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Insolvenz- und Wirtschaftsrecht · 2/2000 - Transliq AG

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HERRENLOSE LIEGENSCHAFTEN Adrian Straubhaar <strong>·</strong> Dereliktion als ultima ratio?<br />

dungen). Allerdings fallen die Lasten in<br />

Bezug auf das Gr<strong>und</strong>stück nicht dahin, sie<br />

bleiben wie bis anhin eingetragen auf dem<br />

Gr<strong>und</strong>buchblatt.<br />

2. Voraussetzungen<br />

Die Konkursverwaltung von X möchte<br />

aus der Konkursmasse der Y <strong>AG</strong> in Konkurs<br />

ein übermässig belastetes Gr<strong>und</strong>stück<br />

derelinquieren. Welche Formvorschriften<br />

muss sie dabei beachten?<br />

2.1. Unterschiede bei Fahrnis <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>eigentum<br />

Zur Dereliktion des Eigentums an einer<br />

beweglichen Sache genügt in objektiver<br />

Hinsicht das willentliche Preisgeben <strong>und</strong><br />

Verlassen der Sache. Gemäss dem Publizitätsprinzip<br />

muss die Besitzaufgabe tatsächlich<br />

<strong>und</strong> definitiv durchgeführt werden;<br />

dem Derelinquierenden darf nach<br />

erfolgter Eigentumsaufgabe kein Gewahrsam<br />

an der Sache mehr zustehen. Ist der<br />

Eigentümer nur mittelbarer Besitzer, so<br />

kann die Preisgabe durch eine entsprechende<br />

Erklärung gegenüber dem unmittelbaren<br />

Besitzer erfolgen. Im Unterschied<br />

dazu ist bei der Dereliktion von<br />

Gr<strong>und</strong>eigentum die Aufgabe des Besitzes<br />

in der Absicht, das Eigentum aufzugeben,<br />

weder erforderlich noch genügend. 5 Gemäss<br />

dem Eintragungsprinzip ist allein die<br />

rechtsgültige Verständigung des Gr<strong>und</strong>buches<br />

über die Absicht, Eigentum aufzugeben,<br />

zwingend vorausgesetzt.<br />

2.2. Abgabe einer Erklärung des Verzichtwillens<br />

gegenüber dem<br />

zuständigen Gr<strong>und</strong>buchamt.<br />

Der dereliquierungswillige Gr<strong>und</strong>eigentümer<br />

hat die Verzichtserklärung, die als<br />

Gestaltungsrecht bedingungsfeindlich ist<br />

<strong>und</strong> auch keine Befristung enthalten darf,<br />

in einfach schriftlicher Form dem örtlich<br />

zuständigen Gr<strong>und</strong>buchamt einzureichen<br />

(Art. 964 Abs. 1 ZGB, Art. 61 Abs. 2 GBV).<br />

Gemäss den Publizitätsgr<strong>und</strong>sätzen ist die<br />

Aufgabe von Gr<strong>und</strong>eigentum formalisiert.<br />

Dadurch sollen unüberlegte Dereliktionen<br />

verhindert <strong>und</strong> andererseits jegliche<br />

Zweifel, ob wirklich Dereliktion vorliegt,<br />

beseitigt werden.<br />

Ein Zwang zu öffentlicher Beurk<strong>und</strong>ung<br />

gemäss Art. 657 Abs. 1 ZGB besteht nicht,<br />

da es sich nicht um eine Übertragung von<br />

Eigentum auf einen bestimmten neuen Eigentümer<br />

handelt. Aus der Verzichtserklärung<br />

muss sich eindeutig ergeben, dass<br />

das betreffende Gr<strong>und</strong>stück inskünftig<br />

herrenlos <strong>und</strong> für jedermann okkupierbar<br />

sein soll. Es wird dem Gr<strong>und</strong>buchamt<br />

zudem eine Löschungsbewilligung eingereicht,<br />

da der nach Ausweis des Gr<strong>und</strong>buches<br />

verfügungsberechtigte Eigentümer<br />

gleichzeitig die Löschung der Eintragung<br />

im Gr<strong>und</strong>buch veranlasst. Die Löschungsbewilligung<br />

muss ebenfalls unbedingt <strong>und</strong><br />

vorbehaltlos sein.<br />

Dass der Verzichtende im Gr<strong>und</strong>buch<br />

eingetragen sei, ist zur Wirksamkeit der<br />

Dereliktion nicht erforderlich; es genügt,<br />

wenn er der wirkliche Eigentümer ist. Bei<br />

nicht im Gr<strong>und</strong>buch eingetragenen Liegenschaften<br />

genügt zur Dereliktion die<br />

endgültige, offenk<strong>und</strong>ige <strong>und</strong> nachweisliche<br />

