletzt <strong>Heuss</strong><br />

eine Rolle zuzuweisen, die nicht seinem Wirken entspricht. Insbesondere über die unter-<br />

schiedlichen Vorstellungen in Bezug auf die Arbeit in Wirtschaftsrat und Parlamen-<br />

179 Strauß (1989); S. 101<br />

180 Hein (1985); S. 325<br />

181 Welchert (1968); S. 94<br />

68


tarischem Rat geben die Protokolle der FDP-Vorstandssitzungen nach Heppenheim Aus-<br />

kunft. 182<br />

Die programmatischen Differenzen wurden bei diesem Gründungsparteitag sorgsam<br />

ausgespart: »Weder eine Parteisatzung noch eine programmatische Plattform hatten ver-<br />

abschiedet werden können; ebenso war in wichtigen Streitfragen von höchster politischer<br />

Aktualität, wie etwa hinsichtlich der Grundgesetzberatungen wegen der offenkundigen Un-<br />

vereinbarkeit der Standpunkte bewusst auf eine Entscheidungsfindung verzichtet<br />

worden.« 183<br />

Im Nachfolgenden wurde damit begonnen, inhaltliche Differenzen durch Ausschüsse zu<br />

mediatisieren. Konflikte ließen sich aber nur im Rahmen des Notwendigsten unterdrücken,<br />

zu groß waren die Differenzen: Während die einen sich für schwarz-rot-gold als zukünftige<br />

Bundesfahnen aussprachen, wollten die anderen schwarz-weiß-rot, während die einen<br />

eine Satzung wünschten, die den unteren Parteiebenen relative Autonomie zusicherte,<br />

forderten die anderen Durchgriffsrechte von oben nach unten, während die einen dem<br />

Verfassungsentwurf eher ablehnend gegenüberstanden, entsprach dieser den Ansichten<br />

der anderen Gruppe. Beim Bremer Parteitag vom 11.06.1949 gelang relativ erfolgreich<br />

eine Begrenzung der Konflikte und eine Positionierung zur Bundestagswahl. Neben dem<br />

Führungsduo <strong>Heuss</strong>/ Blücher zog nun auch der zwischenzeitlich zum Bundesgeschäftsfüh-<br />

rer ernannte Ernst Mayer in den geschäftsführenden Bundesvorstand ein.<br />

Die letzte Vorstandssitzung der FDP unter <strong>Heuss</strong>' Leitung fand am 10.6.1949 statt, im<br />

Nachfolgenden übernahm Blücher als Stellvertreter die kommissarische Parteiführung und<br />

wurde auf dem Bremer Parteitag auch in diesem Amt bestätigt. <strong>Heuss</strong>' Ausflug in die<br />

Parteipolitik endet im Prinzip damit. Alles in allem scheint er ganz zufrieden mit dem Lauf<br />

der Dinge gewesen zu sein und sich dem Amt des Bundespräsidenten geistig näher zu<br />

fühlen als dem eines Ministers oder Fraktionsführers, was notwendigerweise aus einer<br />

weiteren Tätigkeit als Parteichef hätte folgen müssen.<br />

Bis auf einige Ausnahmen, hielt sich <strong>Heuss</strong> von der Parteipolitik und den innerparteili-<br />

chen Prozessen weitgehend fern. Insbesondere um die Jahre 1953 und 1956 herum<br />

machte er eine Ausnahme von diesem Prinzip. 1953 im Zuge der »Naumann-Affäre«, als<br />

rechtsextreme Kreise die FDP in Nordrhein-Westfalen unterwanderten und es durch den<br />

britischen Kommissar veranlasst zu Verhaftungen kam. Auch bei der Entlassung des FDP-<br />

Justizministers Dehler nach der zweiten Bundestagswahl spielte <strong>Heuss</strong> eine maßgebliche<br />

Rolle. Oft wurde er in den vertraulichen Gesprächen mit dem Bundeskanzler gebeten, bei<br />

heiklen Fragen eine vermittelnde Rolle einzunehmen. Besonders zu dem Zeitpunkt, als die<br />

so genannten »Jungtürken« in der FDP Nordrhein-Westfalens eine Koalition mit der SPD<br />

vollzogen, wurde er aktiver.<br />

182 Bracher/Morsey/Schwarz (1990)<br />

183 Hein (1985); S. 338<br />

69


▌ Zusammenfassung: Parteipolitik<br />

Wenn man die Positionierung von <strong>Heuss</strong> zu den aktuellen parteipolitischen Themen der<br />

Zeit betrachtet, fällt seine zögernde Grundhaltung auf: Bei der Fusionierung der liberalen<br />

Parteien verhält er sich eher defensiv und reagierend. Auch in den deutschlandpolitischen<br />

Debatten ist er zunächst nicht präsent. Erst nach dem Bruch mit der Ost-LDP beendet er<br />

seine »Sendepause« (Heß) und orientiert sich auf die Westbindung. Das Gespür für die in-<br />

nerparteilichen Dynamiken scheint weniger zu seinen Stärken gehört zu haben, wenn er<br />

auch in Zusammenarbeit mit Ernst Meyer die FDP-Gründung unter den selbst gesetzten<br />

Vorzeichen bewerkstelligt und erster Bundesvorsitzender wird. Gleichzeitig nimmt sein<br />

Einfluss ab, wohingegen der rechte Flügel an Einfluss hinzugewinnt. Die Zeit vor der Wahl<br />

von <strong>Heuss</strong> zum Bundespräsidenten ist geprägt von einem pragmatischen Überdecken<br />

dieser Gegensätze. Im Nachfolgenden nimmt <strong>Heuss</strong> eine seiner Partei gegenüber zurück-<br />

haltende Position ein und wird auf Wunsch hin und wieder vermittelnd aktiv.<br />

Interessant ist eine von Becker zitierte Einschätzung der amerikanischen Militärre-<br />

gierung: »<strong>Heuss</strong> has also serious shortcomings. One of them is that he has grown old.<br />

Another one is the fact that although he is certainly an author [...], although he is possib-<br />

ly a statesman, he is not a politician, not an organizer, and that his appeal to mass au-<br />

diences may be doubted.« 184 Wenn die Absolutheit der Einschätzung zwar zu hinterfragen<br />

ist, so scheint einiges für die These zu sprechen. Dadurch aber, dass <strong>Heuss</strong> über die<br />

Arbeit im Parlamentarischen Rat der FDP ein alternatives Profil zu dem der FDP-Wirt-<br />

schaftsrat-Fraktion geben konnte, konnte er seine »staatsmännischen« Stärken zur<br />

Geltung bringen, und mit Publizität verknüpfen. Dies ist ein Zufall, denn sowohl Aufgabe<br />

als auch Politikstil des Rates sind bis heute außergewöhnlich geblieben. Die Ausübung des<br />

Bundespräsidenten-Amts schließlich sicherte ihm die Möglichkeit, den Parteivorsitz abge-<br />

ben zu können, bevor die Flügelkämpfe sich verschärfen. Dass er aus diesen als ein<br />

Sieger heraus vorgegangen wäre, kann man bezweifeln. Dabei hätte er sich konflikt-<br />

trächtiger positionieren müssen, Mehrheiten organisieren und zusätzlich noch die Rolle der<br />

Partei in der Regierungskoalition im Auge haben müssen. Dies entsprach jedoch nur be-<br />

dingt seinem Politikverständnis.<br />

4.3 Verfassungspolitik<br />

Mehrere Jahre war ungeklärt, in welcher Form und in welchem Rahmen sich deutsche<br />

Politik entfalten werden kann. Seit Februar/März 1948 konkretisierte sich dies. Vom 23.-<br />

26. Februar 1948 konferierten die drei westlichen Alliierten, unter Beteiligung der Bene-<br />

lux-Staaten über die Zukunft der drei Besatzungszonen und ihre engere Kooperation. Ins-<br />

184 Becker (2003); S. 141<br />

70


esondere bei den Vorstellungen über das Verhältnis von zentraler Staatsmacht zu den<br />

föderalen Teilen eines zukünftigen westdeutschen Staats gab es deutliche Differenzen.<br />

Frankreich, das entgegen dem eigenen Staatsprinzip für Deutschland einen weitrei-<br />

chenden Föderalismus forderte, stand den Positionen von USA und Großbritannien gegen-<br />

über. USA und Großbritannien reagierten auf diese Positionierung mit der konkreten Pla-<br />

nung des Umbaus der Bizonenverwaltung. »Frankreich konnte hiergegen nichts<br />

unternehmen und musste erkennen, dass die amerikanisch-britische Allianz langsam, aber<br />

zunehmend kraftvoller, vollendete Tatsachen schuf, denen sich die angegliederte franzö-<br />

sische Zone nicht hätte entziehen können.« 185 Aufgrund dieser Kontroversen einigte sich<br />

die Konferenz in ihrem Schlusskommuniqué nur auf die notwendigsten Punkte, die sich<br />

ungefähr so zusammenfassen lassen: »angemessene Zentralinstanz«, »Regierungsform<br />

föderalistischen Typs« und »Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten.« Daraus<br />

entsprangen später weitere Probleme, wie Blank hervorhebt: »Der Auftrag, eine Re-<br />

gierungsform zu schaffen, die sowohl die Rechte der Länder sicherte als auch eine ange-<br />

messene Zentralinstanz vorsah, beschwor nicht nur in der Frage der Ausgestaltung der<br />

künftigen Ordnung den alten Gegensatz zwischen Unitarismus/Zentralismus und Föde-<br />

ralismus wieder herauf, [...] sondern führte mehr noch dazu, dass beide Richtungen sich<br />

mit der gleichen Berechtigung auf den Inhalt des Dokuments berufen konnten.« 186 Neben<br />

der Schaffung eines dergestalt umrissenen politischen Körpers und einer deutschen<br />

Verfassung beschäftigten sich die Beschlüsse mit der territorialen Gliederung der Länder<br />

sowie der Zusammenarbeit der drei Zonen »zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik und<br />

Praxis in der britisch-amerikanischen und der französischen Zone.« 187 Dies ist die Ge-<br />

burtsstunde der westdeutschen Verfassungspolitik, wenn sie auch Vorläufer in den<br />

Länderverfassungen hat.<br />

▌ Frankfurter Dokumente<br />

Am 1. Juli 1948 überreichten die drei Westalliierten den deutschen Ministerpräsidenten<br />

die aus den Londoner Beschlüssen resultierenden Handlungsaufträge. Dies geschah in<br />

einem formellen Akt und im Nachfolgenden wurden sie als die »Frankfurter Dokumente«<br />

bezeichnet.<br />

Das erste Dokument beinhaltete den Auftrag zur Schaffung einer Verfassung föderalis-<br />

tischen Typs. Hierbei wurden die Formeln des Londoner Kommuniqués wiederholt: So sei<br />

eine verfassungsgebende Versammlung zu berufen. Auftrag ist erstens »die gegenwärtig<br />

zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen« 188 nebst Schaffung einer<br />

185 Wilms (1999); S. 56<br />

186 Blank (1995); S. 319<br />

187 Wilms (1999); S. 58<br />

71


»angemessenen Zentralinstanz,« zweitens aber auch »die Rechte der beteiligten Länder«<br />

zu schützen.<br />

Das zweite Dokument enthielt die Aufforderung, »die Grenzen der einzelnen Länder zu<br />

überprüfen, um zu bestimmen, welche Änderungen sie etwa vorzuschlagen wünschen.«<br />

Ziel dabei sei es, »möglichst die Schaffung von Ländern vermeiden, die im Vergleich mit<br />

anderen Ländern zu groß oder zu klein sind.«<br />

Im dritten Dokument wurden die Grundsätze für ein Besatzungsstatut veröffentlicht,<br />

das die »sorgfältige Definition der Beziehungen zwischen dieser Regierung und den Alli-<br />

ierten Behörden«vornehmen sollte (und am 10.Mai 1949 erlassen wurde).<br />

▌ Rolle der Landesregierungen<br />

Den Ländern kommt bei diesem Vorgehen die zentrale Rolle in der Bildung des neuen<br />

Staats zu. Und demzufolge übernahmen die Ministerpräsidenten die wichtige Rolle der Po-<br />

sitionsbildung und der Vorbereitung der Verfassungsgebenden Versammlung. Blank weist<br />

darauf hin, dass dies nicht bedeutete, dass das Prinzip der parteipolitischen Vorstellungen<br />

dadurch aufgehoben wurdw. Waren die Ministerpräsidenten diejenigen, die zum Handeln<br />

in der Frage ermächtigt wurden, so weitete sich der Einfluss der Parteiwn sowohl über die<br />

Arbeit des Wirtschaftsrats als auch über ein in Veränderung befindliches Politikverständnis<br />

auf Länderebene aus. »Die Doppelfunktion der Ministerpräsidenten als Regierungschefs<br />

beziehungsweise als Repräsentanten ihrer Länder und zugleich parteipolitischer Akteure<br />

rief dabei jenen Widerstreit zwischen dem in realpolitischen Pragmatismus eines in poli-<br />

tischer Verantwortung stehenden Landespolitikers und dem Prinzipienstreit parteipoli-<br />

tischer Grundpositionen hervor.« 189 Der Zeitraum von der Londoner Konferenz zur Verab-<br />

schiedung des Grundgesetzes ist dadurch gekennzeichnet, dass das auf Landesebene<br />

zunächst praktizierte konkordante Prinzip allmählich einem Modell von Koalitions- oder<br />

sogar Alleinregierungen wich.<br />

Die erste gemeinsame Beratung über die Dokumente geschah im Berghotel »Ritter-<br />

sturz« in Koblenz. Diese Konferenz hat in mehrerlei Aspekten eine herausgehobene Be-<br />

deutung. Erstens weil hier die Generallinie der Ministerpräsidenten zur zukünftigen Ver-<br />

fassung formuliert werden. Zweitens wird sie neben dem Feld der Verfassungspolitik (und<br />

gerade im Zusammenhang mit der Bildung des Wirtschaftsrats) zum Formulierungsfeld<br />

bundesparteilicher Positionen. Zwar nahmen die Parteivorsitzenden der großen Parteien,<br />

Adenauer und Ollenhauer (i. V. für Schuhmacher) nicht kraft Mandat daran teil, übten<br />

188 Michaelis/Schraepler/Scheel (1978) ; Die Frankfurter Richtlinien der Militärgouverneure der USA,<br />

Großbritanniens und Frankreichs an die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen vom<br />

1.Juli 1948; S. 148ff.<br />

189 Blank (1995); S. 303<br />

72


aber über Fraktionssitzungen ihren Einfluss aus. 190 »<strong>Heuss</strong> hatte es allerdings abgelehnt,<br />

als Parteiführer und durch persönliche Anwesenheit direkten Einfluss auf den Gang der<br />

Koblenzer Verhandlungen der Ministerpräsidenten zu nehmen. Für diese unter den west-<br />

deutschen Liberalen keineswegs unumstrittene Entscheidung lassen sich die Gründe leider<br />

nur vermuten, da Aussagen von <strong>Heuss</strong> selbst fehlen.« 191 Die Tatsache freilich, dass <strong>Heuss</strong><br />

dies nicht tat, ist gerade vor dem Hintergrund der beginnenden parteipolitischen Pro-<br />

filierungen der bundesweiten Kräfte verwunderlich. Einmal deshalb, weil dadurch der<br />

Einfluss der württembergisch-badenschen DVP auf die Gestaltung der Bundespolitik po-<br />

tenziell geschwächt wurde und zweitens die Funktion des Parteivorsitzenden von vornher-<br />

ein nicht in der Art genutzt wurde, wie dies Adenauer oder Schuhmacher zur Durch-<br />

setzung ihrer Politik taten.<br />

▌ Charakter des Staats und Verfassungsgebung<br />

Die Ministerpräsidenten wichen an einigen Stellen sehr deutlich von den Frankfurter<br />

Dokumenten ab: So wünschten die Anwesenden zwar eine engere Kooperation der drei<br />

Westzonen aber eine gleichzeitige Ablehnung eines finalen westdeutschen Staats um das<br />

Ziel der deutschen Einheit nicht zu gefährden. Bei diesem neuen Staatsgebilde sollte es<br />

sich »lediglich um ein Provisorium« handeln. Jung beschreibt das sich aus der Aufgaben-<br />

stellung ergebene Dilemma: »Ergriffen sie die ihnen seit der Londoner Sechs-Mächte-Kon-<br />

ferenmz gebotene Chance, fürchteten sie die faktische Teilung Deutschlands festzu-<br />

schreiben.« 192 Zudem fürchtete man die Einheitspropaganda, die von östlicher Seite zu<br />

erwarten gewesen wäre, die in Einklang mit erwarteter rechtsextremistischer Obstruktion<br />

das Anliegen zu einem schweren politischen Kampf machen könnte. 193 Für den Verzicht<br />

auf die naheliegende und von den Alliierten ausdrücklich geforderte direkte Legitimation<br />

musste eine Rechtfertigung für die Ausnahme von der demokratischen Regel gefunden<br />

werden: Die daraus entspringende später stilbildende Konstruktion war das Konzept der<br />

»Überlegitimation.« Eine zu direkte und eindeutige Legitimation hätte demnach suggeriert,<br />

dass das »Provisorium« zum finalen Gebilde werden würde. 194 Zudem suchte man nach<br />

einer Möglichkeit, den Alliierten die politische Verantwortung für die Verfassung zu über-<br />

tragen: Die Rede war von einem »politischen Alibi«, dass vor neuen Dolchstoßlegenden<br />

schützen sollte. Allgemein befanden sich die Beteiligten in dem Dilemma, die Konsequenz<br />

aus der faktischen Teilung Deutschlands ziehen zu müssen um den Wiederaufbau<br />

voranzubringen ohne die Teilung Deutschlands zementieren. Heß arbeitet heraus, wie<br />

190 Hein (1985); S. 327 (Anmerkung Nr. 43)<br />

191 Heß (1985); S. 119<br />

192 Jung (1994); S. 209<br />

193 Jung (1994); S. 211<br />

194 ein Beispiel für diese Übernahme aus dem Jahr 1960 findet sich bei Fromme (1999); S. 17<br />

73


schwer es <strong>Heuss</strong> vor diesem Hintergrund fiel, zwischen einem realistischen Sinn für die<br />

deutschen Handlungsspielräume und einer Nationsvorstellung, die alle Besatzungszonen<br />

umfasste, den Weg zu einem zielstrebigen politischen Programm zu finden. Im Gegensatz<br />

zu Adenauer hatte <strong>Heuss</strong> keine klare Vorstellung davon, was sich seiner Meinung nach aus<br />

der geopolitischen Lage ergeben muss. Der spätere Kanzler äußerte bereits 1945 eine sol-<br />

che klare Vorstellung: »Der nicht von Russland besetzte Teil Deutschlands ist ein in-<br />

tegrierender Teil Westeuropas.« 195 Die <strong>Heuss</strong>-Strategie bestand darin, sich weder für eine<br />

Option einzusetzen, noch irgendeine Vorentscheidung herbeizuführen. Auffallend ist die<br />

lange »Sendepause« (Heß) zum Thema. Diese Verweigerung einer Optionswahl zwischen<br />

gesamtdeutsch und Westen wurde erst nach dem endgültigen Scheitern der DPD im Ja-<br />

nuar 1948 beendet. »Irgendwann in den Wochen nach der gescheiterten Tagung der DPD<br />

vom 18. Januar 1948 wird er sich auf den Weststaat eingestellt haben.« 196<br />

Letztlich ist <strong>Heuss</strong>' Handlungsstrategie ein gutes Beispiel für die Wirkung der norma-<br />

tiven Kraft des Faktischen: Abwarten heißt de facto Partei ergreifen für den Weststaat.<br />

Wilms weist darauf hin, dass Amerikaner und Briten dies ähnlich sahen: »Die erste Vari-<br />

ante der Bizone hatte lediglich eine wirtschaftliche Bedeutung. Allerdings war es von<br />

Anfang an vorhersehbar, dass eine bloße wirtschaftliche Vereinigung der beiden Zonen<br />

ohne politische und staatsorganisatorische Konsequenzen auf Dauer nicht funktionieren<br />

können. Dies wurde bereits während der Verhandlungen zum Abschluss der Verwaltungs-<br />

abkommen Ende 1946 von Mitgliedern der US-Militärregierung zugegeben, auch wenn in<br />

der Öffentlichkeit zunächst noch anderes behauptet wurde« 197<br />

Die in Koblenz zu den Fragen von Dokument 1 getroffenen Entscheidungen 198 trafen<br />

auf die Kritik insbesondere der amerikanischen Besatzungsmacht. Die zögernde Haltung<br />

zur Bildung eines Weststaats (»ein Grundgesetz für die einheitliche Verwaltung des Be-<br />

satzungsgebiets«) und der Versuch, sowohl Volk als auch Länderparlamente weitestge-<br />

hend aus dem Verfassungsprozess herauszuhalten, zeigte General Clay kein Verständnis.<br />

Da die französische Seite dies für den Versuch nutzte, sich vorsichtig von den mühsam<br />

vereinbarten Londoner Empfehlungen weg zu orientieren, erhöhten die USA den Druck.<br />

Zwischen dem 15. und 20. Juli wurde nun verhandelt. Insbesondere stießen auf alliierter<br />

Seite auf: Die Bezeichnung »Grundgesetz« anstelle von Verfassung, darüber hinaus die<br />

Zugriffe der Ministerpräsidenten auf die Ernennung der Mitglieder einer verfassungsge-<br />

benden Versammlung (statt der Landesparlamente) und auf die Zuständigkeit für die<br />

Wahlen zu den neuen politischen Körperschaften. Außerdem beharrten die Amerikaner auf<br />

einer Volksabstimmung und darauf, dass die Arbeit der verfassunggebenden Versamm-<br />

195 Klessmann(1991); Schreiben an den Oberbürgermeister von Duisburg vom 31.10.1945; S. 425<br />

196 Heß (1985); S. 115<br />

197 Wilms (1999); S. 47<br />

198 Wilms (1999); S. 68<br />

74


lung sich nicht zu sehr von den Londoner Beschlüssen entfernen dürfe. Nach einigem hin<br />

und her der Positionen unter Deutschen sowie unter Deutschen und Alliierten wurde<br />

schließlich am 26.Juli 1948 den Deutschen weitgehende Zugeständnisse gemacht. Das<br />

Werk durfte »Grundgesetz« heißen (mit dem Zusatz »Verfassung«), darüber hinaus wurde<br />

signalisiert, dass man eine Ratifizierung der Verfassung durch die Landtage statt durch<br />

Volksabstimmung akzeptieren würde. Bedingung dafür war jedoch die Akzeptanz der<br />

Frankfurter Dokumente. 199<br />

▌ Neuordnung der Ländergrenzen<br />

Ein den westlichen Alliierten wichtiger Punkt betraf die Neuordnung der Länder-<br />

grenzen, wie sie in Dokument 2 angemahnt wurden. Die Ministerpräsidenten wollten dies<br />

jedoch hintanstellen. Eindeutiger belegt als zu Dokument 1 sind <strong>Heuss</strong> Einstellungen zu<br />

dieser Frage. Bereits im Juli 1945 nimmt er in einem Gutachten Stellung zur Schaffung<br />

eines neuen Landes Württemberg-Baden: Vor allem Gründe der materiellen Versorgung<br />

und der staatlichen Effizienz spielten hierbei eine Rolle: »Nach dem Wegfall der Dynastien<br />

(1918) wurden die Möglichkeiten einer ökonomischen Bedürfnissen entsprechenden Neu-<br />

gliederung versäumt; die Rücksicht auf den eingespielten Verwaltungsapparat und auch<br />

Machtpositionen in den parlamentarischen Länderregierungen war stärker als das rationell<br />

Gebotene.« 200 Dies trug zur Schaffung eines gemeinsamen nordwürttembergisch-nord-<br />

badischen Landes maßgeblich bei (innerhalb der amerikanischen Besatzungszone). Blank<br />

weist auf die später vorgenommene de facto »verfassungsmäßige Verankerung« der<br />

Vereinigung des Landes mit Südwürttemberg und Südbaden hin, die im Geiste dieser Ide-<br />

en folgt (einfache Mehrheit für diese Schaffung des Südweststaats, Landesverfassung Art<br />

