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PDF-Datei - Das Pestalozzi-Fröbel-Haus

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Wenn ich an meine Kindheit denke ...<br />

22 Erinnerungen von Menschen zwischen 11 und 68 Jahren aus<br />

8 Ländern dargestellt in Geschichten und selbst gefilzten Bildern


Fern und doch ganz nah<br />

Dieses biographische Sommerferienprojekt 2010 beschäftigte sich mit der<br />

Erinnerungsarbeit zur eigenen Kindheit in unterschiedlichen Kulturkreisen.<br />

Die Ergebnisse sind in dieser lebendigen Ausstellung zu bewundern.<br />

22 Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder zwischen 11 und 68 Jahren aus 8<br />

Kulturkreisen, die alle im Schöneberger Norden leben, begaben sich auf eine<br />

Reise in ihre Kindheit in ihren Heimatländern. Sie haben ihre Erinnerungen und<br />

Episoden zusammen getragen und aufgeschrieben. Die entstandenen Skizzen<br />

zeigen die Assoziationen zu den erinnerten Episoden und Geschichten, nach<br />

denen dann aus Märchenwolle die ausgestellten Bilder gefilzt wurden.<br />

Vorausgeschickt waren die Fragestellungen „Was fällt mir ein, wenn ich an<br />

meine Kindheit denke?“ „Welche Ereignisse und/oder Personen fallen mir<br />

ein?“ „Erlebte ich meine Kindheit in einer anderen Stadt/einem anderen Land/<br />

einer anderen Kultur?“ „Verbinde ich meine Kindheit mit einer speziellen<br />

Landschaft?“ „Welche Spiele habe ich gespielt?“<br />

Die Erinnerungsarbeit zur eigenen Kindheit war für einige schmerzlich, aber<br />

dennoch gab es immer - wenn auch kleine – Begebenheiten und Episoden,<br />

die als schön und wichtig in Erinnerung geblieben sind. Aber auch tragische<br />

Geschehnisse wurden visualisiert.<br />

Kinder und Erwachsene unterschiedlicher Altersgruppen und Nationalitäten<br />

haben zusammen gearbeitet, voneinander gelernt und sich gegenseitig<br />

geholfen. Die Offenheit und Vertrautheit, mit der die eigene Geschichte allen<br />

anderen mitgeteilt wurde, hat auch das Bedürfnis gezeigt, sich mitzuteilen,<br />

aber auch das Interesse, mehr aus den Biographien der anderen zu erfahren.<br />

Zwischen den Teilnehmenden hat sich ein reger Austausch über das Leben in<br />

den verschiedenen Ländern ergeben.<br />

Vertrauensvolle Beziehungen zu den Familien aufzubauen und sie zu<br />

aktivieren, ist nur möglich durch Hervorhebung ihrer Potentiale und<br />

Kompetenzen. Eine wichtige Methode zum Erreichen dieses Zieles ist Kultur in<br />

jeder Form.<br />

Die biographische Arbeit an unterschiedlichen Themen umgesetzt in<br />

handwerklich-künstlerische Produkte ist eine wichtige Herangehensweise,<br />

Kulturen zu verbinden und schlummernde Fähigkeiten zu „Tage“ zu fördern.<br />

Erinnerungen und Reflexion werden zusammengetragen. Sprachliche<br />

Kompetenzen werden gefördert in Gesprächen und Diskussionen. <strong>Das</strong><br />

Kennenlernen unterschiedlicher kultureller Erfahrungen, Gebräuche und Sitten<br />

ergibt eine verbindende Bedeutung.<br />

Mit künstlerischen Mitteln werden Integration, gegenseitiges Verstehen,<br />

Toleranz, Respekt, interkultureller Dialog, Akzeptanz und das Aufbrechen der<br />

Isolation gefördert. <strong>Das</strong> Zusammenleben im Stadtteil wird verbessert, Vorurteile<br />

und Spannungen werden abgebaut. Selbstständigkeit, Selbstwertgefühl,<br />

Selbstbewusstsein, eigene Wertschätzung werden gefördert über gegenseitiges<br />

intensiveres Kennenlernen, Austauschen und Darstellen der verschiedenen<br />

Kulturen und Lebensformen.<br />

Dieses Projekt ist wieder ein gutes Beispiel für interkulturelles gemeinsames<br />

