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Architektur ausstellen

ISBN 978-3-86859-287-0

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<strong>Architektur</strong> <strong>ausstellen</strong><br />

Zur mobilen<br />

Anordnung<br />

des Immobilen<br />

Carsten Ruhl, Chris Dähne (Hg.)


Inhalt<br />

Carsten Ruhl, Chris Dähne<br />

<strong>Architektur</strong> <strong>ausstellen</strong> 6<br />

Zur mobilen Anordnung<br />

des Immobilen<br />

Carsten Ruhl<br />

Eingeweckte Häuser 14<br />

<strong>Architektur</strong> zwischen<br />

White Cube und Fotografie<br />

Margareth Otti<br />

Der Elefant im Kühlschrank 28<br />

<strong>Architektur</strong><br />

und Institution<br />

Theres Sophie Rohde<br />

In Weimar steht ein weißer Würfel 42<br />

Das Haus Am Horn zwischen<br />

bewohnbarem Ausstellungsbau<br />

und ausgestelltem Wohngebäude<br />

Eva Maria Froschauer<br />

Exponat Architekt 58<br />

Von Haussammlungen und<br />

Selbstausstellungen der<br />

modernen <strong>Architektur</strong><br />

Mario Schulze<br />

<strong>Architektur</strong> als Argument 74<br />

<strong>Architektur</strong> und<br />

Geschichtsausstellungen


Chris Dähne<br />

Stile, Trends und<br />

mediale Ereignisse 88<br />

Der Einfluss von Ausstellungen<br />

auf <strong>Architektur</strong> in der Moderne<br />

und Postmoderne<br />

Léa-Catherine Szacka<br />

Die Ausstellung<br />

von Ideologien 106<br />

<strong>Architektur</strong> auf der<br />

Biennale von Venedig<br />

(1968–1980)<br />

Wallis Miller<br />

Was ist <strong>Architektur</strong>? 116<br />

Modelle in deutschen Ausstellungen<br />

von der Preußischen Akademie<br />

bis zum Bauhaus<br />

Oliver Elser<br />

Verluste, Funde,<br />

Fotomodelle und<br />

eine Peepshow 130<br />

Das „Making-of“ der<br />

<strong>Architektur</strong> modellausstellung<br />

im DAM 2012<br />

Martina Dlugaiczyk<br />

Vom Standaufs<br />

Spielbein 148<br />

Dauerpräsentationen und<br />

Wechselausstellungen von <strong>Architektur</strong><br />

in Lehrsammlungen Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts<br />

Autoren 164<br />

Bildnachweis 169<br />

Impressum 175


<strong>Architektur</strong> <strong>ausstellen</strong><br />

Zur mobilen Anordnung<br />

des Immobilen<br />

Carsten Ruhl, Chris Dähne<br />

Es ist in den letzten Jahren viel über den Architekten als Entwerfer von<br />

Galerien und Kunstmuseen diskutiert und geschrieben worden. Die<br />

spektakulärsten Beispiele dieser Bauaufgabe sind allgegenwärtig in den<br />

Feuilletons, Fachzeitschriften und zahlreichen anderen Publikationen.<br />

Die <strong>Architektur</strong> als Gegenstand des Ausstellens hingegen wurde darin<br />

bisher nur marginal behandelt. Es liegt weder ein historischer Überblick<br />

hierzu vor noch lässt sich von einer umfassenden Behandlung der damit<br />

verbundenen Fragen sprechen. Dies ist angesichts der heute großen<br />

Bedeutung von Ausstellungen für die architektonische Praxis kaum zu<br />

rechtfertigen. Vor allem aber gerät damit eine der wichtigsten Facetten<br />

des jüngeren <strong>Architektur</strong>diskurses aus dem Blick. Weder gab es jemals<br />

zuvor mehr <strong>Architektur</strong>ausstellungen als heute noch war es in früheren<br />

Zeiten dem Architekten erlaubt, in diesem Maße die Rolle des Kurators<br />

einzunehmen. Wenn Peter Eisenman im Wiener Museum für angewandte<br />

Kunst „barfuß über weiß glühende Mauern“ läuft ( 1), die Schweizer<br />

Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron im Basler Schaulager<br />

ihren „Entwurfsabfall“ als Naturgeschichte präsentieren ( 2), Oswald<br />

Mathias Ungers das ausgestellte Inventar seines Hauses als „Kosmos der<br />

<strong>Architektur</strong>“ ( 3) verstanden wissen will und Rem Koolhaas zuletzt die<br />

„Elements of Architecture“ ( 5) in Gestalt eines begehbaren Musterbuches<br />

anordnet, 1 entspricht dies keineswegs den traditionellen Zielen, die<br />

<strong>Architektur</strong>ausstellungen ursprünglich hatten. Wie überhaupt die Praxis<br />

des Ausstellens architekturhistorisch gesprochen keinesfalls selbstverständlich<br />

ist. Erst seit der Gründung der Académie Royale d‘Architecture 2<br />

6


1<br />

1 Plan der<br />

Ausstellungshalle<br />

des Museums für<br />

angewandte Kunst<br />

Wien anlässlich der<br />

Ausstellung „Peter<br />

Eisenman, Barfuß<br />

auf weiß glühenden<br />

Mauern“, Wien<br />

2004<br />

im Jahr 1671 wurden regelmäßig <strong>Architektur</strong>ausstellungen gezeigt, die seit dem<br />

18. Jahrhundert gelegentlich auch der Öffentlichkeit zugänglich waren. 3 Allerdings<br />

unterlagen sie im Unterschied zu heutigen Ausstellungen einem strengen Reglement.<br />

Sie dienten primär der Festigung des absolutistischen Staates, dessen Autorität, repräsentiert<br />

durch die maîtres der Akademie, Grundlage und Ziel jeder architektonischen<br />

Gestaltung zu sein hatte. Im Vordergrund stand daher nicht die Demonstration baukünstlerischer<br />

Innovation, sondern die möglichst genaue Nachahmung festgelegter<br />

Regeln und anerkannter Beispiele. 4<br />

7 <strong>Architektur</strong> <strong>ausstellen</strong>


Eingeweckte Häuser<br />

<strong>Architektur</strong> zwischen<br />

White Cube und Fotografie<br />

Carsten Ruhl<br />

1<br />

1 Haus-Rucker-<br />

Co: Stück Natur,<br />

eingeweckt 1977,<br />

Einweckglas mit<br />

eingebautem Naturstück,<br />

14 x 12 cm<br />

Der Begriff der <strong>Architektur</strong>ausstellung ist eigentlich ein Paradox. Während die <strong>Architektur</strong><br />

mehr als jedes andere Medium ein immobiles Dasein fristet, lebt die Ausstellung<br />

doch gerade von der Beweglichkeit der Dinge, die sie auf immer neue Weise<br />

in Beziehung zueinander setzt. Die <strong>Architektur</strong> eignet sich daher denkbar schlecht<br />

zum Ausstellen, während die Ausstellung nicht den Anspruch erheben kann, Ar-<br />

14


chitektur zu sein. Was in ihr stattdessen gezeigt wird, sind Repräsentationen von<br />

Repräsentationen: Mediale Substitute des Mediums <strong>Architektur</strong> bilden ein temporäres<br />

Beziehungsgeflecht, dessen Bedeutung zunehmend erklärungsbedürftig geworden<br />

ist. Der Ort, an dem dies geschieht, der White Cube, ist seit Brian O’Dohertys<br />

luzider Analyse in seiner Ambivalenz erfasst. 1 Die Doppelnatur des White Cube als<br />

gebautes <strong>Architektur</strong>ideal und auratischer Kultraum der Moderne findet darin allerdings<br />

ebenso wenig Berücksichtigung wie die spezifischen Probleme der <strong>Architektur</strong>ausstellung.<br />

Dies gilt insbesondere für die Beobachtung, dass <strong>Architektur</strong> im<br />

Unterschied zur Kunst erst medial mobilisiert werden muss, damit sie als Objekt im<br />

Ausstellungsraum präsentiert werden kann. Das Einweckglas mit Urhütte von Haus-<br />

Rucker-Co (1976) ließe sich in diesem Sinne als ironische Zuspitzung interpretieren<br />

( 1). Wozu dient ein Einweckglas? Es dient der Haltbarmachung eingemachten<br />

Obstes oder Gemüses. An die Stelle vergänglicher Lebensmittel tritt nun die <strong>Architektur</strong>.<br />

2 Im Vakuum des Einweckglases verlängert sich ihre Haltbarkeit. Aus dieser<br />

Perspektive betrachtet, ließe sich das Einweckglas von Haus-Rucker-Co als Metapher<br />

für die fotografische Reproduktion von <strong>Architektur</strong> interpretieren. Wie das Einwecken<br />

verkleinert die Fotografie den Maßstab der <strong>Architektur</strong> und verwandelt sie so in<br />

ein ausstellbares Objekt, das sie – dem Glas ähnlich – im transportablen Vakuum des<br />

fotografischen Raumes fixiert. 3 Wie zu zeigen sein wird, lässt sich der beschriebene<br />

