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Rainer Balloff Kindeswille, Grundbedürfnisse des ... - Userpage

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<strong>Rainer</strong> <strong>Balloff</strong><br />

<strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>, <strong>Grundbedürfnisse</strong> <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und Kin<strong>des</strong>wohl in<br />

Umgangsrechtsfragen<br />

Familie, Partnerschaft, Recht, 8, 240-245. (Diese Zeitschrift<br />

befindet sich in der FU-Silberlauben-Bibliothek)<br />

Einleitung<br />

Die Bedeutung <strong>des</strong> kindlichen Willens wird angesichts der<br />

lebhaften Debatte um das Eltern-Entfremdungs-Syndrom<br />

(Parental-Alienation-Syndrome - PAS) 1 – vor allem mit dem<br />

Argument in Frage gestellt -, dass ein Kind angesichts seiner<br />

1 Fegert, J. M. (2001). Parental Alienation oder Parental Accusation<br />

Syndrome? (Teil 1). Die Frage der Suggestibilität, Beeinflussung und<br />

Induktion in Umgangsrechtsgutachten. Kindschaftsrechtliche Praxis, 4, 3-7.<br />

Fegert, J. M. (2001). Parental Alienation oder Parental Accusation<br />

Syndrome? (Teil 2). Die Frage der Suggestibilität, Beeinflussung und<br />

Induktion in Umgangsrechtsgutachten. Kindschaftsrechtliche Praxis, 4, 39-<br />

42.<br />

Fischer, W. (1998). Das Parental Alienation Syndrome (PAS) und die<br />

Interessenvertretung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>. Ein Interventionsmodell für Jugendhilfe<br />

und Gericht - Teil 1. Nachrichtendienst für öffentliche und private<br />

Fürsorge, 79, (Heft 10), 306-310.<br />

Fischer, W. (1998). Das Parental Alienation Syndrome (PAS) und die<br />

Interessenvertretung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>. Ein Interventionsmodell für Jugendhilfe<br />

und Gericht - Teil 2. Nachrichtendienst für öffentliche und private<br />

Fürsorge, 79 (Heft 11), 343-348.<br />

Gerth, U. (1998). Das Leben ist komplizierter. Kindschaftsrechtliche<br />

Praxis, 1, 171-172.<br />

Jopt, U. & Behrend, K. (2000). Das Parental Alienation Syndrome (PAS) – Ein<br />

Zwei-Phasen-Modell (Teil 1). Zentralblatt für Jugendrecht, 87, 223-231.<br />

Jopt, U. & Behrend, K. (2000). Das Parental Alienation Syndrome (PAS) – Ein<br />

Zwei-Phasen-Modell (Teil 2). Zentralblatt für Jugendrecht, 87, 258-271.<br />

Kodjoe, U. (1998). Ein Fall von PAS. Kindschaftsrechtliche Praxis, 1, 172-<br />

174.<br />

Kodjoe, U. & Koeppel, P. (1998). The Parental Alienation Syndrome (PAS).<br />

Der Amtsvormund, 72, 9-28.<br />

Kodjoe, U. & Koeppel, P. (1998). Früherkennung von PAS - Möglichkeiten<br />

psychologischer und rechtlicher Interventionen. Kindschaftsrechtliche<br />

Praxis, 1, 138-144.<br />

Lehmkuhl, U. & Lehmkuhl, G. (1999). Wie ernst nehmen wir den <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n?<br />

Kindschaftsrechtliche Praxis, 2, 159-161.<br />

Leitner, W. G. & Schoeler, R. (1998). Maßnahmen und Empfehlungen für das<br />

Umgangsverfahren im Blickfeld einer Differentialdiagnose bei Parental<br />

Alienation Syndrome (PAS) unterschiedlicher Ausprägung in Anlehnung an<br />

Gardner (1992/1997). Der Amtsvormund, 71, 849-867.<br />

Rexilius, G. (1999). Kin<strong>des</strong>wohl und PAS. Zur aktuellen Diskussion <strong>des</strong><br />

Parental Alienation Syndrome. Kindschaftsrechtliche Praxis, 2, 149-159.<br />

Salzgeber, J. & Stadler, M. (1998). Beziehung contra Erziehung - kritische<br />

Anmerkungen zur aktuellen Rezeption von PAS. Ein Plädoyer für Komplexität.<br />

Kindschaftsrechtliche Praxis, 1, 167-171.


mangelnden Reife nicht in der Lage ist, über derart bedeutsame<br />

Angelegenheiten wie Beziehungspflege oder Kontaktabbruch mit<br />

einer engen Bezugsperson Entscheidungen zu treffen. Hierzu<br />

bleibt zunächst folgen<strong>des</strong> festzuhalten:<br />

1. In der Rechtspsychologie, Rechtswissenschaft und<br />

Rechtsprechung herrscht Übereinstimmung, dass selbst das<br />

ältere Kind über 14 Jahren beispielsweise über die<br />

Aufnahme, Durchführung oder den Abbruch von<br />

Umgangskontakten nicht allein entscheiden darf.<br />

2. Der <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong> wird gerade angesichts problematischer<br />

Familienrechtsfälle im Kontext mit dem Kin<strong>des</strong>wohl<br />

betrachtet.<br />

3. Umstritten ist:<br />

- In welchen familienrechtlichen Zusammenhängen hat der<br />

kindliche Wille welche relevante Bedeutung?<br />

- Ist der Wille <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> ein Akt der Selbstbestimmung und<br />

in welchem Kontext zum Kin<strong>des</strong>wohl und Elternrecht nach<br />

Art. 6 GG steht er?<br />

- Ab welchem Alter ist der <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong> beachtlich?<br />

