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Walter Schels. trans* | Magazin (Blick ins Buch)

Über mehrere Jahre begleitete Walter Schels junge Menschen, die sich als Mädchen empfinden, aber in einem Jungenkörper geboren wurden und umgekehrt. Schels' Porträts machen den schwierigen Prozess des Einswerdens mit sich selbst sichtbar. In Interviews berichten die Transmädchen und Jungen von Selbstablehnung und Selbstfindung, von Solidarität und Ausgrenzung, Freundschaft und Mobbing, von Erfahrungen mit Eltern, Geschwistern und der ersten Liebe. Redaktion: Beate Lakotta Sprachen: Deutsch, Englisch Format: 22,5 x 28 cm Hochwertiger Schwarzweiß-Digitaldruck auf Volumenpapier Softcover, Fadenbindung 104 Seiten

Über mehrere Jahre begleitete Walter Schels junge Menschen, die sich als Mädchen empfinden, aber in einem Jungenkörper geboren wurden und umgekehrt. Schels' Porträts machen den schwierigen Prozess des Einswerdens mit sich selbst sichtbar.

In Interviews berichten die Transmädchen und Jungen von Selbstablehnung und Selbstfindung, von Solidarität und Ausgrenzung, Freundschaft und Mobbing, von Erfahrungen mit Eltern, Geschwistern und der ersten Liebe.

Redaktion: Beate Lakotta

Sprachen: Deutsch, Englisch
Format: 22,5 x 28 cm
Hochwertiger Schwarzweiß-Digitaldruck auf Volumenpapier
Softcover, Fadenbindung
104 Seiten

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WALTER<br />

SCHELS<br />

<strong>trans*</strong>


WALTER<br />

SCHELS<br />

<strong>trans*</strong><br />

Redaktion: Beate Lakotta


DANK<br />

THANKS<br />

Ohne Alessio, Ben B., Ben H., Ben M., Felix, Fynn, Gabriel,<br />

Henriette und Antonia, Jana, Lenni und Luca, Leo, Leonie,<br />

Lias, Linn, Liv und Sören, Luna, Magnus, Maik, Marie, Maxine,<br />

Ole, Noah und Lies, Sofia und Tobias wäre dieses Projekt<br />

nicht zustande gekommen. Jede Begegnung mit ihnen war<br />

ein Geschenk. Wir danken ihnen und auch ihren Eltern,<br />

Geschwistern und Freunden, die sie zu den Porträtterminen<br />

begleiteten – und mit deren Erfahrungen man ein eigenes<br />

<strong>Buch</strong> füllen könnte. Saskia Fahrenkrug vom Universitätsklinikum<br />

Hamburg-Eppendorf hat uns an ihren Erkenntnissen<br />

aus der langjährigen Begleitung von Transjugendlichen teilhaben<br />

lassen. Freddy Kornfeld verdanken wir den Anstoß,<br />

das gesammelte Material als Ausstellung und Publikation in<br />

Form zu bringen. Danken möchten wir nicht zuletzt Achim<br />

Wüsthof, auf dessen Initiative und E<strong>ins</strong>atz das trans * - Projekt<br />

zurückgeht.<br />

Without the generosity of Alessio, Ben B., Ben H., Ben M.,<br />

Felix, Fynn, Gabriel, Henriette and Antonia, Jana, Lenni and<br />

Luca, Leo, Leonie, Lias, Linn, Liv and Sören, Luna, Magnus,<br />

Maik, Marie, Maxine, Ole, Noah and Lies, Sofia and Tobias<br />

this project would never have got off the ground. Every encounter<br />

with them was a gift. We thank them and also their<br />

parents, siblings and friends who accompanied them to the<br />

portrait sessions – and whose experiences could fill a book.<br />

Saskia Fahrenkrug from the University Medical Center<br />

Hamburg-Eppendorf shared with us her <strong>ins</strong>ights from many<br />

years of accompanying trans youth. We owe a debt of gratitude<br />

to Freddy Kornfeld for suggesting that the material<br />

should be compiled in an exhibition and a book. Last but<br />

not least, we would like to thank Achim Wüsthof, whose<br />

initiative and commitment have been <strong>ins</strong>trumental in shaping<br />

the trans * project.<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> und Beate Lakotta<br />

3


INHALT CONTENTS<br />

06<br />

14<br />

16<br />

18<br />

20<br />

24<br />

28<br />

30<br />

32<br />

34<br />

36<br />

38<br />

40<br />

42<br />

44<br />

46<br />

48<br />

50<br />

52<br />

54<br />

56<br />

58<br />

60<br />

62<br />

64<br />

66<br />

69<br />

96<br />

103<br />

Subtile Metamorphosen | Subtle Metamorphoses<br />

Ole<br />

Tobias<br />

Ben M.<br />

Jana<br />

Lias<br />

Fynn<br />

Linn<br />

Marie<br />

Maik<br />

Ben H.<br />

Ben B.<br />

Lenni und Luca<br />

Henriette und Antonia<br />

Noah und Lies<br />

Liv und Sören<br />

Gabriel<br />

Maxine<br />

Leo<br />

Felix<br />

Sofia<br />

Alessio<br />

Luna<br />

Leonie<br />

Magnus<br />

Magnus, Liv<br />

<strong>trans*</strong> – die Interviews | <strong>trans*</strong>– the interviews<br />

Vom Weg zum Leben im richtigen Körper – und wie die Medizin dabei helfen kann<br />

The path to life in the right body – and how medicine can help young people<br />

über <strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> | about <strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong><br />

5


SUBTILE METAMORPHOSEN<br />

In seiner Langzeitstudie <strong>trans*</strong> zeigt <strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> den Prozess des E<strong>ins</strong>werdens<br />

mit sich selbst. Von Beate Lakotta<br />

Leonie war das erste Transmädchen, das <strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> im Herbst<br />

2013 in seinem Studio besuchte. Sie war in Begleitung ihrer Mutter<br />

gekommen, es war frühabends, wir saßen zusammen am<br />

großen Tisch, <strong>Walter</strong> servierte Kaffee und Kekse. Es ging darum,<br />

sich gegenseitig kennenzulernen, ein Gefühl füreinander zu<br />

bekommen. Zuvor hatte ein geme<strong>ins</strong>amer Freund, ein Arzt,<br />

<strong>Walter</strong> gefragt, ob er Lust habe, die Entwicklung einiger seiner<br />

