Von der Textilfabrik zur „Denkfabrik“: - NINO SEG
Von der Textilfabrik zur „Denkfabrik“: - NINO SEG
Von der Textilfabrik zur „Denkfabrik“: - NINO SEG
- TAGS
- textilfabrik
- nino
- nino-seg.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Wenn das „Kompetenzzentrum Wirtschaft“<br />
im ehemaligen Spinnerei-Hochbau<br />
von Niehues & Dütting beziehungsweise<br />
<strong>der</strong> Nino AG in Nordhorn <strong>zur</strong> Jahresmitte<br />
eröffnet wird, dann ist dieses<br />
Gebäude als letztes Industriedenkmal eines<br />
ehemals in Westeuropa führenden<br />
Textilunternehmens umgenutzt. Damit<br />
gehört <strong>der</strong> 1928/29 errichtete Spinnerei-<br />
Hochbau (Abb. 1) mit einem 1921/22 erstellten<br />
Rohgewebelager und mit einer<br />
1921/23 gebauten Verwaltung weiterhin<br />
zu einem Ensemble von Industriedenkmalen,<br />
die sowohl das ehemalige Fabrikgelände<br />
von Niehues & Dütting als auch<br />
das Stadtbild Nordhorns prägten und<br />
auch zukünftig bestimmen werden.<br />
Nachdem 1996 die letzten Abteilungen<br />
<strong>der</strong> Nino AG geschlossen werden<br />
mussten, war 1999 ein etwa 12 ha großer<br />
Teil von <strong>der</strong>en Firmenareal in das Eigentum<br />
<strong>der</strong> Nino Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaft<br />
mbH übergegangen.<br />
Die Sanierungsgesellschaft strebte<br />
den Erhalt zumindest <strong>der</strong> drei genannten,<br />
vom Stuttgarter Architekturbüro<br />
Manz entworfenen Gebäude an. So war<br />
das 1921/22 gebaute Rohgewebelager<br />
in zwei Etappen 2002/04 umgenutzt<br />
worden, um die Volkshochschule <strong>der</strong><br />
Grafschaft Bentheim sowie Schulräume<br />
aufzunehmen. Die 1921/23 entstandene<br />
Verwaltung konnte bald darauf,<br />
2005/07, mo<strong>der</strong>nisiert werden.<br />
Da bis 2006 fast alle ehemaligen eingeschossigen<br />
Produktionsstätten von<br />
Niehues & Dütting abgetragen worden<br />
waren, musste für die weitere Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Industriebrache zwingend geklärt<br />
werden, ob <strong>der</strong> fünfgeschossige<br />
Spinnerei-Hochbau erhalten werden<br />
kann. Nach einem 2002 prämierten<br />
Wettbewerbsentwurf <strong>der</strong> Berliner Architektin<br />
Christine Edmaier sollten auf dem<br />
innerstädtischen Areal zunächst überwiegend<br />
Wohnhäuser entstehen, um die Industriebrache<br />
in die umgebenden Wohngebiete<br />
zu integrieren. Als jedoch <strong>der</strong> Erhalt<br />
des monumentalen Spinnerei-Hochbaus<br />
gesichert war, hatte man das städtebauliche<br />
Sanierungskonzept geän<strong>der</strong>t:<br />
So soll das frühere Firmenareal von Niehues<br />
& Dütting zukünftig mit Unternehmen<br />
besiedelt werden, die das „Kompetenzzentrum<br />
Wirtschaft“ im ehemaligen<br />
Spinnerei-Hochbau ergänzen. Die Umnutzung<br />
dieses Industriedenkmals stellt<br />
dadurch den Wendepunkt in <strong>der</strong> Revitalisierung<br />
<strong>der</strong> Industriebrache dar.<br />
Doch nicht nur die Bemühungen um<br />
den Erhalt des ehemaligen Spinnerei-<br />
Hochbaus von Niehues & Dütting währ-<br />
ten mehrere Jahre, son<strong>der</strong>n auch die Planung<br />
dieser <strong>Textilfabrik</strong> in den 1920er<br />
Jahren. Denn das Architekturbüro von<br />
Philipp Jakob Manz (1861–1936) musste<br />
mehrere Entwürfe für das Gebäude anfertigen.<br />
Enge Geschäftsbeziehungen<br />
von Philipp Jakob Manz <strong>zur</strong> süddeutschen<br />
Textilindustrie vermittelten ihm<br />
Kontakte zu Textilunternehmen in Norddeutschland.<br />
Für Niehues & Dütting in<br />
Nordhorn hatte das Büro von Manz an<br />
Planungen von Fabrik-, Verwaltungs- und<br />
Wohngebäuden von 1907 bis 1938 mitgewirkt:<br />
Außer den drei bereits genannten<br />
Gebäuden waren von Manz 1913<br />
zehn Doppelwohnhäuser für Textilarbei-<br />
ter, ein Kessel- und Maschinenhaus in<br />
zwei Bauabschnitten 1908 und 1935,<br />
1909 ein Pförtnerhaus sowie bereits ab<br />
1907 unter an<strong>der</strong>em Webereien, Spinnereien<br />
und ein Kontor als eingeschossige<br />
Shed-Hallen entworfen worden.<br />
Eine erste Planung von Philipp Jakob<br />
Manz für eine mehrgeschossige Spinnerei<br />
für Niehues & Dütting stammt vom<br />
Dezember 1924. Hierin war ein an<strong>der</strong>er<br />
als <strong>der</strong> letztendlich ausgewählte Bauplatz<br />
vorgesehen worden. Dieser Entwurf von<br />
Manz für die Spinnerei beinhaltete ein<br />
Gebäude, welches nicht nur in seiner<br />
Dimension, son<strong>der</strong>n auch in seiner Kons -<br />
truktion und in seiner Gestalt dem<br />
Industriedenkmalpflege<br />
<strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Textilfabrik</strong> <strong>zur</strong> <strong>„Denkfabrik“</strong>:<br />
Gelungene Umnutzung einer Spinnerei von Nordhorner Textilunternehmen<br />
1921/22 errichteten Rohgewebelager nahezu<br />
entsprach: Die Spinnerei wollte<br />
Manz mit vier Etagen errichten lassen,<br />
von denen die oberste als Dachgeschoss<br />
in mächtige Mansard-Walmdächer einbezogen<br />
