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Persönlichkeitsrechte von Polizeibeamten - Leseprobe

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Tätliche Angriffe auf Polizeibeamte, gefilmte und veröffentlichte Polizeieinsätze, gezielte Diffamierungen von Polizisten in Sozialen Netzwerken, ACAB–Plakate in Fußballstadien, Tätowierungsverbote für Polizeibeamte - schon diese Beispiele verdeutlichen, dass Polizeibeamte sich tagtäglich in unterschiedlichsten Situationen im Spannungsfeld der grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechte mit ihrer (Vorbild-)Rolle als Repräsentanten des Staates und Träger des staatlichen Gewaltmonopols bewegen. Aber auch der Dienstherr steht in der Verpflichtung gegenüber den Polizeibeamten und darf deren Grundrechte nicht beliebig einschränken. Insbesondere die im Mai 2018 in Kraft getretene europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat dieses Verhältnis neu definiert. Folgerichtig setzt sich der Autor in diesem Buch daher umfassend mit den Fragen auseinander, wie die einzelnen verfassungsrechtlichen Garantiebereiche der individuellen Persönlichkeitsentfaltung mit der Wirklichkeit des Polizeiberufes und der Polizeiwirklichkeit in Einklang zu bringen sind. Die Darstellung mit vielen Beispielen aus der täglichen Polizeipraxis und einer gründlichen verfassungsrechtlichen Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wendet sich an alle Polizeibeamte und liefert ihnen einen wertvollen Ratgeber dafür, ihre Erfahrungen zu bewerten. So hilft das Buch jedem Polizisten dabei, ein starkes berufliches Selbstbewusstsein und hohes berufliches Selbstverständnis zu erlangen.

Grundrechtseingriff 6.

Grundrechtseingriff 6. Grundrechtseingriff Im Rahmen der Prüfung, ob eine bestimmte Handlung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, ist zwischen Eingriff in den Schutzbereich, positiver Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs und Pflichtwidrigkeit bzw. Verschulden zu unterscheiden. 230 a) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Im Gegensatz z.B. zu einer Körperverletzung folgt aus der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts nicht regelmäßig das (Un-)Werturteil der Rechtswidrigkeit. Die Grenzen des Persönlichkeitsrechts können nur von Fall zu Fall gezogen werden. Es bedarf daher nach dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung einer auf den Einzelfall bezogenen Wertung, ob ein konkreter Eingriff rechtmäßig ist oder nicht. Liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, führt dies somit nicht ohne Weiteres zur Annahme eines rechtswidrigen Eingriffs mit der Folge eines Unterlassungsanspruchs aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, da wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts seine Reichweite nicht absolut feststeht, sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist aufgrund dessen nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. 231 Der Charakter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als dynamisches Rahmenrecht ohne feste Konturen schließt es mithin aus, dass ein Eingriff in den Schutzbereich zugleich die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert. Erforderlich ist vielmehr eine positive Feststellung der Rechtswidrigkeit durch eine umfassende Abwägung der im konkreten Einzelfall betroffenen Güter und Interessen des Persönlichkeitsrechtsinhabers, des Eingreifenden und der Öffentlichkeit. 232 Ein klassisches Konfliktfeld – zwischen Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit – liefert die Bildberichterstattung der Boulevardpresse mit ihrem Hang zur Beschäftigung mit dem Privatleben Prominenter. 233 Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt, dass alle beeinträchtigenden staatlichen Maßnahmen als Eingriffe in Betracht kommen, Beispiel: Eingriff in das Recht auf die eigene Selbstdarstellung durch Uniformzwang für Polizeibeamte 234 oder Eingriffe bei Polizeibeamten durch eine Kennzeichnungspflicht. 235 b) Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist konturlos, es ist dogmatisch nach dem Muster des klassischen Eingriffsabwehrrechts konstruiert, obwohl es keinen bestimmbaren Schutzbereich hat. 236 In der Fachliteratur wurde bereits vor dem Volkszählungsurteil 230 Ausführlich: Lettmaier, JA 2008, 566 (567 ff.). 231 BGH, Urt. v. 19.01.2016 – VI ZR 302/15; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.02.2021 – 16 W 87/20: Bezeichnung als „Antisemit“ in einer Fernsehsendung. 232 Lettmaier, JA 2008, 566 (567). 233 Vertiefend: Kremer, JURA 2006, 459 ff. 234 Hildebrandt, in: Sensburg 2014, S. 178 235 Zu verfassungsrechtlichen Aspekten der Kennzeichnungspflicht Barczak, NVwZ 2011, 852 ff. 236 Ladeur, DÖV 2009, 45: Juristische Fehlkonstruktion. 57

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des BVerfG ein informationelles Selbstbestimmungsrecht entwickelt, so erstmals in einem Gutachten aus dem Jahr 1971 zu den „Grundfragen des Datenschutzes“ im Auftrag des Bundesinnenministeriums. Durch das Volkszählungsurteil wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dann aber quasi höchstrichterlich inthronisiert. Dieses Recht beinhaltet „die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“. 237 Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist gegeben, wenn der Staat oder ein anderer Hoheitsträger gezielt und rechtsförmlich die Preisgabe personenbezogener Daten anordnet. 238 So bedarf bereits eine Befragung als relativ milde Form der Datenerhebung als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) einer gesetzlichen Ermächtigung. 239 Unter Zugrundlegung eines weiten Eingriffsbegriffs, der nicht immer erkennen lässt, welcher Schritt der Datenerhebung und -verarbeitung als rechtsrelevante Aktion heraus zu kristallisieren und damit als Eingriff zu qualifizieren ist, kommt es entscheidend auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung an. Das BVerfG hat den Schrankenvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung präzisiert: Maßgeblich sind die Grundsätze der Bestimmtheit und Normenklarheit. Der Gesetzgeber habe Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen. Bediene sich der Gesetzgeber unbestimmter Rechtsbegriffe, dürfen verbleibende Ungewissheiten nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten staatlichen Stellen gefährdet sind. 240 Erst allmählich wird klar, dass hier ein Spannungsverhältnis besteht: Je bestimmter die Norm bereichsspezifisch zu fassen ist, desto weniger normenklar werden die Anforderungen des Datenschutzes für den Einzelnen. 241 7. Schrankentrias Das allgemeine Persönlichkeitsrecht unterliegt der in Art. 2 Abs. 1 GG enthaltenen Schrankentrias, also im Ergebnis einem einfachen Gesetzesvorbehalt. 242 Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht sehr unterschiedliche Grundrechte enthält, bestimmen sich auch die Schranken und die daraus resultierende Rechtfertigung von Eingriffen nicht pauschal für dieses Grundrecht, sondern sind vielmehr je nach Grundrecht zu untersuchen. Es gilt zwar grundsätzlich der einfache Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG. Wegen der Verbindung zur uneinschränkbaren Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) wird jedoch angenommen, dass dieser grundsätzlich in der Form eines Parlamentsvorbehalts besteht. Daneben gelten natürlich die verfassungsimmanenten Schranken, also Grundrechte Dritter und andere Werte mit Verfassungsrang. 243 237 BVerfGE 65, 1 (42 f.). 238 Weitergehend Schoch, JuS 2008, 352 (356). 239 Keller, PSP 2/2012, 39 (41). 240 BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822: Online-Durchsuchung. 241 Franzius, ZJS-online 2015, 259 (260). 242 Hildebrandt, in: Sensburg 2014, S. 179. 243 Altevers 2015, Rn. 133. 58