Lernen über kreative Ausdrucksformen und für die Darstellung individueller<br />

Prozesse.<br />

Vielen Dank an alle, die an diesem Projekt mitgearbeitet haben, für ihre Offenheit<br />

und ihr Vertrauen. Ich bin immer wieder beeindruckt von dem Interesse, der<br />

Kreativität, dem individuellen Ausdruck, der Freude, der Neugierde und<br />

der Ausdauer der Menschen, die an den künstlerischen Sommerprojekten<br />

teilnehmen.<br />

Im Familientreffpunkt Kurmärkische Straße haben wir sehr gute Erfahrungen<br />

mit kulturellen und kreativen Projekten gemacht. Ich wünsche mir, dass noch<br />

viele weitere biographische Projekte folgen mögen.<br />

Maxi Juhnke<br />

3


In unserer Seele sind wir alle Kinder<br />

Beim Sommerprojekt 2010 „Wenn ich an meine Kindheit denke...“ wurden<br />

Kindheitserlebnisse mit bunter Wolle zu Bildern gefilzt. Beim Vorbereiten<br />

des Projekts erschien mir die Assoziation Kindheit - bunte Bilder - weiche<br />

Märchenwolle geradezu ideal, deshalb fiel die Wahl auf die Technik des<br />

Filzens zur bildnerischen Umsetzung von Kindheitserlebnissen.<br />

Dazu wird Schafschurwolle, auch Märchenwolle genannt, auf ein Schaumstoff<br />

- Kissen gelegt und mit einer Spezialnadel in die gewünschte Form gefilzt.<br />

Diesen Vorgang nennt man Trockenfilzen. Besprüht man die Werkteile mit<br />

einer Seifenlauge, knetet und reibt sie anschließend, so spricht man von<br />

Nassfilzen. Hier kamen beide Varianten, z.T. auch gemischt, zum Einsatz.<br />

Eine schöne Kindheit gibt Kraft fürs Leben und glücklich diejenigen, die, wie ich<br />

selbst, unbeschwert aufwachsen konnten. Da erinnert man sich gern an heitere<br />

Spiele wie Seilspringen, das Flechten von Blumenkränzen in Sommerwiesen,<br />

wilde Bäumekletterei oder an den Spaß bei sportlichen Aktivitäten wie<br />

Synchronschwimmen und Inline-Skaten. Dann gibt es aber auch Menschen,<br />

die mit gemischten Gefühlen an größere und kleinere Unfälle denken, wie<br />

z.B. in ein Wasserbecken hinein oder aus einem Kinderwagen heraus gefallen<br />

zu sein. Und dann sind da noch jene, deren Kinderjahre geprägt waren von<br />

Krieg, vom Verlassen der Heimat, von Familienschwierigkeiten oder von<br />

Krankheit und Tod des Vaters. Ihnen fällt das Erinnern schwer.<br />

Wir wollten nicht nur schöne Erlebnisse darstellen, sondern alle, ob sie nun<br />

heiter oder traurig im Herzen und in den Gedanken blieben. Ich vergesse nicht,<br />

wie eine Teilnehmerin sagte, ihre Kindheit sei derart schrecklich gewesen, dass<br />

sie sich daran absolut nicht erinnern wolle. Und es standen ihr unvermittelt<br />

Tränen in den Augen, als sie das sagte. Aber sie hatte als kleine Flucht aus<br />

der grausamen Realität als Kind immer einen Traum gehabt. Und so stellen<br />

die gefilzten Bilder nicht nur Erlebtes dar oder Erlittenes, sondern auch so<br />

manchen sehnsüchtigen Kindertraum, der vielleicht sogar noch immer im<br />

Erwachsenen schlummert, denn in unserer Seele sind wir alle Kinder.<br />

Elka-L. Rueben<br />

Photographiert in den Farben der Kindheit<br />

2010 ist der 4. Sommerworkshop unter Leitung von Elka Rueben und Maxi<br />

Juhnke, den ich photographiere. Wenn ich in den sommerlichen Garten des<br />

Familientreffpunktes in der Kurmärkischen Straße komme, fange ich zunächst<br />

die Atmosphäre ein, um mich dann auf das Einzelne zu konzentrieren.<br />

Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer erzählt über seine Arbeit an den<br />