werden sollte (Abb. 2). Um einen<br />
typisch kubisch-klassizistischen Baukörper<br />
mit betonten Dachkörpern schaffen<br />
zu können, wollte Manz sowohl die interne<br />
Erschließung über Treppen und Aufzüge<br />
als auch die Sanitärräume entgegen<br />
dem damals üblichen Entwurfsschema<br />
<strong>der</strong> ‚Lancashire-Mill’ in diesen Baukörper<br />
integrieren. Umgesetzt hatten<br />
Niehues & Dütting diese Planung für eine<br />
mehrgeschossige Spinnerei jedoch nie.<br />
1 Spinnerei-Hochbau von Niehues & Dütting von <strong>der</strong> Turmstraße aus; um 1950.<br />
Indessen war 1925 für die Buntweberei<br />
Sulz am Neckar nach einem Entwurf aus<br />
dem Architekturbüro von Philipp Jakob<br />
Manz eine dreigeschossige Spinnerei mit<br />
einem ebenfalls kompakten Baukörper<br />
entstanden. Der hatte jedoch ein Flachdach<br />
erhalten, um darauf später eine<br />
weitere Etage errichten zu können, und<br />
die blockhafte Spinnerei überragten ein<br />
Sprinkler- und ein Staubturm. Im Innern<br />
lehnte sich die Glie<strong>der</strong>ung dieser Spinnerei<br />
wie<strong>der</strong> an die bewährte <strong>der</strong> ‚Lancashire-Mills’<br />
an. Außer den Produktionssälen<br />
hatte man jedoch Lager und Räume für<br />
die Verwaltung in diesem Gebäude vorgesehen.<br />
Die Spinnerei sollte trotz ihrer<br />
2/2010 Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen | 65
Industriedenkmalpflege<br />
Gebäudetiefe einheitliche Lichtverhältnisse<br />
und ein gleichmäßiges Raumklima<br />
im Innern zulassen. Neu war, dass <strong>der</strong><br />
Entwurf aus dem Architekturbüro Manz<br />
einen multifunktionellen Bautyp mit Produktions-,<br />
Verwaltungs- und Lagerfunktionen<br />
beinhaltete.<br />
In dieser Zeit war mit dem Generationswechsel<br />
von Philipp Jakob Manz zu<br />
seinem Sohn Max Manz (1896–1968) eine<br />
Hinwendung zum „Neuen Bauen“ in<br />
<strong>der</strong> Entwurfspraxis des Architekturbüros<br />
einhergegangen. Nach dem Vorbild <strong>der</strong><br />
Spinnerei in Sulz hatte das Architekturbüro<br />
Manz weiter entwickelte Entwürfe<br />
für solche Spinnereien gleichzeitig mehreren<br />
Interessenten im Münsterland angeboten.<br />
Infolgedessen waren 1928 in<br />
Rheine für Dyckhoff & Stoeveken die<br />
dreigeschossige Ringspinnerei sowie in<br />
Greven für J. Schrün<strong>der</strong> & Söhne ein viergeschossiger<br />
Spinnerei-Hochbau entstanden.<br />
Außerdem hatten H. & J. Huesker<br />
Co. aus dem westfälischen Gescher im<br />
benachbarten Vreden in diesem Jahr eine<br />
mehrgeschossige Spinnerei offenbar<br />
nach einem Entwurf aus dem Büro Manz<br />
errichten lassen. In Nordhorn hatte man<br />
schließlich eine noch größere Spinnerei<br />
nach Plänen aus dem Büro von Philipp<br />
Jakob Manz errichtet: Ebenfalls 1928<br />
war im Werk II von L. Povel Co. ein fünfgeschossiger<br />
Spinnerei-Hochbau ent -<br />
standen.<br />
Alle diese Spinnereien zeichneten Produktionssäle<br />
jeweils über nahezu quadratischen<br />
Grundrissen in mehreren Etagen<br />
übereinan<strong>der</strong> aus, welche an den Ecken<br />
o<strong>der</strong> an den Seiten Treppen-, Staub- o<strong>der</strong><br />
Sprinklertürme flankierten o<strong>der</strong> überragten.<br />
Im Innern hatte man die Spinnereien<br />
mit Produktions- und Nebenräumen <strong>der</strong>art<br />
geglie<strong>der</strong>t, dass die Produktionssäle<br />
erweitert werden konnten. Das war allerdings<br />
nur an <strong>der</strong> Ringspinnerei von Dyckhoff<br />
& Stoeveken in Rheine durchgeführt<br />
worden, die 1936 um die Hälfte vergrößert<br />
worden war.<br />
Vergleichbar mit diesen Planungen<br />
war <strong>der</strong> zweite Entwurf aus dem Architekturbüro<br />
Manz für eine mehrgeschossige<br />
Spinnerei von Niehues & Dütting vom<br />
Dezember 1926, für dessen Umsetzung<br />
am 13.07.1927 eine Baugenehmigung erteilt<br />
worden war. Als Bauplatz für ihren<br />
Spinnerei-Hochbau hatten Niehues &<br />
Dütting nach dieser Planung den heutigen<br />
Standort ausgewählt. Der lag damals<br />
im äußersten Süd-Osten des Firmenareals<br />
zwischen <strong>der</strong> ab 1907 errichteten<br />
eingeschossigen Spinnerei und <strong>der</strong> Friedrichstraße<br />
westlich <strong>der</strong> Turmstraße.<br />
Nach dem Entwurf vom Dezember<br />
1926 sollte <strong>der</strong> Spinnerei-Hochbau mit<br />
kubischen Baukörpern an <strong>der</strong> Turmstraße<br />
eine maximale Nord-Süd-Ausdehnung<br />
von 108,72 m (Abb. 3) und eine Tiefe<br />
66 | 2/2010 Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
von dieser Straße von bis zu 55,66 m erhalten.<br />
Den fünfgeschossigen Baukörper<br />
für die Arbeitssäle wollte man mit einem<br />
zweigeschossigen Anbau gegenüber <strong>der</strong><br />
Turmstraße beziehungsweise an einer<br />
internen Werkstraße ergänzen (Abb. 4).<br />
Ferner hätte an <strong>der</strong> nord-östlichen Gebäudeecke<br />
ein 39,40 m hoher Turm mit<br />
Treppen, Aborten und mit einem Wasserbassin<br />
den 29,70 m hohen Hauptbaukörper<br />