Vorgang kaum vom architektonischen Vollkommenheitsversprechen des White Cube<br />

trennen.<br />

White Cube<br />

Die Arbeiten des amerikanischen Architekten und Künstlers Allan Wexler sind von<br />

einem besonderen Bewusstsein über diesen Zusammenhang geprägt. Mit Crate House<br />

( 2), einer Installation aus vier schlichten, etwa zwei Meter hohen und 70 Zentimeter<br />

tiefen Sperrholzkisten, die kreuzförmig um einen größeren weißen Kubus von<br />

zwei mal zwei Metern angeordnet sind, wird die Dialektik beider Phänomene greifbar.<br />

4 Mittels archaisch wirkender Holzräder lassen sich die Kisten wahlweise aus dem<br />

weißen Kubus herausziehen oder darin versenken. Sie sind entsprechend ihrer Funktion<br />

beschriftet und erinnern äußerlich an Kisten zum Transport von Kunstwerken.<br />

In ihrem Innern finden sich aufgereiht wie in einem Werkzeugkoffer Instrumente,<br />

die zur Erfüllung des spezifischen Zwecks unentbehrlich sind. Insgesamt sind die<br />

Kisten als mobile Plug-in-Stationen konzipiert, die vorgeben, das Existenzminimum<br />

zu sichern. Sie sind damit weder an einen bestimmten Ort gebunden, noch besteht<br />

ihre Aufgabe darin, ihrem Benutzer einen Ort zuzuweisen, von dem aus er die Instrumente<br />

seines Hauses bedienen könnte. Vielmehr sind es die Instrumente, die das<br />

Haus bewohnen, in ihm gleichsam ein und aus gehen und damit seine ursprüngliche<br />

Bedeutung als etwas, das seinem Bewohner dient, ihm Schutz und nach Möglichkeit<br />

15 Eingeweckte Häuser


Der Elefant<br />

im Kühlschrank<br />

<strong>Architektur</strong> und Institution<br />

Margareth Otti<br />

1<br />

Wie bekommt man einen Elefanten in einen Kühlschrank? Kühlschranktür auf, Elefant<br />

rein, Kühlschranktür zu ( 1).<br />

Die Ironie des Anti-Witzes lässt das Paradoxon und die Herausforderung des Unterfangens<br />

„Ausstellen von <strong>Architektur</strong>“ anklingen: Wie etwas <strong>ausstellen</strong>, das nicht<br />

nur „zu groß“, sondern bereits öffentlich ist? Wie etwas in einem Ausstellungsraum<br />

28


adäquat vermitteln, das räumliche, körperliche Erfahrung voraussetzt? Der Witz<br />

beschreibt nicht nur metaphorisch das Verhältnis von Institution und <strong>Architektur</strong>,<br />

sondern auch bildlich: Der Kühlschrank ist das Museum, die Galerie, der Ausstellungsraum,<br />

ein White Cube: Er hält die Dinge frisch und die Objekte haltbar; sie<br />

werden konserviert. Objekte werden in einer übersichtlichen Aufstellung präsentiert,<br />

teilweise in Vitrinen oder besonderen Ablagen, und der Inhalt ändert sich in regelmäßigen<br />

Abständen. Es ist kühl, es gibt wenig Frischluft und keine Fenster. Der<br />

Kühlschrank braucht viel Energie und ist insgesamt ein isolierter Raum mit eigenen<br />

Regeln. Die Dinge wirken dort anders als im Supermarktregal neben all den anderen<br />

gleichen Milchpackungen. Der Elefant ist zu groß, sein Maßstab stimmt einfach<br />

nicht, und der Kühlschrank bietet nicht sein übliches Habitat, er entspricht nicht<br />

seiner Realität und seinen Existenzbedingungen. Die sozialen, politischen und ökonomischen<br />

Parameter sind ausgeblendet (allein, kalt, eng, man wird angestarrt, keine<br />

Schlammgruben, keine Elfenbeinjäger, keine Tiger, keine Elefantenkollegen). Kurz:<br />

Der Elefant passt nicht in den Kühlschrank, von seinen Dimensionen nicht und<br />

nicht von seinem Wesen. Damit er in den Kühlschrank passt, muss er sich in irgendeiner<br />

Form verändern, muss er sich zu einem Bild oder zu einem Modell verwandeln,<br />

ein Hinweis werden auf den wirklichen Elefanten in der Steppe. Zu schaffen machen<br />

dem Elefanten die DISTANZ zum Betrachter, die ISOLATION und der MASS-<br />

STAB. Auf diese drei Begriffe möchte ich später genauer eingehen.<br />

Können Ausstellungsräume, Kunstgalerien und Museen von uninteressierten Individuen<br />

gemieden werden, so ist das mit <strong>Architektur</strong> nicht möglich. <strong>Architektur</strong> ist<br />

gebauter (oder gedachter) Lebensraum und betrifft jeden Menschen. So ist jeder<br />

Mensch von gebautem Raum umgeben und zwangsläufig mit der Frage der Gestaltung<br />

desselben konfrontiert. Die gesellschaftliche Verantwortung der <strong>Architektur</strong><br />

und damit der <strong>Architektur</strong>schaffenden ist somit sehr hoch. Deshalb besitzt die<br />

Vermittlung von Wissen um das Gebaute, die <strong>Architektur</strong>vermittlung in Form von<br />

Ausstellungen einen besonderen Stellenwert. Aber wie vermitteln wir das Gebaute?<br />

Wie <strong>Architektur</strong> <strong>ausstellen</strong>?<br />

<strong>Architektur</strong>ausstellungen funktionieren als wichtige Proponenten in der Produktion<br />

einer architektonischen und somit gesellschaftlichen Identität; wenn „unsere Kultur<br />

(…) gewissermaßen ein Produkt unserer <strong>Architektur</strong> [ist]“ 1 , produzieren sie Kultur.<br />

Die wichtigsten architektonischen Strömungen des 20. Jahrhunderts sind eng<br />

an Ausstellungen geknüpft: Die „Modern Architecture: International Exhibition“<br />

1932 im MoMA, bekannt als „The International Style“, konstituiert die Moderne;<br />

die 1. <strong>Architektur</strong>biennale in Venedig von 1980 von Paolo Porthogesi, „La presenza<br />

del passato“, gilt als Beginn der Postmoderne; und die Ausstellung „Deconstructivist<br />

Architecture“ von Philip Johnson und Mark Wigley im MoMA 1988 ist titelgebend<br />

für den Dekonstruktivismus in der <strong>Architektur</strong>.<br />

29 Der Elefant im Kühlschrank


gigkeitserklärung statt. Die Ausstellung zeigt in drei Räumen eine Zustandsbeschreibung<br />

der amerikanischen Alltagskultur: „The Strip“ (gemeint sind the highway und<br />

the commercial strip), „The Street“, also die traditionelle Straße einer Stadt, und „The<br />

Home“, die Wohnhäuser der Suburbs. Der Raum „The Strip“ präsentiert im Maßstab<br />

1:1 Leuchtschilder, Billboards, Wegweiser von McDonalds, wie man sie von der Fahrt<br />

im Auto, am Straßenrand positioniert, kennt ( 7). In der Renwick Gallery wirkt<br />

8<br />

8a<br />

8 Eingang zum<br />

Raum „The Street“<br />

der Ausstellung<br />

„Signs of Life:<br />

Symbols in the<br />

American City“<br />

8a Interieur des<br />

Ausstellungsraumes<br />

„The Street“ der<br />

Ausstellung „Signs<br />

of Life: Symbols in<br />

the American City“<br />

deren Größe surreal, ein blendendes übergroßes Leuchten, ein Las-Vegas-Konzentrat<br />

im Ausstellungsraum, das die Wahrnehmungsgewohnheiten auf den Kopf stellt.<br />

Der Ausstellungsraum „The Street“ ( 8) ist mit Parkbänken und Palmen möbliert,<br />

an den Wänden hängen unzählige montierte Fotografien, eine Überfülle von Abbildungen<br />

amerikanischer Siedlungsformen, von Tankstellen, Leerflächen, Straßenaufnahmen<br />

( 8a). „The Home“ visualisiert in Form von raumhohen Dioramen, deren<br />

großformatige Collagen von Stephen Shore eine technische Neuheit darstellen,<br />

drei amerikanische Wohnhäuser verschiedener sozialer Schichten: The Levittowner,<br />

ein Mittelklassehaus; The Williamsburg, ein Haus der gehobenen Mittelklasse, und<br />

ein Arbeiterreihenhaus ( 9). Die Interieurs sind als Schauzimmer gestaltet und mit<br />

Sprechblasen beschriftet, die die Möbel dem jeweiligen Stil zuordnen. Die Sprechblasen<br />

funktionieren als vermittelnde Beschriftung, zugleich aber auch als kultureller<br />

Verweis; sie können ironisch gelesen werden oder einfach dokumentierend ( 10).<br />

Insgesamt sind etwa 7000 Fotos in der Ausstellung zu sehen, eine unbewältigbare<br />

Masse an offeriertem Material zum Schauen und Begreifen. Dazu Steven Izenour:<br />

„If we have any philosophy of exhibit design at all... it’s one of a kind of overload;<br />

