Zimzum Issue 1
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G E D A N K E N<br />
Ü B E R D A S<br />
S C H W E I G E N<br />
V O N<br />
O R T E N ,<br />
D I E<br />
einseitige Hinwendung zum<br />
Holocaust, zur nationalsozialistischen<br />
Vernichtungsmaschinerie und ihren<br />
zahllosen Opfern, nicht wiederum den<br />
Blick verstellt auf das Leben der<br />
Menschen und ihrer Kultur, also zu<br />
einer zweiten Auslöschung führen<br />
kann.<br />
Die großen Gedenkstätten sind keine<br />
Orte des Schweigens, des<br />
Verschweigens und keine Leerstellen<br />
per se, auch wenn vieles was Menschen<br />
an diesen Orten geschah für immer im<br />
Dunkeln bleiben muss.<br />
Es sind symbolisch aufgeladene Orte,<br />
Orte, die das staatlich verordnete<br />
völlige Außerkraftsetzen von jeglichen<br />
moralischen Schranken, wie es z.B.<br />
und in gnadenloser Konsequenz im<br />
Nationalsozialistischen Staat geschah,<br />
symbolisieren. Orte, an denen der<br />
Opfer gedacht wird, wie unvermögend<br />
auch immer. In ihrem fast<br />
unvorstellbaren Grauen stehen sie aber<br />
nur für einen Endpunkt in der<br />
Entwicklung dieser totalitären<br />
Diktatur, deren gewalttätige Anfänge<br />
ganz klein in Form von alltäglichen<br />
Ausgrenzungen begannen. An<br />
unzähligen Orten, die von sich aus<br />
nichts erzählen, wurde Unrecht zu<br />
Recht gebogen, wurde Menschen<br />
Gewalt angetan, mussten Menschen,<br />
immer die „Anderen“, leiden und<br />
sterben. Und das nicht nur in dieser<br />
Zeit, mit der wir uns hier<br />
beschäftigen.<br />
Ö<br />
sterreich ist schön. Krems ist<br />
schön. Die Umgebung von<br />
Krems ist schön...* Schon als ich das<br />
erste Mal nach Krems kam, ich glaube<br />
es war mit Verwandten aus<br />
Niederösterreich in den frühen 1970er<br />
Jahren, und auch später dann, von<br />
Wien aus, war ich immer wieder<br />
begeistert von der Schönheit der Stadt,<br />
der historischen Architektur, der<br />
schönen Lage als Tor zur Wachau, dem<br />
Blick auf das mächtige Stift Göttweig,<br />
die Donau, die umgebenden<br />
Weinberge. Die Menschen waren<br />
freundlich, ich kam immer gerne<br />
hierher. Das hat sich nicht geändert,<br />
seitdem ich täglich von Wien nach<br />
Krems fahre um als Kurator in der<br />
Kunsthalle Krems zu arbeiten. Die<br />
Kunsthalle, die unlängst frisch<br />
renoviert wiedereröffnet wurde, ist<br />
seit über 20 Jahren ein Ort für die<br />
Auseinandersetzung mit<br />
zeitgenössischer Kunst. Das Gebäude,<br />
eine alte Tabakmanufaktur aus dem<br />
Jahr 1852, in den 1990er Jahren von<br />
Adolf Krischanitz umgebaut,<br />
verströmt auch heute noch den<br />
Charme von Industriegebäuden des<br />
19. Jahrhunderts. Ein Ort also der<br />
Kunst und der Schönheit? Lässt man<br />
einmal die sicher unwürdigen<br />
E I N M A L<br />
T A T O R T E<br />
W A R E N<br />
Festhalten, Erinnern, Mahnen, Bezeichnen, Reden?<br />
Andreas Hoffer<br />
Arbeitsbedingungen in einer<br />
Manufaktur des 19. Jahrhunderts<br />
außer Acht, bleibt die Verstrickung des<br />
Ortes und seiner handelnden Personen<br />
mit und in der Zeit des<br />
Nationalsozialismus. Wie viele andere<br />
Orte in Krems (und natürlich nicht<br />
nur hier!) waren auch die Tabakfabrik<br />
und jetzige Kunsthalle und andere<br />
Orte der Kunstmeile in der Zeit des 2.<br />
Weltkrieges Orte, die nicht unbelastet<br />
sind, seitdem hier auch<br />
Zwangsarbeiter/innen arbeiten<br />
mussten - diesen Teil ihrer Geschichte<br />