überragt. Diagonal gegenüber dem<br />
Wasserturm sollte ein Staubturm außerdem<br />
Toiletten sowie Aufzüge enthalten.<br />
Ein zweites Treppenhaus hatten die Planungen<br />
an <strong>der</strong> südlichen Schmalseite<br />
gegenüber dem Staubturm vorgesehen.<br />
Um die Wege kurz zu halten, sollte an<br />
<strong>der</strong> Westseite des Hauptbaukörpers in<br />
<strong>der</strong> Mitte ein drittes Treppenhaus angefügt<br />
werden. Entsprechend <strong>der</strong> abgestuften<br />
Baukörper wollte man dieses Treppenhaus<br />
ebenso versetzt anordnen.<br />
Dieser Entwurf für den Spinnerei-<br />
Hochbau von Niehues & Dütting war bei<br />
den Genehmigungsbehörden zunächst<br />
starken Bedenken begegnet, weil die zulässige<br />
Höhe von 10,00 m an <strong>der</strong> Turmund<br />
an <strong>der</strong> Friedrichstraße erheblich<br />
überschritten worden wäre. Man befürchtete,<br />
dass die benachbarte Bebauung<br />
in <strong>der</strong> Belichtung und Belüftung beeinträchtigt<br />
werden könnte. Letztendlich<br />
war jedoch mit Bescheid vom 13.07.1927<br />
die Errichtung des Spinnerei-Hochbaus<br />
von Niehues & Dütting nach <strong>der</strong> Planung<br />
vom Dezember 1926 mit mehreren Befreiungen<br />
und Auflagen genehmigt worden:<br />
Danach musste südlich <strong>der</strong> Friedrichstraße<br />
und östlich <strong>der</strong> Turmstraße<br />
jeweils ein Streifen unbebaut bleiben,<br />
welcher genauso breit wie <strong>der</strong> Spinnerei-<br />
Hochbau hoch – abzüglich <strong>der</strong> Straßenbreite<br />
– sein sollte. Diese Auflage erschien<br />
umsetzbar, da die meisten <strong>der</strong><br />
betroffenen Grundstücke im Besitz von<br />
Niehues & Dütting waren.<br />
Indessen hatten Niehues & Dütting<br />
einen an<strong>der</strong>en Entwurf für den Spinnerei-Hochbau<br />
vom Februar 1928 aus dem<br />
Architekturbüro Manz umsetzen lassen,<br />
welcher mit einem Nachtrag am<br />
12.12.1928 genehmigt worden war.<br />
Doch schon früher hatte man mit dem<br />
Bau begonnen: Denn bereits im April<br />
1928 war <strong>der</strong> Grundstein für das Gebäude<br />
gelegt und am 18.01.1929 dessen<br />
Rohbau abgenommen, so dass Anfang<br />
1929 die Produktion an 50.000 Spindeln<br />
aufgenommen werden konnte.<br />
Nach dem Entwurf von 1928 war <strong>der</strong><br />
Spinnerei-Hochbau von Niehues & Dütting<br />
mit einem größeren Abstand <strong>zur</strong><br />
Friedrichstraße als nach <strong>der</strong> Planung von<br />
1926 errichtet worden, und außerdem<br />
hatte man den zweigeschossigen Anbau<br />
an <strong>der</strong> Turmstraße platziert. Möglicherweise<br />
um die zukünftige Nutzung <strong>der</strong><br />
2 Fassade an <strong>der</strong> Weberei, Entwurf von 1924.<br />
3 Fassade an <strong>der</strong> Turmstraße, Entwurf von 1926.<br />
6 Querschnitte, Entwurf von 1928.<br />
7 Grundriss des Erdgeschosses, Entwurf von 1928<br />
Alle Abbildungen im Maßstab1:750.
.<br />
26.<br />
1928.<br />
4 Querschnitte,<br />
Entwurf<br />
von 1926.<br />
5 Fassade an <strong>der</strong><br />
Turmstraße,<br />
Entwurf von 1928.<br />
Industriedenkmalpflege<br />
2/2010 Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen | 67
Industriedenkmalpflege<br />
eigenen Grundstücke nicht zu stark einzuschränken,<br />
waren Niehues & Dütting<br />
bei <strong>der</strong> Errichtung des Spinnerei-Hochbaus<br />
letztendlich doch auf die Bedenken<br />
<strong>der</strong> Genehmigungsbehörden eingegangen,<br />
obwohl die Planung von 1926 genehmigt<br />
worden war.<br />
Nach dem Entwurf von 1928 hatte<br />
<strong>der</strong> Hochbau eine maximale Nord-Süd-<br />
Ausdehnung von lediglich 62,37 m (Abb.<br />
5) und eine Gebäudetiefe von <strong>der</strong> östlich<br />
angrenzenden Turmstraße von bis zu<br />
55,66 m erhalten. Vergleichbar wie bei<br />
den an<strong>der</strong>en in den Jahren 1927/28 entstandenen<br />
Spinnereien nach Entwürfen<br />
aus dem Büro Manz war jedoch vorgesehen,<br />
den Spinnerei-Hochbau von Niehues<br />
& Dütting später vergrößern zu können:<br />
Auf einer Fläche von 48,26 x 41,50 m<br />
wollte man den Spinnerei-Hochbau bis<br />
<strong>zur</strong> Friedrichstraße gegebenenfalls erweitern,<br />
so dass das Fabrikgebäude eine<br />
gleichgroße Grundfläche wie nach <strong>der</strong><br />
Planung von 1926 besessen hätte.<br />
Den 29,20 m hohen Hauptbaukörper<br />
des errichteten Spinnerei-Hochbaus bilden<br />
die Arbeitssäle in fünf Vollgeschossen,<br />
welchen <strong>der</strong> zweigeschossige Anbau<br />
an <strong>der</strong> Turmstraße vorgelegt ist<br />
(Abb. 6). Die ergänzen drei Türme: Der<br />
im Nord-Westen war zunächst <strong>der</strong> Staubturm,<br />
und die beiden an<strong>der</strong>en nehmen<br />
Treppen und Aborte auf. Zusätzlich beherbergte<br />
<strong>der</strong> 40,90 m hohe Turm an <strong>der</strong><br />
nordöstlichen Gebäudeecke das Wasserbassin<br />
für die Sprinkleranlage.<br />
Vergleichbar wie am wohl ebenso<br />
vom Büro Manz geplanten Spinnerei-<br />
Hochbau in Vreden und wie beim Entwurf<br />