107). <strong>Heuss</strong> wie Maier sind aktive Förderer dieser Vereinigungspolitik.<br />

▌ Verhältnis Zentralstaat - Länder<br />

Die von den Frankfurter Dokumenten so unklar definierte Frage des Verhältnisses von<br />

Zentralgewalt zu Ländern spielte in Koblenz eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl hatten<br />

Länder, Ministerpräsidenten und Parteien durchaus eigene Vorstellungen davon, wie das<br />

aussehen soll. Von den Ländern der amerikanischen Besatzungszone wünschte Hessen<br />

eine stärker zentralistische Verfassung mit präsidialem Charakter, dagegen übernahm<br />

Bayern bereits sehr früh die Rolle des Fürsprechers starker föderaler Elemente. In der<br />

amerikanischen Zone wurde die Diskussion darüber seit 1947 maßgeblich durch das<br />

»Deutsche Büro für Friedensfragen« koordiniert. Schnabel verortet Württemberg-Baden<br />

zwischen diesen Polen: »Im Vorfeld des Parlamentarischen Rats stand Württemberg-<br />

199 Die Details und Chronologien sind auch für die Haltungen der verschiedenen Bundesländer ausführ-<br />

lich beschrieben bei: Blank (1995); v.a. S. 33-58<br />

200 Pikart (1966); S. 92<br />

75


Baden den bayerischen Verfassungsvorstellungen nicht allzufern, auch wenn man in Stutt-<br />

gart die Zentralgewalt stärker als in München ausbauen wollte.« 201 <strong>Heuss</strong> nimmt eine<br />

mittlere Position ein. Er betont die Notwendigkeit einer sinnvollen Balance zwischen den<br />

föderalen Teilen: »Wenn man an eine föderative Gestaltung Deutschlands denkt, so muss<br />

das Bestreben sein, nachdem der Großkörper Preußen verschwunden ist und die Kleinge-<br />

bilde (Braunschweig, Anhalt usf.) aufgesogen, die Glieder ungefähr entsprechend zu hal-<br />

ten.« 202 Insbesondere die südwestdeutsche Vereinigung würde hier die »zentripetalen<br />

Strömungen in Bayern« unterstützen. Diese Denkweise findet sich auch in seinem 1945er<br />

Gutachten: »Dass Bayern, die Heimat des Nationalsozialismus, als abgeschlossenes Staa-<br />

tengebilde nun unter partikularistischer Leitung mit vielleicht klerikalem Einschlag erhalten<br />

blieb, während die beiden Staaten der demokratischen und liberalen Tradition, Württem-<br />

berg und Baden, zerschnitten sind, erscheint für die deutsche Gesamtentwicklung als<br />

wenig erfreulich.« 203 Insofern kommt implizit dem Zentralstaat die Aufgabe zu, diese Ba-<br />

lance zu gewährleisten und den »hegemonialen Föderalismus« des Kaiserreichs im Kern<br />

zu verhindern. 204 Bereits 1918 findet man bei <strong>Heuss</strong> Überlegungen wieder, die dem<br />

Zentralstaat eine wichtige Funktion zuweisen: Wenn auch stärker unter dem Dach des Na-<br />

umannschen Konzepts sozialen Kaisertums, so wünscht er eine Verlagerung der Gewichte<br />

von den Teilstaaten (und ihren Monarchen) hin zur Zentralgewalt (in Form ihrer parlamen-<br />

tarischen Vertretung). Der erste Grund betrifft die Interessenlagen: Die weisungsgebun-<br />

denen Regierungsvertreter eines Länderrats oder gar der Dynastien sieht <strong>Heuss</strong> als Brem-<br />

sen des Demokratisierungsprozesses. Einzig der aus dem Parlamentarismus<br />

entstammende unabhängige Abgeordnete konnte dem Projekt der Demokratisierung die<br />

notwendige Schubkraft geben. Der zweite Grund ist pragmatischer Natur: Eine Neuaus-<br />

richtung des Zentralstaats dient der Bewältigung von Problemen im Bereich der Infra-<br />

struktur (»Verkehrspolitik, die wasserwirtschaftliche Zukunft«), der Neuordnung der<br />

»Reichsfinanzfrage« oder im Bereich des Kartellrechts. 205<br />

▌ Besatzungsstatut<br />

Die Ministerpräsidenten wünschten den Erlass eines Besatzungsstatuts zeitlich vor der<br />

Schaffung einer Verfassung und kamen überein, eigene Vorschläge zu dessen Gestaltung<br />

vorzulegen. Dies entsprach auch der Ansicht von <strong>Heuss</strong> im Jahr 1947: »Ich selber habe<br />

die Auffassung, dass im Augenblick der Erlass eines Statuts über Deutschland uns für die<br />

201 Schnabel(1989); S.43<br />

202 Pikart (1966); Zur Frage der staatsrechtlichen Gestaltung Deutschlands (Juli 1947) ; S. 135<br />

203 Pikart (1966); Nordbaden-Nordwürttemberg (08.07.1945); S. 93f.<br />

204 <strong>Heuss</strong> (1950); S. 15<br />

205 siehe im Einzelnen <strong>Heuss</strong> (1918)<br />

76


innen- und außenpolitische Entwicklung erwünschter sein muss als der eines Vertrags, der<br />

irgend einmal nachfolgen kann, denn die Lebensbedingungen für Deutschland werden so<br />

schwer sein, dass eine vertragliche Verpflichtung eine Lähmung jener Kräfte mit sich füh-<br />

ren würde, die ihr Ja dazu sagen.« 206 1948 stellte er die Frage des vorzeitigen Erlasses<br />

weniger deutlich in den Vordergrund wie Carlo Schmid dies tat. <strong>Heuss</strong> war es vorrangig<br />

darum gegangen, die Verfassungsgebung nicht zu stark von den Formulierungen eines<br />

solchen Statuts abhängig zu machen. Einerseits stellte er sich aus Realismus hinter die<br />

Grundgedanken der Londoner Empfehlungen, andererseits mahnte er eine den eigenen<br />

Vorstellungen entsprechende selbstbewusste Verfassungsgestaltung an, »als ob« man<br />

souverän wäre. 207 Da man es nicht ist, muss man den Alliierten möglichst sachlich die<br />

Verantwortung geben ohne die eigene für das eigene Werk zu leugnen: »Ich will kein<br />

großes Pathos für diese Aufgabe, aber ich will eine innerlich saubere Atmosphäre und will<br />

dann den Militärgouverneuren die Verantwortung geben. Ich will ihnen gar nichts Provo-<br />

zierendes hingestellt haben, aber etwas, was sich sehen lässt.« 208 Letztendlich wurde der<br />

Wunsch, das Besatzungsstatut vor der Verfassung zu veröffentlichen von den Kommissa-<br />

ren abgelehnt und es trat zeitgleich mit dem Grundgesetz in Kraft.<br />

▌ Vorarbeiten zum Parlamentarischen Rat<br />

Nach dem 26.Juli 1948 konnte nun mit den Vorarbeiten zum Parlamentarischen Rat<br />

begonnen werden. Bevor dieser einberufen wurde, traf sich vom 10. bis 23. August 1948<br />

auf der bayrischen Insel Herrenchiemsee ein »Konvent« von Sachverständigen der<br />

Länder, der die Aufgabe hatte, Grundzüge einer neuen Verfassung zu erörtern und zu<br />

entwerfen. »Formal lediglich als Expertengremium ohne politische Legitimation« 209<br />

werden hier auf Einladung der Ministerpräsidenten jedoch wichtige Vordiskussionen ge-<br />

führt. 210 Während des Treffens wurden die Grundzüge, die später das institutionelle Ge-<br />

füge der Bundesrepublik charakterisieren bereits vordiskutiert, wie etwa das Zwei-<br />

kammerprinzip mit einer Länderkammer, Hoheiten der Länder, der Ausschluss<br />

direktdemokratischer Elemente, ein neutrales Staatsoberhaupt und der Bindung der Re-<br />

gierung an eine Parlamentsmehrheit (parlamentarisches statt präsidentielles System). Im<br />

Nachgang der Arbeit in Herrenchiemsee gab es Kontroversen darüber, welchen Status die<br />

Arbeit des Konvents hat, ob er also nur die Privatmeinung von verschiedenen Personen<br />

äußerte oder mehr darstelle. Feldkamp bilanziert, dass die Realität in der Mitte anzu-<br />

206 Heß (1985); <strong>Heuss</strong> an August Weber am 22.11.1947; S. 105<br />

207 Heß (1985); S. 118<br />

208 Heß (1985); Rede vom 07.07.1948; S. 118<br />

209 Klessmann (1991); S. 196<br />

210 Jung (1994); Zur Kritik Jungs an Qualität , Legitimation und Ausgewogenheit der Diskussion; S.<br />

234ff.<br />

77


treffen ist und die Arbeit in Herrenchiemsee auch weitestgehend das Ende der Einfluss-<br />

nahme der Landesregierungen bedeutete: »Obwohl der Entwurf des Verfassungskonvents<br />

nicht den Charakter einer offiziellen Vorlage an den Parlamentarischen Rat erhielt, so<br />

hatten die Ministerpräsidenten auf Herrenchiemsee doch umfassend zur Arbeit an einer<br />

westdeutschen Verfassung beitragen können und für den Parlamentarischen Rat 'wertvolle<br />

Vorarbeiten' geleistet. Ihre Mitarbeit war damit aber auch weitestgehend erschöpft.« 211<br />

Als Vertreter Württemberg-Badens beim Herrenchiemseer Konvent nehmen Kurt Held und<br />

Josef Beyerle teil, nicht <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>.<br />

▌ Parlamentarischer Rat<br />

Während der Einfluss von <strong>Heuss</strong> auf die Positionen der Ministerpräsidentenkonferenzen<br />

relativ gering gewesen ist, weil er seine Rolle als Parteivorsitzender nicht einsetzte,<br />

änderte sich dies im Parlamentarischen Rat: In der sechsköpfigen FDP-Delegation war er<br />

der Fraktionsvorsitzende. Daneben eher gemäßigte bis linke ehemalige DDPler, auch aus<br />

Ländern delegiert, »deren liberale Organisationen zum Kern des sich mehr und mehr<br />

formierenden rechten Flügels gerechnet werden mussten« 212 Nur ein Vertreter, Max Be-<br />

cker aus Hessen kam aus der Weimarer DVP. Diese eher zufällige Konstellation stärkte<br />

<strong>Heuss</strong>' Position. Zudem entsprach der eher durch die Materie geforderte konsensuelle Stil<br />

des Gremiums seinen politischen Fähigkeiten und seinen politischen Grundvorstellungen.<br />

<strong>Heuss</strong> konnte zudem Positionen durchsetzen, die innerparteilich umstritten waren: Das<br />

beginnt bei der Befürwortung des Verfassungsentwurfs an sich und führt insbesondere zu<br />

einem moderaten Föderalismusverständnis und einer Festlegung auf ein parlamen-<br />

tarisches statt eines präsidentiellen Systems. <strong>Heuss</strong> sprach rückblickend davon im<br />

parlamentarischen Rat »zwischen CDU und SPD mit meinen Freunden eine Art von<br />

Schlüsselfigur« gewesen zu sein. 213 Zum Einen ergibt sich diese Konstellation rein funktio-<br />

nal aus der Fraktions-Arithmetik und dem zahlenmäßig geringen Einfluss der FDP.<br />

Andererseits ist dies Schlüsselstellung gerade das Ergebnis von <strong>Heuss</strong>' Positionierung. So<br />

gelang es ihm, die Arbeit der Fraktion gegenüber der Bundespartei abzusichern. 214 Inner-<br />

parteilich bewegten sich die FDPler im Parlamentarischen Rat auf schmalen Fundament:<br />

»Ihr Standpunkt wurde allerdings in der Partei nur von einer, wenngleich zahlenmäßig be-<br />

deutenden, Minderheit, nämlich den vier süddeutschen Landesverbänden uneingeschränkt<br />

211 Feldkamp (1998); S. 32<br />

212 Hein (1985); S. 328; In der Fraktion befanden sich: <strong>Heuss</strong>, Höppker-Aschoff (später Präsi. d.<br />

Bundesverfassungsgerichts), Reif (später MdB, MdA Berlin), Dehler (später Justizminister), Schäfer<br />

(später Min. f. bes. Aufgaben) und Becker (später Vizepräsident d. Bundestages)<br />

213 Kohler (1989); Rede vor der evangelischen Akademie in Bad Boll am 29.09.1955; S. 35<br />

214 vgl. Hein (1985); S. 331<br />

78


unterstützt.« 215 Der verglichen mit der historischen Situation 1919 geringeren Einfluss<br />

legte eine moderierend-vermittelnde Rolle während der Verhandlungen nahe, was wieder-<br />

um <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> sehr entgegen kam. Die Erfolge dieses liberalen Einflusses sind denn<br />

auch weniger in Abstimmungsergebnissen als in dem Maße sichtbar, in dem liberale Vor-<br />

stellungen letztlich das Grundgesetz prägen.<br />

Der Arbeitsauftrag des Parlamentarischen Rats wurde aus zwei Quellen gebildet - aus<br />

den Frankfurter Dokumenten und aus der Positionierung der Ministerpräsidenten zu diesen<br />

Dokumenten. Hinsichtlich der Erfüllung dieses Auftrags hat jedoch auch der Umstand eine<br />

große Bedeutung, dass sich ein neues politisches Organ auch selbst definiert und gegen-<br />

über dem Wirtschaftsrat, den Parteien oder den Landesregierungen positioniert. Gerade<br />

letztere sahen ihre Aufgabe noch nicht als erledigt an und wollten sich nicht auf die Brief-<br />

träger-Funktion im Nachgang der Arbeit des Rats beschränkt sehen. Deshalb wurde ein<br />

Koordinationsbüro der Ministerpräsidenten in Bonn gegründet, Landesregierungen nahmen<br />

auch an den Sitzungen teil, jedoch eine offensivere Einflussnahme erfolgte lediglich von<br />

Bayern, das den Versuch unternahm, seine föderalen Vorstellungen durchzusetzen.<br />

Der Parlamentarische Arbeit entfaltete bald seine eigene Dynamik: Dabei spielten ohne<br />

Frage die Fraktionen eine wichtige Rolle, vor allem die Positionsbildungen von CDU und<br />

SPD und die Tatsache, dass vieles in so genannten »interfraktionellen Besprechungen«<br />

geklärt wurde. Gleichzeitig ermöglichte die Struktur der Arbeit und die Art der Aufgabe<br />

eine relativ große Einflussnahme des einzelnen Abgeordneten. Helms hebt den konsensu-<br />

ellen Grundcharakter des Parlamentarischen Rats hervor: »Die Grundprinzipien des<br />

parlamentarischen Systems, einschließlich seiner Besonderheiten, wie der parlamen-<br />

tarischen Kanzlerwahl oder des 'konstruktiven' Misstrauensvotums, wurden zügig und<br />

weitgehend einvernehmlich beschlossen.« 216 Ausnahmen dieser eher am Konsens<br />

orientierten Diskussionskultur bildeten die föderale Verfasstheit. Insbesondere der bay-<br />

rische Ministerpräsident Ehard versucht hier stark auf eine Föderalisierung Einfluss zu<br />

nehmen. Dennoch gelang es, eine Lösung herbeizuführen: »Die vollkommene Gleichbe-<br />

rechtigung von Bundesrat und Bundestag konnte nicht erzielt werden; sie wurde jedoch<br />

im wesentlichen durch eine Erweiterung des Katalogs der Gesetze, für die eine Zustim-<br />

mung des Bundesrats erforderlich wurde, sichergestellt.« 217 Dies wurde durch einen Kom-<br />

promiss bei der Frage der Bundesfinanzverwaltung ergänzt.<br />

Auch an den Akteuren lässt sich die Ambivalenz von Parteiarbeit und konkordantem<br />

Prinzip des Gremiums verdeutlichen. Zunächst am Vorsitzenden des Rats, Konrad Adenau-<br />

er: Zwar »schien das Amt Adenauers eher dem eines Parlamentspräsidenten als dem<br />

eines Regierungschefs vergleichbar« zu sein, dennoch nutzte Adenauer die Möglichkeiten,<br />

215 Hein (1985); S. 344<br />

216 Helms (1999); S. 148<br />

217 Feldkamp (1998); S. 134<br />

79


die sich ihm boten für eine Profilierung in Richtung Kanzlerschaft: »Als Ratspräsident<br />

wurde er [...] zum alleinigen Sprecher der (west-)deutschen Seite mit den drei Besatz-<br />

ungsmächten. Auch fasst er sein Amt als höchste Repräsentanz der (west-)deutschen<br />

Kräfte oberhalb der Länderebene auf. [...] Schließlich festigte er die eigene Führungsrolle<br />

in der CDU/CSU, obschon er sich um die Details der Grundsatzberatungen nur in wenigen<br />

Ausnahmefällen kümmerte, und wurde für die breitere Öffentlichkeit neben Kurt Schuh-<br />

macher, in dem viele den zukünftigen Kanzler sahen, eine 'Figur'.« 218 <strong>Heuss</strong> kritisierte<br />

diese wenig auf die Details der eigentlichen Arbeit konzentrierte Politikstrategie, gleichfalls<br />

bot der Parlamentarische Rat auch ihm das Feld, sich zu profilieren, gerade als Gegen-<br />

modell zu Adenauer, als der Intellektuelle in der Politik.<br />

Mit anhaltender Arbeit veränderte sich das Verhältnis der Abgeordneten zum Arbeits-<br />

auftrag, eine Verfassung für ein »Provisorium« zu schaffen. »Für die meisten Parlamenta-<br />

rier stand jedoch bald fest – und mit zunehmenden Gedeihen des Werkes mag die<br />

Erwartung gewachsen sein, den Aufwand für mehr als ein Provisorium zu betreiben -,<br />

dass das Grundgesetz 'vor allem im geografischen Sinne' [<strong>Heuss</strong>] als Provisorium zu ver-<br />

stehen sei, 'strukturell' aber etwas geschaffen werden sollte, was den Staat neu zu<br />

organisieren vermochte und die 'Tore zu einer besseren Zukunft Deutschlands' [Schmid]<br />

öffnete.« 219 Bauer-Kirsch zitiert hier <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>, der nüchtern mit Blick auf die Ko-<br />

blenzer Beschlüsse feststellt: »Es ist beschlossen worden, keine Verfassung zu machen.<br />

Tatsächlich machen wir eine Verfassung.« 220<br />

Die Themenfelder, in denen <strong>Heuss</strong> sich in besonderer Weise eingebracht hat, hier dar-<br />

stellen zu wollen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Schließlich gehörte er den<br />

wichtigsten Gremien an, dem Hauptausschuss und dem Ausschuss für Grundsatzfragen. In<br />

dieser Perspektive ist alles relevant – und <strong>Heuss</strong> hat intensiv von seinem Recht Gebrauch<br />

gemacht, sich an Debatten zu beteiligen.<br />

Von hervorgehobenen Interesse sind auch aus der Verfassungstradition die Grundrech-<br />

te. Im Grundsatzfragen-Ausschuss einigte man sich darauf, der Verfassung wieder einen<br />

Katalog von Grundrechten voranzustellen. Diese sollten allerdings vom Umfang her<br />

beschränkt werden und nicht die sozialen oder wirtschaftlichen Grundrechte umfassen.<br />

Dafür sollten sie eine möglichst konkrete Rechtswirkung statt eine symbolischen Wirkung<br />

entfalten können, was noch in Weimar anders war. 221 »Der Ausschuss wollte, dass die<br />

Grundrechte soweit wie möglich konkretisiert und für Verwaltung, Rechtsprechung und<br />

Gesetzgeber bindend werden, also ihrer Substanz nach unverlierbar werden.« 222<br />

218 Pikart (1976); S. 23<br />

219 Bauer-Kirsch (2002); S.176f.<br />

220 Bauer-Kirsch (2002); <strong>Heuss</strong> im Ausschuss für Grundsatzfragen am 9.November 1948 ; S. 177<br />

221 Llanque (2000); S. 131<br />

222 Feldkamp (1998); S. 63<br />

80


Prononciert lehnt <strong>Heuss</strong> das über eine Bevölkerungseingabe in die Verhandlungen ge-<br />

kommene Recht auf Kriegsdienstverweigerung ab, kann sich aber nicht durchsetzen.<br />

»Nach meiner geschichtlichen Kenntnis ist der Kriegsdienst auch eine Pflicht der Demokra-<br />

tie. Es ist also unglücklich, in eine demokratische Verfassung grundsätzlich hineinzu-<br />

schreiben, dass jeder sich drücken darf, auch wenn es sich um einen Verteidigungskrieg<br />

handelt.« 223<br />

Eine intensive Diskussion entspinnt sich vor allem im Grundsatzfragen-Ausschuss über<br />

die Präambel. Diese gehört mit Sicherheit zu den am sorgfältigsten erörterten Teilen der<br />

Verfassung und wird die Arbeit des Parlamentarischen Rats durch verschiedene Aus-<br />

schüsse bis zum Ende begleiten. Kennzeichnend für die Arbeit des Grundsatzfragen-Aus-<br />

schusses ist überhaupt die untypische bisweilen weit ins Grundsätzliche ausgreifende Art<br />

der Diskussion.<br />

Ähnliche Debatten finden um die Überschrift der Verfassung und des von ihr konstitu-<br />

ierten Gebildes statt. Wenn auch das »Grundgesetz« sich schon in den Verhandlungen der<br />

Ministerpräsidenten abzeichnete, so rang man um den richtigen Namen für den Staat.<br />

»Bund Deutscher Länder« war zu föderal, »Reich« zu vielschichtig besetzt, eine Alterna-<br />

tive die »Republik Deutschland«, <strong>Heuss</strong> propagiert die »Bundesrepublik Deutschland.« 224<br />

Weniger diskutiert hingegen die Frage der Flagge. Wenn dies auch eine Angelegenheit ist,<br />

die innerhalb der Bundes-FDP umstritten war, so ist bereits in Herrenchiemsee eine<br />

Prädisposition für schwarz-rot-gold erzielt worden, was auch <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen ent-<br />

sprach. Die von der CDU eingebrachte Erweiterung um ein Kreuz wurde, nachdem die<br />

Angelegenheit noch durch einen Flaggenausschuss gegangen ist, ziemlich eindeutig<br />

verworfen. 225<br />

Eine umstrittene von den Kirchen mit heftigen Lobbyismus begleiteter Komplex war<br />

derjenige des Elternrechts auf religiöse Bildung, der religiösen Schulen und der Geltung<br />

des Konkordats aus den dreißiger Jahren. Auf <strong>Heuss</strong> geht die Lösung zurück, die Weima-<br />

rer Verfassungsartikel in das Grundgesetzes zu integrieren und somit die Freiheit der reli-<br />

gionsgemeinschaften zu gewährleisten ohne eine Staatskirche ins Leben zu rufen. Eng da-<br />

mit verbunden die Frage der Konfessionsschule und dem Elternrecht auf konfessionelle<br />

Bildung, die aus heutiger Perspektive bereits vergessen ist. <strong>Heuss</strong> ist dabei der Verteidiger<br />

der staatlichen Bindung des Bildungswesens. Welchert bilanziert: »Zu keinem Problem<br />

sprach <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> im Parlamentarischen Rat so häufig und so eingehend wie zu<br />

diesem.« 226 Am Ende entstand mit Artikel 7 zwar die Implementierung des Religionsunter-<br />

richts als ordentliches Schulfach, die Aufsicht über das Schulwesen war jedoch beim Staat<br />

223 Bundestag/Bundesarchiv/Pikart/Werner (1993); S.419<br />

224 Bundestag/Bundesarchiv/Pikart/Werner (1993); S. 169 ff.<br />

225 Bundestag/Bundesarchiv/Pikart/Werner (1993); S. XLVIII f.<br />

226 Welchert (1968); S.108<br />

81


angesiedelt. Zudem ließ die »Bremer Klausel« (Art. 141) Ländern die Möglichkeit abzuwei-<br />

chen, sofern sie zum 1.1.1949 andere Regelungen hatten.<br />

Zum Thema Volksabstimmungen äußert sich <strong>Heuss</strong> als Gegner direkter demokratischer<br />