Filzobjekten eine ganze eigene Geschichte aus ihrer oder seiner Kindheit. <strong>Das</strong><br />

ist faszinierend.<br />

Die Arbeit mit dem Material Wolle übt auf mich einen ganz neuen sinnlichen<br />

Reiz aus, den ich mit dem Kameraauge zu erfassen suche. Es ist schön zu<br />

beobachten, wie die Teilnehmer/innen in ihre Kindheitserinnerungen<br />

versunken, eine ganz eigene künstlerische Ausdrucksweise entwickeln. Die<br />

Kamera kann schärfer, weiter, schneller schauen als das menschliche Auge. Sie<br />

beobachtet wie die ungeübten Hände plötzlich eine ganze Welt erschaffen.<br />

Die digitale Kamera erfasst wie in einem Endlosfilm die schnellen Bewegungen<br />

der Hände, die die bunte Wolle mit der Nadel in den Schaumstoff stechen.<br />

Aus farbigen Wollfäden entstehen Landschaften, Figuren, Schaukeln, Bäume,<br />

Tintenfische, Häuser und Menschen. <strong>Das</strong> Material Wolle vermittelt einen<br />

sinnlichen Reiz, der den Betrachter dazu verleitet, es anfassen zu wollen. In<br />

der Ausstellung ist es vorsichtshalber durch Glas geschützt.<br />

Marion Schütt<br />

4 5


Abir<br />

39 Jahre, geboren in Bas, Libanon,<br />

lebt seit 1980 in Berlin<br />

Als ich acht Jahre alt war, habe ich<br />

eine Puppe in der Grundschule geschenkt<br />

bekommen. Ich hatte vorher<br />

noch nie eine Puppe besessen und<br />

habe mich ungeheuer gefreut.<br />

Alle Flüchtlingskinder haben damals<br />

etwas geschenkt bekommen. Die Puppe<br />

hatte rote Haare und ich habe sehr<br />

gerne mit meiner Puppe gespielt.<br />

Als ich neun Jahre alt war, habe ich<br />

gerne im Baumhaus am Moritzplatz<br />

in Neukölln gespielt. <strong>Das</strong> Baumhaus<br />

stand im Garten des Jugendfreizeitheimes,<br />

wo wir gut versorgt wurden<br />

mit Essen, Spielen, Ausflügen und<br />

vielem mehr. <strong>Das</strong> war sehr schön und<br />

ich habe mit meinen Freunden Äpfel<br />

gepflückt und Blumen.<br />

Damals hat der Bezirk viel für uns<br />

Flüchtlingskinder getan und es war<br />

die schönste Zeit in meiner Kindheit.<br />

6 7


Akhtar<br />

67 Jahre, in einem Dorf bei Teheran,<br />

Iran, geboren, lebt seit 1988 Berlin<br />

Als ich acht oder neun Jahre alt<br />

war, war mein Vater krank. Er hatte<br />

Lungenkrebs. Deswegen sollten wir<br />

irgend wohin umziehen, wo reines<br />

und gutes Wetter war.<br />

Die ganze Familie und Verwandte<br />

waren in einem Dorf in der Nähe von<br />

Teheran. Wir waren dort in einem<br />

großen Garten unter einem Zelt.<br />

Wir waren fast dreißig Personen.<br />

Die älteren Leute haben immer auf<br />

meinen Vater aufgepasst und die<br />

Kinder haben immer zusammen<br />

gespielt. Wir sind in die Gärten<br />

gegangen und Früchte vom Baum<br />

genommen und gegessen. Wir haben<br />

auch viel geschaukelt.<br />

Aber wir hatten auch Aufgaben. Jedes<br />

Kind sollte fast eine Stunde am Tag<br />

meinem Vater Luft zu fächeln, weil<br />

ihm so heiß war. Leider ist mein Vater<br />

nach ein paar Monaten gestorben.<br />

<strong>Das</strong> war meine erste Erinnerung an<br />

meine Kindheit. Obwohl es sehr traurig<br />

war, aber es gab auch gute Sachen.<br />

Daneben kann man sagen: Gute Zeiten<br />

– schlechte Zeiten.<br />

8 9


Amani<br />

11 Jahre, in Berlin geboren mit<br />

libanesischen Wurzeln<br />

Meine große Schwester liebte es,<br />

mich anzuziehen. Dann hat sie mich<br />

immer photographiert.<br />