geben die Gebäude allerdings nicht<br />
preis. Laut mündlicher Information<br />
von Zeitzeugeninterviews, die der<br />
Historiker Robert Streibel geführt hat,<br />
haben in der ehemaligen Tabakfabrik,<br />
als dort gegen Ende des 2. Weltkrieges<br />
Maschinenteile gebaut wurden,<br />
sogenannte Fremdarbeiter gearbeitet.<br />
Außerdem war auf dem Gelände der<br />
ehemaligen Teppichfabrik Eybl, wo<br />
sich jetzt die Studios der Artist in<br />
Residence Künstler/innen, das<br />
Literaturhaus, das Atelier der<br />
Kunstmeile und andere kulturelle<br />
Einrichtungen befinden, ein<br />
Zwangsarbeiterlager mit einer<br />
Wiederverwendungsproduktion von<br />
Patronenhülsen.<br />
Als Deutscher der frühen<br />
Nachkriegsgeneration bin ich es ja<br />
eigentlich gewohnt dem trügerischen<br />
Glanz der Schönheit oder Normalität<br />
von Orten zu misstrauen, zu sehr sind<br />
sie spätestens seit der Zeit von 1933<br />
bis 1945, der Zeit des<br />
Nationalsozialismus, ihrer<br />
vordergründigen Unschuld beraubt. In<br />
meiner Schul- und Studienzeit war ich<br />
ständig mit der jüngsten deutschen<br />
Geschichte und ihren Folgen<br />
konfrontiert. Ich sah in der nahen<br />
norddeutschen Umgebung einige<br />
Gelände, manchmal eine Weide oder<br />
Blumenwiese, manchmal als<br />
Bundeswehr Kaserne oder<br />
Firmengelände genutzt, die vor 1945<br />
kleine Außenlager von sogenannten<br />
Konzentrationslagern, oder<br />
Zwangsarbeiterlager waren.<br />
Wenn wir so etwas erfuhren, dann<br />
war ich fassungslos und schockiert<br />
und empört, dass diese Orte -<br />
insbesondere erinnere ich mich an ein<br />
ehemaliges Arbeitslager, dass von der<br />
Bundeswehr genutzt wurde - so<br />
normal waren, wie jeder andere Ort<br />
auch. Nichts wies auf die Gewalt und<br />
den Schrecken hin, die hier einmal<br />
geherrscht hatten, es waren<br />
schweigende Orte. Dass hier Tatorte<br />
waren, dass dort Unrecht geschah - es<br />
war nicht zu erkennen. Die<br />
jugendliche Empörung darüber hatte<br />
natürlich in der Rückschau auch etwas<br />
Pubertäres und war wohl auch von<br />
Selbstgerechtigkeit bestimmt, aber das<br />
war meine erste persönliche Erfahrung<br />
mit dem Verschweigen. Aus der<br />
jugendlichen Empörung wuchs<br />
immerhin Interesse, Neugier: Was war<br />
da noch? Welcher Idylle kann ich<br />
noch trauen und wie war es mit den<br />
eigenen Eltern, Verwandten,<br />
Nachbarn? Da blieben viele Fragen<br />
offen, oft auch ungefragt.<br />
Es folgten fast manisch Besuche von<br />
Gedenkstätten, zum Beispiel<br />
ehemaligen Konzentrationslagern,<br />
sowie das fast gierige Verschlingen von<br />
kritischer Literatur zur Zeit des<br />
Nationalsozialismus, von Biografien,<br />
der Auseinandersetzung mit der<br />
jüdischen Religion. In der Rückschau<br />
hatte auch diese Phase meiner Jugend<br />
etwas sehr Deutsches, Gründliches,<br />
eigentümlich Fokussiertes an sich -<br />
vielleicht ein mögliches, typisches<br />
Verhalten als Sohn von Tätern und<br />
Mitläufern?<br />
Die Besuche von ehemaligen Lagern,<br />
Vernichtungslagern, Gedenkstätten<br />
haben bei mir neben dem Schrecken,<br />
dem Grauen und nächtlichen<br />
Albträumen oft auch eine gewisse<br />
Ratlosigkeit erzeugt - auch angesichts<br />
von Menschenmassen, die dorthin<br />
fuhren und irgendwie fast wie bei<br />
einer Touristenattraktion<br />
„durchgeschleust“ wurden. Daraus<br />
entwickelten sich später, als ich schon<br />
Kulturvermittler in Wien war, ganz<br />