Elemente wie man weiß besonders profiliert. Diese seien »in der Zeit der Vermassung und<br />

Entwurzelung in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen und die<br />

dauernde Erschütterung des mühsamen Ansehens, worum sich die Gesetzgebungskörper,<br />

die vom Volk gewählt sind, noch werbend bemühen müssen, um es zu gewinnen.« 227 Da-<br />

mit trug er allerdings weniger zur Meinungsbildung bei, als dass er die Mehrheitsmeinung<br />

im Gremium abbildet, die bereits in Koblenz Konsens war.<br />

Interessant ist an dieser Stelle auch die Erfindung des Bundespräsidenten. Gerade bei<br />

der Konstruktion der Bundesversammlung greift der Parlamentarische Rat auf eine<br />

<strong>Heuss</strong>/Meyersche Idee zurück.<br />

Im Kontrast zur Beschränkung der Funktionen des Präsidenten steht die Aufwertung<br />

des Regierungschefs, die später als »Kanzlerdemokratie« bezeichnet wurde. Diese findet<br />

aber ihre Begrenzung in der Koppelung an eine Parlamentsmehrheit. Wesentlich um-<br />

strittener war die Frage, wie eine zweite Kammer konstruiert werden sollte. Damit ver-<br />

bunden das bereits in den Frankfurter Dokumenten formulierte Problem, sich über das<br />

richtige Verhältnis von Föderalismus zum Zentralstaat einigen zu müssen.<br />

Wenn man den Versuch Frommes,das Grundgesetz zusammenfassen, zur Hand nimmt,<br />

so fällt in der Bilanz doch auf, wie nahe die FDP-Positionen am Ergebnis liegen. »Das<br />

Grundgesetz, so könnte man formelhaft vereinfacht sagen, ist eine modifizierte Neubele-<br />

bung der Weimarer Reichsverfassung. Es vermindert diese um das Plebiszit und um das<br />

präsidiale Element. Letzteres wird durch neuartige Kautelen für die Funktion des<br />

Parlamentarismus ersetzt, aus denen sich absichtsvoll eine Führungskonzentration beim<br />

Regierungschef ergibt. Das Grundgesetz vermehrt die Weimarer Reichsverfassung um<br />

eine verfassungsrechtlich gebändigte Notgesetzgebung und einen ausdrücklichen Repu-<br />

blikschutz.« 228 Dies bedeutet in Bezug auf die Gestaltung des institutionellen Rahmens der<br />

politischen Kultur allgemein eine Stärkung des repräsentativen Systems. Im Besonderen<br />

wird der Kanzler aufgewertet und durch dessen Parlamentsbindung bekommen nun indi-<br />

rekt die Fraktionen eine wichtigere Rolle zugesprochen. Dies geht auch einher mit der<br />

Stärkung der sie bildenden Parteien, die zudem nun in der Verfassung verankert sind.<br />

▌ Zusammenfassung: Verfassungspolitik<br />

Wenn man die Verfassungspolitik in gemeinsamer Perspektive mit dem vorherigen Ab-<br />

schnitt betrachtet, der parteipolitischen Betätigung von <strong>Heuss</strong>, lassen sich zunächst Par-<br />

allelen beobachten. So wie <strong>Heuss</strong> in Fragen der Parteiorganisation und -fusion zunächst<br />

227 <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> am 9.September 1948<br />

228 Fromme (1999); S. 222<br />

82


abwartend vorgeht, so ambivalent bleibt seine Haltung zu den deutschlandpolitischen Wei-<br />

chenstellungen. Auf der einen Seite ist er Realist genug, um die entstehende Lage zu se-<br />

hen und zieht mit der Aufkündigung des Bündnisses mit der Ost-LDP die parteiinternen<br />

Konsequenzen aus der Spaltung Deutschlands. Auf der anderen Seite beteiligt er sich zu-<br />

rückhaltend an den mit den Frankfurter Dokumenten verbundenen Debatten, was ihn ge-<br />

rade von der Einflussnahme der Parteivorsitzenden von CDU und SPD unterscheidet.<br />

Auch auf die wichtigen Prädispositionen des Konvents von Herrenchiemsee nimmt er<br />

keinen Einfluss.<br />

Ganz im Gegensatz dazu füllt er seine Rolle als FDP-Fraktionsvorsitzender im Parla-<br />

mentarischen Rat aus. Das hängt zum einen mit der besonderen Situation zusammen,<br />

dass die Fraktion in sich nur geringes Konfliktpotenzial barg und dass sie ihre mittlere Po-<br />

sition geschickt zu nutzen wusste. Sowohl dieser Umstand als auch die generell besondere<br />

Arbeitsweise des Parlamentarischen Rats (was gerade für den Ausschuss für Grundsatz-<br />

fragen gilt) bringen die Diskussions- und Vermittlungskompetenzen von <strong>Heuss</strong> voll zur<br />

Geltung. Damit profiliert er sich grundlegend anders als Adenauer oder Schuhmacher.<br />

Wenn zuvor geschrieben wurde, dass das Amt des Bundespräsidenten <strong>Heuss</strong> näher ge-<br />

legen hätte, als das eines Fraktionsvorsitzenden im Bundestag oder das eines Ministers,<br />

so weist dies auf <strong>Heuss</strong>' Vorliebe für die »großen Linien« hin und für den Politikbereich,<br />

der symbolische Bedeutung besitzt: Die der Demokratie angemessene Form der Re-<br />

präsentation, die sich unter anderem im Namen und in den Staatssymbolen widerspiegelt,<br />

gehört dazu. Auch die Formulierung ihre Selbstbildes zum Beispiel in der Präambel be-<br />

trachtet er eher als identitätspolitischen Akt, denn als juristische Textproduktion.<br />

4.4 Bundespräsident<br />

Die Nominierung von <strong>Heuss</strong> um Bundespräsidenten geht auf das als »Rhöndorfer Konfe-<br />

renz« bezeichnete informelle Treffen der CDU-Spitze im Haus von Konrad Adenauer zu-<br />

rück. Hier fielen die Entscheidungen, eine Koalition mit DP und FDP eingehen zu wollen,<br />

Adenauer zum Kanzler zu machen und <strong>Heuss</strong> zum Bundespräsidenten. In den Worten des<br />

zukünftigen Kanzlers. »Da die zweitstärkste Fraktion in der Regierung die FDP sein würde,<br />

schlug ich vor, Professor <strong>Heuss</strong> das Amt des Bundespräsidenten zu übertragen.« 229 Heißt<br />

dies nun, dass <strong>Heuss</strong> das Amt seiner parteipolitischen Position nach verdankt? Pikart weist<br />

darauf hin: »Nie wurde, wie z.T. in der Weimarer Zeit, eine 'unabhängige', über den<br />

Parteien stehende Persönlichkeit gesucht.« 230 Auf der anderen Seite ist es gerade <strong>Heuss</strong>,<br />

der dies etwas anders betont: »Es ergab sich im Parlamentarischen Rat, dass ich durch<br />

229 Konrad Adenauer: Erinnerungen S. 228; zit. nach Pikart; S. 27<br />

230 Pikart (1976): S. 28<br />

83


einigen Fleiß und einige gute Reden und durch loyales Verhalten für die Menschen Figur<br />

geworden bin.« 231 Wie dem auch sei, so kann man Pikart folgen, wenn er das Amt des<br />

Bundespräsidenten als einen untergeordneten Teil der Koalitionsfrage sieht. »Die Prä-<br />

sidentschaftsfrage wurde einbezogen in die Koalitionsfrage, das geringe politische Gewicht<br />

des Bundespräsidentenamts konnte den Ehrgeiz von Politikern wie Schuhmacher und Ade-<br />

nauer nicht auf sich lenken.« 232<br />

Nach der Wahl zum Bundespräsidenten legte <strong>Heuss</strong> Partei- und Ehrenämter nieder, bis<br />

auf die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat des Germanischen Nationalmuseums in Nürn-<br />

berg. Die Mitgliedschaft in der FDP ruhte und auch seine Beteiligung an der Rhein-Neckar-<br />

Zeitung veräußerte er.<br />

▌ VerfassungsRahmen und persönliche Ausweitung<br />

Verfassungsmäßig wurde das Amt vor allem durch repräsentative Aufgaben be-<br />

schrieben. Zunächst ist die Ausübung des Amts an erhöhte Anforderungen geknüpft: Der<br />

Bundespräsident darf weder ein parlamentarisches noch ein Regierungsamt innehaben<br />

und muss das vierzigste Lebensjahr überschritten haben. Er kann nur einmal wiederge-<br />

wählt werden. Auch die Legitimation des Präsidentenamts wurde durch die Konstruktion<br />

der Bundesversammlung (wie bereits dargestellt eine <strong>Heuss</strong>-Erfindung) auf eine andere<br />

Basis gestellt als zu Weimarer Zeiten: Um zu verhindern, dass der Präsident unmittelbarer<br />

legitimiert wird als der Bundeskanzler, wurde diese besondere nur alle fünf Jahre zur Wahl<br />

zusammenkommende Versammlung gebildet. Sie setzt sich zur Hälfte aus den Abgeordne-<br />

ten des Bundestags und zur anderen Hälfte aus Vertretern der Länder zusammen. Der<br />

Stellvertreter des Präsidenten ist der aktuelle Bundesratspräsident, also einer der Minis-<br />

terpräsidenten.<br />

Vor allem wurde der Einfluss des Präsidentenamts auf die Tagespolitik beschränkt: An-<br />

ordnungen und Verfügungen des Präsidenten bedürfen der Gegenzeichnung durch den zu-<br />

ständigen Minister oder den Bundeskanzler. Bundesgesetze werden vom Bundes-<br />

präsidenten unterzeichnet, müssen jedoch vorher vom Bundestag beschlossen sein. Dies<br />

ist der wesentliche Punkt, bei dem der Bundespräsident mit Tagespolitik verfassungsmä-<br />

ßig in Kontakt kommt. Auch bei der Ernennung von Kanzler und Ministern spielt er eine le-<br />

diglich formale Rolle. Das Recht, regulär an Bundestagssitzungen teilzunehmen, wurde<br />

ihm von Anfang an verwehrt.<br />

Vor allem in Ausnahmesituationen agiert der Präsident im Zentrum der politischen Auf-<br />

merksamkeit: Sei es, dass er den Bundestag nach einer gescheiterten Vertrauensfrage<br />

auflösen darf (Ermessensentscheidung) oder dass er an der Feststellung des Verteidi-<br />

gungsfalls beteiligt ist (wenn der Bundestag nicht zusammentreffen kann, können<br />

231 Pikart (1976) ; S. 163<br />

232 Pikart (1976); S. 28<br />

84


Bundeskanzler und Präsident gemeinsam den Verteidigungsfall verkünden). In diesem<br />

Sinne ist auch die Verweigerung einer Unterschrift unter ein Gesetz zu einer Aus-<br />

nahmesituation zu zählen. Interessant ist in diesem Fall die Organklage des Bundesrats<br />

gegen den Bundespräsidenten vom 24.1.1958. Dieser hatte im Juli 1957 das Stiftungsge-<br />

setz zur Errichtung der »Stiftung preußischer Kulturbesitz« unterzeichnet, obwohl die<br />

Länder der Auffassung waren, zustimmungspflichtig zu sein. 233 Zu <strong>Heuss</strong>' Zeiten hatte der<br />

Bundespräsident zudem das im Bundesverfassungsgericht-Gesetz fixierte Recht, das<br />

Verfassungsgericht um ein Rechtsgutachten zu ersuchen, was <strong>Heuss</strong> auch zweimal prakti-<br />

zierte.<br />

Diese Zurückdrängung des Bundespräsidenten aus der Tagespolitik legt eine weitge-<br />

hend neutrale oder überparteiliche Amtsauffassung nahe, obwohl die Wahl des Bundes-<br />

präsidenten, immer mit der Parteiarithmetik im politischen System verknüpft war. Bun-<br />

despräsidentenwahlen machen häufig die Kräfteverhältnissen in Bund und Ländern<br />

sichtbar (und haben damit eine seismographische Funktion).<br />

Die Konstruktion des Amts bringt es mit sich, dass jedes Staatsoberhaupt den Spiel-<br />

raum hat, das Amt selbst mitzudefinieren. Auch <strong>Heuss</strong> versuchte es stärker mit den aktu-<br />

ellen politischen Prozessen zu verknüpfen: So wünschte er eine Unterrichtung des<br />

Bundespräsidenten über die Kabinettsposten durch eine Liste, wurde dabei von Adenauer<br />

jedoch ausgebremst, wohl, weil dies ein Gewohnheitsrecht hätte konstituieren können.<br />

Auch der Bitte von <strong>Heuss</strong>, an den Kabinettssitzungen teilnehmen zu dürfen, wurde nicht<br />

entsprochen, in der Regel nahm aber der Chef des Bundespräsidialamts daran teil und zu<br />

besonderen Anlässen und sehr selten auch <strong>Heuss</strong> selbst. Dass er in besonderen Fällen<br />

versuchte, Dinge in das Kabinett zu bringen, beweist eine Äußerung im Briefwechsel mit<br />

Toni Stolper: »In der Saar-Frage hat sich das Kabinett, das auf meine Bitte sich damit<br />

eingehend damit beschäftigt, meine Bedenken und Anregungen akzeptiert.« 234<br />

Kanzler und Präsident tauschten sich regelmäßig in Vier-Augen-Gesprächen aus. Zwi-<br />

schen 1949 und 1959 gab es 74 Unterredungen. 235 Diese Unterredungen sind im Blick auf<br />

die politischen Prozesse nicht unbedeutend, wenn sie auch nicht konstitutionell verankert<br />

sind. Denn es wurde vor allem über die Tagespolitik geredet: Sei es, dass Adenauer über<br />

Personalfragen berichtete (und klagte), sei es, dass anstehende Entscheidungen erörtert<br />

wurden oder dass Postenbesetzungen insbesondere im Auswärtigen Dienst thematisiert<br />

wurden. Überhaupt nahm das Feld der Außenpolitik eine zentralen Platz bei diesen Un-<br />

terredungen ein: Dies gerade vor der Souveränität 1955, ab der <strong>Heuss</strong> Staatsbesuche<br />

machen durfte.<br />

233 Pikart (1970); Anmerkungen 304, 8; S. 584<br />

234Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper 05.12.1956; S. 222<br />

235 siehe Morsey/Schwarz/Mensing (1997)<br />

85


Des öfteren wird dem Bundespräsidenten die Rolle zugewiesen, Schiedsrichter oder<br />

Mahner zu sein. Da diese Aufgabe nicht in der Verfassung verankert ist, kann man argu-<br />

mentieren, entspringt sie der jeweiligen Amtsauffassung des Präsidenten. Als eine Art<br />

Streitschlichtungsorgan wurde er im engeren Sinne auf die parlamentarischen Abläufe be-<br />

zogen nicht benötigt: »Hier sollte das neue Kanzlersystem dafür sorgen, dass kritische Si-<br />

tuationen zu Kanzlerkrisen wurden und nur durch Wahlen, Kanzler- und Koalitionswechsel,<br />

unabhängig vom Präsidenten, ihre Entschärfung erfuhren.« 236 Andererseits wird dem Amt<br />

eine besondere Autorität zugeschrieben und einige Bundespräsidenten nahmen diese Rolle<br />

deshalb auch stärker wahr als <strong>Heuss</strong> es getan hat. Stellvertretend soll hier Schildt zitiert<br />

werden, der im politisch-geistigen Klima gerade die »dunkle Seite der frühen 50er Jahre«<br />

sieht. »Auf Wahlplakaten der Regierungsparteien zur Bundestagswahl 1953 hieß es: 'Alle<br />

Wege des Marxismus führen nach Moskau' oder 'Wo Ollenhauer sät, erntet Stalin'. Auch<br />

der Umgang mit wegen ihrer Stalin-Hörigkeit marginalisierten Kommunisten und ihrer<br />

Sympathisanten im Vorfeld und infolge des KPD-Verbots1956 entsprach kaum heutigen<br />

rechtsstaatlichen Vorstellungen.« 237 Da man zu dem hier erwähnten bei <strong>Heuss</strong> keine<br />

Äußerung findet, legt dies nahe, dass er sie entweder nicht wahrnahm oder sein Amt da-<br />

mit nicht belasten wollte. Zu seinem Amtsstil gehörte es, sich in Kontroversen im<br />

Zweifelsfall zurückzuhalten beziehungsweise intern die Regierungskoalition zu unter-<br />

stützen.<br />

<strong>Heuss</strong> führte seine Geschäfte relativ unabhängig von der Regierung und sprach nur<br />

Dinge mit tagespolitischem Bezug oder außenpolitischer Relevanz mit dem Bundeskanzler-<br />

amt ab. 238 Das verhältnis zu Adenauer war alles in allem von Loyalität und Vertrauen ge-<br />

prägt, was ihm auch diese Autonomie ermöglichte. Auch legte er seinem Politikerver-<br />

ständnis gemäß Wert darauf, personale Unabhängigkeit in seiner Rolle zu bewahren: »Ich<br />

bin nicht das Opfer des Funktionsbetriebs geworden, erhalte meine persönliche Atmo-<br />

sphäre, lerne auch immer gern aus diplomatischen Berichten u.s.f.; was mir so langweilig<br />

und störend ist, sind die zeitraubenden offiziellen Empfänge, Diners, Rathaus- und Re-<br />

gierungsbesuche, die nett sein könnten ohne das Gepränge. Und jener unendliche Brief-<br />

wechsel, da man mit den unmöglichsten Dingen an mich, an das Amt kommt – ich halte<br />

darauf, die Sache, um des redlichen Vertrauens willen, nicht bloß kalt bürokratisch abzu-<br />

wimmeln.« 239 Dennoch war <strong>Heuss</strong> regelmäßig diesem Funktionsbetrieb ausgesetzt. Wenn<br />

er auch hauptsächlich eine repräsentative Funktion ausfüllte, so heißt dies nicht, dass er<br />

nicht im Sinne rationaler Steuerungspolitik auf die tagespolitischen Prozesse einwirkte.<br />

Über den zeitlichen Verlauf seiner Präsidentschaft lässt sich ungefähr festhalten, dass in<br />

236 Pikart (1976); S. 40<br />

237 Axel Schildt (1999/2); S. 26<br />

238 Pikart (1976); S. 26<br />

239 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 29.06.1955 ; S. 42<br />

86


den ersten Jahren bis 1954 die Aufbauphase des Amtes stattgefunden hat. Entschei-<br />

dungen über grundlegende Dinge spielten eine Rolle wie über Hymne, Verhältnis zu den<br />

anderen Verfassungsorganen, der Rangordnung. Zudem stand diese Amtszeit stärker un-<br />

ter innenpolitischem Schwerpunkt. In der zweiten Amtszeit werden die ersten Staatsbesu-<br />

che unternommen, sie fällt zusammen mit der Souveränität der Bundesrepublik seit Rati-<br />

fizierung der Pariser Verträge im Mai 1955.<br />

▌ Hymne: Land des Glaubens, deutsches Land<br />

Sehr früh unternahm <strong>Heuss</strong> den Versuch, eine Nationalhymne neu zu schaffen. Im No-<br />

vember 1950 findet sich in den Besprechungsprotokollen zwischen <strong>Heuss</strong> und Adenauer<br />

folgende Notiz: »Bundespräsident überreichte dem Bundeskanzler den Text der geplanten<br />

neuen Nationalhymne. Bundeskanzler zeigte sich von der Hymne und ihrer christlichen<br />

Transparenz sehr beeindruckt. Bundespräsident eine baldige Besprechung mit dem<br />

Kabinett unter Vorführung der Hymne in Aussicht und teilte mit, auch mit Kardinal Frings<br />

darüber vorher sprechen zu wollen.« 240 Mit der Ausarbeitung des Entwurfs beauftragte<br />

<strong>Heuss</strong> den ihm bekannten Dichter Rudolf-Alexander Schröder. Ziel war es, das alte<br />

Deutschlandlied, das bei offiziellen Anlässen immer wieder verwendet wurde und ins-<br />

besondere dessen erste Strophe zu ersetzen. Die erste Strophe der geplanten Hymne<br />

lautete:<br />

Land des Glaubens, deutsches Land,<br />

Land der Väter und der Erben,<br />

Uns im Leben und im Sterben<br />

Haus und Herberg, Trost und Pfand,<br />

sei den Toten zum Gedächtnis,<br />

den Lebend´gen zum Vermächtnis,<br />

freudig vor der Welt bekannt,<br />

Land des Glaubens, deutsches Land!<br />

In den weiteren Strophen ist die Rede vom »Land der Hoffnung, Heimatland« sowie<br />

vom »Land der Liebe, Vaterland.« 241 Zu einer ernsten Auseinandersetzung in dieser Frage<br />

kam es bereits am 8.Mai 1950 als sich <strong>Heuss</strong> bei Adenauer darüber beschwerte, dass<br />

während des Berliner Besuchs des Kanzlers die dritte Strophe des Deutschlandliedes<br />

gesungen wurde. Adenauer rechtfertigte dies damit, dass er »keineswegs einen Vorgriff in<br />

der Frage der Nationalhymne« beabsichtigte und dass er auch nicht glaube, dass sich »die<br />

240Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Besprechung Nr. 3 vom 17. November 1950; S. 44<br />

241 Die Hymne ist abgedruckt bei: Pikart/Mende (1963); 322 f.<br />

87


dritte Strophe sich zur Nationalhymne für die Bundesrepublik eigne.« 242 Am 14.12.1950<br />

stellte <strong>Heuss</strong> die Hymne dem Bundeskabinett vor und nach seiner Sylvesteransprache im<br />

Fernsehen verlas er den Text des Entwurfs von Schröder. Aus der Besprechung von Kanz-<br />

ler und Präsident vom 2. Februar 1950 erfahren wir, dass <strong>Heuss</strong> nun beabsichtigte, die<br />

Reaktion der Öffentlichkeit zu testen: »Bundespräsident erklärt, er wolle jetzt die Aus-<br />

wirkung der Hymne in Schulen sowie bei den Sportorganisationen und Gesangsvereinen<br />

abwarten.« 243 Adenauers Äußerung vom 17. November 1950 ist jedoch eher als strate-<br />

gisch wahrzunehmen, denn er favorisierte zunehmend die Dritte Strophe des Deutsch-<br />

land-Liedes und setzte sie bei Parteiveranstaltungen ein. Zudem stellte sich ihm die Frage,<br />

ob der Bundespräsident überhaupt befugt ist, eine Hymne zu initiieren und so eskalierten<br />

die Dinge etwas. Auch andere Politiker aus CDU und FDP äußerten ihre Ablehnung gegen-<br />

über <strong>Heuss</strong>' Plänen nun deutlich. Kurt Schuhmacher nannte das Schrödersche Werk am<br />

14.08.1951 einen »Schwäbisch-pietistischen National-Choral« und hielt auch das »Glaube-<br />

Liebe-Hoffnung«-Motiv für nicht angemessen. 244 <strong>Heuss</strong> analysiert rückblickend, dass vor<br />

allem die Haltung Schuhmachers im Endeffekt dazu beigetragen hat, dass der Entwurf<br />

scheiterte, Pikart sieht indes die breite Front der Ablehnung als Ursache: »Als <strong>Heuss</strong> nun<br />

eigentlich von allen Parteien die Unterstützung verweigert wurde, gab er nach. Am<br />

3.4.1952 verfasste er ein Memorandum, in dem er die Form seines Einlenkens niederleg-<br />

te. Er entwarf selbst einen Brief, den der Kanzler ihm schreiben sollte, und gleichzeitig<br />

seine Antwort.« 245 Der Briefaustausch fand am 29.4. und am 2.5. 1952 statt.<br />

Im Rückblick verwundert die Wahl des Verfahrens. Der übliche Weg wäre gewesen,<br />

vorher mit den wichtigsten Parteien oder zumindest vertraulich mit Repräsentanten zu re-<br />

den. Erst dann wäre eine Auftragserteilung sinnvoll. Abgesehen davon, kann man auch<br />

darüber streiten kann, ob das Vergabeverfahren geeignet war (Beauftragung eines<br />