Patienten zu dokumentieren. Als Hormonexperte behandelt der<br />

Freund seit vielen Jahren transsexuelle Jugendliche. Jungen, die<br />

als anatomisches Mädchen zur Welt gekommen sind, und Mädchen<br />

wie Leonie, die als anatomische Jungen geboren sind. Er<br />

hilft ihnen, ihren Körper ihrem als richtig empfundenen Geschlecht<br />

anzugleichen.<br />

Was der Arzt erzählte, weckte unsere Neugier. <strong>Walter</strong>, der<br />

Porträtanfragen aller Art seit vielen Jahren fast immer ablehnt,<br />

wollte sich auf dieses Langzeitprojekt einlassen. Die Idee war,<br />

die Transformation vom anatomisch angeborenen zum »richtigen«<br />

Geschlecht in bestimmten Zeitabständen fotografisch festzuhalten.<br />

Die Jugendlichen, die aus ganz Deutschland mit ihren<br />

Eltern zu ihrem Endokrinologen nach Hamburg anreisten, würden<br />

fortan den Arzttermin mit dem Besuch beim Fotografen<br />

verbinden, so war es gedacht. Natürlich würden die Eltern beim<br />

Fotografieren dabei sein und müssten auch ihr Einverständnis<br />

geben, schließlich sind alle Porträtierten anfangs minderjährig.<br />

Wenig später stand Leonie, damals 14 Jahre alt und körperlich<br />

noch zu hundert Prozent männlich, zum ersten Mal vor<br />

<strong>Walter</strong>s Kamera. Zunächst machte <strong>Walter</strong> seine charakteristischen<br />

Porträts – schwarzweiß, Mittelformat, en face, direkter<br />

<strong>Blick</strong>, wenig Mimik. Danach überließ er Leonie die Regie. Leonie<br />

strahlte selbstbewusst in die Kamera, verwuschelte ihre Korkenzieherlocken,<br />

probierte Posen aus, von niedlich bis Drama<br />

Queen. Ihr damaliger, altersangemessener Berufswunsch:<br />

Schauspielerin oder Model. Als Leonie und ihre Mutter wieder<br />

gegangen waren, blieben <strong>Walter</strong> und ich verblüfft zurück. Hätten<br />

wir Leonie getroffen, ohne ihre Geschichte zu kennen, niemals<br />

wären wir auf die Idee gekommen, dass sie etwas anderes<br />

sein könnte als – ein Mädchen.<br />

Mittlerweile umfasst die Serie Porträts von fast 30 Transmädchen<br />

und -jungen. Die jüngste Teilnehmerin war zum Zeitpunkt<br />

der ersten Aufnahme elf Jahre alt, der Älteste, Lias, ist heute 23.<br />

Ben, Leonie, Felix, Fynn, Sofia, Marie –<br />

sie wirken alle vollkommen authentisch<br />

Der Moment der Verblüffung bei der ersten Begegnung ist gleich<br />

geblieben: Ben, Leonie, Felix, Fynn, Sofia, Marie – sie alle wirken<br />

völlig authentisch. Kleidung, Körpersprache, Redeweise. Transmädchen<br />

legen mädchenhaft den Kopf schräg, Transjungen<br />

stellen sich erst mal mit verschränkten Armen vor die Kamera.<br />

Es ist, in formaler H<strong>ins</strong>icht, eine konservative Fotografie:<br />

Mädchengesichter, Jungengesichter, die ohne zu lächeln in die<br />

Kamera schauen. Ein gleichmäßiges, flaches Licht, das den Charakter<br />

dieser Serie bestimmt – wie den der meisten Serien, die<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> fotografiert hat. Was soll also das Besondere an<br />

diesen Bildern sein? Die meisten Betrachter sind zunächst ratlos.<br />

Erst wenn sie erfahren, was sich hinter den Porträts verbirgt,<br />

sind sie überrascht, irritiert und anschließend oft berührt. Viele<br />

fragen nach der »Vorher-nachher-Systematik« in der Serie. Sie<br />

erwarten, dass die Entwicklung von einem Geschlecht zum anderen<br />

in der äußeren Erscheinung klar erkennbar sein müsse.<br />

6


SUBTLE METAMORPHOSES<br />

In his long-term study <strong>trans*</strong>, <strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> shows the process of becoming one with oneself.<br />

By Beate Lakotta<br />

Leonie was the first transgirl to visit<strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> in his studio.<br />

In the fall of 2013, she came accompanied by her mother; it was<br />

early evening and we sat together at the big table. <strong>Walter</strong> served<br />

coffee and cookies. The objective was to get to know each other,<br />

to get a feel for each other. Earlier, a mutual friend, a doctor, had<br />

asked <strong>Walter</strong> if he would like to document the development of<br />

some of his patients. The renowned hormone expert has been<br />

treating transgender teenagers for many years. Boys who were<br />

born in the body of girls, and girls like Leonie who were born as<br />

boys. He helps them align their bodies with their perceived gender<br />

identity.<br />

What the doctor told us sparked our curiosity. <strong>Walter</strong>, who<br />

has almost consistently turned down portrait requests of all<br />

kinds for many years, wanted to get involved in this long-term<br />

project. The idea was, at specific intervals, to photographically<br />

record the transformation from the gender at birth to the “correct”<br />

gender. The young people, who traveled from all over<br />

Germany with their parents to see the endocrinologist in Hamburg,<br />

would now combine their doctor’s appointment with a<br />

visit to the photographer, or at least that was the idea. Of course,<br />

the parents would be present when the photos were taken and<br />

would also have to give their consent, because all those portrayed<br />

were initially minors.<br />

A little later, Leonie, then 14 years old and physically still<br />

one hundred percent male, stood in front of <strong>Walter</strong>’s camera<br />

for the first time. At first <strong>Walter</strong> took his signature portraits –<br />

black and white, medium format, en face, direct gaze, few<br />

facial expressions. Then he let Leonie take the re<strong>ins</strong>. Leonie<br />

beamed confidently into the camera, tousled her corkscrew<br />

curls, tried out poses, going from cute to drama queen. Her<br />

career aspiration, which was entirely age-appropriate, was to<br />

become an actor or a model. When Leonie and her mother<br />

departed, <strong>Walter</strong> and I were dumbfounded. If we had met Leonie<br />

