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Persönlichkeitsrechte von Polizeibeamten - Leseprobe

Tätliche Angriffe auf Polizeibeamte, gefilmte und veröffentlichte Polizeieinsätze, gezielte Diffamierungen von Polizisten in Sozialen Netzwerken, ACAB–Plakate in Fußballstadien, Tätowierungsverbote für Polizeibeamte - schon diese Beispiele verdeutlichen, dass Polizeibeamte sich tagtäglich in unterschiedlichsten Situationen im Spannungsfeld der grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechte mit ihrer (Vorbild-)Rolle als Repräsentanten des Staates und Träger des staatlichen Gewaltmonopols bewegen. Aber auch der Dienstherr steht in der Verpflichtung gegenüber den Polizeibeamten und darf deren Grundrechte nicht beliebig einschränken. Insbesondere die im Mai 2018 in Kraft getretene europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat dieses Verhältnis neu definiert. Folgerichtig setzt sich der Autor in diesem Buch daher umfassend mit den Fragen auseinander, wie die einzelnen verfassungsrechtlichen Garantiebereiche der individuellen Persönlichkeitsentfaltung mit der Wirklichkeit des Polizeiberufes und der Polizeiwirklichkeit in Einklang zu bringen sind. Die Darstellung mit vielen Beispielen aus der täglichen Polizeipraxis und einer gründlichen verfassungsrechtlichen Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wendet sich an alle Polizeibeamte und liefert ihnen einen wertvollen Ratgeber dafür, ihre Erfahrungen zu bewerten. So hilft das Buch jedem Polizisten dabei, ein starkes berufliches Selbstbewusstsein und hohes berufliches Selbstverständnis zu erlangen.

Tätliche Angriffe auf Polizeibeamte, gefilmte und veröffentlichte Polizeieinsätze, gezielte Diffamierungen von Polizisten in Sozialen Netzwerken, ACAB–Plakate in Fußballstadien, Tätowierungsverbote für Polizeibeamte - schon diese Beispiele verdeutlichen, dass Polizeibeamte sich tagtäglich in unterschiedlichsten Situationen im Spannungsfeld der grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechte mit ihrer (Vorbild-)Rolle als Repräsentanten des Staates und Träger des staatlichen Gewaltmonopols bewegen. Aber auch der Dienstherr steht in der Verpflichtung gegenüber den Polizeibeamten und darf deren Grundrechte nicht beliebig einschränken. Insbesondere die im Mai 2018 in Kraft getretene europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat dieses Verhältnis neu definiert.

Folgerichtig setzt sich der Autor in diesem Buch daher umfassend mit den Fragen auseinander, wie die einzelnen verfassungsrechtlichen Garantiebereiche der individuellen Persönlichkeitsentfaltung mit der Wirklichkeit des Polizeiberufes und der Polizeiwirklichkeit in Einklang zu bringen sind.
Die Darstellung mit vielen Beispielen aus der täglichen Polizeipraxis und einer gründlichen verfassungsrechtlichen Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wendet sich an alle Polizeibeamte und liefert ihnen einen wertvollen Ratgeber dafür, ihre Erfahrungen zu bewerten. So hilft das Buch jedem Polizisten dabei, ein starkes berufliches Selbstbewusstsein und hohes berufliches Selbstverständnis zu erlangen.

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<br />

Vorwort zur 2. Auflage 2022<br />

Für die 2. Auflage wurde dieses Buch neu bearbeitet und ergänzt. Änderungen und Fortentwicklungen<br />

in Gesetzgebung und Rechtsprechung erforderten bereits nach drei Jahren eine<br />

Neuauflage.<br />

Überdies förderte die Praxis neue Fallkonstellationen zu Tage, sodass etwa der Abschnitt<br />

„Polizeiarbeit, Corona und Dienstunfallrecht“ neu einzufügen war. Insbesondere bedurften<br />

nachfolgende Themen einer grundlegenden Neubearbeitung bzw. wurden neu implementiert:<br />

– Tätowierungen als Dienstvergehen<br />

– Erscheinungsbild <strong>von</strong> Beamten<br />

– Verletzung persönlicher Lebensbereiche im Innenverhältnis<br />

– Religiös motivierte Verhaltensweisen im Innenverhältnis („Handschlagverweigerung“)<br />

