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06. November 2014 FRANKFURT

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"Mitten im Leben" in der Frankfurter Festhalle: Udo Jürgens: Sozialkritik mit Einste...<br />

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"Mitten im Leben" in der Frankfurter Festhalle: Udo Jürgens: Sozialkritik mit Einstecktuch<br />

Top-Themen: Flüchtlinge in Rhein-Main, Blaulicht, Meisterwerke im Städel, Jetzt im Kino, Projekt Junge Zeitung,<br />

"Mitten im Leben" in der Frankfurter Festhalle<br />

Udo Jürgens: Sozialkritik mit<br />

Einstecktuch<br />

VON JOACHIM SCHREINER<br />

03.11.<strong>2014</strong><br />

Zwischen Schlager und Moralpredigt sang der Grandcharmeur der Unterhaltungsmusik von allem,<br />

was immer gleich bleibt oder sich endlich ändern soll.<br />

Es gibt nichts, worüber Udo Jürgens nicht singt: Wilde Ehe und griechischer Wein, Kuchen mit Sahne und Liebe<br />

ohne Leiden, New York und den Platz an der Sonne, Anouschka und Mathilda. Mit Vollendung des 80.<br />

Lebensjahres tritt der österreichische Schlagerstar nun auch verstärkt als Mahner auf. Foto: Sven-Sebastian Sajak<br />

Bulgarien, Rum<br />

drohen mit Gre<br />

Vor dem Brüssele<br />

Bulgarien, Rumän<br />

Schließung ihrer G<br />

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MEISTGEL<br />

Damit war zu rechnen gewesen: Es gab Ovationen in der komplett bestuhlten Halle, schon durch<br />

das bloße Auftreten des Udo Jürgen Bockelmann, der auch kurz nach Vollendung des 80.<br />

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24.10.2015


"Mitten im Leben" in der Frankfurter Festhalle: Udo Jürgens: Sozialkritik mit Einste...<br />

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Lebensjahres juvenil, frisch und schlank wirkt in seinem dunklen Anzug mit dem roten<br />

Einstecktuch. Hiermit allerdings war nicht zu rechnen: Jürgens präsentiert sich im ersten Teil<br />

des Konzerts als Mahner, Prediger und Moralist, prangert Datentransparenz („Der gläserne<br />

Mensch“), Politikerversagen und mangelnde Solidarität in der Gesellschaft („Das Leben bist du“)<br />

an.<br />

Bilderstrecke<br />

Udo Jürgens in der Festhalle Frankfurt<br />

Natürlich ist der Mann in erster Linie Entertainer, und zwar einer der besten und originellsten der<br />

Branche. Seine Schelte über machtgierige Politiker und geldgierige Wirtschaftsbosse will<br />

irgendwie nicht zu dem Österreicher passen, der nur ein paar Tanzschrittchen machen muss –<br />

und schon huldigt ihm die Damenwelt. Man könnte hinter diesem forschen Auftritt der ersten<br />

Konzerthälfte natürlich Altersweisheit vermuten, wenn Jürgens minutenlange kritische<br />

Betrachtungen über die Welt im Allgemeinen und über bigotte Autoritäten im Besonderen<br />

anstellt, gipfelnd in dem Lied „Die Krone der Schöpfung“, ein symphonisch geprägtes Werk, das<br />

Jürgens als kompositorische Kreativkraft mit klassischen Wurzeln ins Zentrum rückt. Das<br />

bewährte Pepe-Lienhard-Orchester als Begleitensemble darf hier endlich seine klangliche<br />

Kompetenz aufzeigen.<br />

Überdosis Menschlichkeit<br />

Nicht alle wollen diesem „neuen“ Udo Jürgens folgen. Das zeigen Stimmen in der Pause, aus<br />

der ein sichtlich glücklicher Star erfrischt zurückkommt und nun den Zuhörern in der<br />

ausverkauften, akustisch akzeptabel ausgesteuerten Festhalle gibt, was sie erwarten: Lieder, in<br />

denen Menschlichkeit und Lebensfreude thematisiert werden. „Hautnah“, „Ich würde es wieder<br />

tun“ und „Ich will, ich kann“, gesungen im Duett mit Dorothea Lorraine, feuern die Stimmung<br />

derart an, dass zum Leidwesen von Besuchern in den ersten Reihen Damen zuhauf vor die<br />