without knowing her story, we would never have thought that<br />

she could be anything other than – a girl.<br />

In the meantime, the series has grown to include portraits<br />

of nearly 30 transgirls and boys. The youngest participant was<br />

eleven years old when the first picture was taken, and the oldest,<br />

Lias, is now 23. The moment of amazement at the first<br />

encounter has remained the same: Ben, Leonie, Felix, Fynn,<br />

Sofia, Marie – they are all completely authentic. Clothing,<br />

body language, manner of speaking. Transgirls tilt their heads<br />

girlishly, transboys first stand in front of the camera with their<br />

arms crossed.<br />

These are, formally speaking, conservative photographs:<br />

girls’ faces, boys’ faces looking into the camera without smiling.<br />

An even, flat light determines the character of this series<br />

– like that of most series <strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> has photographed. So<br />

what is special about these pictures? Most viewers are perplexed<br />

at first. Only when they learn what is hidden behind the<br />

portraits are they surprised, confused and subsequently often<br />

touched. Many ask about the “before and after system” in the<br />

series. They expect the transition from one gender to the other<br />

Parents tell of bitter fights with three-year-olds<br />

in front of the closet<br />

to be clearly recognizable in the external appearance. But that is not<br />

the case with these young people; these are subtle metamorphoses.<br />

Long before they began treatment most bore little resemblance<br />

to the gender listed on their ID card. Some never did.<br />

7


Doch genau das ist bei diesen jungen Menschen nicht der Fall;<br />

es sind subtile Metamorphosen.<br />

Die meisten waren schon lange vor Beginn der Behandlung<br />

äußerlich nicht dem Geschlecht zuzuordnen, das in ihrem Ausweis<br />

verzeichnet war. Manche waren das nie. Eltern erzählen<br />

von erbitterten Kämpfen mit Dreijährigen vor dem Kleiderschrank<br />

oder vor dem Friseurbesuch. Von Kindern, die sich<br />

heimlich die Brust mit Paketklebeband abschnüren oder ankündigen,<br />

sich den Penis abzuschneiden.<br />

in Deutschland erst nach dem 18. Geburtstag stattfinden kann,<br />

ein Zielpunkt in ihrem Leben.<br />

Genauso viele erzählen aber auch von der beeindruckenden<br />

Solidarität ihrer Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer, Mitschüler.<br />

Von der Offenheit ihrer Umgebung, die sie umso mehr beglückt,<br />

weil sie damit nicht gerechnet hatten. Manchmal kommen<br />

ganze Familien mit zum Fototermin, und <strong>Walter</strong> und ich<br />

sind jedes Mal berührt vom starken Zusammenhalt, den sie<br />

ausstrahlen.<br />

Zum Projekt gehören Interviews mit den Porträtierten, die wir<br />

auf Video aufzeichnen. In all diesen Gesprächen kehrt als Motiv<br />

die frühe Gewissheit wieder, im falschen Körper zu stecken.<br />

Fast alle berichten von einer Zeit, in der sie annahmen, der einzige<br />

Mensch auf der Welt zu sein, dem dieses Schicksal widerfährt.<br />

Bis sie irgendwann erfuhren, dass ihr Lebensgefühl einen<br />

Namen hat: Transsexualität.<br />

Viele Transkinder berichten von Scham und Geheimhaltung,<br />

von Schuldgefühlen und Suizidgedanken. Manche Geschichten<br />

sprengen die Familie. „Mein Vater gibt meiner Mutter<br />

die Schuld daran, dass ich so bin“, so haben wir es mehrfach gehört.<br />

Viele Transkinder teilen fundamentale Erfahrungen: Sie<br />

erleben, wie sich Freunde abwenden. Sie leiden unter Hänseleien<br />

auf dem Schulhof, Demütigungen im Sportverein, dem bürokratischen<br />

Hindernislauf bei den Ämtern. Natürlich kommt<br />

in allen Interviews, die wir aufzeichnen, früher oder später die<br />

Rede auf das Schultoilettenproblem, den E<strong>ins</strong>atz von Gummibusen<br />

und Kompressionswäsche, auf Themen wie Brustamputation<br />

und den Aufbau des Pseudopenis.<br />

Viele berichten, dass sie sich wegen ihrer »falschen« äußerlichen<br />

Merkmale nicht <strong>ins</strong> Schwimmbad trauen. Häufig kreisen<br />

ihre Gedanken um chirurgische Fragen. Der Druck, den viele in<br />

den sozialen Netzwerken erleben, ist hoch. In Trans-Chats gibt<br />

es eine regelrechte Konkurrenz darum, wer als erster Hormone<br />

bekommt oder bei wem die Brust schon wächst oder der Bart.<br />

Für viele ist die große geschlechtsangleichende Operation, die<br />

Sie sehnen sich nicht nach einem Leben<br />

als Freak am Rande der Gesellschaft, sondern<br />

nach Normalität<br />

Vor nicht allzu langer Zeit war Transsexualität noch ein Tabu.<br />

Heute ist es ein Medienthema. Betroffene wagen sich an die Öffentlichkeit.<br />

Sie wollen sich nicht länger verstecken. Und ihre<br />

Erfahrungen und Geschichten stoßen auf Interesse. Die Bilder,<br />

die in diesem Zusammenhang entstehen, unterscheiden sich<br />

stark in ihren fotografischen Ansätzen. Bettina Rheims beispielsweise<br />

hat vor einigen Jahren eine Serie mit Porträts von<br />

Transmenschen fotografiert. Die Teilnehmer wurden dafür<br />

weltweit gecastet. Rheims zeigt sie als Protagonisten einer<br />

schillernden Welt, viel nackte Haut, erotisch aufgeladene<br />

Gesten.<br />

Mit der Realität der Jugendlichen, die sich von <strong>Walter</strong> porträtieren<br />