Aufgabe des Besitzes in Analogie zum<br />

Fahrnisrecht. 6<br />

Hält der Verzichtende das Gr<strong>und</strong>stück<br />

zwar im Alleineigentum, befindet sich jedoch<br />

darauf die Wohnung der Familie, hat<br />

der andere Ehegatte der Verzichtserklärung<br />

zuzustimmen (Art. 169 ZGB).<br />

2.3. Eintragung <strong>und</strong> Löschung des Verzichtenden<br />

Der Name des Gr<strong>und</strong>eigentümers, welcher<br />

die Verzichtserklärung abgegeben<br />

hat, wird in der Eigentümerkolonne auf<br />

dem Blatt seines Gr<strong>und</strong>stücks gestrichen<br />

<strong>und</strong> die Verzichtserklärung zu den Belegen<br />

genommen, mit Angabe des Datums<br />

des Löschungseintrags <strong>und</strong> unter Hinweis<br />

auf den Beleg. Erst dann entfaltet die Dereliktion<br />

ihre Wirkung <strong>und</strong> der Verlust des<br />

Eigentums tritt ein.<br />

Gemäss herrschender Lehre 7 muss ein<br />

Löschungsvermerk «Dereliktion» oder<br />

«durch Verzichtserklärung» zusätzlich<br />

zur Löschung auf dem Gr<strong>und</strong>buchblatt<br />

eingetragen werden. Eine Löschung des<br />

Eigentums für den Verzichtenden ohne<br />

weiteren Zusatzvermerk genügt nicht; sie<br />

allein hätte nicht die Herrenlosigkeit des<br />

Gr<strong>und</strong>stücks, sondern nur das Wiederaufleben<br />

des Eigentums des Vorgängers zur<br />

Folge.<br />

3. Umfang <strong>und</strong> Wirkung<br />

Kann ein früherer Eigentümer über die<br />

Zugehör des Gr<strong>und</strong>stücks nach erfolgter<br />

Dereliktion weiterhin verfügen? Wie<br />

steht es mit Eigentümerdienstbarkeiten?<br />

3.1. Eigentumsverlust bedeutet nicht<br />

auch Besitzesverlust<br />

Mit der Dereliktion (Eigentumsaufgabe)<br />

erlischt das Eigentum an der Liegenschaft,<br />

desgleichen das Eigentum an den Bestandteilen<br />

<strong>und</strong> in der Regel auch an der<br />

Zugehör.<br />

Allerdings ist eine eigentliche Besitzesaufgabe<br />

des derelinquierten Gr<strong>und</strong>stücks<br />

nicht erforderlich, dem ehemaligen Eigentümer<br />

ist es unbenommen, die Liegenschaft<br />

auch weiterhin (ohne Aneignungswillen)<br />

für seine Zwecke zu nutzen. Zum<br />

rechtsgeschäftlichen Erwerb von Eigentum<br />

ist bekanntlich auch keine Besitzergreifung<br />

notwendig. Deshalb hat die Aufgabe<br />

des Liegenschafts-Eigentums nicht<br />

zwingend auch den Besitzesverlust zur<br />

Folge. 8<br />

3.2. Untergang des Eigentums<br />

Das Eigentum des Verzichtenden geht im<br />

Moment der Löschung unter: Es tritt ein<br />

absoluter Eigentumsverlust ein. Ein derelinquiertes<br />

Gr<strong>und</strong>stück ist herrenlos <strong>und</strong><br />

5 REY, HEINZ; Die Gr<strong>und</strong>lagen des Sachenrechts <strong>und</strong><br />

das Eigentum Bd.I, 1991, Verlag Stämpfli & Cie<br />

<strong>AG</strong>, Bern, N 1675, S. 355<br />

6 SIMONIUS/SUTTER; S. 341. a. A. Haab, Zürcher Kommentar<br />

IV. Band, Das Sachenrecht, 1. Abteilung,<br />

Das Eigentum, 1977, Verlag Schulthess, Zürich,<br />

S. 303: Bei nicht im Gr<strong>und</strong>buch eingetragenen<br />

Eigentümern (z.B. beim ausserbuchlichen Erwerb)<br />

muss derjenige, der derelinquieren will,<br />

vorgängig die Eintragung erwirken.<br />

7 MEIER-HAYOZ, ARTHUR; Berner Kommentar, Das<br />

Sachenrecht, 1. Abteilung, Das Eigentum, 2. Teilband<br />

Gr<strong>und</strong>eigentum I, Verlag Stämpfli & Cie.<br />

<strong>AG</strong>, Bern, S. 236; Zürcher Kommentar, S. 304;<br />

REY, S. 355. a. A. HONSELL/REY, Kommentar zum<br />

Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches<br />

Zivilgesetzbuch II, Verlag Helbing & Lichtenhahn,<br />

Basel, 1998, S. 1116: Den Eintrag eines Löschungsvermerks<br />

(«Dereliktion») beurteilt REY<br />

als überflüssig, weil eine solche Verzichtserklärung<br />

bereits zu den Belegen genommen worden<br />

ist, <strong>und</strong> die Belege bekanntlich einen Teil des<br />

Gr<strong>und</strong>buchs bilden.<br />

8 Berner Kommentar, S. 236<br />

66 <strong>Insolvenz</strong>- <strong>und</strong> <strong>Wirtschaftsrecht</strong> §<br />

<strong>·</strong> 2/<strong>2000</strong>

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