- Handelt es sich bei einem beeinflussten, manipulierten,<br />

suggerierten und schlimmstenfalls induzierten Willen<br />

überhaupt um einen <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n?<br />

- Wie lässt sich ein <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong> feststellen?<br />

4. Nach der Rezeption <strong>des</strong> PAS-Modells vor etwa drei Jahren<br />

in Deutschland wird nunmehr offenbar bezweifelt, dass es<br />

einen kindlichen Willen gibt und ob man diesen zur<br />

Kenntnis nehmen und beachten sollte (vgl. Klenner, 2002,<br />

zitiert bei Koeppel: www.koeppel-<br />

kindschaftsrecht.de/anmerk-klenner.htm).<br />

Definition <strong>des</strong> <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n<br />

Der Wille <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> kann mit Dettenborn (2001, S., 63) als<br />

die altersgemäß stabile und autonome Ausrichtung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>


auf erstrebte, persönlich bedeutsame Zielzustände verstanden<br />

werden. Insofern handelt es sich bei der kindlichen<br />

Willensbildung um einen meist langanhaltenden, oft sogar<br />

dauerhaften Prozess, der vielfältigen Änderungen unterworfen<br />

sein kann. Das Erreichen bedeutsamer Zielzustände beinhaltet<br />

nicht unbedingt das Erreichen nur eines einzigen Zieles (z.B.<br />

den Vater wieder besuchen und die Billigung der Mutter<br />

erfahren). (Vgl. auch Zitelmann, 2001, S. 228, mit weiteren<br />

Nachweisen).<br />

Die Heranbildung <strong>des</strong> kindlichen Willens<br />

Entscheidend ist bei der Kenntnisnahme und Überprüfung <strong>des</strong><br />

<strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>ns zunächst zu fragen nach dem Woher (die Quelle<br />

können z.B. Bedürfnisse, Motivationen, Triebe sein) und nach<br />

dem Wohin (z.B. die Zielorientierung).<br />

Dabei führt die Annahme eines Woher (welche Quellen sind<br />

identifizierbar? Bedürfnis, Trieb, Wunsch?) <strong>des</strong> kindlichen<br />

Willens zu der Erkenntnis, dass dieser sich, soweit<br />

identifizierbar, zunächst in der sog. präintentionalen Phase<br />

befindet, während das Wohin (welches Ziel soll erreicht<br />

werden?) bedeutet, dass sich der kindliche Wille nunmehr in<br />

der sog. intentionalen und damit zielgerichteten Phase bewegt.<br />

Präintentionale Bedürfnisse, Motivationen und Wünsche, aber<br />

auch Neid, Instinkt oder Anreiz sowie intentionale Ziel-Zweck-<br />

Ausprägungen spielen somit beim Entstehen der bewussten und<br />

absichtlichen Ausrichtung <strong>des</strong> kindlichen Willens eine<br />

entwicklungspsychologisch und familienrechtspsychologisch<br />

bedeutsame Rolle, wobei<br />

- das Alter,<br />

- die Persönlichkeitsentwicklung sowie<br />

- der Entwicklungsstand <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

für das Heranbilden und die Ausprägung eines kindlichen<br />

Willens entscheidend sind.


Der international bekannte Entwicklungspsychologe Piaget<br />

(1962) beobachtete und betonte bereits 1962 die Fähigkeit erst<br />

15 Monate alter Kinder, so zu tun als ob (z.B. sich schlafend<br />

stellen, um die Mutter zu täuschen), als Fähigkeit <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>,<br />

den mentalen Zustand einer anderen Person zu verstehen, um<br />

diesen gegebenenfalls zu beeinflussen oder sogar zu täuschen.<br />

Des weiteren wohnt dieser frühen Fähigkeit <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> inne,<br />

zwischen Vorstellung und Phantasie einerseits sowie Realität<br />

andererseits und zwischen Gedanken und Dingen zu<br />

unterscheiden.<br />

Dabei beinhaltet die Einstellung als spezifischer Typus<br />

einer mentalen Ausrichtung (z.B. Überzeugung, Bedürfnis und<br />

Absicht) und die inhaltliche Ausgestaltung der kindlichen<br />

Aussage (ich sitze auf einem Dreirad = Überzeugung; ich möchte<br />

ein Fahrrad mit Stützrädern haben = Bedürfnis; ich will ins<br />

Kaufhaus gehen, um ein Fahrrad zu bekommen = Absicht) nicht<br />

nur eine zweckrationale Einheit, sondern ebenso die Fähigkeit<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>, spätestens im Alter von drei bis vier Jahren,<br />

einen eindeutigen und klaren Willen zu formulieren, um ein<br />

bestimmtes Ziel zu erreichen oder zu vermeiden.<br />

Dabei führen permanente Ereignisse aus der Umwelt<br />

- zur differenzierteren Wahrnehmung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>,<br />

