Münchner Feuilleton Ausgabe Oktober Nr. 12 13.10. - Strip Academy
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MUSIK<br />
SEITE 26 · OKTOBER · MÜNCHNER FEUILLETON<br />
GABRIELE LUSTER<br />
Babylon – schon als Kind liebte Jörg<br />
Widmann den magischen Klang dieses<br />
Wortes. Die Faszination blieb<br />
und entfachte die Phantasie des<br />
mittlerweile 39-jährigen <strong>Münchner</strong><br />
Komponisten, dessen zweite Oper<br />
»Babylon« nun am 27. <strong>Oktober</strong> in<br />
der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt<br />
wird.<br />
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Unerhörte Wucht und Gewalt<br />
Der <strong>Münchner</strong> Komponist Jörg Widmann feiert mit »Babylon« seine<br />
zweite Uraufführung an der Bayerischen Staatsoper. Das Libretto stammt von Peter Sloterdijk.<br />
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Als Librettisten gewann Widmann<br />
den Philosophen Peter Sloterdijk.<br />
»Ich liebe seine Texte sehr. Sie<br />
haben Wucht, Gewalt, etwas Unerhörtes.«<br />
Für den Komponisten<br />
bedient der deutsche Denker die »im<br />
schönsten Sinne pathetische Form<br />
der Oper« mit »ungeheuren Bildern<br />
und einem präzisen Libretto«.<br />
Kent Nagano wird am Pult stehen,<br />
das – so verrät der Komponist<br />
lachend – »sicher erweitert werden<br />
muss, weil die Partitur so großflächig<br />
ist. Schon der Eröffnungschor<br />
ist 17-fach geteilt!«. Das Bayerische<br />
Staatsorchester, das 2003 bereits<br />
Widmanns erste Oper »Das Gesicht<br />
im Spiegel« uraufführte, ist dem<br />
Komponisten ein vertrauter und<br />
geschätzter Partner. Bei der Sängerbesetzung<br />
kam die bayerische<br />
Staatsoper dem erfolgreichen Komponisten<br />
entgegen und engagierte<br />
die Sänger, für die er schreiben<br />
wollte, zum Beispiel Claron Mc Fadden,<br />
Anna Prohaska und Gabriele<br />
Schnaut.<br />
Ebenso ist der Regisseur ganz<br />
nach Widmanns Geschmack: Carlus<br />
Padrissa von der spanischen Truppe<br />
La Fura dels Baus: »Er kann Träume<br />
auf die Bühne bringen«. Die Oper<br />
wird aus sieben Bildern bestehen,<br />
denn die Zahl 7 spielte bei den<br />
Babyloniern eine große Rolle. Die<br />
sieben Wochentage gehen auf sie<br />
zurück und sie verehrten sieben<br />
mal sieben Gottheiten.<br />
Wie in jeder richtigen Oper geht<br />
es auch in »Babylon« um die Liebe.<br />
Aber naturgemäß auch um die Flut:<br />
Das zweite Bild versinkt in der<br />
babylonischen Sintflut. Für Widmann<br />
geht es dabei um Leiderfahrung,<br />
Ausgeliefertsein und Naturkatastrophen.<br />
Zur Besänftigung der<br />
Götter, so behauptet zumindest der<br />
babylonische Noah (Utnapitschim,<br />
ein Knabensopran), habe er ein Tier<br />
geopfert. »Aber das ist ein neuralgischer<br />
Punkt: Was hat Noah wirklich<br />
geopfert? Bei den Babyloniern<br />
waren Menschenopfer üblich. Sie<br />
wurden erst durch das Judentum<br />
abgeschafft«, erläutert der Komponist.<br />
Dem jüdischen Glauben sind<br />
zwei Protagonisten des zweieinhalbstündigen<br />
Werks zugeordnet:<br />
Die Seele und Tammu (Rainer<br />
Trost). Er ist – ganz operntraditionell<br />
– der Tenor, der zwischen zwei<br />