38


9, 10<br />

9 Diorama eines<br />

Wohnraums in der<br />

Ausstellung „Signs<br />

of Life: Symbols in<br />

the American City“<br />

10 Diorama<br />

eines Arbeiterreihenhauses<br />

in der<br />

Ausstellung „Signs<br />

of Life: Symbols in<br />

the American City“<br />

we walk a thin line when it comes to boggling people’s mind’s by offering lots of<br />

choices through juxtaposition – and maybe sometimes we fall over.“ 30 Die gigantischen<br />

Leuchtreklameschilder, die niemals rezipierbare Überfülle an visuellem Fotomaterial<br />

zur amerikanischen Straße und ihren Formen und die 1:1-Wohnzimmereinrichtungen<br />

sind ein Spiel mit der Unmaßstäblichkeit einer <strong>Architektur</strong>ausstellung.<br />

Die Objekte sind gigantisch, zu viele oder zu klein. Für die Reklametafeln ist man<br />

viel zu nahe, für das Betrachten der Fotos hat man viel zu wenig Zeit und die Häuser<br />

und Musterzimmermöbel können sprechen. Die Exponate sprengen den Maßstab<br />

des Ausstellungsraumes, sie machen genau das „Viel-zu-groß-Sein“ des Elefanten zum<br />

Thema. Besonders irritierend in dieser Bilder- und Zeichenflut ist das Weglassen jedes<br />

Kommentars, jedes Urteils über das Gezeigte und die Weigerung, etwas „Besseres“<br />

vorzuschlagen, eine architektonische Lösung für den suburbanen Problemfall. Dem<br />

Vorwurf Paul Goldbergers, „the exhibition’s absolute refusal to be judgemental is one<br />

of it’s most serious problems“, 31 antwortet Denise Scott Brown: „We don’t say, ‚Don’t<br />

judge’. We use non-judgementalism as a technique for sharpening our aesthetic sensibilities.<br />

We, like all other architects, are judges. We judge in order to act.“ 32 Vielleicht<br />

39 Der Elefant im Kühlschrank


2<br />

2 Große „Bauhaus-Ausstellung“,<br />

Präsentation im<br />

Oberlichtsaal, 1923<br />

gewesen, im künstlerischen Konzept und in der Gestaltung der Ausstattung ging es<br />

allerdings ganz auf die Bauhauswerkstätten zurück. Es wurde zu einem komplexen<br />

Nachweis für die Gemeinschaftsarbeit an der Schule. 4<br />

Damit stellte es eine an Bedeutung nicht zu unterschätzende Erweiterung des Ausstellungsprogramms<br />

dar, das vor allem in den Ateliers des von Henry van de Velde<br />

entworfenen Kunstschulgebäudes zur Umsetzung kam; dort, wo das Bauhaus seinen<br />

Sitz hatte. Im Oberlichtsaal ( 2) etwa wurden dem Besucher Objekte des täglichen<br />

Bedarfs wie Karaffen und Vasen in Vitrinen dargeboten, Möbel oder Teppiche<br />

im Raum oder an dessen Wänden präsentiert – Gegenstände, die für ein häusliches<br />

Umfeld hergestellt, aber zunächst in einem Ausstellungsraum mit tradierten Ausstellungseinrichtungen<br />

und -aufteilungen vorgestellt wurden. Schaukästen markierten<br />

die Objekte als Exponate, als Dinge, die gezeigt werden sollten. Solche Ausstellungsarchitekturen<br />

bieten „einen Freiraum und zugleich einen Schutzraum für die ausgestellten<br />

Dinge“ 5 . Sie schützen vor unerlaubtem Zugriff und schaffen mit ihren gläsernen<br />

Grenzen eine Abtrennung zum Betrachter. Ihre transparente Glasscheibe ist<br />

Sinnbild des Zeigens: Sie präsentiert und hält gleichzeitig auf Abstand. 6 Doch nicht<br />

nur der, dem gezeigt wird, soll Distanz zum Gezeigten einnehmen, sondern auch<br />

jedes Exponat in einer Vitrine zum jeweils nächsten Ausstellungsstück: um jedem<br />

Objekt ausreichend Raum zu geben, gesehen zu werden.<br />

Im selben Gebäude, eine Etage tiefer, präsentierte Gropius Baukunst. Mit der „Internationalen<br />

<strong>Architektur</strong>ausstellung“ wollte er die architektonischen Bestrebungen des<br />

Bauhauses in einen nationalen wie internationalen Bezug setzen: Arbeiten von etwa<br />

18 Baukünstlern aus dem Ausland und neun aus Deutschland wurden vorgestellt. 7<br />

Damit war nach dem Ersten Weltkrieg eine Zusammenstellung moderner <strong>Architektur</strong><br />

vorgelegt worden, in der erstmals Werke von Frank Lloyd Wright, Le Corbusier<br />

und Ludwig Mies van der Rohe gemeinsam gezeigt wurden. „Noch nirgends war<br />

es bisher möglich, sich so gut über den Stand der Baukunst in Europa zu unter-<br />

44


ichten“ 8 , hielt der Kunstkritiker Adolf Behne von seinem Besuch fest. Auch das<br />

Baubüro Gropius war mit verschiedenen Arbeiten vertreten, etwa mit Ablichtungen<br />

des Faguswerks aus Aalfeld. Mithilfe der Fotografie und ebenso mit der Zeichnung<br />

und dem Modell gelang es, eine Unmöglichkeit zu ermöglichen: Baukunst in einem<br />

solch knapp bemessenen Ausstellungsraum zu zeigen wie dem in Weimar. Besonders<br />

die Größe gebauter <strong>Architektur</strong> versperrt sich in der Regel derartigen Räumen, und<br />

einmal errichtet, ist sie an einen speziellen Ort und an eine bestimmte Zeit gebunden.<br />

9 Gropius’ Gebäude aus Aalfeld ließ sich nicht nach Weimar und schon gar nicht<br />

in das Kunstschulgebäude versetzen. Um derartige Baukunst dort zu präsentieren,<br />

war eine Übersetzungsleistung vonnöten: Sämtliche Bauten wurden in anderen Medien<br />

eingefangen, um sie ausstellbar zu machen. So fertigte man aus der <strong>Architektur</strong><br />

ein Ausstellungsding – in Miniaturform oder durch die Ablichtung eines Gebäudes.<br />

Gropius’ Auswahl und Sortierung der Exponate folgte dabei einer klaren Linie: Zu<br />

sehen waren Arbeiten verschiedener Architekten, die der Konzeption einer neuartigen,<br />

streng geometrischen und rationalen Baukunst folgten. Sie wiesen alle eine ähnlich<br />

formale Gestaltung auf und hatten damit einen „neuen Baugeist“ nicht nur zu<br />

3<br />

3 Große<br />

„Bauhaus-Ausstellung“,<br />

Aufnahme<br />

zur „Internationalen<br />

<strong>Architektur</strong>ausstellung“<br />

mit Holzmodell<br />

des Hauses Am<br />

Horn, 1923<br />

verkünden, sondern zugleich vorzuführen. 10 In dieser Zusammenstellung sollte auch<br />

das Haus Am Horn nicht fehlen: in Form eines Holzmodells ( 3). Die „Internationale<br />

<strong>Architektur</strong>ausstellung“ war der Rahmen, in der es in der Gesamtexposition<br />

erstmals vorgestellt wurde. Die Präsenz von Fotografien, Zeichnungen und Modellen<br />

anderer Entwürfe diente der Kennzeichnung, in welcher architektonischen Bewegung<br />

es zu denken war. Das Gebäude zunächst in der Umgebung einer Ausstellung<br />

moderner <strong>Architektur</strong> anhand eines Modells vorzuführen, welches auf einem Podest<br />

stand, das selbst niedriger als Brusthöhe war, sollte ein Überblicken dieser neuen<br />

Baukunst in Weimar ermöglichen. Die im Maßstab verkleinerte Form und die Anordnung<br />

im Ausstellungsraum hatten dem Besucher das Erfassen jener noch fremden<br />

45 in WEiMAR STEHT Ein WEiSSER WüRFEL


Exponat Architekt<br />

Von Haussammlungen und<br />

Selbstausstellungen der<br />

modernen <strong>Architektur</strong><br />

Eva Maria Froschauer<br />

Es liegt einige Jahre zurück, dass ich im Zuge einer Recherchearbeit bei der Witwe<br />

eines bekannten Architekten zu einem interessierten Höflichkeitsbesuch zu Gast war.<br />

Was ich erlebte, war ein herrlicher Nachmittag voller Geschichten, doch lenkte bisweilen<br />

ein Gegenstand vom Gespräch ab: Auf dem Sideboard lag in einem Aschenbecher<br />

eine Pfeife – wie ausgestellt. Ich wagte kaum dorthin zu sehen, doch schien<br />

es mir, als warte die Pfeife nur auf das nächste Stopfen durch ihren Besitzer, den<br />

Architekten. Dieser war damals bereits mehr als fünf Jahre verstorben, aber die Pfeife<br />

„lebte“ auf dem Sideboard weiter und hinterließ in mir den tiefsten Eindruck dieses<br />

