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06. November 2014 FRANKFURT

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Der Schriftsteller Andreas Maier über den Auftritt von Udo Jürgens in Frankfurt#page...<br />

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-schriftsteller-andreas-maier-ueber-den-auftrit...<br />

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03.11.<strong>2014</strong><br />

bei Thomas Bernhard, und das tut er einfach so. Er steht da oben<br />

und schimpft und klagt in die Welt hinein, dass es eine Freude,<br />

aber auch eine Bestürzung ist.<br />

Das ist keine linke oder rechte Blödsinnsprosa nach Art von „Ich<br />

will auch mal dies und das sagen dürfen“; denn nichts von dem,<br />

was Udo Jürgens da sagt, ist verboten oder tabu. Aber es ist so<br />

grundeinfach und so grundwahr, dass es unter komplettem<br />

Peinlichkeitsverdacht steht. Und Udo Jürgens geht mitten hinein<br />

in diese Peinlichkeit wie ein Arzt unter die Kranken. Ich glaube<br />

auch, dass das die Schwierigkeit ist beim Hören von Udo Jürgens:<br />

dieses Fremdschämen, das sich, wenn es den berühmten Udo-<br />

Jürgens-Klick im Kopf gemacht hat und man auf seine Seite<br />

geschwenkt ist, urplötzlich gegen einen selbst wendet. An Udo<br />

Jürgens zu scheitern, heißt nicht, an seiner, sondern an der<br />

eigenen Peinlichkeit zu scheitern.<br />

Und dann „Griechischer ein“<br />

Vielleicht muss man das in einem dieser gewaltigen Konzerte<br />

erleben, die etwas ganz anderes sind als Konzerte, die eher<br />

Möglichkeiten eines ganz bestimmten Sagens sind. Man muss die<br />

Lieder gegeneinander stellen, man muss diese einzelnen, immer<br />

auch plakativen Momente selbst zu dem besagten Wimmelbild<br />

dieser Welt zusammenstellen, sich gegenseitig bespiegeln lassen,<br />

dann ist man drin in diesem im guten Sinne defätistischen,<br />

abgrundtief radikalen, völlig schonungslosen Udo-Jürgens-<br />

Sprachuniversum, das nur bei ihm so existieren kann und an dem<br />

er Jahrzehnte gebaut hat. Denn alle diese Worte brauchen Udo<br />

Jürgens als Sprechakt-Person dazu; die Einheit dieses Weltbildes<br />

setzt seine Person voraus, sonst sind es nur Splitter, in denen man<br />

das Ganze nicht erkennt.<br />

Und irgendwann setzt „Griechischer Wein“ an. Kein<br />

pseudogriechisches Humpta-Humpta. Der Mann, am Klavier<br />

sitzend, aber nicht spielend, singt es diesmal wie ein einsames<br />

Volkslied, das irgendeine Person, eine alte Frau vielleicht, am<br />

Fenster singt oder einem Kind vorsingt, und während sie singt,<br />

überkommt sie ein Schmerz, urplötzlich, gegen den sie nicht<br />

ankommen kann, und so klingt dieses Lied dann auch.<br />

Die Gegenposition zu der Universaltragödie der<br />

Menschheitsmasse ist immer das einzelne Wesen, und die

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