Rampe strömen. Und dann ist da noch ein Liedchen, das in den letzten Wochen reichlich Wirbel<br />

im Blätterwald gemacht hat: „Der Mann ist das Problem“, ein Mid-Tempo-Popsong, der sich<br />

aber konzertant als reichlich harmlos herausstellt.<br />

Nach einem New-York-Medley mit „Ich war noch niemals in ...“, „I like NY“ und schließlich der<br />

Sinatra-Hommage schlechthin, zieht Jürgens die ganz großen Trümpfe hervor: „Griechischer<br />

Wein“, gefolgt von dem Medley mit „Ehrenwertes Haus“, „Mit 66 Jahren“, „Aber bitte mit Sahne“<br />

und dem Titelsong der Tournee. Das vielleicht schönste Stück des Abends aber war „Und immer<br />

wieder geht die Sonne auf“, gerade Anfang <strong>November</strong> ein Energiespender. Noch ein ganzes<br />

Stück weiter zurück in der Diskografie geht es mit „Anouschka“, „Cottonfields“, „Es wird Nacht,<br />

Señorita“ und „Mathilda“.<br />

Frankfu<br />

Ausg<br />

Die Zugaben singt Udo Jürgens natürlich wieder im weißen Bademantel: „17 Jahr“, „Platz an der<br />

Sonne“, „Vielen Dank für die Blumen“ und „Liebe ohne Leiden“.<br />

Ein mitreißendes Konzert – natürlich. Aber Jürgens sollte sich für die gerade begonnene<br />

Tournee überlegen, den sozialkritischen Part zu kürzen und den Teil der Show mit Videos aus<br />

alten Tagen zu erweitern. Am 31. März nächsten Jahres gastiert der Star des deutschen Liedes<br />

noch einmal am selben Ort.<br />

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24.10.2015


Udo Jürgens: Der Mann mit der Mission | Musik - Frankfurter Rundschau<br />

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Der Mann mit der Mission<br />

Von VOLKER SCHMIDT<br />

02. NOVEMBER <strong>2014</strong><br />

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Zum Schluss das Bademantel-Ritual, dann die Zugabe in Jeans und Turnschuhen. Foto: dpa<br />

FOTOSTRECKEN MUSIK<br />

Neue Religiosität: Auf seiner Tournee „Mitten im Leben“ wird der 80-jährige<br />

Udo Jürgens zum Prediger<br />

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Zur Zugabe kommt er im weißen Bademantel. Das gehört sich so bei Udo Jürgens,<br />

den alle Udo nennen. Leicht zerzaust singt er solo am Klavier ein paar Frühwerke,<br />

„Siebzehn Jahr, blondes Haar“ und so. Früher hat er an der Stelle so getan, als sei<br />

er schon halb auf dem Heimweg gewesen, die Zugabe ungeplant. Jetzt lässt er<br />

sich gerade mal die Zeit zum Jackettabwurf. Ein geübtes Ritual.<br />

Am Vorabend hatte die „Mitten-im-Leben“-Tour Premiere in Stuttgart. Die<br />

Frankfurter Festhalle ist voll. Nach „Hautnah“ stürmen Dutzende an den<br />

Bühnenrand. Ihr Idol verliert sich in einer Tirade über die Sitzengebliebenen, die<br />

wieder böse Briefe schreiben werden, weil sie nichts sehen: „Die in der ersten<br />

Reihe lauern schon die ganze Zeit angespannt: Wann stürmen die von hinten nach


Udo Jürgens: Der Mann mit der Mission | Musik - Frankfurter Rundschau<br />

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vorn? Sie haben viel Geld für ihre Plätze ausgegeben. Sie sagen, sie seien meine<br />

Fans.“<br />

Udo, der Unbequeme. Zu seinem 80. Geburtstag am 30. September haben ihn<br />

Zeitungen gefeiert als den Widerständigen in der Schlagerbranche. Jetzt umrahmt<br />

er gesellschaftskritisch gemeinte Lieder mit Ansprachen gegen Salafisten in<br />

Talkshows („das geht nicht!“) und gegen Fracking („Vergewaltigung der Mutter<br />