Besuchs. Dieses Ding wurde zum Objekt, machte mir den Architekten als Person,<br />

aber auch in seiner Geschichtlichkeit lebendig. Die Pfeife wurde bedeutungsvoll und<br />

es entspann sich ein bestimmtes Verhältnis vom Objekt zur Betrachterin. 1<br />

58


Dingliche Sammlungen –<br />

nützliche Dinge<br />

Wie diese Geschichte weiterging, ist hier nicht von Belang, doch führt der anekdotische<br />

Umweg zum Gegenstand dieses Aufsatzes − zum dinglichen Sammelgut<br />

moderner Architekten, zu deren häuslichen Sammlungen und nützlichen, entwurfsrelevanten<br />

Archiven – und am Ende zur Feststellung, dass in der Verbindung von<br />

Arbeitsraum und Ausstellungshaus so mancher Architekt darin selbst zum Exponierten<br />

wird. Diese Überlegungen führen zu der Frage, wie wirksam solche Dingversammlungen<br />

in den Arbeitsprozessen und Entwurfsvorgängen der <strong>Architektur</strong> denn<br />

eigentlich sind. 2<br />

Mit Blick auf die Geschichte der Disziplin lässt sich feststellen, dass die Verwendung<br />

von Sammlungen eine die <strong>Architektur</strong> wahrscheinlich schon immer mit konstituierende<br />

Arbeits- und Kulturtechnik ist. „Nützliches“ Sammelgut der <strong>Architektur</strong>,<br />

welches Vorbilder und Muster für das Entwerfen bis ins 19. Jahrhundert hinein<br />

selbstverständlich bereithielt, bestand aus Zeichnungskonvoluten wie aus Reisenotaten,<br />

aus Modellen, Spolien oder antikisierenden Gipsen, es befand sich im Privat-<br />

oder Museumsbesitz und wurde als Vermittlungsmedium in der Lehre genutzt. 3<br />

Die Idee und die Materialität der architektonischen Vorbildsammlung veränderten<br />

sich allerdings mit Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in der Wahl der begehrten<br />

Objekte und in der Art der Verwendung als auch im Bekenntnis dazu. Das Sammlungsbedürfnis<br />

richtete sich nun auf umfangreiche Fotosammlungen oder anregende<br />

Artefakte, letztere konstituierten eine Sammlungsart, die mit einem der ikonischen<br />

Architekten dieser Zeit auch die ihr entsprechende Benennung fand – die corbusianische<br />

collection particulière. 4 Es lässt sich hier bereits resümieren, dass die Inspirationssammlungen<br />

der Architekten nie nur bloßes Aufhäufen bedeuteten, die Dinge<br />

und Objekte kaum stumm und unbeweglich blieben, denn sie „zeigten“ immer auch<br />

vor, „stellten aus“ und vermittelten. Die Gegenwartsarchitektur schenkt nun dem<br />

Sammeln als eine Möglichkeit zur Darstellung von gestalterischer Arbeit neue Beachtung,<br />

indem sie bisweilen Gesammeltes und dessen Anordnung sogar als Substitut<br />

des Entworfenen fungieren lässt. 5<br />

Raumkonfigurationen<br />

für das Exponat Architekt<br />

In manchen Fällen ist der sammelnde Architekt inmitten seiner Dinge selbst ein<br />

Exponat. Nämlich dann, wenn dieser zum Zur-Schau-Gestellten, zum „Eingeschriebenen“<br />

in einem Ensemble gesammelter Objekte wird und dies auf der medialen<br />

und/oder der räumlichen Ebene feststellbar ist: beispielsweise auf Fotografien, zu<br />

59 Exponat Architekt


lung streifend, im Blick, denn er schaute tagtäglich auf ein fotografisches Porträt des<br />

Meisters, das bis heute etwas versteckt im Bücherregal an der Wand hängt.<br />

Dieses Sammlungshaus ist als Arbeitsraum ein Wissensraum gewesen, darüber hinaus<br />

könnte man es auch als Zeigeraum mit der herausragenden, lokalen Antwerpener<br />

Tradition der bereits erwähnten Galeriebildmalerei seit dem 17. Jahrhundert in Verbindung<br />

bringen. Die damalige wirtschaftliche und kulturelle Reichtumsphase der<br />

Stadt und die vorhandenen Sammlungen des Adels und des Bürgertums boten den<br />

Künstlern ein Milieu, welches sie besonders zu diesen Genrebildern anregte. 36 Braem<br />

schuf ein modernes Amalgam aus beiden Raumtypen.<br />

Die Sammlung hält dem<br />

Architekten den Spiegel vor<br />

Am Ende wieder zu den historischen Sammlungsräumen und dem studiolo zurückzufinden,<br />

bedeutet in der <strong>Architektur</strong>geschichte einen initialen Fall eines sammelnden<br />

Architekten aufzurufen: John Soane und dessen Haus (in seinem Besitz seit 1792,<br />

offiziell Museum seit 1837), welches unzählige Gegenstände aufnahm, eine Lehrsammlung,<br />

ein Kuriositätenkabinett, eine archäologische Fantasie vereinte und außerdem<br />

eine theatralische Selbstdarstellung der <strong>Architektur</strong> und des Architekten von<br />

Anfang an etablierte. 37 Dieser Wissens- und Zeigeraum ist voll mit Mustern, Vorbildern<br />

und Fragmenten, vereint zu einer nützlichen Sammlung, die der Architekt<br />

bewohnte. Soanes Haus kann Ausgangspunkt für die hier beschriebenen Beispiele<br />

sein. Weil dies aber ein zu überbordender Fall ist, sei nur ein Detail, ein Aspekt dieses<br />

Kaleidoskops der <strong>Architektur</strong>geschichte herausgegriffen. Bis heute ist Soane in seinen<br />

Raumkonfigurationen als Person präsent: in Porträts, etwa jenem bekannten von<br />

Thomas Lawrence (1829), über eigene <strong>Architektur</strong>modelle und Pläne, die selbstverständlich<br />

Teil seiner Sammlung waren, und anhand von Urkunden, die seine Expertise<br />

belegten. 38 Die Person des Architekten spiegelt sich bis heute auf vielen Ebenen.<br />

Zunächst tatsächlich in der Vielzahl von Reflexionsspielen im Inneren des Hauses,<br />

aber auch sinnbildlich darin, dass hier ein Haus nicht nur eine Sammlung einer Person<br />

aufnimmt, sondern dass Soane unverbrüchlich in die Sammlung eingeschlossen<br />

ist, wie Helene Furján bereits 1997 beobachtete. 39 Eine bestimmte Konstellation im<br />

Haus eignet sich besonders zur Feststellung dessen: Aus dem Studienraum, in den<br />

gewöhnliche Museumsbesucherinnen und -besucher nicht gelangen, blickt eine Büste<br />

in den sogenannten dome, den Zentralraum voller Objekte hinab. Sie zeigt aber<br />

nicht Soane, sondern Thomas Lawrence, den Porträtisten, der im Übrigen ein ebenso<br />

leidenschaftlicher Sammler war ( 9). So stehen sich Maler und Modell, Objekt und<br />

Gehäuse, Ding und Sammlung, Publikum und Architekt – der nun wahrlich zum<br />

Exponat geworden ist – gegenüber.<br />

70


9<br />

9 John Soane<br />

House, London,<br />

Büste von Thomas<br />

Lawrence, der von<br />

hinten gesehen in<br />

den dome blickt<br />

Anmerkungen<br />

1 Von den zahlreichen Begründungen zur Transformation vom „Objekt“ zum „Ding“ oder umgekehrt sei hier genannt:<br />

Brown, Bill: „Thing Theory“. In: Critical Inquiry. Heft 1/2001, S. 4, in Fußnote 11 schreibt er: „In fact, by looking<br />

at things we render them objects.“ An anderer Stelle, S. 4: „The story of objects asserting themselves as things, then,<br />

is the story of a changed relation to the human subject and thus the story of how the thing really names less an object<br />

than a particular subject-object relation.“<br />

Vgl. „Transformation“ bei: Latour, Bruno: „A cautious Prometheus? A few steps toward a philosophy of design (with<br />

special attention to Peter Sloterdijk)“. In: Glynne, Jonathan/Hackney, Fiona/Minton, Viv (Hg.): Networks of Design.<br />

Proceedings of the 2008 Annual International Conference of the Design History Society (UK). Boca Raton 2009, S. 2:<br />

„The more objects are turned into things – that is, the more matters of facts are turned into matters of concern – (…).“<br />

In dem hier vorliegenden Beitrag stehen nun weniger Ding- oder Objektdefinitionen im Vordergrund, sondern das<br />

Beziehungsgeflecht und somit die „uns angehenden Sachen“, weswegen auch wechselweise von „Objekten“ und von<br />

„Dingen“ gesprochen wird, wesentlich gemeint ist die erweiterte Bedeutung des Relationalen.<br />

2 Die nachfolgenden Beispiele sind Teil einer breiter angelegten Forschungsarbeit der Autorin, welche besonders die<br />

Verbindung von Sammlung und Entwurf thematisiert und ausgewählte Vorbildsammlungen der <strong>Architektur</strong> des<br />

20. Jahrhunderts und der Gegenwart als Inspirationsquelle und Entwurfswerkzeug untersucht.<br />

3 Zum „Bildungsmittel“ gesammelter Gipse siehe Dlugaiczyk, Martina: „Gips im Getriebe. Abguss-Sammlungen an<br />

Technischen Hochschulen“. In: Schreiter, Charlotte (Hg.): Gipsabgüsse und antike Skulpturen. Präsentation und Kontext.<br />

