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Diagnose, "moralisch defekt" - Thomas Huonker

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Kastrationen an Frauen, die in Theorie und Praxis einzelner englischer und deutscher<br />

Mediziner wie Isaac Baker Brown (1812-1873),786 Jonathan Hutchinson, A. J. Block<br />

und anderen auch die chirurgische Klitorisentfernung oder die Klitoriskauterisation<br />

umfassten,787 sollten die angeblich von der Gebärmutter ausgehende «Hysterie» sowie<br />

Lasterhaftigkeit, «Nymphomanie» und «Masturbatory Insanity» heilen, als deren Auslöser<br />

und Anzeichen die Masturbation galt.<br />

«Wurde, um sie von ihrem Triebe zu befreien, zur<br />

Röntgenkastration ins Spital gebracht»<br />

Mehrfachkastrationen, Transplantationen, Nachoperationen<br />

Sterilisationen und Kastrationen wurden zu Heilzwecken auch bei als epileptisch, «kataton»,<br />

«schizophren», «satiriasisch» oder «<strong>moralisch</strong> idiotisch» Diagnostizierten beiderlei<br />

Geschlechts vorgenommen. Generell war der Raum der Sexualität enger umgrenzt,<br />

und von daher wurden manche als «lasterhaft», «liederlich», «nymphoman»,<br />

«pervers», «onanistisch», «exhibitionistisch» oder «sexuell übererregt» solchen therapeutisch<br />

begründeten Operationen unterzogen, deren Verhalten heute gesellschaftlich<br />

akzeptierte Nischen und Plattformen finden oder als im verbreiterten Bereich des<br />

Normalen befindlich eingestuft würde.<br />

So wurde ein sexuell sehr aktiver und öffentlich onanierender Mann, der auch behauptete,<br />

«dass er 20 Frauen im Tag befriedigen könne» und dessen «hypertrophische<br />

Genitalien», insbesondere das «übermässig lange Glied», von den untersuchenden<br />

Ärzten als «bemerkenswert» eingestuft wurden, 1923 von Hans R. Schinz zunächst<br />

röntgensterilisiert und im März 1924 durch einen Chirurgen operativ kastriert. 788<br />

Eine sexuell stark aktive Frau wurde zuerst aus «eugenischen» Gründen sterilisiert,<br />

nachher aber aus therapeutischen Gründen noch der Röntgenkastration und der<br />

chirurgischen Kastration unterzogen.<br />

Es handelt sich dabei um den «Fall xx» in der Dissertation des Burghölzli-Arzts<br />

Sigwart Frank: «Geb. 1897, ohne Beruf, <strong>moralisch</strong>er Schwachsinn mit Pseudologia<br />

phantastica. Besuchte Primar-, Sekundar- und zwei Jahre Handelsschule, kam gut<br />

nach. Schon mit 14 Jahren Verhältnisse, musste wegen Lues und Gonorrhoe behandelt<br />

werden. Arbeitete nicht gerne, konnte aber, wenn sie musste. [ ... ] Auf ein Gutachten<br />

unserer psychiatrischen Poliklinik hin wurde sie im Jahre 1920 in ihrem, des Vaters<br />

786 Vgl. Baker Brown 1865, Curability<br />

787 Szasz 1974, Fabrikation, S. 266, S. 416; Duffy 1963, Masturbation<br />

788 Frank 1925, Erfahrungen, S. 19 f.<br />

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