Erde!“).<br />

DER ECHO IN BILDERN<br />

Gutmensch und Wutbürger<br />

Der Grat ist schmal zwischen Engagement und Selbstgefälligkeit, zwischen<br />

Gutmensch und Wutbürger. Udo wettert gegen die NSA, gerät ins Predigen,<br />

entschuldigt sich mit Selbstironie: „Ein Unterhaltungsabend ist doch ideal, um<br />

sowas zu erörtern.“ Im Lied dazu, „Der gläserne Mensch“, darf der Gitarrist aus<br />

dem Orchester, Pepe Lienhard, ein verzerrtes Solo gniedeln. Udo: „Das soll<br />

Aggression zum Ausdruck bringen.“<br />

In die Pause geht er mit seiner öko-dystopischen sinfonischen Dichtung „Die Krone<br />

der Schöpfung“. „Er ist leicht missionarisch tätig heute“, sagt eine distinguierte<br />

Flaschenblonde, „aber in dem Alter hat man ja nichts mehr zu verlieren.“ Außer<br />

den einen oder anderen Fan: Gegen das Lied „Der Mann ist das Problem“ hat ein<br />

Rentner aus dem Odenwald für alle zehn Konzerte „Männersolidaritätsdemos“<br />

angemeldet; er steht auch vor der Festhalle. Udo: „Wenn ich mein ganzes Leben<br />

lang nur Lieder geschrieben hätte, über die sich niemand aufregt, säße ich heute<br />

nicht hier.“ Seine Stärke aber sind jene Lieder, die er – endlich – in der zweiten<br />

Hälfte singt, die lakonischen bis bissigen Psychogramme aus dem „Ehrenwerten<br />

Haus“ oder der „Aber-bitte-mit-Sahne“-Konditorei. „Ich war noch niemals in New<br />

York“ über den unterbliebenen Ausbruch aus Bohnerwachs und Spießigkeit wird<br />

zur Minioper, das Timbre wird weicher. Die nachdenklichen Zeilen von<br />

„Griechischer Wein“, mit denen Texter Michael Kunze das Heimweh der<br />

„Gastarbeiter“ beschreibt, verteidigt der Sänger hartnäckig gegen den<br />

Mitklatschtrieb.<br />

Es darf aber noch geschunkelt werden. Zu „Mit 66 Jahren“, „Danke für die Blumen“<br />

und Fossilien wie „Anuschka“ oder „Es wird Nacht, Senorita“. Und es gibt<br />

Seelentrost wie „Und immer wieder geht die Sonne auf“. Nach dem Bademantel-<br />

Ritual folgt noch eine Zugabe. In Jeans und Turnschuhen, das Hemd hängt halb<br />

heraus, singt Udo „Zehn nach elf“ über die Einsamkeit des tourenden Sängers.<br />

Nach (samt Pause und einem halben Dutzend Gastsängern) drei Stunden Konzert<br />

sieht Udo fast so alt aus, wie er ist. Mag sein, dass auch dieser Moment<br />

wohlüberlegt ist. Die Verletzlichkeit in Habitus und Text berührt jedenfalls weitaus<br />

mehr als jede Predigerpose.<br />

VIDEONACHRICHTEN MUSIK<br />

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24.10.2015


Der Schriftsteller Andreas Maier über den Auftritt von Udo Jürgens in Frankfurt#page...<br />

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03.11.<strong>2014</strong><br />

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Home Feuilleton Der Schriftsteller Andreas Maier über den Auftritt von Udo Jürgens in Frankfurt<br />

REISE BERUF & CHANCE RHEIN-MAIN<br />

Udo Jürgens in Frankfurt<br />

Das Gift seiner Denkungsart<br />

So glaubwürdig, dass man es schon wieder nicht glauben möchte: Udo Jürgens<br />

singt und spielt in der Frankfurter Festhalle.Und kann sich dabei sogar ein paar<br />

strenge Worte an das Publikum erlauben.<br />

02.11.<strong>2014</strong>, von ANDREAS MAIER<br />

Ein gewaltiges Konzert: Udo Jürgens am Samstag in der Frankfurter Festhalle<br />

© ANDREAS ARNOLD<br />

Was ist aus dem ehrenwerten Haus geworden? Einst war es<br />

eine Ansammlung von Spießern – man muss hier dieses<br />

altbacken-peinliche Wort verwenden –, ein kleines Wimmelbild<br />

der Bewohner jenes prototypischen Siebziger-Jahre-Hauses.<br />

Einige haben das für Sozialkitsch gehalten, für wohlfeil. Mich hatte


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03.11.<strong>2014</strong><br />