- zur Heranbildung von Überzeugungen und Bedürfnissen,<br />

die ebenso durch Emotionen oder Triebe verursacht und gespeist<br />

werden, die dann in<br />

- einen eigenen Willen und Handlungen einmünden und<br />

- zu einem zielorientierten Ergebnis führen können<br />

(vgl. Astington, 2000, S. 90, die dieses Strukturmodell für<br />

die Theorie <strong>des</strong> Denkens nutzbar machte).<br />

Insbesondere im Alter <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> von drei bis vier Jahren<br />

zeigen sich Kompetenzentwicklungen, die auch zunehmend<br />

differenzierte Willensbildungen ermöglichen (vgl. Dettenborn,<br />

2001, S. 70f., mit weiteren eindrucksvollen Belegen aus der<br />

Entwicklungspsychologie).


Hierzu gehören im Alter von drei bis vier Jahren u.a.<br />

- der Erwerb der Überzeugung,<br />

- die Fähigkeit zwischen Realität und Überzeugung zu<br />

unterscheiden,<br />

- die Fähigkeit zur Täuschung anderer,<br />

- die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub,<br />

- Selbstkontrolle und Verzicht,<br />

- erste Vorstellungen über Zeitspannen,<br />

- die Fähigkeit Gegensätze zu benennen und<br />

- mentale Wollens- und Könnens-Ausdrücke zu benutzen<br />

(Dettenborn, a. a. 0.)<br />

Entwicklungspsychologisch unauffällige Kinder haben somit<br />

bereits im Alter von drei bis Jahren alle notwendigen sozialen<br />

und psychischen Kompetenzen erworben, um einen eigenen<br />

(autonomen) und festen (stabilen) Willen zu haben und bei<br />

hinreichender Sprachentwicklung auch formulieren zu können.<br />

Vom Kind selbst erworbene und definierte Vorstellungen,<br />

Meinungen, Wünsche, Einstellungen, Haltungen, Sichtweisen,<br />

Prioritäten, Favorisierungen etc. sind also<br />

entwicklungspsychologisch sehr frühzeitig möglich und stellen<br />

wesentliche Aspekte der Persönlichkeits- und<br />

Identitätsentwicklung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> dar.<br />

Sie beinhalten somit ureigene – subjektive - Interessen <strong>des</strong><br />

Kin<strong>des</strong> und sollten im Rahmen einer kindorientierten Haltung<br />

nicht als eine Äußerung umgedeutet werden, die nur dann<br />

beachtlich ist, wenn sie im wohl verstandenes Interesse<br />

gemacht wurde oder wenn es sich um einen sog. vernünftigen<br />

Willen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> im Sinne <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>wohls handelt.<br />

Der Wille <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> sollte ferner in Fällen schwerer<br />

familiärer Konflikte nicht sogleich mit einem moralisch zwar<br />

akzeptablen und familienpsychologisch sowie rechtlich<br />

erwünschten und anstrebenswerten „höherwertigen Ziel“<br />

verknüpft werden (z.B. Umgangskontakte <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> mit einem<br />

Elternteil), da bei einer derartigen Verbindung der Wille <strong>des</strong>


Kin<strong>des</strong> – beispielsweise im Kontext von Kin<strong>des</strong>wohlkriterien -<br />

zwangsläufig an Bedeutung verlieren muss.<br />

Im übrigen lässt sich der hier vertretene<br />

<strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>nsbegriff – die (zwangsweise) Umsetzung <strong>des</strong><br />

<strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>ns kann dem Kin<strong>des</strong>wohl erheblich schaden im<br />

Gegensatz zu der Annahme, dass es kein Kin<strong>des</strong>wohl gegen den<br />

<strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n gibt -, am ehesten im § 50b FGG identifizieren.<br />

Dort heißt es: „wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> für die Entscheidung von Bedeutung sind“. Weniger<br />

eindeutig ist die Formulierung im neuen § 50 FGG, wenn im Abs.<br />

1 von „Interessen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>“ die Rede ist, also von einem<br />

subjektiven und objektiven Bestimmungselement, nämlich Wille<br />

und Wohl <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>.<br />

Unabhängig von der weiteren Vorstellung, den Willen <strong>des</strong><br />

Kin<strong>des</strong> in einen rationalen oder emotionalen Akt zu<br />

unterteilen, der dann entweder als Akt der Selbstbestimmung<br />

oder als Teilaspekt <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>wohls angesehen wird (vgl. die<br />

umfassende Darstellung hierzu bei Zitelmann, 2001, S. 206 ff.)<br />

oder ihn als grundsätzlich unbeachtlich anzusehen, weil er<br />

u.U. beeinflusst, manipuliert oder schlimmstenfalls induziert<br />

wurde, bleibt zu klären, ob nach dem Kenntnisstand kindlicher<br />

Entwicklungsprozesse dem Subjektstatus <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> Rechnung<br />

getragen werden soll oder ob die Meinungsäußerung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>,<br />

die sich zum <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n verdichtet hat, lediglich als wenig<br />

bedeutsame Meinung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> zu begreifen und zu verstehen<br />

