Der Kommunalverfassungsstreit - Ja-Aktuell
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AUFSATZ Öffentliches Recht Verwaltungsprozessrecht<br />
Johannes Meister,<br />
Wiss. Mit., Gießen<br />
A. EINLEITUNG<br />
<strong>Der</strong> <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
In der Praxis führen die zahlreichen Beziehungen zwischen den<br />
Organen oder innerhalb der Organe einer Gemeinde nicht selten<br />
zu Streitigkeiten. 1 Daneben kommt den einschlägigen Fallgestaltungen<br />
iRd des rechtswissenschaftlichen Studiums und Examens<br />
unverminderte Aktualität zu. 2 Gerichtliche Auseinandersetzungen<br />
zwischen Organen oder Organteilen einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft<br />
wegen der Wahrnehmung oder (möglichen)<br />
Verletzung der ihnen als Organ oder Organteil zustehenden<br />
Kompetenzen bezeichnet man als <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>.<br />
3 Streitigkeiten um persönliche Rechte fallen nicht darunter;<br />
es geht allein um Kompetenzabgrenzungen und organschaftliche<br />
Funktionsabläufe. 4 Man unterscheidet beim <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
zwei grds Fallgestaltungen: Zum einen kann es zu<br />
Konflikten zwischen zwei Organen kommen (Interorganstreit),<br />
zum anderen sind auch Auseinandersetzungen innerhalb eines<br />
Organs möglich, wobei der Streit entweder zwischen zwei Organteilen<br />
oder einem Organteil und dem Gesamtorgan auftreten<br />
kann (Intraorganstreit). 5 Es lassen sich eine Reihe von sachlichen<br />
Hauptfallgruppen herausarbeiten. 6 Im Wesentlichen geht es dabei<br />
um Streitigkeiten wegen der (möglichen) Verletzung von<br />
Mitgliedschaftsrechten in der Volksvertretung (zB Rederechte,<br />
Antragsrechte) und um Streitigkeiten um Kompetenzübergriffe<br />
zwischen Organen. Beispiele hierfür sind Auseinandersetzungen<br />
über die vorzeitige Abberufung eines hauptamtlichen Beigeordneten<br />
durch die Gemeindevertretung, 7 das Vorgehen eines Gemeindevertreters<br />
gegen den Vorsitzenden der Gemeindevertretung,<br />
weil dieser ihm das Wort entzogen hat oder auch das<br />
Vorgehen eines Gemeindevertreters gegen einen mehrheitlich<br />
gefassten Beschlusses der Gemeindevertretung, ihn wegen Befangenheit<br />
von der Abstimmung auszuschließen. 8<br />
Eine besondere gesetzliche Regelung des <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>verfahrens<br />
existiert nicht. 9 Das verwaltungsgerichtliche<br />
Verfahren dient typischerweise dem Schutz subjektiver<br />
Rechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt. 10 Dementsprechend<br />
sind die in der VwGO geregelten Rechtsbehelfsmöglichkeiten<br />
auf Außenrechtsstreitigkeiten, dh den klassischen<br />
Konflikt Bürger gegen Staat zugeschnitten. Beim <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
handelt es sich indes um die wichtigste Form des<br />
verwaltungsrechtlichen Innenrechtsstreits. 11 Das wirft in diesem<br />
Zusammenhang ein paar Besonderheiten vor allem für die Prüfung<br />
der Zulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Klagen auf, die im<br />
Folgenden Schwerpunkt der Darstellung sind.<br />
<strong>Der</strong> Übersichtlichkeit halber wird vorwiegend das hessische<br />
Kommunalrecht zur Illustration einzelner Aussagen exemplarisch<br />
herangezogen und ist somit Grundlage der Darstellung. In den<br />
anderen Bundesländern dürften sich jedoch vergleichbare Probleme<br />
ergeben.<br />
B. PROBLEME DER ZUL¾SSIGKEIT<br />
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs<br />
Zunächst muss auch im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>verfahren<br />
die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges festgestellt werden.<br />
Sofern keine sog aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt, bemisst<br />
sich diese Frage nach § 40 I 1 VwGO. Eine aufdrängende<br />
Sonderzuweisung könnte sich unter Umständen aus dem Lan-<br />
414 JA 2004 · Heft 5<br />
desrecht ergeben. 12 § 40 I 2 VwGO eröffnet dem Landesgesetzgeber<br />
in bestimmten Fällen die Möglichkeit, abdrängende Verweisungen<br />