von 1926 glie<strong>der</strong>n die Fassaden des<br />
Spinnerei-Hochbaus von Niehues & Dütting<br />
nach <strong>der</strong> Planung von 1928 Fensterpfeiler<br />
mit jeweils dreieckigem Querschnitt,<br />
welche an den Gebäude- bezie-<br />
68 | 2/2010 Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
hungsweise an den Turmecken diagonal<br />
angeordnete strebepfeilerartige Ecklisenen<br />
ergänzen. Zwischen diesen expressionistisch-gotisierenden<br />
Vorlagen waren<br />
die Spinnsäle mit fast geschosshohen<br />
Fenstern in liegenden Formaten ausgestattet<br />
worden.<br />
Nach dem Entwurf von 1928 hatte<br />
<strong>der</strong> Spinnerei-Hochbau von Niehues &<br />
Dütting ein Skelett aus Eisenbeton in Verbindung<br />
mit Ziegelmauerwerk erhalten.<br />
Hierbei war das Achsraster des Entwurfs<br />
von 1926 exakt übernommen worden,<br />
da offenkundig die Spinnmaschinen für<br />
diese <strong>Textilfabrik</strong> schon bestellt waren.<br />
Indessen hatte man die südliche Fassade<br />
nach dem Entwurf von 1928 als nicht tragend<br />
ausgeführt, um das Fabrikgebäude<br />
ohne Eingriff in das Tragwerk nach Süden<br />
erweitern zu können.<br />
Ebenfalls <strong>der</strong> Option, den Spinnerei-<br />
Hochbau gegebenenfalls zu vergrößern,<br />
hatte man die Aufteilung im Innern<br />
untergeordnet: So befanden sich an <strong>der</strong><br />
Nordseite des Gebäudes Transformatorenräume,<br />
Meisterzimmer und Gar<strong>der</strong>oben,<br />
um die Arbeits- beziehungsweise<br />
Spinnsäle gegenüber nach Süden ausdehnen<br />
zu können (Abb. 7). Im Untergeschoss<br />
war im Westen neben dem Staubturm<br />
<strong>der</strong> Staubkeller sowie östlich davon<br />
ein großes Garnlager angeordnet. Das<br />
Erdgeschoss beherbergte den Batteur<br />
und Mischfächer; jeweils südlich davon<br />
hatte man einen Raum, um Baumwollballen<br />
zu öffnen, und ein Baumwolllager<br />
durch Mauern abgetrennt. In den Ebenen<br />
darüber waren jeweils die Arbeitso<strong>der</strong><br />
Spinnsäle untergebracht, so dass<br />
<strong>der</strong> Produktionsgang jeweils von unten<br />
nach oben verlief.<br />
Mit dieser Aufteilung im Innern war<br />
<strong>der</strong> letztendlich errichtete Spinnerei-<br />
Hochbau von Niehues & Dütting – ähn-<br />
lich wie die an<strong>der</strong>en am Ende <strong>der</strong> 1920er<br />
Jahre nach Plänen aus dem Büro Manz<br />
entstandenen Spinnereien im Münsterland<br />
– ein Lager- und Produktionsgebäude,<br />
welches verschiedene Nutzungen in<br />
einem kompakten Baukörper vereinigte<br />
und sich nach außen nicht mehr als Spinnerei<br />
zu erkennen gab.<br />
Hatte man bei den ersten dieser Spinnereien<br />
im Münsterland die überkommene<br />
Baukörper- und Binnenglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
‚Lancashire-Mills’ noch übernommen, so<br />
war man davon sowohl beim Werk II für<br />
L. Povel & Co. als auch beim Spinnerei-<br />
Hochbau von Niehues & Dütting abgewichen.<br />
Vergleichbar wie das Produktionsgebäude<br />
im Werk II von L. Povel & Co.<br />
war <strong>der</strong> nach dem Entwurf vom Februar<br />
1928 errichtete Spinnerei-Hochbau von<br />
Niehues & Dütting nach den vielen Planungsschritten<br />
<strong>der</strong> Endpunkt in einer langen<br />
Entwicklungskette solcher <strong>Textilfabrik</strong>en<br />
und begründet architekturgeschichtlich<br />
seine Denkmaleigenschaft. Die wird<br />
aus städtebaulichen Gründen durch den<br />
imposanten Baukörper <strong>der</strong> Fabrik einschließlich<br />
des Turms im Nord-Osten verstärkt.<br />
Um den Erhalt dieses bedeutenden Industriedenkmals<br />
zu gewährleisten, hatte<br />
im Jahr 2000 eine an <strong>der</strong> Nino Sanierungs-<br />
und Entwicklungsgesellschaft<br />
mbH beteiligte Investorengruppe den<br />
Spinnerei-Hochbau erworben. Die wollte<br />
in <strong>der</strong> ehemaligen <strong>Textilfabrik</strong> ein Call-<br />
Center einrichten. Nachdem dieser Versuch<br />
und weitere Anstrengungen <strong>zur</strong><br />
Umnutzung des Spinnerei-Hochbaus gescheitert<br />
waren, hatte man ihn 2004 in<br />
das Treuhandvermögen <strong>der</strong> Nino Sanierungs-<br />
und Entwicklungsgesellschaft<br />
mbH überführt.<br />
Trotz <strong>der</strong> erfolglosen Bemühungen<br />
um den Erhalt des Hochbaus erschien<br />
seine weitere Nutzung möglich. Beispielsweise<br />
war es privaten Investoren gelungen,<br />
die 1928 ebenso nach dem Entwurf<br />
aus dem Büro Manz errichtete viergeschossige<br />
Spinnerei von J. Schrün<strong>der</strong> &<br />
Söhne in Greven umzunutzen. In diese<br />
frühere <strong>Textilfabrik</strong> waren 2003/04 Büros<br />
und Loftwohnungen eingebaut worden.<br />
Temporäre Zwischennutzungen des<br />
ehemaligen Spinnerei-Hochbaus von Niehues<br />
& Dütting belegten dessen Poten zi -<br />
al für eine Umnutzung: So konnte die<br />
Son<strong>der</strong>ausstellung „Nino – <strong>der</strong> Stoff, aus<br />
dem die Mode war. Industrie- und Modefotografien“,<br />
die 2006 unter <strong>der</strong> Schirmherrschaft<br />