lassen, hat das wenig zu tun. Sie sehnen sich nicht nach<br />

einem Leben als Freak am Rand der Gesellschaft, sondern nach<br />

Normalität – ein bürgerlicher Beruf, Partnerschaft, Kinder. Aber<br />

sogar das Sprechen über das Thema kann manchmal kompliziert<br />

sein: Viele lehnen den Begriff »transsexuell« ab, weil darin<br />

die Silbe »sex« steckt. Im Englischen bezeichnet »sex« das anatomische<br />

Geschlecht; im deutschen Sprachraum denkt man<br />

dabei unwillkürlich an etwas Sexuelles. Dadurch bekommt<br />

diese Bezeichnung aus Sicht der Betroffenen etwas Voyeuristi-<br />

8


Parents tell of bitter fights with three-year-olds in front of the<br />

closet or before going to the hairdresser. Of children secretly<br />

flattening their chests with parcel tape or announcing they<br />

were going to cut off their penis.<br />

The project includes interviews with the people portrayed,<br />

which we recorded on video. In all of these conversations, the<br />

early certainty of being stuck in the wrong body recurs as a<br />

motif. Almost all the subjects tell of a time when they assumed<br />

they were the only person in the world to suffer this fate. Until,<br />

at some point, they learned that their life experience had a<br />

name: transsexuality.<br />

Many trans children speak of shame and secrecy, of feeling guilt<br />

and having suicidal thoughts. Some stories drove families to the<br />

brink.“My father blames my mother for me being like this“,<br />

that‘s how we heard it several times. Many trans children share<br />

similar fundamental experiences: Some friends turned away.<br />

They suffer teasing in the schoolyard, humiliation at the sports<br />

club, the bureaucratic obstacle course at government offices.<br />

Of course, in all the interviews we record, sooner or later the<br />

school toilet problem, the use of fake breasts and compression<br />

garments, mastectomies, and the construction of pseudo-penises<br />

come up.<br />

Many say that they are afraid to go to the swimming pool<br />

because of their “fake” external features. Often their thoughts<br />

revolve around surgical issues. Many experience incredible<br />

pressure in social networks. In trans * chats, there is a real competition<br />

to see who will be the first to get hormones or grow<br />

breasts or a beard. For many, the major gender reassignment<br />

surgery, which in Germany can only take place after the 18th<br />

birthday, is a key goal in their lives.<br />

Equally, though, many tell of the impressive solidarity of<br />

their parents, siblings, friends, teachers and classmates. About<br />

the open-mindedness of those around them, which made them<br />

all the more happy because they had not expected it. Sometimes<br />

whole families come along to the photo shoot, and<br />

every time <strong>Walter</strong> and I are touched to see the strong sense of<br />

togetherness they radiate.<br />

Not so long ago, transgender was a taboo. Today it is a media<br />

topic. Those affected dare to go public. They no longer want to<br />

hide. Their experiences and stories are attracting interest. The<br />

images that emerge in this context differ greatly in their photographic<br />

approaches. Bettina Rheims, for example, photographed<br />

a series of portraits of transpeople a few years ago. The<br />

participants were cast from around the world for this. Rheims<br />

shows them as protagonists in a dazzling world, lots of naked<br />

skin, erotically charged gestures.<br />

This has little to do with the reality of the young people<br />

portrayed by <strong>Walter</strong>. They don’t want a life as a freak on the<br />

fringes of society – they long for normality: a middle-class job,<br />

a partnership, children. But even talking about the topic can<br />

sometimes be complicated: Many reject the term “transsexual”<br />

because it conta<strong>ins</strong> the syllable “sex”. In English, “sex” refers to<br />

the anatomical gender; in German, people involuntarily think<br />

of something sexual. This gives the term a voyeuristic and invasive<br />

touch from the point of view of those affected. In a<br />

Leonie, <strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong>, 2015<br />

9


10<br />

Magnus, Leo, Ole<br />

Ben H., Alessio, Gabriel<br />

Ben B., Tobias, Fynn<br />

im Mädchenkörper geboren | born in the body of a girl 2013 – 2020


Sofia, Luna, Lenni<br />

Linn, Maxine, Marie<br />

Leonie, Liv, Henriette<br />

im Jungenkörper geboren | born in the body of a boy, 2013 – 2020<br />

11


14<br />

Ole, 15 Jahre, 2014 | 18 Jahre, 2017


15


16<br />

Tobias, 14 Jahre, 2013 | 15 Jahre, 2014


17


18<br />

Ben M., 15 Jahre, 2013 | 20 Jahre, 2018


19


Jana, 15 Jahre, 2015<br />

21


22<br />

Jana, 14 Jahre, 2014 | 17 Jahre, 2017 | 14 Jahre, 2014


oder so?<br />

23


24


Lias, 16 Jahre, 2014 | 17 Jahre, 2014<br />

25


26<br />

Lias, 19 Jahre, 2017 | 21 Jahre, 2019 | 18 Jahre, 2016


27


28<br />

Fynn, 17 Jahre, 2014<br />

18 Jahre, 2015 | 19 Jahre, 2016 | 21 Jahre, 2018


29


42<br />

Henriette und Antonia, Zwillinge, als Bruder und Schwester geboren | tw<strong>ins</strong>, born as brother and sister, 2018<br />

Henriette, 17 Jahre, 2020


43


50<br />

Maxine, 18 Jahre, 2018


51


66<br />

Magnus, 16 Jahre, 2015


Liv, 15 Jahre, 2018<br />

67


<strong>trans*</strong><br />

DIE INTERVIEWS<br />

THE INTERVIEWS<br />

69


TRANS* – DIE INTERVIEWS<br />

Mit den meisten Teilnehmern dieses Projekts haben wir mehrere Interviews<br />

– <strong>ins</strong>gesamt einige Hundert Stunden Material – aufgezeichnet.<br />

Hier kommen deshalb die gleichen Personen in unterschiedlichen Altersstufen<br />

zu Wort. Oft war es ein schmaler Grat zwischen Offenheit und<br />

Diskretion. Bei nahezu allen Interviews mit unter 18-Jährigen war ein<br />

erwachsenes Familienmitglied dabei. Die anonymen Zitate stammen<br />

von verschiedenen Transjungen und -mädchen.<br />

WIE MAN ES MERKT<br />

Ben H., 15 Jahre: Ich hab schon mit fünf Jahren gespürt, dass ich<br />

im falschen Körper bin. Am Anfang war das keine große Sache,<br />

ich war eben eher ein burschikoses Mädchen. Ich hab mit Autos<br />

gespielt und auf keinen Fall mit Barbies. Ich dachte, das ist normal.<br />

In der Grundschule war das auch erst mal kein Problem.<br />

Lenni, 16 Jahre: Im Kindergarten bin ich <strong>ins</strong>tinktiv zu den Puppen<br />