zu normieren, für aufdrängende Verweisungen trifft<br />
die VwGO keine diesbezügliche Regelung. Da der Bund von<br />
seiner (konkurrierenden) Gesetzgebungskompetenz nach Art 74<br />
I Nr 1 GG durch Erlass der VwGO Gebrauch gemacht hat, haben<br />
die Länder keine Möglichkeit, aufdrängende Sonderzuweisungen<br />
zu normieren. Entsprechende Vorschriften im Landesrecht haben<br />
demnach lediglich deklaratorischen Charakter. 13 Die Eröffnung<br />
des Verwaltungsrechtswegs im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong> bemisst<br />
sich also nach § 40 I 1 VwGO.<br />
Öffentlich-rechtlich iSd Vorschrift ist eine Streitigkeit dann,<br />
wenn sie sich als Folge eines Sachverhalts darstellt, der nach<br />
öffentlichem Recht zu beurteilen ist. 14 Die streitentscheidenden<br />
Normen finden sich beim <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong> im jeweiligen<br />
Kommunalrecht – insb den Gemeindeordnungen – und zählen<br />
folglich zum öffentlichen Recht. 15<br />
Trotz der Bezeichnung als <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong> handelt<br />
es sich um eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art,<br />
da die kommunalen Organe nicht unmittelbar am Verfassungsleben<br />
beteiligt sind und es auch nicht um ihnen aus der Verfassung<br />
– sondern lediglich aus einfachem (Kommunal)Recht –<br />
zukommenden Rechte geht. 16 Abdrängende Sonderzuweisungen<br />
sind nicht ersichtlich, so dass der Verwaltungsrechtsweg nach<br />
§ 40 I 1 VwGO eröffnet ist.<br />
II. Statthafte Klageart<br />
Fraglich ist welches die richtige Klageart für <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>igkeiten<br />
ist. Im Verwaltungsprozess richtet sich die<br />
Bestimmung der Rechtsschutzmöglichkeit grds nach dem Begehren<br />
des Kl (vgl § 88 VwGO). Da die VwGO auf Außenrechtsstreitigkeiten<br />
zugeschnitten ist, wurde teilweise angenommen, dass der<br />
<strong>Kommunalverfassungsstreit</strong> mit keiner der in der VwGO genannten<br />
Klagearten ausgetragen werden könne und somit als eine Klage<br />
besonderer Art anzusehen sei (Klage sui generis). 17 Dagegen lässt<br />
sich jedoch einwenden, dass das Klagesystem der VwGO auf Grund<br />
der umfassenden Regelung der Klagearten als abschließend anzusehen<br />
ist. 18 Unabhängig davon kommt die Erfindung einer neuen<br />
Klageart nur in Betracht, wenn sich die Streitigkeit nicht mit den in<br />
der VwGO geregelten Rechtsschutzmöglichkeiten erfassen lässt;<br />
ein solcher Nachweis lässt sich indessen nicht erbringen. 19 Statt-<br />
1 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern Hessisches Landesrecht – Kommunalrecht, 3. Aufl, 2001,<br />
Rn 607<br />
2 Vgl Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 157<br />
3 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 158 mwN<br />
4 Martensen JuS 1995, 989, 989<br />
5 Dazu und zu den folgenden Beispielen Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 607<br />
6 Dazu und zum Folgenden Waechter Kommunalrecht, 3. Aufl, 1997, Rn 411<br />
7 VGH Kassel NVwZ 1985, 604<br />
8 VGH Kassel NVwZ 1982, 44<br />
9 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 608<br />
10 Tettinger/Wahrendorf Verwaltungsprozessrecht, 2000, § 22 Rn 4<br />
11 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 158<br />
12 Ein Beispiel für eine derartige Regelung ist § 55 VI 3 Hessische Gemeindeordnung<br />
(HGO), der festlegt, dass »für das weitere Verfahren . . . die Vorschriften der VwGO<br />
[gelten]«.<br />
13 Hufen Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl, 2003, § 11 Rn 10<br />
14 Kopp/Schenke VwGO, 13. Aufl, 2003, § 40 Rn 6<br />
15 Zur früher vertretenen Auffassung, wonach zwischen Organen desselben Verwaltungsträgers<br />
keine Rechtsbeziehungen bestehen können sollen (Folge: keine öffentlich-rechtliche<br />
Streitigkeit) und den dagegen sprechenden Argumenten Erichsen/<br />
Biermann Jura 1997, 157, 158<br />
16 Vgl dazu Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 610<br />
17 Vgl OVG Münster OVGE 27, 258, 260<br />
18 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 611<br />
19 Ehlers NVwZ 1990, 105, 106; Schoch JuS 1987, 783, 787