des nie<strong>der</strong>sächsischen Ministerpräsidenten<br />
Christian Wulff Arbeiten<br />
von Helmut Newton, Charles Wilp o<strong>der</strong><br />
F. C. Gundlach aus einer Sammlung <strong>der</strong><br />
Nino AG in diesem Industriedenkmal präsentiert<br />
hatte, 4.500 Besucher anziehen.<br />
Um Konzepte für eine Umnutzung<br />
des Spinnerei-Hochbaus zu entwickeln,
war 2004/05 ein beschränkter Ideenwettbewerb<br />
ausgelobt worden. Insgesamt<br />
sechs Architektur- und Ingenieurbüros,<br />
welche Erfahrungen in <strong>der</strong> Umnutzung<br />
vergleichbarer Industriedenkmale<br />
aufweisen konnten, hatten Konzepte für<br />
eine neue Nutzung <strong>der</strong> ehemaligen <strong>Textilfabrik</strong><br />
vorgelegt. Die meisten Wettbewerbsbeiträge<br />
verzichteten auf große<br />
Än<strong>der</strong>ungen am Äußeren des Gebäudes;<br />
zwei Entwürfe sahen Anbauten o<strong>der</strong> die<br />
Ergänzung eines vierten Turms vor. Hingegen<br />
schlugen viele Planungen den Einbau<br />
von kleineren o<strong>der</strong> größeren Innenhöfen<br />
<strong>zur</strong> besseren Belichtung <strong>der</strong> tiefen<br />
Innenräume vor.<br />
Nach diesem Ideenwettbewerb hatte<br />
sich die Investorengemeinschaft Lindschulte<br />
& Veddeler GbR gebildet, um eines<br />
<strong>der</strong> Konzepte in privater Initiative für<br />
eine Umnutzung des Spinnerei-Hochbaus<br />
in das „Kompetenzzentrum Wirtschaft“<br />
weiterzuentwickeln. <strong>Von</strong> den Wettbewerbsarbeiten<br />
diente <strong>der</strong> Entwurf <strong>der</strong><br />
Kresing Architekten als Grundlage weiterer<br />
Planungen. Hierfür hatte man die Planungsgemeinschaft<br />
Kresing & Lindschulte<br />
gegründet. Zur Verwirklichung des<br />
„Kompetenzzentrums Wirtschaft“ war<br />
die Nino-Hochbau GmbH & Co KG entstanden,<br />
in <strong>der</strong>en Eigentum <strong>der</strong> Spinnerei-Hochbau<br />
übergegangen war.<br />
Das Ziel, die Umnutzung des Spinnerei-Hochbaus<br />
zum „Kompetenzzentrum<br />
Wirtschaft“ weitgehend privat zu finanzieren,<br />
erwies sich zunächst als zu ehrgeizig,<br />
so dass sich <strong>der</strong> Baubeginn verzögerte.<br />
Nachdem jedoch die Finanzierung<br />
<strong>der</strong> Umnutzung mit Kosten in Höhe von<br />
zunächst 25 Mio. Euro aus öffentlichen<br />
und aus privaten Mitteln gesichert war,<br />
konnte 2009 mit dem Umbau <strong>der</strong> ehemaligen<br />
<strong>Textilfabrik</strong> begonnen werden.<br />
Zur Finanzierung dieser Baumaßnahme<br />
konnten die Investorengemeinschaft<br />
und <strong>der</strong>en Partner 19 Mio. Euro bereitstellen,<br />
insbeson<strong>der</strong>e nachdem eine ortsansässige<br />
Bank nicht nur als Nutzer aufgetreten,<br />
son<strong>der</strong>n in die Projektgesellschaft<br />
eingetreten war. Die unrentierlichen<br />
Kosten in Höhe von 6 Mio. Euro<br />
trug unterdessen die öffentliche Hand.<br />
Über den Europäischen Fond für regionale<br />
Entwicklung ließen sich 3 Mio. Euro<br />
<strong>der</strong> Umbaukosten finanzieren. Weitere<br />
3 Mio. Euro konnten aus Städtebauför<strong>der</strong>mitteln<br />
rekrutiert werden, da sich <strong>der</strong><br />
Spinnerei-Hochbau in einem 2001 förmlich<br />
ausgewiesenen Sanierungsgebiet befindet.<br />
<strong>Von</strong> diesen Zuwendungen hatten <strong>der</strong><br />
Bund und das Land Nie<strong>der</strong>sachsen jeweils<br />
1 Mio. Euro sowie <strong>der</strong> Landkreis<br />
Grafschaft Bentheim und die Stadt Nordhorn<br />
als Haupteigentümer <strong>der</strong> Nino Sanierungs-<br />
und Entwicklungsgesellschaft<br />
jeweils 500.000 Euro übernommen.<br />
<strong>Von</strong> den Wirtschaftsför<strong>der</strong>ungen des<br />
Landkreises Grafschaft Bentheim und<br />
<strong>der</strong> Stadt Nordhorn, von <strong>der</strong> Wirtschaftsvereinigung<br />
Grafschaft Bentheim e. V.<br />
und vom Nordhorner Stadtmuseum<br />
Povelturm war ein Nutzungskonzept für<br />
das „Kompetenzzentrum Wirtschaft“<br />
entwickelt worden, welches zum ersten<br />
die Ansiedelung wirtschaftsnaher Institutionen<br />
sowie von Banken o<strong>der</strong> Wirtschafts-<br />
und Steuerberatungen <strong>zur</strong> Koordination<br />
regionaler Wirtschaftsprojekte<br />
in dem Gebäude vorsieht. Ferner sollen<br />
die Einrichtungen <strong>zur</strong> Kooperation zwischen<br />
Wirtschaft und<br />
Wissenschaft beitragen.<br />
Zum dritten ist beabsichtigt,<br />
dass wirtschaftsnahe<br />
Dienstleistungen <strong>zur</strong><br />
Vermittlung von Kompetenz<br />
mo<strong>der</strong>nster Technologien<br />
im Bereich Ingenieurswesen,Geoinformatik,<br />
elektronische<br />
Datenverarbeitung und<br />
Grafik Design beitragen.<br />
Hierfür soll eine Glasfaseranbindung<br />
einen zukunftsorientiertenZugang<br />
zum World Wide<br />
Web bieten und den<br />
Aufbau eines Geoinformationszentrums<br />
ermöglichen.<br />
Diese Einrichtungen werden schließlich<br />
ein Kongresszentrum mit Seminarräumen,<br />
eine Gastronomie sowie eine<br />
