FotograFie und Videotakes Sebastian Stumpf Netz aus Sprüngen Tina Lüers in einer japanischen Straße steigt ein Mann auf einen schmalen Baum. Mitten zwischen den glatten, geradlinigen Fassaden der hohen Häuser, zwischen ihren Marmorverkleidungen, biegt sich das kleine Bäumchen unter der Last des Europäers. Doch er lässt nicht ab vom kleinen Exemplar Natur, erkl<strong>im</strong>mt es Stück für Stück – und das sieht nicht eben einfach aus –, bis er die dünne Krone erreicht hat. Dort verharrt der Baumbesteiger. Es ist der Foto- und Videokünstler Sebastian Stumpf, der Protagonist und zugleich auch Aufzeichnender seiner Arbeiten ist. Die Videotakes »Bäume« zeigt der Kunstverein in seiner Ausstellung »All these Walls«. Stumpf n<strong>im</strong>mt den Menschen, meist sich selbst, als stellvertretendes Subjekt und Objekt, inmitten des urbanen Raumes auf, den er und der ihn best<strong>im</strong>mt. Sozialdokumentarisch jedoch ist sein Werk nur <strong>im</strong> zweiten Sinne. Auch in dem Londoner Viertel um das Barbican Art-Center hat Stumpf sich fotografiert, während er zwischen funktionalistischen, menschenleeren Gebäuden über Geländer und Mauern ins scheinbar Bodenlose springt. Den Moment des Überquerens der Grenze, den Moment, in dem es kein Zurück mehr geben kann, hält er fest. Das Auslöserkabel seiner Kamera ist <strong>im</strong> Sprung <strong>im</strong>mer dabei, in der späteren Fotografie zeichnet 6 es sich ab. Es überbrückt ihn nicht, aber es dokumentiert den Zwiespalt von »Performing und Recording«, so auch Florian Ebner, Leiter des Braunschweiger Museums für Photografie. Ein Netz aus Sprüngen durchzieht den Raum, der »Traceur« des Parcours legt eine Spur. Stumpf lotet das Verhältnis von Mensch und Raum aus, von Architektur und Bewegung. Auf diese Weise beschreiten seine Arbeiten eine Grenze und best<strong>im</strong>men eine Lücke. Maß und Bemessung von Architektur und Mensch erinnern an Le Corbusiers Proportionsschema Modulor, ein beweglicher Grenzgänger zwischen dessen Fensterbändern und Stahlbetonideen sich die Stadt der Gegenwart aufspannt, der soziale urbane Raum sich bemisst. »All these Walls«: bis zum 27.2 <strong>im</strong> Künstlerhaus, Gotmarstraße 1 konzert Kenzari’s Middle Kata Kontrollierte Ekstase Michael Saager »spuiLt eigentlich ka Rolle, ob du auf’m Land bist oder in der Stadt oder so.« Da haben Kenzari’s Middle Kata aus dem beschaulichen Wasserburg am Inn natürlich recht. Das Tour-Geschäft läuft längst übers Internet und solange man den Arsch hoch bekommt und häufig genug an verschiedenen Orten auftaucht, klappt’s auch mit der Indie-Karriere. An dem Gerücht, dass die »Darlings of the Bavarian Post Hardcore Scene« derzeit in Auflösung begriffen sind, ist nichts dran. Im Gegenteil, erscheint doch Anfang Februar ein neues Album des Quartetts: »Body vs. Function« heißt es – ein Name wie der eines Techno-Albums. Macht ja nichts. Es läuft also gut für die 2003 gegründete Band. Josef Weizenbeck (Drums), Helli Killermann (Bass), Hannes Wastl (Gitarre, Gesang) und Roland Hanisch (Gitarre, Gesang) erklären sich ihren Erfolg teilweise über den engen und freundschaftlichen Zusammenhalt innerhalb der Post-Hardcore- und Noiserock-Szene, eine typische DIY- Nischenszene – umso treuer sind die Fans, meist echte Musiknerds, die sich am liebsten auf Vinyl-Veröffentlichungen stürzen. Downloads sind kaum gefragt. DIY bedeutet für Kenzari’s Middle Kata: Touren buchen, für den »ganzen Internetwahnsinn« zuständig sein und die Produktionskosten fürs neue Album persönlich vorgestreckt zu haben. Gejammert wird nicht und die Musik auf »Body vs. Function« kann sich sowieso hören lassen. Irgendwo <strong>im</strong> Netz fiel der Vergleich mit Steve Albinis Post-Noise-Gruppe Shellac, was insofern passt, als auch Kenzari’s Middle Kata ein Faible für den trockenen, rohen Sound haben. Für einen Sound, der auf loopartig angeordneten, leicht dissonanten Gitarrenriffs basiert und umso besser funktioniert, je präziser die Band ihn zu spielen in der Lage ist. Anders als Shellac haben Kenzari’s Middle Kata aber keine Angst vorm Kontrollverlust. Gleichwohl präsentieren sie ihre ekstatischen Entladungen auf »Body vs. Function« mit weit mehr spielerischer Disziplin und Zurückhaltung als noch in früheren Tagen. Der Platte hat’s nicht geschadet, <strong>im</strong> Gegenteil. Kenzari’s Middle Kata spielen am 24.2. um 21:00 Uhr <strong>im</strong> T-Keller. Das Album »Body vs. Function« erscheint bei Bluenoise Records. Kleine Texte 7