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Gambiarra_Essay_Neubauer

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Auch später wurde das Thema von der Tropikalia-Bewegung,<br />

insbesondere von der Kannibalistisch-Tropikalistischen Phase<br />

des Cinema Novos in den 70er Jahren aufgegriffen wie<br />

beispielsweise in dem Film „Como Era Gostoso Meu Francais“<br />

von Nelson Pereira dos Santos. Basierend auf den<br />

Erlebnisberichten des deutschen Hans Staden, der im 17Jh.<br />

Von den Tupi-Indianern verspeist wurde, erzählt die schwarze Komödie von einem<br />

Franzosen, der von den Tupi gefangen genommen wird. Diese adaptieren sein Wissen und<br />

auch er gliedert sich in die Gesellschaft ein. Am Schluss wird er verspeist.<br />

Die „Kunst der Aneignung von Objekten“ bei der <strong>Gambiarra</strong> spiegelt also deutlich die<br />

Kulturentwicklung durch „Aneignung von Kultur“ wider. Diese Aneignung ist eine Aktion als<br />

Reaktion auf die bestimmten (äußeren) Umstände und so kann die <strong>Gambiarra</strong> auch als als<br />

politische Handlung betrachtet werden:<br />

“<strong>Gambiarra</strong>–ing is undoubtedly a political activity. Political not only in the<br />

sense of activism (or a support for activism), but because the very practice<br />

itself is a political statement. And, whether consciously or not, gambiarra–<br />

ing can often negate the productivelogic of capitalism, stop a gap, fill a lack,<br />

balance the precarious, reinvent production, offer utopian glimpses of a new<br />

world, stir a revolution, or simply try to heal the open wounds of the system,<br />

bringing comfort or a voice to the dispossessed. The gambiarra is itself a<br />

voice, a cry—of freedom, of protest—or,simply, of existence, the affirmation<br />

of an innate creativity.” 13<br />

Dieses Handlungen des Konsumenten wurde auch sehr ausführlich in den Theorien von<br />

Michel de Certeaus beschrieben: In seinem Hauptwerk „Die Kunst des Handelns“ bezeichnet<br />

er dies als politische „Taktik“ im Gegensatz zur Strategie:<br />

„Im Gegensatz zur Strategie (...)bezeichne ich als Taktik ein Handeln aus<br />

Berechnung, das durch das Fehlen von etwas Eigenem bestimmt ist. (…) Sie<br />

muss mit dem Terrain fertig werden, dass ihr so vorgegeben wird (...) Sie<br />

macht einen Schritt nach dem anderen. Sie profitiert von „Gelegenheiten“<br />

und ist von ihnen abhängig; (...) Sie muss wachsam die Lücke nutzen, die sich<br />

in besonderen Situationen der Überwachung durch die Macht der<br />

Eigentümer auftun. Sie wildert darin und sorgt für Überraschungen.“ 14<br />

Auch Felipe Fonseca beschreibt im Ausstellungskatalog zur Ausstellung „Gambiologos“<br />

treffend die Relevanz des Wissens um die <strong>Gambiarra</strong> im Hinblick auf das heutige<br />

Wirtschaftssystem:<br />

“It is an ancient knowledge, which until recently appeared spontaneously in<br />

Brazilian cultures as a result of precariousness. The fortuitous optimistic<br />

trends on economic growth, income redistribution and increased supply of<br />

manufactured goods cannot let us forget this increasingly necessary wisdom<br />

in a world of economic crises, environmental collapses and demand for<br />

creativity.” 15<br />

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