Dependance des Stadtmuseums Povelturm<br />
ergänzen. In <strong>der</strong> sollen Arbeiten<br />
aus dem Nino-Werbearchiv präsentiert<br />
werden, welches <strong>der</strong> Konkursverwalter<br />
<strong>der</strong> Nino AG als Dauerleihgabe dem<br />
Stadtmuseum Povelturm <strong>zur</strong> Verfügung<br />
gestellt hatte. Die Sammlung enthält<br />
90.000 Industrie- und Werbefotografien<br />
beispielsweise von Helmut Newton,<br />
Charles Wilp o<strong>der</strong> F. C. Gundlach aus <strong>der</strong><br />
Zeit zwischen 1955 und 1990 und dokumentiert<br />
die textile Industriekultur Nordhorns.<br />
Dieses Nutzungskonzept hatte eine<br />
breite Akzeptanz des Projektes <strong>zur</strong> Umnutzung<br />
des ehemaligen Spinnerei-Hochbaus<br />
von Niehues & Dütting weit über<br />
die Denkmalpflege hinaus geschaffen.<br />
Denn die aufeinan<strong>der</strong> abgestimmte Nutzungsvielfalt<br />
kann Synergien im Innern<br />
bewirken und nach Außen die Attraktivität<br />
des „Kompetenzzentrums Wirtschaft“<br />
steigern.<br />
Der Entwurf <strong>der</strong> Planungsgemeinschaft<br />
Kresing & Lindschulte beinhaltet,<br />
den ehemaligen Spinnerei-Hochbau von<br />
Niehues & Dütting außen von späteren<br />
Zutaten zu befreien, so dass das „Kompetenzzentrum<br />
Wirtschaft“ <strong>der</strong> ursprünglichen<br />
Erscheinung dieser Textil -<br />
fabrik nahe kommt (Abb. 8). Der vorhan-<br />
Industriedenkmalpflege<br />
dene Außenputz wurde soweit als möglich<br />
erhalten und war an schadhaften<br />
Stellen durch einen Gewebeputz ersetzt<br />
worden. An dem hatte man die ursprüngliche<br />
Putzstruktur kopiert sowie<br />
an den Fenster- und Türeinfassungen sowie<br />
an den stilbildenden Vorlagen die<br />
vorhandene Profilierung nachgebildet.<br />
Indessen mussten sämtliche Fensterelemente<br />
gegen Aluminiumglasfenster mit<br />
thermisch getrennten Profilen ausgetauscht<br />
werden. Hierfür konnte eine<br />
Pfosten-Riegel-Fassade mit Sprossen von<br />
lediglich 5 cm Stärke eingesetzt werden,<br />
8 „Kompetenzzentrum Wirtschaft“ von ehemaliger<br />
Werkstraße aus; Entwurf von 2007.<br />
so dass zumindest die ursprüngliche Fassadenstruktur<br />
gewahrt wird.<br />
Vergleichbar wie bei <strong>der</strong> Umnutzung<br />
des ehemaligen Spinnerei-Hochbaus von<br />
J. Schrün<strong>der</strong> & Söhne in Greven war<br />
beim Umbau <strong>der</strong> früheren Nordhorner<br />
<strong>Textilfabrik</strong> ein zentraler Innenhof eingefügt<br />
worden. Im „Kompetenzzentrum<br />
Wirtschaft“ ist dieser als ringsum verglaste<br />
Halle mit einem gläsernen Dach ausgebildet,<br />
welche mit ihrer Grundfläche<br />
von etwa 500 qm und mit ihrer Höhe<br />
von 30 m über alle Vollgeschosse hinweg<br />
reicht (Abb. 9). Nach dem Entwurfskonzept<br />
<strong>der</strong> Planungsgemeinschaft Kresing<br />
& Lindschulte sollte Neues durch Rückbau<br />
entstehen, indem diese Halle im<br />
Zentrum <strong>der</strong> früheren <strong>Textilfabrik</strong> platziert<br />
ist. „Licht“ wollte man als wichtigs -<br />
ten „Baustoff“ <strong>der</strong> Umnutzung einsetzen.<br />
Die außerordentlichen Raumhöhen<br />
in den verschiedenen Etagen ermöglichte<br />
die Einrichtung großzügiger Büros. Deren<br />
Trennwände sind oberhalb einer Höhe<br />
von 3 m vollflächig verglast, so dass<br />
Sichtbeziehungen <strong>zur</strong> zentralen Halle bestehen.<br />
Derart konnte nicht nur das Leitthema<br />
des Entwurfs für den Umbau,<br />
son<strong>der</strong>n auch das <strong>der</strong> ursprünglichen<br />
Planung konsequent umgesetzt werden.<br />
Denn <strong>der</strong> ehemalige Spinnerei-Hochbau<br />
2/2010 Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen | 69
Industriedenkmalpflege<br />
von Niehues & Dütting war wie die an<strong>der</strong>en<br />
vergleichbaren <strong>Textilfabrik</strong>en im<br />
Westmünsterland als „Tageslichtfabrik“<br />
entworfen worden.<br />
Außer <strong>der</strong> Belichtung dient die zentrale<br />
Halle <strong>der</strong> Erschließung des „Kompetenzzentrums<br />
Wirtschaft“, indem an dieser<br />
Flure angeordnet sind. Neben den bereits<br />
vorhandenen Treppenhäusern in<br />
den Türmen ermöglichen je zwei Treppenhäuser<br />
und Aufzüge an <strong>der</strong> Halle die<br />
vertikale Erschließung des „Kompetenzzentrums<br />
Wirtschaft“. Deren Einbau war<br />
erfor<strong>der</strong>lich, um die zulässigen Längen<br />
<strong>der</strong> Fluchtwege einzuhalten.<br />
9 Halle im „Kompetenzzentrum Wirtschaft“;<br />
Entwurf von 2007.<br />
10 Grundriss des Erdgeschosses im „Kompetenzzentrum<br />
Wirtschaft“; Entwurf von 2010;<br />
Abbildungsmaßstab 1:750.<br />
Im Erdgeschoss sind ein großer Saal des<br />
Kongresszentrums im Anschluss an das<br />
großzügige Foyer, daneben das Restaurant,<br />
Bankenfilialen sowie Büros angeordnet<br />
(Abb. 10).<br />
Die Etage darüber beherbergt weitere<br />
Seminarräume des Kongresszentrums<br />
sowie die fast 1.400 qm große Dependance<br />
des Stadtmuseums Povelturm. Ferner<br />
sind in diesem Geschoss und in den<br />