<strong>Das</strong> war sehr schön, bis mir meine<br />

Schwester einen juckenden, orangen<br />

Pullover gestrickt hat. Der war hässlich<br />

und ich wollte ihn nicht anziehen.<br />

Nun hatte ich viele schöne Photos<br />

von mir, außer dem mit dem orangen<br />

Pullover.<br />

10 11


Aynur<br />

33 Jahre, in Ercincan, Türkei,<br />

geboren, lebt seit 2004 in Berlin<br />

Meine Lieblingsgeschichte:<br />

Als ich klein war, habe ich mit meinen<br />

Freundinnen Blumen im Dorf<br />

gepflückt. Zu <strong>Haus</strong>e haben wir die<br />

Blumen geflochten und getrocknet.<br />

Als sie getrocknet waren, haben<br />

wir uns die Blumen in die Haare<br />

gesteckt.<br />

12 13


Aysenur<br />

12 Jahre, in Berlin geboren<br />

mit türkischen Wurzeln<br />

Als Kind bin ich am liebsten Inline-<br />

Skater gefahren. Ich bin in meinem<br />

Hof herum gefahren und meine<br />

Eltern haben mir dabei zugesehen.<br />

Sie saßen auf Stühlen und tranken<br />

Tee.<br />

14 15


Badri<br />

43 Jahre, in Teheran, Iran, geboren,<br />

lebt seit 1997 in Berlin<br />

Ich wollte als Kind gerne in einem<br />

Dorf leben. Im Dorf war es sehr gut.<br />

Es ist nicht so laut gewesen, weil<br />

nicht so viele Autos gefahren sind<br />

und nicht so viele nicht so viele Menschen<br />

dort gelebt haben.<br />

Ich liebte Tiere und Gartenarbeit.<br />

Ich hätte gerne in einen Garten mit<br />

ganz vielen Blumen und Obstbäumen<br />

gelebt.<br />

16 17


Bussaina<br />

41 Jahre, in Beirut, Libanon, geboren,<br />

kommt 1978 nach Berlin,<br />

lebt dann in Salzgitter und<br />

seit 2009 wieder in Berlin<br />

Meine Kindheit war nicht so berauschend,<br />

weil ich nicht Kind sein<br />

konnte.<br />

Wir waren acht Kinder. Ich bin die Älteste<br />

und musste sehr viel Verantwortung<br />

übernehmen und tragen: beim<br />

Kochen und im <strong>Haus</strong>halt mit helfen,<br />

auf die Geschwister aufpassen. Wir<br />

Geschwister haben miteinander verstecken<br />

gespielt und Modenschauen<br />

gemacht. Ich habe mir gewünscht,<br />

dass ich richtig Kind sein könnte oder<br />

eine Prinzessin zu sein.<br />

Wir sind durch den Krieg 1979 nach<br />

Deutschland geflüchtet. Der Flug war<br />

für mich sehr aufregend, der Flughafen,<br />

die ganzen Flugzeuge, die vielen<br />

Menschen.<br />

Es ist für mich wie eine andere Welt.<br />

18 19


Chadia<br />

38 Jahre, in Beirut, Libanon, geboren,<br />

lebt seit 1986 in Berlin<br />

Als ich sechs Jahre alt war, bin ich<br />

gerne mit dem Springseil gehüpft.<br />

Mit meinen Freundinnen habe ich<br />

auch viele Steinspiele gespielt und<br />

wir sind viel zusammen spazieren<br />

gegangen.<br />

Bei dem Steinspiel „sata“, das mit<br />

fünf Steinen gespielt wird, habe ich<br />

manchmal gewonnen und auch geschummelt,<br />

damit ich nicht verliere.<br />

20 21


Derya<br />

29 Jahre, in Yozgat, Türkei, geboren,<br />

lebt seit 2002 in Berlin<br />

Meine Lieblingsgeschichte ist, in<br />

der Schule mit meinen Freundinnen<br />

Springseil zu spielen.<br />

Damals war ich circa acht Jahre alt.<br />

Hüpfen mit dem Springseil hat mir sogar<br />

mehr Spaß gemacht als der Unterricht,<br />

obwohl ich gerne gelernt habe.<br />

Auf dem Schulhof waren wir sechs<br />

Mädchen. Wir haben zusammengesessen,<br />

uns unterhalten, am Unterricht<br />

teilgenommen und zusammen<br />

gespielt.<br />

Wir haben alles zusammen gemacht,<br />

