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10 aktuell SPORT 9. November 2015<br />
Höhenflug<br />
Die Karriere vieler Spitzensportler begann im<br />
Förderprogramm der Bundeswehr.<br />
von Klaus Rathje und<br />
Simon Klingert<br />
Foto: imago<br />
Berlin. Bei den Olympischen<br />
Spielen strahlen die deutschen<br />
Spitzensportler in die Kameras,<br />
wenn sie Bronze, Silber oder<br />
Gold geholt<br />
haben. Dass<br />
sie nebenbei<br />
auch<br />
eine Uniform<br />
tragen<br />
anstelle ihrer<br />
Trikots, spielt für<br />
die Medien meist<br />
keine Rolle. Dabei<br />
ist es die Sportförderung<br />
der Bundeswehr,<br />
die viele Erfolge deutscher<br />
Teams bei internationalen Sportveranstaltungen<br />
ermöglicht hat.<br />
So stand am Anfang der Karriere<br />
einiger bekannter Sportidole<br />
erst einmal das Kasernenleben.<br />
1998 etwa berichtete die aktuell<br />
von einem gewissen Gefreiten<br />
Dirk Nowitzki, der in Würzburg<br />
„Euphorie“ verbreite.<br />
Normgröße<br />
nicht erfüllt<br />
Der damals 19-jährige Basketballspieler<br />
galt zu dieser Zeit<br />
schon als bester Spieler seiner<br />
Altersklasse. Aber auch ein Dirk<br />
Nowitzki musste, bevor er in<br />
einer Sportfördergruppe seiner<br />
Leidenschaft nachgehen konnte,<br />
die ganz normale Grundausbildung<br />
absolvieren. Nun gelten<br />
bekanntermaßen Standards<br />
in einer Kaserne,<br />
was bei größeren Menschen<br />
zu Komplikationen<br />
führen kann.<br />
So zitiert diese Zeitung<br />
den damaligen<br />
Kompaniefeldwebel<br />
des 2,11 Meter großen<br />
Basketballspielers:<br />
„Wir mussten extra ein<br />
2,20 Meter langes Bett<br />
für ihn bei der Standortverwaltung<br />
Würzburg<br />
bestellen.“ Aber auch<br />
außerhalb der Kaserne<br />
war das Leben für das derzeit<br />
in den USA spielende<br />
Ausnahmetalent nicht einfach:<br />
„Im Biwak habe ich<br />
wie wahnsinnig gefroren,<br />
weil Schlafsack und Zelt<br />
viel zu kurz waren“,<br />
wußte Nowitzki<br />
zu berichten.<br />
Dass Angehörige der<br />
Bundeswehr bei Olympischen<br />
Spielen, Welt- und Europameisterschaften<br />
mit von der<br />
Partie sind, war nicht immer so.<br />
1968 beschließt der Bundestag<br />
die Einrichtung von Sportfördergruppen<br />
in der Bundeswehr.<br />
Grund: Die Vergabe der Olympischen<br />
Spiele an München im<br />
Jahr 1972 war mit einem gewissen<br />
Leistungsdruck verbunden.<br />
Eine Rolle spielte auch das<br />
mäßige Abschneiden des westdeutschen<br />
Teams bei der Olympiade<br />
in Mexiko 1968, bei der<br />
das Team der DDR im Medaillenspiegel<br />
weiter vorne lag.<br />
Bundeswehr als<br />
Talentschmiede<br />
Seit der Einrichtung der ersten<br />
Sportfördergruppen im Jahr<br />
1970 haben Soldaten der Bundeswehr<br />
regelmäßig an Wettkämpfen<br />
teilgenommen. Bei der Olympiade<br />
1972 in München traten<br />
25 Sportsoldaten der Bundeswehr<br />
an. 42 Jahre später – bei<br />
den olympischen Winterspielen<br />
in Sotschi – sind es 75 Soldatinnen<br />
und Soldaten. Damit stellen<br />
Bundeswehrangehörige die<br />
Hälfte des gesamten deutschen<br />
Kaders. 1990 wurden die Sport-<br />
för-<br />
dergrup-<br />
pen nahe der<br />
Leistungszentren<br />
und Olympiastützpunkte<br />
der deutschen<br />
Sportverbände neu<br />
aufgestellt – damit konnten die<br />
Trainingsmöglichkeiten weiter<br />
verbessert werden. Seither lässt<br />
sich die Liste der prominenten<br />
Sportsoldaten fast beliebig verlängern.<br />
Die erfolgreichen Rennrodler<br />
Georg Hackl und Susi<br />
Erdmann (siehe unten) gehören<br />
ebenso dazu wie die ehemaligen<br />
Gefreiten Ralf Schumacher und<br />