weiteren Etagen Büros individuell nach<br />
den Wünschen <strong>der</strong> Nutzer eingerichtet,<br />
insgesamt auf einer Fläche von etwa<br />
5.600 qm. Lager und an<strong>der</strong>e Nebenräume<br />
befinden sich im Keller. Trotz des Einbaus<br />
des Innenhofs birgt das „Kompetenzzentrum<br />
Wirtschaft“ in den fünf<br />
70 | 2/2010 Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
Vollgeschossen und in einer Zwischenebene<br />
noch knapp 10.000 qm Geschossfläche.<br />
Der Umbau des ehemaligen Spinnerei-<br />
Hochbaus von Niehues & Dütting zum<br />
„Kompetenzzentrum Wirtschaft“ stellte<br />
hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an das Tragwerk<br />
dieser früheren <strong>Textilfabrik</strong>, insbeson<strong>der</strong>e<br />
um den erfor<strong>der</strong>lichen baulichen Brandschutz<br />
zu gewährleisten. Da die ehemalige<br />
Spinnerei bauordnungsrechtlich als<br />
Hochhaus einzustufen ist, musste <strong>der</strong><br />
Nachweis erbracht werden, dass die gesamte<br />
Tragkonstruktion feuerbeständig<br />
ausgebildet ist. Fraglich war, ob die Decken<br />
und Unterzüge des Skeletts aus Eisenbeton<br />
diese Qualität aufweisen.<br />
Um diesen Nachweis zu führen, waren<br />
Bewehrungsstäbe von fünf Proben<br />
abgebrochener Decken von <strong>der</strong> Materialprüfungsanstalt<br />
Braunschweig Zugprüfungen<br />
unterzogen und von <strong>der</strong> LPI Ingenieurgesellschaft<br />
mbH gutachterlich bewertet<br />
worden.<br />
Die Untersuchungen ergaben, dass<br />
die Bewehrungen Handelseisen <strong>der</strong> Festigkeitsklasse<br />
St 37 nach <strong>der</strong> von 1925<br />
bis 1930 gültigen DIN 1045 beziehungsweise<br />
Betonstahl BSt 220/ 340 nach <strong>der</strong><br />
aktuellen Fassung <strong>der</strong> DIN 1045 entsprechen.<br />
Dabei handelt es sich um naturharten<br />
Stahl, dessen Verfestigung durch<br />
Wärme nicht schwindet. Diese Hochtemperatureigenschaft<br />
<strong>der</strong> Armierungen<br />
lässt nach DIN 4102 zu, dass <strong>der</strong>en erfor<strong>der</strong>liche<br />
Betonüberdeckung im Vergleich<br />
zu an<strong>der</strong>en Beton- o<strong>der</strong> Spannstählen<br />
um 7,5 mm reduziert werden darf und<br />
die betonierten Bauteile trotzdem feuerbeständig<br />
ausgebildet sind.<br />
Mit diesem Wissen war von <strong>der</strong> Lindschulte<br />
Ingenieurgesellschaft mbH die<br />
tatsächlich vorhandene Betonüberdeckung<br />
<strong>der</strong> Decken und Unterzüge flächendeckend<br />
mit zerstörungsfreien<br />
Messgeräten ermittelt worden. Die Mess -<br />
ergebnisse zeigten, dass viele dieser Bauteile<br />
aufgrund <strong>der</strong> ermäßigten Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
eine mehr als ausreichende o<strong>der</strong><br />
eine zumindest ausreichende Betonüberdeckung<br />
besitzen (Abb. 11). Die Decken<br />
und Unterzüge mit einer unzu reichenden<br />
Betonüberdeckung hatten einen Spritzputz<br />
erhalten.<br />
Da ohnehin vorgesehen war, die ge -<br />
samten Deckenunterseiten auf unsichtbare<br />
Hohl- o<strong>der</strong> Fehlstellen sowie auf frei<br />
liegende Armierungen zu untersuchen<br />
und diese Mängel zu beseitigen sowie<br />
manche Unterzüge mit Klebearmierungen<br />
zu verstärken, war <strong>der</strong> zusätzliche<br />
Aufwand vertretbar, um letztendlich das<br />
gesamte Tragwerk aus Eisenbeton feuerbeständig<br />
auszu bilden.<br />
Hatte sich einerseits das Tragwerk des<br />
ehemaligen Spinnerei-Hochbaus von Niehues<br />
& Dütting für dessen Umnutzung<br />
zum „Kompetenzzentrum Wirtschaft“ als<br />
überraschend hochwertig erwiesen, so<br />
erfor<strong>der</strong>te an<strong>der</strong>erseits die Größe dieser<br />
früheren <strong>Textilfabrik</strong> für <strong>der</strong>en Revitalisierung<br />
mit dem Einbau <strong>der</strong> zentralen Halle<br />
einen irreversiblen Eingriff. Doch wenigstens<br />
war es mit dem Entwurf <strong>der</strong> Planungsgemeinschaft<br />
Kresing & Lindschulte<br />
gelungen, dass ursprüngliche Konzept
11 Decke über dem Erdgeschoss, Bestandsaufnahme <strong>der</strong> Betonüberdeckung von 2009.<br />
des ehemaligen Spinnerei-Hochbaus von<br />
Niehues & Dütting als „Tageslichtfabrik“<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Die städtebauliche Bedeutung des<br />
ehemaligen Spinnerei-Hochbaus von Niehues<br />
& Dütting war lange ein Garant für<br />
seinen Bestand. Indessen erschwerten<br />
die außergewöhnlichen Dimensionen des<br />
Industriedenkmals seinen Erhalt, so dass<br />
beispielsweise <strong>der</strong> 1928 ebenfalls nach<br />
Plänen aus dem Büro Manz entstandene,<br />
nahezu gleich große Spinnerei-Hochbau<br />
von L. Povel Co. in Nordhorn nicht erhalten<br />
werden konnte.<br />
Doch auch an<strong>der</strong>norts währten Bemühungen<br />
um die Revitalisierung solcher Industriedenkmale<br />
etliche Jahre. Im westfälischen<br />
Dülmen konnten die 1907/08<br />
erbaute Dreizylin<strong>der</strong>spinnerei und die<br />
1923 erstellte Zweizylin<strong>der</strong>spinnerei ehemals<br />