gerannt und habe mit den Mädchen gespielt, und für die<br />

war ich ein Mädchen. Ich habe damals gar nicht realisiert, dass<br />

ich nicht zu den Mädchen gehöre. Ich wusste einfach immer,<br />

dass ich ein Mädchen bin. Auf dem Flohmarkt haben wir ein<br />

pinkes Kleid gekauft, das durfte ich anziehen – aber nur zu<br />

Hause. Nach und nach wurde es besser: Ich bin mit meinem<br />

Kleid zu den Festtagen gerannt, zum Vogelschießen oder so.<br />

Und niemand hat was gesagt.<br />

Ole, 18 Jahre: Mit vier habe ich mit Fußball angefangen. In der<br />

Grundschule hatte ich nur Jungs als Freunde. Mit sieben geht<br />

es dann los, dass man in einer Mädchenmannschaft spielen<br />

muss. Man kann nicht zusammen mit seinen Freunden Spaß<br />

haben, sondern muss gegen die spielen. Da habe ich mit Fußballspielen<br />

aufgehört.<br />

Maxine, 18 Jahre: Ich habe mich heimlich mit den Klamotten meiner<br />

Mutter verkleidet; ich habe ihre Stiefel angezogen und bin<br />

damit rausgegangen. Ich habe Weihnachtsschmuck vom Tannenbaum<br />

genommen und ihn an meine Haare gelegt und mir<br />

aus Bällen Brüste gemacht.<br />

Ben M., 15 Jahre: Wenn wir gespielt haben war ich immer der<br />

Vater oder der Prinz. Aber nie die Prinzessin. Das passte nicht.<br />

Transjunge, anonym, 19 Jahre: Ich habe mir früher selber wehgetan<br />

– weniger als andere. Geschnitten habe ich mich nicht viel, ich<br />

habe mich meistens selber gehauen. Ich konnte mir einfach<br />

nicht erklären, was mit mir falsch war und warum ich so unglücklich<br />

war.<br />

Ben B., 17 Jahre: Im Kindergarten war alles gut. Bis ich dann mit elf<br />

immer noch zu den Jungs rübergegangen bin. Die haben sich gewundert,<br />

weil ich eigentlich als Mädchen bei den Mädchen sein<br />

müsste und nicht mit Autos spielen und im Sand buddeln sollte.<br />

Jana, 18 Jahre: Als Kind dachte ich, ich passe eher zu den Mädchen,<br />

aber normal ist das nicht. Jemanden wie mich hab ich sonst<br />

nirgends gesehen. Mit zehn wusste ich: Es ist was mit meinem<br />

Körper, ich möchte ein Mädchen sein.<br />

PUBERTÄT<br />

Ole, 17 Jahre: Die anderen finden sich schön, sie entwickeln sich<br />

und werden erwachsen. Es bringt ihnen Spaß, sich zu schminken<br />

und ihren Körper zu betonen. Nur man selbst fühlt sich<br />

unwohl, genau wegen der Sachen, wegen denen andere sich<br />

besser fühlen.<br />

Leo, 16 Jahre: Ich denke, es ist von Geburt an in einem drin zu<br />

wissen, welchem Geschlecht man angehört. Ich wusste schon<br />

immer: Ich bin Leo.<br />

Lias, 21 Jahre: Zu beobachten, wie sich die Brust entwickelt und<br />

nichts dagegen machen zu können, war sehr schlimm. Ich hätte<br />

mir nicht vorstellen können, so weiterzuleben.<br />

70


TRANS* – THE INTERVIEWS<br />

We recorded several interviews with most of the participants in this<br />

project – a total of several hundred hours of material. The same people<br />

at different ages therefore have their say here. It was often a fine line<br />

between openness and discretion. Almost all interviews with<br />

under-18s had an adult family member present. The anonymous<br />

quotes are from various trans boys and girls.<br />

HOW TO NOTICE<br />

Ben H., 15: I already felt at the age of five that I was in the wrong body.<br />

At first it wasn’t a big deal, I was more of a tomboyish girl. I played<br />

with cars, and definitely not with Barbies. I thought that was normal.<br />

In elementary school, it wasn’t a problem at first either.<br />

Lenni, 16: In kindergarten, I <strong>ins</strong>tinctively ran to the dolls and<br />

played with the girls, and for them I was a girl. At the time, I<br />

didn’t even realize that I didn’t belong with the girls. I just always<br />

knew that I was a girl. We bought a pink dress at the flea market,<br />

and I was allowed to wear it – but only at home. Little by little it<br />

got better: I would wear my dress to local festivities, like the bird<br />

shooting. Nobody said anything.<br />

Ole, 18: I started playing soccer when I was four. In elementary<br />

school, I only had boys as friends. When you’re seven, you have<br />

to play in a girls’ team. You can’t have fun with your friends, you<br />

have to play aga<strong>ins</strong>t them. That’s when I stopped playing soccer.<br />

started playing soccer when I was four. In elementary school, I<br />

only had boys as friends. When you‘re seven, you have to play<br />

in a girls’ team. You can‘t have fun with your friends, you have<br />

to play aga<strong>ins</strong>t them. That’s when I stopped playing soccer.<br />

Leo, 16: I think you know from birth which gender you belong<br />

to. I’ve always known that I’m Leo.<br />

Maxine, 18: I secretly dressed up in my mom’s clothes; I put on her<br />

boots and went out in them. I took Christmas decorations from<br />

the Christmas tree and put them in my hair and made breasts<br />

out of balls.<br />

Ben M., 15: When we played, I was always the father or the prince.<br />

But never the princess – it just didn’t feel right.<br />

Trans boy, anonymous, 19: I used to hurt myself – less than<br />

others. I didn’t cut myself much, I mostly hit myself. I just<br />

couldn’t explain what was wrong with me and why I was so<br />

unhappy.<br />

Ben B., 17: Everything was fine in kindergarten. Until I went<br />

over to the boys when I was eleven. They were surprised<br />

because, as a girl, I was supposed to be with the girls and not<br />

playing with cars and digging in the sand.<br />

Jana, 18: As a child, I thought I would fit in better with the girls,<br />

but that’s not normal. I didn’t see anyone like me anywhere<br />

else. When I was ten, I knew: There’s something not right with<br />

my body, I want to be a girl.<br />

PUBERTY<br />

Ole, 17: The others discover they’re beautiful, they’re developing<br />

and growing up. It’s fun for them to put on makeup<br />

and emphasize their bodies. Only you feel uncomfortable,<br />

precisely because of the things that make others feel better.<br />

Lias, 21: Watching my breasts develop and not being able to do<br />

anything about it was terrible. I couldn’t imagine going on<br />

living like that.<br />

Ben M., 15: At some point I started to bind my breasts. I felt they<br />

didn’t belong to me and I didn’t want anyone to see them. It<br />

got worse every year.<br />

71


Ben M., 15 Jahre: Irgendwann habe ich angefangen, mir die Brust<br />

abzubinden. Weil das nicht zu mir gehört. Es sollte keiner sehen.<br />

Es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer.<br />

Leo, 16 Jahre: Mein erster Versuch war mit Panzertape. Das habe<br />

ich einmal komplett um den ganzen Oberkörper rumgewickelt.<br />

Das war nicht die beste Idee, weil ich mir damit die ganze<br />

Haut abgerissen habe. Jetzt benutze ich einen Binder. Der<br />

drückt alles zusammen. Es ist, als würde sich jemand auf den<br />

Brustkorb draufsetzen. Ich bekomme davon auch Rückenschmerzen.<br />

Lange Zeit habe ich den Binder nicht mal zum<br />

Schlafen ausgezogen. Ich hatte ihn immer an, außer zum Duschen.<br />

Henriette, 15 Jahre: Ich unterstütze meine Brust mit Silikone<strong>ins</strong>ätzen.<br />

