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Münchner Feuilleton Ausgabe Oktober Nr. 12 13.10. - Strip Academy

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BILDENDE KUNST<br />

SEITE 10 · OKTOBER · MÜNCHNER FEUILLETON<br />

HANNE WESKOTT<br />

Mond und Sterne über Theben<br />

»Frau Lasker-Schüler ist eine wunderbare<br />

Frau. Sie beide müssen sie unbedingt kennen<br />

lernen«, schrieb Franz Marc aus Berlin an<br />

Paul Klee. Das war um die Jahreswende<br />

19<strong>12</strong>/13, als das Ehepaar Marc in Berlin<br />

weilte. Else Lasker-Schüler wurde nach Sindelsdorf,<br />

dem damaligen Wohnsitz der Marcs,<br />

eingeladen und kam sogleich mit. Sie hatte<br />

gerade ihre zweite Scheidung hinter sich und<br />

brauchte Erholung. Im idyllischen Sindelsdorf<br />

aber hielt sie es nicht aus. Das Großstadtgewächs<br />

aus ihrem Berliner Bohemienleben<br />

hierher zu verpflanzen, wenn auch nur<br />

für eine begrenzte Zeit, konnte nicht gutgehen.<br />

Zwei Werke in der Ausstellung zeigen<br />

deutlich die unterschiedlichen Welten der<br />

beiden Künstler. Franz Marc schickte 1914 für<br />

den Sohn Paul von Else Lasker-Schüler die<br />

Postkarte »Schloss Ried«, auf dem er sein<br />

neuerworbenes Haus in Ried bei Kochel<br />

malte. Daneben hängt die Zeichnung »Theben<br />

mit Jussuf« (um 1920) von Lasker-Schüler.<br />

Jussuf, Prinz von Theben, schaut aus<br />

einem Fenster inmitten eines sich auftürmenden<br />

Häusermeers, während der »blaue<br />

Reiter« in das tiefgrüne Land eingebettet ist.<br />

In München aber fühlte sich Else Lasker-Schüler<br />

wohl. Schon vor diesem Besuch<br />

bei Marc hatte sie im »Sturm« geschrieben:<br />

»Ein Paradies ist München, aus dem man<br />

nicht vertrieben wird, aber Berlin ist ein Kassenschrank<br />

aus Asphalt.« Franz Marc führte<br />

sie in seinen Künstler-Freundeskreis ein.<br />

Kandinskys Kunst mochte sie nicht: »Professor«<br />

nannte sie ihn, nicht »Künstler«. Mit<br />

Gabriele Münter kam sie auch nicht klar,<br />

aber mit Paul Klee verband sie eine Seelenverwandtschaft.<br />

Sie inspirierten sich gegenseitig.<br />

So nahm er ihre Titelzeichnung für ihr<br />

Buch der »Hebräischen Balladen« als Vorbild<br />

für sein Frontispiz des Buches »Die Freude«. Doch bedeutender<br />

war für sie der Kontakt zu Franz Marc, der bis zu dessen<br />

Tod nicht abreißen sollte: Er schickt ihr seine berühmten<br />

Anzeige<br />

Die Dichterin Else Lasker-Schüler suchte für ihre Selbstinszenierung Verbündete<br />

und ihr Verbundene. Einen fand sie im »lieben blauen Reiter« Franz Marc: und wechselte<br />