Berlin 2012, S. 333–354<br />

71 Exponat Architekt


er Art. Sie zeigt keine originalen <strong>Architektur</strong>abbildungen, sondern installiert einen<br />

auf politische Fragen ausgerichteten Text in die Ausstellung, der mit schematischen<br />

Zeichnungen und <strong>Architektur</strong>fotografien aus der Vogelperspektive angereichert ist.<br />

Exemplarisch für die Art der Thematisierung von <strong>Architektur</strong> ist die Texttafel 51.03<br />

(die Nummer verortet den Text in der chronologischen Erzählung der Ausstellung).<br />

Sie zeigt einen schematischen Plan der Römerstadt, eine Siedlung der Moderne, die<br />

im Rahmen des Wohnbauprojekts „Neues Frankfurt“ vom Siedlungsdezernenten<br />

Ernst May geplant wurde ( 3). Der Text zur Zeichnung erläutert: „Wie eine befestigte<br />

Siedlung mit Schutzwall erstreckt sich die Römerstadt (…) entlang den Hängen<br />

des Niddatales. Wie auch in anderen Siedlungen, wurden die nach außen gerichteten<br />

Fassaden in kaltem Weiß, die Fassaden im Innern der Siedlung in Rot und Blau<br />

gestrichen. Abweisung nach außen und Geborgenheit nach innen waren psychologische<br />

Mittel. Sie sollten den Siedlern, die außerhalb der vertrauten Mutterstadt in<br />

einer ihnen fremden <strong>Architektur</strong> wohnten, Nestwärme und Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

geben.“ 14 Weitere Tafeln stellen die verschiedenen Wohnbauprogramme der<br />

1920er bis 40er vor und bauen diese in eine historische Erzählung ein; so erzählt<br />

das Museum, um nur ein Beispiel zu nennen, dass der NS-Staat tradierte Bauformen<br />

als „Ausdruck der von den Nationalsozialisten angeblich geschaffenen Volksgemeinschaft“<br />

umdeutete (53.06.1, 4). Es fällt auf, dass das Historische Museum<br />

Frankfurt die <strong>Architektur</strong> in seiner neuen Dauerausstellung als Argument für seine<br />

Botschaft nutzt, die es mittels der Geschichtserzählung vermitteln will.<br />

Mithilfe der <strong>Architektur</strong>darstellung will das Museum an die unmittelbare Lebenswelt<br />

der BesucherInnen anknüpfen. Es will damit zunächst nicht ästhetische Urteile<br />

ermöglichen und <strong>Architektur</strong> nicht nur als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse<br />

interpretieren, sondern im Rahmen einer historischen Anthropologie befragen: Was<br />

macht <strong>Architektur</strong> mit den Menschen und was folgt daraus für eine gegenwärtige <strong>Architektur</strong>?<br />

Das erscheint angesichts der gesellschaftlichen Verantwortung, die sich die<br />

<strong>Architektur</strong> selber schon lange zuschrieb, nicht besonders bemerkenswert. Die <strong>Architektur</strong><br />

der 1920er Jahre wollte schließlich nichts weniger, als mithilfe eines neuen<br />

Bauens den neuen Menschen schaffen. Bemerkenswert ist, und damit thematisiere<br />

ich nun das Spezifikum der Problematisierung von <strong>Architektur</strong> in Geschichtsausstellungen,<br />

dass das in einer an die Allgemeinheit gerichteten Museumsausstellung<br />

passiert, die fast ausschließlich über reproduzierte Flachware funktioniert. Das sagt<br />

etwas über eine veränderte Wahrnehmung von <strong>Architektur</strong> aus. <strong>Architektur</strong> ist in<br />

einer solchen Ausstellung mit einem über sie hinausweisenden und auf politische<br />

Fragen ausgerichteten Text verbunden. Die Oberflächen und Großstrukturen von<br />

<strong>Architektur</strong>en sind, so ließe sich schlussfolgern, lesbar geworden. Die Frankfurter<br />

Ausstellung fällt in die Entstehungszeit einer neuen Perspektivierung von <strong>Architektur</strong>,<br />

die an deren Oberflächen und Großformationen ansetzt. Die Ausstellung stellt<br />

78


3<br />

3, 4 Informationsblätter<br />

51.03.<br />

und 53.06.1. aus:<br />

Historisches Museum<br />

Frankfurt am Main:<br />

Historische Dokumentation<br />

20. Jahrhundert.<br />

Frankfurt/Main<br />

1975<br />

4<br />

79 <strong>Architektur</strong> als Argument


7 „Kristallisationen,<br />

Splitterungen“.<br />

Ausstellung des<br />

Werkbund-Archivs<br />

im Martin-Gropius-<br />

Bau. Konzeption:<br />

Angelika Thiekötter.<br />

Gestaltung: Detlev<br />

Saalfeld<br />

8 Modell des<br />

Glashauses, Berlin<br />

1993, Modellbau:<br />

Michael Kurz,<br />

Gestaltung:<br />

Detlev Saalfeld<br />

ser Präsentation sollte die Raumwahrnehmung im Glashaus beim Treppenaufgang<br />

oder in der Kuppelhalle rekonstruiert werden, die nach Augenzeugenberichten ihresgleichen<br />

suchte. Obwohl in der restlichen Ausstellung auch den kulturhistorischen<br />

Aspekten des Baus nachgegangen wird, fokussiert die Ausstellung mit dem Modell<br />

als zentrales Exponat auf einen besonderen Effekt des Glashauses, den die Kuratorin<br />

Angelika Thiekötter gegenüber einem Journalisten wie folgt fasst: „Es [das Glashaus]<br />

bereichert einfach unser aller Leben. Es ist ein wunderbarer Abglanz des Visionären.“<br />

29 Die Ausstellung will vermitteln, was Paul Scheerbart über Tauts <strong>Architektur</strong>ikone<br />

dichtete: „Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last.“<br />

Wie der Bau, so sollte auch die Ausstellung vor allem ein emotional anrührendes<br />

Erlebnis sein. Ganz so wie es bei zeitgenössischen Berichten über das Glashaus um<br />

7<br />

8<br />

84


individuelle Eindrücke, um Gefühle der den Raum Begehenden ging, will die Ausstellung<br />

vor allem emotional wirken, statt mit Texten, Objektkonstellationen oder<br />

aufwendigen Ausstellungsarchitekturen zu argumentieren. Sie führt damit die Inszenierungen<br />

der 1980er konsequent fort, setzt beim Raumerlebnis aber nicht auf<br />

Inszenierung, sondern auf ein Zusammenspiel von raumgreifender Multimedialität<br />

und beeindruckender Materialität. Denn vor allem das Modell soll in seiner materiellen<br />

Präsenz die Botschaft vermitteln, ja es soll diese selbst sein.<br />

Auch die <strong>Architektur</strong>theorie wird ab den 1990ern zunehmend auf die „schöne und<br />

selbstverständliche Präsenz“ fokussieren, wie sie zum Beispiel Peter Zumthor in<br />

seinen Bauten umzusetzen versucht und in seinen Schriften benennt. 30 Die <strong>Architektur</strong>theoretikerInnen<br />

bemühen sich um die Reflexion ihrer Produktion materialer<br />

Präsenz, die Atmosphären schaffen und emotional wirken soll. Die Ausstellung<br />

macht mit ihrer Ästhetik – wohl nicht zufällig – genau diesen Fokus auf das Zusammenspiel<br />

von Materialität, Medialität und Emotionalität möglich.<br />

Problematisierte<br />

<strong>Architektur</strong><br />

Zusammenfassend lassen sich aus diesem äußerst kursorischen Überblick der Ausstellungsgeschichte<br />

der letzten 60 Jahre einige prägende Typen der Präsentation von<br />

<strong>Architektur</strong> auf Geschichtsausstellungen herausschälen. Seitdem die Museen sich<br />

vom bloßen „Objekt-Herzeigen“ distanzieren, ihre politisch-gesellschaftliche Rolle<br />

aktiv wahrnehmen wollen und beginnen, Ausstellungen mit einer Botschaft zu gestalten,<br />

die ihren Objekten zunächst fremd scheint, lassen sich vor allem drei Präsentationsmodi<br />

von <strong>Architektur</strong> unterscheiden: einerseits die Textbuchpräsentation (gezeigt<br />

anhand der Dauerausstellung im Historischen Museum Frankfurt von 1972);<br />

weiterhin die Inszenierung mit Ausstellungsarchitektur (verdeutlicht an „Berlin, Berlin“<br />

von 1987) und schließlich die Objektzentrierung (gezeigt an „Kristallisationen,<br />

Splitterungen“ von 1993).<br />

Darüber hinaus habe ich versucht, einige Parallelen zwischen dem Präsentationsmodus<br />

und der jeweils zeitgenössischen <strong>Architektur</strong>theorie aufzuzeigen. Erstens die<br />

Problematisierung der visuellen Syntax des Raumes, passend zur textlastigen Präsentation;<br />

zweitens die Theoretisierung des <strong>Architektur</strong>erlebnisses, passend zur musealen<br />

