J. & L. Lobmeyr. 150 Jahre - Pressglas-Korrespondenz
J. & L. Lobmeyr. 150 Jahre - Pressglas-Korrespondenz
J. & L. Lobmeyr. 150 Jahre - Pressglas-Korrespondenz
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Pressglas</strong>-<strong>Korrespondenz</strong> Nr. 01/1999<br />
hatten, um 7 Uhr geöffnet. Um 12 ging ein Teil der Gesellen,<br />
um halb 1 Uhr der andere zum Mittagstisch. Als<br />
wir zwei älteren Brüder nicht mehr zur Schule gingen,<br />
speiste je einer von uns an dem einen und anderen Gesellentisch<br />
mit. Die Eltern und anderen Geschwister<br />
kamen um 1 Uhr dran. Um 8 Uhr wurde das Geschäft<br />
gesperrt, dann nachtmahlten wir und die Gesellen gesondert.<br />
An Sonn- und Feiertagen war nicht nur gemeinsamer<br />
Tisch, sondern auch regelmäßig unser jeweiliger<br />
Hauslehrer oder gelegentlich die Großeltern oder<br />
sonstwer zugegen. Nach des Vaters Tod entfiel der<br />
Sonntagstisch, dann wurden die Verheirateten ganz<br />
freigelassen, auch konnte ein jeder seine Wohnung<br />
selbst besorgen, und als die Mutter starb, erhielten alle<br />
Kostgeld. Mit dem alten Brauch war es aus, er hatte sich<br />
überlebt, wenigstens für unser Haus.“<br />
Josef <strong>Lobmeyr</strong> jun.<br />
übernimmt 1855 nach seines Vaters Tod die gutgehende<br />
Firma. 1860 Protokollierung der Firma J. & L. <strong>Lobmeyr</strong> im<br />
ersten Handelsregister in Wien. Nach den erhaltenen Unterlagen<br />
scheint sich der ruhige Josef vor allem des Exports<br />
angenommen zu haben. Großaufträge für Moscheen im<br />
Nahen Osten. Er stirbt 1864 an den Folgen einer Krankheit<br />
nach Rückkehr von einer Reise nach Kairo.<br />
„Der Gesundheitszustand Josef <strong>Lobmeyr</strong>s verschlechterte<br />
sich allerdings in einem solchen Maße, dass der Plan [eines<br />
Neubaus] aufgegeben und das Grundstück wieder verkauft<br />
wurde. Aus dem selben Grund wurde schließlich auch<br />
ein anderes Projekt nie realisiert, nämlich die Errichtung einer<br />
eigenen, mit allen technischen Errungenschaften des<br />
Auslands ausgestatteten Fabrik in Böhmen.“ [<strong>Lobmeyr</strong><br />
1998, S. 40]<br />
Tafelservice für den kaiserlichen Hof<br />
Auch wenn uns hundert <strong>Jahre</strong> nachher die Geschäftsführung<br />
als altmodisch, fast mittelalterlich vorkommt, sind<br />
damals Leistungen gesetzt, Aufträge ausgeführt worden,<br />
über die wir nur staunen können.<br />
Der kaiserliche Hof erhielt zwei komplette Tafelservice<br />
für einige hundert Personen ausgeführt; große Lagerbestände<br />
sind davon heute noch in der Hoftafel- und Silberkammer<br />
ausgestellt.<br />
Die Revolution 1848 war nicht ohne Scherben bei <strong>Lobmeyr</strong><br />
vorübergegangen. Unser Familienhaus „Zum<br />
Fürsten Metternich“ wurde bei den Unruhen von Studenten<br />
gestürmt, Fenster und Waren fielen der zweifellos<br />
von dieser Gelegenheit begeisterten Jugend zum Opfer.<br />
Gerade wie sich die äußeren Zeiten änderten, gerade<br />
zu dieser Zeit war es die neue Generation mit den zwei<br />
Gründersöhnen Josef und Ludwig <strong>Lobmeyr</strong>, die die<br />
Führung übernehmen konnten. Während Josef sich dem<br />