ist.<br />

Dabei wird gerade im Verstehen und Begreifen der kindlichen<br />

Vorstellungen, Meinungen, Haltungen, Wünsche und <strong>des</strong> Willens<br />

das in der Psychologie herausragende hermeneutische Prinzip<br />

der Sinnvermittlung und Auslegung betont, das der<br />

Rekonstruktion von Präintentionalität (im Sinne der Frage nach<br />

dem Woher?) und Intentionalität (im Sinne der Frage nach dem<br />

Wohin?) kindlicher Willensbildungsprozesse dient.<br />

Darüber hinaus begreifen die psychologischen Theorien <strong>des</strong><br />

Subjekts – z.B. die Kritische Psychologie von Klaus Holzkamp -


den Menschen, also auch Kinder als grundsätzlich fähig, sich<br />

Handlungsräume, Freiheitsgrade und Rahmenbedingungen aktivkognitiv<br />

strukturierend anzueignen und zu gestalten und sich<br />

dementsprechend eine eigene Vorstellung und Meinung von seiner<br />

Umwelt zu machen.<br />

Eine andere Auffassung vertritt Klenner (2002), der<br />

offenbar ein Kind nicht als erkenntnis- und handlungsfähiges<br />

Subjekt begreift und damit den Willen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> nur dann für<br />

relevant erachtet, wenn es „seinen unabhängigen und freien<br />

Willen erklären kann“.<br />

Hier ist jedoch zu fragen, welcher Mensch überhaupt in der<br />

Lage ist, einen unabhängigen und freien Willen zu äußern.<br />

Dennoch kritisiert Klenner (2002) jede andere<br />

kindorientiertere Meinung als eine „aus ideologischer<br />

Sichtweise resultierenden Idee der Selbstbestimmung <strong>des</strong><br />

Kin<strong>des</strong>“, die dazu führe, dass sich „die für das Kind<br />

verantwortlichen Erwachsenen der Verantwortung“ entzögen.<br />

<strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>, <strong>Grundbedürfnisse</strong> <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und Kin<strong>des</strong>wohl<br />

Wie oben bereits angeführt wird allein der kindliche Wille<br />

weder bei Sorgerechts- noch bei Umgangsrechtsentscheidungen<br />

ausschlaggebend sein, da allgemein bekannt ist, dass nicht nur<br />

Erwachsene, sondern auch Kinder u.U. Ziele anstreben, die bei<br />

objektiver Betrachtung riskant oder gefährlich sind oder unter<br />

dem Einfluss eines Dritten zum selbstdefinierten Ziel <strong>des</strong><br />

Kin<strong>des</strong> oder Jugendlichen wurden.<br />

Wenn also der <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong> regelmäßig in den Kontext sog.<br />

psychosozialen <strong>Grundbedürfnisse</strong>n <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> (basic needs of<br />

children) und <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>wohls gestellt wird, sollte dennoch<br />

Maxime professionellen Handelns mit Kindern – auch im<br />

hochstrittigen Umgangsrechtsverfahren - sein, den <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n<br />

soweit wie möglich herauszuarbeiten und gegebenenfalls auch zu


espektieren, zu akzeptieren und nur soviel jugendamtliche,<br />

gutachtliche oder richterliche Eingriffe in den Subjektstatus<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und <strong>des</strong>sen Willensbildungsprozess vorzunehmen, wie<br />

es zur Sicherstellung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>wohls nötig ist, also<br />

beispielsweise beim selbstgefährdenden <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n oder beim<br />

induzierten <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong>n, der schwersten Form der<br />

Beeinflussung, Manipulation und Suggestion.<br />

Die gerichtliche Festlegung eines Umgangs, einer<br />

Umgangsbegleitung oder von Zwangsmaßen gegen den<br />

boykottierenden Elternteil bewirken häufig sehr wenig. Die<br />

Erfolge sind dürftig, die Abbruch- und Verweigerungsquote ist<br />

hoch.<br />

Bekannt ist schon längst, dass erzwungene Kontakte, also<br />

gegen den Willen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> gerichtete Besuchskontakte, meist<br />

die Beziehungen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> mit dem den Umgang begehrenden<br />

Elternteil nicht verbessern oder stabilisieren (vgl. etwa die<br />

Langzeitstudie von Wallerstein & Lewis, 2001, S. 68ff.).<br />

Sinnvoller ist aus interventionspsychologischer Sicht die<br />

Inanspruchnahme einer Mediation, Beratung oder Psychotherapie<br />

der Erwachsenen, die auch durch gerichtliche Auflagen forciert<br />

werden sollte.<br />

Einfacher als sogleich den Kin<strong>des</strong>wohlbegriff zu bemühen,<br />

der im übrigen bei Umgangsrechtsstreitigkeiten in der<br />

bekannten Unterteilung in erwachsenen- und kindzentrierte<br />

Kriterien (z.B. Erziehungsfähigkeit, Förderung, Kontinuität,<br />

Stabilität, Bindungstoleranz, Wunsch nach Einvernehmlichkeit<br />

der Eltern sowie die Beziehungen und Bindungen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> an<br />

die Eltern, Geschwister und sonstige im § 1685 BGB genannten<br />

Personen, Wunsch und Wille <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>) nicht zutreffend ist,<br />

sollten bei strittigen Umgangsfragen zunächst die<br />

psychosozialen <strong>Grundbedürfnisse</strong> <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>, die sog. basic<br />

needs of children beachtet und gegebenenfalls überprüft<br />

werden.<br />

Hinzu kommt, das angesichts der im Normalfall mittlerweile<br />

vielfältigen und oft mehrfach in der Woche oder im Monat


erfolgenden wechselnden Umgangskontakte <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> mit beiden<br />