von W. M. Bendix nach ihrer Stilllegung<br />
1993 erst acht Jahre später,<br />
2000/01, zu einer Schule und zu einem<br />
Begegnungszentrum umgenutzt werden.<br />
Der Umbau <strong>der</strong> 1892 entstandenen<br />
und 1982 stillgelegten Spinnerei A von<br />
G. van Delden & Co. zum Wirtschafts -<br />
zentrum Gronau war erst 1989/92 erfolgt.<br />
Nahmen diese Bemühungen um<br />
den Erhalt ehemaliger Spinnereien trotz<br />
öffentlicher Zuwendungen zahlreiche<br />
Jahre in Anspruch, so gilt dies vielmehr<br />
für solche Projekte mit einer ausschließlich<br />
privaten Finanzierung. Denn auch in<br />
Schüttorf in <strong>der</strong> Grafschaft Bentheim<br />
konnte <strong>der</strong> 1881 entstandene Spinnerei-<br />
Hochbau ehemals von Schlikker & Söhne<br />
nach seiner Stilllegung 1995 erst<br />
2007/09 zu einem Einkaufszentrum umgebaut<br />
werden.<br />
Im Vergleich zu diesen Zeiträumen erscheint<br />
die Dauer von <strong>der</strong> Schließung <strong>der</strong><br />
letzten Betriebsteile <strong>der</strong> Nino AG 1996<br />
bis <strong>zur</strong> Fertigstellung des „Kompetenzzentrums<br />
Wirtschaft“ im ehemaligen<br />
Spinnerei-Hochbau von Niehues & Dütting<br />
2010 als angemessen, berücksichtigt<br />
man insbeson<strong>der</strong>e, dass die ursprüngliche<br />
Planung dieser <strong>Textilfabrik</strong><br />
von mindestens 1924 bis 1928 währte.<br />
Jedenfalls ist es mit <strong>der</strong> Umnutzung des<br />
ehemaligen Spinnerei-Hochbaus von Niehues<br />
& Dütting zum „Kompetenzzent -<br />
rum Wirtschaft“ gelungen, diese <strong>Textilfabrik</strong><br />
des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts in eine <strong>„Denkfabrik“</strong><br />
für das 21. Jahrhun<strong>der</strong>t zu verwandeln.<br />
Christoph Uricher<br />
Literatur<br />
Bülte, Ralf; Rodemers, Jakob, Umnutzung von Baudenkmälern:<br />
eine Planungshilfe für die Praxis. Bausteine<br />
für die Planungspraxis in Nordrhein-Westfalen<br />
19, Dortmund 1997.<br />
Günter, Roland, Besichtigung unseres Zeitalters: Industrie-Kultur<br />
in Nordrhein-Westfalen: ein Handbuch<br />
für Reisen, Essen 2001.<br />
Hoebel, Christian, Lernen und Vergnügen in alten<br />
Spinnereigebäuden, in: Europäisches Haus <strong>der</strong> Stadtkultur<br />
e. V.; LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland,<br />
LWL- Amt für Denkmalpflege in Westfalen<br />
(Hrsg.), Vom Nutzen des Umnutzens. Umnutzung<br />
von denkmalgeschützten Gebäuden, Bönen o. J., S.<br />
84–85.<br />
Ketteler, Hermann, Technische Denkmäler im Kreis<br />
Steinfurt. Zeugen <strong>der</strong> Technikgeschichte, 2. Aufl.,<br />
Münster 1989.<br />
Industriedenkmalpflege<br />
Müller, Michael Christian, Spinnen – Weben – Färben:<br />
Zu Geschichte und Bedeutung <strong>der</strong> Textilindustrie<br />
in <strong>der</strong> Grafschaft Bentheim, in: Berichte <strong>zur</strong><br />
Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen 22, 2002, H. 1,<br />
S. 44–45.<br />
Neß, Wolfgang, Spinnereihochbau <strong>der</strong> Fa. Nino in<br />
Nordhorn. Denkmalpflegerische Stellungnahme <strong>zur</strong><br />
Bedeutung und <strong>zur</strong> geplanten Nutzung, Hannover<br />
2006.<br />
Petersen, Lasse; Griese, Robert, Zugprüfungen an Betonstählen.<br />
Spinnerei-Hochbau/ Kompetenzzentrum<br />
Wirtschaft, Hannover 2009.<br />
Renz, Kerstin, Gebaute Industriekultur. Der Architekt<br />
Philipp Jakob Manz (1861–1936). Schriften des<br />
Stadtmuseums Schramberg 17, Schramberg 2000.<br />
Renz, Kerstin, Industriearchitektur im frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />
Das Büro von Philipp Jakob Manz, München<br />
2005.<br />
Renz, Kerstin, Seriell geplant, rationell gebaut – die<br />
Industriebauten des Architekturbüros Manz. In serie<br />
ontworpen, planmatig gebouwd – de fabriekbouwen<br />
van architectenbureau Manz, in: Lassotta, Arnold;<br />
Oehlke, Andreas; Rossel, Siebe; Stenkamp, Hermann<br />
Josef; Stenvert, Roland (Hrsg.), Cotton Mills for<br />
the continent. Sidney Stott und <strong>der</strong> englische Spinnereibau<br />
in Münsterland und Twente. Sidney Stott en<br />
de Engelse spinnerijen in Munsterland en Twente,<br />
Essen 2005, S. 130–140.<br />
Straukamp, Werner, Als Nino noch unter „Niehues &<br />
Dütting“ firmierte. Eine illustrierte Firmengeschichte<br />
von 1887 bis 1959, in: Straukamp, Werner (Hrsg.),<br />
Nino – <strong>der</strong> Stoff, aus dem die Mode war. Industrieund<br />
Modefotografien, Nordhorn 2006, S. 8–41.<br />
Uricher, Christoph, Erfolgreicher Strukturwandel:<br />
ehemaliges Rohgewebelager von Nordhorner Textilunternehmen<br />
umgenutzt, in: Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege<br />
in Nie<strong>der</strong>sachsen 24, 2004, H. 2, S. 33–36.<br />
Abbildungsnachweis<br />
1 Sammlung Richard Zahn, Stadtmuseum Povelturm,<br />
Nordhorn; 2–7 Stadtarchiv Nordhorn; 8–10 Nino-<br />
Hochbau GmbH & Co KG; 11 Lindschulte Ingenieurgesellschaft<br />
mbH.<br />
2/2010 Berichte <strong>zur</strong> Denkmalpflege in Nie<strong>der</strong>sachsen | 71