was uns so am Tag eingefallen ist.<br />

22 23


Esra<br />

40 Jahre, in Miliana, Algerien,<br />

geboren, lebt seit 1977 in Berlin<br />

Ich bin in Khemis-Milana geboren<br />

und habe sieben Schwestern, ich war<br />

das fünfte Kind.<br />

Ich bin in die Schule gegangen und<br />

habe viel ‚einkaufen’ gespielt, aber<br />

ich musste auch viel in der Familie<br />

helfen. Als ich acht Jahre alt war,<br />

kaufte mein Bruder einen Fernseher.<br />

Wir haben viele Hollywoodfilme<br />

und Serien angesehen. Mein Traum<br />

war, einen Schauspieler zu heiraten,<br />

deshalb habe ich versucht, in der<br />

Schule gut zu sein. Aber meine Eltern<br />

haben alles zerstört, ich meine, mit<br />

Streit und Scheidung.<br />

Ich möchte frei sein wie ein Vogel.<br />

24 25


Fatme<br />

16 Jahre, in Berlin geboren<br />

mit libanesischen Wurzeln<br />

Als ich ungefähr sieben oder acht<br />

Jahre alt war, hatten mein Onkel und<br />

mein Opa eine Art Schaukel für uns<br />

Kinder aufgebaut.<br />

Die Schaukel war keine richtige<br />

Schaukel, sie war mehr eine Kiste aus<br />

Gittern, die mit Seilen an mehreren<br />

Bäumen befestigt war. Die Kiste war<br />

blau, circa 1,5 qm groß und hing vor<br />

unserem Familienrestaurant.<br />

Der Grund, warum ich mich so gut an<br />

diese Schaukel erinnere, ist, dass ich<br />

mit meinen Cousins und Geschwistern<br />

in der Kiste saß und schaukelte.<br />

Wir fünf Kinder haben uns alle in die<br />

Schaukel reingequetscht.<br />

Neben dieser Schaukel gab es zwei<br />

Bänke, auf denen sich dann immer<br />

der Rest der Familie zusammengedrängte.<br />

Wir haben an diesem Ort immer viel<br />

Spaß gehabt und viele schöne Stunden<br />

zusammen erlebt.<br />

26 27


Gül<br />

23 Jahre, in Midiat, Türkei, geboren,<br />

lebt seit 2006 in Stuttgart,<br />

seit 2009 in Berlin<br />

Als ich sieben Jahre alt war, habe ich<br />

mich das erste Mal verliebt.<br />

Ich wollte es dem Jungen sagen, aber<br />

ich hatte Angst davor. Bei uns ist es<br />

für ein Mädchen nicht üblich, einem<br />

Jungen zu sagen, dass man in ihn verliebt<br />

ist.<br />

Ich wollte ihn immer sehen und habe<br />

darauf gewartet, dass er mir sagt,<br />

dass er auch in mich verliebt ist.<br />

28 29


Hamdiya<br />

42 Jahre, in Berliez, Libanon,<br />

geboren, lebt seit 1989 in Berlin<br />

Als ich ein Kind war, lebte ich in einem<br />

<strong>Haus</strong> mit einem Garten.<br />

Unsere Nachbarn hatten einen viel<br />

größeren Garten als wir. Ich habe mit<br />

sechs bis acht Kindern immer in diesem<br />

Garten verstecken und Fußball<br />

gespielt.<br />

Im Garten gab es viele Weintrauben<br />

und Feigen und Bäume voll mit Kirschen<br />

und Birnen.<br />

30 31


Jalila<br />

11 Jahre, in Salzgitter geboren<br />

mit libanesischen Wurzeln,<br />

lebt seit 2009 in Berlin<br />

Ich war am Wochenende oft bei meiner<br />

Freundin im Garten<br />

Da war ich neun Jahre alt.<br />

Wir haben zusammen mit Wasser<br />

gespielt und dann hat der Vater von<br />

meiner Freundin uns in den Pool rein<br />

geworfen.<br />

32 33


Lilo<br />

56 Jahre, in St Augustin bei Bonn<br />

geboren, lebt seit 1977 in Berlin<br />

Meine Mutter schälte täglich Kartoffeln<br />

und setzte sich dabei auf ein kleines,<br />

altes, schäbiges Holzbänkchen.<br />

Ich nutzte diese besondere Gelegenheit<br />

der Stille und Konzentration und<br />

setzte mich zu ihr auf die kleine Bank.<br />

