Ich wurde eine Romanfigur - Münchner Stadtbibliothek
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vieler Autoren, aber über Jahrzehnte so vehement wie bei Koeppen, dass man auf den<br />
neuen Roman gewartet hat, der aber bis zu s<strong>eine</strong>m Tod nicht kam, das ist schon ziemlich<br />
singulär. Also er muss unglaublich Charisma gehabt haben, man sieht aber auch an diesen<br />
Briefen, dass er wirklich ein Meister des Details war, und weil er in wenigen Sätzen zeigen<br />
konnte, welch genialer Schriftsteller er hätte sein können, haben die Leute an ihn geglaubt."<br />
So reiste er schon, nachdem s<strong>eine</strong> Karriere als Journalist mit Beginn des<br />
Nationalsozialismus zu Ende war, mit <strong>eine</strong>m Verleger-Vorschuss für <strong>eine</strong>n allerersten<br />
Roman, der noch nicht geschrieben hatte, nach Italien. Doch Wolfgang Koeppen nur als<br />
personifizierte Schreibhemmung zu sehen, würde ihm nicht gerecht werden.<br />
Jedenfalls hatte er selbst <strong>eine</strong> Erklärung geliefert, die poetischer ist als übersteigerter<br />
Perfektionismus oder depressive Phasen: Der Autor sah sich selbst als Teil s<strong>eine</strong>s Romans -<br />
ein Grund, diesen nicht zu Ende bringen zu wollen. So inszenierte er sich auch in dieser<br />
Rolle, zum Beispiel auf den Fotos von Nomi Baumgartl und Stefan Moses. Ulrike Steierwald<br />
zu dieser Inszenierung:<br />
"Fotografie ist sehr wichtig in dieser Ausstellung, weil er auch in s<strong>eine</strong>m Schreiben <strong>eine</strong>n<br />
fotografischen Blick hatte, <strong>eine</strong> fotografische Montagetechnik. Im Nachlass finden sich viele<br />
Fotos, auf denen er sich selbst inszeniert. Das ist auch das zentrale Motiv unserer<br />
Ausstellung, die ja heißt: ‚<strong>Ich</strong> <strong>wurde</strong> <strong>eine</strong> <strong>Romanfigur</strong>’ und <strong>eine</strong>n Schriftsteller behandelt, der<br />
sich permanent selbst stilisierte und inszenierte, der völlig in s<strong>eine</strong>m Schreiben aufging und<br />
mit diesem Prozess begründet hat, warum er nicht zum Ende kam."<br />
Zu Texten aus s<strong>eine</strong>r Trilogie "Tauben im Gras", "Das Treibhaus" und "Der Tod in Rom"<br />
zeigt die <strong>Münchner</strong> Ausstellung Dias aus der Zeit. Die Erstausgaben der Bücher ironisch auf<br />
rotem Samt. Denn damit hatte Koeppen Anfang der 50er Jahre s<strong>eine</strong> Zeitgenossen nicht<br />
gerade auf Samt gebettet. Kritik und Literaturwelt in Westdeutschland waren aufgerüttelt:<br />
"Pornopolitischer Nihilismus", "Ätzende Kritik an Bonn", "Dynamit" … waren s<strong>eine</strong> Werke<br />
damals.<br />
Danach <strong>wurde</strong> es nicht etwa ruhig um ihn - aber er <strong>wurde</strong> zum schweigenden Schriftsteller,<br />
der nichtsdestotrotz zahlreiche wichtige Preise und Auszeichnungen erhielt. Ein Teil s<strong>eine</strong>s<br />
Ruhms gründet wohl auch darauf, dass zeitlebens s<strong>eine</strong> Verleger, Freunde und Bewunderer<br />
unerschütterlich an ihn und s<strong>eine</strong>n nächsten großen Wurf "geglaubt haben", allen voran<br />
Siegfried Unseld und Marcel Reich-Ranicki. Unseld in s<strong>eine</strong>n Briefen an Koeppen: "Bitte<br />
schreiben Sie! Schreiben! Schreiben!"<br />
Und er selbst sagte über Reich-Ranicki:<br />
"Er schreibt über mich, also bin ich!"