AUFSATZ Öffentliches Recht Verwaltungsprozessrecht<br />
hafte Klageart kann damit nur eine der in der VwGO geregelten<br />
oder vorausgesetzten Klagearten sein.<br />
Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage kommen nur dann in<br />
Betracht, wenn die jeweils in Streit stehenden organschaftlichen<br />
Beziehungen durch VA geregelt werden können. Da die Maßnahmen<br />
im Verhältnis zwischen kommunalen Organen oder Organteilen,<br />
um die im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong> gestritten wird,<br />
verwaltungsinterner Natur sind, liegt mangels Außenwirkung<br />
kein VA iSd § 35 VwVfG vor; iRv <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>igkeiten<br />
ist daher niemals die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage<br />
einschlägig. 20<br />
Vielmehr kommen in erster Linie die allgemeine Leistungsklage<br />
(vgl §§ 43 II, 113 IV VwGO) und die Feststellungsklage (§ 43<br />
I VwGO) in Betracht. Die allgemeine Leistungsklage ist auf ein<br />
Tun, Dulden oder Unterlassen des Klagegegners gerichtet. 21 Beispiele<br />
hierfür sind die Aufnahme eines Verhandlungsgegenstands<br />
auf die Tagesordnung oder die Anordnung eines Rauchverbots.<br />
22 Die Feststellungsklage ist demgegenüber immer dann<br />
die richtige Klageart, wenn es um das Bestehen oder Nichtbestehen<br />
eines (Innen-)Rechtsverhältnisses geht. 23 Ein solches Rechtsverhältnis<br />
ergibt sich aus den Rechtsbeziehungen zwischen streitenden<br />
Organen und/oder Organteilen, die sich aus der Anwendung<br />
kommunalverfassungsrechtlicher Normen auf den Sachverhalt<br />
ergeben; die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen<br />
den Streitparteien stellen stets ein Rechtsverhältnis idS dar. 24 Da<br />
erwartet werden kann, dass das im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
unterliegende Organ sich rechtstreu verhalten wird und einem<br />
Feststellungsurteil auch ohne Vollstreckungsmaßnahmen Folge<br />
leisten wird, gilt die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 II<br />
VwGO) in solchen Fallen nicht. 25 Beispiele für diese Rechtsschutzmöglichkeit<br />
sind die Feststellung der Rechtswidrigkeit<br />
einer Wahl innerhalb eines Organs (zB Wahl zum Vorsitzenden<br />
der/des Gemeindevertretung/Gemeinderats) 26 oder die Feststellung<br />
der Rechtswidrigkeit eines Sitzungsausschlusses. 27 Vergangene<br />
Rechtsverhältnisse sind ebenfalls feststellungsfähig, sofern<br />
sie in die Gegenwart fortwirken oder aus anderen Gründen ein<br />
Interesse an ihrer Feststellung fortbesteht, so dass auch bereits<br />
abgeschlossene Maßnahmen Gegenstand einer Feststellungsklage<br />
sein können. 28 Eines Rückgriffs auf die Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
in analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO bedarf<br />
es also nicht. 29<br />
Schließlich kann auch die Normenkontrolle nach § 47 VwGO<br />
statthafte Rechtsschutzmöglichkeit iRe <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>s<br />
sein. 30 So kann bspw die Geschäftsordnung eines kommunalen<br />
Vertretungsorgans oder eine vergleichbare Rechtsnorm<br />
auf diesem Weg angegriffen werden. 31<br />
Einstweiliger Rechtsschutz ist im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>verfahren<br />
ebenfalls möglich. Sofern es sich in der Hauptsache<br />
um eine Feststellungs- oder Leistungsklage handelt, richtet<br />
er sich nach § 123 VwGO. Für die Normenkontrolle enthält<br />
§ 47 VwGO mit seinem Abs 6 eine Sonderregelung.<br />
III. Klagebefugnis<br />
Für die allgemeine Leistungsklage bedarf es nach wohl überwiegender<br />
Ansicht der Klagebefugnis analog § 42 II VwGO. 32 Für die<br />
Feststellungsklage wird die Notwendigkeit der Klagebefugnis<br />
zumindest von der Rspr, aber auch von Teilen der Lit bejaht. 33<br />
Beim Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO richten sich die<br />
Zulässigkeitsvoraussetzungen nach den dafür geltenden Spezialvorschriften,<br />
34 sodass die Antragsbefugnis nach § 47 II 1 VwGO<br />
vorliegen muss, wobei hierfür entsprechende Grundsätze wie für<br />