Freundes der Familie) und ob <strong>Heuss</strong> politische Klugheit in der Formulierung des Auftrags<br />

selber gezeigt hat: Nämlich eine Hymne mit einem christlichen Grundbezug zu schaffen.<br />

So sehr es das Verdienst des ersten Bundespräsidenten war, die Frage geeigneter natio-<br />

naler Symbolik zu thematisieren anstatt einfach pragmatisch auf einen beliebigen Tradi-<br />

tionsbezug zurückzugreifen, so sehr verwundert seine politische Umsetzungsstrategie, die<br />

die Rolle des Präsidenten zu über- und die der Fraktionsvorsitzenden eher zu un-<br />

terschätzen scheint.<br />

242 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Besprechung Nr 2 vom 08.05.1950; S. 41<br />

243Morsey/Schwarz/Mensing (1997); S. 53<br />

244Morsey/Schwarz/Mensing (1997); S. 359 (Anm. 33); Pikart (1976); S. 98<br />

245Pikart (1976); S. 98<br />

88


▌ Wehrpflicht, Europäische Verteidigungsgemeinschaft<br />

Eine der Angelegenheiten, in denen der Bundespräsident stark den tagespolitischen Er-<br />

eignissen ausgesetzt war, waren die Beratungen des Vertrags über die Europäische<br />

Verteidigungsgemeinschaft, die 1952 verhandelt wurden. Inhaltlich ging es bei diesem<br />

Vertragswerk um die deutsch-französische Gründung eines solchen Bündnisses und damit<br />

implizit um die Aufstellung einer Armee (oder eines deutschen »Wehrbeitrags«). Am<br />

26./27.02.1952 unterzeichnete Adenauer das Vertragswerk und die SPD-Opposition im<br />

Bundestag erhob eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht, weil sie der<br />

Meinung war, dass derartige Änderungen einer verfassungsändernden Mehrheit bedürfen<br />

und nicht der Ratifizierung mit einer absoluten Mehrheit der Bundestagsstimmen.<br />

Erschwerend kam hinzu, dass das Verhalten des Bundesrats schwer kalkulierbar war: Den<br />

Ausschlag für dessen Zustimmung hätte Baden-Württemberg geben können, das von SPD<br />

und FDP unter dem Ministerpräsidenten Reinhold Mayer regiert wurde, also von Parteien<br />

mit in dieser Frage konträren Ansichten. Mayer trat denn nun auch zur Unfreude seines<br />

ehemaligen Regierungskollegen <strong>Heuss</strong> als Adenauers föderaler Widerpart auf. Im Mai/Juni<br />

fanden nun die Lesungen des Vertragswerks vor dem Bundestag statt, gleichzeitig, am<br />

10.6.1952 die erste Verhandlung im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, vor dem so<br />

genannten »roten« ersten Senat (der tendenziell der SPD zugeneigt war, während der<br />

zweite Senat tendenziell eher den Auffassungen von CDU/CSU entsprach). Vor dieser Si-<br />

tuation erbat <strong>Heuss</strong> am gleichen Tag ein Rechtsgutachten, das die Frage klären sollte, ob<br />

der Vertrag mit Bezug auf Artikel 24 des Grundgesetzes (Übertragung von Hoheitsrech-<br />

ten) verfassungskonform sei. Dieses Gutachten sollte auf der einen Seite den Präsidenten<br />

für sein Verhalten nach der erfolgten Zustimmung beraten und auf der anderen Seite die<br />

Lesung des Vertragswerks im Bundestag von den juristischen Erörterungen befreien, die<br />

eine politische Entscheidung zu überlagern drohten. 246 Eine dritte Motivation bestand dar-<br />

in, über ein positives Gutachten Bedenken in Bundestag und Bundesrat zu zerstreuen und<br />

so auf eine Entscheidung im Sinne der Regierungsmeinung einzuwirken. Auch Adenauer<br />

stützt diese Sicht auf die Dinge in seinen Memoiren: Demnach sei <strong>Heuss</strong> »nicht ganz<br />

überzeugt [gewesen], ob der Vertrag mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei.« 247 Dies<br />

kann aber schon deshalb nicht stimmen, weil das Gutachten auf Wunsch der Bundesre-<br />

gierung vom Präsidenten veranlasst wurde. Unter anderem liefert das Protokoll einer Vier-<br />

Augen-Besprechung zwischen Adenauer und <strong>Heuss</strong> am 3. März 1952 einen deutlichen Hin-<br />

weis darauf, dass die Idee des Gutachtens auch einem sachpolitischen Kalkül von <strong>Heuss</strong><br />

entspringt: »Der Bundespräsident erzählte dem Bundeskanzler, dass der Gedanke ihn be-<br />

wegt habe, zur Beschleunigung der Entscheidung eventuell ein Gutachten zu erbitten.« 248<br />

246Pikart (76); S. 105<br />

247 Sternberger (1990); S. 117<br />

248 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Besprechung am 03.05.1952; S. 83<br />

89


<strong>Heuss</strong> wollte demnach ein Gutachten nicht einfach zur Klarstellung nutzen, sondern auch<br />

einen politischen Effekt erzielen. Ihm ging es darum, die Aufstellung einer Armee nicht zu<br />

gefährden, da er eine solche »mit der Staatlichkeit essenziell« gleichsetzte. Staat, Wehr-<br />

pflicht und Armee sind für <strong>Heuss</strong> ein zentrales Politikfeld, wie wir spätestens seit seiner<br />

engagierten Rede gegen die Kriegsdienstverweigerung im Parlamentarischen Rat wissen.<br />

Nach <strong>Heuss</strong> Meinung wäre eine politische Entscheidung übrigens »innerhalb der normalen<br />

Arbeitsleistung« des Parlaments beschließbar gewesen. Ergänzend stellte er Überlegungen<br />

an, wie man die die Wehrpflicht quasi über die Hintertür zu einem selbstverständlichen<br />

Bestandteil von Staatlichkeit machen könnte: »Dass die Frage des Wehrgesetzes eine<br />

Vorklärung einfach dadurch erhalte, dass in dem Kompetenzkatalog die Wehrzuständigkeit<br />

des Bundes ausgesprochen werde.« 249<br />

Am 30.Juli 1952 entschied der erste Senat des Verfassungsgerichts, dass die Klage der<br />

SPD vor der Abstimmung im Bundestag unzulässig ist. Deshalb kündigte die Oppositions-<br />

partei an, im Nachhinein noch einmal zu klagen. Gleichzeitig kamen erste Signale aus<br />

Karlsruhe, dass das Gericht sich nicht der Auffassung der Regierung anschließen könnte<br />

und eher zur Auffassung der SPD tendieren könnte. Daraufhin entschlossen sich nun die<br />

Parteien der Regierungskoalition zu einer eigenen Klage vor dem Gericht.<br />

Begründet wurde diese Klage damit, dass die Oppositionsrolle durch deren Klagedro-<br />

hung unverhälnismäßig gestärkt werde. Die Hoffnung, die sich an dieses Argument knüpf-<br />

te war, dass sich das Gericht deshalb vor dem <strong>Heuss</strong>-Gutachten mit der Regierungsklage<br />

beschäftigen werde. Zudem nun gemäß der Geschäftsordnung des Gerichts dies vor dem<br />

»schwarzen« Senat verhandelt werden müsste, von dem man eine wohlgesonnene Ent-<br />

scheidung erwartete. 250 Dies ist zweifellos der Höhepunkt der Instrumentalisierungen des<br />

Gerichts, die auch in der Öffentlichkeit auf starke Kritik stießen.<br />

Das Verfassungsgericht wehrte sich dagegen, indem es am 08.12. zweierlei entschied:<br />

Erstens, dass das Gutachten des Präsidenten vor der Klage der Regierungsparteien be-<br />

handelt werden sollte. Zweitens, dass ein solches im Plenum des Gerichts erarbeitetes<br />

Gutachten bindend ist für beide Senate.<br />

Dies führte die Bundesregierung in eine schwierige politische Situation: Die Chancen<br />

zu einer Klärung der verfassungsrechtlichen Situation in ihrem Sinne sanken, die Chancen,<br />

dass sich die Rechtsauffassung der SPD durchsetzen würde, stiegen. Gleichzeitig er-<br />

wuchsen aus der Entscheidung Konsequenzen für den Bundespräsidenten. Denn entgegen<br />

seiner Absicht, sich lediglich beraten zu lassen, entschied das Gericht, dass ein Gutachten<br />

eine Vorfestlegung ist, die in der Konsequenz den Präsidenten in seiner Entscheidung<br />

bindet. Daraufhin und auf Anraten der Bundesregierung zog <strong>Heuss</strong> das Gutachtenersuchen<br />

zurück.<br />

249Pikart (76); S.104<br />

250 Am 07.03.1953 als unzulässig abgelehnt, weil die Bundestagsmehrheit kein Organ ist.<br />

90


Gerade diese Entscheidung des Präsidenten ist scharf kritisiert worden und nach den<br />

justizmäßigen Verwirrungen signalisierte <strong>Heuss</strong> den Sozialdemokraten, dass er erst nach<br />

der Entscheidung des Verfassungsgerichts über eine neue SPD-Klage eine Entscheidung<br />

über die Ausfertigung des Gesetzes treffen werde. Dies war allerdings insofern unbedeu-<br />

tend, als nach der Bundestagswahl die Regierungskoalition ihre verfassungsändernde<br />

Mehrheit nutzte und am 26.02.1954 die »erste Wehrergänzung« beschloss. Gescheitert ist<br />

die EVG hingegen am Votum der Französischen Nationalversammlung, so wie Adenauer<br />

übrigens bereits im zuvor zitierten Gespräch vermutete. 251<br />

Pikart bewertet die Zurücknahme des Gutachtens »als notwendiges Rückzugsgefecht«<br />

sehen, um das Amt des Bundespräsidenten aus dem »Strudel des Parteienkampfs« her-<br />

auszuhalten. 252 Diese Sichtweise ist jedoch zu stark auf die Selbstsicht des Präsidenten<br />

bezogen. Zu verschwommen berücksichtigt sie das Moment der Instrumentalisierung des<br />

Gerichts, das Pikart selber erkennt: »Bis in den November 1952 glaubte der Bundesprä-<br />

sident [...] das Plenum des Bundesverfassungsgerichts würde sich in seinem Gutachten<br />

einer vernünftigen Lösung im Sinne seiner Vorstellungen, die sich mit denen der Bundes-<br />

regierung deckten, nicht verschließen.« 253 <strong>Heuss</strong> folgt nicht irgendeiner unabhängigen Po-<br />

sition sondern einem in seinen politischen Vorstellungen grundlegend verwurzelten Inter-<br />

esse. Ob er sich von der Regierung hat instrumentalisieren lassen, ist öfter gefragt<br />

worden. Selbstverständlich hat <strong>Heuss</strong> immer betont, dass er sich nicht als den Erfüllungs-<br />

gehilfen der Regierung sehe. Ob das nun heißt, dass er es wenn nicht freiwillig, so unfrei-<br />

willig dennoch war, ist eine offene Frage. Das Urteil von Schwarz lautet folgendermaßen:<br />

»Entschlossene Berechnung des Kanzlers und der Wille des Präsidenten, die Unabhängig-<br />

keit seines Amtes zu bewahren, wirkten so zusammen, die Westverträge um die gefähr-<br />

lichste Klippe zu steuern.« 254 »Berechnung« gegenüber »Willen« – wenn es ein Fazit<br />

dieser Analyse geben kann, dann die, dass Adenauer der taktisch-politisch Versiertere von<br />

den beiden gewesen sein muss. <strong>Heuss</strong> zog aus der Angelegenheit die Konsequenz, nicht<br />

mehr von der Möglichkeit eines Gutachtens Gebrauch zu machen. Nicht zuletzt dank sei-<br />

ner bereits aus Weimarer Zeiten und dem Parlamentarischen Rat stammenden guten Be-<br />

ziehung zum Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts, Hermann Höpker-Aschoff, ge-<br />

lang es ihm im Nachgang, den Schaden zu begrenzen.<br />

251 Morsey/Schwarz/Mensing (1997): »Umso besorgter sähe er – Bundeskanzler – die innenpolitische<br />

Lage in Frankreich an, das sich jetzt wieder in einer ernsten Regierungskrise befinde. In weiten<br />

Kreisen Frankreichs stehe man der Eingliederung der Bundesrepublik in die EVG mit einer aus<br />

Minderwertigkeitskomplexen stammenden Angst gegenüber, und niemand könne die endgültioge<br />

französische Haltung zur Ratifizierung des Abkommens über die EVG voraussehen.«<br />

252 Pikart (1976); S. 112<br />

253 Pikart (1976); S. 107<br />

254Bracher/Eschenburg,Fest/Jäckel/ Schwarz (1981); S. 177 (Band 2)<br />

91


▌ Aussenpolitik<br />

Gerade in der Frühzeit der Bundesrepublik kommt der Außenrepräsentation des neuen<br />

Staates eine wichtige Funktion zu. Gleichfalls ist hier <strong>Heuss</strong>' Einfluss relativ begrenzt. Die<br />

Gestaltung der Außenpolitik obliegt zunächst dem Bundeskanzler. 1950 wird das Aus-<br />

wärtige Amt eingerichtet. In den Vier-Augen-Gesprächen unterrichtete Adenauer <strong>Heuss</strong><br />

regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen und dieser interessiert sich auch en Detail<br />

für diese Fragen der auswärtigen Repräsentation. Gerade in den ersten Jahren spielen<br />

Personalfragen eine große Rolle, Generalkonsulate und Botschafterposten müssen besetzt<br />

werden. Wenn in der Öffentlichkeit über die Übernahme von Personal aus der NS-Zeit im<br />

Auswärtigen Amt diskutiert wird, spielt das Thema in den internen Gesprächen kaum eine<br />

Rolle. Als es 1951 zur Einrichtung eines »Untersuchungsausschusses über die Personalpo-<br />

litik im Auswärtigen Amt« kommt, äußert sich <strong>Heuss</strong> hierzu im Gegensatz zu Adenauer<br />

denn auch nicht öffentlich (der der Meinung war, dass man »mit der Naziriecherei<br />

Schluss« machen sollte). Intern drängt <strong>Heuss</strong> zwar immer wieder auf eine stärkere Füh-<br />

rung des Hauses, die Personalpolitik des Bundeskanzlers unterstützt er jedoch: »Bundes-<br />

präsident teilt Bundeskanzler mit, er habe dem Fraktionsvorsitzenden der CDU von<br />

Brentano in einem Schreiben seine Besorgnis über die wenig sachliche Arbeitsweise des<br />

Untersuchungsausschusses des Bundestages [...]mitgeteilt.« 255 Auch im kulturpolitischen<br />

Feld hatte <strong>Heuss</strong> ein starkes außenpolitisches Interesse eingebracht. Dies galt neben der<br />

Besetzung des für Kultur zuständigen Referats auch der Errichtung von kulturpolitischen<br />

Institutionen, die eine ähnliche Rolle einnehmen sollten wie die Amerikahäuser oder Bri-<br />

tish Councils. Hierfür setzt er sich im »kulturpolitischen Beirat« des Auswärtigen Amts ein.<br />

Wenn es ein zentrales Themenfeld der Außenpolitik gab, dann das der Sicherheitspoli-<br />

tik. <strong>Heuss</strong> folgte im Wesentlichen der Strategie Adenauers mit Westbindung, Einbettung in<br />

ein multilaterales Sicherheitssystem und Wiederbewaffnung. Die um das Jahr 1957 publi-<br />

zierte einflussreiche Denkschrift von Karl-Georg Pfleiderer mit dem Alternativkonzept<br />

eines neutralen Deutschlands mit westlichen Brückenköpfen 256 zum Beispiel rezipierte<br />

<strong>Heuss</strong> wohlwollend aber skeptisch: »Mit Pfleiderers Denkschrift ist es so eine offene<br />

Frage: sehr behutsame und vielfarbige Diagnose, aber doch ohne gewisse Sicherheit in<br />

Anregungen zur Therapie.« 257 <strong>Heuss</strong> interessierte sich zwar für sicherheitspolitische<br />

Fragen und ließ sich regelmäßig auf dem Laufenden halten, griff aber nicht in dieses Poli-<br />

tikfeld ein. Als er dies in seiner Silvesteransprache 1957/58 aus versehen tut, indem er<br />

eine Äußerung des amerikanischen Diplomaten Kennan zum Anlass nahm, internationale<br />

Verhandlungen »mit Scheinwerfer, Lautsprecher und Pressekonferenzen« zu kritisieren,<br />

255 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch am 03.03.1952; S. 82<br />

256 Overesch (1995); S. 49<br />

257 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 22.10.1957; S. 272<br />

92


eagierte Adenauer scharf. 258 Während es <strong>Heuss</strong> um die Scheinwerfer ging, ging es Ade-<br />

nauer um Kennan. Adenauer ahnte, welche Publizität diese Äußerung bekommen kann<br />

und er hat recht behalten. Internationale Medien beschäftigten sich mit der Ansprache,<br />

sogar die New York Times. Die Gründe sind im Verhältnis von US-Präsident Eisenhower zu<br />

Kennan (dem Erfinder des »Kalten Kriegs«) zu suchen. Dieses Versehen zeigte dem Prä-<br />

sidenten, wie unwägbar das außenpolitische Terrain sein kann und deshalb hielt er sich im<br />

Weiteren auf diesem Gebiet zurück.<br />

Häufig verbunden mit Sicherheitspolitik sind die deutsch-französischen Angelegenhei-<br />

ten, in erster Linie betrifft dies Fragen der Europa- und Verteidigungspolitik. Wie kom-<br />

pliziert das deutsch-französische Verhältnis gewesen ist, kann gut anhand der Vier-Augen-<br />

Protokolle nachvollzogen werden. Wenn <strong>Heuss</strong> nach 1945 der Aussöhnung mit Frankreich<br />

einen großen Stellenwert zumaß, so war der Handelnde eindeutig Adenauer. Lediglich zum<br />

Zeitpunkt der Eingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik, wirkte <strong>Heuss</strong> direkt auf<br />

das französisch-deutsche Verhältnis ein. Mit einer Denkschrift forderte er eine zurückhal-<br />

tend begangene Eingliederung des Landes. 259 »Intensives politisches Eingreifen durch<br />

eine kleine Niederschrift, für die 'man', d. h. im Kabinett und Bundesrat, sehr dankbar ist.<br />

Die Saar-Großen und einige Bonner Dummköpfe wollten am 01.Januar ganz großes<br />

Theater machen, hatten auch über mich verfügt u.s.f. Ich habe den Plan zerschlagen, vor<br />

allem seine Mitteilung verhindert, weil die Franzosen erst vor der Ratifikation im<br />

Parlament stehen.« 260<br />

Eine ähnliche Haltung hat <strong>Heuss</strong> bereits vier Jahre zuvor in Bezug auf die Rückgabe<br />

der Insel Helgoland vertreten. »Er [Bundespräsident] bittet den Kanzler, bei der Pro-<br />

grammgestaltung der Feier, die man offensichtlich zu einer lauten vaterländischen<br />

Demonstration gestalten wolle, von seiner Person abzusehen.« 261<br />

Sichtbarstes Zeichen äußerer Repräsentation sind die Staatsbesuche des Bundesprä-<br />

sidenten, wenngleich die wichtigen Arbeitstermine in der Regel vom Bundeskanzler<br />

wahrgenommen. Insofern sind Präsidentenbesuche und ihre Wahrnehmung im Land ein<br />

Gradmesser für die allgemeinen Beziehungen zwischen den Ländern, für die Einstellung<br />

des Auslandes gegenüber Westdeutschland. <strong>Heuss</strong> arbeitet in diesem Sinne eher am<br />

Image der neuen Demokratie als dass er außenpolitisch steuert. Dies gilt sowohl für Emp-<br />

fänge und Begegnungen mit Diplomaten in Bonn, als auch für Staatsbesuche. Erst ab<br />

1955 ändert sich dies, wenn auch diplomatische Kontakte schon vorher einen sehr großen<br />

Teil seiner Arbeit ausmachen. Bott, sein persönlicher Referent schreibt zur »turbulenten<br />

Zeit« ab 1955 etwas wolkig: »Es verging kaum ein Monat, in dem der Präsident nicht den<br />

258 Pikart (1970); S. 582<br />

259 Pikart (1976); Denkschrift: Zur Feier der Rückgliederung des Saarlandes vom 03.12.1956; S. 120<br />

260 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 04.12.1956<br />

261 Morsey/Schwarz/Mensing; Besprechung am 17.01.1952; S. 78<br />

93


'<strong>Kolleg</strong>en' oder einen 'Regierenden' aus einem anderen Land im 'neuen Deutschland' will-<br />

kommen hieß.« 262 Ab 1956 unternimmt <strong>Heuss</strong> selbst Staatsbesuche, der erste führt nach<br />

Griechenland. Die Zahl der Visiten ist relativ überschaubar, es folgen Aufenthalte in Rom<br />

(Italien und Vatikan), der Türkei, Kanada, den USA und Großbritannien. Gerade in der<br />

zweiten Amtszeit häufen sich in persönlichen Briefen die Klagen vor allem über die mit<br />

dem Protokoll verbundenen Repräsentationspflichten.<br />

Ein besonderes auch intellektuelles Interesse hat <strong>Heuss</strong> an Israel. Außenpolitisch<br />

zentral sind die Luxemburger Verhandlungen über ein Wiedergutmachungsabkommen,<br />

das 1952 in höchst kontroverser Atmosphäre verabschiedet wurde. Den komplizierten<br />

Verhandlungsprozess begleitete <strong>Heuss</strong> informell. Überraschend dies: Wenngleich <strong>Heuss</strong><br />

und Adenauer in einer Politik der »Sonderbeziehungen« zu Israel übereinstimmten, so<br />

wird die Abstimmung über das Abkommen, das ein Volumen von 3,5 Milliarden DM an<br />

Sach- und Kapitalleistungen bis 1966 umfasste, nur mit den Stimmen der SPD ge-<br />

wonnen. 263 1960 wird <strong>Heuss</strong> als Privatmann das Land bereisen.<br />

▌ Auszeichnungen<br />

Eine im öffentlichen Leben weithin sichtbare Funktion des Präsidentenamts ist es, im<br />

Namen des Staats Anerkennung und Dank für Verdienste auszusprechen. Bereits im Juni<br />

1950 stiftet <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> das »Silberne Lorbeerblatt«, eine Auszeichnung für sportliche<br />

Leistungen. Im Rückblick kommt <strong>Heuss</strong> hier auf die symbolische Bedeutung zu sprechen,<br />

die eine solche Gabe hat. Mit ihr sollen keine materiellen Vorteile verknüpft werden, son-<br />

dern auf einer anderen Ebene die Anerkennung ausgesprochen werden: »Es war die<br />

Frage, etwas zu finden, was im Symbolcharakter und nicht im Besitzsein gewürdigt<br />

wird.« 264<br />

Ein Jahr später wird mit dem »Erlaß über die Stiftung des Verdienstordens der<br />

Bundesrepublik Deutschland« 265 der Bundesverdienstorden mit einem umfangreichen Sys-<br />

tem an Klassen gestiftet. Bis heute ist es gängige Praxis, die unteren Klassen dieses<br />

Ordens, das Verdienstkreuz am Bande oder die Verdienstmedaille als Anerkennung für<br />

besonderes gesellschaftliches Engagement zu verleihen und so ein wirksames Instrument<br />

der Bindung zwischen Gesellschaft und Staat zu schaffen. Im breiten Bewusstsein ist dies<br />

die zentrale Auszeichnung der Bundesrepublik geworden.<br />

Wenn die Stiftung von Auszeichnungen als selbstverständliche Konsequenz von Staat-<br />

lichkeit erscheint, ist es dies vor dem Hintergrund der eingeschränkten Souveränität der<br />

262 Bott (1966); S. 91<br />

263 Bracher/Eschenburg/Fest/Jäckel/Schwarz (1981); S. 186<br />

264 Dahrendorf/Vogt (1984): Stilfragen der Demokratie; S. 460<br />

265 Erlaß über die Stiftung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland vom 7. September<br />

1951; vgl. Bundespräsidialamt (2001)<br />

94


Bundesrepublik nicht unbedingt. Deshalb spielte das Thema bei den Besprechungen zwi-<br />

schen Kanzler und Bundespräsident mehrfach eine Rolle. Insbesondere stellte sich die<br />