Philipp Lahm.<br />
Sprungschanze<br />
zum Erfolg<br />
Die Skisprung-Champions<br />
Sven Hannawald (Foto) und Martin<br />
Schmitt sind mit die bekanntesten<br />
Gesichter, die das Sportförderprogramm<br />
der Bundeswehr<br />
hervorgebracht hat. Seine sechs<br />
Jahre als Sportsoldat von 1995<br />
bis 2001 bezeichnet Hannawald<br />
Sportliche Wegbereiter<br />
rückblickend als „sehr wichtige<br />
Zeit“. „Ich habe mich sehr wohl<br />
gefühlt bei der Bundeswehr.<br />
Auch das Gruppengefühl fand<br />
ich wirklich großartig“. Pikanterweise<br />
blieb sein Sportkamerad<br />
Martin Schmitt immer ein paar<br />
Ränge unter Hannawald, der die<br />
Bundeswehr als Feldwebel verließ.<br />
Befehle erteilte er seinem<br />
vier Jahre jüngeren Teamkollegen<br />
aber nicht: „Diese Hierarchie<br />
habe ich nie herausgestellt. Im<br />
normalen Dienst mag das anders<br />
sein, aber unter Sportlern hatten<br />
die Jüngeren einfach Respekt vor<br />
den Erfahreneren. Das musste<br />
man nicht noch mit seinem höheren<br />
Dienstgrad betonen.“<br />
Der Weg der Bundeswehr als Kaderschmiede für den Spitzensport führte über das Wasser – und durch den Eiskanal.<br />
Foto dpa/pa<br />
Berlin. Als das junge Segel-<br />
Ass Willi Kuhweide 1964 bei<br />
den Olympischen Spielen in<br />
Tokio mit seinem Finn-Dinghy<br />
die Goldmedaille gewinnt,<br />
schreibt der Luftwaffen-Fähnrich<br />
Geschichte: Zum ersten Mal<br />
hat ein Angehöriger der Bundeswehr<br />
eine olympische Medaille<br />
gewonnen.<br />
Als Kaderschmiede für erfolgreiche<br />
Sportler sah sich die Bundeswehr<br />
damals nicht – aufstrebende<br />
Spitzensportler in Uniform<br />
konnten froh sein, wenn ihnen<br />
der Kommandeur gestattete, auch<br />
während der Dienstzeit zu trainieren.<br />
Der damalige Verteidigungsminister<br />
Kai-Uwe von Hassel war<br />
1965 der Überzeugung, die Aufgabe<br />
der Bundeswehr sei die<br />
Verteidigung der noch jungen<br />
Bundesrepublik – und nicht der<br />
Förderung von Sportsoldaten.<br />
Der Erfolg Kuhweides war dennoch<br />
ein wichtiger Grundstein für<br />
den Wandel der Bundeswehr zu<br />
einer Förderstätte des Spitzensports.<br />
Denn mit dem Gewinn der<br />
Goldmedaille durch den Publikumsliebling<br />
war nicht nur der<br />
Segelsport, sondern auch der<br />
Arbeitgeber des angehenden Piloten<br />
ins Blickfeld gerückt.<br />
Frauen stellen heute einen<br />
großen Teil deutscher Teams<br />
bei internationalen Sportveranstaltungen.<br />
Auch hier hat nicht<br />
zuletzt die Sportförderung der<br />
Bundeswehr eine Rolle gespielt.<br />
Pionierin unter den Sportsoldatinnen<br />
ist die Rennrodlerin und<br />
Bobpilotin Susi Erdmann. Nachdem<br />
sie bereits in der Nationalen<br />
Volksarmee der DDR sportlich<br />
gefördert worden war, trat<br />
Spitze: Susi Erdmann (l.) war die erste Sportsoldatin der Bundeswehr,<br />
Willi Kuhweide (r.) der erste Soldat mit Olympia-Medaille.<br />
Fotos: imago (2)<br />
Erdmann 1992 in den Sanitätsdienst<br />
der Bundeswehr ein und<br />
stieß zur Sportfördergruppe in<br />
Berchtesgaden. 1997 wurde sie<br />
als erste Sport-Berufssoldatin in<br />
die Bundeswehr aufgenommen –<br />
fünf Jahre später gewinnt sie ihre<br />
erste Bob-Weltmeisterschaft.<br />
Ihrem Dienstherren ist<br />
Erdmann auch nach dem Ende<br />
ihrer sportlichen Karriere 2007<br />
treu geblieben. Die zweifache<br />
Bob-Weltmeisterin dient als<br />
Sportfeldwebel an der Sanitätsakademie<br />
der Bundeswehr in<br />
München. Seit Beginn des Jahres<br />
sorgt sie zudem als Botschafterin<br />
für das betriebliche Gesundheitsmanagement<br />
für Bewegung<br />
in der Truppe.<br />
(kli)