– Außerdienstliche politische Meinungs- und Betätigungsfreiheit<br />

– Rechtsextremistische Chatgruppen bei der Polizei<br />

– Recht am eigenen Bild: Verhältnis KunstUrhG und DS-GVO<br />

– Recht am eigenen Wort – Entwicklung der Rechtsprechung<br />

– Meinungsfreiheit – Entwicklung der Rechtsprechung<br />

– Antidiskriminierungsgesetze<br />

– Europarechtliche Vorgaben im Arbeitszeitrecht<br />

– Polizeiarbeit, Corona und Dienstunfallrecht<br />

Die tabellarische Übersicht über einzelne Beleidigungstatbestände wurde ergänzt.<br />

Dass Literatur und Rechtsprechung in Gänze überarbeitet wurden, sei nur der Vollständigkeit<br />

halber erwähnt.<br />

Das bewährte Konzept des Buches wurde beibehalten.<br />

Für Auslassungen und Ungenauigkeiten stehe ich ein und bin für Hinweise darauf dankbar<br />

(CKeller2002@t-online.de).<br />

Mettingen, im Oktober 2022<br />

Christoph Keller<br />

5


<br />

Vorwort zur 1. Auflage 2019<br />

Kaum eine andere Berufsgruppe steht so im Blickpunkt der Öffentlichkeit wie die Polizei.<br />

Einerseits, wenn es um die Sicherheit und Ordnung für die Bürger geht, andererseits, wenn<br />

es um die Beamten selbst geht, etwa in ihrer Funktion als Vorbild. Allerdings zeigt sich diese<br />

Vorbildfunktion vermehrt <strong>von</strong> einer anderen Seite. Die Menschen reagieren unterschiedlich<br />

und decken, aus ihrer Sicht, polizeiliches Fehlverhalten auf. Im Zeitalter <strong>von</strong> Smartphones<br />

und Internet ist das schnell geschehen. Ohne zu hinterfragen werden Situationen gefilmt<br />

und (im Internet) veröffentlicht, mitunter mit Auslösung eines Shitstorms.<br />

Zudem sind Polizeibeamte aufgrund ihrer Aufgabe, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen,<br />

in erhöhtem Maße Konfliktsituationen, insbesondere mit „schwierigen“ Personen,<br />

ausgesetzt. Speziell im Einsatzgeschehen müssen ad hoc Entscheidungen getroffen werden,<br />

die weitreichende Konsequenzen haben (können). Polizeibeamte sind – anders als Beamte<br />

in „sonstigen“ Verwaltungsbereichen – dem wachsenden Risiko ausgesetzt, <strong>von</strong> teils aggressiven,<br />

alkoholisierten, uneinsichtigen Adressaten polizeilicher Maßnahmen beschimpft, beleidigt<br />

oder angegriffen und verletzt oder sogar getötet zu werden. Kein Respekt, vermehrte<br />

Übergriffe, Beleidigungen – die öffentliche Gewalt gegen Polizisten nimmt in Deutschland<br />

immer mehr zu. Die Gesamtentwicklung der Fall-, Opfer- und Tatverdächtigenzahlen verdeutlichen<br />

die in Deutschland unvermindert hohe Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegen<br />

im Einsatz befindliche Polizeivollzugsbeamte. Dabei geht es nicht nur um Übergriffe gegen<br />

Polizisten bei Demonstrationen oder Einsätzen rund um Fußballspiele. Die Gewalt ist längst<br />

im Alltag der Beamten angekommen. Die Ursachen sind vielfältiger Natur und keiner monokausalen<br />

Betrachtung zugänglich. Mangelnder Respekt und ein zunehmender Einfluss <strong>von</strong><br />

Alkohol sind sicherlich mitursächlich. Zudem gibt es gerade im polizeilichen Alltag immer<br />

wieder Anlässe, die dazu führen, dass Bürger die Nerven verlieren. Mit impulsiven Gesten<br />

und Kraftausdrücken machen sie sich dann oft Luft.<br />

Auch innerdienstlich genießen Polizeibeamte (grundsätzlich) den Schutz des Persönlichkeitsrechts.<br />