Inszenierung, und drittens der Fokus auf Materialität und Medialität, der auch<br />

die dingzentrierten Präsentationen anleitet, die seit den 1990er Jahren die Ausstellungen<br />

erobern. Obwohl diese Typologie nicht viel mehr als eine Annäherung ist<br />

– und zudem mit allen Schwierigkeiten einer verkürzenden und schematisierenden<br />

Typologie behaftet – liegt die Schlussfolgerung nahe, dass historische Ausstellungen<br />

ein hervorragender Seismograf für neue Denk- und Problematisierungsweisen<br />

85 <strong>Architektur</strong> als Argument


Die Ausstellung von Ideologien<br />

<strong>Architektur</strong> auf der<br />

Biennale von Venedig<br />

(1968–1980)<br />

Léa-Catherine Szacka<br />

Nach den Malern und Filmemachern sind nun auch die Architekten zur Biennale in<br />

Venedig zugelassen worden. Das Echo auf diese erste <strong>Architektur</strong>biennale war Enttäuschung.<br />

Die Aussteller in Venedig bilden eine Avantgarde mit verkehrten Fronten. Unter<br />

dem Motto „Die Gegenwart der Vergangenheit“ opferten sie die Tradition der Moderne,<br />

die einem neuen Historismus Platz macht. 1<br />

Dies beklagte im September 1980 der deutsche Philosoph Jürgen Habermas, als er den<br />

Adorno-Preis der Stadt Frankfurt entgegennahm. Seine öffentliche Äußerung löste in<br />

der Presse eine heftige Polemik aus und verknüpfte, im Zusammenhang mit der Ausstellung,<br />

den architektonischen Diskurs mit der gerade entstehenden philosophischen<br />

Debatte zum Widerspruch von Moderne und Postmoderne.<br />

Die 1980 ausgerichtete (wohl „erste“) 2 <strong>Architektur</strong>biennale von Venedig wird wahrscheinlich<br />

einer der größten kuratorischen Kraftakte in der Geschichte der zeitgenössischen<br />

<strong>Architektur</strong> bleiben: Assistiert von einem internationalen Beratergremium 3 , schuf<br />

Paolo Portoghesi die Ausstellung „Die Gegenwart der Vergangenheit“, die hinsichtlich<br />

der Form, des Diskurses, Inhalts, Ausstellungsortes, Katalogs, Pressematerials und dessen<br />

Verbreitung einen höchst kohärenten Apparat darstellte, der eine Botschaft übermittelte,<br />

die trotz ihrer Vielfältigkeit im Einklang mit den Grundideen der Postmoderne<br />

blieb. Die <strong>Architektur</strong>biennale von 1980 und mehr noch die Strada Novissima schufen<br />

einen Raum, in dem die <strong>Architektur</strong> als Avatar der Postmoderne fungierte ( 1).<br />

106


1 Strada<br />

Novissima in der<br />

Ausstellung „The<br />

Presence of the<br />

Past“, der ersten<br />

<strong>Architektur</strong>ausstellung<br />

der Biennale di<br />

Venezia, 1980. Von<br />

vorne nach hinten:<br />

Fassaden von Josef<br />

Paul Kleihues, Hans<br />

Hollein, Massimo<br />

Scolari und Allan<br />

Greenberg<br />

1<br />

Dennoch möchte ich hier die Behauptung aufstellen 4 , dass diese Ausstellung und ihr<br />

Einfluss auf die <strong>Architektur</strong>szene und weit darüber hinaus nicht als isoliertes Ereignis<br />

gesehen werden kann und sollte, sondern eher als Ende des Anfangs und Anfang des<br />

Endes einer fruchtbaren Periode des Austauschs zwischen Ideologien, Disziplinen<br />

und Kulturinstitutionen.<br />

Im Sommer 1968 wurde die Biennale von Venedig, genau wie wenige Wochen zuvor<br />

die Triennale von Mailand, von Demonstranten angegriffen. Die von dem Maler<br />

Emilio Vedova angeführten Rebellen schlugen vor, die Biennale zu boykottieren, eine<br />

Ausstellung, die in ihren Augen noch immer nach Vorgaben des faschistischen Regimes<br />

operierte und der Kommerzialisierung einer Kunst Raum gab, die hauptsächlich<br />

der Unterhaltung der herrschenden Klasse dienen sollte. 5 Die Biennale wurde wie<br />

viele andere Kulturinstitutionen als zu elitär und fern der täglichen Belange der Bürger<br />

agierend kritisiert ( 2).<br />

107 Die Ausstellung von Ideologien


Was ist <strong>Architektur</strong>?<br />

Modelle in deutschen Ausstellungen<br />

von der Preußischen Akademie<br />

bis zum Bauhaus<br />

Wallis Miller<br />

1<br />

116


1 Ausstellung<br />

internationaler Architekten,<br />

Bauhaus,<br />

Weimar, Sommer<br />

1923, Modelle<br />

am Eingang der<br />

Ausstellung. Links:<br />

Mies van der Rohe:<br />

das Glashochhaus<br />

und das Bürohaus<br />

in Eisenbeton;<br />

rechts: Walter Gropius/Adolf<br />

Meyer:<br />

Modell des Wettbewerbsentwurfs<br />

für den Chicago<br />

Tribune Tower<br />

Die „Internationale <strong>Architektur</strong>ausstellung“ als Teil der Bauhausausstellung 1923<br />

( 1) begann im Flur des ersten Obergeschosses des Instituts, wo der Besucher von<br />

Projektmodellen von Walter Gropius und Mies van der Rohe empfangen wurde.<br />

Mies’ Modelle seines Bürohauses in Eisenbeton und seines Glashochhauses standen<br />

direkt am Treppenabsatz, ihnen gegenüber Gropius’ Gipsmodell seines Wettbewerbsentwurfs<br />

für den Chicago Tribune Tower, im Gegensatz zu Mies’ Modell „im<br />

vollen Licht des Treppenhauses“, wie der Historiker Hans-Jürgen Winkler bemerkt. 1<br />

Zeichnungen und Fotografien von Entwürfen Gropius’ und anderer wurden auf der<br />

Wand dahinter in einer „freien Anordnung“ gezeigt. In zwei weiteren Ausstellungsräumen<br />

fanden sich Exponate von Gropius’ Büro, seinen Kollegen und Studenten<br />

am Bauhaus sowie weitere Arbeiten aus Deutschland (unter anderem Mendelsohn,<br />

Max Taut und Mies) und aus dem Ausland: Holland (zum Beispiel Oud), der Tschechoslowakei<br />

(teilweise zusammengestellt von Karel Teige), Frankreich (zum Beispiel<br />

Le Corbusier), Dänemark (wahrscheinlich Lönberg-Holm) und den USA (zum Beispiel<br />

Frank Lloyd Wright). Darüber hinaus gab es eine Abteilung mit Fotografien von<br />

Industriegebäuden, die Projekte von Peter Behrens und Hans Poelzig neben einer<br />

Auswahl amerikanischer Getreidesilos zeigte. 2 (Die Abteilung basierte wahrscheinlich<br />

auf der Fotoausstellung „Vorbildliche Industriebauten“ von 1911 bis 1914, die<br />

Gropius für Karl-Ernst Osthaus’ Deutsches Museum für Kunst in Industrie und<br />

Handel organisiert hatte.) Die gesamte „Internationale <strong>Architektur</strong>ausstellung“ zeigte<br />

auf Gropius’ ausdrücklichen Wunsch neue Arbeiten und war, gemäß Winkler, „der<br />

erste Sammelpunkt der jungen Kräfte, die sich in der Folge in der Bewegung der<br />

Moderne, des neuen Bauens’ zusammenfinden sollten.“ 3<br />

Die Modelle von Gropius und Mies gaben den Ton für die Ausstellung an, nicht<br />

nur, weil sie offensichtlich eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Architekten<br />

inszenierten, sondern allein schon dank ihrer Prominenz. Eine große perspektivische<br />

Zeichnung der Bauhaussiedlung von Farkas Molnár bildete den Bezugspunkt<br />

für die Bauhausabteilung, während mehrere Modelle Winkler zufolge<br />

„plastische Akzente“ setzten, darunter ein Modell eines Einfamilienhauses für die<br />

Serienherstellung, Molnárs Roter Würfel und eine Reihe von Modellen möglicher<br />

Varianten des Bauhaussiedlungshauses. Ein Modell der Lager- und Ausstellungsgebäude<br />

der Maschinenfabrik Kappe setzte einen entsprechenden Akzent für die<br />

Exponate aus Gropius’ Büro. 4<br />

Modelle in einer <strong>Architektur</strong>ausstellung sind, denke ich, für zeitgenössische Augen<br />

keine Überraschung. Aber ihre Präsenz in der Ausstellung 1923 war etwas Neues und<br />

Teil einer sich herausbildenden Strömung innerhalb und außerhalb Deutschlands,<br />

insbesondere in Ausstellungen der Avantgarde. Oliver Elser erläutert das in seinem<br />

Aufsatz für seine Ausstellung „Das <strong>Architektur</strong>modell – Werkzeug, Fetisch, kleine<br />