Frage, wie man mit in der Vergangenheit verliehenen Abzeichen umgehen wollte. Elegant<br />

löste <strong>Heuss</strong> die Schwierigkeit, hier möglichst geräuschlos zu einer für möglichst viele trag-<br />

baren Lösung zu kommen, indem er zum einen die Rückendeckung Schuhmachers suchte,<br />

den ehemaligen Reichswehrminister Gessler (ein ehemaliger Parteifreund von <strong>Heuss</strong>) zum<br />

Vorsitzenden einer Kommission machte, die Richtlinien zum Tragen solcher »Tapferkeits-<br />

auszeichnungen« entwickeln sollte, und indem das Thema in Gesprächen mit den Alliierten<br />

zur Sprache gebracht wurde. 266 Endgültig einer Lösung zugeführt wurde die Frage der na-<br />

tionalsozialistischen Auszeichnungen übrigens mit dem »Gesetz über Titel, Orden und<br />

Ehrenzeichen« von 1957, in dem geregelt wurde, dass einige genau bezeichnete Ehrenzei-<br />

chen und Auszeichnungen aus der Zeit des zweiten Weltkriegs zwar getragen werden<br />

dürfen, aber dass die Hakenkreuze entfernt werden müssen. 267 Dieser Kompromiss ent-<br />

spricht dem, was Reichelt den »zwiespältigen Vergangenheitsbezug« nennt, unter dem die<br />

nationale Identitätsbildung der Bundesrepublik verlaufen musste: »Der westdeutsche Teil-<br />

staat schloss an die Kontinuität des Deutschen Reichs an, um sich zugleich von ihr zu<br />

distanzieren.« 268 Dem Bundespräsidenten kommt als oberster Repräsentant der Nation in<br />

diesem schwierigen Feld eine hervorgehobene Rolle zu, worauf im weiteren (zur Posi-<br />

tionierung von <strong>Heuss</strong> zum Nationalsozialismus) noch eingegangen wird. Gerade auch in<br />

den internen Gesprächen zwischen Kanzler und Präsident wurde dieser Zwiespalt auch so<br />

gesehen, vor allem im Bereich der militärischen Auszeichnungen. 269 <strong>Heuss</strong> schreibt in<br />

einem Brief an Toni Stolper, dass er »auch in diesem Bereich weder mit Wilhelm II. noch<br />

mit Adolf Hitler in Wettbewerb zu treten beabsichtige.« 270<br />

Bezieht sich dieses Problem auf diejenigen, deren Anerkennung durch den Nationalso-<br />

zialismus in die Anerkennungspolitik der Bundesrepublik integriert werden soll, so hat die<br />

von <strong>Heuss</strong> initiierte »Dankspende des deutschen Volks« eine andere Ausrichtung. Sie ist<br />

ein symbolischer Beitrag des Dankes für die Unterstützung des Wiederaufbaus. Inter-<br />

essant ist die Verbindung von außenpolitischen, aktivierenden und kulturpolitischen<br />

Elementen dieser indirekten Künstlerförderung: »Aus den Spenden, um die wir freund-<br />

lichst bitten, sollen Werke zeitgenössischer Künstler erworben werden. Den Völkern, die<br />

uns beschenkt haben, sollen dieses Kunstwerke ein Gruß des Dankes sein.« 271<br />

266 Pikart (1976); Gespräche vom 24.08.1951 und 23.11.1951; S. 64; S. 70<br />

267 Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen; §6.2, 6.3<br />

268 Reichelt (1999); S. 22<br />

269 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch vom 23.01.1956; S. 191<br />

270 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 16.11.1955; S. 96<br />

271 Pikart/Mende (1967); <strong>Heuss</strong> am 21.11.1951; S. 331<br />

95


Eher im Schatten der Öffentlichkeit lebt der Orden »Pour Le Merite« oder besser seine<br />

Friedensklasse. Der Orden ist keine Medaille, sondern ein tatsächlicher Zusammenschluss<br />

von Menschen, die laut Satzung »durch weit verbreitete Anerkennung ihrer Verdienste in<br />

der Wissenschaft oder in der Kunst einen ausgezeichneten Namen erworben haben.« Die<br />

Stiftung des Ordens geht auf den preußischen König Friedrich II. zurück (als ein Militä-<br />

rorden). 1842 wurde er durch Friedrich Wilhelm IV. um eine Friedensklasse ergänzt.<br />

Nachdem der Orden 1922 als eine freie Vereinigung weiterbestand, wurde er während des<br />

Nationalsozialismus nicht weitergeführt. Da die Ritterschaft sich selbst ergänzte, war sie<br />

auf regelmäßige Nachwahlen angewiesen, die jedoch vom preußischen Kultusministerium<br />

1934 verboten wurden. 272 Auf Initiative von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> wählten die letzten drei ver-<br />

bliebenen Pour-Le-Merite-Träger neue Mitglieder hinzu und der Orden konstituierte sich<br />

1952 neu. 1954 übernahm der Bundespräsident das Protektorat über den Orden. Warum<br />

tat er das? Es mag eine Rolle gespielt haben, dass sein Schwiegervater Teil dieses preu-<br />

ßischen »Areopag des Geistes« war. Aber der eigentliche Grund dürfte darin gelegen<br />

haben, sowohl Tradition stiften zu können als auch einen einflussreichen Teil der<br />

kulturellen und wissenschaftlichen Elite langfristig an die Bundesrepublik Deutschland im<br />

Allgemeinen und das Amt des Bundespräsidenten im Besonderen zu binden. In der Selbst-<br />

ergänzungspraxis des Ordens sieht <strong>Heuss</strong> beides, eine traditionelle wie eine gegenwärtige<br />

Bindung. So schreibt er 1942: »Es ist geistesgeschichtlich interessant genug, wie sich in<br />

den Ergänzungen [...] die Auseinandersetzung mit der Gegenwart und das Bedürfnis<br />

spiegeln, die große und bedeutende historische Kontinuität zu wahren.« 273 Insofern<br />

kommt den Ordensträgern eine staatstragende Rolle zu.<br />

Die Konstitution einer Auszeichnungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland ist vor<br />

allem auf <strong>Heuss</strong>' Initiative zurückzuführen. Deutlich wird die den unterschiedlichen Aus-<br />

zeichnungsformen zu Grunde liegenden unterschiedlichen Bindungsziele. Über die Ent-<br />

scheidung, auch nationalsozialistische Orden wieder tragbar zu machen, wurde ein großer<br />

Teil der männlichen Bevölkerung integriert. Auch die Verleihung des Bundesver-<br />

dienstordens hat eine breit angelegte Wirkung, vor allem aber in den untersten beiden<br />

Klassen. Wenn dies auch nahe liegen mag, so besteht doch <strong>Heuss</strong>' origineller Beitrag in<br />

der Organisation von Bindungsangeboten für die kulturell-wissenschaftliche Elite.<br />

▌ Wirkung in die kulturell-wissenschaftliche Elite<br />

Das öffentliche Bild von <strong>Heuss</strong> oszillierte zwischen der bürgerlichen »Volkstümlichkeit«,<br />

mit der er sich gerne als dem Genuss in Form von Zigarren und württembergischen Rot-<br />

272 Pikart/Mende (1963); S. 355<br />

273 Dahrendorf/Vogt (1984); Ein Aeropag des Geistes. Hundert Jahre Friedensklasse des Pour le méri-<br />

te; S. 287<br />

96


wein zugetanen einfachen Bürger präsentierte, und dem Duktus des gelehrten Bildungs-<br />

bürgers. Wenn auch das Bild von »Papa <strong>Heuss</strong>« mit der Zigarre in die Ikonographie der<br />

Bundesrepublik eingegangen ist, so ist er doch politisch wesentlich präsenter in den<br />

Kreisen der deutschen Elite. Er bemüht sich geradezu um die Einwirkung in die Sphären<br />

der Kultur, der Ökonomie und der Wissenschaft, hält sorgfältig vorbereitete Reden, knüpft<br />

Kontakte und unterstützt Initiativen. »Gerade mit diesem für die deutsche Geschichte<br />

eher unüblichen Zusammenspiel von Geist und Politik setzt er als Bundespräsident seine<br />

eigenen Akzente. Obwohl die Kulturpolitik des Bundes offiziell zu den Aufgaben des Innen-<br />

ministeriums gehört, ist es vor allem <strong>Heuss</strong>, der sich um die Beziehung zwischen Staat<br />

und Künstlern sowie um die ästhetische Selbstdarstellung der jungen Republik<br />

kümmert.« 274<br />

Einmalig dürfte <strong>Heuss</strong>' Anspruch sein, Reden zu verschiedenen Anlässen selbst vorzu-<br />

bereiten und auf einen Rede-Schreiber zu verzichten. Pikart berichtet auch, dass er ge-<br />

legentlich Antworten auf Schreiben im Namen seines persönlichen Referenten verfasste<br />

und diesen unterschreiben ließ. Insofern stellen die öffentlichen Reden von <strong>Heuss</strong> wegen<br />

ihrer Authentizität einen besonderen Wert für die Forschung da und die Mühe des Autors<br />

belegt, dass sie auch nicht als einfache Politikerreden erscheinen sollten. Vielmehr besteht<br />

der Ehrgeiz von <strong>Heuss</strong> darin, über seine Person eine Verbindung von Eliten und Staat zu<br />

konstituieren. Die so demonstrierte geistige Ebenbürtigkeit zieht den Effekt nach sich, den<br />

Bundespräsidenten nicht nur als Teil des politischen Systems wahrzunehmen, der auf die<br />

»Masse« gerichtet ist, sondern der ein integraler Bestandteil des eigenen Selbst ist: In<br />

dieser Perspektive erscheint <strong>Heuss</strong> wieder als der Intellektuelle, der in die Politik ge-<br />

gangen ist, nicht das »political animal.« Die Wertschätzung von Kultur und Wissenschaft<br />

macht sich neben den informellen Kontakten auch institutionell fest. So beteiligt sich<br />

<strong>Heuss</strong> zum Beispiel an der Gründung des Wissenschaftsrats: »Die Geschäftsstelle wird<br />

beim BuPrä etabliert, weil der so nett und dabei so neutral ist.« 275 Das einzige Ehrenamt,<br />

das er während seiner Präsidentschaft behält ist zudem die Mitgliedschaft im Beirat des<br />

»Germanischen Nationalmuseums« in Nürnberg.<br />

Eine wichtige Rolle in dieser Politik nimmt auch der Kontakt mit dem Exil ein. Am Bei-<br />

spiel der amerikanischen Emigration lässt sich exemplarisch studieren, wie dies aus <strong>Heuss</strong>'<br />

alten Verbindungen heraus ermöglicht wird. Gerade in Amerika leben einige der wichtigen<br />

Personen aus <strong>Heuss</strong>' alten Weimarer Netzwerk. So sammeln sich an der »New School« in<br />

New York einige Wissenschaftler aus dem Umfeld der »Hochschule für Politik«, Hans Si-<br />

mons wird zeitweise ihr Präsident. Ernst Jäckh, Else und Hans Staudinger, Ernst Jäckh<br />

Albert Salomon befinden sich ebenfalls in New York. 276 <strong>Heuss</strong>' Staatsbesuch in den USA<br />

274 Gudrun Kruip (2003); S. 162<br />

275 Pikart (1970); S.311, S. 584<br />

276 siehe auch Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 11.03.1958<br />

97


1958 dient vor diesem Hintergrund nicht nur der Repräsentation der westdeutschen Repu-<br />

blik, sondern auch der Bindung der alten demokratischen Elite an das neue Westdeutsch-<br />

land und bietet dieser Gruppe einen informellen Zugang zu der neuen politischen Elite.<br />

Ähnliches trifft auch auf den Besuch in Großbritannien im Oktober 1958 zu: »In der<br />

Botschaft hatte ich dann 30-40 Leute, so ziemlich alles Emigranten, aber auch V.Gollancz,<br />

zum Essen eingeladen etwa Bonn, Demut, Zeitlin, die Eycks, u.s.f. auch die Stuttgarter<br />

Mainzers, Baecks Tochter [...]« 277<br />

Auch in Bezug auf andere Gruppen ist <strong>Heuss</strong> ein erfolgreicher Integrator. Dies wird<br />

insbesondere an seinem Engagement für die in Deutschland lebenden Juden sowie für den<br />

deutsch-israelischen Austausch sichtbar. Er ist einer von wenigen, die nicht in irgendeinem<br />

Verdacht stehen. Auch hier kommen freundschaftliche Beziehungen zu Tragen, die aus der<br />

Weimarer Zeit stammen. <strong>Heuss</strong> beschreibt dazu in seinen Erinnerungen eine Episode aus<br />

dem Jahr 1930: »In Schwenningen wurde ich von dem Naziblatt, das ein Trossinger In-<br />

dustrieller gegründet hatte, als 'der bekannte Jude und Freimaurer' begrüßt, und die<br />

dortigen Demokraten bedrängten mich, Anzeige wegen Beleidigung zu erstatten. Ich<br />

musste den Leuten klarmachen, dass das schlechterdings nicht gehe, da ich sehr nahe<br />

Freunde jüdischer Herkunft besitze oder solche, die Mitglieder einer Loge – nun müssten<br />

ja diese durch solchen Akt sich beleidigt fühlen.« 278 Immer wieder einmal wird <strong>Heuss</strong> in<br />

christlich-jüdische Angelegenheiten einbinden. Die Aussöhnung sowohl mit Israel als auch<br />

mit den in Deutschland befindlichen Juden gehört zu seinen Neigungsaufgaben. Ein Bei-<br />

spiel lässt sich in den Tagebuch-Briefen finden, in denen <strong>Heuss</strong> sich mokiert, dass man zu<br />

einer Gedenkrede auf Heinrich Heine extra Max Brod aus Tel Aviv einfliegen lassen will.<br />

»Nichts gegen M. Br., der ein zarter und gebildeter Mann ist – er hat mich (im letzten Jahr<br />

wohl) hier besucht. Aber welche instinktlose Simpelei, einen jüdischen Mann aus Tel Aviv<br />

kommen zu lassen! Das heißt, in Deutschland findet sich keiner, der das 'heiße Eisen' an-<br />

packen will. [...] Jetzt haben sie in Düsseldorf beschlossen, und der Herausgeber der<br />

Jüdischen Wochenschrift, Marx, ist beauftragt, [...] mich um die Bestimmung des Festred-<br />

ners zu ersuchen« 279 Unter anderem verband <strong>Heuss</strong> eine vertrauensvolle Beziehung mit<br />

dem Vorsitzenden des Jüdischen Weltkongresses Nahum Goldmann, eine von besonderer<br />

Wertschätzung getragene Beziehung hat er zu Leo Baeck.<br />

Wenn nicht in gleicher Intensität, so konnte er auch zu der Seite ein Verhältnis aufbau-<br />

en, mit der diejenigen nur unter Vorbehalt den freien Austausch pflegten. Hans Globke<br />

gegenüber pflegte er ein pragmatisch-vertrauensvolles Verhältnis einzunehmen, Ernst<br />

Jünger wollte er zum Beispiel den »dezidiert-romantisch abstrahierenden Konservatismus<br />

277 Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 24.10.1958; S. 356<br />

278 Lamm (1964); S. 204<br />

279 ein Beispiel dafür findet sich bei Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 4.12.1955; S.108<br />

98


etwas aberziehen.« 280 Großindustrielle Kreise gehören ebenfalls dazu: »Abend intimes<br />

Essen bei Alfried Kr[upp], der mir gegenüber immer locker wird.« 281 Gelegentlich trifft er<br />

auch alte politische Weggefährten. Zu erwähnen wäre der von ihm verehrte ehemalige<br />

Reichswehrminister Otto Gessler oder Heinrich Brüning, dessen Kabinett er ab 1930 als<br />

Geschäftsführer der Staatspartei-Fraktion unterstützt.<br />

▌ Breitenwirkung<br />

In der ersten Amtsperiode (1949-1954) bestand die Aufgabe <strong>Heuss</strong>' in der stärkeren<br />

Repräsentation nach innen: »Die Zeit war noch fern, in der der Bundespräsident die<br />

Bundesrepublik durch Staatsbesuche nach außen vertreten und sichtbar machen<br />

sollte.« 282 Dabei war sich <strong>Heuss</strong> jedoch bewusst, dass in der besonderen Situation des<br />

westdeutschen Staats eine solche nach innen gerichtete Arbeit zwangsläufig eine außen-<br />

politische Komponente hatte. In diesem Sinne galt es ein anderes Modell politischer<br />

Tugenden sichtbar zu machen, dass vor allem die »maßvollen« und vernünftigen Aspekte<br />

der politischen Prozesse zu popularisieren. Sein zentrales Stichwort bei der auf Breiten-<br />

wirkung angelegten Repräsentation ist nach eigenen Worten die »Entkrampfung«: »Ich<br />

habe mein unmittelbares Regierungsprogramm in das einfache Wort gepackt: Entkramp-<br />

fung. Damit ist natürlich noch nicht die oder die konkrete Entscheidung geleistet, aber<br />

eine psychologische Situation geschaffen, die die innere Gesundung der Deutschen<br />

erleichtert.« 283<br />

Die äußere durch Insignien der Herrschaft generierte Distanz zum Bürger weicht einer<br />

nach außen gekehrten jovialen Zivilität, die gleichzeitig Ausdruck bürgerlichen Selbstbe-<br />

wusstseins ist: Mit <strong>Heuss</strong> ist das Modell des Bürgers in (wenn auch mit »Verspätung«) in<br />

die obersten Spitzen des politischen Systems eingedrungen. <strong>Heuss</strong> hatte zudem die Gabe,<br />

sich interessieren zu können. Deshalb konnte er unbefangen mit Stenographie-Weltmeis-<br />

terinnen wie mit Pour le mérite-Trägern kommunizieren.<br />

In der breiteren öffentlichen Wirkung, auf Marktplätzen, Messen, im Kontakt mit »der<br />

Bevölkerung« gab er sich betont bescheiden, umgänglich, spontan und humorvoll. Dies<br />

führte schnell zu einer von ihm zwiespältig wahrgenommenen Popularität. Vor allem in der<br />

zweiten Amtszeit sprach er öfter von der »Verkitschung« 284 seiner Person: »Die 'Populari-<br />

tät' als Dauerzustand der Verbands-'Integration' kann nämlich, das ist mein Sorgegefühl,<br />

dem Amt als solches abträglich werden.« 285 Obwohl <strong>Heuss</strong> um die Wichtigkeit symbo-<br />

280 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 18.10.1955; S. 79<br />

281 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 20.11.1961; S.500<br />

282 Pikart (1976); S. 35<br />

283 Baumgärtner (2001); S. 144<br />

284 <strong>Heuss</strong> benutzt das Wort immer wieder, z.B.: Pikart (1970) S.40, S.85<br />

285 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 27.10.1955 ; S. 86<br />

99


lischer Politik wusste, zeigte er deshalb bisweilen einen Überdruss an der Erfüllung re-<br />

präsentativer Verpflichtungen - »wieder ein mal Staats-Sklave im Frack« 286 , ein anderes<br />

Beispiel anlässlich des Rundgangs über die Automobil-Ausstellung in Frankfurt und eines<br />

Artikels in der FAZ: »Mein ganzes schlechtes Benehmen ist darin gespiegelt, auch wie ich<br />

Bott [persönlicher Referent] anpfiff, als er mir zum Mit-mir-photographiert-werden die<br />

'Miss Germany' anschleppte, die für Zigaretten-oder Haut-'Creme'-Plakate gewachsen ist.<br />

Man streitet jetzt, ob ich ihn ein Rindvieh genannt habe, was er behauptet, oder einen<br />

Dackel, was ich für möglich halte. Die Volkspsychologen im Amt streiten, ob mir diese<br />

Darstellung 'abträglich' (wegen Grobheit) oder 'zuträglich (wegen Abwehr der Verkit-<br />

schung).« 287<br />

▌ Die grossen Deutschen<br />

In der zweiten Amtszeit ab 1954 wendet <strong>Heuss</strong> sich regelmäßig der Herausgabe eines<br />

fünfbändigen Werks namens »die großen Deutschen« zu. Zusammen mit den Historikern<br />

Heimpel und Reifenberg besorgt er die Neuausgabe der bereits 1935-37 erschienenen<br />

Reihe. Bereits 1937 war <strong>Heuss</strong> dort mit einem Beitrag, über den Ökonomen Friedrich List,<br />

vertreten. 288 »Weil 'wir' uns streiten, Reifenberg, Heimpel und ich, ob Hans Freyer [Ge-<br />

schichtsphilosoph, 1878-1969; Anm. NEZ] , der auch Nazi-Konzessionen gemacht hat,<br />

einen Beitrag für die 'Gr. D.' schreiben dürfte, habe ich gestern dessen neues Buch 'Theo-<br />

rie des gegenwärtigen Zeitalters' zu lesen begonnen [...] - Du siehst, wie komplex mein<br />

Dasein zwischen Männergesangsverein Tumringen und Sinngebung dieser Zeit ist!« 289 Die<br />

Auswahl sowohl der Schreiber als auch derjenigen, über die geschrieben wurde, macht die<br />

geschichtspolitische Dimension deutlich, in der dieses Werk, in das <strong>Heuss</strong> viel private und<br />

dienstliche Zeit investierte, agiert: »Nein, ich schreibe nicht über Brecht, von dem ich<br />

außer der Dreigroschenoper gar nichts kenne. Heimpel und Reifenberg sind dafür. Ich<br />

nicht dagegen, wenn seine dichterische Qualität glaubhaft dargestellt wird. Deutlich muss<br />

dann werden, dass er um der SED willen auch alberne Parteilyrik gemacht hat. [...] Wir<br />

haben uns ja im Ganzen bemüht, 'unbefangen' zu sein, vielleicht auch befangen in der Ab-<br />

lehnung von Tirpitz, Hindenburg u.s.f., aber das wird überstanden.« 290 Das fünfbändige<br />

Werk ist 1957 veröffentlicht worden.<br />

286 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 17.10.1958 ; S. 352<br />

287 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 21.09.1957 ; S. 260<br />

288 Pikart (1970); S. 526<br />

289 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 2.1.1956; S.125<br />

290 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 20.12.1956; S. 228<br />

100


▌ Gedenktage<br />

Die politische Selbstbeschreibung einer Gesellschaft kann insbesondere an ihren<br />

Traditionsbezügen abgelesen werden. In diesem Sinn ist Politik eingebettet in eine »Er-<br />

innerungskultur« als einem Teilbereich der Politischen Kultur. Die gezielt diese Selbstbe-<br />

schreibung beeinflussende Form der Politik ist die »Geschichtspolitik.« Steinbach schlägt<br />

die definitorische Brücke zum Bereich politischen Handelns: »Deutungen der Vergangen-<br />

heit sind nicht selten das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, der 'Geschichtspoli-<br />

tik'. Geschichte ist somit nicht mehr allein das Ergebnis vergangener Politik, sondern eine<br />

bestimmte Deutung der Vergangenheit wird vielfach zur wichtigen Voraussetzung neuer<br />

politischer Auseinandersetzungen und damit zu einem wichtigen Element politischer<br />

Gestaltung. » 291 Die Entscheidung für Gedenktage und die Nutzung von Gedenkanlässen<br />

fällt demnach direkt in diesen Bereich der Zeichenpolitik. In der Nation bekommt ein na-<br />

tionaler Gedenktag eine integrale Funktion, da das ihm zugrunde liegende Deutungsmus-<br />

ter in die gesellschaftliche Praxis inkorporiert wird. Demzufolge ist es konsequent, wenn<br />

<strong>Heuss</strong> frühzeitig darüber nachdenkt, eine angemessene »Form« des Gedenkens zu finden.<br />

»Will man den Staat ins Bewusstsein der Jugend als Integrationskraft geben, so muss<br />

man einen Werktag nehmen und entweder ganz oder halb schulfrei machen.« 292 Er dachte<br />

über verschiedene Gedenkanlässe nach – den 7.September als dem Datum, an dem der<br />