„Mama, erzählst Du mir von Amerika<br />

und dem großen Wasser?“<br />

(Der Bruder meiner Mutter war als<br />

junger Mann in die USA ausgewandert.)<br />

„Wenn man nach Amerika möchte,<br />

muss man sehr lange über das große,<br />

große Meer fahren. Im Wasser gibt es<br />

viele Fische, große, kleine, gefährliche,<br />

schnelle, langsame – der Tintenfisch<br />

ist ein besonderer Fisch. Wenn es<br />

für ihn gefährlich wird, spritzt er<br />

seine Tinte einfach ins Wasser und<br />

niemand kann ihn mehr sehen. Rund<br />

um ihn herum wird alles dunkel.“<br />

Immer wieder erzählte meine Mutter<br />

mir auf dem Bänkchen und immer<br />

wieder stellte sich ein angenehmes<br />

Gruseln verbunden mit dem Gefühl<br />

von einer unheimlich weiten Welt<br />

ein.<br />

Damals auf dem Bänkchen wuchs<br />

meine große Liebe zum Meer, zu<br />

Wasser und zum Schwimmen.<br />

34 35


Maha<br />

32 Jahre, in Kairo, Ägypten, geboren,<br />

lebt seit 2005 in Köln,<br />

seit 2009 in Berlin<br />

Seitdem ich sechs Jahre alt war,<br />

habe ich Wasserballett im Sportclub<br />

gespielt. Wir trainierten zweimal<br />

täglich im Sommer und viermal die<br />

Woche in der Winterzeit.<br />

Im Sportclub gab es zwei Schwimmbäder<br />

– eines für Mitglieder und eines<br />

für die, die Wassersport trainierten.<br />

Im Schwimmbad sind wir geschwommen<br />

und haben geübt. Wir hatten das<br />

ganze Becken für uns alleine.<br />

Wasserballett ist eine ausgefallene<br />

Sportart, auch für Ägypter, und<br />

manchmal standen die Leute vom<br />

Klub und haben uns eine Weile<br />

zugeschaut.<br />

36 37


Mariam<br />

46 Jahre, in Nabadir, Libanon,<br />

geboren, lebt seit 1978 in Berlin<br />

Als ich ein Kind war, habe ich viel<br />

Springseil gespielt.<br />

Mit meinen Freundinnen habe ich<br />

auch Teig geknetet, damit sind wir<br />

ins Backhaus gegangen und haben<br />

Brot gebacken. <strong>Das</strong> hat sehr lecker<br />

geschmeckt und viel Spaß gemacht.<br />

Wir Mädchen haben immer zu <strong>Haus</strong>e<br />

helfen müssen, weil wir das auch<br />

lernen sollten.<br />

38 39


Michael<br />

32 Jahre, in Berlin geboren<br />

Wenn ich an meine Kindheit denke,<br />

fällt mir der Garten meiner Eltern ein,<br />

in dem ich viele schöne Ferientage<br />

und Wochenenden verbrachte.<br />

Besonders ein Apfelbaum bleibt mir<br />

in Erinnerung, auf den ich immer super<br />

raufklettern konnte.<br />

40 41


Patricia<br />

22 Jahre, in Rostock geboren,<br />

lebt seit 2008 in Berlin<br />

Wenn ich bei meinen Eltern aus meinem<br />

Fenster gucke, sehe ich nur weite<br />

Felder und Wälder.<br />

Im Sommer haben wir Kinder dort<br />

immer verstecken gespielt oder auf<br />

den Strohballen getobt.<br />

In diesen Ballen haben wir dann oft<br />

Süßigkeiten genascht und danach<br />

ging es mit der Strohschlacht weiter.<br />

42 43


Sandra<br />

27 Jahre, in Lissabon, Portugal,<br />

geboren, lebt seit 2006 in Berlin<br />

Ich war vier Jahre alt, als ich aus einem<br />

Kinderwagen gefallen bin. <strong>Das</strong><br />

hat mir sehr weh getan und ich habe<br />

es nicht vergessen.<br />

Als ich acht Jahre alt war, hat eine<br />

Freundin meine Kette gestohlen.<br />

Von sieben bis elf Jahren hatte ich<br />

nicht viele Freunde, dann nachdem<br />

ich zwölf Jahre alt war, habe ich viele<br />

Freunde und Freundinnen gehabt.<br />

Mit zwölf Jahren kam ich von der<br />