Aufbau eines beginnenden Exportes in den Nahen Osten<br />
widmete, war es Ludwig, der sich um die Schaffung<br />
neuer Muster und um deren Herstellung bemühte.<br />
In unermüdlicher Arbeit zeichnete er weit über hundert<br />
Tafelservice, zahllose Garnituren, Vasen und Ziergefäße<br />
in Kristall mit Schliff, reicher Gravierung, Emaillierung<br />
oder Vergoldung. Ludwig <strong>Lobmeyr</strong> wird der große<br />
Glasgestalter der „Ringstraßenzeit“, der „Gründerzeit“,<br />
die für unseren Betrieb bereits eine Zeit der ausgereiften<br />
Hochblüte war.<br />
Er beeinflußte durch eigene Publikationen, durch Beteiligungen<br />
an internationalen Ausstellungen die ganze<br />
Epoche der österreichischen Glasindustrie. Sein Zusammenarbeiten<br />
mit den Architekten Friedrich von<br />
Schmidt, Theophil Hansen und anderen Künstler-<br />
Persönlichkeiten der Zeit hat sich bis auf uns in den<br />
herrlichen Mustern erhalten, die im ersten Stock in der<br />
Kärntner Straße unser „Museum“ füllen.<br />
Abb. 01-99/10<br />
Ludwig <strong>Lobmeyr</strong><br />
tritt 1859 in die Firma seines Bruders ein. Er ist eine der<br />
großen Unternehmerpersönlichkeiten der Wiener „Ringstraßenzeit“.<br />
Zahlreiche Entwürfe stammen von seiner<br />
Hand. Hochblüte der österreichischen Glasindustrie; auf<br />
dem Kristallluster-Sektor bahnbrechend. Er erhält zahlreiche<br />
Ehrungen und Preise. Mitbegründer des Österreichischen<br />
Museums für Kunst und Industrie.<br />
Ludwig war es auch, der sich besonders um die Entwicklung<br />
des Kristallusters bemühte, den sein Vater<br />
schon bei <strong>Lobmeyr</strong> eingeführt hatte. Waren es ursprünglich<br />
Kopien von Barock-, Empire- und Biedermeier-<br />
Formen, so kam mit der Erfindung der elektrischen<br />
Glühlampe durch Edison eine Revolution in das Beleuchtungswesen<br />
überhaupt. 1883 auf der ersten Elektrizitätsausstellung<br />
in der Wiener Rotunde war eine Reihe<br />
von Glaslustern von <strong>Lobmeyr</strong> zu sehen, die mit der<br />
neuen Glühlampe bereits reife Lösungen brachten. Interessant<br />
ist, daß diese große Unternehmer-Persönlichkeit<br />
noch zu Lebzeiten den von ihm zur Blüte gebrachten<br />
Betrieb an seinen Neffen weitergab und sich nach der<br />
großen Weltausstellung in Paris 1900 immer mehr vom<br />
Geschäft zurückziehen konnte; auch dies zeugt von großer<br />
Selbstüberwindung und Weitblick.<br />
Nun war der jüngste Sohn seiner Schwester mit der<br />
Führung des alten Familienbetriebes betraut, unser<br />
Großvater Stefan Rath. Ihn haben wir drei Buben schon<br />
richtig gekannt, aus seiner Zeit haben wir viel Material.<br />
Wir haben (vor allem Harald) bei ihm gelernt, wir greifen<br />
dauernd auf seine Leistungen zurück, wo immer wir<br />
uns unsicher fühlen.<br />
Auf Entwürfe aus seiner Epoche nach der großen<br />
„Kunst- und Geschmacksrevolution“, wie er sich ausdrückte,<br />
aus der Wiener Werkstättenzeit also, die er<br />
vom Glas her selbst so wesentlich beeinflußt hat, führen<br />
wir nachwievor einen Großteil unseres Serviceglases<br />
und unserer Ziergläser zurück.<br />
Seite 10 von 60 Seiten d:\<strong>Pressglas</strong>\<strong>Korrespondenz</strong>\pk-1999-01-1.doc Stand 08.12.00