die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO gelten. 35<br />
Um iRe <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>s klage- bzw antragsbefugt<br />
zu sein, muss das klagende Organ oder Organteil geltend<br />
machen können, in seinen eigenen subjektiven Organ- oder Mitgliedschaftsrechten<br />
verletzt zu sein; es ist in diesem Zusammenhang<br />
grds unzulässig, sich auf individuelle Rechte (zB Grundrechte)<br />
oder eine objektive Rechtsverletzung zu berufen. 36 Beispiele<br />
für subjektive Organ- oder Mitgliedschaftsrechte können<br />
das Recht einer Gemeinderatsfraktion, in den Ausschüssen entsprechend<br />
ihrer Fraktionsstärke berücksichtigt zu werden, 37 oder<br />
das Recht des einzelnen Gemeindevertreters auf Anwesenheit in<br />
der Sitzung, Teilnahme an der Beratung und auf Stimmabgabe<br />
sein. 38<br />
§ 42 II VwGO eröffnet die Möglichkeit, abweichende gesetzliche<br />
Regelungen zur Klagebefugnis zu treffen, dh die Klagebefugnis<br />
in bestimmten Fällen auszuschließen. Eine derartige Ausnahme<br />
kann auch durch Landesgesetz festgelegt werden. 39 Das<br />
bedeutet, dass die Bundesländer in ihren Gemeindeordnungen<br />
Fälle normieren können, bei denen im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
keine Klagebefugnis erforderlich ist. Ein Beispiel hierfür ist<br />
§ 55 VI HGO, der jedem Gemeindevertreter die Möglichkeit der<br />
Anfechtung von Wahlen, die von der Gemeindevertretung durchgeführt<br />
werden, einräumt. Es handelt sich dabei um ein objektives<br />
Beanstandungsrecht, 40 so dass es in solchen Fallkonstellationen<br />
nicht auf eine Verletzung subjektiver Rechte ankommt.<br />
IV. Feststellungsinteresse<br />
Sofern der <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong> in Form einer Feststellungsklage<br />
geführt wird, ist das Vorliegen des Feststellungsinteresses<br />
erforderlich. Allgemein muss der Kl dafür ein rechtliches<br />
oder schutzwürdiges tatsächliches – insb wirtschaftliches oder<br />
ideelles – Interesse nachweisen können. 41 Da Innenrechtssubjekte<br />
im Gegensatz zu Außenrechtssubjekten keine ideellen oder<br />
wirtschaftlichen Interessen haben können, sind sie von vornherein<br />
darauf beschränkt, Funktionsinteressen der Organisation<br />
wahrzunehmen. 42 Das Feststellungsinteresse ist zu bejahen,<br />
wenn schutzwürdige Funktionsinteressen auf dem Spiel stehen,<br />
was vor allem bei bestehender Klagebefugnis regelmäßig der<br />
Fall sein dürfte.<br />
Richtet sich die Klage auf die Feststellung eines in der Vergangenheit<br />
liegenden Rechtsverhältnisses, ist ein Feststellungs-<br />
20 Dazu und zu den gegen die Gegenansicht sprechenden Argumenten im Einzelnen<br />
Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 161 mwN<br />
21 Happ in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl, 2000, § 42 Rn 62<br />
22 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 613; vgl auch OVG Münster DVBl 1983, 53, 54<br />
23 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 161 mwN; vgl auch VGH Mannheim DÖV 1983,<br />
862, 862; VGH München BayVBl 1988, 16, 16<br />
24 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 161 mwN<br />
25 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 613; vgl auch Hufen (Fn 13) § 21 Rn 14<br />
26 VGH Kassel HessVGRspr 2002, 9<br />
27 VGH Kassel NVwZ 1982, 44<br />
28 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 161 f; Kopp/Schenke (Fn 14) § 43 Rn 18<br />
29 So aber Ehlers NVwZ 1990, 105, 107; Hufen (Fn 13) § 21 Rn 14; aA Erichsen/Biermann<br />
Jura 1997, 157, 162<br />
30 Dazu und zum Folgenden Hufen (Fn 13) § 21 Rn 15<br />
31 Vgl BVerwG NVwZ 1988, 1119<br />
32 BVerwGE 36, 192, 199; Hufen (Fn 13) § 17 Rn 13; Schenke Verwaltungsprozessrecht,<br />
8. Aufl, 2002, Rn 492; Schmitt Glaeser/Horn Verwaltungsprozessrecht, 15. Aufl<br />
Rn 387; Würtenberger Verwaltungsprozessrecht, 1998, Rn 390<br />
33 Vgl zB BVerwG NVwZ 1989, 470, 470; NVwZ 1991, 470, 471; DVBl 1995, 1250, 1250;<br />
NJW 1996, 2046, 2048; Happ in: Eyermann (Fn 21) § 43 Rn 4; Ehlers NVwZ 1990, 105,<br />
111; Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 615; zumindest für verwaltungsprozessuale<br />