es immer gewundert, dass selbst Verwandte von mir, die absolut<br />

zu den Insassen dieses Hauses hätten gehören können, das Lied<br />

munter vor sich hinpfiffen und gern hörten, wenn es die<br />

Schuljazzcombo als Bläsersatz blies. Schon in der Antike gab es die<br />

Anweisung, Gift, auch heilsames Gift, möglichst in einem Glas mit<br />

Zuckerkranz darzureichen.<br />

In der Frankfurter Festhalle konnte man am Samstag erleben, was<br />

aus diesem Haus geworden ist: Die Insassen sind mehr geworden,<br />

sie haben sich über die ganze Welt verbreitet, getrieben von<br />

Dingen, die vielleicht nur im Udo-Jürgens-Universum sagbar sind<br />

– das Wimmelbild unserer zivilisatorischen Existenz. Und<br />

vielleicht gehen die Menschen immer noch zu Udo Jürgens und<br />

wollen doch einfach nur „Griechischer Wein“ und „Merci Chérie“<br />

und „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ hören und sind dann etwas<br />

erschrocken über das, was sie da erleben.<br />

Ein Mann, der etwas will<br />

Da vorne steht ein Mann, der etwas will. Auch wenn er sagt, dass<br />

er bloß Lieder singen will. Wolf Biermann wollte an jenem<br />

berühmten Kölner Abend im <strong>November</strong> 1976 auch bloß Lieder<br />

singen, und zwischendrin machte er ein paar Ansagen. Und<br />

weiter? Dem Publikum vergingen Hören und Sehen. Biermann<br />

wohl auch. Udo Jürgens will etwas, und man merkt ihm die<br />

Dringlichkeit an, und sie funktioniert, denn sie ist echt und nicht<br />

im Diskurspopwortlaut gesucht und feingeschliffen und nach links<br />

und rechts rhetorisch bewehrt. Diese Dringlichkeit steht<br />

bemerkenswert nackt auf der Bühne in diesem achtzigjährigen<br />

Mann.<br />

Mehr zum Thema<br />

Udo Jürgens wird 80: Im Bademantel bis<br />

zum Schluss<br />

Udo Jürgens wird 80: Ohne Applaus geht er<br />

nicht von der Bühne<br />

Manchmal konnte man<br />

an diesem Abend den<br />

Eindruck haben, Udo<br />

Jürgens mache jetzt<br />

Schluss mit Udo<br />

Jürgens oder hebe<br />

diesen Udo Jürgens auf eine neue Stufe, nämlich dorthin, wo er<br />

hingehört. Es war ja ein Universalangriff, was er da ritt. „Wir<br />

tragen die Krone der Schöpfung eher so wie einen Karnevalshut“,<br />

das war der Gipfel dieses Weltgebäudes. Ein Abend mit Udo<br />

Jürgens: Ein einzigartiges Weltuntergangsszenario und Porträt<br />

des bösen Tieres Mensch mit seiner eigenen Narrenkappe auf wie


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03.11.<strong>2014</strong><br />

