PDF-Download - Marketing mit Geschichte
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Die IHK Mannheim im Dritten Reich / Teil 3<br />
Die Arisierung von Unternehmen<br />
schreitet unerbittlich voran<br />
Die letzten beiden Beiträge dieser Serie befassten sich <strong>mit</strong> der Rolle der IHK Mannheim in der<br />
Aufbau- und Stabilisierungsphase des nationalsozialistischen Regimes. Dieser und der kommende<br />
Artikel werden die Beteiligung der IHK an der sogenannten „Arisierung“ von jüdischen<br />
Unternehmen und ihre Funktion in der Kriegswirtschaft beleuchten. Während die Kammer<br />
schon im Ersten Weltkrieg wichtige wirtschaftliche Steuerungsaufgaben übernommen hatte,<br />
wurde <strong>mit</strong> der staatlich verordneten Beteiligung an der Liquidierung bzw. „Arisierung“ jüdischer<br />
Unternehmen ein neues, unrühmliches Kapitel ihrer <strong>Geschichte</strong> aufgeschlagen.<br />
Am 1. April 1938 folgte dem Industriellen<br />
Fritz Reuther auf dem Präsidentenstuhl der<br />
Mittelständler Heinrich Goebels, Geschäftsführer<br />
eines holzverarbeitenden Betriebes <strong>mit</strong><br />
knapp 300 Arbeitern und Angestellten. Seine Ernennung<br />
wirkt aus heutiger Sicht überraschend:<br />
Zwar war Goebels 1933 in die Partei eingetreten<br />
und fungierte ab 1934 als Beirat der IHK, 1937<br />
wurden aber rechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet<br />
wegen kritischer Äußerungen über den<br />
Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Ley, und<br />
wegen Beschäftigung jüdischer Angestellter und<br />
Vertreter. Beide Verfahren wurden aber wieder<br />
eingestellt; nähere Hintergründe sind nicht<br />
mehr zu er<strong>mit</strong>teln. Die zunehmende Radikalisierung<br />
des NS-Regimes brachte es <strong>mit</strong> sich, dass<br />
Goebels in stärkerem Maße in Unrechtsmaßnahmen<br />
verwickelt war als Reuther. Dies lag vor<br />
allem daran, dass die Industrie- und Handelskammern<br />
1938 durch Reichsgesetze bzw. - verordnungen<br />
verpflichtet wurden, an der Entfer-<br />
Dr. Heinrich Goebels, Präsident der IHK Mannheim<br />
1938-1945 (Foto: IHK Rhein-Neckar)<br />
IHK · WIRTSCHAFTSMAGAZIN RHEIN-NECKAR 1/2006<br />
nung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben<br />
<strong>mit</strong>zuwirken. Zum anderen hatte<br />
Goebels im September 1938 von dem Heidelberger<br />
Professor Walter Thoms das Amt des<br />
Kreiswirtschaftsberaters der NSDAP übernommen<br />
und vertrat da<strong>mit</strong> in Personalunion die<br />
Interessen der Partei und zugleich die der Wirtschaft<br />
Zuständigkeiten bei der „Arisierung“<br />
Die 1933 einsetzenden Boykottaufrufe, Einschüchterungsmaßnahmen<br />
<strong>mit</strong> oder ohne Anwendung<br />
roher Gewalt sowie der Ausschluss von<br />
öffentlichen Aufträgen stellten jüdische Geschäftsleute<br />
vor die Alternative, ihr Unternehmen<br />
zu schließen oder an „arische“ – bzw. nach<br />
der ursprünglichen Sprachregelung „christliche“<br />
– Interessenten zu veräußern. Für die „Arisierung“<br />
war eine Genehmigung durch das badische<br />
Finanz- und Wirtschaftsministerium erforderlich.<br />
Wann ein Unternehmen als „jüdisch“ anzusehen<br />
sei, war bei einem Einzelunternehmen<br />
relativ einfach, bei einer GmbH oder einer AG lag<br />
der Fall oft komplizierter. Viele Firmen suchten<br />
ihre Existenz dadurch zu sichern, dass sie ihre jüdischen<br />
Geschäftsführer bzw. Vorstände entließen<br />
und Kapitaleigner zum Verkauf ihrer Anteile<br />
drängten. Auf Antrag der Firmen stellte die IHK<br />
dann Bescheinigungen aus, dass die betreffende<br />
Biographie Dr. Heinrich Goebels<br />
THEMEN UND TRENDS<br />
Firma als „arisch“ zu betrachten sei. Der Erlass<br />
des Reichswirtschaftsministeriums vom 5. Juli<br />
1938 bestimmte schließlich, dass die Genehmigungsbehörden<br />
bei der Veräußerung von jüdischen<br />
Firmen Gutachten von der zuständigen<br />
IHK und der Gauleitung einzuholen hatten.<br />