Organklagen auch Hufen (Fn 13) § 18 Rn 29; Würtenberger (Fn 32) Rn 426; aA Kopp/<br />
Schenke (Fn 14) § 42 Rn 63 mwN; Schenke (Fn 32) Rn 492; Schmitt Glaeser/Horn<br />
(Fn 32) Rn 341<br />
34 Vgl Hufen (Fn 13) § 21 Rn 15<br />
35 Kopp/Schenke (Fn 14) § 47 Rn 46<br />
36 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 615<br />
37 Knemeyer Bayerisches Kommunalrecht, 10. Aufl, 2000, Rn 287<br />
38 Knemeyer (Fn 37) Rn 213<br />
39 Kopp/Schenke (Fn 14) § 42 Rn 180<br />
40 VGH Kassel HessVGRspr 2002, 9, 12<br />
41 Happ in: Eyermann (Fn 21) § 43 Rn 30<br />
42 Dazu und zum Folgenden Ehlers NVwZ 1990, 105, 111<br />
JA 2004 · Heft 5 415
AUFSATZ Öffentliches Recht Verwaltungsprozessrecht<br />
interesse nur gegeben, wenn aus der Störung – zB wegen Wiederholungsgefahr<br />
– ein fortwirkendes rechtliches, dem Kl selbst<br />
zugeordnetes »Interesse« resultiert. 43 Ein in der Zwischenzeit<br />
aus der Volksvertretung ausgeschiedener klagender Mandatsträger<br />
kann daher die zurückliegende Beeinträchtigung seiner Mitgliedschaftsrechte<br />
nicht rügen, ihm fehlt das Feststellungsinteresse.<br />
44<br />
V. Klagegegner<br />
<strong>Der</strong> richtige Klagegegner richtet sich im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>verfahren<br />
nicht nach dem in § 78 I Nr 1 VwGO normierten –<br />
in direkter Anwendung ohnehin nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklage<br />
geltenden – Rechtsträgerprinzip. 45 Die Klage ist<br />
vielmehr gegen denjenigen Funktionsträger zu richten, demgegenüber<br />
die mit der Organklage beanspruchte Innenrechtsposition<br />
bestehen soll. 46 Teilweise finden sich im Landesrecht Regelungen,<br />
die ausdrücklich einen Klagegegner für kommunalverfassungsrechtliche<br />
Streitigkeiten bestimmen (zB § 55 VI 3 HGO).<br />
Hierbei ist zweifelhaft, ob den Ländern die Regelungskompetenz<br />
für diese Frage zusteht. § 78 I Nr 2 VwGO lässt zwar entsprechenden<br />
Spielraum, ist jedoch nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklage<br />
einschlägig; es kommt allenfalls eine analoge<br />
Anwendung dieser Vorschrift in Betracht. Sofern man die Landeskompetenz<br />
zur Regelung des Klagegegners beim <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
verneint, kommt derartigen Vorschriften lediglich<br />
deklaratorischer Charakter zu, wenn sie das nach den oben<br />
genannten Grundsätzen bestimmte Ergebnis bestätigen.<br />
Eine Sonderregelung bzgl des Antragsgegners existiert iRd<br />
Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Für diesen Fall bestimmt § 47<br />
II 2 VwGO, dass der Antrag gegen die Körperschaft, Anstalt oder<br />
Stiftung zu richten ist, die die Rechtsvorschrift erlassen hat. Die<br />
Vorschrift basiert auf dem Rechtsträgerprinzip, so dass im iRe<br />
<strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>s für diesen Fall der Antrag gegen die<br />
Gemeinde und nicht den Gemeinderat zu richten ist. 47 In diesem<br />
Zusammenhang findet das Rechtsträgerprinzip also ausnahmsweise<br />
auch bei der Geltendmachung einer Innenrechtsposition<br />
Anwendung.<br />
VI. Beteiligtenfähigkeit<br />
Kl und Klagegegner müssen nach § 61 VwGO beteiligtenfähig<br />
sein. Es lassen sich zwei grds Fallkonstellationen unterscheiden:<br />
Zum einen kann Kl bzw Klagegegner eine Personenmehrheit (zB<br />
Fraktion, Ausschuss, Gemeindevertretung, Gemeindevorstand,<br />
Ortsbeirat) sein, zum anderen ist denkbar, dass eine Einzelperson<br />
entweder als Organ (zB Bürgermeister) oder Organteil (zB<br />
Gemeindevertreter) am Verfahren beteiligt ist. In den jeweiligen<br />
Fällen kann problematisch sein, ob sich die Beteiligtenfähigkeit<br />
nach § 61 Nr 1 VwGO oder nach § 61 Nr 2 VwGO jeweils in direkter<br />
oder analoger Anwendung bestimmt. § 61 Nr 3 VwGO scheidet<br />
zur Herleitung der Beteiligungsberechtigung von vornherein aus,<br />
da sich diese Vorschrift nur auf die außengerichtet handelnde<br />
Verwaltung bezieht und eine Anwendung auf Innenrechtsstreitigkeiten<br />
daher nicht in Betracht kommt. 48<br />
Soweit es um die Beteiligtenfähigkeit von Personenmehrheiten<br />