Bundestag das erste Mal zusammentrat oder das ambivalente aber dafür symbolisch be-<br />

deutungsvollere Datum des 8.Mai (Beschluss des Grundgesetzes, Kriegsende). 293 Aus dem<br />

Bundeskabinett kam der Vorschlag, am 3. September die Erinnerung an die Toten mit<br />

dem »Wiederentstehen des politischen Lebens« zu verbinden und am 3.September zu be-<br />

gehen. 294 Letztlich entschied man sich dafür, am 9.September 1950 eine feierliche Veran-<br />

staltung durchzuführen, auf der Bundeskanzler und Bundespräsident sprachen. Auch in<br />

den folgenden Jahren wurde das Datum des Bundestags-Zusammentritts zum Anlass für<br />

eine solche Veranstaltung genommen, wenn auch jedes Jahr die Diskussion über Termin<br />

und Zweck neu geführt wurde und das Datum nicht popularisiert wurde. Nachdem es am<br />

17. Juni 1953 in der DDR zu Unruhen kam, beschloss der Bundestag Anfang Juli 1953 auf<br />

Antrag der SPD-Fraktion und mit Unterstützung aller Parteien außer der KPD, den 17..Juni<br />

als »Tag der Einheit« zu begehen. Wenn dies auch so aussieht, als ob hier der Konsens<br />

mobilisiert wurde, der für die Durchsetzung einer breit verwurzelten gemeinsamen Ge-<br />

denkpraxis notwendig ist, so weist Wolfrum gerade das Gegenteil nach: Zwar war man<br />

sich über das Datum einig, hatte aber ziemlich gegensätzliche Vorstellungen davon,<br />

291 Steinbach (2001)<br />

292 Baumgärtner (2001); S. 174<br />

293 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch am 18.03.1955; S. 159<br />

294In die Entscheidungsfindung für ein Datum spielte auch hinein, dass die DDR am 12. September den<br />

Tag der Opfer des Faschismus beging (später am 10. September)<br />

101


wessen man gedachte. Volkserhebung? Arbeiteraufstand? Aufrechterhaltung des gesamt-<br />

deutschen Anspruchs? Wiedergeburt Deutschlands? »Auffälligerweise war die Schaffung<br />

eines Gedächtnisortes 'Tag der deutschen Einheit' geknüpft an je unterschiedliche, sozial<br />

rückgebundene, historisch überkommene und politisch aktivierte Wahrnehmungen gesell-<br />

schaftlicher Teilgruppen in der frühen Bundesrepublik.« 295<br />

Deutlich wird, dass die Durchsetzung eines zentralen staatlichen Gedenkanlasses unter<br />

den politischen Bedingungen der 50er Jahre nicht möglich war. Gerade <strong>Heuss</strong> dürfte dies<br />

schon aus der Erfahrung der Weimarer Republik bewusst gewesen sein. Im Gegensatz zu<br />

den Möglichkeiten der DDR, die unter völlig anderen politischen Bedingungen eine homo-<br />

gene Geschichtserzählung durchsetzte, waren die politischen Vorstellungen von der<br />

eigenen Identität zu plural: »In der bundesdeutschen Demokratie rangen (und ringen)<br />

verschiedene Gruppen um die Deutungskompetenz – Differenzierung, Öffentlichkeit und<br />

Konkurrenz waren (und sind) konstitutiv.« 296 Stattdessen entstand ein »Gedenktags-<br />

gefüge.« Baumgärtner bezeichnet es mit Blick auf die Aufarbeitung des Nationalsozialis-<br />

mus als eine Trias bestehend aus der »Woche der Brüderlichkeit«, die im Zeichen des<br />

christlich-jüdischen Dialogs stand, aus dem »Volkstrauertag« und aus dem Gedenken an<br />

den Widerstand gegen den Nationalsozialismus am 20. Juli. »Die Trias 'Juden als Opfer –<br />

Deutsche als Opfer – gute Deutsche' bildete so das Koordinatensystem der öffentlichen<br />

Erinnerung an den Nationalsozialismus.« 297 <strong>Heuss</strong> gelang es, innerhalb dieses Gefüges<br />

eigene Deutungen in die sich entwickelnde Gedenktradition zu implementieren. »<strong>Theodor</strong><br />

<strong>Heuss</strong> gestaltete dies ganz wesentlich mit, indem er darauf Einfluss nahm, bestimmte Ge-<br />

denkanlässe wie den 20. Juli zu etablieren, indem er andere Anlässe mit einer bundesprä-<br />

sidialen Rede bewusst aufwertete wie die Woche der Brüderlichkeit oder den Volkstrauer-<br />

tag und indem er ihnen eine dezidierte Bedeutung verlieh wie bei den Einweihungen der<br />

Soldatenfriedhöfe.« 298<br />

▌ Nationalsozialismus, Schuld und Widerstand<br />

Einen wichtigen Impuls gab <strong>Heuss</strong> beispielsweise der Debatte um die Schuld der Deut-<br />

schen an den nationalsozialistischen Verbrechen. Die Tatsache, dass man sich mit seiner<br />

eigenen Verstrickung in den Nationalsozialismus auseinander setzen muss, steht für <strong>Heuss</strong><br />

außer Frage. »Das deutsche Volk hat es sich leicht gemacht, zu leicht gemacht in seiner<br />

Masse, sich in die Fesseln des Nationalsozialismus zu geben. Es darf es sich nicht leicht<br />

machen, diese Fesseln, an denen es schlimm trug, von denen es sich selber nicht hätte lö-<br />

sen können, es darf es sich nicht leicht machen, die bösen Dinge wie in einem wüsten<br />

295 Wolfrum (1998); S. 395<br />

296 Wolfrum (2002); S. 71<br />

297 Baumgärtner (2001); S. 183<br />

298 Baumgärtner (2001); S. 340<br />

102


Traum hinter sich zu werfen.« 299 Daraus folgt bei <strong>Heuss</strong> jedoch kein politisches Programm<br />

der konfliktären Aufarbeitung, wie sie seit ca 1965 immer stärker eingefordert wurde.<br />

Aufarbeitung hat vor allem auf der individuellen Ebene zu geschehen, denn das Hauptpro-<br />

blem des Nationalsozialismus ist nach <strong>Heuss</strong>, die Veränderung des Menschenbilds in den<br />

Köpfen der Menschen. »D e r Mensch, d i e Menschheit ist ein abstrakte Annahme, eine<br />

statistische Feststellung, oft nur eine unverbindliche Phrase; aber die M e n s c h l i c h -<br />

k e i t ist ein individuelles Sich-Verhalten, ein ganz einfaches Sich-Bewähren gegenüber<br />

dem anderen, welcher Religion, welcher Rasse, welchen Standes, welchen Berufs er auch<br />

sei.« 300 Dieses Motiv legt nahe, die Bewältigung des Nationalsozialismus in der inneren<br />

Befragung zu finden, die eigene Menschlichkeit zu suchen. So gesehen ist Nationalsozialis-<br />

mus für <strong>Heuss</strong> ein ideologisch-geistiges Problem.<br />

In ambivalenter Weise stehen bei <strong>Heuss</strong> Schuld und Entlastung nebeneinander, was<br />

dann insbesondere bei seiner These von der »Kollektivscham« eine Rolle spielt. <strong>Heuss</strong><br />

geht davon aus, dass die Deutschen etwas von den Verbrechen des Nationalsozialismus<br />

wussten und tritt damit einer weit verbreiteten Haltung entgegen, die genau dies in Frage<br />

stellt. Auf der anderen Seite relativiert er dies. Man habe zwar etwas gewusst, aber nicht<br />

vom wahren Ausmaß, vom Zivilisationsbruch, der diesen Verbrechen zu Grunde gelegen<br />

habe. »Wir h a b e n von den Dingen gewusst. Wir wussten auch aus den Schreiben<br />

evangelischer und katholischer Bischöfe, die ihren geheimnisreichen Weg zu den Men-<br />

schen fanden, von der systematischen Ermordung der Insassen deutscher Heilanstalten.<br />

[...] Unsere Phantasie, die aus den bürgerlichen und christlichen Tradition sich nährte,<br />

umfasste nicht die Quantität dieser kalten und leidvollen Vernichtung.« 301 Die Relativierung<br />

geschieht nun dort, wo »wir« mit unserer »Tradition« den anonymen Nationalsozialisten<br />

gegenüberstehen. Mindestens genau so schwer wie die materielllen Verbrechen wiegt die<br />

Tatsache des im eigenen Namen begangenen Traditionsbruchs. »Aber etwas wie eine<br />

Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Das Schlimmste, was Hitler<br />

uns angetan -, ist doch dies gewesen, dass er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm<br />

und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen.« 302 So gelesen gibt es<br />

verschiedene Quellen des Schamempfindens, zum Beispiel, weil man sich ungeachtet<br />

eigener Schuld verantwortlich fühlen kann. Bei <strong>Heuss</strong> ist es das Mit-Den-Opfern-Emp-<br />

finden und Verantwortlich-Fühlen weil Verbrechen im eigenen Namen (jedoch nicht im<br />

eigenen Auftrag) geschehen sind. »Wir müssen im Verhältnis Mensch zu Mensch eine freie<br />

Bewertung des Menschentums zurückgewinnen.« 303 In einem Interview anlässlich seines<br />

299 Lamm (1964); <strong>Heuss</strong> am 25.11.1945; S. 95<br />

300 Lamm (1964); Das Mahnmal; S. 140<br />

301 Lamm (1964); Das Mahnmal; S. 136<br />

302 Lamm (1964); Mut zur Liebe 07.12.1949; S. 122<br />

303 Dahrendorf/Vogt (1984); Mut zur Liebe; S. 384<br />

103


Besuchs in Israel fasste <strong>Heuss</strong> dies konkreter: »Jeder von uns Deutschen hat sich für sei-<br />

ne Person, und unser ganzes Volk als Kollektiv vor den Juden in ihrer Gesamtheit und vor<br />

jedem Individuum dessen zu schämen, was Menschen meiner Nation verbrochen<br />

haben.« 304 »Kollektivscham« ist insofern kompatibel mit einem Prozess der Besinnung auf<br />

Menschlichkeit und einem positiven Bezug auf die eigenen zivilisatorischen Werte.<br />

In kritischer Bestandsaufnahme fällt auf, dass das Schamgefühl nur unvollkommen als<br />

Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dienen kann.<br />

Abgesehen davon, dass dies für die Opfer und ihr Gerechtigkeitsempfinden nur wenig Re-<br />

levanz haben kann, kommt man um eine klarere und möglicherweise auch schmerzhaftere<br />

Konsequenzen einfordernde Schulddefinition nicht herum. Baumgärtner zieht eine kri-<br />

tische Bilanz: »Aufgrund der Unbestimmtheit seiner Äußerungen fand in seinen Reden<br />

keine Erörterung des Ausmaßes und der Intensität dieser Schuldverstrickung statt,<br />

weshalb die Klärung der Schuldfrage bei <strong>Heuss</strong> offen blieb. Die Aporie, grundsätzlich<br />

Schuld zu bekennen, ohne sie individuell zuzurechnen, war ein Signum seiner 'Reden nach<br />

Hitler'.« 305 Wenn von <strong>Heuss</strong> eine besondere Ausstrahlung auf die öffentliche Ausein-<br />

andersetzung mit dem Nationalsozialismus ausging, dann gerade deshalb, weil er<br />

»Menschlichkeit« einfordert. Empathie für die Opfer zu empfinden, sie als Gleiche, als In-<br />

dividuen und als Verlust wahrzunehmen. »Der Mensch, die Menschheit ist eine abstrakte<br />

Annahme, eine statistische Feststellung, oft nur eine unverbindliche Phrase; aber die<br />

Menschlichkeit ist ein individuelles Sich-Verhalten, ein ganz einfaches Sich-Bewähren<br />

gegenüber anderen, welcher Religion, welcher Rasse, welchen Standes, welchen Berufes<br />

er auch sei.« 306<br />

Wenn sich das oben beschriebene auf den Umgang mit Schuld und Opfern bezieht, so<br />

ist <strong>Heuss</strong> daran gelegen, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu rehabilitieren<br />

und ein »Recht zum Widerstand« abzuleiten. In der gleichnamigen Rede von 1955 be-<br />

handelt <strong>Heuss</strong> den militärischen Widerstand des 20.Juli. Ein zentrales mit dieser Rede ver-<br />

bundenes Ziel von <strong>Heuss</strong> und Adenauer war offensichtlich, hier einen geschichtspolitischen<br />

Akzent zu setzen: »Im Hinblick auf den 10.Jahrestag des Kriegsendes im Mai 1955 ver-<br />

ständigten sich <strong>Heuss</strong> und Adenauer darauf, 'dass dieser Tag möglichst geräuschlos vor-<br />

übergehe'. Wenn lediglich das Attentat auf Hitler als 'positives' Datum gemäß des Impera-<br />

tivs der runden Zahl als gedenkwürdig erachtet wurde, deutet dies auf das Anliegen hin,<br />

die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mit der Würdigung des Widerstands<br />

zu verbinden.« 307 Die Wahl des Orts - Berlin – für diese Rede war demnach auch kein Zu-<br />

fall, konzentrierte sich doch in dieser Stadt, am Ort der Hinrichtung der führenden Vertre-<br />

304Lamm (1964); S. 206<br />

305 Baumgärtner (2001); S. 342D<br />

306 Dahrendorf/Vogt (1984); Das Mahnmal; S. 411<br />

307 Baumgärtner (2001); S. 300<br />

104


ter dieser Gruppe in der Strafanstalt Plötzensee das 20.Juli-Gedenken. Zudem war die<br />

Rede in ein intensives politisches Großprogramm eingebettet. Die Bundesversammlung<br />

bestätigte <strong>Heuss</strong> im Amt und im Olympia-Stadion hielt er eine Kundgebung für die Fuß-<br />

ball-Weltmeister ab. Die Rede zum 20.Juli wurde im Auditorium Maximum der Freien Uni-<br />

versität gehalten.<br />

Der Kern von <strong>Heuss</strong> Ausführungen dreht sich darum, die Legitimität des Eids, den die<br />

Soldaten auf Hitler abgaben, mehrfach in Zweifel zu ziehen. »Dieser Fahneneid wurde<br />

einem Manne geleistet, der formalrechtlich' und moralisch-geschichtlich einen mehrfachen<br />

Eidbruch schon hinter sich hatte.« 308 Demnach waren die Widerständler in einer »Grenzsi-<br />

tuation« zwischen »Staatsräson« und »Freiheit.« Wenn auch der Staat »eine Veran-<br />

staltung, die auf Befehlsgewalt und Gehorsamsanspruch beruht« 309 sei, so handelt es<br />

sich hier um die Art von »Gehorsamsverweigerungen, die einen h i s t o r i s c h e n<br />

Rang besitzen.« 310 Die Wahl des christlichen Pathos dient <strong>Heuss</strong> dazu, klarzumachen, dass<br />

unsere Erlösung in ihrem Tod begründet liege: »Das Gemartert-Werden brachte allen die<br />

gleiche Q u a l , und das Sterben durch den Strang, der sie schänden, durch die Kugel,<br />

die sie bloß vernichten sollte, der selbstgewählte Tod aus Verzweiflung gab ihnen allen<br />

das g l e i c h e A n r e c h t , dass der Dank ihr Opfer als ein G e s c h e n k a n d i e<br />

d e u t s c h e Z u k u n f t würdigt.«<br />

Dieses Opfer gilt allen in der Schicksalsgemeinschaft der Deutschen zusammmen-<br />

fassbaren Bürger. <strong>Heuss</strong> rückt zudem den Durchschnittssoldaten in die Nähe des Wider-<br />

stands, zumindest verstanden als eine Art innerer Widerstand. »Die seelische Situation<br />

von Hunderttausenden von Millionen Soldaten war furchtbar, denn es zogen doch nicht<br />

bloß fanatisierte Nationalsozialisten ins Feld, sondern deutsche Menschen, darunter zahl-<br />

lose, die durch diesen Krieg hindurch, in dem sie sich durch Tapferkeit auszeichneten, von<br />

einem dauernden inneren Konflikt begleitet waren.« 311<br />

Am Ende wird das in der Synthese von Nation, Gewissen und Opfer aufgebaute Pathos<br />

ins Archaische überhöht: »Aber wenn ich am Beginn meiner Worte sagte, die Stunde soll<br />

Bekenntnis und Dank sein, so will ich das noch einmal aussprechen: Bekenntnis zur<br />

Gesinnung wie zum Rechte der jungen Männer [...] Dank für ein Vermächtnis, das durch<br />

das stolze Sterben dem Leben der Nation geschenkt wurde. Die Scham, in die Hitler uns<br />

Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen<br />

wieder weggewischt.« 312 <strong>Heuss</strong> empfiehlt die Gruppe des 20. Juli als zentrale Heldenfigu-<br />

ren einer positiven Gedenktradition. Insofern war diese auch von <strong>Heuss</strong> in ihrer Bedeu-<br />

308 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand; S.434<br />

309 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S. 433<br />

310 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S. 435<br />

311 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S.436<br />

312 Dahrendorf/Vogt (1984); Recht auf Widerstand;S. 439<br />

105


tung sehr hoch eingestufte Rede Standard setzend, weil sie einer Geschichtssicht zum<br />

Durchbruch verholfen, die den Widerstand aus dem Umfeld des Kriminellen herausgeführt<br />

hat. Auf der anderen Seite wird eine neue Legendenbildung nahe gelegt, die in den<br />

folgenden Jahrzehnten eifrig gepflegt wird. Die »Männer des 20.Juli« monopolisieren den<br />

Widerstand, Fragen nach Schuld und Gesinnung werden tabuisiert. Wenn das Motiv, den<br />

Widerstand zu entkriminalisieren, ehrenvoll sein mag, so ist doch fraglich, ob diese af-<br />

firmative Monumentalisierung eine sinnvolle Weiterentwicklung der Gedenkstandards ist.<br />

Wenn hier der Versuch gemacht wird, eine deutsche Widerstandstradition zu imple-<br />

mentieren, so sucht <strong>Heuss</strong> gleichzeitig den engen Kontakt zu den in Deutschland lebenden<br />

Juden. Wie bereits erwähnt, nutzt er die »Woche der Brüderlichkeit« und wertet sie auf zu<br />

einem Forum für den christlich-jüdischen Dialog. 1952 gibt er ihr über eine Rundfunkan-<br />

sprache die notwendige Publizität, nimmt darüber hinaus an den Gründungen christlich-<br />

jüdischer Gesellschaften teil, die in den fünfziger Jahren an vielen Orten entstehen. Auch<br />

in den Vier-Augen-Gesprächen mit dem Bundeskanzler kommen jüdische Themen ge-<br />

legentlich zur Sprache.<br />

▌ Wehrpflicht und Armee<br />

Wie schon an verschiedenen Stellen beschrieben wurde, konnte sich <strong>Heuss</strong> Staatlich-<br />

keit ohne Armee nicht vorstellen. Schon im Parlamentarischen Rat hat er die Wehrpflicht<br />

als ein »legitimes Kind der Demokratie« gesehen, auch im Zuge der Diskussionen um die<br />

Europäische Verteidigungsgemeinschaft betont er den natürlichen Zusammenhang von<br />

Souveränität und Landesverteidigung. Die Armee ist demnach ein natürlicher Bestandteil<br />

der politischen Kultur. »Die geschichtlich interessanteste Fragestellung in der Entwicklung<br />

der Stilfragen bildete und mag wieder bilden das Problem des Soldatischen.« 313 Das<br />

Prinzip der »Levée en masse« ist dabei in zwei Richtungen dienlich: Sie demokratisiert die<br />

Streitkräfte und umgekehrt eröffnet der Militärdienst einen gemeinsamen Kommunika-<br />

tionsraum. Originellerweise führt <strong>Heuss</strong> die parallelen Erfahrungen Israels an. »Schon vor<br />

vielen Jahren habe ich schon einmal gesagt, welche Bedeutung der hebräischen Kom-<br />

mandosprache des Heeres zukommt. Das Zusammenwachsen von sehr vielen Herkünften<br />

ist eine pädagogische, organisatorische – ich will nicht sagen: militärische – Leistung,<br />

denn in den Schulen ist die Grundsprache ganz selbstverständlich das Hebräische geworden<br />

[...]« 314<br />

Wenngleich <strong>Heuss</strong> die prinzipielle Notwendigkeit militärischer Strukturen immer wieder<br />

betont, so begleitet er die Einrichtung der Bundeswehr kritisch, insbesondere im Bereich<br />

der Traditionsbildung. Um dies nachvollziehen zu können, muss auf <strong>Heuss</strong>' Vorstellungen<br />

313 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 461<br />

314 Lamm (1964); Reiseeindrücke aus Israel (28.06.1960); S. 213<br />

106


von einer der Demokratie entsprechenden Armee rekurriert werden. Es wurde bereits an<br />

anderer Stelle erwähnt, dass Jaures und Delbrück diese Vorstellungen inspiriert haben.<br />

<strong>Heuss</strong> zieht hierzu die Veränderung der Kriegsführung hinzu: In der Technisierung und<br />

professionellen Spezialisierung sieht er die Gefahr einer Verselbständigung der Armee, der<br />

Krieg sei »von den Übungsfeldern in die Laboratorien, in die Berechnungswerkstätten ge-<br />

wandert.« 315 Zudem könne die unhinterfragte Übernahme von Traditionsbeständen nicht<br />

den Anforderungen an eine Bürgerarmee genügen: »Vom Technischen wie vom Poli-<br />

tischen her sind wir in eine n e u e geistige Situation gezwungen!« 316 Sichtbarer Aus-<br />

druck dieser überkommenen Militärkultur sei der Umgang mit den militärischen Symbolen,<br />

mit Fahnen, Märschen, Uniformen, Abzeichen. Sowohl in der Veräußerlichung einer neuen<br />

Armee als auch im Selbstverständnis gelte es, das Soldat-Sein neu zu definieren. Mit der<br />

vollständigen Einbindung der Bundeswehr in die NATO sei eine Militärtradition an ein Ende<br />

gelangt, weil sich ihr Auftrag geändert hat. An die Adresse von Offizieren der Bundeswehr<br />

richtet <strong>Heuss</strong> diesen Auftrag: »Sie werden ausgebildet und bilden aus für die unberechen-<br />

baren Aufgaben eines modernen Kriegs. Und der tiefe paradoxe Sinn dieser mühseligen<br />

Arbeit ist doch dies, nicht nur durch die wagende oder ausweichende Aktion, sondern<br />

einfach durch Da-Sein und So-Sein die Verwirklichung jener schlimmen Gegebenheiten<br />

einer militärischen Konfliktlage zu verhindern.« 317 Aus diese Beschränkung der Aufgabe<br />

einer Armee wächst eine andere Vorstellung vom Soldat-Sein. Auf die traditionellen Wert-<br />

kategorien wie zum Beispiel Ruhm und Sieg sollten staatsbürgerliche Werte folgen, die<br />

Politische Kultur in die Militärkultur getragen werden. <strong>Heuss</strong> empfiehlt eine staatsbürgerli-<br />

che Bildung als Ergänzung zur militärischen Ausbildung, die Verantwortung der Soldaten<br />

zu stärken und lieber neue Traditionen zu schaffen als alte ungefragt zu übernehmen. Im<br />

Grunde nimmt er damit das Konzept der »Inneren Führung« vorweg. Den Text der Rede<br />

spricht er denn auch mit Graf Baudissin, dem spiritus rector des Konzepts ab. 318<br />

<strong>Heuss</strong> bewegt sich in der Armeefrage zwischen den Stühlen der öffentlichen Meinung.<br />

Auf der einen Seite gehört er zu denjenigen, die die Bildung der Bundeswehr immer un-<br />

terstützt haben. <strong>Heuss</strong> zieht eine scharfe Grenze zwischen Armeegegnern und Armeebe-<br />

fürwortern: »Bundespräsident unterrichtet den Bundeskanzler [...], dass er eine Einladung<br />

der Roten Falken (sozialistische Jugend) zu einer Tagung Ende Juli abgesagt habe – ob-<br />

wohl er auch bei einer Tagung z.B. der katholischen Jugendverbände gesprochen habe -,<br />

da die Falken verschiedentlich Resolutionen gegen die Wiederaufrüstung gefasst<br />

hätten.« 319 Persönlich ist deshalb auch sein Verhältnis zu Martin Niemöller zerrüttet, der<br />