Ohne meine Silikonbrüste könnte ich nicht mehr losgehen.<br />

Mir würde was fehlen.<br />

Henriette, 17 Jahre: Meine Brust ist durch die Hormone gewachsen.<br />

Wahrscheinlich hätte ich die Prothesen von Anfang an<br />

nicht gebraucht. Ich schäme mich nicht für meinen Körper. Es<br />

war einfach ein innerer Zwang, weiblicher aussehen zu wollen.<br />

Meine Freundinnen hatten alle schon Brust. Und ich kam mir<br />

vor, als hätte ich gar nichts.<br />

OUTING – ELTERN UND GESCHWISTER<br />

Ben B., 17 Jahre: Mit 14 bin ich zu Mutti hingegangen und habe<br />

gesagt: Du Mutti, ich bin jetzt Ben. Da hat sie erst gestaunt. Ich<br />

stand ja noch mit langen Haaren vor ihr. Sie hatte was gespürt,<br />

aber sie dachte, das hätte mit der Schule zu tun. Für sie war es<br />

schwer, sie hat ja eine Tochter verloren.<br />

Ole, 16 Jahre: Ein Jahr lang habe ich gewartet, aber der perfekte<br />

Moment dafür kam nie. Irgendwann habe ich es einfach beim<br />

Frühstück gesagt, weil ich dachte, dann muss ich vielleicht an<br />

dem Tag nicht zur Schule und danach ändert sich sowieso alles.<br />

Mein Vater hat sich extra freigenommen, wir haben drei Stunden<br />

geredet. Meine Mutter hat gleich angefangen nach Hilfe zu<br />

suchen. Direkt nach dem Outing hab ich geweint. Seitdem gab<br />

es keinen Grund mehr.<br />

Alessio, 15 Jahre: Ich habe geweint, weil ich so aufgeregt war, und<br />

auch aus Erleichterung, weil es endlich raus war. Und Mama hat<br />

mich dann in den Arm genommen.<br />

Magnus, 16 Jahre: Meinem Vater fiel es schwerer, vor allem, dass<br />

er mich nicht mehr Marlene nennt, sondern Magnus. Aber er<br />

sagte, solange ich glücklich bin, ist er auch glücklich.<br />

Jana, 14 Jahre: Wenn wir im Musikunterricht singen und ich so<br />

tief singe, obwohl ich das gar nicht will, merkt man, dass irgendwas<br />

nicht hundertprozentig stimmt. Gesagt hat mir das niemand,<br />

aber ich kann mir vorstellen, dass einige das denken. Ich<br />

singe dann ganz, ganz leise.<br />

Gabriel, 19 Jahre: In der Pubertät habe ich noch einen letzten Versuch<br />

gemacht, ein Mädchen zu sein. Ich hatte lange Haare und<br />

hab versucht, mich wie die anderen Mädchen anzuziehen. Aber<br />

dadurch wurde ich nur noch unglücklicher. So mit 14, 15 habe<br />

ich aufgegeben, mir etwas vormachen zu wollen.<br />

Felix, 19 Jahre: Meine Eltern haben mich nie in die Mädchenrolle<br />

gezwängt, dadurch war meine Kindheit trotzdem relativ glücklich.<br />

Ich musste keine langen Haare haben oder Ballett tanzen,<br />

sondern ich durfte Fußball spielen und Jungsklamotten tragen.<br />

Ben M., 15 Jahre: Mit meiner Mutter gab es Kämpfe, wenn ich einen<br />

Rock anziehen musste. Dann bin ich schon mal durchgedreht.<br />

Aber jetzt unterstützen meine Eltern mich total.<br />

Lenni, 16 Jahre: Sie haben mich zum Psychologen geschickt. Ich<br />

habe gar nicht realisiert, dass das ein Psychologe war. Ich dachte,<br />

72


Leo, 16: My first attempt was with duct tape. I wrapped it once<br />

completely around my whole upper body. That wasn’t the best<br />

idea because I tore off all my skin with it. Now I use a binder. It<br />

squeezes everything together. It’s like someone is sitting on my<br />

rib cage and it gives me back pain. For a long time I didn’t even<br />

take the binder off to sleep. I always had it on except to shower.<br />

Henriette, 15: I boost my breasts with silicone <strong>ins</strong>erts. Without<br />