geht, wird entweder der Begriff »Vereinigung« in § 61 Nr 2<br />
VwGO weit ausgelegt oder die Vorschrift analog angewandt. 49<br />
Voraussetzung von § 61 Nr 2 VwGO ist, dass der Vereinigung<br />
(hier: dem Organ bzw Organteil) ein Recht zustehen kann. Aus<br />
dem Wortlaut (»soweit«) folgt, dass es nicht ausreicht, wenn es<br />
sich dabei um irgendein Recht handelt, es kommt vielmehr darauf<br />
an, ob die Vereinigung in Bezug auf den konkreten Streitgegenstand<br />
allg Zuordnungsobjekt eines Rechtssatzes ist. 50 Vo-<br />
416 JA 2004 · Heft 5<br />
raussetzung ist also, dass die am <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
beteiligten Organe oder Organteile – sofern es sich um Vereinigungen<br />
iSd § 61 Nr 2 VwGO handelt – Träger eines Rechts iSv<br />
§ 42 II VwGO sind, 51 was für die Klägerseite bereits iRd Klagebefugnis<br />
festgestellt wird.<br />
Schwieriger ist die Beteiligtenfähigkeit zu bestimmen, wenn<br />
eine Einzelperson Kl oder Klagegegner ist. Hier kommt entweder<br />
die direkte oder analoge Anwendung von § 61 Nr 1 Alt 1 VwGO<br />
oder die direkte oder analoge Anwendung von § 61 Nr 2 VwGO in<br />
Betracht. Teilweise wird vorgebracht, dass im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong><br />
nicht um individuelle Rechte des Organwalters, sondern<br />
um Wahrnehmungszuständigkeiten des Organs bzw Organteils<br />
gestritten werde; Beteiligte seien dementsprechend das<br />
Organ bzw Organteil. 52 Diese seien jedoch, selbst wenn sie monokratisch<br />
besetzt seien, keine natürlichen Personen, sondern<br />
rechtliche Institutionen. Dagegen spricht jedoch, dass bei dieser<br />
Sichtweise vom Recht auf die Art der Beteiligung geschlossen<br />
wird. 53 Eine natürliche Person wird nicht zur Vereinigung, auch<br />
wenn sie als Gemeindeorgan klagt, sondern bleibt natürliche<br />
Person als solche. 54<br />
Eine besondere Regelung zur Beteiligtenfähigkeit enthält wiederum<br />
§ 47 VwGO. Nach Abs 2 S 1 kann der Antrag von jeder<br />
natürlichen oder juristischen Person gestellt werden. Sofern eine<br />
Einzelperson den Antrag stellt, wird man sie in Anlehnung an die<br />
zu § 61 VwGO vertretene Auffassung unter den Begriff »natürliche<br />
Person« in § 47 II 1 VwGO zu subsumieren haben. Die Vertreter<br />
der Gegenauffassung müssen die Vorschrift analog anwenden<br />
bzw die Einzelperson als »juristische Person« iSv § 47 II 1<br />
VwGO ansehen. Zu den juristischen Personen iSd Vorschrift zählen<br />
auch Personenmehrheiten, die durch Gesetz oder gewohnheitsrechtlich<br />
hinsichtlich der Parteifähigkeit juristischen Personen<br />
gleichgestellt sind oder die gem § 61 Nr 2 VwGO beteiligungsfähig<br />
sind. 55 Sofern bzgl der gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen<br />
Gleichstellung mit juristischen Personen Zweifel bestehen,<br />
ist also in diesem Zusammenhang die Beteiligtenfähigkeit anhand<br />
der Grundsätze des § 61 Nr 2 VwGO zu bestimmen.<br />
VII. Prozessfähigkeit<br />
Soweit eine natürliche Person handelt, richtet sich die Prozessfähigkeit<br />
nach § 62 I VwGO; in den übrigen Fällen ist § 62 III<br />
VwGO einschlägig, wobei sich die Vertretungsbefugnis nach dem<br />
jeweiligen Organisationsrecht richtet. 56 Sofern – entgegen der<br />
hier vertretenen Auffassung – die Beteiligungsfähigkeit monokratisch<br />
besetzter Organe über § 61 Nr 2 VwGO begründet wird,<br />
muss konsequenterweise die Prozessfähigkeit aus einer analogen<br />
Anwendung des § 62 III VwGO hergeleitet werden. 57<br />
43 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 162<br />
44 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 162; Ehlers NVwZ 1990, 105, 111; vgl aber für den<br />
Fall der Wahlanfechtung nach § 55 VI HGO VGH Kassel HessVGRspr 2002, 9, 11<br />
45 Bauer/Krause JuS 1996, 512, 516; Martensen JuS 1995, 1077, 1078<br />
46 Hufen (Fn 13) § 21 Rn 10; Martensen JuS 1995, 1077, 1078; Ehlers NVwZ 1990, 105, 111<br />
47 Kopp/Schenke (Fn 14) § 47 Rn 39; aA OVG Lüneburg DVBl 1999, 1737, 1737<br />
48 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 159<br />
