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Ich wurde eine Romanfigur - Münchner Stadtbibliothek

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Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen (Bild: Stefan Moses)<br />

Ausstellung "<strong>Ich</strong> <strong>wurde</strong> <strong>eine</strong> <strong>Romanfigur</strong>" erinnert an Wolfgang Koeppen<br />

Von Renate Heilmeier<br />

Anmoderation:<br />

Anders als Heinrich Böll, Günter Grass oder Arno Schmidt hat der Schriftsteller<br />

Wolfgang Koeppen niemals wirklich hohe Buchauflagen erreicht. Er hat sich politisch<br />

nicht eingemischt und auch k<strong>eine</strong> literarischen Zirkel angeregt, aber er liebte das Spiel<br />

mit den eigenen Selbstentwürfen. Gern stilisierte sich Wolfgang Koeppen zur<br />

<strong>Romanfigur</strong>.<br />

In München ist jetzt anlässlich s<strong>eine</strong>s 10. Todestages <strong>eine</strong> Ausstellung eröffnet<br />

worden. Sie ist das zentrale Ereignis im Jubiläumsjahr.<br />

In München hat Wolfgang Koeppen fünf Jahrzehnte lang gelebt. Ein Grund zu bleiben<br />

war für ihn, dass dort die „Berührung des Irdischen mit dem Überirdischen“ immer<br />

möglich sei. Von anderen Gründen erzählt die Ausstellung im Gasteig. Renate<br />

Heilmeier berichtet:<br />

"Dieses Problem, die Seite nicht füllen zu können, ließe sich eventuell durch doppelten<br />

Zeilenabstand lösen?? Sollte es auf dieser Schreibmaschine etwa besser gehen?"<br />

Koeppens Originalschreibmaschinen, darin eingespannt halb beschriebene Blätter.<br />

Dokumente, Hörbeispiele, Fotos im Zimmerformat und stilisiert das Arbeitszimmer mit<br />

Koeppens Sofa, s<strong>eine</strong>n Büchern, dem Poster von Samuel Beckett. So nähert sich die<br />

Ausstellung "<strong>Ich</strong> <strong>wurde</strong> <strong>eine</strong> <strong>Romanfigur</strong> - Wolfgang Koeppen 1906-1996" dem Schriftsteller.<br />

Er war ein Großer der deutschen Literatur, das unterschlägt die Ausstellung nicht, doch wie<br />

auch Ausstellungsleiterin Ulrike Steierwald erläutert - <strong>eine</strong>s schaffte er nach s<strong>eine</strong>n frühen<br />

Erfolgen nicht: s<strong>eine</strong>n nächsten großen Roman fertig zu stellen.<br />

"Das ist auch das Faszinierende an diesem Schriftsteller. Schreibkrisen gibt es im Leben


vieler Autoren, aber über Jahrzehnte so vehement wie bei Koeppen, dass man auf den<br />

neuen Roman gewartet hat, der aber bis zu s<strong>eine</strong>m Tod nicht kam, das ist schon ziemlich<br />

singulär. Also er muss unglaublich Charisma gehabt haben, man sieht aber auch an diesen<br />

Briefen, dass er wirklich ein Meister des Details war, und weil er in wenigen Sätzen zeigen<br />

konnte, welch genialer Schriftsteller er hätte sein können, haben die Leute an ihn geglaubt."<br />

So reiste er schon, nachdem s<strong>eine</strong> Karriere als Journalist mit Beginn des<br />

Nationalsozialismus zu Ende war, mit <strong>eine</strong>m Verleger-Vorschuss für <strong>eine</strong>n allerersten<br />

Roman, der noch nicht geschrieben hatte, nach Italien. Doch Wolfgang Koeppen nur als<br />

personifizierte Schreibhemmung zu sehen, würde ihm nicht gerecht werden.<br />

Jedenfalls hatte er selbst <strong>eine</strong> Erklärung geliefert, die poetischer ist als übersteigerter<br />

Perfektionismus oder depressive Phasen: Der Autor sah sich selbst als Teil s<strong>eine</strong>s Romans -<br />

ein Grund, diesen nicht zu Ende bringen zu wollen. So inszenierte er sich auch in dieser<br />

Rolle, zum Beispiel auf den Fotos von Nomi Baumgartl und Stefan Moses. Ulrike Steierwald<br />

zu dieser Inszenierung:<br />

"Fotografie ist sehr wichtig in dieser Ausstellung, weil er auch in s<strong>eine</strong>m Schreiben <strong>eine</strong>n<br />

fotografischen Blick hatte, <strong>eine</strong> fotografische Montagetechnik. Im Nachlass finden sich viele<br />

Fotos, auf denen er sich selbst inszeniert. Das ist auch das zentrale Motiv unserer<br />

Ausstellung, die ja heißt: ‚<strong>Ich</strong> <strong>wurde</strong> <strong>eine</strong> <strong>Romanfigur</strong>’ und <strong>eine</strong>n Schriftsteller behandelt, der<br />

sich permanent selbst stilisierte und inszenierte, der völlig in s<strong>eine</strong>m Schreiben aufging und<br />

mit diesem Prozess begründet hat, warum er nicht zum Ende kam."<br />

Zu Texten aus s<strong>eine</strong>r Trilogie "Tauben im Gras", "Das Treibhaus" und "Der Tod in Rom"<br />

zeigt die <strong>Münchner</strong> Ausstellung Dias aus der Zeit. Die Erstausgaben der Bücher ironisch auf<br />

rotem Samt. Denn damit hatte Koeppen Anfang der 50er Jahre s<strong>eine</strong> Zeitgenossen nicht<br />

gerade auf Samt gebettet. Kritik und Literaturwelt in Westdeutschland waren aufgerüttelt:<br />