Eltern (vgl. etwa die Ausführungen zur Ausgestaltung <strong>des</strong><br />

Umgangs bei Fthenakis, 1995) die sehr eingeschränkte<br />

juristische Vorstellung nunmehr aufgegeben werden sollte, nach<br />

der ein Umgang <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> dazu dient,<br />

- die verwandtschaftlichen Beziehungen zu pflegen und<br />

- dem Elternteil, in <strong>des</strong>sen Obhut sich das Kind nicht<br />

befindet, die Möglichkeit zu geben, sich persönlich in<br />

regelmäßigen Abständen von der Entwicklung und dem Wohlergehen<br />

seines Kin<strong>des</strong> zu überzeugen.<br />

Ein zeitgemäßer und weitaus umfangreicherer Umgang zur<br />

Aufrechterhaltung und Pflege der Beziehungen und Bindungen <strong>des</strong><br />

Kin<strong>des</strong> mit dem betreffenden Elternteil an den Wochenenden,<br />

zuzüglich an einigen Tagen unter der Woche und im Rahmen von<br />

Feiertags- und Ferienregelungen beinhaltet faktisch so gut wie<br />

immer eine Betreuung, Versorgung und Erziehung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>.<br />

Selbst die aktuelle Rechtsprechung (vgl. hierzu auch<br />

Oelkers, in diesem Heft) beruht offenbar auf überholten<br />

Vorstellungen, wenn die Wurzeln derartiger Vorstellungen in<br />

den heute kaum noch verständlichen restriktiven Annahmen bei<br />

Dürr (1979) u.a. zu finden sind. Z.B. sollten nach Dürr (1979,<br />

S. 25) dem Kind im<br />

- Alter von bis zu zwei Jahren einmal im Monat ein bis zwei<br />

Stunden Umgang eingeräumt werden,<br />

- einem Kind im Alter von zwei bis sechs Jahren einmal<br />

monatlich vier bis sechs Stunden,<br />

- im Alter von sechs bis zehn Jahren einmal monatlich sechs<br />

bis acht Stunden und ab<br />

- zehn Jahren einmal monatlich acht bis zehn Stunden.<br />

Die Beachtung und Überprüfung der bereits erwähnten<br />

psychosozialen <strong>Grundbedürfnisse</strong> <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> (basic needs)<br />

angesichts der seit Jahren erheblich erweiterten<br />

Umgangskontakte beinhaltet folgen<strong>des</strong> Vorgehen:<br />

Ist beispielsweise der den Umgang begehrende Elternteil in<br />

der Lage, folgende Bedürfnisse <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>


- wahrzunehmen,<br />

- richtig zu interpretieren,<br />

- prompt und<br />

- angemessen darauf zu reagieren?<br />

1. Bedürfnis <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> nach Ernährung, Versorgung und<br />

Gesundheit<br />

2. Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit,<br />

Sicherheit, Schutz vor Gefahren materieller und sexueller<br />

Übergriffe und Ausbeutung<br />

3. Bedürfnis nach beständigen Beziehungen, sicheren<br />

Bindungen, stabilen und unterstützenden Gemeinschaften<br />

sowie nach einer sicheren Zukunft<br />

4. Bedürfnis nach Liebe, Akzeptanz, Geborgenheit,<br />

Zuwendung, Unterstützung<br />

5. Bedürfnis nach Wissen, Bildung und Vermittlung neuer<br />

und hinreichender Erfahrungen.<br />

6. Bedürfnis nach Lob,(adäquater) Anerkennung,<br />

Verantwortung und Selbständigkeit.<br />

7. Bedürfnis nach Übersicht, Zusammenhang,<br />

Orientierung, Regeln, Strukturen und Grenzen.<br />

(vgl. hierzu auch: Brazelton & Greenspan, 2002; Fegert,<br />

1999, S. 326f.)<br />

Ist der betreffende Elternteil bzw. die den Umgang begehrende<br />

Person hierzu willens und in der Lage, wird als nächster<br />

Schritt der Wille <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> bei der Ausgestaltung <strong>des</strong> Umgangs<br />

zu prüfen sein, der nach Dettenborn (2001, S. 95f.) folgende<br />

Kriterien (Kategorien) beinhaltet:<br />

1. Zielorientiertheit (Hat z.B. die Willensbekundung<br />

ein klar erkennbares Ziel? Äußert sich z.B. das Kind<br />

über den Umfang und die Ausgestaltung <strong>des</strong> Umgangs.<br />

Hat das Kind Angst vor Übernachtungen? Werden unter<br />

verschiedenen Möglichkeiten einzelne favorisiert?<br />

Werden Argumente hervorgebracht, ein bestimmtes Ziel<br />

zu erreichen?)