Erstere hatte zu prüfen, ob ein volkswirtschaftliches<br />
Interesse an der Weiterführung eines jüdischen<br />
Unternehmens in arischer Hand bestand,<br />
ob der Kaufpreis angemessen war und ob<br />
die berechtigten wirtschaftlichen Interessen<br />
Dritter durch den Verkauf verletzt wurden. Über<br />
die politische Zuverlässigkeit des Bewerbers urteilte<br />
die Partei. Für Mannheim gab es eine<br />
Sonderregelung, da hier nicht der Gauwirtschaftsberater<br />
(Kentrup), sondern der Kreiswirtschaftsberater<br />
(Goebels) gehört wurde. Dieser<br />
hatte kein eigenes Büro bei der Kreisleitung, sondern<br />
nutzte die räumlichen und personellen<br />
Ressourcen der IHK für sein Parteiamt. In der<br />
Praxis unterschrieb er das Parteigutachten und<br />
einer der Geschäftsführer das der IHK. Das Verfahren<br />
war da<strong>mit</strong> nach formalen Kriterien zwar<br />
korrekt, tatsächlich aber eine Farce.<br />
Mannheimer Bankhäuser in jüdischem<br />
Besitz (1936)<br />
Bankgeschäft Franz Darmstädter<br />
Getreide-Kreditgesellschaft<br />
Industrielle Kreditgesellschaft mbH,<br />
Mannheim<br />
Fritz W. Lefo<br />
Mannheimer Privatbank Friedrich<br />
Straßburger<br />
Marx & Goldschmidt<br />
Otto Neuhäuser<br />
Gustav Würzweiler<br />
Fritz Rose<br />
Geb. 28.11.1901 in Ludwigshafen, gest. 17.01.1962 in Mannheim<br />
Sohn des Gründers der Firma Huth & Co., Kehlleistenfabrik und Holzhandlung, in Mannheim,<br />
1920-1924 Studium der Rechts- und Volkswirtschaft in Freiburg und Heidelberg, 1927-1929 Assessor<br />
am Amtsgericht Mannheim, 1929 Eintritt in das väterliche Unternehmen (seit 1934 Ges.<br />
GF) und zugleich Rechtsanwalt beim Amts- und Landgericht Mannheim, 1. Mai 1933 Eintritt in<br />
die NSDAP, 1935 Beirat, 1938-1945 Präsident der IHK Mannheim und Kreiswirtschaftsberater<br />
der NSDAP, 7.7.1939 Ehrensenator der TH Karlsruhe, 1940 Wehrwirtschaftsführer, 1942 schwedischer<br />
Konsul und Ratsherr von Mannheim, 29.5.45-30.10.47 inhaftiert im Internierungslager<br />
Ludwigsburg, 1957 Gründung der Bema-Betonwerk GmbH<br />
7
THEMEN UND TRENDS<br />
Im Zuge der Reichspogromnacht vom 9./10.<br />
November 1938 und der „Verordnung zur Ausschaltung<br />
der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“<br />
vom 12. November 1938 ging in<br />
Mannheim die Zuständigkeit für die Genehmigung<br />
der Arisierungen auf das Polizeipräsidium<br />
über. Da dieses kurz vor Einmarsch der Amerikaner<br />
1945 alle einschlägigen Akten verbrannte,<br />
ist die Genehmigungspraxis nur noch sehr<br />
schwer zu rekonstruieren. Wie viele jüdische<br />
Unternehmen vor 1938 arisiert wurden bzw. geschlossen<br />
wurden, ist bislang nur unzureichend<br />
erforscht. Anhaltspunkte liefern Verzeichnisse<br />
jüdischer Bürger und Geschäfte, die 1935 von<br />
den Ortsgruppen der NSDAP angelegt wurden,<br />
aber nur bruchstückhaft erhalten sind. Sie las-<br />
sen sich daher nur bedingt <strong>mit</strong> dem 1938 vom<br />
Polizeipräsidenten aufgestellten Verzeichnis vergleichen,<br />
das noch 530 jüdische Betriebe in<br />
Mannheim enthält. Bis Sommer 1939 verschwanden<br />
auch diese. Einzelhandelsgeschäfte<br />
wurden grundsätzlich liquidiert, um, wie die<br />
„Neue Mannheimer Zeitung“ in ihrem Artikel<br />
über eine Beiratssitzung der IHK am 7. März 1939<br />
berichtet, „dem stark übersetzten Einzelhandel<br />
zu helfen.“<br />
Fallbeispiele<br />
Der Nationalsozialismus sah in den Warenhäusern<br />
schon seit dem Parteiprogramm von 1920<br />
eine die Volkswirtschaft schädigende Einrich-<br />
Warenhaus H. Schmoller & Co., P 1, 8-10, Aufnahme um 1905/06, 1938 arisiert (Foto: Mannheim und seine<br />
Bauten, 1906, S. 239)<br />
tung. Um so erstaunlicher ist es, dass in Mannheim<br />
von den vier großen jüdischen Warenhäusern<br />
drei arisiert wurden: Wronker (1934), Kander<br />
(1935) und Schmoller (1938). Über die<br />
Hintergründe sind wir im Fall von Schmoller am<br />
besten informiert. Durch Boykottmaßnahmen<br />