bei Thomas Bernhard, und das tut er einfach so. Er steht da oben<br />

und schimpft und klagt in die Welt hinein, dass es eine Freude,<br />

aber auch eine Bestürzung ist.<br />

Das ist keine linke oder rechte Blödsinnsprosa nach Art von „Ich<br />

will auch mal dies und das sagen dürfen“; denn nichts von dem,<br />

was Udo Jürgens da sagt, ist verboten oder tabu. Aber es ist so<br />

grundeinfach und so grundwahr, dass es unter komplettem<br />

Peinlichkeitsverdacht steht. Und Udo Jürgens geht mitten hinein<br />

in diese Peinlichkeit wie ein Arzt unter die Kranken. Ich glaube<br />

auch, dass das die Schwierigkeit ist beim Hören von Udo Jürgens:<br />

dieses Fremdschämen, das sich, wenn es den berühmten Udo-<br />

Jürgens-Klick im Kopf gemacht hat und man auf seine Seite<br />

geschwenkt ist, urplötzlich gegen einen selbst wendet. An Udo<br />

Jürgens zu scheitern, heißt nicht, an seiner, sondern an der<br />

eigenen Peinlichkeit zu scheitern.<br />

Und dann „Griechischer ein“<br />

Vielleicht muss man das in einem dieser gewaltigen Konzerte<br />

erleben, die etwas ganz anderes sind als Konzerte, die eher<br />

Möglichkeiten eines ganz bestimmten Sagens sind. Man muss die<br />

Lieder gegeneinander stellen, man muss diese einzelnen, immer<br />

auch plakativen Momente selbst zu dem besagten Wimmelbild<br />

dieser Welt zusammenstellen, sich gegenseitig bespiegeln lassen,<br />

dann ist man drin in diesem im guten Sinne defätistischen,<br />

abgrundtief radikalen, völlig schonungslosen Udo-Jürgens-<br />

Sprachuniversum, das nur bei ihm so existieren kann und an dem<br />

er Jahrzehnte gebaut hat. Denn alle diese Worte brauchen Udo<br />

Jürgens als Sprechakt-Person dazu; die Einheit dieses Weltbildes<br />

setzt seine Person voraus, sonst sind es nur Splitter, in denen man<br />

das Ganze nicht erkennt.<br />

Und irgendwann setzt „Griechischer Wein“ an. Kein<br />

pseudogriechisches Humpta-Humpta. Der Mann, am Klavier<br />

sitzend, aber nicht spielend, singt es diesmal wie ein einsames<br />

Volkslied, das irgendeine Person, eine alte Frau vielleicht, am<br />

Fenster singt oder einem Kind vorsingt, und während sie singt,<br />

überkommt sie ein Schmerz, urplötzlich, gegen den sie nicht<br />

ankommen kann, und so klingt dieses Lied dann auch.<br />

Die Gegenposition zu der Universaltragödie der<br />

Menschheitsmasse ist immer das einzelne Wesen, und die


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03.11.<strong>2014</strong><br />

Glücksverheißung ist nirgends transzendent, sondern, wenn<br />

überhaupt, dem Leben abgekämpft, nicht als das kleine stille<br />

Glück in der Ecke, nein. Es ist auch nicht der geglückte Diskurs<br />

eines Homo politicus. Ich glaube, einen solchen Diskurs dürfte<br />

niemand im Saal während dieser drei Stunden für auch nur<br />

annäherungsweise machbar gehalten haben. Das Publikum hatte<br />

anderes im Sinn und wurde auf eine andere Spur gesetzt. Es hat<br />

auch nichts mit jenem blödsinnigen „Sei einfach mal Du“, „Lebe,<br />

was du willst“ zu tun. Udo Jürgens kann vielmehr sehr genau<br />

erzählen, wo und in welchen Momenten man sich diese<br />

Glücksverheißung oder Wahrheitsverheißung vom eigenen, ganz<br />

konkreten gesellschaftlichen und privaten Leben abringen kann<br />

oder muss.<br />

Vom Haus zur Welt<br />

Es ist diese im Konzert von diesem nachdenklichen, manchmal<br />

auch lauten Mann vorgelebte und bei ihm – Entschuldigung –<br />

glaubwürdig werdende radikale Emotionalität, die sich auf alles<br />

bezieht, als könnte er nichts anschauen, ohne es auf diesen Punkt<br />

hin zu überprüfen. Als wollte er uns freisprechen von etwas, was<br />

wir sind, aber vielleicht nicht sein müssten. Es ist jenes berühmte<br />

„We think too much and feel too little“ aus Chaplins Diktator-<br />

Rede, das eben nur erträglich wird, wenn es in einem solchen Film<br />

aufgehoben wird oder in einem solchen Werk-Kosmos wie dem<br />

von Udo Jürgens.<br />

Tja, kleiner kann man das alles vermutlich nicht sagen. Ich habe<br />

allerdings schon länger das Gefühl, es müsste in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung endlich mal Schluss sein mit Udo Jürgens im stets<br />

gewohnten und stets verkleinerten Sinn. Aber das wissen sowieso<br />

schon viele. Das hier ist nicht die neue Weisheitsstufe eines nun<br />

altgewordenen Mannes in reduzierter Grandseigneurspose, daran<br />

baut er nämlich schon sehr lange, angefangen hat es mit dem<br />

Haus, nun ist es die ganze Welt.<br />

Übrigens kann er sogar sein eigenes Publikum beschimpfen. Als<br />

Anfang der zweiten Hälfte ziemlich viele Menschen im bestuhlten<br />

Saal nach vorne kommen, sich an die Bühne stellen und den ersten<br />

Reihen den Blick nehmen, sagt er, er sehe ja immer dieselben<br />

Gesichter in diesen ersten Reihen, und die Plätze da seien<br />

bestimmt auch sehr teuer, aber ob dass dann auch die wahren


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03.11.<strong>2014</strong><br />

Fans seien, das wisse er ja gar nicht. Ja, so etwas muss man dann<br />

auch aushalten können bei so einem Konzert.<br />

Andreas Maier ist Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Die<br />

Straße“ (2013).<br />

Zur Homepage<br />

Quelle: F.A.Z.<br />

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