2. Intensität (Beruht die Willensbekundung auf einer<br />

gefühlsmäßigen Grundlage, die einfühlbar ist oder<br />

äußert sich das Kind z.B. „Ich-fremd“. Werden<br />

Zielorientierungen eindeutig, nachdrücklich und<br />

beharrlich beibehalten?)<br />

3. Stabilität (Wird z.B. die Willensbekundung über<br />

einen längeren Zeitraum eindeutig vorgetragen? Oder<br />

waren die geäußerten Willensinhalte <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

instabil, wechselnd? Wurden sie auch in Bezug auf<br />

verschiedene Personen und in unterschiedlichen<br />

Kontexten beibehalten? Wo, wann und wie ist die<br />

Geburtsstunde der ersten Willensbekundung zu<br />

identifizieren und wie stellt sich der weitere<br />

Verlauf, also die Geschichte <strong>des</strong><br />

Willenbildungsprozesses dar?)<br />

4. Autonomie (Ist beispielsweise die Willensbekundung<br />

erlebnisgestützt bzw. erlebnisfundiert – entspringt<br />

sie somit einem realen Erleben oder ist sie aufgrund<br />

von Beeinflussungen zustandegekommen? Hier sollte<br />

auch eine denkbare Induktion <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> beachtet<br />

werden. Aber auch dann gilt, dass auch der<br />

induzierte Wille ein Wille ist) (vgl. hierzu<br />

Peschel-Gutzeit, 1989, 1995).<br />

Denkbar ist ebenso, dass angesichts einer Induktion <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

das Kind keinen Willen äußert oder einen Willen kundgibt, der<br />

nicht seinen „wirklichen“ Intentionen entspricht. Werden<br />

Kinder induziert, gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten<br />

diesen Induktionsprozess in Bezug auf die Eltern und das Kind<br />

diagnostisch zu erfassen und zu klären:<br />

I. Elternebene<br />

1. Der induzierende Elternteil macht meist auch Jahre nach der<br />

Trennung oder Scheidung andauernde negative Äußerungen über<br />

den anderen Elternteil (dein Vater/deine Mutter ist ein


Versager, Feigling, ein Betrüger, der Zerstörer der Familie<br />

etc.).<br />

2. Der induzierende Elternteil hält nachpartnerschaftliche<br />

Schuldprojektionen bezüglich <strong>des</strong> anderen Elternteils – meist<br />

angesichts schwerer Kränkungen und seelischer Verletzungen -<br />

hartnäckig aufrecht.<br />

3. Der induzierende Elternteil äußert seine Vorbehalte<br />

normalerweise nicht direkt gegenüber dem anderen Elternteil,<br />

sondern wählt sich das Kind als Ansprech-,<br />

Manipulationspartner und Komplizen aus. Auch das Jugendamt,<br />

der Sachverständige, Verfahrenspfleger, Umgangsbegleiter<br />

oder das Gericht werden häufig in diese Dynamik mit<br />

einbezogen, um den Kontakt <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> mit dem anderen<br />

Elternteil einzuschränken oder auszusetzen.<br />

4. Der induzierende Elternteil instrumentalisiert das Kind, um<br />

eigenen Verlustängsten zu begegnen und weiter bestehende<br />

Haß- und Rachegefühle gegenüber dem anderen Elternteil<br />

auszuleben. Eine Trennung bzw. Differenzierung der<br />

Elternebene von der Paarebene scheint unmöglich zu sein.<br />

5. Trennungsbedingte Symptome und Beunruhigungen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

werden dem abgelehnten Elternteil zugerechnet.<br />

6. Meist wird eine Hilfe oder Unterstützung - beispielsweise im<br />

ASD <strong>des</strong> Jugendamtes - oder eine Mediation, Beratung oder<br />

Therapie nicht in Anspruch genommen; direkte Kontakte mit<br />

dem anderen Elternteil werden abgelehnt.<br />

7. Der induzierende Elternteil folgt oft dem Motto: Beide<br />

Eltern sind im allgemeinen auch nach einer Trennung für die<br />

Kinder wichtig, nicht aber im konkreten (in meinem) Fall.<br />

Der andere Elternteil hat alle „Rechte“ am Kind verwirkt.<br />

8. Die Beziehungen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> zu anderen Familienmitgliedern<br />

<strong>des</strong> abgelehnten Elternteils werden als genauso schädlich<br />

eingestuft wie die Kontakte zu ihm selbst.<br />

9. Selbst von neutralen Personen begleitete Umgangskontakte<br />

werden oft als dem Kind unzumutbar abgelehnt.