315 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 463<br />

316 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie; S. 463<br />

317 Dahrendorf/Vogt (1984); Soldatentum in unserer Zeit; S. 490<br />

318 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 8.3.1959; S.405<br />

319 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch vom 27.07.1955 ; S. 170<br />

107


zusammen mit Gustav Heinemann zu den Initiatoren der öffentlichen Mobilisierung gegen<br />

die Aufrüstung gehörte: »Die Soldatenrede, wie Du vielleicht sahst, von der FAZ in exten-<br />

so abgedruckt, animiert zu Briefen, zumal die 'christlich eingekleidete Demagogie'.« 320<br />

Andererseits ist das Zustandekommen der beiden programmatischen Reden zum The-<br />

ma (»Stilfragen der Demokratie« und »Soldatentum in unserer Zeit«) gerade dadurch er-<br />

klärbar, dass die Bundeswehr nur zögerlich auf seine Anregungen reagiert und im<br />

Zweifelsfall den Traditionsbezug wählt als die Erfindung von Tradition. Diese kritische<br />

Distanz wird in einer Äußerung deutlich, die er 1956 tätigt und in der er über sein Verhält-<br />

nis zu Adenauer in Militärfragen spricht: »Wir liegen im Moment nicht gleich. Er will der<br />

werdenden Armee alle Chancen geben, sichtbar zu werden, nachdem er sich in der Zeit<br />

des Parlamentarischen Rates gar nicht darum kümmerte und mich im Stich ließ, er nimmt<br />

jetzt 'Paraden' ab, während ich, der ich 1948/49 der einzige 'Militarist' war, d.h. die<br />

Verteidigungspflicht der Demokratie aussprach, jetzt retardierend wirke, da ich glaube,<br />

ein stärkeres Gefühl für die innerdeutsche Normalstimmung zu haben.« 321 Zu dieser<br />

Distanz dürfte auch beigetragen haben, dass seine Anregungen zur Einbindung des<br />

Bundespräsidenten in die Befehlsstrukturen nicht aufgegriffen wurden. <strong>Heuss</strong> plante, so-<br />

wohl den Oberbefehl als auch einen »Verteidigungsrat (wie in Frankreich) an das Amt des<br />

Präsidenten zu binden, um die Autorität des Bundespräsidenten, wenn im allgemeinen In-<br />

teresse nötig, in die Waagschale werfen zu können.« 322<br />

▌ Zusammenfassung: Bundespräsident<br />

Das Charakteristikum des Bundespräsidenten-Amtes ist es, sowohl im Zentrum des<br />

politischen Systems zu stehen, als auch in Bezug auf die tagespolitischen Einflussmöglich-<br />

keiten, eher peripher angesiedelt zu sein. Wichtigste Aufgabe ist die Repräsentation des<br />

Staats. Dessen ungeachtet hat <strong>Heuss</strong> versucht, die Funktionen des Amts über diesen Be-<br />

reich hinaus auszudehnen. Zum größten Teil wurde ihm dies verwehrt: Beispiele von<br />

besonderer Bedeutung sind Fragen der Teilnahme an Kabinettssitzungen und Bundestags-<br />

Debatten oder der Versuch, den Oberbefehl über die Bundeswehr zu bekommen. Auch<br />

seine Versuche, eine Hymne zu implementieren und in die Frage der Europäischen<br />

Verteidigungsgemeinschaft einzugreifen, waren nicht von Erfolg gekrönt und von hand-<br />

werklichen Fehlern im prozessualen Bereich des Politischen begleitet. Man kann vermuten,<br />

dass <strong>Heuss</strong> dennoch regelmäßig über die drängenden aktuellen politischen Fragen unter-<br />

richtet wurde, weil Adenauer ihn persönlich wertschätzte und auch Interesse an seinem<br />

Urteil hatte. Daraus zu schließen, dass der Bundeskanzler der Meinung war, dass dies dem<br />

320 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 21.03.1959; S. 409<br />

321 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper vom 18.01.1956; S. 134<br />

322 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch vom 06.06.1955; S. 164<br />

108


verfassungsgemäßen Rang von <strong>Heuss</strong> als ideell über ihm stehend entspräche, soll nicht<br />

gewagt werden. Adenauer war sich bewusst, dass er auf dem unebenen Terrain der Politik<br />

immer derjenige mit dem robusteren Schuhwerk war.<br />

<strong>Heuss</strong> versucht gegen diese Beschränkungen des Amts keine Gegenposition aufzubau-<br />

en, wird deshalb nicht machtbewusster. Statt seine repräsentative Funktion in die Nähe<br />

der Tagespolitik zu stellen und »öffentlich zu intervenieren« nimmt er eine im Hintergrund<br />

agierende und sich überparteilich definierende aber intern die Regierung unterstützende<br />

Rolle ein. Wenn also in der Öffentlichkeit öfter vom Gegensatz <strong>Heuss</strong>-Adenauer die Rede<br />

ist, dann entspricht dies im Wesentlichen zwar den unterschiedlichen Grundeinstellungen<br />

der beiden, nicht jedoch deren politischer Beziehung. Die Tatsache, dass sich Menschen<br />

von <strong>Heuss</strong> angezogen fühlten, die Adenauers Politik ablehnten, lässt nicht vermuten, dass<br />

<strong>Heuss</strong> eine im Ergebnis andere Politik als Adenauer verfolgte.<br />

Anders sieht dies im Bereich der Zeichenpolitik aus, in der Gestaltung des »wie«: Sen-<br />

sibler als der Kanzler war <strong>Heuss</strong> in der Einschätzung durch Symbole erzielbarer<br />

Wirkungen. Dies ist einer der Hauptpunkte in der Hymnenfrage und taucht immer wieder<br />

auf, etwa in der Helgoland oder bei der Eingliederung des Saarlands. Bei der Einführung<br />

staatlicher Auszeichnungen kann sich <strong>Heuss</strong> im Wesentlichen mit seinen Vorstellungen<br />

durchsetzen. Die Wiedererweckung des »Pour le mérite« mit der Ansammlung unzähliger<br />

»Männer von Rang« kann man dabei als <strong>Heuss</strong>-typischste Auszeichnung sehen. Bis heute<br />

ist sie ein Instrument der Bindung in- und ausländischer Intelligenz an die Bundesrepu-<br />

blik. Dieser Zielgruppe gilt auch ein Großteil der <strong>Heuss</strong>'schen Bemühungen. So gelten<br />

einige der wichtigsten <strong>Heuss</strong>-Reden einem geschlossenen Kreis. <strong>Heuss</strong> redet vor Politik-<br />

wissenschaftlern, Journalisten, Offizieren. In der Öffentlichkeit setzt sich allmählich das<br />

Bild des gemütlich-humorigen Papa <strong>Heuss</strong> durch, der als der nette Mensch von Bonn<br />

neben dem strengen Adenauer steht. In seiner öffentlichen Programmatik stehen drei Be-<br />

griffe im Vordergrund: »Entkrampfung«, »Mäßigung« und »Verkitschung.« Das Verhältnis<br />

der Bürger zur Staatsspitze ordnet <strong>Heuss</strong> mit dem Schlagwort der Entkrampfung neu. Mit<br />

dem Begriff der Mäßigung ist sein politisch-kulturelles Erziehungsprogramm umschrieben.<br />

Unter andauernden Popularitätsgaben wächst bei <strong>Heuss</strong> schließlich die Befürchtung der<br />

»Verkitschung« seiner Person - nicht zu unrecht. Demzufolge steht die personale Bindung<br />

der Bürger über Volkstümlickeit und die dem staatlichen Amt angemessene Distanz in<br />

einem widersprüchlichen Verhältnis. <strong>Heuss</strong> changiert hier zwischen diesen Polen.<br />

In seinen zeichenpolitischen Beiträgen versucht <strong>Heuss</strong> sowohl neue Deutungen durch-<br />

zusetzen als auch konträr dazu stehende Positionen zu integrieren. Seine Standpunkte<br />

zum Beispiel zum Nationalsozialismus oder zur Bundeswehr drücken auf der einen Seite<br />

eine Modernität aus, die ihrer Zeit voraus zu sein scheint. Auf der anderen Seite führt das<br />

nie zu einer Entfernung von den Mainstream-Positionen: Schuld ja aber nicht generell, Ar-<br />

mee unbedingt, aber demokratischer als diese – Gegner und Befürworter können sich<br />

immer zumindest in Teilen wiederfinden.<br />

109


5.Zusammenfassung: <strong>Heuss</strong><br />

und die politische Kultur<br />

nach 1945<br />

W<br />

enn politische Köpfe zum Thema einer Arbeit werden, bewegt man sich zwischen<br />

zwei Extremen: Das eine Extrem schreibt die Geschichte des Steuermanns. Ent-<br />

schlossen führt er das Staatsschiff durch die Unwägbarkeiten der Zeit und drückt Epochen<br />

seinen Stempel auf. Das andere Extrem sieht den Handelnden nur als das Produkt von<br />

außerpolitisch determinierten Verhältnissen. Steuerung kann aus dieser Perspektive als<br />

die Freiheit wahrgenommen werden, die sich aus der Einsicht in die Notwendigkeit objek-<br />

tiver Bedingungen ergibt. Das Individuelle verschwimmt dahinter. Da diese Arbeit keine<br />

Herzensbildung betreiben soll, stellt sich die Frage des angemessenen Zugangs zur Person<br />

und zur Bewertung seiner Leistung. Da der Nachweis eines Einflusses einer Person auf die<br />

Einstellungen der Bevölkerung, auf die Entwicklung von gesellschaftlichen Debatten oder<br />

auf Ereignisse, die weit in der Zukunft liegen, nicht möglich ist, können im Folgenden nur<br />

begründete Überlegungen angestellt werden. Diese beziehen sich auf der einen Seite auf<br />

den Einfluss von <strong>Heuss</strong> auf die politischen Institutionen und darauf folgend auf die poli-<br />

tischen Einstellungen der Bevölkerung<br />

5.1 Einfluss auf die politischen Institutionen<br />

Über den Einfluss von <strong>Heuss</strong> auf die Gestaltung der politischen Institutionen soll anhand<br />

seiner Aktivitäten als Partei- und Verfassungspolitiker sowie als Präsident nachgedacht<br />

werden.<br />

Ausgangslage ist die politische Nachkriegskarriere, die <strong>Heuss</strong> in die DVP in Württemberg<br />

führt. In der Zeit, in der er als Parteipolitiker aktiv war, beginnt sich das westdeutsche<br />

Parteiensystem zu formieren. Dieses zeigt nur wenig Kohärenz mit der politischen Land-<br />

schaft der Weimarer Republik, auch <strong>Heuss</strong> gehörte zu denen, die versuchten, von einer<br />

größeren politischen Basis aus zu agieren. Seine Mitgliedschaft in der FDP ist insoweit Zu-<br />

fall, als sie vor allem ortsabhängig war. Die Parteiorganisationen entwickelten sich von<br />

den Ländern her und diese Entwicklung wurde zudem von einem Ost-West-Konflikt über-<br />

lagert. Nach der Trennung von der LDP der sowjetischen Besatzungszone zeichneten sich<br />

110


zwei Dynamiken ab: Zum Einen eine Fusion innerhalb der Trizone und zum anderen die<br />

politische Zweispaltung der Partei. Der um die Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat<br />

gruppierte rechte Flügel bekam mehr Gewicht, drängte auf einen schnellen Zu-<br />

sammenschluss und setzte damit die südwestdeutschen Liberalen unter Zugzwang, woll-<br />

ten sie einen Zusammenschluss der Parteien, zu dem es nun keine Alternativen mehr gab,<br />

unter ihren Bedingungen forcieren. <strong>Heuss</strong> gehört hier nicht zu den Protagonisten sondern<br />

nimmt eine zögerliche Haltung ein. »Erst mit dem Zusammentreten des Parlamen-<br />

tarischen Rats 1948 änderte sich das Bild: Dass eine liberale Partei in Verfassungsbera-<br />

tungen zu besonderer Verantwortung aufgerufen sei und ihr die entscheidende Vermitt-<br />

lungsaufgabe zwischen den beiden großen Flügeln zufalle, war nicht nur die Leitlinie, die<br />

die Bonner FDP-Fraktion ihrem Wirken zugrunde legte; es umriss auch weitgehend die<br />

Zielsetzung, die die gemäßigten Kräfte der Partei überhaupt zugedacht hatten.« 323 Dem-<br />

zufolge ist es das Verdienst von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und Ernst Mayer, wieder an die liberale<br />

Tradition anzuknüpfen, die Aufgabe einer Verfassungspartei wahrzunehmen. Wenn dies<br />

auch innerparteilich äußerst umstritten ist, so bietet diese Ausrichtung in späteren Zeiten<br />

Anknüpfungspunkte für eine sozialliberale Ausrichtung der FDP. Gleichwohl gelingt es dem<br />

linken Flügel nicht, diese Ausrichtung durchzusetzen. Bis in die sechziger Jahre bleibt die<br />

FDP eine heterogene Partei, die von den Flügelkämpfen, die in den vierziger Jahren be-<br />

ginnen, weiter gezeichnet ist. Insofern wirkt diese Traditionsbildung nicht unmittelbar in<br />

das entstehende Parteiensystem. Generell scheint <strong>Heuss</strong> die Rolle eines Parteivorsitzenden<br />

eher fremd zu sein. Dies resultiert aus seinem Politikerverständnis, das auch unter den<br />

veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit noch dem Typus des Honoratiorenpolitikers<br />

gleicht. Wenn er stilbildend wirken kann, dann in Sonderbereichen des politischen Sys-<br />

tems: Im Parlamentarischen Rat oder im repräsentativ definierten Amt des Bundesprä-<br />

sidenten.<br />

Wenn es nicht gelingt, die FDP zur Verfassungspartei umzuformen, so steht außer<br />

Frage, dass <strong>Heuss</strong> ein Verfassungspolitiker war. Im Parlamentarischen Rat brachte er sich<br />

unter anderem in den Bereichen ein, die das Selbstverständnis des Staats betreffen, zum<br />

Beispiel bei der Diskussion der Präambel, des Namens des zukünftigen Staats, bei der<br />

Frage der Grundrechte. Bei den institutionellen Grundentscheidungen findet sich <strong>Heuss</strong><br />

mit der Mehrheit des Gremiums als ein Gegner direkter Demokratie wieder, als Befür-<br />

worter eines gemäßigten Föderalismus und einer Entmachtung des Bundespräsidenten zu-<br />

gunsten eines an das Parlament gebundenen Kanzlers. Wenn <strong>Heuss</strong> auch zu den »Vielred-<br />

nern« gehörte und dank seines Amts als Fraktionsvorsitzender auch zu denen, die in den<br />

wichtigen Ausschüssen saßen, so kann mit Sicherheit gesagt werden, dass er großen<br />

Einfluss auf die Arbeit des Parlamentarischen Rats ausgeübt hat. Aber angesichts der<br />

Arbeitsweise des Gremiums und der Komplexität von Materie und Entscheidungspro-<br />

323 Hein (1985); S.352<br />

111


zessen, können keine Aussagen darüber getroffen werden, wie stark sein Einfluss exakt<br />

auf diese oder jene Formulierung gewesen ist.<br />

Anders gestaltet sich dies bei der Untersuchung seines Einflusses auf die Deutschland-<br />

politik. Insbesondere in der Diskussion über die Frankfurter Dokumente beteiligte er sich<br />

nicht. Seine Haltung ist mit abwartend beschreibbar, de facto hat er keinen Einfluss ge-<br />

nommen, wenn er auch von Beginn an alle mit der Gründung des Weststaats und seiner<br />

internationalen Einbindung verbundenen Entscheidungen unterstützte.<br />

Im Gegensatz dazu hat er das Amt des Bundespräsidenten maßgeblich geformt. Auch<br />

hier sucht er wie im Parlamentarischen Rat nach den angemessenen Formen der Staatsre-<br />

präsentation, zum Beispiel in der Hymnenfrage, bei der Stiftung von Auszeichnungen oder<br />

bei der Suche nach einem angemessenen präsidialen Auftreten. Hieraus leitet sich auf der<br />

einen Seite die Aufgabe des Präsidenten ab, sich zu grundsätzlichen Fragen der Demokra-<br />

tie oder des Gedenkens zu äußern. Gleichzeitig hat der Präsident seit <strong>Heuss</strong> auch die un-<br />

beschriebene Aufgabe, integrativer in die Gesellschaft zu wirken als dies anderen Trägern<br />

politischer Rollen möglich ist: Zum Rollenprofil des Präsidenten gehört neben einer ge-<br />

wissen präsidialen Distinguiertheit auch eine Bereitschaft zur »Volksnähe« (wenn <strong>Heuss</strong><br />

die daraus resultierende Wirkung »Verkitschung« nennt, so überdeckt das Etikett diese<br />

dem Amt innewohnende Funktion).<br />

5.2 Die politischen Einstellungen der<br />

westdeutschen nach 1945<br />

Wenn man die in Kapitel 2 zusammengefassten Aspekte der Politische-Kultur-Forschung in<br />

Beziehung setzt zu <strong>Heuss</strong>' Ansichten über den Grad demokratischer Reife, den die Deut-<br />

schen nach 1945 besitzen, so lässt sich dieses Verhältnis als gegenseitiges Misstrauen<br />

beschreiben.<br />

Wie Offe beschrieben hat, ist allen modernen Demokratien eigen, dass sie zu einem<br />

großen Teil auf misstrauensbasierter vertikaler Kommunikation beruhen, weil eine eher<br />

geringe Möglichkeit der Einflussnahme auf den politischen Prozess einer maximalen Be-<br />

troffenheit von Entscheidungen gegenübersteht. Wenn dies ein normaler Grundzug einer<br />

Demokratie zu sein scheint, so ist das »unnormale« an der frühen westdeutschen poli-<br />

tischen Kultur, dass die ergänzenden Vertrauensbeziehungen unvollkommen ausgeprägt<br />

sind. Insofern besteht in der Bevölkerung zunächst wneig Interesse an politischen Fragen,<br />

geschweige denn daran, sich politisch zu engagieren. Auf der anderen Seite meint die<br />

Äußerung von <strong>Heuss</strong>, dass die neuen politischen Eliten durch die Schule der Skepsis ge-<br />

gangen sind, gerade die eigene Skepsis gegenüber der politischen Zurechnungsfähigkeit<br />

des Volkes.<br />

112


<strong>Heuss</strong> findet einen Ausweg aus dieser Situation nicht in der sozialen Kontrolle, sondern<br />

in der verantwortungsethischen Erziehung: Die Rückbesinnung auf die eigene Menschlich-<br />

keit, das Herausbilden von Bürgersinn, Mäßigung und die Beteiligung im Ehrenamt sind<br />

die Leitwerte, die er versucht durch Kommunikation aus einer privilegierten Funktion<br />

durchzusetzen. Zudem leitet er die Autorität des eigenen Amts aus dem Glauben an diese<br />

Prinzipien ab. Die nach außen getragene Bürgerlichkeit schafft auf der einen Seite Nähe,<br />

die Demonstration seines symbolischen Kapitals schafft Würde, aber eine andere Würde<br />

als sie Hindenburgs oder Hitlers Ämter besessen haben.<br />

Wenn man dies wiederum ins Verhältnis zu den Umfragedaten setzt, sieht man, dass<br />

sich tatsächlich die Einstellung der Bürger zum politischen System ändert. Wenn bei der<br />

ersten Bundestagswahl zum Beispiel die Vorstellung von der Wahl als staatsbürgerliche<br />

Pflicht dominiert, so wird die Gelegenheit zur Pflichterfüllung bei der zweiten Wahl 1953<br />

mit einer eindrucksvollen Mehrheit für die Regierung verbunden, das politische Interesse<br />

steigt ebenso die Einschätzung der Leistung der politischen Institutionen. Damit ver-<br />

bunden eine zunehmende spezifische und diffuse Unterstützung.<br />

Das Bild wäre unvollkommen, wenn nicht erwähnt würde, dass dies mit einer deutli-<br />

chen Outputorientierung der Bürger verbunden ist: Die Unterstützung ist demnach eine<br />

Prämie für Stabilität und eine Verbesserung der Lebenssituation. Demzufolge ginge der<br />

Wandel in den Einstellungen zu einem großen Teil auf das Konto der Regierung, also in<br />

einer personalisierten Sichtweise auf den Kanzler. Das würde erklären, warum zwar Lud-<br />

wig Erhard und Konrad Adenauer als Ikonen der Gründerjahre ihren Platz im kollektiven<br />

Gedenken gefunden haben, <strong>Heuss</strong> jedoch trotz seiner damaligen Popularität heute am<br />

Rande steht.<br />

Andererseits zeigt Gabriel, dass der Wandel der politischen Kultur sowohl auf<br />

konstanten Output-Anforderungen als auch in der Zunahme der Input-Nachfrage erklärbar<br />

ist. Demzufolge ist diese Zunahme nicht allein durch positive wirtschaftliche und soziale<br />

Rahmendaten zu erklären, auch »weiche« Kategorien bekommen ihre Berechtigung.<br />

Deshalb soll an dieser Stelle über verschiedene Möglichkeiten der Bindung von Bürgern<br />

an den Staat nachgedacht werden, die von handelnden Politikern beeinflusst werden<br />

können. Eine Form der Bindung geschieht über das Teilen gemeinsamer normativer Vor-<br />

stellungen vom Politischen. Hier steht die Identifikation der Bürger mit den Vorstellungen<br />

des Politikers im Zentrum. Darüber hinaus können weitere Bindungsangebote geschaffen<br />

werden, die zwar ebenfalls personal substituiert sind, aber im Gegensatz zur Identifikation<br />

mit der Person stärker abstrakte Bindungswirkungen hervorrufen. Beispielsweise Aus-<br />

zeichnungen. Zu guter Letzt können bestimmte gesellschaftliche Gruppen dadurch an das<br />

politische System gebunden werden, dass sie eine besondere Förderung erfahren und<br />

einen besonderen informellen Zugang bekommen. Wenn dies auch nicht tieferen Ansprü-<br />

chen an eine Systematik von Vertrauensbeziehungen genügt, so soll es dennoch unserem<br />

113


Zweck dienen, die verschiedenen auf die Bürger gerichteten Politiken von <strong>Heuss</strong> zu<br />

analysieren.<br />

▌ 1. Teilung normativer Vorstellungen<br />

Übereinstimmung mit den der politischen Kultur zu Grunde liegenden Orientierungen<br />

Orientierungen schafft Identifikation. Wenn <strong>Heuss</strong> also auf einen überwältigenden Teil der-<br />

jenigen, die sich mit ihm beschäftigen, eine Faszination ausübt, dann deshalb, weil er<br />

nicht einem vorherrschenden Politiker-Stereotyps entspricht: Dem des allenfalls mit Halb-<br />

wissen ausgestatteten Organisators von Mehrheiten, der die Frage nach seinem eigenen<br />

Weltbild allenfalls mit »pragmatisch« beantworten kann.<br />

Zudem beeindruckt seine Bildung, seine Kontakte und damit seine Verwobenheit mit<br />

der an Entwicklung reichen Geschichte des letzten Jahrhunderts: »In diesem Leben<br />

spiegelt sich eine Epoche von imponierender Spannweite. in seiner Persönlichkeit, so hat<br />

die ihm befreundete Journalistin Margarete Bovery einmal geschrieben, habe sich 'aus<br />

dem Stoff der Zeit unendlich viel gebrochen [...]'«. 324 So wie <strong>Heuss</strong> sich selbst in eine<br />

demokratische politische Tradition seit 1848 einordnet, gibt der Bezug zu seiner Person<br />

dem eigenen Geschichtsbild eine positive Färbung. 1959 formuliert er im Andenken<br />

Schillers: »an diesem Tag, heute vor zehn Jahren, gingen immer wieder – Trost,<br />

Mahnung, Sicherung – drei Zeilen Schillers durch den Sinn: Stürzte auch in Krieges-<br />

flammen / Deutsches Kaiserreich zusammen / Deutsche Größe bleibt bestehen.« 325<br />

