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The First Class of Fulbrighters - Fulbright-Kommission

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Ein kalifornisches Jahr<br />

von Wolfgang Stedtfeld<br />

IN MEINER FREIBURGER STUDENTENBUDE<br />

öffnete ich im Juli 1953 einen Brief, dessen erste Zeile mich<br />

jubeln ließ: „I am pleased to inform you <strong>of</strong> your selection ...“<br />

Dass James B. Conant, der damalige U.S. High Commissioner<br />

for Germany, ihn persönlich unterzeichnet hatte,<br />

beeindruckte mich besonders. Ein Studienjahr in Amerika!<br />

Welchen Gefühlsüberschwang das auslöste, ist heute, da<br />

Aufenthalte in aller Welt tagtäglich geworden sind, kaum<br />

zu ermessen. Damals war es meiner Heimatzeitung bedeutungsvoll<br />

genug, mehrmals darüber zu berichten. Welches<br />

Glück mir zudem mit dem Studienort Stanford zugefallen<br />

war, wurde mir erst auf der viertägigen Bahnfahrt von New<br />

York ins Traumland Kalifornien <strong>of</strong>fenbar. Eine mitreisende<br />

Amerikanerin ließ mich anerkennend wissen, ich sei auf<br />

dem Wege zum Harvard <strong>of</strong> the West.<br />

Claremont, ein Collegestädtchen im Los Angeles County,<br />

war der reizvolle Ort meines sechswöchigen orientation<br />

course. Vor Beginn des Studiums sollten hier 42 Studenten<br />

aus 23 Ländern an die neuen Lebensumstände herangeführt<br />

werden, Einblicke gewinnen in die andere akademische<br />

Welt, in die amerikanische Gesellschaft und Kultur. Allein<br />

das Zusammensein mit so vielen Kommilitonen unterschiedlicher<br />

Nationalität und fachlicher Ausrichtung wäre<br />

Programm genug gewesen, um Wochen mit Gesprächen<br />

auszufüllen. Unter ihnen Deutscher zu sein, führte nie dazu,<br />

als ein an der jüngeren Vergangenheit Mitschuldiger angegriffen<br />

zu werden. Man trug mir sogar auf, bei unserer<br />

Abschiedsfeier mit vielen amerikanischen Gästen im Namen<br />

aller Kursteilnehmer zu sprechen.<br />

Ich lebte eine erfahrungsreiche, zugleich unbeschwerte<br />

Zeit in prächtiger Umgebung. Die zum Teil klassizistischen<br />

Gebäude des uns beherbergenden graduate college, die komfortablen<br />

dormitories, Tennisplätze, Swimmingpools lagen<br />

wie in einem großen Park an mit Palmen bestandenen<br />

Straßen. Veranstaltet wurden Vorlesungen, Übungen, field<br />

trips, Besuche bei amerikanischen Familien, square dance-<br />

Abende. Auf dem Programm standen der Umgang mit dem<br />

Waschautomat und Telefon ebenso wie McCarthyism oder<br />

die Erörterung der Frage, ob die amerikanische Gesellschaft<br />

matriarchalische Züge trage. Den stärksten Eindruck hinterließen<br />

die unmittelbaren Begegnungen mit dem Land<br />

und seinen Bewohnern: die rücksichtsvollen Aut<strong>of</strong>ahrer, die<br />

vor Fußgängern anhielten; die Straßenkreuzer der Bauarbeiter<br />

an ihrer Arbeitsstelle; die weißhaarigen Damen<br />

eines Seniorenclubs, die sich mir mit „I’m Mary, I’m Catherine<br />

...“ vorstellten; der Pastor, den wir sonntags predigen<br />

hörten und der uns tags darauf im Hawaiihemd aus seinem<br />

Cabrio zuwinkte; der Pr<strong>of</strong>essor im overalls bei Reparaturarbeiten<br />