Frauen steht: zwischen der Seele als<br />
platonischer Anima und Inanna, der<br />
babylonischen Liebesgöttin, »einer<br />
Manifestation der Fleischeslust«, so<br />
Widmann.<br />
Im dritten Bild, beim babylonischen<br />
Karneval, schneidet der Komponist<br />
die Musik der Juden und die<br />
der Babylonier radikal gegeneinander<br />
– »dabei bin ich so ein Übergangsfetischist<br />
… Die Obszönität<br />
des Karnevals steht im Kontrast<br />
zum gleichzeitig erklingenden ›Der<br />
Herr, er tröstet uns‹, das die Juden<br />
wie ein Mantra wiederholen«.<br />
Bei dieser Grenzen sprengenden<br />
Musik baut Widmann ganz auf<br />
Nagano: »Er ist ein Meister, der die<br />
riesigsten sinfonischen Massen auf<br />
den Kern eindampfen kann«. Der<br />
üppigen Streicherbesetzung mit<br />
acht Kontrabässen gesellt Widmann<br />
vier Schlagzeuger, zwei Harfen,<br />
Celesta, 16 Holz- und 13 Blechbläser<br />
sowie ein Akkordeon zu.<br />
Die Gleichzeitigkeit der verschiedenen<br />
Kulturen in Babylon<br />
unterstreicht für ihn die Modernität<br />
des Babylon-Stoffes. »Es handelt sich<br />
um eine frühe Form von Multikultur.<br />
Dies spiegelt sich natürlich im<br />
Klanglichen. Da musste ich für mich<br />
eine ganz neue Sprache erfinden«.<br />
Jörg Widmann ist nicht der<br />
erste, der sich in einer Oper mit<br />
Babel beschäftigt: Verdis »Nabucco«<br />
Komponist Jörg Widmann und Librettist<br />
Peter Sloterdijk | Foto: Wilfried Hösl |<br />
grafik: aw<br />
spielt dort und der Chor der gefangenen<br />
Juden, »Va pensiero« (Flieh’<br />
Gedanke), kommt einem in den<br />
Sinn, wenn man an Babylon denkt.<br />
»Verdi ist weit weg«, versichert Widmann<br />
für sein Werk, räumt aber ein,<br />
dass Sloterdijk ihn beim Chor der<br />
Juden dennoch anstachelte: »Da<br />
müssen Sie aber jetzt in Konkurrenz<br />
zum Italiener treten.«<br />
Auch wenn die babylonische<br />
Sprachverwirrung im Libretto nicht<br />
vorkommt, übernimmt die Musik<br />
doch ihre Spiegelung, genauso wie<br />
die des babylonischen Turmes. Widmann<br />
sagt: »Meine üppigste und<br />
schwierigste Partitur verjüngt sich<br />
wie ein Turm. Diese strukturelle<br />
Setzung, dass sich die Szenen verkürzen,<br />
entsprechend des in die<br />
Luft strebenden Babel-Turmes war<br />
mir von Anfang an wichtig«. Der<br />
Prolog und das darauf folgende<br />
erste Bild am Fuße des strahlend<br />
erleuchteten Ischtar-Tors dauert<br />
noch 45 Minuten. Über die Sintflut,<br />
den babylonischen Karneval, die<br />
Propheten- und Opferszene und<br />
den Abstieg in die Unterwelt verkürzen<br />
sich die Bilder bis hin zum<br />
siebten und letzten, in dem als<br />
Finale ein neuer Vertrag zwischen<br />
Gott und den Menschen geschlossen<br />
wird. Es ist »die Zerstörung der<br />
Illusion«, wie Widmann erklärt.<br />
Babylonische Originalklänge sind<br />
zwar nicht überliefert, aber mit der<br />
Zeit entsprechenden Instrumenten<br />
– Rahmentrommeln und Schellen –<br />
wartet Widmann auf. Und meint, dass<br />
die »Elektra« von Richard Strauss<br />
neben seinem neuen Opus geradezu<br />
kammermusikalisch klingt. ||<br />
BABYLON<br />
Uraufführung: 27.10., 19.00 Uhr<br />
Weitere Infos & Spielzeiten:<br />
www.bayerische.staatsoper.de