Dies ist vor allem für Angehörige eines Bildung als zentralen Wert begreifenden Milieus<br />

ein besonders attraktives Identifikationsangebot. Auf andere wirkt er möglicherweise be-<br />

eindruckend oder originell, gleichzeitig aber auch fremd und distanziert. Auf diese Ziel-<br />

gruppe und besonders auf die diesem Milieu zuzuschreibende Deutungselite konzentriert<br />

<strong>Heuss</strong> seine zeichenpolitischen Handlungen als Bundespräsident. Demzufolge erscheint er<br />

als großer und sorgfältiger Redner, der den nachfolgenden Bundespräsidenten die Stan-<br />

dards gesetzt hat. Für Heinrich Lübke, den Nachfolger von <strong>Heuss</strong>, muss extra eine<br />

»Ghostwriter«-Stelle eingerichtet werden und <strong>Heuss</strong> ist stolz darauf, eine solche Zuarbeit<br />

nicht in Anspruch genommen zu haben. Dem Präsidentenamt hat <strong>Heuss</strong> einen »Stil« gege-<br />

ben, der den Zugriff auf dieses Amt für Vertreter des bildungsbürgerlichen Milieus nahe-<br />

legt.<br />

Auch mit seinen geschichtspolitischen Äußerungen ist er traditionsbildend gewesen:<br />

Wenn auch solche Konstruktionen wie die »Kollektivscham« heute zum Widerspruch auf-<br />

fordern, so gilt die <strong>Heuss</strong>sche Betonung des Zwangs zur Erinnerung nach wie vor. Einge-<br />

schränkt kann man Hildegard Hamm-Brücher Recht geben: »Dieses unbequeme immer<br />

wieder mahnende 'wir dürfen nicht vergessen' erforderte in der dumpfen 'Zeit des Be-<br />

324Rudolph (2000); S. 26<br />

325 Dahrendorf/Vogt (1984); Ein Vermächtnis: Friedrich Schiller; S.448<br />

114


schweigens' – wie die fünfziger Jahre heute von namhaften Historikern genannt werden –<br />

wirklich Zivilcourage.« 326 Die Einschränkung gilt deshalb, weil bezweifelt werden kann,<br />

dass dies über das symbolische Wirken hinaus das Handeln von <strong>Heuss</strong> motivierte. Das<br />

Bundespräsidialamt wird zu jener Zeit eben nicht das Zentrum der Bekämpfung alter Na-<br />

tionalsozialisten in Führungspositionen. Auch dem Mitläufertum bringt <strong>Heuss</strong> viel Ver-<br />

ständnis entgegen und er gehört nicht zu denen, die »aufstehen«, um eine beliebte Me-<br />

tapher der Zivilcourage-Sprache zu verwenden. Insbesondere missbilligt er gerade die<br />

unbotmäßige Einmischung aus Medien und Bevölkerung als »Demagogie«. Dies entsprach<br />

seinem wenig konfliktären Wesen und statt der »Bewältigung« der Vergangenheit steht<br />

bei ihm die »Aussöhnung« oben auf der Agenda. In späteren Jahren ist die Einsicht er-<br />

folgt, dass das eine wechselseitig das andere bedingt. Gerade vor dem Hintergrund der<br />

Auschwitz-, Majdanek- und Eichmann-Prozesse, muss die Schuldfrage nun in einer<br />

anderen Weise thematisiert werden. Wenn <strong>Heuss</strong> dies nicht leistete, so baute er doch mit<br />

seiner Haltung eine Brücke zu jenen späteren Debatten, die die Politische Kultur prägen<br />

werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Recht auf Widerstand. Ohne die Bemühungen des<br />

Bundespräsidenten, die offizielle Rehabilitierung des 20. Juli durch Würdigung einzuleiten,<br />

wäre das »integrale Verständnis des Widerstands« 327 , das auch in andere Traditionen ein-<br />

gebettete Widerstände einbezieht und beispielsweise in der Neukonzeption der »Gedenk-<br />

stätte Deutscher Widerstand« zum Ausdruck kommt, nicht vorstellbar. Auch mit seinen<br />

Äußerungen zum Bürgerheer gibt <strong>Heuss</strong> entscheidende Stichpunkte. Zwar ist es nicht so,<br />

dass Graf Baudissin wegen <strong>Heuss</strong> ein Konzept des Staatsbürgers in Uniform entwickelte,<br />

gleichwohl sorgt <strong>Heuss</strong> durch regelmäßige Thematisierung in Gesprächen dafür, dass der<br />

Gedanke der Bürgerarmee präsent bleibt. Bis zum Ende der alten Bundesrepublik wird<br />

sich das Prinzip der »Inneren Führung« langsam in der Bundeswehr durchsetzen. Wenn<br />

man von der demokratischen Ausgestaltung der Armee redet, muss freilich auch die ge-<br />

rade durch <strong>Heuss</strong> mit eingeleitete Tradition der Diskreditierung von Ersatzdienstleistenden<br />

zur Sprache kommen. Der »Massenverschleiß« des Gewissens wird zum Vorwurf der<br />

Drückebergerei und erst in den achtziger Jahren durch eine gesellschaftliche Anerkennung<br />

der damals noch wesentlich schwereren Arbeit von Zivildienstleistenden abgelöst werden.<br />

»Zivilcourage« besteht vor diesem Hintergrund darin, sich dieser ungeheuerlichen Unter-<br />

stellung durch den Staat, die ja breite Auswirkung auf die zukünftige Lebensplanung der<br />

Betroffenen hat, zu widersetzen.<br />

Wenn heute verstärkt über »aktive Bürgergesellschaft« geredet wird, dann kann man<br />

dies in Beziehung zu dem von <strong>Heuss</strong> propaqierten »Ehrenamt« sehen. Zwar wurde be-<br />

reits darauf hingewiesen, dass die beiden Konstruktionen in einem Spannungsverhältnis<br />

zueinander stehen, weil das Eine auch den Anspruch auf Einmischung in die Sphäre des<br />

326 Hamm-Brücher (2002); S.23<br />

327 Steinbach (2004); S.10<br />

115


Politischen formuliert, während <strong>Heuss</strong> sich diese Einmischung in der Regel verbeten hat.<br />

Dennoch trägt eine von <strong>Heuss</strong>' herausgehobener Position formulierte Ehrenamt-Propagan-<br />

da, dazu bei, dass sich immer mehr Menschen mit dem Thema auseinandersetzen, dass<br />

ehrenamtlicher Arbeit Respekt statt Misstrauen entgegengebracht wird und dass schließ-<br />

lich diese Menschen weitergehende Ansprüche formulieren, die dann mit den ursprüngli-<br />

chen Intentionen des Präsidenten nicht mehr übereinstimmen.<br />

Als das erste Mal die Zivilgesellschaft der Bundesrepublik auf die Probe gestellt wird,<br />

weil Adenauer und Strauß eine Ausgabe des SPIEGEL beschlagnahmen ließen und Chef-<br />

redakteur sowie Herausgeber unter Vorwurf des Landesverrats verhaften ließen, scheint<br />

<strong>Heuss</strong> zunächst in gewohnter Weise eher dem Staat als der Gesellschaft zu vertrauen:<br />

»Wir haben in Deutschland seit gestern eine völlig überraschende Spezialoffensive (s.<br />

heutige FAZ, Leitartikel von A. Rapp), die Verhaftung des Spiegel-Herausgebers Augstein<br />

und einiger seiner Redakteure. Da ich den Spiegel nicht lese, weiß ich selber nichts Ge-<br />

naues über die Hintergründe. Hoffen wir, dass der Bundesanwalt nicht leichtfertig vorging.<br />

Sonst macht er nur für diese Zeitung Reklame.« 328<br />

Der pauschale Vorwurf der »Gesinnungsethik« gegen kritische Öffentlichkeit gehört zu<br />

<strong>Heuss</strong>' Eigenheiten und aus heutiger Sicht spricht dies nicht unbedingt für <strong>Heuss</strong>' »Sinn<br />

für das Werdende«. Wie der überwiegende Teil des politischen Establishments hätte <strong>Heuss</strong><br />

wahrscheinlich, hätte er 1967 noch erleben können, ebenfalls nicht zwischen sozialis-<br />

tischer Verbalradikalität und einem darunter liegenden Paradigmenwechsel in der poli-<br />

tischen Kultur unterscheiden können. Das ist geradezu kennzeichnend für die<br />

Gründergeneration der Bundesrepublik geworden. Die politische Mitte hat erst in den<br />

Achtziger Jahren erkannt, dass das Wort »Bürgerinitiative« gerade mit ihren eher be-<br />

wahrenden Wertvorstellungen kompatibel ist und damit eine kommunitaristische Sicht auf<br />

die Bürgergesellschaft inspiriert. Sie ist seitdem beides – Kind des Ehrenamtsgedankens<br />

von <strong>Heuss</strong> und Kind einer partizipativen Politikvorstellung.<br />

▌ 2. Bindungen zwischen politik und Bevölkerung<br />

Neben der Bindung derjenigen, die das eigene Weltbild teilen, können Politiker über<br />

die Schaffung von verschiedenen Bindungsangeboten die Grundlage für eine Vertrauens-<br />

beziehung zwischen Regierenden und Regierten schaffen. Obgleich dies offen lässt, ob<br />

diese Bindungen in beide Richtungen wirken sollen oder nur eine Gruppe an die andere<br />

binden soll, so ist nachvollziehbar, dass es sich insbesondere aus dem <strong>Heuss</strong>schen Staats-<br />

verständnis heraus eher um Angebote zur Bindung der Bevölkerung an den Staat handelt.<br />

Dies geschieht zum Beispiel über Auszeichnungen. Mit dem Bundesverdienstkreuz ist eine<br />

Auszeichnung geschaffen worden, die in ihren unteren Klassen gerade das Engagement<br />

von »einfachen« Bürgern würdigt. Wenn diese einfachen Bürger innerhalb ihrer Umge-<br />

328 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Toni Stolper am 25.10.1962; S.507f.<br />

116


ung meistens zur Führungsoligarchie gehören dürften (Gemeinderatsmitglieder, Vor-<br />

sitzende, ...), so verwurzelt diese Auszeichnungspraxis die Identifikation mit dem Staat im<br />

ganzen Land. Heute gibt es wohl kaum einen größeren Ort, in dem nicht ein Bundesver-<br />

dienstkreuz-Träger wohnen würde. Die Tatsache, dass auch diejenigen ausgezeichnet<br />

werden, die sich über langjähriges Engagement zum Beispiel in Vereinen verdient ge-<br />

macht haben, lässt dem Orden ein besonderes Renommee zukommen. Zudem können<br />

Vorschläge zur Auszeichnung von jedem Bürger eingereicht werden.<br />

Ein weiteres Bindungsangebot ist die regelmäßige Sylvesteransprache des Präsidenten.<br />

Diese bietet die Gelegenheit, einmal im Jahr auch denen seine Gedanken vorzutragen, die<br />

sich nicht für Politik interessieren. Wenn auch derartige Ansprachen nicht zu spezifischer<br />

Unterstützung beitragen, so doch zu diffuser – gerade dadurch, dass sie Teil einer ge-<br />

meinsamen Feierpraxis sind. Heute beginnt der Fernseh-Sylvesterabend mit »Dinner for<br />

one« und meistens führt er dann über die »Tagesschau« zur »Neujahrsansprache des<br />

Bundeskanzlers«. Ein zweifellos sein Image prägendes Merkmal ist es, dass <strong>Heuss</strong> auch in<br />

diesen auf breitere Wirkung ausgerichteten Reden den Zuschauern und Zuhörern eine ge-<br />

wisse Fähigkeit zur politischen Abstraktion zumutete, also auf ein ausgewogenes Verhält-<br />

nis von affektiven und kognitiven Anteilen achtete.<br />

Wenn vom Image die Rede ist, muss auch die generelle Außenwirkung von <strong>Heuss</strong> the-<br />

matisiert werden. Diese hat ihn zu einem der populärsten Politiker in Deutschland ge-<br />

macht - Papa <strong>Heuss</strong>. Wie beschrieben wurde, sah <strong>Heuss</strong> die »Verkitschung« seiner Per-<br />

son, was meinte, dass seine intellektuellen Vorstellungen nur ungenügenden Einfluss auf<br />

sein Image hatten. Das bedeutet, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung diesen Prä-<br />

sidenten bereit war als den Schriftsteller/Literaten/Bildungsbürger zu sehen, eine Min-<br />

derheit der Multiplikatoren der Meinung war, ihn als diesen darstellen zu müssen und dass<br />

das Bundespräsidialamt keine Erfahrungen mit zielgerichteter Öffentlichkeitsarbeit hatte.<br />

Wenn der intellektuelle <strong>Heuss</strong> zu wenig wahrgenommen wurde und der humorige um-<br />

gängliche <strong>Heuss</strong> zu stark, dann ist das freilich ein Problem, an dem <strong>Heuss</strong> auch selbst be-<br />

teiligt war. Es entspringt neben dem eigenen Wesen auch auch der eigenen Kalkulation.<br />

Nicht das Volk trägt die Verantwortung für die »Verkitschung«. Sie ist sowohl im Rollen-<br />

profil des Bundespräsidenten angelegt, als auch durch dessen konkrete Ausfüllung form-<br />

bar.<br />

▌ 3. Förderung von Wissenschaft und Kultur<br />

Wenn bereits festgestellt wurde, dass <strong>Heuss</strong> seine Zeichenpolitik wie kaum ein anderer<br />

Präsident auf die bildungsbürgerliche Schicht ausrichtete, so ist das bereits eine Teilant-<br />

wort auf die Frage, welchen gesellschaftlichen Gruppen er einen informellen Zugang zum<br />

politischen System eröffnete. Dies lässt sich allerdings genauer spezifizieren. Zunächst<br />

sind die viele seiner Weggefährten, die sich nun zu einem großen Teil im Ausland be-<br />

finden. Eine andere ist die jüdische Bevölkerung, der er sich in besonderem Maße ver-<br />

117


pflichtet fühlt, zusammen mit denen, die überall im Land die christlich-jüdische Verständi-<br />

gung vorantreiben. Zudem bemüht sich <strong>Heuss</strong> um den Kontakt zu und die Unterstützung<br />

von Künstlern, einmal institutionell, etwa durch die Dankesspende des Deutschen Volks<br />

oder durch die Bemühung um Unterstützung für einzelne Künstler. Kulturpolitik begreift<br />

<strong>Heuss</strong> von Beginn an als auswärtige Politik und weist ihr eine hohe Bedeutung zu, die sich<br />

in seiner Mitarbeit im kulturpolitischen Beirat des Auswärtigen Amts äußert. Eine weitere<br />

Gruppe kommt aus den Wissenschaften. Institutionell ist <strong>Heuss</strong> an der Gründung von<br />

Wissenschaftsinstitutionen beteiligt wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder dem<br />

Wissenschaftsrat, der auch beim Bundespräsidenten angesiedelt ist. <strong>Heuss</strong> stellt sein<br />

Verdienst um die Nähe zu Wissenschaft und Kultur denn auch Adenauer gegenüber mit<br />

einem historischen Selbstbewusstsein ausgestattet heraus: »Wollen Sie, bitte, das, was<br />

ich in Kreisen der Wissenschaft und der musischen Dinge zum ersten Mal in der deutschen<br />

Geschichte, neben Ludwig I. von Bayern und wohl auch Friedrich Wilhelm IV., good will<br />

für den Staat geschaffen habe nie vernachlässigen.« 329<br />

329 Pikart (1970); <strong>Heuss</strong> an Adenauer am 09.05.1959; S. 22<br />

118<br />

[<br />

Ich selber habe mein<br />

Amt immer als ein<br />

eminent politisches<br />

Amt begriffen und<br />

zu führen versucht,<br />

wenn es auch oft<br />

genug sich wesentlich<br />

in den Sphären des<br />

Metapolitischen<br />

auswirkte.


6.Literatur<br />

1. Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney: The Civic Culture. Political Attitudes and Democra-<br />

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stand; Die Liberalen unter dem Vorsitz von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und Franz Blücher;<br />

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119


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22.Ellwein, Thomas; Holtmann, Everhard (Hg.): 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland.<br />

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28.Fuchs, Dieter: Das Konzept der politischen Kultur: die Fortsetzung einer Kontroverse in<br />

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32.Göhler, Gerhard: Politische Symbole – symbolische Politik in:<br />

Rossade/Sauer/Schirmer (2002)<br />

120


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publik<br />

34.Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen Sylvia Ein schwieriges Vaterland; zur politischen<br />

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35.Habermas, Jürgen: Grenzen des Neohistorismus in: Die nachholende Revolution;<br />

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36.Hamm-Brücher, Hildegard: Wiederbegegnung mit <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> in: Hamm-<br />

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37.Hamm-Brücher, Hildegard; Rudolph, Hermann: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Eine Bildbiographie;<br />

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38.Hartmann, Martin; Offe, Claus (Hg.): Vertrauen – die Grundlage des sozialen Zu-<br />

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39.Hein, Dieter: Zwischen liberalen Milieupartei und nationaler Sammelbewegung;<br />

Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949;<br />

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Gerlingen 1984<br />

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ler; München 1983<br />

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44.Hertfelder, Thomas: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> 1884-1963 in: Mayer/Mayer (2005)<br />

45.Hertfelder, Thomas; Ketterle, Christiane: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Publizist-Politiker-Präsident;<br />

Begleitband zur ständigen Ausstellung im <strong>Theodor</strong>-<strong>Heuss</strong>-Haus; Stuttgart 2003<br />

46.Herzog, Dietrich: Politische Führungsgruppen: Probleme und Ergebnisse der modernen<br />

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die deutsche Frage 1945-1949; in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 33. Jg. 1985<br />

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50.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Demokratie und Selbstverwaltung; Berlin 1921<br />

51. <strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Politik; Halberstadt 1928 (2. Auflage)<br />

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52.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Staat und Volk; Betrachtungen über Wirtschaft, Politik und Kultur;<br />

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53.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit; Berlin 1937<br />

54.<strong>Heuss</strong>, <strong>Theodor</strong>: Ein Vermächtnis; Werk und Erbe von 1848; Tübingen 1948<br />

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[Hübinger 2000a]<br />

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67.Kaina, Viktoria: Deutschlands Eliten zwischen Kontinuität und Wandel in: Aus Politik<br />

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68.Kilian, Jörg: Demokratische Sprache zwischen Tradition und Neuanfang: am Beispiel<br />

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74.Krey, Ursula: Demokratie durch Opposition in: Hübinger/Hertfelder (2000)<br />

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100.Pikart, Eberhard; Mende, Dirk: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>- Der Mann, das Werk, die Zeit; Eine<br />

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101.Pikart, Eberhard (Hg.): <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Aufzeichnungen 1945-1947; Tübingen 1966<br />

102.Pikart, Eberhard (Hg.): <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Tagebuchbriefe 1955/1963 ein Auswahl aus<br />

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103.Puknus, Heinz (Hg.): <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>; Ernte der Jahre; Eine Auswahl aus seinen<br />

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104.Putnam, Robert (Hg.): Gesellschaft und Gemeinsinn; Sozialkapital im internationalen<br />

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105.Putnam, Robert; Goss, Kristin A.: Einleitung in: Putnam, Robert (2001)<br />

106.Pye, Lucian W.; Verba, Sidney (Hg.): Political Culture and Political Development; Prin-<br />

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107.Raitel, Thomas: Fußball-Weltmeisterschaft 1954; Sport-Geschichte- Mythos; München<br />

2004<br />

108.Rauh-Kühne, Cornelia: Die Entnazifizierung und die deutsche Gesellschaft in: Archiv f.<br />

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109.Reichelt, Peter: Politik mit der Erinnerung; Gedächtnisorte im Streit um die national-<br />

sozialistische Vergangenheit; Frankfurt/Main 1999<br />

110.Rohe, Karl: Politische Kultur: Zum Verständnis eines Konzepts in: Oskar<br />

Niedermayer/Klaus v. Beyme (1996)<br />

111.Rossade, Werner; Sauer, Birgit; Schirmer, Dietmar (Hg.): Politik und Bedeutung; Stu-<br />

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112.Rudolph, Hermann: Ein neues Stück deutscher Geschichte; <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> und die po-<br />

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gart 2000<br />

113.Rupp, Hans Karl: Politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage;<br />

München/Wien 2000<br />

114.Sarcinelli, Ulrich (Hg.): Demokratische Streitkultur: Theoretische Grundpositionen und<br />

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115.Sarcinelli, Ulrich: Auf dem Weg in eine kommunikative Demokratie? Demokratische<br />

Streitkultur als Element politischer Kultur in: Sarcinelli (1990)<br />

124


116.Sachße, Christoph: Traditionslinien bürgerschaftlichen Engagements in: Enquete-Kom-<br />

mission ... (2002)<br />

117.Schildt, Axel: Ankunft im Westen; Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik<br />

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118.Schildt, Axel: Entwicklungsphasen der Bundesrepublik nach 1949 in: Ellwein/Holtmann<br />

(1999) [Schildt 1999/2]<br />

119.Schnabel, Thomas: Die Verfassungsdiskussion im Deutschen Büro für Friedensfragen<br />

in Stuttgart (1947-1948) in: Kube/Schnabel (1989)<br />

120.Schüttemeyer, Suzanne S.: Der Bundestag im Urteil seiner Bürger; Zur Parlamen-<br />

tarismusperzeption in der Bundesrepublik in: Berg-Schlosser/Schissler (1987)<br />

121.Schüttemeyer; Suzanne S.: 50 Jahre deutscher Parlamentarismus: Kategorien und<br />

Kriterien für Leistungen und Defizite in: Ellwein/Holtmann (1999)<br />

122.Schwelling, Birgit (Hg.): Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft; Theorien, Metho-<br />

den, Problemstellungen; Wiesbaden 2004<br />

123.Schwarz, Hans-Peter: Die Ära Adenauer; Gründerjahre der Republik; 1949-1957; Ge-<br />

schichte der Bundesrepublik Deutschland; Band 2 in: Bracher/Eschenburg/Fest/Jäckel<br />

(1981)<br />

124.Sontheimer, Kurt: Deutschlands politische Kultur; München 1990<br />

125.Sternberger, Dolf: Verfassungspatriotismus (Schriften X); Frankfurt/Main 1990<br />

126.Sternberger, Dolf: Grund und Abgrund der Macht, (Schriften VII); Frankfurt/Main<br />

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127.Steinbach, Peter: Geschichte und Politik - nicht nur ein wissenschaftliches Verhältnis<br />

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128.Steinbach, Peter: Der 20. Juli 1944 - mehr als ein Tag der Besinnung und Verpflich-<br />

tung in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 27/2004<br />

129.Stolle, Dietlind; Hooghe, Marc: Inaccurate, Exceptional, One-Sided or Irrelevant? The<br />

Debate about the Alleged Decline of Social Capital and Civic Engagement in Western<br />

Societies in: British Journal of Political Science, Volume 35/1, Jan2005<br />

130.Strauß, Franz-Josef: Die Erinnerungen; Berlin 1989<br />

131.Turek, Jürgen: Demokratie und Staatsbewusstsein: Entwicklung der politischen Kultur<br />

in der Bundesrepublik Deutschland in: Werner Weidenfeld (Hg.)<br />

132.Weber, Max: Wahlrecht und Demokratie in Deutschland in: Der deutsche Volksstaat;<br />

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133.Weber, Max: Gesammelte Politische Schriften. Potsdamer Internet-Ausgabe (nach der<br />

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http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/<br />

134.Weidenfeld, Werner (Hg.): Politische Kultur und deutsche Frage: Materialien zum<br />

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135.Welchert, Hans-Heinrich: <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: Ein Lebensbild; Frankfurt/Bonn 1968<br />

125


136.Wilms, Heinrich: Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes;<br />

Stuttgart/Berlin/Köln 1999<br />

137.Wolfrum, Edgar: Geschichte als Waffe; Vom Kaiserreich zur Wiedervereinigung; Göt-<br />

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138.Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik und deutsche Frage; Der 17. Juli im nationalen Ge-<br />

dächtnis der Bundesrepublik (1953-89) in: Geschichte und Gesellschaft Band 24<br />

(1998)<br />

139.Zapf Wolfgang: Wandlungen der deutschen Elite; München 1965<br />

126

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