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Grundrechte/Beamtenrecht - Ja-Aktuell

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Studenten<br />

§ 55 BBG<br />

Der Beamte hat seine Vorgesetzten zu beraten und zu<br />

unterstützen. Er ist verpflichtet, die von ihnen erlassenen<br />

Anordnungen auszuführen und ihre allgemeinen<br />

Richtlinien zu befolgen, sofern es sich nicht um Fälle<br />

handelt, in denen er nach besonderer gesetzlicher<br />

Vorschrift an Weisungen nicht gebunden und nur dem<br />

Gesetz unterworfen ist.<br />

§ 206 StGB<br />

(I) . . .<br />

(II) [Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf <strong>Ja</strong>hren oder mit<br />

Geldstrafe wird bestraft], wer als Inhaber oder Beschäftigter<br />

eines [Unternehmens, das geschäftsmäûig<br />

Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt] unbefugt<br />

. . .<br />

2. eine einem solchen Unternehmen zur Übermittlung<br />

anvertraute Sendung unterdrückt . . .<br />

(III) ± (V) . . .<br />

Problemaufriû<br />

Die Jurisprudenz der Postwurfsendungen wurde von<br />

der höchstrichterlichen Rspr bisher vorwiegend aus<br />

der Sicht des Empfängers<br />

entwickelt,<br />

der sich gegen die<br />

ungewollte Zustellung<br />

derartiger Sendungen<br />

zur Wehr<br />

setzen will. 1 Durch<br />

das weite Verständnis<br />

der Gewissensfreiheit<br />

in der Rspr<br />

des BVerfG 2 Das Wichtigste<br />

Die Berufung auf das eigene Gewissen<br />

genieût den verfassungsrechtlichen<br />

Schutz des Art 4 I GG nur,<br />

wenn und soweit sie sich als funktionsgerechter<br />

Ausgleich des Gewissenskonflikts<br />

darstellt.<br />

war der<br />

in der zu besprechendenEntscheidung<br />

vollzogene Perspektivenwechsel indes vorgezeichnet.<br />

Zu klären war, unter welchen Voraussetzungen<br />

es die Berufung auf echte Gewissensnot einem<br />

Postzustellungsbeamten ermöglicht, von den auch<br />

ihm lästigen Postwurfsendungen, genauer: der Pflicht,<br />

diese zuzustellen, befreit zu werden.<br />

Lösung des BVerwG<br />

1. Das BVerwG stellt zunächst fest, daû P aufgrund<br />

seiner durch die Weisung der Vorgesetzten konkretisierten<br />

Dienstpflichten gehalten war, die ordnungsgemäû<br />

eingelieferten und bezahlten Postwurfsendungen<br />

zuzustellen. Insbesondere war<br />

»nichts dafür ersichtlich, daû deren Inhalt, äuûere<br />

Gestaltung oder Beförderung gem dem damals<br />

geltenden § 9 I Postkundenschutz-Verordnung vom<br />

19. 12. 1995 3 oder aus anderen Gründen nach den<br />

<strong>Grundrechte</strong>/<strong>Beamtenrecht</strong> z Öffentliches Recht Rechtsprechung<br />

allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen<br />

Post AG für den Briefdienst (Inland) 4 von der Postbeförderung<br />

ausgeschlossen waren.«<br />

2. Die Zustellungsverweigerung sowie erst recht das<br />

anschlieûende Zerreiûen der Wurfsendungen bedeutet<br />

deshalb eine Verletzung der Pflichten aus §§ 54 S 1 und<br />

3, 55 S 2 BBG. Jedoch könnten an den hiermit verwirklichten<br />

Disziplinartatbestand keine Disziplinarmaûnahmen<br />

geknüpft werden, wenn das Verhalten des Beamten<br />

gerechtfertigt ist. Wäre das Verhalten des Beamten<br />

nämlich von seiner Gewissensfreiheit (Art 4 I GG) gedeckt,<br />

bedeutete es eine Verletzung dieses Grundrechts,<br />

dennoch Disziplinarmaûnahmen zu verhängen.<br />

3. Das Verhalten des Beamten fällt in den Schutzbereich<br />

des Art 4 I GG.<br />

»Es kann ihm nicht widerlegt werden, daû sein Entschluû,<br />

die Wurfsendungen nicht zuzustellen, auf<br />

einer für ihn ernsten, sittlichen Entscheidung beruhte,<br />

gegen die er nicht ohne seelische Not handeln<br />

konnte.«<br />

Die Verhängung einer Disziplinarmaûnahme aufgrund<br />

eines in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit<br />

fallenden Verhaltens stellt eine den Grundrechtsträger<br />

zielgerichtet belastende Regelung und damit<br />

einen Eingriff in das Grundrecht dar. 5<br />

4. Obwohl die Gewissensfreiheit nach dem Wortlaut<br />

des Art 4 GG schrankenlos gewährleistet ist,<br />

kommt eine Eingriffsrechtfertigung auf der Grundlage<br />

kollidierenden Verfassungsrechts in Betracht. 6<br />

»Dazu zählen neben den <strong>Grundrechte</strong>n Dritter auch<br />

andere verfassungsrechtlich geschützte öffentliche<br />

Belange. Im vorliegenden Fall stehen der Gewissensfreiheit<br />

des Beamten gem Art 4 I GG nicht allein die<br />

beamtenrechtliche Gehorsamspflicht (§ 55 S 2 BBG)<br />

als einer der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums<br />

iS des Art 33 V GG, sondern auch die<br />

Funktionsfähigkeit des Postbetriebs gegenüber.«<br />

Der beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht kommt im<br />

vorliegenden Fall erhöhtes Gewicht zu. Denn sie dient<br />

1 Vgl grdl BGHZ 106, 229. Umfassende Nachw bei Palandt/Bassenge BGB,<br />

59. Aufl, § 1004 Rn7<br />

2 Grdl BVerfGE 12, 45, 54 f<br />

3 BGBl I, S 2017, aufgehobendurch § 58 II zweiter Spiegelstrich des Postgesetzes<br />

vom 22. 12. 1997 (BGBl I, S 3294). Allein maûgebend sind daher<br />

heute die AGB der DeutschenPost AG.<br />

4 In Betracht kam allenfalls § 2 II Nr 1 AGB (verfügbar unter http://www.<br />

deutsche-post.de). Danach sind Sendungen von der Beförderung ausgeschlossen,<br />

deren Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot verstöût.<br />

5 Zum Eingriffsbegriff vgl etwa <strong>Ja</strong>rass/Pieroth GG, 4. Aufl, vor Art 1<br />

Rn20 ± 24<br />

6 Das ist im Ergebnis unstr. Vgl nur <strong>Ja</strong>rass/Pieroth (Fn5) Art 4 Rn46<br />

3 372 n n JA 2000 Heft 5

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