Utopie“ im Deutschen <strong>Architektur</strong>museum (25. Mai bis 6. September 2012). Mo-<br />

117 Was ist <strong>Architektur</strong>?


12<br />

12 Christian<br />

Kerez: Verwaltungsgebäude<br />

Swiss Re,<br />

2008<br />

13 Christian<br />

Kerez: Verwaltungsgebäude<br />

Swiss Re,<br />

2008, DAM 2012<br />

13<br />

Weise wird der aufwändige Akt des Modellbaus zur Ersatzhandlung für das eigentliche<br />

Bauen, das Modell zum Ersatz, ja geradezu zum Fetisch: Der Wettbewerb wurde<br />

zwar verloren, doch trotzdem ist ein beeindruckend präsentes Werk entstanden, das<br />

in Ausstellungen alle Blicke auf sich zieht.<br />

Die Peepshow als Kamera<br />

Die Bedeutung der Modellfotografie für die Recherche, die Interpretation und das<br />

Inszenieren von Modellen wurde während der Vorbereitung der Ausstellung zu einem<br />

so wichtigen Thema, dass die Frage auftauchte, ob nicht auch die Besucher die<br />

Möglichkeit erhalten sollten, durch eine Art Kameraauge auf <strong>Architektur</strong>modelle zu<br />

blicken. Als besonders geeignet erschienen dafür solche Modelle, bei denen die Innenraumgestaltung<br />

sehr sorgfältig und detailliert ausgeführt wurde. Angestrebt wurde<br />

der Effekt, dass der Blick in ein Modell durch eine Kameralinse, oder auch nur<br />

durch eine Öffnung, das Gefühl für die tatsächliche Größe des Modells verschleiert.<br />

142


Man sieht nicht das ganze Modell vor sich, sondern nur einen Ausschnitt in Form<br />

eines Einblicks. Der Wunsch, solch eine „Guckkastenperspektive“ zu simulieren,<br />

führte zum Bau der Peepshow: In den Ausstellungsraum wurde eine bewusst roh<br />

belassene Bretterwand eingezogen, die an 16 Stellen mit Löchern durchbohrt war,<br />

die auch an Astlöcher erinnern sollten ( 14, 15). Die Wand war zwar durch eine<br />

Beschriftung als „Peepshow“ gekennzeichnet, aber auch Assoziationen an neugierige<br />

Blicke durch einen Bauzaun oder die Absperrung eines FKK-Bereichs waren durchaus<br />

gewollt. Hinter einem der Löcher war sogar eine Fotografie mit einer – harmlosen<br />

– Pin-Up-Szene angepinnt, ein kleiner Vorgriff auf ein Modell von Herzog & de<br />

Meuron, das zwei Ausstellungsetagen darüber mit demselben Motiv und dem Versprechen<br />

auf einen voyeuristischen Blick in eine Art Puppenhaus spielte. Hinter den<br />

14<br />

14 Peepshow von<br />

vorne, DAM 2012<br />

15 Peepshow von<br />

hinten, DAM 2012<br />

15<br />

143 Verluste, Funde, Fotomodelle und eine Peepshow


7<br />

8<br />

7 <strong>Architektur</strong>sammlung<br />

der<br />

Technischen Hochschule<br />

zu München,<br />

1917<br />

8 Großer<br />

Museumssaal des<br />

Reiff-Museums der<br />

Technischen Hochschule<br />

Aachen,<br />

1910<br />

ren Beitrag das Kunstgewerbemuseum Berlin von Gropius & Schmieden ( 6); in<br />

München präsentierte man neben den Korkmodellen – darunter das des Kolosseums<br />

mit einem Durchmesser von 3,65 Metern – Kapitelle und wertvolle, von der Akademie<br />

übernommene Risse ( 7), während man in Aachen die Kopiensammlung Alter<br />

Meister fokussierte ( 8).<br />

Die skizzierte Medienvielfalt, das Zusammenspiel von historischen, aktuellen wie anwendungsbezogenen<br />

Dimensionen oder die zumindest partielle Etablierung als gesellschaftliche<br />

Institution fand keinen Widerhall in den Fotografien. Dabei bildeten diese<br />

158


9<br />

9 Seitenlichtsaal<br />

des Reiff-Museums<br />

der Technischen<br />

Hochschule Aachen,<br />

zwischen 1910 und<br />

1912<br />

Faktoren die Grundlage für die weitere Entwicklung hin zum Format der Ausstellung.<br />

Während die Lehrsammlungen Dauerausstellungen gleichkamen, die beizeiten um<br />

neue Dingwelten erweitert wurden und ansonsten ein gut geführtes „Depot“ über<br />

Mappen und Schränke ausbildeten, bespielte man nun einen Teil der Räume mit „alle<br />

paar Wochen wechselnd(en) Ausstellungen“. 36 Der Erfolg in Aachen war derart groß,<br />

dass das städtische Museum um Beschränkung der Zugänglichkeiten bat, um die Besuchermassen<br />

wieder in ihre Institution kanalisieren zu können; gleichzeitig war der zur<br />

Verfügung stehende Raum in der TH für Ausstellungen derart beschränkt, dass zuweilen<br />

Teile der Dauerpräsentation kurzerhand mit Tüchern oder Stellwänden abgedeckt<br />

wurden, wodurch diese Sinnschichten zumindest partiell sichtbar und damit präsent<br />

blieben. Ferner praktizierte man eine Hängung, die verschiedene Künstler wie Medien<br />

nicht separat, sondern unmittelbar und dynamisch aufeinander bezogen zeigte ( 9).<br />

Während im oberen Register Kartons von Wilhelm von Kaulbach zum Sintflutzyklus<br />

präsentiert wurden, fanden sich im unteren, mit Stoff bezogenen Register <strong>Architektur</strong>fotografien<br />

sowie Entwürfe, gepaart mit Interieurmalerei und Grafiken. Zum Teil gab<br />

hier die Rahmung die Werkzusammengehörigkeit vor. Den Vorgaben der „Drucksachen-Ausstellung“<br />

(1909) folgend, in der durch die Gegenüberstellung von positiven<br />

wie negativen Beispielen der Versuch unternommen wurde, Qualitätsstandards zu definieren,<br />

fielen die Einladungskarten und Werbeprospekte – etwa für die „Ausstellung<br />

für Kleinwohnungs-Bau“ (1913) – recht wertig aus ( 10).<br />

Die Idee, Wechselausstellungen in der <strong>Architektur</strong>abteilung zu veranstalten, reiht<br />

sich ein in die Entwicklungslinie der sich im 19. Jahrhundert formierenden Ge-<br />

159 Vom Stand- aufs Spielbein


Autoren<br />

Chris Dähne<br />

Chris Dähne ist seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der<br />

Professur <strong>Architektur</strong>geschichte am Kunstgeschichtlichen Institut<br />

der Goethe-Universität Frankfurt am Main, von 2005 bis 2013 am<br />

Lehrstuhl für Theorie und Geschichte der modernen <strong>Architektur</strong> an<br />

der Bauhaus-Universität Weimar. 2012 Gastwissenschaftlerin an der<br />

Waseda University Tokyo. Sie war Stipendiatin der Thüringer Graduiertenförderung<br />

und promovierte 2010 am Institute of History of<br />

Art, Architecture and Urbanism (IHAAU) der Delft University of<br />

Technology mit einer Arbeit über die Stadtsinfonien der 1920er Jahre.<br />

<strong>Architektur</strong> zwischen Film, Fotografie und Literatur. Nach dem Studium<br />

der Innenarchitektur (Hochschule Darmstadt) und <strong>Architektur</strong><br />

(TU Delft) 2003/04 ist sie als Architektin in Darmstadt und Lehrbeauftragte<br />

in Delft und Darmstadt tätig. Ihre Forschungsinteressen<br />

umfassen <strong>Architektur</strong>geschichte und -theorie, experimentelle Raumkonzepte<br />

und die Medien der <strong>Architektur</strong>, insbesondere Film.<br />

Martina Dlugaiczyk<br />

Studium der Kunstwissenschaft, Geschichte sowie Politologie, Graduiertenförderung<br />

des Landes Hessens, 2001 Promotion an der Universität<br />

Kassel mit einer Dissertation über die politische Ikonografie des<br />

Waffenstillstandes von 1609. Von 2001 bis 2006 freie Mitarbeit in Museen<br />

und Printmedien; Lehrtätigkeiten an den Universitäten Aachen,<br />

Düsseldorf und Kassel. Von 2003 bis 2006 Vertretung der Assistenz am<br />

Institut für Kunstgeschichte, RWTH Aachen, 2007 bis 2012 ebenda<br />

wissenschaftliche Assistentin und Kuratorin a.Z. des Reiff-Museums;<br />

2009 bis 2012 Postdoc-Stipendiatin der Exzellenzinitiative des Bundes<br />

und der Länder. Von 2012 bis 2016 wissenschaftliche Mitarbeit<br />

im ERC-Forschungsprojekt artifex, Trier. Von 2013 bis 2015 Lehrbeauftragte,<br />