10. Einmal aufgestellte Behauptungen werden auch im Falle<br />

einer „Widerlegung“ durch Fachleute oder durch gerichtlichen<br />

Beschluss weiterhin als Realität angesehen (z.B. beim<br />

sexuellen Missbrauchsthema).<br />

I. Kindebene<br />

1. In den Gesprächen mit einem induzierten Kind fällt auf,<br />

dass der induzierende Elternteil meist durchweg positiv,<br />

der abgelehnte Elternteil dagegen meist durchgängig negativ<br />

beschrieben wird.<br />

2. Auf die Frage, wie sich der abgelehnte Elternteil ändern<br />

müsste bzw. was geschehen müsste, um ein besseres Bild vom<br />

abgelehnten Elternteil zu bekommen, fällt dem Kind so gut<br />

wie nie eine Antwort ein. Typische Antworten lauten<br />

beispielsweise: „Der kann sich gar nicht ändern“; „der hat<br />

bei mir keine Chance mehr.“<br />

3. Auf die Frage, warum das Kind keinen Kontakt mit dem anderen<br />

Elternteil haben möchte, werden meist nur lapidare<br />

Erklärungen oder vage Hinweise gegeben: „Dort muss ich den<br />

Tisch abräumen“; „da muss ich lesen üben“; „da musste ich<br />

den Mülleimer auslehren“.<br />

4. Wenn ein derart induziertes Kind seine ablehnende Haltung<br />

begründen soll, werden meist wortgetreu die Beschuldigungen<br />

<strong>des</strong> anderen Elternteil wiedergegeben. Nähere Erläuterungen,<br />

Begründungen oder Konkretisierungen sind dem Kind jedoch<br />

meist nicht möglich.<br />

Nach Gardner (1992) zeigen in diesem Sinne induzierte Kinder<br />

(PAS) im hochstrittigen Sorgerechts- oder Umgangsverfahren<br />

folgende Besonderheiten:<br />

- Verunglimpfungskampagnen <strong>des</strong> anderen Elternteils<br />

- Absurden Rationalisierungen und Verunglimpfungen<br />

- Fehlende Ambivalenz<br />

- Betonung „eigenständigen Denkens“<br />

- Reflexive Unterstützung <strong>des</strong> betreuenden Elternteils


- Fehlende Schuldgefühle<br />

- „Entliehene Szenarien“<br />

- Ausweitung der Feindseligkeiten auf weitere Angehörige<br />

<strong>des</strong> abgelehnten Elternteils<br />

Werden derartig gravierende Induzierungen beim Kind nicht<br />

erkennbar, sondern eher typische Beeinflussungen,<br />

Manipulationen oder Instrumentalisierungen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>, sind<br />

folgende Leitfragen zur Klärung der Lebenssituation und der<br />

Vorstellungswelt <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> bei der Realisierung von<br />

Umgangskontakten hilfreich (vgl. hierzu Westhoff, Terlinden-<br />

Arzt & Klüber, 2000):<br />

- Wann hat das Kind seine Mutter, seinen Vater nach der<br />

Elterntrennung erstmalig wieder gesehen?<br />

- Gab es seitdem Unterbrechungen der Kontakte?<br />

- Wie häufig trifft das Kind seine Mutter bzw. seinen<br />

Vater?Wie lange dauern jeweils die Kontakte?<br />

- Unter welchen Bedingungen finden die Kontakte statt?<br />

- Welche Personen sind außer dem jeweiligen Elternteil<br />

anlässlich der Kontakte dabei?<br />

- Was unternehmen das Kind und seine Mutter bzw. sein<br />

Vater, wenn sie zusammen sind?<br />

- Gibt es telefonische und/oder briefliche Kontakte<br />

zwischen dem Kind und dem betreffenden Elternteil?<br />

- Gab bzw. gibt es Schwierigkeiten bei der Durchführung der<br />

Umgangskontakte?<br />

- Wie sieht die Übergabe- und Abholsituation aus?<br />

- Wie geht das Kind auf seine Mutter bzw. seinen Vater zu,<br />

wenn es zu einem Zusammentreffen kommt?<br />

- Wie geht es dem Kind beim Abschied nehmen?<br />

- Wie verhält sich das Kind, wenn es wieder zurückkommt?<br />

- Wie erlebt das Kind die Besuchskontakte?<br />

- Kann das Kind von den Besuchskontakten profitieren?<br />

- Berichtet das Kind von den Besuchen und Aktivitäten?


- Wie verhält sich das Kind bei den Besuchskontakten<br />

gegenüber seiner Mutter bzw. seinem Vater?<br />

- Welchen Willen kann das Kind äußern?<br />

- Fanden bereits Umgangskontakte gegen den erklärten Willen<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> statt?<br />

- Haben die Eltern eine Mediation, Trennungsberatung oder<br />

eine Psychotherapie in Anspruch genommen?<br />

- Boykottiert ein Elternteil die Umgangskontakte?<br />

- Welche Auflagen, gerichtlichen Beschlüsse und Sanktionen<br />

sind bereits erfolgt, um den Boykott zu beheben?<br />

Zusammenfassung und Perspektiven<br />

Beeinflussungen, Manipulationen, Instrumentalisierungen,<br />

Parentifizierungen von Kindern aller Altersgruppen und<br />

Induzierungen in hoch strittigen Trennungsprozessen, bei<br />

Sorgerechts- und Umgangsregelungen sind seit Jahren bekannte<br />

Phänomene in der Sozialarbeit, Verfahrenspflegschaft,<br />

familienpsychologischen Sachverständigentätigkeit,<br />

Beratungspraxis und im Gerichtsverfahren.<br />

Im Rahmen dieser Diskussion macht in den letzten Jahren vor<br />

allem das Parental-Alienation-Syndrome (PAS) auf sich<br />

aufmerksam. Bei diesem Konzept handelt es sich um ein<br />

Arbeitsmodell, das nicht auf der Grundlage empirisch<br />

hinreichend belegter Annahmen steht. Insbesondere die Annahme,<br />

dass es sich um eine Krankheit <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> handelt, analog dem<br />

