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Der Schriftsteller Andreas Maier über den Auftritt von Udo Jürgens in Frankfurt#page...<br />
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-schriftsteller-andreas-maier-ueber-den-auftrit...<br />
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03.11.<strong>2014</strong><br />
bei Thomas Bernhard, und das tut er einfach so. Er steht da oben<br />
und schimpft und klagt in die Welt hinein, dass es eine Freude,<br />
aber auch eine Bestürzung ist.<br />
Das ist keine linke oder rechte Blödsinnsprosa nach Art von „Ich<br />
will auch mal dies und das sagen dürfen“; denn nichts von dem,<br />
was Udo Jürgens da sagt, ist verboten oder tabu. Aber es ist so<br />
grundeinfach und so grundwahr, dass es unter komplettem<br />
Peinlichkeitsverdacht steht. Und Udo Jürgens geht mitten hinein<br />
in diese Peinlichkeit wie ein Arzt unter die Kranken. Ich glaube<br />
auch, dass das die Schwierigkeit ist beim Hören von Udo Jürgens:<br />
dieses Fremdschämen, das sich, wenn es den berühmten Udo-<br />
Jürgens-Klick im Kopf gemacht hat und man auf seine Seite<br />
geschwenkt ist, urplötzlich gegen einen selbst wendet. An Udo<br />
Jürgens zu scheitern, heißt nicht, an seiner, sondern an der<br />
eigenen Peinlichkeit zu scheitern.<br />
Und dann „Griechischer ein“<br />
Vielleicht muss man das in einem dieser gewaltigen Konzerte<br />
erleben, die etwas ganz anderes sind als Konzerte, die eher<br />
Möglichkeiten eines ganz bestimmten Sagens sind. Man muss die<br />
Lieder gegeneinander stellen, man muss diese einzelnen, immer<br />
auch plakativen Momente selbst zu dem besagten Wimmelbild<br />
dieser Welt zusammenstellen, sich gegenseitig bespiegeln lassen,<br />
dann ist man drin in diesem im guten Sinne defätistischen,<br />
abgrundtief radikalen, völlig schonungslosen Udo-Jürgens-<br />
Sprachuniversum, das nur bei ihm so existieren kann und an dem<br />
er Jahrzehnte gebaut hat. Denn alle diese Worte brauchen Udo<br />
Jürgens als Sprechakt-Person dazu; die Einheit dieses Weltbildes<br />
setzt seine Person voraus, sonst sind es nur Splitter, in denen man<br />
das Ganze nicht erkennt.<br />
Und irgendwann setzt „Griechischer Wein“ an. Kein<br />
pseudogriechisches Humpta-Humpta. Der Mann, am Klavier<br />
sitzend, aber nicht spielend, singt es diesmal wie ein einsames<br />
Volkslied, das irgendeine Person, eine alte Frau vielleicht, am<br />
Fenster singt oder einem Kind vorsingt, und während sie singt,<br />
überkommt sie ein Schmerz, urplötzlich, gegen den sie nicht<br />
ankommen kann, und so klingt dieses Lied dann auch.<br />
Die Gegenposition zu der Universaltragödie der<br />
Menschheitsmasse ist immer das einzelne Wesen, und die