49 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 617; für direkte Anwendung vgl VGH Kassel DVBl<br />
1995, 931, 931; NVwZ 1987, 919, 919; Kopp/Schenke (Fn 14) § 61 Rn 11; ausf Erichsen/<br />
Biermann Jura 1997, 157, 159; für analoge Anwendung vgl Stahl NJW 1972, 2030,<br />
2031; Hoppe DVBl 1970, 845, 849<br />
50 Kopp/Schenke (Fn 14) § 61 Rn 8; Schmitt Glaeser/Horn (Fn 32) Rn 92; aA Schenke<br />
(Fn 32) Rn 462 a mwN<br />
51 Ewald DVBl 1970, 237, 241<br />
52 Dazu und zum Folgenden Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 158 f mwN; vgl auch v.<br />
Mutius Kommunalrecht, 1996, Rn 834<br />
53 Hufen (Fn 13) § 21 Rn 8<br />
54 Hufen (Fn 13) § 21 Rn 8; vgl auch VGH Mannheim DÖV 1980, 573 f; ausführlich Groß<br />
Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S 321 ff<br />
55 VGH Kassel DVBl 1995, 931, 931; Kopp/Schenke (Fn 14) § 47 Rn 38 mwN; Happ in:<br />
Eyermann (Fn 21) § 47 Rn 39<br />
56 Hufen (Fn 13) § 21 Rn 9<br />
57 Vgl Jockisch Die Prozessvoraussetzungen im <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>verfahren,<br />
1996, S 173
AUFSATZ Öffentliches Recht Verwaltungsprozessrecht<br />
C. PROBLEME DER BEGRÜNDETHEIT<br />
Die Begründetheit bemisst sich nach den für die jeweils<br />
einschlägige Klageart geltenden Grundsätzen. 58 Die Feststellungsklage<br />
in der hier interessierenden Fallgestaltung ist dann<br />
begründet, wenn das behauptete Rechtsverhältnis besteht<br />
oder nicht besteht. 59 Konkret bedeutet das, dass die Verletzung<br />
organschaftlicher Rechte des Kl durch eine Organhandlung<br />
festgestellt wird. 60 Für die allgemeine Leistungsklage<br />
kommt es darauf an, ob dem Kl der geltend gemachte Handlungs-<br />
oder Unterlassungsanspruch tatsächlich zusteht. 61 Sie<br />
ist demnach insb dann begründet, wenn die Ablehnung einer<br />
Organhandlung rechtswidrig ist und der Kl hierdurch in seinen<br />
Mitgliedschaftsrechten verletzt wird. 62 In den Fälle des<br />
Ausschlusses der Klagebefugnis durch abweichende gesetzliche<br />
Regelung iSv § 42 II VwGO kommt es in der Begründetheit<br />
selbstverständlich nicht auf eine subjektive Rechtsverletzung<br />
an. Gleiches gilt für das Normenkontrollverfahren<br />
gem § 47 VwGO, das schon bei objektiver Rechtsverletzung,<br />
dh bloßem Verstoß gegen höherrangiges formelles oder materielles<br />
Recht, begründet ist. 63<br />
D. KLAUSURHINWEISE<br />
Die dargestellten Einzelprobleme des <strong>Kommunalverfassungsstreit</strong>verfahrens<br />
sollten zum Standardwissen eines jeden Studenten der<br />
Rechtswissenschaft gehören. Allerdings wird bei einer Klausur nur<br />
selten der Schwerpunkt auf den Besonderheiten der Zulässigkeit<br />
liegen. In aller Regel genügt es deshalb, zu zeigen, dass die aus<br />
der spezifischen Konstellation als Innenrechtsstreitigkeit resultierenden<br />
Fragestellungen verstanden worden sind, ohne diese allzu<br />
weitschweifig abzuhandeln. Insb solche Fragen, die für die weitere<br />
Prüfung und das Ergebnis weitgehend ohne Belang sind – zB die<br />
Einordnung der Beteiligtenfähigkeit in den Katalog von § 61 VwGO<br />
– sollten lediglich in der gebotenen Kürze gestreift werden, sofern<br />
sie nicht einmal ausnahmsweise erkennbar den Schwerpunkt einer<br />
Klausur ausmachen.<br />
58 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 162<br />
59 Schenke (Fn 32) Rn 870<br />
60 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 618<br />
61 Erichsen/Biermann Jura 1997, 157, 162<br />
62 Birkenfeld-Pfeiffer/Gern (Fn 1) Rn 618<br />
63 Kopp/Schenke (Fn 14) § 47 Rn 112<br />
AUFSATZ Öffentliches Recht Verwaltungsrecht<br />
Prof. Dr. Franz-Joseph Peine,<br />
Frankfurt (Oder)<br />
Sonderformen des Verwaltungsakts<br />
Die Instrumente, mit deren Hilfe die öffentliche Verwaltung ihre<br />
Aufgabe erfüllt, sind nicht abschließend festgelegt. 1 Partiell sind<br />
sie gesetzlich bestimmt, so der Verwaltungsakt (VA) 2 und der<br />
öffentlich-rechtliche Vertrag 3 im Verwaltungsverfahrensgesetz<br />
(VwVfG); partiell in Ansätzen, so die Verordnung, Art 80 I GG; 4<br />
partiell aber auch nicht, so die einseitige Willenserklärung. 5<br />