auf dem Schindeldach seines Hauses; die Tausende,<br />

die leger gekleidet, teils essend, trinkend, rauchend der von<br />

Otto Klemperer im Hollywood Bowl dirigierten Neunten<br />

Symphonie lauschten. – Wahrnehmungen von Verhal-<br />

tensweisen, Gegebenheiten, die dem Deutschen damals<br />

ungewohnt waren, und heute größtenteils nicht mehr fremd<br />

sind.<br />

Claremont, dann Stanford, 1891 von Senator Stanford<br />

gegründet und nach seinem früh verstorbenen Sohn Leland<br />

Stanford Junior benannt. „Die Luft der Freiheit weht“<br />

(Ulrich von Hutten) lautet das Motto dieser Universität. Als<br />

trügerisch erwies sich jedoch meine Erwartung, im freien<br />

Amerika sei die akademische Freiheit noch größer als bei<br />

uns. Größer war der Leistungsanspruch, und Leistung<br />

wurde, insbesondere bei den undergraduates, konsequent<br />

kontrolliert, am Ende eines jeden quarter in einem grade<br />

report bewertet. Das setzte einem ungebundenen Studentenleben<br />

Grenzen. Scholastic deficiency konnte zur Relegation<br />

führen. Herausragende Leistungen wurden in vielfältiger<br />

Weise anerkannt, auch unter Studenten. „What’s your average?“<br />

war eine nicht unübliche Frage. Leistung wurde durch<br />

hervorragende Studienbedingungen gefördert: kleine<br />

Klassen, sehr gute Bibliotheken, zugängliche Pr<strong>of</strong>essoren.<br />

In der Regel standen die Türen ihrer Arbeitszimmer <strong>of</strong>fen,<br />

die titellose Anrede beseitigte Barrieren, Einladungen in<br />

ihre Häuser waren keine Seltenheit.<br />

IM ERSTEN QUARTER belegte ich literaturwissenschaftliche<br />

Kurse mit gewaltigem Lesepensum, schrieb<br />

die erforderlichen Hausarbeiten, unterzog mich den jeweils<br />

mehrstündigen Klausuren der midterms und finals. Dann<br />

widmete ich mich ganz der Arbeit an dem mitgebrachten<br />

Dissertationsthema, das amerikanische Literaturkritik<br />

betraf. Stanford ließ mich durch Pr<strong>of</strong>essor Yvor Winters,<br />

einem prominenten Literaturkritiker, einen unproblematischen<br />

Einstieg finden. Er vermittelte mir Einsichten, die<br />

mich vor Irrwegen und Zeitverlust bewahrten. Einen Teil<br />

der grundlegenden Literatur schenkte oder lieh er mir. Der<br />

Zufall wollte es, dass Yvor Winters für das dritte Quartal<br />

des Studienjahres das Seminar „American Critics“ anbot. Es<br />

fanden sich nur acht Teilnehmer. Ich präsentierte ein<br />

umfangreiches paper, konnte mich unter allerbesten Voraussetzungen<br />

mit meinem Gegenstand beschäftigen.<br />

Also Stanford = Arbeit? Durchaus, doch nicht allein. Sie<br />

vollzog sich in einer Umgebung, auf einem Campus, dessen<br />

Großzügigkeit und Schönheit mich begeisterten. Sie vollzog<br />

sich unter Menschen, deren Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft<br />

beglückten und unter denen ich Freunde fand. Der<br />

Stanford Campus umfasst ein weites, vom benachbarten<br />

Palo Alto deutlich separiertes Areal. Er ist geprägt durch<br />

seine sandsteinbraunen Gebäude und den alles überragenden<br />

Turm der Hoover-Library. Sie liegen eingebettet in<br />

weite, mit Palmen, Pappeln und Zypressen bestandene<br />

Rasenflächen. Sportstätten aller Art gehören dazu, einschließlich<br />

eines 90.000 Zuschauer fassenden Stadions, das<br />

nicht zu groß war für den Besucherandrang beim Football.<br />

In diesem Stadion erlebte ich einen Sinneswandel. Das

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