FB III Kunstgeschichte, Universität Trier. Seit 2013 freie kuratorische<br />

Mitarbeiterin im Bereich Ausstellungen (Gasometer, Oberhausen).<br />

164


Oliver Elser<br />

Oliver Elser ist seit 2007 Kurator am Deutschen <strong>Architektur</strong>museum in Frankfurt<br />

am Main. Er studierte <strong>Architektur</strong> in Berlin und arbeitete von 2003 bis 2007 in<br />

Wien als <strong>Architektur</strong>kritiker und Journalist. Seit 1999 entstand das Projekt Sondermodelle<br />

(mit Oliver Croy), das 2013 auf der Biennale di Venezia in Massimiliano<br />

Gionis Ausstellung „Il Palazzo Enciclopedico“ gezeigt wurde. 2012/13 war Elser<br />

Vertretungsprofessor für Szenografie an der Fachhochschule Mainz. Zahlreiche Veröffentlichungen<br />

in Büchern, Magazinen und Zeitungen (u. a. Frankfurter Allgemeine<br />

Zeitung, Bauwelt, frieze d/e, uncube). Ausstellungen u. a.: „Mission Postmodern.<br />

Heinrich Klotz und die Wunderkammer“, DAM, 2014; „Das <strong>Architektur</strong>modell.<br />

Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie“, 2012; „Simon Ungers. Heavy Metal“, 2008;<br />

„Wohnmodelle“, 2008.<br />

Eva Maria Froschauer<br />

Studium der <strong>Architektur</strong> an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung<br />

in Linz sowie Nachdiplomstudium an der ETH Zürich, Institut für Geschichte<br />

und Theorie der <strong>Architektur</strong>. Danach Berufstätigkeit als freie Autorin; von 2001 bis<br />

2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar, dort 2008<br />

Promotion im Fach <strong>Architektur</strong>geschichte; Lehraufträge u. a. an der Universität der<br />

Künste Berlin. Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Brandenburgischen<br />

Technischen Universität Cottbus-Senftenberg; zunächst am Lehrstuhl Theorie der<br />

<strong>Architektur</strong> und Redaktionsbüro der Zeitschrift Wolkenkuckucksheim und seit 2013<br />

am Lehrstuhl für Kunstgeschichte. 2011/12 Research Fellow am Internationalen<br />

Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar (IKKM) im<br />

Rahmen des Programms „Werkzeuge des Entwerfens“. Gründung und Vorstand des<br />

Netzwerk <strong>Architektur</strong>wissenschaft e. V.<br />

165 Autoren


Wallis Miller<br />

Wallis Miller ist Professorin für <strong>Architektur</strong>geschichte an der University of Kentucky<br />

(USA) mit den Schwerpunkten Moderne <strong>Architektur</strong> und <strong>Architektur</strong>ausstellungen<br />

und Museen. „Schinkel’s Museums“, „Popularity Contexts: Architecture Exhibitions<br />

in 19th Century Germany“ und „Mies und die Ausstellungen“ sind einige ihrer Veröffentlichungen.<br />

Ihr neuestes Forschungsprojekt, Architecture on Display: Exhibitions,<br />

Museums, and the Emergence of Modernism in Germany, ist ein Buch über den Beitrag<br />

des Ausstellens zum Begriff der modernen <strong>Architektur</strong> in Deutschland während des<br />

19. und 20. Jahrhunderts. Miller ist Gastwissenschaftlerin in mehreren Forschungsgruppen<br />

an der Oslo School of Architecture in Norwegen.<br />

Margareth Otti<br />

Margareth Otti, Studium der <strong>Architektur</strong> und Kunstgeschichte in Graz, Brüssel und<br />

Rotterdam, arbeitet als Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin. Schwerpunkte: Theorie<br />

und Geschichte von Ausstellungen, <strong>Architektur</strong>fotografie, Museen und Ausstellungen<br />

als Orte der Identitätskonstruktion, <strong>Architektur</strong> und Kunst des 20./21. Jahrhunderts,<br />

Ausstellungs- und <strong>Architektur</strong>kritik. Gastkuratorin an der Chicago<br />

Architecture Foundation, USA (2010), Kuratorin und Leiterin der Ausstellungsabteilung<br />

im Stadtmuseum Graz (2005–2010) und Kuratorin für <strong>Architektur</strong>, Mode<br />

und Design im Forum Stadtpark Graz (2002–2005). Dissertation zu „Architecture<br />

& Display. On Changes in Curating Architecture since Modernism“. Lehrbeauftragte<br />

am Institut für <strong>Architektur</strong>theorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der Technischen<br />

Universität Graz.<br />

166


Theres Sophie Rohde<br />

Theres Sophie Rohde studierte Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar<br />

und der Università degli Studi di Modena e Reggio Emilia. Sie war 2009/10 am<br />

Bauhaus.TransferzentrumDESIGN und der Bauhaus-Universität Weimar im Bereich<br />

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig und leitete den Bauhaus-Spaziergang.<br />

Von 2011 bis 2013 war sie Stipendiatin am DFG-Graduiertenkolleg „Mediale Historiographien“<br />

mit einem Promotionsprojekt zum Thema „Die Bau-Ausstellung zu<br />

Beginn des 20. Jahrhunderts oder ‚Die Schwierigkeit zu wohnen‘“. In diesem Rahmen<br />

veröffentlichte sie Beiträge zu den Ausstellungsarchitekturen Ludwig Mies van<br />

der Rohes, zu Hand- und Warenbüchern sowie zu Bauausstellungen der 1920er und<br />

1930er Jahre. Zudem brachte sie einen Band zu Henry van de Veldes Kunstschulbauten<br />

in Weimar heraus. Die Promotion erfolgte 2015. Seit 2014 ist sie wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin am Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt, für das sie zuletzt<br />

die Ausstellung „rething! Designobjekte im Wertewandel“ kuratierte.<br />

Carsten Ruhl<br />

Carsten Ruhl ist seit 2013 Professor für <strong>Architektur</strong>geschichte am Kunsthistorischen<br />

Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zwischen 2010 und 2013 war<br />

er Professor für Geschichte und Theorie der Modernen <strong>Architektur</strong> an der Bauhaus-<br />

Universität Weimar und von 2003 bis 2010 Juniorprofessor am Kunstgeschichtlichen<br />

Institut der Ruhr-Universität Bochum. Zwischen 1998 und 2008 erhielt er für seine<br />

Forschungen Stipendien der Gerda-Henkel-Stiftung, des DAAD (Royal Institute of<br />

British Architects, London) sowie des Getty Research Institute, Los Angeles. 2009<br />

war er Gastprofessor der School of Art History and Cultural Policy am University<br />

College Dublin. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die <strong>Architektur</strong>geschichte<br />

des 18. bis 21. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung theoretischer und<br />

medialer Fragestellungen.<br />

167 Autoren


Mario Schulze<br />

Mario Schulze ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Exzellenzcluster „Bild Wissen<br />

Gestaltung“ der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort forscht er im Basisprojekt<br />

„Mobile Objekte“ zur Geschichte und Theorie von Museumsausstellungen. An der<br />

Universität Leipzig hat er Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie studiert.<br />

Während seines Studiums arbeitete er unter anderem am Holocaust Center in San<br />

Francisco, bei der Römerstadt von Basel „Augusta Raurica“, am Zeitgeschichtlichen<br />

Forum in Leipzig und beim German Historical Institute in London. 2015 hat er<br />

seine Doktorarbeit zur „Geschichte des Museumsobjektes (1968–2000)“ im Fach<br />

Kulturanalyse an der Universität Zürich eingereicht. Als Doktorand hatte er Residencies<br />

an der Museumsakademie des Joanneums in Graz und Lehraufträge an der<br />

Humboldt-Universität Berlin (zusammen mit Christian Vogel sowie mit Anke te<br />

Heesen), der Universität Zürich und der Goethe-Universität Frankfurt am Main.<br />

Léa-Catherine Szacka<br />

Léa-Catherine Szacka lebt als Architektin, <strong>Architektur</strong>historikerin und Autorin in<br />

Paris und Oslo. Nach einem <strong>Architektur</strong>studium in Montreal und Venedig promovierte<br />

sie an der Bartlett School of Architecture in <strong>Architektur</strong>geschichte und -theorie<br />

mit einer Dissertation zur Geschichte der <strong>Architektur</strong>-Biennale Venedig 1980<br />

(erscheint 2016 bei Ashgate). Szacka hat umfassend zur <strong>Architektur</strong> der Postmoderne<br />

veröffentlicht (V&A Katalog zu Style and Subversion, AD, Arch+ 216) und<br />

gemeinsam mit Charles Jencks und Eva Branscome die 2011 erschienene Neuauflage<br />

von The Postmodern Reader herausgegeben. Neben ihren Untersuchungen zur<br />

Postmoderne befasst sie sich mit der Geschichte von <strong>Architektur</strong>ausstellungen. Zu<br />

diesem Thema hat sie für drei Sonderausgaben der Zeitschriften Log20, OASE88<br />

und Les Cahiers du MNAM 129 und für den Sammelband Exhibiting Architecture<br />

Beiträge geschrieben sowie Anfang 2014 ein Symposium im Centre Georges Pompidou<br />

organisiert. Momentan hat Szacka einen Lehrauftrag an der <strong>Architektur</strong>- und<br />

Designhochschule Oslo (AHO).<br />

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