my silicone breasts, I wouldn’t be able to go out. I would miss<br />

something.<br />

Henriette, 17: My breasts have grown due to the hormones. I<br />

probably wouldn’t have needed the prostheses. I’m not ashamed<br />

of my body. It was simply an inner compulsion to want to look<br />

more feminine. My friends all already had breasts. And I felt<br />

like I had nothing at all.<br />

Jana, 14: When we sing in music class and I sing so low, even<br />

though I don’t want to, you can tell that something is not one<br />

hundred percent right. Nobody has told me that, but I can imagine<br />

that some people think that. I make sure to sing very, very softly.<br />

Gabriel, 19: During puberty, I made one last attempt to be a girl.<br />

I had long hair and tried to dress like the other girls. But that<br />

only made me more unhappy. At 14 or 15, I gave up trying to<br />

pretend.<br />

maybe I wouldn’t have to go to school that day, and after that<br />

everything would change anyway. My father took extra time<br />

off, we talked for three hours. My mother immediately started<br />

looking for help. I cried immediately after coming out, but<br />

there has been no reason to cry since then.<br />

Alessio, 15: I cried because I was so excited, and also out of<br />

relief because it was finally out. And then mom took me in<br />

her arms.<br />

Magnus, 16: It was tougher for my father, especially that he no<br />

longer gets to call me Marlene, but Magnus. But he said that<br />

as long as I’m happy, he’s happy.<br />

Felix, 19: My parents never forced me into the role of a girl, so<br />

my childhood was still relatively happy. I didn’t have to have<br />

long hair or take ballet lessons; I was allowed to play soccer<br />

and wear boys’ clothes.<br />

Ben M., 15: There were fights with my mother when I had to put<br />

on a skirt. Then I sometimes went crazy. But now my parents<br />

are totally supportive.<br />

OUTING – PARENTS AND SIBLINGS<br />

Ben B., 17: When I was 14, I went to my mom and said, “Mom,<br />

I’m Ben now.” She was slightly shocked at first. I still had my<br />

long hair. She had felt something, but she thought it had to do<br />

with school. It was hard for her, because she lost a daughter.<br />

Ole, 16: I waited for a year, but the perfect moment never came.<br />

At some point I just told them over breakfast, thinking that<br />

Beate Lakotta, Lias, 2019<br />

73


VOM WEG ZUM LEBEN IM RICHTIGEN KÖRPER<br />

… und wie die Medizin Jugendlichen dabei helfen kann. Von Achim Wüsthof<br />

Als Arzt bin ich Spezialist für Hormone. Ich behandle Kinder<br />

und Jugendliche, die zu klein sind oder zu groß, zu dick oder<br />

zu dünn, deren Pubertät zu früh oder zu spät beginnt, die Probleme<br />

mit der Schilddrüse oder ihrem Zuckerstoffwechsel<br />

haben – die klassischen Gründe, weshalb Kinder zu einem<br />

Endokrinologen gehen.<br />

Seit etwa 20 Jahren kommen auch Kinder und Jugendliche<br />

zu mir, für die ihr Körper nicht zu ihrem gefühlten Geschlecht<br />

passt. Sie sind mit allen körperlichen Merkmalen eines Jungen<br />

geboren, aber von frühester Kindheit an empfinden sie sich als<br />

weiblich und wünschen sich einen passenden Körper, mit<br />

Brüsten, Taille und einer Vagina. Oder umgekehrt: Sie fürchten<br />

nichts mehr, als in die weibliche Pubertät zu kommen, denn<br />

sie empfinden sich als männlich, und dazu gehören für sie<br />

breite Schultern, Penis, Bart und tiefe Stimme.<br />

Ein komplexes Phänomen; der gesellschaftliche <strong>Blick</strong> darauf<br />

wandelt sich ständig – ebenso, wie wir darüber sprechen. Früher<br />

nannte man es „Transsexualität“. Bis heute regelt zum Beispiel<br />

in Deutschland das „Transsexuellengesetz“, wann und unter<br />

welchen Umständen eine Person ihr Geschlecht ändern darf,<br />

sowohl körperlich als auch amtlich; die meisten Betroffenen<br />

empfinden beides als Zumutung – das Gesetz ebenso wie die<br />

Bezeichnung. Sie sprechen lieber davon, trans * zu sein oder<br />

von „Transidentität“.<br />

Aber was genau ist Transsein? Lange definierten Ärzte und<br />

Forscher es als Störung der Geschlechtsidentität im Sinne einer<br />

medizinischen Diagnose. Heute bemühen wir uns,<br />

Transsein nicht mehr als „Störung“ und „krankhaft“ einzuordnen,<br />

sondern – wie die Homosexualität – als eine Normvariante,<br />

bei der das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht dem<br />

erlebten entspricht. In der Fachwelt sprechen wir von Geschlechtsinkongruenz.<br />

