OUTLET - ASC Theresianum Mainz
OUTLET - ASC Theresianum Mainz
OUTLET - ASC Theresianum Mainz
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
44 sports & science<br />
Physik fur Turnsch<br />
Sie waren wirklich nicht beim Babyschwimmen?<br />
Na ja, Ihrem Kind hat es wohl nicht geschadet. Es<br />
gibt sicher den einen oder anderen Nobelpreisträger,<br />
der auch nicht daran teilnehmen konnte.<br />
Wenn Sie wenigstens bei der musikalischen<br />
Früherziehung waren, hat Ihr Kind ja immerhin<br />
noch Chancen …<br />
Im Ernst: Ich bin die Letzte, die den Wert motorischer Aktivität<br />
im frühen Kindesalter klein reden möchte. Begreifen hängt<br />
mit Greifen zusammen, sagt man gern, und wenn Kindern<br />
Grunderfahrungen im motorischen Bereich fehlen, braucht es<br />
tatsächlich ausgeklügelte Programme, um dieses Defizit zu<br />
kompensieren. Im Normalfall sollte es aber ausreichen, das<br />
Bewegungsbedürfnis der Kinder nicht einzuschränken, und<br />
genau deshalb muss man gegeneinander abwägen, ob es<br />
nicht besser ist, ein Kind eine halbe Stunde länger strampeln,<br />
krabbeln oder sich rollen zu lassen, als es im Autositz festzuschnallen,<br />
um es zu diversen Kursen zu kutschieren. Die<br />
Erweiterung ihres Bewegungsspielraums macht Kinder stolz<br />
und glücklich. Das erfahren alle Eltern, und die Fotos im Familienalbum<br />
erzählen von den gefeierten Fortschritten.<br />
Mit dem von Befürwortern des Babyschwimmens propagierten<br />
Einfluss sportmotorischer Übung auf die Intelligenz hat<br />
man sich allerdings auf glattes Eis begeben, denn schon von<br />
der Definition her ist die Intelligenz eine relativ stabile Persönlichkeitsvariable.<br />
Sie beschreibt die Fähigkeit des Erkennens,<br />
Denkens und Handelns, die unabhängig von bereits bewältigten<br />
Lerninhalten eine Prognose späterer Leistung oder<br />
Leistungseinschränkung bieten soll. Damit ist es fast ein Widerspruch<br />
in sich selbst, hier mit einem überschaubaren Lernprogramm<br />
grundsätzliche Veränderungen bewirken zu wollen.<br />
Wenn man eine solche Hypothese prüfen will, müssen nach<br />
dem Zufallsprinzip Versuchsgruppen und Kontrollgruppen gebildet<br />
werden, die es ermöglichen, den Einfluss des angewendeten<br />
Programms von der innerhalb des Versuchszeitraums<br />
stattfindenden spontanen Entwicklung abzugrenzen. Und es<br />
müssen Testverfahren eingesetzt werden, die „die Intelligenz“<br />
oder zumindest einige ihrer Faktoren messen können. Das<br />
müssen sie so zuverlässig tun, dass bei einer Wiederholung<br />
dasselbe Ergebnis herauskommt. Und es muss für das Testverfahren<br />
eine langfristige Studie existieren, die eine signifikante<br />
Korrelation zu standardisierten Intelligenztest belegt und<br />
somit den Test als geeignetes Instrument für eine Prognose<br />
ausweist. Wenn ich also feststelle, dass Säuglinge lebhafter<br />
lallen als andere, bedeutet das noch lange nicht, dass sie als<br />
Erwachsene die intelligenteren Menschen sein werden.<br />
Eine nach diesen Kriterien sehr saubere Studie habe ich gefunden:<br />
Julia Ellen Eason 1 (1972) hat für ihre Dissertation 36 Kin-<br />
der zwischen 4 und<br />
6 Jahren nach dem<br />
Zufallsprinzip in drei<br />
Gruppen eingeteilt,<br />
von denen eine<br />
sechs Wochen lang<br />
jeden zweiten Tag<br />
für 30 Minuten an<br />
einem Schwimmprogramm<br />
teilnahm,<br />
eine zweite Gruppe<br />
ein Sportprogramm<br />
auf dem<br />
Trockenen absolvierte,<br />
während<br />
die dritte Gruppe<br />
Gelegenheit zu freiem<br />
Spiel hatte. Die<br />
Kinder aller drei Gruppen wurden vorher und nachher auf bestimmte<br />
Fähigkeiten des Wortverständnisses, des Umgangs<br />
mit Zahlen, der Wahrnehmungsgeschwindigkeit und des<br />
räumlichen Beziehungserkennens getestet. Das verblüffende<br />
Ergebnis: Alle Kinder haben sich deutlich verbessert.<br />
„Feuer-Wasser-Erde“ tut’s auch<br />
Spaß hat das Babyschwimmen trotzdem gemacht, den Kindern<br />
wie den Eltern hoffentlich. Vielleicht haben die Kinder<br />
auch früher Schwimmen gelernt, zumindest wenn es den<br />
Eltern gelungen ist, ohne größere Pausen mehrere Kurse<br />
durchzuziehen. Und ein Gutes hat der Baby-Schwimm-Boom<br />
in jedem Fall: Das vorher noch stark wirksame Vorurteil, dass<br />
ein guter Sportler ein schlechter Schüler sei, ist auf dem Müll<br />
der Geschichte gelandet. Es gibt in jeder Sportart Menschen<br />
mit durchschnittlicher oder auch überdurchschnittlicher Intelligenz.<br />
Es gibt Menschen, die gescheite Interviews geben<br />
können, andere sind oft witziger. Und der im Titel zitierte Kurs<br />
„Physik für Turnschuhe“, den es in amerikanischen Colleges<br />
geben könnte, ist nicht im Niveau gesenkt, sondern hinsichtlich<br />
der Uhrzeit den Erfordernissen der Athleten angepasst<br />
– Ausnahmen mag es hier und da geben.<br />
Eltern, deren Kinder in leistungsorientierte Mannschaften<br />
berufen werden, machen sich dennoch oft Sorgen um die<br />
Entwicklung der schulischen Leistung, die ihrerseits wieder<br />
Voraussetzung der beruflichen Karriere ist. Leider fällt der<br />
Auftakt der sportlichen Karriere zusätzlich in das schwierigste<br />
Alter der Schüler: Ausgerechnet in der 9. und 10. Klasse,<br />
wenn die Schüler mit den meisten Schulstunden und den<br />
meisten Fächern beglückt werden sollen und dieses Glück