Verletzungen des Persönlichkeitsrechts können dabei durch unterschiedlichste<br />

Kontrollmaßnahmen des Arbeitgebers geschehen. Erinnert sei nur an die Diskussionen rund<br />

um die Ortung <strong>von</strong> Streifenwagen. <strong>Persönlichkeitsrechte</strong> sind auch im öffentlich-rechtlichen<br />

Dienst- und Treueverhältnis zu wahren. Allerdings wird oft verkannt, dass der personelle<br />

Schutzbereich des Grundrechts vielfach gar nicht eröffnet ist. Es ist abwegig, anzunehmen,<br />

dass öffentliche Bedienstete während der Ausübung amtlicher Tätigkeiten gegenüber<br />

dem Bürger ihre Persönlichkeit (quasi grenzenlos) frei entfalten können. Amtliche Tätigkeit<br />

ist keine Betätigung <strong>von</strong> Freiheit, sondern treuhänderischer Dienst für das Gemeinwohl.<br />

Die klassische Unterscheidung <strong>von</strong> Josef lsensee zwischen Amtsbereich (mit Grundrechtsbindung),<br />

Dienstverhältnis (mit Grundrechtsträgereigenschaft, aber eingeschränkten Ausübungsbefugnissen)<br />

und Privatbereich (mit Grundrechtsträgereigenschaft) macht deutlich,<br />

dass Polizeibeamte auch im Dienst Träger <strong>von</strong> Grundrechten sind, die seitens des Staates<br />

nicht beliebig eingeschränkt werden dürfen.<br />

Mit dem Inkrafttreten der DS-GVO wurde der Datenschutz in Europa und folglich auch in<br />

Deutschland zum 25.05.2018 in rechtlicher Hinsicht auf eine völlig neue Grundlage gestellt.<br />

6


Vorwort zur 1. Auflage 2019<br />

Mit dem nunmehr unmittelbar geltenden Recht hat auch der „Beschäftigtendatenschutz“<br />

Änderungen erfahren, die in diesem Buch vorgestellt werden.<br />

Insgesamt wird die schwierige Situation <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong> unter verschiedenen Blickwinkeln<br />

beleuchtet. Die besonderen Situationen, denen Polizeibeamte vielfach ausgesetzt sind,<br />

werden aufgegriffen.<br />

Infolgedessen gliedert sich das Buch in folgende Kapitel:<br />

– Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

– Kommunikationsgrundrechte<br />

– Ehrverletzungsdelikte<br />

– Das Recht am eigenen Bild<br />

– Das Recht am eigenen Wort<br />

– Tatmittel: Internet<br />

– Widerstand gegen die Staatsgewalt<br />

– Datenschutz im Arbeits- und Dienstverhältnis<br />

– <strong>Persönlichkeitsrechte</strong> im öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis<br />

– Rechtsschutz.<br />

Mettingen, im November 2018<br />

Christoph Keller<br />

7


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort zur 2. Auflage 2022 .................................................. 5<br />

Vorwort zur 1. Auflage 2019 .................................................. 6<br />

1. Kapitel: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht...............................25<br />

I. Allgemeine Grundrechtslehren ..........................................25<br />

1. Begriff der Grundrechte, Grundrechtsarten ...........................26<br />

2. Funktionen der Grundrechte........................................27<br />

a) Status negativus................................................27<br />

b) Status positivus ................................................28<br />

c) Status activus..................................................28<br />

3. Grundrechte als objektives Recht....................................28<br />

a) Staatliche Schutzpflichten........................................28<br />

b) Drittwirkung...................................................29<br />

c) Einrichtungsgarantien...........................................29<br />

4. Grundrechtsfähigkeit..............................................30<br />

a) Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen..........................30<br />

b) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen..........................31<br />

aa) Juristische Personen des Privatrechts ..........................31<br />

bb) Juristische Personen des öffentlichen Rechts....................32<br />

c) Grundrechtsmündigkeit..........................................32<br />

5. Grundrechtsprüfung...............................................33<br />

6. Schutzbereich ....................................................33<br />

7. Grundrechtseingriff ...............................................34<br />

a) Eingriff. .......................................................34<br />

b) Klassischer Eingriffsbegriff........................................34<br />

c) Weiter Eingriffsbegriff...........................................34<br />

8. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung ................................35<br />

a) Schranken.....................................................35<br />

b) Schranken-Schranken............................................35<br />

II. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />

1. Einführung. ......................................................36<br />

2. Historie. .........................................................47<br />

3. Funktionen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.....................48<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden/Rhld.<br />

Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

4. Persönlicher Schutzbereich.........................................49<br />

a) Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen..........................49<br />

b) Grundrechtsfähigkeit in Sonderstatusverhältnissen...................51<br />

c) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen..........................53<br />

5. Sachlicher Schutzbereich...........................................54<br />

6. Grundrechtseingriff ...............................................57<br />

a) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht.......................57<br />

b) Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung............57<br />

7. Schrankentrias....................................................58<br />

a) Verfassungsmäßige Ordnung .....................................59<br />

b) Rechte anderer ................................................59<br />

c) Sittengesetz ...................................................59<br />

8. Sphärentheorie...................................................60<br />

a) Individualsphäre................................................60<br />

b) Privatsphäre...................................................61<br />

c) Intimsphäre ...................................................62<br />

2. Kapitel: Kommunikationsgrundrechte .....................................66<br />

I. Meinungsfreiheit......................................................67<br />

1. Sachlicher Schutzbereich...........................................68<br />

a) Werturteile....................................................69<br />

b) Schmähkritik...................................................71<br />

c) Satire.........................................................72<br />

d) Tatsachenbehauptungen.........................................73<br />

e) Mehrdeutige Äußerungen........................................76<br />

f) Geschütztes Verhalten...........................................76<br />

g) Meinungsfreiheit vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht ................77<br />

2. Eingriff ..........................................................78<br />

3. Dienstliche, politische und private Meinungen.........................78<br />

4. Grenzen der Meinungsfreiheit ......................................79<br />

a) Verletzung der Menschenwürde...................................81<br />

b) Formalbeleidigung..............................................81<br />

c) Schmähung....................................................83<br />

II.<br />

Informationsfreiheit...................................................91<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden/Rhld.<br />

Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

III. Pressefreiheit. ........................................................91<br />

1. Pressefreiheit vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht.....................92<br />

2. Verdachtsberichterstattung.........................................92<br />

3. Identifizierende Berichterstattung...................................97<br />

4. Auskunftsansprüche...............................................97<br />

IV. Rundfunk- und Filmfreiheit .............................................98<br />

V. Kunstfreiheit .........................................................99<br />

VI.<br />

Wissenschaftsfreiheit.................................................101<br />

VII. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung....................................102<br />

1. Gesetzesvorbehalt (Art. 5 Abs. 2 GG)................................102<br />

a) Allgemeine Gesetze............................................103<br />

b) Gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht<br />

der persönlichen Ehre..........................................104<br />

c) Zensurverbot .................................................104<br />

2. Schranken-Schranken.............................................105<br />

3. Verfassungsimmanente Schranken (Art. 5 Abs. 3 GG) ..................105<br />

VIII. Summary ...........................................................106<br />

3. Kapitel: Ehrverletzungsdelikte...........................................107<br />

I. Systematik der Ehrdelikte..............................................108<br />

II.<br />

Beleidigungsdelikte...................................................110<br />

1. § 185 StGB: Beleidigung...........................................110<br />

a) Ehrverletzung, Form der Kundgabe...............................111<br />

b) Beleidigung mittels Tätlichkeit oder öffentlicher Kundgabe............116<br />

c) Herabsetzende Äußerungen im Familienkreis<br />

(beleidigungsfreie Sphäre) ......................................118<br />

d) Rechtfertigung durch Kommunikationsgrundrechte..................120<br />

aa) Meinungsfreiheit..........................................121<br />

bb) Kunstfreiheit..............................................124<br />

e) Gegenschlagtheorie............................................124<br />

f) Vorsatz ......................................................124<br />

2. § 186 StGB: Üble Nachrede........................................124<br />

3. § 187 StGB: Verleumdung .........................................129<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden/Rhld.<br />

Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

4. § 188 StGB: Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete<br />

Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung........................130<br />

5. § 189 StGB: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener..............131<br />

6. Kollektivbeleidigung..............................................131<br />

a) Beleidigung einer Personenmehrheit..............................131<br />

b) Polizei als Institution („A.C.A.B.“).................................135<br />

7. Verhetzende Beleidigung..........................................141<br />

8. Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und<br />

der Hasskriminalität..............................................143<br />

III.<br />

IV.<br />

Wechselseitig begangene Beleidigungen<br />

(Straffreierklärung)...................................................146<br />

Rechtswidrigkeit und Formalbeleidigung.................................146<br />

1. § 192 StGB: Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises ....................149<br />

2. § 193 StGB: Wahrnehmung berechtigter Interessen ...................150<br />

V. Schuld. .............................................................154<br />

VI. Verfahrensrechtliche Fragen ...........................................154<br />

1. Antragsdelikt....................................................154<br />

2. Antragsverzicht durch Betroffene...................................155<br />

3. Strafantrag der Behördenleitung ...................................155<br />

a) Antragsrecht des Dienstvorgesetzten..............................156<br />

b) Stellungnahme des Dienstvorgesetzten............................157<br />

c) Fürsorgepflicht................................................158<br />

d) Antragsrecht bei Kollektivbeleidigung.............................161<br />

4. Privatklage......................................................162<br />

5. Sühneversuch ...................................................162<br />

6. Einstellung des Verfahrens, Vergleich................................162<br />

7. Entschädigung des Verletzten im Strafverfahren (Adhäsionsverfahren)...163<br />

VII. Bekanntgabe der Verurteilung..........................................163<br />

VIII. Zivilrechtliche Ehrschutzklagen.........................................164<br />

IX.<br />

Fallgruppen, Rechtsprechung...........................................165<br />

X. Summary ...........................................................171<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden/Rhld.<br />

Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

4. Kapitel: Das Recht am eigenen Bild.......................................172<br />

I. Das Kunsturheberrechtsgesetz (KunstUrhG)..............................172<br />

1. § 22 KunstUrhG: Das Recht am eigenen Bild..........................173<br />

a) Schutzbereich ................................................176<br />

aa) Bildnis verbreiten..........................................177<br />

bb) Bildnis öffentlich zur Schau stellen............................177<br />

cc) Verletzung des Schutzbereichs...............................178<br />

b) Einwilligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179<br />

2. § 23 KunstUrhG: Wahrung berechtigter Interessen,<br />

Ausnahmetatbestände............................................181<br />

a) Bildnisse der Zeitgeschichte .....................................181<br />

b) Beiwerke neben Landschaft oder sonstiger Örtlichkeit ...............190<br />

c) Versammlungen, Aufzüge und ähnliche Vorgänge ...................190<br />

d) Höheres Interesse der Kunst.....................................192<br />

e) Interessenabwägung...........................................192<br />

3. § 24 KunstUrhG: Privilegierte Veröffentlichung <strong>von</strong> Bildern.............194<br />

a) Zweck der Rechtspflege.........................................194<br />

b) Zweck der öffentlichen Sicherheit ................................194<br />

4. Strafrechtlicher Schutz............................................194<br />

a) § 33 KunstUrhG: Strafverfolgung .................................194<br />

b) Strafantrag ...................................................196<br />

c) Privatklage ...................................................196<br />

d) Einziehung ...................................................196<br />

5. Zivilrechtlicher Schutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197<br />

II. Polizeibeamte und das Recht am eigenen Bild ............................198<br />

1. Schutzbereich ...................................................199<br />

2. Ausnahmetatbestand: Zeitgeschichtliche Ereignisse ...................202<br />

3. Ausnahmetatbestand: Versammlungen, Aufzüge, ähnliche Vorgänge.....205<br />

a) Bildnisse vom Geschehen.......................................206<br />

b) Bildnisse <strong>von</strong> Demonstranten....................................206<br />

c) Bildnisse <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>....................................206<br />

4. Interessenabwägung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208<br />

5. Fallgruppen, Rechtsprechung ......................................210<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden/Rhld.<br />

Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

6. Geldentschädigung für „betroffene“ Polizeibeamte....................222<br />

7. Schutz privater Rechte............................................227<br />

8. Verhältnis <strong>von</strong> Fotografie (KunstUrhG) und Datenschutzrecht<br />

(DS-GVO) .......................................................230<br />

III.<br />

§ 201a StGB: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs<br />

und <strong>von</strong> <strong>Persönlichkeitsrechte</strong>n durch Bildaufnahmen .....................234<br />

1. Rechtsgut.......................................................236<br />

2. Tatbestand (Abs. 1)...............................................237<br />

a) Nr. 1: Unbefugte Bildaufnahmen .................................237<br />

aa) Wohnung ................................................237<br />

bb) Gegen Einblick besonders geschützte Räume...................237<br />

cc) Herstellen oder Übertragen .................................238<br />

dd) Verletzung höchstpersönlicher Lebensbereich..................238<br />

b) Nr. 2: Zurschaustellen einer Hilflosigkeit ...........................239<br />

c) Nr. 3: Bildaufnahmen verstorbener Personen.......................241<br />

d) Nr. 4: Gebrauchen oder Zugänglichmachen hergestellter<br />

Bildaufnahmen................................................243<br />

e) Nr. 5: Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bildaufnahme.....243<br />

3. Tatbestand (Abs. 2): Ansehensschädigung............................244<br />

4. Tatbestand (Abs. 3): Nacktheit einer anderen Person ..................245<br />

5. Tatbestandsrestriktion: Wahrnehmung berechtigter Interessen (Abs. 4) .. 246<br />

6. Einziehung (Abs. 5)...............................................247<br />

7. Strafantrag......................................................247<br />

IV. Summary ...........................................................248<br />

5. Kapitel: Das Recht am eigenen Wort.....................................250<br />

I. § 201 StGB: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.....................251<br />

1. Rechtsgut.......................................................251<br />

2. Nichtöffentlich gesprochenes Wort .................................252<br />

3. Aufnahmen auf einem Tonträger<br />

(§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253<br />

4. Gebrauch der Aufnahme oder Weitergabe an Dritte<br />

(§ 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253<br />

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Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

5. Abhören mittels Abhörgerät (§ 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB)..................254<br />

6. Öffentliche Mitteilung des aufgenommen oder abgehörten Wortes<br />

(§ 201 Abs. 2 Nr. 2 StGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255<br />

7. Rechtfertigung...................................................255<br />

a) Einwilligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256<br />

b) Staatliche Maßnahmen.........................................257<br />

c) Handeln privater Personen......................................257<br />

8. Strafbarkeit des Versuchs..........................................257<br />

9. Einziehung. .....................................................258<br />

10. Antragserfordernis...............................................258<br />

11. Qualifizierungstatbestand für Amtsträger............................258<br />

II. Cop Recorder. .......................................................258<br />

III.<br />

Dienstliche Äußerungen mit Außenwirkung..............................259<br />

IV. Summary ...........................................................265<br />

6. Kapitel: Tatmittel: Internet..............................................266<br />

I. Ehrverletzungsdelikte im Internet.......................................267<br />

1. Besonderheiten der digitalen Kommunikation........................268<br />

2. Absenderperspektive.............................................269<br />

3. Empfängerperspektive............................................269<br />

4. Erscheinungsformen..............................................270<br />

a) Subjektiv gekennzeichnete Bewertungen im Internet ................271<br />

b) Veröffentlichung unwahrer Informationen .........................272<br />

c) Veröffentlichung wahrer Informationen ...........................272<br />

5. Taterfolg. .......................................................272<br />

II.<br />

Veröffentlichung <strong>von</strong> Polizeieinsätzen im Internet.........................272<br />

1. Veröffentlichung <strong>von</strong> Polizeieinsätzen als strafbare Handlung...........273<br />

a) Straftat nach § 201a StGB.......................................273<br />

b) Straftat nach § 33 KunstUrhG....................................274<br />

2. Videomontagen..................................................275<br />

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Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

