PDF-Download - Marketing mit Geschichte
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THEMEN UND TRENDS<br />
Im Zuge der Reichspogromnacht vom 9./10.<br />
November 1938 und der „Verordnung zur Ausschaltung<br />
der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“<br />
vom 12. November 1938 ging in<br />
Mannheim die Zuständigkeit für die Genehmigung<br />
der Arisierungen auf das Polizeipräsidium<br />
über. Da dieses kurz vor Einmarsch der Amerikaner<br />
1945 alle einschlägigen Akten verbrannte,<br />
ist die Genehmigungspraxis nur noch sehr<br />
schwer zu rekonstruieren. Wie viele jüdische<br />
Unternehmen vor 1938 arisiert wurden bzw. geschlossen<br />
wurden, ist bislang nur unzureichend<br />
erforscht. Anhaltspunkte liefern Verzeichnisse<br />
jüdischer Bürger und Geschäfte, die 1935 von<br />
den Ortsgruppen der NSDAP angelegt wurden,<br />
aber nur bruchstückhaft erhalten sind. Sie las-<br />
sen sich daher nur bedingt <strong>mit</strong> dem 1938 vom<br />
Polizeipräsidenten aufgestellten Verzeichnis vergleichen,<br />
das noch 530 jüdische Betriebe in<br />
Mannheim enthält. Bis Sommer 1939 verschwanden<br />
auch diese. Einzelhandelsgeschäfte<br />
wurden grundsätzlich liquidiert, um, wie die<br />
„Neue Mannheimer Zeitung“ in ihrem Artikel<br />
über eine Beiratssitzung der IHK am 7. März 1939<br />
berichtet, „dem stark übersetzten Einzelhandel<br />
zu helfen.“<br />
Fallbeispiele<br />
Der Nationalsozialismus sah in den Warenhäusern<br />
schon seit dem Parteiprogramm von 1920<br />
eine die Volkswirtschaft schädigende Einrich-<br />
Warenhaus H. Schmoller & Co., P 1, 8-10, Aufnahme um 1905/06, 1938 arisiert (Foto: Mannheim und seine<br />
Bauten, 1906, S. 239)<br />
tung. Um so erstaunlicher ist es, dass in Mannheim<br />
von den vier großen jüdischen Warenhäusern<br />
drei arisiert wurden: Wronker (1934), Kander<br />
(1935) und Schmoller (1938). Über die<br />
Hintergründe sind wir im Fall von Schmoller am<br />
besten informiert. Durch Boykottmaßnahmen<br />
arbeitete Schmoller seit einigen Jahren <strong>mit</strong> Verlust<br />
und konnte sich nur durch die Kredite der<br />
Deutschen Bank Mannheim über Wasser halten.<br />
Deren Direktor intervenierte im Mai 1938 unter<br />
Hinweis auf die großen Verpflichtungen des Warenhauses<br />
gegenüber der Bank beim Finanz- und<br />
Wirtschaftsministeriums und erreichte es, dass<br />
Schmoller im August 1938 von der Firma Ernst<br />
Vollmer & Co. (Dresden) übernommen werden<br />
konnte.<br />
Mannheimer Warenhäuser in jüdischem<br />
Besitz, die im Dritten Reich „arisiert“ wurden<br />
Warenhaus Kander, T 1, 1 (übernommen<br />
1935 von der Anker-Kaufstätte,<br />
seit 1936 Tochtergesellschaft der Westdeutschen<br />
Kaufhof AG)<br />
Warenhaus H. Schmoller & Co., P 1, 8-10<br />
(übernommen 1938 von Ernst Vollmer & Co.,<br />
Dresden)<br />
Warenhaus Wronker (gehörte zur Wronker AG<br />
Frankfurt), E 1, 5-6a<br />
(übernommen 1934 von der Hansa AG,<br />
Frankfurt)<br />
Die „jüdische“ Hopfengroßhandlung Neuberger<br />
ist ein besonders interessanter Fall, da sie<br />
sich der Arisierung bzw. Schließung erfolgreich<br />
widersetzen konnte. Der nichtarische Inhaber,<br />
Otto Neuberger, übertrug 1936 das Geschäft<br />
seiner arischen Ehefrau, die ihrerseits einen arischen<br />
Kommanditisten aufnahm. Obwohl der<br />
Kreiswirtschaftsberater – damals noch Prof. Dr.<br />
Thoms – dagegen votierte, erreichte Bernarda<br />
Neuberger die Anerkennung als arisches Unternehmen<br />
durch die IHK, da sie eidesstattlich versicherte,<br />
dass ihr nichtarischer Ehemann künftig<br />
keinerlei Einfluss auf die Geschäftsführung<br />
haben werde. Das kreditgebende Bankhaus<br />
Bensel & Co. versuchte die prekäre Situation des<br />
Unternehmens auszunutzen und verlangte eine<br />
20%ige Gewinnbeteiligung – nach der Parteipropaganda<br />
ein eindeutig jüdisches Geschäftsgebahren!<br />
Als die Bank von der Kundin eine<br />
Trennung von ihrem jüdischen Ehemann forderte,<br />
kündigte diese die Kundenverbindung und<br />
hatte das große Glück, in der Badischen Bank<br />
einen neuen Kreditgeber zu finden. Gauwirt-<br />
8 IHK · WIRTSCHAFTSMAGAZIN RHEIN-NECKAR 1/2006