12.02.2013 Aufrufe

Grundrechte/Beamtenrecht - Ja-Aktuell

Grundrechte/Beamtenrecht - Ja-Aktuell

Grundrechte/Beamtenrecht - Ja-Aktuell

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rechtsprechung Öffentliches Recht z <strong>Grundrechte</strong>/<strong>Beamtenrecht</strong><br />

der Funktionsfähigkeit des Postbetriebes im Bereich sog<br />

Monopoldienstleistungen iS des (heutigen) § 51 PostG,<br />

auf deren zuverlässige Erbringung die Allgemeinheit einen<br />

in § 206 StGB strafbewährten Anspruch hat.<br />

5. Stehen der Gewissensfreiheit des Beamten somit<br />

andere Belange von Verfassungsrang gegenüber,<br />

kann hierauf eine Eingriffsrechtfertigung gleichwohl<br />

nur dann gestützt werden, wenn diese auch im konkreten<br />

Fall die Gewissensfreiheit überwiegen. Im Rahmen<br />

der insofern gebotenen Abwägung 7 kommt den<br />

Konfliktvermeidungsversuchen des Beamten entscheidende<br />

Bedeutung zu. 8<br />

»Dies bedeutet, daû ein Postbeamter, der ± wie hier<br />

der P ± aus dienstlichem Anlaû in einen Gewissenskonflikt<br />

gerät, sich nicht ohne weiteres einseitig von<br />

seiner Gehorsamspflicht lösen darf. Er ist vielmehr<br />

verpflichtet, diesen Konflikt selbst mit den Mitteln<br />

des <strong>Beamtenrecht</strong>s, zB durch Remonstration (§ 56 II<br />

BBG) oder Umsetzung dienstintern zu bewältigen.«<br />

Zwar hat der P seine Vorgesetzte auf den Gewissenskonflikt<br />

hingewiesen. Hierin lag indes kein den Anforderungen<br />

des <strong>Beamtenrecht</strong>s genügender Ausgleichsversuch.<br />

Da es für den P als überzeugtem Gegner der<br />

Scientology-Organisation vorhersehbar war, daû ihn<br />

diese Überzeugung in einen Konflikt mit seinen<br />

Dienstpflichten als Postzusteller bringen könnte, wäre<br />

er verpflichtet gewesen, einen Antrag auf nicht nur<br />

vorübergehende Umsetzung zu stellen.<br />

Der P kann sich insoweit auch nicht mit Erfolg darauf<br />

berufen, daû der Dienstherr aufgrund seiner Fürsorgepflicht<br />

(§ 79 BBG) verpflichtet war, die Umsetzung<br />

von Amts wegen vorzunehmen.<br />

»Ob, wann und aus welchem Grund bei einem Postzustellbeamten<br />

während dienstlicher Tätigkeit ein<br />

Gewissenskonflikt auftritt, ist eine innere Tatsache,<br />

die für den Dienstherrn im Regelfall . . . nicht vorhersehbar<br />

ist. [P war deshalb gehalten], von sich<br />

aus an den Dienstherrn heranzutreten.«<br />

6. Die Zustellungsverweigerung stellt sich mithin<br />

als in Kenntnis der Dienstpflicht begangenes vorsätzliches<br />

Dienstvergehen dar. Dies gilt erst recht für das<br />

anschlieûende Zerreiûen der Postwurfsendungen.<br />

»Jedenfalls . . . eine solche Überreaktion, die zudem<br />

<strong>Grundrechte</strong> Dritter (Absender, Empfänger) tangiert<br />

und als Postunterdrückung iS des [§ 206 II<br />

Nr 2 StGB] strafbewährt ist, [stellt] keine rechtlich<br />

hinnehmbare Konfliktlösung dar.«<br />

Wegen der festgestellten vorsätzlichen Dienstvergehen<br />

war gegen den P deshalb eine Disziplinarmaûnahme<br />

zu verhängen.<br />

Ergänzende Hinweise<br />

1. Auch und gerade die vorliegende Entscheidung<br />

verdeutlicht die innere Dialektik des rechtlichen<br />

Schutzes der Gewissensfreiheit. Eine den eigenen<br />

Überzeugungen von Gut und Böse entgegenstehende<br />

Rechtspflicht ist Tatbestandsvoraussetzung der ihre<br />

Verbindlichkeit beseitigenden Gewissensentscheidung.<br />

Der hierin angelegten Gefahr einer Selbstaufgabe<br />

der Rechtsordnung kann nur entgegengewirkt<br />

werden, wenn der rechtliche Schutz der Gewissensentscheidung<br />

konsequent auf den Schutz des »letzten<br />

Auswegs« aus einer Konfliktsituation beschränkt<br />

wird. 9 So gesehen bedeutet die von der Rspr zu Recht<br />

betonte Pflicht, nach konfliktvermeidenden Verhaltensalternativen<br />

zu suchen, im Grunde keine Konkretisierung<br />

von Schranken der Gewissensfreiheit. Sie ist<br />

vielmehr der sachlich gebotene Weg, die für die Gesamtrechtsordnung<br />

erträglichen Fälle echter Gewissensnot<br />

herauszufiltern. Insofern handelt es sich hier<br />

um die Bestimmung des Schutzbereiches der Gewissensfreiheit.<br />

2. Seit der Privatisierung der Deutschen Bundespost<br />

ist es problematisch geworden, deren Funktionsfähigkeit<br />

als verfassungsunmittelbaren Wert<br />

gegen die Gewissensfreiheit des Einzelnen abzuwägen.<br />

Denn die Deutsche Post AG nimmt zwar Aufgaben<br />

der Daseinsvorsorge wahr. Sie tut dies jedoch<br />

nicht im öffentlichen Interesse, sondern wie jedes Privatunternehmen<br />

in der Absicht, hieraus Gewinne zu<br />

erzielen.<br />

Lernteil<br />

1. Die Gehorsamspflicht eines Beamten (§ 55 S 2<br />

BBG, Art 33 V GG) kann als kollidierendes Verfassungsrecht<br />

dem Grundrecht auf Gewissensfreiheit<br />

(Art 4 I GG) Schranken setzen.<br />

2. Eine Gewissensentscheidung entbindet den Beamten<br />

erst dann von seiner Gehorsamspflicht, wenn<br />

alle anderen beamtenrechtlichen Versuche, den vorhersehbaren<br />

Konflikt zu vermeiden, fehlgeschlagen<br />

sind.<br />

Wolfram W. Radke, Wiss. Mit., und Nadine E. Herrmann,<br />

cand. iur., Marburg<br />

7 BSGE 61, 158, 165; BVerwGE 83, 358, 360; <strong>Ja</strong>rass/Pieroth (Fn5) Art 4<br />

Rn46<br />

8 Vgl hierzu etwa Bethge in: Isensee/Kirchhof (Hrsg) Handbuch des Staatsrechts<br />

Bd VI, 1989, S 454 f<br />

9 Ebenso Faller in: FS Kirchner (1985) S 67, 85<br />

JA 2000 Heft 5 n n 373 "<br />

Studenten

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!