Das seelische Leiden daran bezeichnen<br />

wir als Geschlechtsdysphorie.<br />

Woher diese Variante von der Norm rührt, ist unbekannt.<br />

Noch heute glauben einige, dass die Erziehung eine Rolle spiele,<br />

wenn ein Kind eine transidente Entwicklung zeigt. Wissenschaftlich<br />

ist das nicht haltbar. Anatomie, Hormone und Chromosomen<br />

von Transmenschen entsprechen in der Regel dem<br />

ursprünglich zugeordneten Geschlecht. Neuroanatomisch<br />

betrachtet ähneln Strukturen gewisser Hirnareale von Transmenschen<br />

denen von Personen des gefühlten Geschlechts –<br />

schon bevor sie mit einer Hormonbehandlung beginnen.<br />

Den Jugendlichen, die zu mir kommen, ist es eher egal, woher<br />

ihre Zerrissenheit rührt. Sie leiden darunter, im falschen<br />

Körper zu leben. Nicht selten führt dieses Leid zu tiefer existenzieller<br />

Verzweiflung, Depressionen, Selbstverletzungen,<br />

Suizidgedanken, Suizidversuchen. Einer US-amerikanischen<br />

Meta-Studie zufolge nehmen sich fast sechsmal so viele Transjugendliche<br />

das Leben wie andere Teenager.<br />

Transidentität ist kein neumodisches Phänomen. Berichte über<br />

transidente Menschen gibt es aus unterschiedlichsten Epochen.<br />

Schätzungsweise einer von 5000 Menschen ist transident.<br />

Neu sind allerdings unsere medizinischen Möglichkeiten,<br />

den Körper dem gefühlten Geschlecht anzupassen. Meist unterstützen<br />

die Eltern ihr Kind auf diesem Weg. Ob als Sohn<br />

oder Tochter – die meisten wollen einfach nur, dass es glücklich<br />

wird. Die gesellschaftliche Akzeptanz dafür ist in den vergangenen<br />

Jahren gestiegen. Krankenkassen übernehmen die<br />

Kosten der Behandlung, Schulen schreiben den Wunschnamen<br />

auf das Zeugnis und die Klassenliste oder lassen zu, dass<br />

96


THE PATH TO LIFE IN THE RIGHT BODY<br />

... and how medicine can help young people. By Achim Wüsthof<br />

As a doctor, I am a specialist for hormones. I treat children and<br />

adolescents who are too short or too tall, too fat or too thin,<br />

whose puberty starts too early or too late, who have problems<br />

with the thyroid gland or their sugar metabolism – all the<br />

common reasons why a child may need to be treated by an<br />

endocrinologist.<br />

For the last 20 years or so, I have also been treating children<br />

and adolescents whose bodies do not match their perceived<br />

gender. They are born with all the physical characteristics of<br />

a male, but from early childhood they feel they are female and<br />

want a body that fits, with breasts, a waist and a vagina. Or vice<br />

versa: they fear nothing more than entering female puberty,<br />

because they perceive themselves as male, and for them this<br />

includes broad shoulders, a penis, facial hair and a deep<br />

voice.<br />

It is a complex phenomenon, and society’s view of it is<br />

constantly changing, just like how we talk about it. This condition<br />

used to be called “transsexuality.“ In Germany, for example,<br />

the “Transsexuellengesetz” (Transsexuals Act) still<br />

regulates when and under which circumstances a person may<br />

change their gender, both physically and officially. Most of<br />

those affected find both the law and the designation unacceptable.<br />

They prefer to speak of being trans * or of “transidentity.“<br />

But what exactly does it mean to be trans? For a long time,<br />

doctors and scientists defined this condition as a gender identity<br />

disorder in the sense of a medical diagnosis. Today, we no<br />

longer classify being trans as a “disorder” or “pathological,”<br />

but – like homosexuality – as a norm variant where the gender<br />

assigned at birth does not correspond with the gender identity.<br />

In the professional world we speak of gender incongruence,<br />

and the mental suffering this causes is called gender dysphoria.<br />

We do not know what causes this variation from the norm. Even<br />

today, some believe that upbringing plays a role when a child<br />

displays a transident development. There is no scientific proof<br />

for this. The anatomy, hormones and chromosomes of transpeople<br />

usually correspond to the originally assigned gender.<br />

Neuroanatomically, the structure of certain brain areas of<br />

transindividuals resembles those of people of the perceived<br />

gender, even before they begin hormone treatment.<br />

Whether as son or daughter, most parents<br />

just want their child to be happy<br />

The young people who come to me are usually indifferent<br />

to the possible causes. They suffer from living in the wrong<br />

body. Not infrequently, this suffering can lead to deep existential<br />

despair, depression, self-harm, suicidal thoughts, suicide<br />

attempts. According to a U.S. meta-study, almost six times as<br />

many young trans people take their own lives compared with<br />

other teenagers.<br />

Transidentity is not a newfangled phenomenon. Reports of<br />

transgender people exist from a wide variety of eras throughout<br />

history. It is estimated that one in 5000 people is transgender.<br />

However, what is new are our medical options to adapt the<br />

body to the perceived gender identity. Most parents are supportive<br />

of their child along this path. Whether as a son or<br />

daughter, most just want their child to be happy. Social acceptance<br />

has increased in recent years. Health <strong>ins</strong>urance companies<br />

cover the costs of treatment, schools will use the chosen<br />

name on report cards and class lists or allow trans children to<br />

97


ÜBER WALTER SCHELS<br />

ABOUT WALTER SCHELS<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> ( * 1936 Landshut) arbeitete bis 1966 als Schaufensterdekorateur<br />

in Barcelona, Kanada und Genf, bevor er<br />

nach New York ging, um Fotograf zu werden. 1970 kehrte er<br />

nach Deutschland zurück und arbeitete für die Werbung und<br />

in der redaktionellen Fotografie. Zum Schlüsselerlebnis wurde<br />

für ihn ein Auftrag des <strong>Magazin</strong>s „Eltern“: 1974 fotografierte<br />

er für die Zeitschrift eine Geburt. „Zum ersten Mal sah ich<br />

das Gesicht eines neugeborenen Menschen. Doch nicht ein<br />

geschichtsloses Wesen schaute mich da an, sondern ein Gesicht<br />

mit Vergangenheit, wissend, uralt“, sagt <strong>Schels</strong> über diesen<br />

Moment. Seither hat ihn die Beschäftigung mit dem Gesicht<br />

nicht mehr losgelassen.<br />

Bekannt wurde er durch Charakterstudien von Prominenten<br />

aus Politik und Kultur, Porträt-Serien von Menschen<br />

in Extremsituationen und Tierporträts. Mit Beginn der<br />

1990er-Jahre widmet er sich verstärkt eigenen künstlerischen<br />

Projekten. In Langzeitstudien beschäftigt er sich mit den Extremsituationen<br />

der menschlichen Existenz.<br />

Seine Werke sind Bestandteil von Kunstsammlungen und<br />

wurden in Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt, u.a. im<br />

Deutschen Hygienemuseum in Dresden, in der DZ Bank in<br />

Frankfurt, bei C/O Berlin oder im Mori Art Museum in Tokio.<br />

2019 widmete ihm das Haus der Photographie in den Deichtorhallen<br />

Hamburg eine große Einzelausstellung.<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong> ( * 1936 Landshut) worked as a window dresser<br />

in Barcelona, Canada and Geneva until 1966, when he went to<br />

New York to become a photographer. In 1970 he returned to<br />

Germany and worked in advertising and editorial photography.<br />

A key experience for him was an assignment from “Eltern”<br />

(Parents) magazine: in 1974 he was commissioned to<br />

photograph a birth. “For the first time I saw the face of a newborn<br />

human being. But it was not a being without history that<br />

was looking at me, but a face with a past, knowing, ancient,“<br />

says <strong>Schels</strong>, describing that moment. Since then, he has been<br />

preoccupied with faces.<br />

He became known for character studies of celebrities from<br />

politics and culture, portrait series of people in extreme situations,<br />

and animal portraits. At the beginning of the 1990s, he<br />

increasingly devoted himself to his own artistic projects. In<br />

long-term studies he examines the far reaches of the human<br />

condition.<br />

His works are part of important art collections and have<br />

been shown in exhibitions in Germany and abroad, including<br />

the German Hygiene Museum in Dresden, the DZ Bank in Frankfurt,<br />

C/O Berlin and the Mori Art Museum in Tokyo and the<br />

Wellcome Collection in London. In 2019, the Haus der Photographie<br />

at the Deichtorhallen Hamburg dedicated a major solo<br />

exhibition to him.<br />

103


Realisierung der Ausstellung und der Publikation mit freundlicher Unterstützung durch<br />

Realization of the exhibition and the publication with the kind support of<br />

Fotografie Photography<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Schels</strong><br />

Redaktion und Gestaltung Editing<br />

Beate Lakotta<br />

Design Design<br />

QART Büro für Gestaltung<br />

Lektorat / Übersetzung Proof Editing/Translation<br />

Stefan Moos, Fiona Sangster<br />

Druck Imprint<br />

Wegner GmbH, Stuhr<br />

© 2021 Fotografenverlag, Hamburg<br />

www.fotografenverlag.com<br />

ISBN: 978-3-982 2605-4-9


9 783982 260549

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