Münchner Feuilleton Ausgabe Oktober Nr. 12 13.10. - Strip Academy
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MUSIK<br />
SEITE 28 · OKTOBER · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
Der Theatermacher<br />
Axel Tangerding hat den<br />
Bestseller »Musicophilia« des<br />
amerikanischen Neurologen<br />
Oliver Sacks adaptiert – eine<br />
szenische Reise in die<br />
Geheimnisse der Musik.<br />
Anzeige<br />
Axel Tangerding | Foto: Peter Hinz-Rosin<br />
»MUSICOPHILIA«<br />
Reaktorhalle (Luisenstr. 37a)<br />
15./16./17. November, 20.00 Uhr<br />
Weitere Infos & Karten:<br />
www.meta-theater.com<br />
www.muenchenticket.de<br />
Hirn und Ton<br />
EVA MACKENSEN<br />
Wie erklärt man das Prinzip Musik? Wie kann<br />
man es definieren, sodass gleichzeitig die<br />
Songs der Beatles, Beethoven und die Klänge<br />
des Didgeridoos darin aufgehoben sind?<br />
Musik erklingt in den verschiedensten Formen,<br />
und jeder ist ihr täglich ausgesetzt. Es<br />
scheint einem elementaren Bedürfnis des<br />
Menschen zu entsprechen, Musik zu machen,<br />
zu komponieren oder zu produzieren, sich<br />
mit Musik zu umgeben.<br />
Dabei ist unklar, wie Musik überhaupt<br />
entstanden ist, welchen Platz sie in der<br />
menschlichen Evolution einnimmt. Ihre<br />
Ursprünge liegen im Dunkeln und erscheinen<br />
auch in der anthropologischen Theorie allenfalls<br />
in einem diffusen Dämmerschein. Es<br />
geht dabei um die Frage, ob die Sprache, die<br />
ja ebenfalls ein evolutionäres Alleinstellungsmerkmal<br />
des Menschen ist, durch die Musik,<br />
oder aber die Musik durch die Sprache erworben<br />
wurde, oder beide zugleich. Der Urlaut<br />
menschlicher Kommunikation, so eine<br />
Annahme, könnte auch eine Art psalmodierender<br />
Sprechgesang gewesen sein.<br />
In jedem Fall deutet vieles auf einen<br />
engen Zusammenhang hin zwischen dem<br />
Spracherwerb und den frühesten Anfängen in<br />
der Musik. Umso erstaunlicher, dass sich die<br />
Hirnforschung erst relativ spät, seit den Achtzigerjahren,<br />
mit den neurologischen Auswirkungen<br />
der Musik beschäftigte. Und was für<br />
erstaunliche Erkenntnisse sie dabei gewann!<br />
In einem Buch, das vor fünf Jahren in den<br />
USA erschien und auf Anhieb zum Bestseller<br />
wurde, lässt sich das nachlesen. Der Autor ist<br />
Oliver Sacks, ein Schriftsteller und Neurologe,<br />
der bereits zuvor mit seinen populärwissenschaftlichen<br />
Werken über die Wunder und die<br />
Schrecken neurologischer Defekte weltweite<br />
Bestseller gelandet hatte. »Musicophilia«, wie<br />
das Buch im amerikanischen Original heißt,<br />
konfrontiert den Leser mit Fallstudien, die in<br />
vielfältiger Weise die Zusammenhänge zwischen<br />
Musik und dem menschlichen Gehirn<br />
beleuchten.<br />
Der Titel bestimmt die Neigung zur Musik<br />
als eine menschliche Grundeigenschaft.<br />
Bedauerlicherweise signalisiert die deutsche<br />
<strong>Ausgabe</strong> diese Allgemeinheit nicht, das Werk<br />
heißt schlicht »Der einarmige Pianist«.<br />
Gemeint ist Paul Wittgenstein, der Bruder des<br />
Philosophen und Sprachanalytikers Ludwig<br />
Wittgenstein. Sein Fall wird vorgestellt in<br />
einem Kapitel, in dem es um Phantomglieder<br />
und andauernde Empfindung eines amputierten<br />
Körperteils geht – im Übrigen ein rein<br />
neurologisches Phänomen, und nicht, wie in<br />
der Medizin lange angenommen, ein psychologisches.<br />
Wittgenstein, einst ein virtuoser<br />
Pianist, verlor seine rechte Hand durch eine<br />
Kriegsverletzung. Er spielte fortan einhändig<br />
und gab zahlreiche Kompositionen für die<br />