III. Gesprächs- und Videoaufzeichnungs-Apps (Cop Recorder) ..................276<br />

1. Strafbarkeit des App-Nutzers ......................................276<br />

a) Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB...............276<br />

b) Straftat nach BDSG ............................................278<br />

2. Strafbarkeit der App-Betreiber .....................................280<br />

a) Anbieten der App .............................................280<br />

b) Veröffentlichung des aufgezeichneten Materials ....................281<br />

3. Strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen nach „Angriff“<br />

mittels Cop Recorder .............................................281<br />

4. Polizeirechtliche Eingriffsmaßnahmen nach „Angriff“<br />

mittels Cop Recorder .............................................282<br />

5. Das Mobiltelefon als „informationstechnisches System“................283<br />

IV.<br />

Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).................................283<br />

1. Meldepflicht ....................................................285<br />

2. Verfassungsrechtliche Bedenken ...................................287<br />

3. Auskunftsanspruch und Auskunftsermächtigung (TTDSG) ..............289<br />

V. Summary ...........................................................291<br />

7. Kapitel: Widerstand gegen die Staatsgewalt ...............................292<br />

I. Gewalt gegen Polizeibeamte...........................................292<br />

1. Bundeslagebild: Gewalt gegen Polizeibeamte ........................295<br />

2. Phänomenbereiche: Gewalt gegen Polizeibeamte.....................296<br />

II.<br />

III.<br />

Schutz <strong>von</strong> Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften<br />

durch das Strafrecht..................................................298<br />

§ 113 StGB: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte......................300<br />

1. Geschützter Personenkreis ........................................301<br />

2. Tauglicher Täterkreis..............................................301<br />

3. Tathandlungen...................................................301<br />

a) Widerstand leisten mit Gewalt...................................302<br />

b) Widerstand leisten durch Drohung mit Gewalt......................304<br />

c) Tätlicher Angriff...............................................304<br />

4. Vornahme einer Vollstreckungshandlung ............................304<br />

5. Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung .........................305<br />

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Keller, „Persönlichkeitsrecht <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>“, 2. Auflage 2022, ISBN 978-3-8011-0922-6


Inhaltsverzeichnis<br />

6. Besonders schwere Fälle ..........................................307<br />

a) Waffe oder gefährliches Werkzeug................................307<br />

b) Gewalttätigkeit................................................308<br />

c) Gemeinschaftlich begangene Tat.................................308<br />

7. Besondere Irrtumsregel (§ 113 Abs. 4 StGB)..........................308<br />

IV. § 114 StGB: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte ....................309<br />

V. § 115 StGB: Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen,<br />

die Vollstreckungsbeamten gleichstehen.................................311<br />

VI.<br />

Behinderung <strong>von</strong> hilfeleistenden Personen...............................312<br />

VII. Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel (§ 305a StGB)..........................313<br />

VIII. Verletzungen nach Widerstandshandlungen − Ansprüche...................313<br />

IX.<br />

Zahlung durch den Dienstherrn bei Schmerzensgeldansprüchen.............315<br />

X. Polizeilicher Einsatz <strong>von</strong> Bodycams zwecks Gewaltreduktion................318<br />

XI. Summary ...........................................................322<br />

8. Kapitel: Datenschutz im Arbeits- und Dienstverhältnis ......................323<br />

I. Datenschutz als Grundrecht............................................323<br />

II.<br />

Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)................................325<br />

1. Auswirkungen der DS-GVO auf bereichsspezifische<br />

Datenschutzregelungen...........................................326<br />

2. Öffnungsklausel .................................................329<br />

3. Rahmenbedingungen für den Beschäftigtendatenschutz ...............330<br />

4. Grundsätze und Zulässigkeit der Datenverarbeitung...................330<br />

5. Einwilligung.....................................................331<br />

a) Schriftform...................................................333<br />

b) Konkludente Einwilligung .......................................333<br />

c) Bestimmtheit der Einwilligung...................................334<br />

d) Einwilligung für den konkreten Fall ...............................334<br />

e) Transparenzgebot..............................................334<br />

f) Freiwilligkeit der Einwilligung....................................335<br />

g) Widerruf der Einwilligung.......................................336<br />

h) Opt-out-Lösung ...............................................337<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