arbeitete Schmoller seit einigen Jahren <strong>mit</strong> Verlust<br />
und konnte sich nur durch die Kredite der<br />
Deutschen Bank Mannheim über Wasser halten.<br />
Deren Direktor intervenierte im Mai 1938 unter<br />
Hinweis auf die großen Verpflichtungen des Warenhauses<br />
gegenüber der Bank beim Finanz- und<br />
Wirtschaftsministeriums und erreichte es, dass<br />
Schmoller im August 1938 von der Firma Ernst<br />
Vollmer & Co. (Dresden) übernommen werden<br />
konnte.<br />
Mannheimer Warenhäuser in jüdischem<br />
Besitz, die im Dritten Reich „arisiert“ wurden<br />
Warenhaus Kander, T 1, 1 (übernommen<br />
1935 von der Anker-Kaufstätte,<br />
seit 1936 Tochtergesellschaft der Westdeutschen<br />
Kaufhof AG)<br />
Warenhaus H. Schmoller & Co., P 1, 8-10<br />
(übernommen 1938 von Ernst Vollmer & Co.,<br />
Dresden)<br />
Warenhaus Wronker (gehörte zur Wronker AG<br />
Frankfurt), E 1, 5-6a<br />
(übernommen 1934 von der Hansa AG,<br />
Frankfurt)<br />
Die „jüdische“ Hopfengroßhandlung Neuberger<br />
ist ein besonders interessanter Fall, da sie<br />
sich der Arisierung bzw. Schließung erfolgreich<br />
widersetzen konnte. Der nichtarische Inhaber,<br />
Otto Neuberger, übertrug 1936 das Geschäft<br />
seiner arischen Ehefrau, die ihrerseits einen arischen<br />
Kommanditisten aufnahm. Obwohl der<br />
Kreiswirtschaftsberater – damals noch Prof. Dr.<br />
Thoms – dagegen votierte, erreichte Bernarda<br />
Neuberger die Anerkennung als arisches Unternehmen<br />
durch die IHK, da sie eidesstattlich versicherte,<br />
dass ihr nichtarischer Ehemann künftig<br />
keinerlei Einfluss auf die Geschäftsführung<br />
haben werde. Das kreditgebende Bankhaus<br />
Bensel & Co. versuchte die prekäre Situation des<br />
Unternehmens auszunutzen und verlangte eine<br />
20%ige Gewinnbeteiligung – nach der Parteipropaganda<br />
ein eindeutig jüdisches Geschäftsgebahren!<br />
Als die Bank von der Kundin eine<br />
Trennung von ihrem jüdischen Ehemann forderte,<br />
kündigte diese die Kundenverbindung und<br />
hatte das große Glück, in der Badischen Bank<br />
einen neuen Kreditgeber zu finden. Gauwirt-<br />
8 IHK · WIRTSCHAFTSMAGAZIN RHEIN-NECKAR 1/2006
schaftsberater sowie Finanz- und Wirtschaftsministerium<br />
waren da<strong>mit</strong> einverstanden unter<br />
der Maßgabe, dass die Bank das Geschäftsgebahren<br />
der Firma überwachen und regelmäßig<br />
über die Geschäftsentwicklung nach Karlsruhe<br />
berichten sollte. So überstand die Firma das<br />
Dritte Reich.<br />
Auch Eichbaum und Südzucker gehören zu<br />
den Firmen, die im Dritten Reich aufgrund jüdischer<br />
Kapitalbeteiligung „arisiert“ wurden. Die<br />
weitverzweigte jüdische Familie Flegenheimer<br />
hielt nicht nur ein beträchtliches Aktienpaket an<br />
IHK · WIRTSCHAFTSMAGAZIN RHEIN-NECKAR 1/2006<br />
Südzucker, sondern stellte auch <strong>mit</strong> Albert Flegenheimer<br />
den Vorstand (von 1931-1936). Nach<br />
dem Verkauf des Aktienpakets 1937 gelang es<br />
dem ehemaligen Firmenchef, über Mailand nach<br />
New York zu fliehen. Die damalige Eichbaum-<br />
Werger-Brauereien AG sah sich nach 1933 als<br />
Judenbrauerei angefeindet, da sich 18 % des<br />
Grundkapitals in den Händen von Jacob Feitel<br />
befand, Besitzers verschiedener Malzfabriken<br />
und Mitglied der Handelskammer von 1927-<br />
1933. Boykottmaßnahmen durch Partei, Rathaus<br />
und andere Behörden ließen den Umsatz<br />
THEMEN UND TRENDS<br />
fallen, was sich erst änderte, als der jüdische Aktienbesitz<br />
1936 arisiert wurde. Auch Richard Lenel<br />
mußte 1938 seine Firma (Lenel, Bensinger &<br />
Co.) verkaufen. Was mag in den Köpfen seiner<br />
langjährigen Mitarbeiter in der Handelskammer<br />
vorgegangen sein, als sie über das Schicksal des<br />
verdienten Kammerpräsidenten und ersten Ehrendoktors<br />
der Universität Mannheim entschieden?<br />
Dr. Friedrich Burrer<br />
f.burrer@marketing<strong>mit</strong>geschichte.de l<br />
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