grundsätzliche Fragen des Vermittelns.<br />
Wie geht man wirklich mit einem<br />
solchen Tatort um? Welche Form und<br />
welchen Inhalt gibt man einer<br />
sogenannten Gedenkstätte - mahnend,<br />
pathetisch, analysierend, informativ?<br />
Wer spricht dort? Aus welcher<br />
Perspektive wird erzählt? Will man<br />
emotionale Reaktionen oder soll eher<br />
kognitiv vermittelt werden? Was kann<br />
so ein Gedenkort leisten? Was<br />
bewirken Texte, Fotos, Filme bei den<br />
Besucher/innen? Was erreicht einen<br />
Menschen wirklich? Was könnte dazu<br />
führen das eigene Denken und<br />
Handeln vielleicht zu beeinflussen,<br />
selber weiter Fragen zu stellen abseits<br />
von kurzfristiger Erschütterung. Es<br />
gibt dazu ja viele divergierenden<br />
Theorien, bis hin zur Frage, ob die<br />
Wie tiefgreifend eine Diktatur in der<br />
Lage ist, in das Leben einzugreifen,<br />
Moral außer Kraft zu setzen, Gewalt<br />
zu forcieren und damit alle Bereiche<br />
des persönlichen Lebens verformt und<br />
darin eingreift, wird nur deutlich,<br />
wenn man erfährt, wie alltäglich und<br />
„normal“ Terror gegen die „Anderen“<br />
in einer Diktatur wird. Und das genau<br />
dort, wo man lebt oder arbeitet, an<br />
diesen Orten des normalen<br />
alltäglichen Lebens heute, wo Terror,<br />
Gewalt und unwürdiges Leben einmal<br />
alltäglich waren.<br />
Dass wir uns dessen bewusst werden<br />
und nicht der „endlosen<br />
Unschuldigkeit“, wie Elfriede Jelinek<br />
es genannt hat, anheimfallen, dafür ist<br />
es notwendig, dass es Menschen gibt<br />
wie die Künstlerin Hadas Tapouchi,<br />
die in Zentraleuropa Orte<br />
recherchiert, an denen im Zweiten<br />
Weltkrieg Zwangsarbeiter arbeiten<br />
mussten und diese heute „normalen“<br />
Orte fotografiert und kartographiert,<br />
um auf sie aufmerksam zu machen.<br />
Als Gastkünstlerin bei AIR - Artist in<br />
Residence in Krems hat sie dieses<br />
Projekt vor Ort weitergeführt. Der<br />
Historiker Robert Streibel, der schon<br />
viele Jahre über die Zeit des<br />
Nationalsozialismus in Österreich und<br />
speziell auch in Krems forscht und<br />
gegen das Verschweigen arbeitet hat<br />
die Künstlerin, dabei sehr unterstützt<br />
und viele Informationen zu belasteten<br />
Orten in Krems und Umgebung<br />
gegeben. Diese heute von alltäglicher<br />
Normalität geprägten Orte hat<br />
Tapouchi fotografiert. So kann uns<br />
Geschichte verdammt nah kommen,<br />
die Schichten unter der Normalität,<br />
der Idylle können zum Vorschein<br />
kommen. Dazu bedarf es vielleicht<br />
keiner Gedenkstätte, keiner Plakette<br />
oder keines Stolpersteins. Sehr wohl<br />
aber kann durch solche Projekte das<br />
Bewusstsein für unsere Geschichte<br />
geschärft werden und die Bereitschaft,<br />
darüber nachzudenken und zu reden.<br />
Denn mehr noch durch das Sprechen<br />
als durch das Schreiben kann<br />
Geschichte, können Menschen und<br />
ihre Schicksale lebendig bleiben, das<br />
Schweigen der Orte gebrochen<br />
werden.<br />
So scheint es auch gut, dass wir uns<br />
dessen bewusst sind, dass die<br />
Kunstmeile Krems, dieser wunderbare<br />
Ort, wo Kunst vielfältig erlebbar wird,<br />
in seiner Geschichte auch ein Ort war,<br />
an dem Zwangsarbeit geleistet werden<br />
musste.<br />
Andreas Hoffer ist Kurator in der<br />
Kunsthalle Krems und von AIR - Artist<br />
in Residence. Hoffer, in Deutschland<br />
geboren, lebt seit 1989 in Wien und<br />
arbeitet dort als Kurator und<br />
Kulturvermittler.