Neben den gesetzlich geregelten Formen des VA: »Normalfall«,<br />
§ 35 S 1 VwVfG, und Allgemeinverfügung, § 35 S 2 VwVfG, haben<br />
sich »Sonderformen« entwickelt, denen hier nachgegangen werden<br />
soll: der fiktive, der vorläufige (vVA) und der transnationale<br />
VA.<br />
Diesen drei Formen von VAen ist eine gemeinsame Eigenschaft<br />
eigen, die sie vom »Normalfall« unterscheidet und die<br />
eine einheitliche Betrachtung nahe legt: sie weichen unter dem<br />
Aspekt der Wirksamkeit vom »Normalfall« ab. Nach § 43 I VwVfG<br />
wird der VA wirksam in dem Zeitpunkt der Bekanntgabe; die<br />
Dauer der Wirksamkeit bestimmt § 43 II: solange und soweit er<br />
nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben<br />
oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist; der<br />
VA ist wirksam auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik<br />
Deutschland. <strong>Der</strong> fiktive VA differiert hinsichtlich des Grundes<br />
seiner Wirksamkeit: er ist nicht erlassen und folglich auch nicht<br />
bekannt gegeben; der vorläufige hinsichtlich der zeitlichen<br />
Wirksamkeit: er gilt vorläufig; der transnationale hinsichtlich<br />
der räumlichen Wirksamkeit: er gilt auf dem Gebiet der Europäischen<br />
Gemeinschaft. Während der »Normalfall« in der Lehrbuchliteratur<br />
6 und weiterer für Studierende erarbeiteten Publikationen<br />
7 ausführlich und regelmäßig erschöpfend abgehandelt<br />
wird, finden die »Sonderformen« geringe Beachtung. Sie sind<br />
aber nicht unwichtig – weil sie zeigen, dass die Handlungsformen<br />
des Verwaltungsrechts sich in Entwicklung befinden. Diese<br />
müssen auch Studierende beobachten.<br />
I. DER FIKTIVE VERWALTUNGSAKT<br />
1. Begriffsbestimmung<br />
Unter einem fiktiven (man liest auch: fingierten 8 ) VA ist die »Situation«<br />
zu verstehen, dass das Gesetz an das Schweigen oder<br />
das Nichtstun einer Behörde regelmäßig nach Ablauf einer bestimmten<br />
Frist nach Antragstellung eine bestimmte Rechtsfolge<br />
knüpft: nämlich die, dass die Behörde an den ASt einen VA<br />
gerichtet habe, dessen Inhalt sich aus dem Gesetz ergibt, welches<br />
die Rechtsfolge feststellt. 9<br />
Von einem fiktiven VA ist in diesem Zusammenhang deshalb<br />
zu sprechen, weil behördliches Schweigen keine Regelung darstellt<br />
bzw sich nicht als Regelung charakterisieren lässt: 10 Regelung<br />
ist eine Willenserklärung, die einseitig, rechtsverbindlich<br />
1 Meinen Mitarbeiterinnen Christina Mildner und Andrea Radcke danke ich herzlich für<br />
ihre Hilfe. Allg zum fehlenden numerus clausus der verwaltungsrechtlichen Handlungsformen<br />
Ossenbühl JuS 1979, 681<br />
2 Ausf Peine AllgVerwR, 6. Aufl, 2001, Rn 102 ff<br />
3 Ausf Peine AllgVerwR, Rn 250 ff<br />
4 Ausf zB Bauer in: Dreier (Hrsg) GG Bd 2, 1998, Art 80 Rn 14 ff<br />
5 Zu ihr Peine AllgVerwR, Rn 308 ff<br />
6 Auf folgende Lehrbücher des allg Verwaltungsrechts sei hingewiesen: Achterberg<br />
2. Aufl, 1986, S 416 ff; Battis 3. Aufl, 2002, S 104 ff; Bull 6. Aufl, 2000, S 226 ff;<br />
Detterbeck 2002, S 122 ff; Erichsen (Hrsg), 12. Aufl, 2002, S 270 ff; Hendler 3. Aufl,<br />
2001, S 21 ff; <strong>Ja</strong>chmann 1999, S 56; Huber 2. Aufl, 1997, S 169 ff; Ipsen 2. Aufl, 2001,<br />
S 98 ff; Koch/Rubel/Heselhaus 3. Aufl, 2003, S 75 ff, Maurer 14. Aufl, 2002, S 186 ff;<br />
Peine AllgVerwR, S 74 ff; Richter/Schuppert/Bumke 3. Aufl, 2000, S 124 ff; Wolff/<br />
Bachof/Stober 6. Aufl, 2000, S 13 ff<br />
7 Aufsatzlit in Studentenzeitschriften: Schnapp DVBl 2000, 247; ders/Cordeweller JuS<br />
1999, 39; Heulzenöller JuS 1998, 524; Ennuschat JuS 1998, 905; Erichsen Jura 1997,<br />
659; Heitsch DÖV 2003, 367; Beckmann VR 2003, 217; Brodersen JuS 2001, 825;<br />
Brügge Jura 1999, 496; Kahl Jura 2001, 505; Fehling JA 1997, 482; Pohl DNV 1993,<br />
Nr 3, 30; Prinsch DVP 2002, 239; Geron JA 2002, 229; Richter JuS 1991, 307<br />
8 Stelkens/Bonk/Sachs Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl, 2001, § 35 Rn 52; <strong>Ja</strong>chmann<br />
Die Fiktion im öffentlichen Recht, 1998, S 249<br />
9 Stelkens/Bonk/Sachs § 35 Rn 52<br />
10 Caspar AöR 2000, 131, 138 f<br />
JA 2004 · Heft 5 417