Modell eines Folie à deux (vgl. ICD 10 F24) 2 , widerspricht dem<br />

2 Nach ICD-10 F24 soll die Diagnose einer induzierten wahnhaften Störung<br />

nur gestellt werden, wenn:<br />

1. Zwei oder mehr Menschen denselben Wahn oder dasselbe Wahnsystem<br />

teilen, und sich in dieser Überzeugung bestärken.<br />

2. Diese Menschen eine außergewöhnlich enge Beziehung verbindet.<br />

3. Durch einen zeitlichen oder sonstigen Zusammenhang belegt ist, dass<br />

der Wahn bei dem passiven Partner durch Kontakt mit dem aktiven<br />

induziert wurde.


das gesamte Familiensystem umfassenden systemischen<br />

Denkansatz, der keine isolierte Krankheitssicht betont.<br />

Allen Professionellen ist bekannt, dass induzierende<br />

Elternteile in der Lage sind, Kinder derart zu beeindrucken,<br />

dass sie u.U. sogar den Kontakt mit dem ehemals geliebten<br />

Elternteil verweigern.<br />

Kritisch anzumerken ist, dass gerade im Rahmen der PAS-<br />

Diskussion davon ausgegangen wird, dass der induzierte Wille<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> nicht zu beachten ist, obwohl gerade dieser<br />

intentionale Wille mit einer klaren Zielrichtung besonders<br />

stark ausgeprägt sein kann und je<strong>des</strong> Kontaktbemühen scheitern<br />

lässt.<br />

Nicht der zwangsweise durchgesetzte Umgang stellt in der<br />

Regel ein erfolgreiches Modell dar, da bei jedem<br />

Umgangskontakt meist der Wille <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> erneut gebrochen<br />

werden muss, sondern die Inanspruchnahme z.B. einer Mediation,<br />

Beratung, Familientherapie oder Psychotherapie durch die<br />

Eltern und/oder eine bereits kurze Zeit nach einer Trennung<br />

erfolgende konsequente Festlegung <strong>des</strong><br />

Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den bindungstoleranteren und<br />

nicht boykottierenden Elternteil.<br />

Hat sich aber der Wille eines Kin<strong>des</strong> erst verfestigt –<br />

intentionalisiert – wird er meist ab einem Lebensalter von ca.<br />

zehn Jahren nicht mehr, ohne neuen Schaden anzurichten, zu<br />

verändern sein. In diesem Zusammenhang wird auch der Vorschlag<br />

von einigen Vertretern <strong>des</strong> PAS-Modells, der vor allem von<br />

betroffenen Vätern aufgegriffen wurde, das Kind beispielsweise<br />

in einem Heim unterzubringen, grundsätzlich als nicht<br />

kin<strong>des</strong>wohlverträglich abzulehnen sein.<br />

Allerdings entfällt zu einem Zeitpunkt, an dem sich der<br />

Wille <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> verfestigt hat, meist die Möglichkeit, einen<br />

Wechsel <strong>des</strong> Aufenthaltsbestimmungsrechts oder <strong>des</strong> Sorgerechts<br />

herbeizuführen, es sei denn, dass trotz der Induzierung die<br />

Widerstandskraft (Resilienz) (Egle, Hoffmann & Joraschky,<br />

2000, S. 4) <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> besonders ausgeprägt ist. Unter


Resilienz ist in diesem Zusammenhang das Phänomen zu<br />

verstehen, sich selbst unter schwierigen Lebensumständen<br />

andauernder familiärer Konflikte gesund und kompetent zu<br />

entwickeln. Darüber hinaus wird unter Resilienz auch zu<br />

subsumieren sein, wenn sich das Kind z.B. nach einem<br />

Sorgerechtswechsel von seinem Störungszustand der Induktion<br />

schnell erholt.<br />

Dabei spielt offensichtlich nicht nur die resiliente<br />

Persönlichkeit <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> eine herausragende Rolle, sondern<br />

ebenso der familiäre Zusammenhalt in den Teilfamilien - auch<br />

im Sinne der Bindungstheorie - und das Vorhandensein externer<br />

Unterstützung, z.B. bei älteren Kindern in der Verwandtschaft,<br />

Freundschaft und peer-groups oder bei jüngeren Kindern<br />

zusätzlich in Trennungs- und Scheidungsgruppen, die die<br />

kindlichen Coping-Strategien fördern und stärken.<br />

Beachtenswert ist ferner die allgemeine Lebenseinstellung und<br />

sichere Einbettung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> in das soziale Umfeld, die u.U.<br />

noch einen späteren Wechsel <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> zu dem anderen<br />

Elternteil zulässt.<br />

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gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein.<br />

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Westhoff, K., Terlinden-Arzt, P. & Klüber, A. (2000).<br />

Entscheidungsorientierte psychologische Gutachten für das<br />

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Zitelmann, M. (2001). Kin<strong>des</strong>wohl und <strong>Kin<strong>des</strong>wille</strong> im<br />

Spannungsfeld von Pädagogik und Recht. Münster: Votum.

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