linke Hand in Auftrag, unter anderem bei<br />
Hindemith, Prokofjew und Ravel. Die Fingersätze<br />
für seine Schüler arbeitete er unter<br />
Zuhilfenahme seines rechten Armes aus, an<br />
dem er immer noch jeden einzelnen Finger<br />
spürte.<br />
Als der Theatermacher Axel Tangerding<br />
»Musicophilia« vor drei Jahren zum ersten<br />
Mal las, habe ihn das Buch förmlich angesprungen<br />
– er hatte sofort eine szenische Ver-<br />
Mensch und Musik – die<br />
szenische Darstellung des<br />
Beststellers »Musicophilia« |<br />
Foto: Regine Heiland<br />
sion vor Augen. Er stellte sich eine Bühnenfassung<br />
vor, die Zustände beschreibt, in der es<br />
keine dramatische Handlung geben und der<br />
Hauptakteur die Musik sein sollte. Bereits vor<br />
seiner Lektüre hatte Tangerding einmal das<br />
Stück »The Man Who« von Peter Brook gesehen,<br />
das auf Sacks’ vielleicht bekanntestem<br />
Titel basiert: »Der Mann, der seine Frau mit<br />
einem Hut verwechselte«. Die Aufführung war<br />
ihm lebhaft in Erinnerung geblieben. Er<br />
wusste also, dass es möglich war, ein Buch<br />
von Sacks szenisch umzusetzen.<br />
Axel Tangerding ist ein studierter Architekt,<br />
der während seiner Zeit an der Universität<br />
den Weg zum Theater fand. Im Jahr<br />
1980 gründete er im <strong>Münchner</strong> Vorort<br />
Moosach das Meta Theater. Das Gebäude<br />
entwarf er selbst, im Bauhaus-Stil. Ein Ort,<br />
der mit seinem weitläufigen Bühnenraum,<br />
mit seinen hohen Wänden, die von filigranen<br />
Stahlrahmenfenstern durchbrochen werden,<br />
viel Platz für das Spiel lässt. Und für das<br />
Denken. Tangerding fing an, über die von<br />
Sacks beschriebenen Fallstudien nachzudenken.<br />
Über die Komponistin, die durch einen<br />
Unfall ihre Fähigkeit zum polyphonen Hören<br />
verliert und die Stimmen eines Streichquartetts<br />
fortan als vier dünne, scharfe Laserstrahlen<br />
wahrnimmt. Über die Studentin, die<br />
ganze Vorlesungen wörtlich nachsingen<br />
kann, weil ihr Gehirn das Gesagte in Musik<br />
übersetzt. Über die Alzheimer- und Demenzpatienten,<br />
die durch Musik wieder lernen,<br />
sich im Alltag zurechtzufinden.<br />
Tangerding hat sich, als er gemeinsam<br />
mit dem Komponisten Steffen Wick und dem<br />
Autor Norbert Niemann eine musiktheatrale<br />
Fassung von »Musicophilia« einrichtete, oft<br />
gefragt, warum er Sacks’ Fallstudien unbedingt<br />
auf der Bühne sehen möchte. Zahlreiche<br />
konzeptuelle Schwierigkeiten waren zu überwinden;<br />
das Ergebnis, ein Vier-Personen-<br />
Stück für zwei Musiker, eine Sängerin und<br />
einen Schauspieler kann im besten Fall eine<br />
Annäherung sein. Ein Versuch, dem Publikum<br />
die Innenwelt der Menschen in Sacks; Buch<br />
nahezubringen, einen Einblick zu geben in<br />
ihre Art des musikalischen Erlebens.<br />
Das gesprochene Wort soll dabei bewusst<br />
der Musik untergeordnet sein. Steffen Wick<br />
hat in seiner Komposition mit klassischen<br />
Strukturen gearbeitet, die sich langsam zersetzen,<br />
die Modifikationen und Zerfallsprozessen<br />
ausgesetzt sind, wie sie auch in den<br />
Gehirnen der Patienten stattfinden. Für die<br />
Zuschauer wird es eine Reise ins Ungewisse.<br />
Das Geheimnis der Musik wird sie nicht lösen,<br />
allenfalls durch die Mittel des Theaters illustrieren.<br />
Vielleicht, so hofft Axel Tangerding,<br />
könne sie auch trösten. Die Aussicht darauf<br />
war letztlich der Grund, Sacks’ Fälle auf die<br />
Bühne zu bringen: »Wenn das Ich sich durch<br />
Krankheit oder Alter auflöst – was uns bleibt,<br />
ist der Zugang zur Musik«. ||