Bayerischer Rundfunk - Münchner Stadtbibliothek
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Ein Bericht von Gerhard Brack<br />
Anmoderation:<br />
In mehrfacher Hinsicht handelt es sich um einen runden Anlass: Vor 100 Jahren ist<br />
Wolfgang Arthur Reinhold Koeppen in Greifswald geboren worden, vor 10 Jahren, am<br />
15. März, in München gestorben, in der Stadt, in der er 50 Jahre gelebt hat. In den 50er<br />
Jahren hat Wolfgang Koeppen mit drei Romanen Maßstäbe gesetzt: „Tauben im Gras“,<br />
„Das Treibhaus“, „Der Tod in Rom“. Danach hat die literarische Welt jahrzehntelang<br />
auf einen weiteren großen Wurf gewartet, der nie gekommen ist. Morgen wird um 19<br />
Uhr im Gasteig eine große Wolfgang-Koeppen-Ausstellung eröffnet.<br />
Wolfgang Koeppen war ein Mensch mit Widersprüchen. Er tat sich schwer mit dem<br />
Schreiben und wollte doch unbedingt literarisch tätig sein. Und obwohl er der Ansicht war, er<br />
selber könne praktisch nichts ausrichten, warnte er doch immer wieder vor dem Missbrauch<br />
der Macht und dem Missbrauch der Technik. „Der Schriftsteller hat diese Hoffnung nicht,<br />
dass er mit seinem Buch was erreichen könnte. Alle Atommeiler werden abgestellt. Das ist<br />
völlig aussichtslos, aber er kann vielleicht hoffen, dass seine Leser erkennen, wahrnehmen,<br />
spüren, wie böse diese Entwicklung ist. Die Welt ist noch zerstörbarer geworden, und es sind<br />
Leute dabei, die nicht davor zurückschrecken, sie zu zerstören.“<br />
Die Ausstellung im Gasteig hat viel Schönes, aber am besten ist der Nachbau von Koeppens<br />
Arbeitszimmer aus der Widenmayerstraße 45. In Originalgröße, mit originalen Möbeln aus<br />
dem Nachlass ist der Raum nachgebildet, in dem Koeppen an seinen nie vollendeten<br />
Romanprojekten arbeitete, erklärt die Ausstellungsleiterin Ulrike Steierwald. „Man sieht auch<br />
hier sehr schön sein Sammlertum, sein Horten von Zeitungen z.B. über Monate, seine<br />
Bibliothek, seinen alten Koffer, selbst seinen Mantel.“ Inszeniert hat das Arbeitszimmer die<br />
Bühnenbildnerin Julia Rogge. Wer nach oben schaut, kann in einem Spiegel die Preise<br />
lesen, mit denen der Schriftsteller geehrt wurde, der Georg-Büchner-Preis, der Literaturpreis<br />
der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der <strong>Münchner</strong> Kulturpreis.<br />
Der Roman, der Wolfgang Koeppen auf einen Schlag berühmt machte, erschien 1951 unter<br />
dem Titel „Tauben im Gras“. Die Kritik war begeistert, sie verglich Koeppen mit James Joyce<br />
und dem französischen Schriftsteller Marcel Proust. Mit Koeppen, so schien es, hatte die<br />
deutsche Nachkriegsliteratur den Anschluss an die Moderne gefunden, und Koeppen traf<br />
hellsichtig den Geist der Zeit. „Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel. Noch
waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer, was schrieben die Zeitungen? Krieg um Öl,<br />
Verschärfung im Konflikt, Flugzeugträger im Persischen Golf.“<br />
Später hatte der Autor Schreibhemmungen. Wie sehr sich Koeppen mit dem Schreiben<br />
quälte, auch das zeigt die Ausstellung. Immer wieder scheiterte der Dichter gleich am ersten<br />
Satz. Die Ausstellung zeigt unveröffentlichte Typoskripte und bringt verworfene Anfänge aus<br />
dem Nachlass zu Gehör. „Meine Mutter fürchtete die Schlangen. Es ist mir von ihr nichts<br />
weiter geblieben als dieser Satz. Sie fürchtete die Schlangen. Meine Mutter fürchtete die<br />
Schlangen. Als sie im Sterben lag, waren ihre Lippen bläulich verfärbt, von der Schlange<br />
gebissen.“<br />
Die Ausstellung endet mit Lichtbildern, die Koeppen 1979 selbst in Venedig aufgenommen<br />
hat. Ein lebensgroßes Foto zeigt Koeppen, wie er in Venedig die Tafel mit den Zugabfahrten<br />
studiert. Letztlich wollte er doch wieder zurück nach München.<br />
„Ich wurde eine Romanfigur“, die große Wolfgang-Koeppen-Ausstellung der<br />
<strong>Münchner</strong> <strong>Stadtbibliothek</strong> Am Gasteig, Eröffnung morgen Abend um 19 Uhr. Übrigens<br />
ist das keine geschlossene, elitäre Veranstaltung - Eintritt für jedermann.