"Pornopolitischer Nihilismus", "Ätzende Kritik an Bonn", "Dynamit" … waren s<strong>eine</strong> Werke<br />

damals.<br />

Danach <strong>wurde</strong> es nicht etwa ruhig um ihn - aber er <strong>wurde</strong> zum schweigenden Schriftsteller,<br />

der nichtsdestotrotz zahlreiche wichtige Preise und Auszeichnungen erhielt. Ein Teil s<strong>eine</strong>s<br />

Ruhms gründet wohl auch darauf, dass zeitlebens s<strong>eine</strong> Verleger, Freunde und Bewunderer<br />

unerschütterlich an ihn und s<strong>eine</strong>n nächsten großen Wurf "geglaubt haben", allen voran<br />

Siegfried Unseld und Marcel Reich-Ranicki. Unseld in s<strong>eine</strong>n Briefen an Koeppen: "Bitte<br />

schreiben Sie! Schreiben! Schreiben!"<br />

Und er selbst sagte über Reich-Ranicki:<br />

"Er schreibt über mich, also bin ich!"


Der Prosaband "Jugend" - abgetrotzt aus Fragmenten und unzähligen Entwürfen - war die<br />

Ausnahme von der Regel und erklomm 1976 sofort die Bestenliste. Die Regel aber hieß:<br />

Koeppen konnte nichts zu Ende schreiben.<br />

Steierwald: "Es gibt auch Dutzende von Dokumenten, die um den Beginn dieses Fragmentes<br />

ringen, und zwar um den ersten Satz: M<strong>eine</strong> Mutter fürchtete die Schlangen."<br />

S<strong>eine</strong> letzten Reiseessays, <strong>eine</strong> Mischung aus journalistischer Beschreibung und Fiktion,<br />

waren 1961 erschienen.<br />

Die Ausstellung im Gasteig möchte aber k<strong>eine</strong> rein chronologische, biografische Sicht auf<br />

das Schriftstellerleben liefern. Mit den aus dem Greifswalder Wolfgang-Koeppen-Archiv<br />

stammenden Exponaten - Dokumenten, Briefen, Fotos, Manuskripten, teils noch<br />

unveröffentlichten Interviews - zeigt man in der Glashalle des Gasteigs kapitelweise die<br />

verschiedenen Lebenswelten des Autors. Das Ausstellungsteam orientierte sich an den von<br />

Koeppen vorgegebenen Themen: angefangen von s<strong>eine</strong>r "Neigung zum Grotesken" bis zur<br />

"Einsamkeit in der Menge" und s<strong>eine</strong>n "unglücklichen Lieben".<br />

Ulrike Steierwald: "Einmal Sybille Schloss, sie war <strong>eine</strong> schöne Frau, Mannequin und<br />

Schauspielerin, sie hat ihn deutlich abserviert, daraus ist auch sein erster Roman "Eine<br />

unglückliche Liebe" entstanden. Wie man generell sagen muss, wenn immer er biografisches<br />

Material hatte, er durchaus schreiben konnte."<br />

S<strong>eine</strong> nächste, nicht unproblematische Liebe, s<strong>eine</strong> spätere Frau Marion Ulrich, lernte er in<br />

Feldafing am Starnberger See kennen, als er 1943 von Berlin nach München kam. Von <strong>eine</strong>r<br />

Wahlheimat zu sprechen, wäre verfehlt. Koeppen selbst sehnte sich immer an die Orte, an<br />

denen er gerade nicht war: ins Berlin der späten 20er Jahre, an s<strong>eine</strong>n Sehnsuchtsort<br />

Masuren, den Ort s<strong>eine</strong>r Kindheit, immer nach Venedig.<br />

München blieb der Ort, an dem sein Schreibtisch stand, den man lieben musste. Aber das<br />

immerhin mehr als 50 Jahre, bis Wolfgang Koeppen am 15. März 1996 starb - ohne den<br />

großen, von vielen erwarteten Gegenwartsroman geschrieben zu haben.<br />

„<strong>Ich</strong> <strong>wurde</strong> <strong>eine</strong> <strong>Romanfigur</strong>“, so heißt die Ausstellung, die Einblicke in die Existenz des<br />

Schriftstellers Wolfgang Koeppen erlaubt. Sie bleibt bis zum 25. Juni in München.<br />

Service:<br />

Die Ausstellung "<strong>Ich</strong> <strong>wurde</strong> <strong>eine</strong> <strong>Romanfigur</strong> - Wolfgang Koeppen 1906-1996" wird begleitet<br />

von <strong>eine</strong>m umfangreichen Programm - Diskussionen, Lesungen, Filme und<br />

Radiosendungen. Noch bis zum 25.Juni, also zwei Tage nach s<strong>eine</strong>m 100. Geburtstag, ist<br />

sie im <strong>Münchner</strong> Kulturzentrum Gasteig zu sehen.

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