Kirche und auf dem Weg zurück nach<br />

<strong>Haus</strong>e sprang mich ein Hund an und<br />

biss seine Zähne in meinen Rücken.<br />

Mit dreizehn Jahren ging ich mit einer<br />

Freundin ein paar Mal in die Disco.<br />

Mit dreizehn oder vierzehn Jahren<br />

habe ich mich verliebt.<br />

Dann mit siebzehn Jahren habe ich<br />

eine Friseurausbildung gemacht.<br />

44 45


Teresita<br />

59 Jahre, in Manila, Philippinen,<br />

geboren, lebt seit 2004 in Berlin<br />

Als Kinder haben wir immer auf der<br />

Straße gespielt, weil es so wenige<br />

Spielplätze gab.<br />

Zu unserem Spiel brauchten wir<br />

mindestens drei Mitspieler, eine<br />

leere Dose und kleine Steine oder<br />

Latschen. Die Dose musste an einem<br />

bestimmten Platz vorne stehen und<br />

ein Spieler bewachte sie. Die anderen<br />

Mitspieler mussten die Dose treffen,<br />

bis sie umfiel.<br />

Der Bewacher der Dose wählte ein<br />

anderes Kind, das dann den Bewacher<br />

spielte.<br />

46 47


Wolfgang<br />

57 Jahre, in Zweibrücken geboren,<br />

lebt seit 1980 in Berlin<br />

Im Alter von sechs Jahren ging ich mit<br />

meinem Freund zum Pilze sammeln.<br />

Mein Elternhaus stand am Ortsrand,<br />

nahe am Pfälzerwald, in dem im<br />

Herbst viele Pilze wachsen.<br />

Gerade hatten wir eine Stelle mit<br />

vielen Steinpilzen entdeckt, als eine<br />

Bache mit zwölf Frischlingen in circa<br />

zwanzig Metern Entfernung aus<br />

dem Wald kam. Wir wussten, dass<br />

man ruhig stehen bleiben soll, denn<br />

Wildschweine meiden die Menschen.<br />

Plötzlich krachte ein auf dem Boden<br />

liegender Ast unter meinem Fuß.<br />

Sofort hat uns die mächtige Bache<br />

erspäht und raste auf uns zu. Wir<br />

flüchteten im Zickzacklauf, verloren<br />

unsere Körbe, liefen auf eine große<br />

Eiche zu, kletterten schnell hinauf<br />

und waren vorläufig in Sicherheit.<br />

Die Bache und ihre Frischlinge zogen<br />

nach ungefähr zehn Minuten weiter.<br />

Nach weiteren zehn Minuten wagten<br />

wir den Abstieg von dem rettenden<br />

Baum und gingen ohne Pilze nach<br />

<strong>Haus</strong>e.<br />

48 49


Dank an alle, die an dem Sommerprojekt 2010 „Wenn ich an meine Kindheit<br />

denke ...“ teilgenommen, mitgeholfen und uns unterstützt haben.<br />

Idee Maxi Juhnke, Familientreffpunkt<br />

Elka-L. Rueben<br />

Konzeption, Koordination Maxi Juhnke<br />

Künstlerische Betreuung Elka-L. Rueben<br />

Photos Marion Schütt<br />

Graphik Flyer, Plakate, Katalog Carola Bellach<br />

Texte Elka-L. Rueben<br />

Maxi Juhnke<br />

Hilfe bei dem Gesamtprojekt Patricia Hofmann<br />

Abir Sarsour<br />

Michael Fredersdorf<br />

Fatme Ibrahim<br />

Petra Grünthal<br />

Wolfgang Semar<br />

Bussaina Trabelsi<br />

Lilo Hochgeschurz<br />

Bastian Thies<br />

Druck print 24 GmbH<br />

Copyright: die Nutzungsrechte der Photos<br />

verbleiben bei synopsisfilm<br />

50<br />

Dank für die finanzielle Förderung, damit das Ausstellungsprojekt realisiert<br />

werden konnte an das Bezirksamt Tempelhof–Schöneberg, Abt. Gesundheit<br />

und Soziales, das Mehrgenerationenhaus Kiezoase und die AG Winterfeldt.<br />

<strong>Pestalozzi</strong>-<strong>Fröbel</strong>-<strong>Haus</strong><br />

S TIFTUNG DES ÖFFENTLICHEN RECHTS<br />

BA Tempelhof-Schöneberg<br />

Abteilung Gesundheit und<br />

Soziales<br />

AG Winterfeldt<br />

synopsisFILM.

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