mit ihm Briefe und Postkarten, Zeichnungen und Symbole.<br />

ANGELA HÜBEL<br />

RINGE<br />

aquarellierten Postkarten mit kurzen Botschaften; sie antwortet<br />

in Briefen, die oft sehr lang und überschwänglich, aber<br />

immer schön gestaltet sind. Bild und Text gehen ineinander<br />

über. Sie bilden eine Einheit. Überall findet sich<br />

der scharf- kantige Kopf des Prinzen Jussuf von<br />

Theben, ihrem Alter Ego. Wenn Marc antwortet,<br />

geht er auf ihr Spiel ein, lässt sich »blauer Reiter«<br />

oder »Ruben« nennen. Ruben war im Alten Testament<br />

der Halbbruder Josefs (= Jussuf), der einzige<br />

der vielen Brüder Josefs, der zu ihm hielt und ihn<br />

vor dem Tod errettete. Diese Namensgebung zeigt<br />

schon, welch wichtige Rolle Franz Marc zukam. Er<br />

störte sich nicht an ihrer Exaltiertheit und malte<br />

für sie als Jussuf, Prinz von Theben, Motive ihrer<br />

Traumwelt, weil er wusste oder zumindest ahnte,<br />

dass die künstlerische Fiktion für sie die einzige<br />

Rettung aus dem alltäglichen Elend darstellte. Er<br />

übernimmt ihre Lieblingsmotive Mond und Sterne<br />

und schreibt sie seinen gemalten Tieren wie Tätowierungen<br />

ein, wie im »Turm der blauen Pferde«,<br />

der zweiten Postkarte, die er ihr sendet. Auch die<br />

Wahl der Farbe Blau ist ein Beweis seiner Freundschaft,<br />

denn Blau war ihre Lieblingsfarbe. Diese<br />

Korrespondenz steht im Mittelpunkt der Ausstellung<br />

»Else Lasker-Schüler – Gestirne und Orient.<br />

Die Künstlerin im Kreis des Blauen Reiter« in<br />

Kochel, wobei hier versucht wird, Bilder und Texte<br />

in engem Zusammenhang zu zeigen, um ihre<br />

gegenseitige Befruchtung anschaulich zu machen.<br />

Dass man dafür auch auf Faksimiles einiger nicht<br />

ausleihbarer Postkarten zurückgreifen musste, ist<br />

die Konsequenz dieses Konzepts.<br />

Else Lasker-Schüler wurde 1869 als Elisabeth<br />

Schüler, jüngstes von sechs Kindern einer großbürgerlichen<br />

Familie in Elberfeld (Wuppertal) geboren.<br />

Mit 11 Jahren soll sie die Schule abgebrochen<br />

haben, um fortan zu Hause unterrichtet zu werden.<br />

1894 zog sie mit ihrem Mann, dem Arzt Berthold<br />

Lasker, nach Berlin, wo sie mit dem Schreiben und<br />

Malen begann. Erste Gedichte erschienen 1899,<br />

dem Geburtsjahr ihres Sohnes Paul, und eine erste<br />

Zeichnung 1900. Sie hatte Kontakt zur literarischen<br />

Szene in Berlin und sich mit dem Schriftsteller<br />

Franz Marc | Schloss Ried | 1914 | Tusche, Tinte, Aquarell auf Papier |<br />

11,5 x 17,7 cm | Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett<br />

Else Lasker-Schüler | Theben mit Jussuf | um 1920 | Tinte, Bleistift, Buntstift,<br />

Kreide, collagiertes Gold und Transparentpapier auf der Rückseite eines<br />

Telegrammformulars, 25,1 x 16 cm | Kunstmuseum Solingen; Else-Lasker-Schüler-<br />

Stiftung, Wuppertal | © Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 20<strong>12</strong><br />

Peter Hille angefreundet. 1903 lässt sie sich von Lasker scheiden,<br />

schließt Freundschaft mit Gottfried Benn und Richard<br />

Dehmel und heiratet den Komponisten und Schriftsteller Georg<br />

Levin, dem sie den Namen Herwarth Walden gegeben haben<br />

soll, unter dem er 1910 die einflussreiche Zeitschrift und 19<strong>12</strong><br />

die Galerie »Der Sturm« gründet, wo sich Künstler und Schriftsteller<br />

der damaligen Avantgarde präsentieren konnten.<br />

Die Dichterin stand so mit im Zentrum des kulturellen Lebens.<br />

Sie fand Anerkennung auf breiter Ebene. Als sie 1933 nach<br />

tätlichen Angriffen auf offener Straße aus Berlin in die Schweiz<br />

flüchtete, fand sie dort zunächst Unterstützung, weil ihre<br />

Gedichte neben denen Goethes in den Schulbüchern abgedruckt<br />

waren. Aber die Behörden gaben immer nur befristete<br />

Aufenthaltsgenehmigungen. Häufiger Ortswechsel war die<br />

Folge. Von Zürich aus reiste sie dreimal nach Palästina; zuletzt<br />

1939. Damals hatte man ihr bereits die deutsche Staatsbürgerschaft<br />

aberkannt, und die Schweiz verweigerte das Rückreisevisum.<br />

Es blieben ihr noch gut vier Jahre. Verarmt und vereinsamt<br />

starb sie im Januar 1945 nach einem schweren Herzanfall<br />

in Jerusalem und wurde auf dem Ölberg begraben. Eine letzte<br />

Ruhestätte war es nicht, weil der Ölberg zum später jordanischen<br />

Teil Jerusalems gehörte. Schließlich fand sich ihr Grabstein<br />

neben einer Schnellstraße, die die Jordanier quer durch<br />

den alten Friedhof hatten bauen lassen. 1975 wurde er schließlich<br />

an einem neuen Platz auf dem Ölberg aufgestellt.<br />

Else Lasker-Schüler war eine jener Doppelbegabungen,<br />

deren Karrieren meist einseitig verlaufen. So wurde sie als<br />

Dichterin und Schriftstellerin früh anerkannt und viel<br />

gedruckt. Sie hat Romane, Dramen, Erzählungen, Briefe und<br />

Gedichte voll Zärtlichkeit und Schönheit geschrieben. Dass es<br />

auch ein eigenständiges zeichnerisches Werk von ihr gibt,<br />

wurde weniger wahrgenommen. Erst in den letzten Jahren ist<br />

es wieder entdeckt worden, und selbst für Menschen, die<br />

glaubten, Lasker-Schülers Werk zu kennen, waren in der Ausstellung<br />

»Else Lasker-Schüler – Die Bilder« im Jüdischen<br />

Museum in Frankfurt/Main und im Hamburger Bahnhof Berlin<br />

(2010/2011) Überraschungen dabei. Dazu erschien im Jüdischen<br />

Verlag ein Katalog (30 Euro), herausgegeben von Ricarda<br />

Dick, die sich seit gut 20 Jahren mit Else Lasker-Schüler<br />

beschäftigt. Sie hat auch an dem Begleitheft zur Kocheler Ausstellung<br />

(16,50 Euro) mitgearbeitet und zeichnet für das schön<br />

gestaltete, im Prestel Verlag erschienene Buch »Else Lasker-<br />

Schüler und Franz Marc – eine Freundschaft in Briefen und<br />

Bildern«, verantwortlich. Darin wird erstmals die Korrespondenz<br />

von Franz Marc und Else Lasker-Schüler in eine rein<br />

zeitliche Ordnung gebracht, in die sich Briefe, Karten und<br />

Gedichte mit allen gestalterischen Details bis hin zu den Briefumschlägen<br />

einfügen. ||<br />

ELSE LASKER-SCHÜLER<br />

Gestirne und Orient. Die Künstlerin im Kreis<br />

des »Blauen Reiter«<br />

Franz Marc Museum | Franz-Marc-Parc 8–10, Kochel | bis 6.<br />

Januar | Di–So 10–18 Uhr, ab November 10–17 Uhr | Mit einer<br />

Installation der <strong>Münchner</strong> Künstlerin Michaela Melián

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