i) Einwilligung in Über-Unterordnungsverhältnisse....................338<br />

j) Checkliste....................................................339<br />

6. Löschungsrechte.................................................340<br />

7. Datenportabilität ................................................340<br />

8. Widerspruchsrecht...............................................340<br />

9. Profiling, Scoring.................................................340<br />

10. Auftragsdatenverarbeitung........................................341<br />

11. Datenschutzbeauftragter..........................................341<br />

12. Meldung <strong>von</strong> Datenschutzverstößen................................343<br />

13. Betroffenenrechte................................................345<br />

III. BDSG (2018) ........................................................345<br />

1. Anwendungsbereich .............................................346<br />

a) Öffentliche Stellen des Bundes und nicht öffentliche Stellen ..........346<br />

b) Öffentliche Stellen der Länder ...................................347<br />

2. Sanktionen......................................................347<br />

IV. Beschäftigtendatenschutz .............................................347<br />

1. Beschäftigtendatenschutzgesetz (BDSG-E) ...........................348<br />

2. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt .....................................349<br />

3. Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses.........349<br />

a) Tatbestand: Vor Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses .......350<br />

b) Tatbestand: Im Beschäftigungsverhältnis...........................351<br />

aa) Aufdeckung <strong>von</strong> Straftaten..................................351<br />

bb) Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses...................351<br />

4. Einwilligung.....................................................351<br />

5. Beschäftigtenbegriff..............................................353<br />

6. Verarbeitung sensitiver Beschäftigtendaten..........................353<br />

7. Nicht dateimäßige Verarbeitung <strong>von</strong> Beschäftigtendaten...............353<br />

8. Kollektivvereinbarungen als Erlaubnistatbestand .....................353<br />

9. Einhaltung der Grundsätze der DS-GVO..............................354<br />

10. Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen.......................354<br />

11. Betroffenenrechte................................................355<br />

12. Dienstvereinbarungen, Betriebsvereinbarungen ......................355<br />

13. Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Datenverarbeitung .................356<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

V. Überwachung am Arbeitsplatz .........................................357<br />

1. Heimliche Mitarbeiterkontrollen ...................................358<br />

a) (Un-)Zulässigkeit nach DS-GVO...................................358<br />

b) Zulässigkeit heimlicher Mitarbeiterkontrollen in Ausnahmefällen ......359<br />

2. Kontrolle der Telekommunikation, E-Mail- und Internetkommunikation .. 360<br />

a) Kontrolle bei verbotener privater Nutzung.........................360<br />

aa) Anwendbarkeit des TKG ....................................360<br />

bb) Anwendbarkeit des BDSG...................................361<br />

b) Kontrolle bei erlaubter privater Nutzung...........................363<br />

aa) Anwendbarkeit des TKG ....................................363<br />

bb) Kontrollmöglichkeiten......................................366<br />

c) Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG).........367<br />

d) Weiterleitung dienstlicher E-Mails auf privaten E-Mail-Account........369<br />

e) Nutzung <strong>von</strong> standortbezogenen Telekommunikationsdiensten .......370<br />

f) Kontrolle des Rechners .........................................372<br />

g) Kontrolle des Verhaltens auf sozialen Netzwerken...................372<br />

3. Zugriffsmöglichkeiten auf Messenger-Nachrichten ....................373<br />

4. Videoüberwachung...............................................374<br />

VI.<br />

Veröffentlichung personenbezogener Daten..............................376<br />

1. Internet ........................................................376<br />

a) Abkehr <strong>von</strong> der Arkantradition...................................377<br />

b) Interessenkollisionen...........................................377<br />

c) Auskunftssperren..............................................381<br />

2. Intrapol. ........................................................382<br />

3. Veröffentlichung <strong>von</strong> Fotos........................................383<br />

a) Recht am eigenen Bild..........................................383<br />

b) Recht des Urhebers............................................384<br />

c) Einwilligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384<br />

d) Muster: Einwilligungserklärung ..................................386<br />

e) Personalvertretungsrecht.......................................388<br />

f) Praxishinweise................................................388<br />

VII. Dienst-/Arbeitszeit ...................................................388<br />

1. Gesetzliche Regelungen...........................................391<br />

a) Regelarbeitszeit...............................................392<br />

b) Bereitschaftsdienst ............................................392<br />

aa) EuGH (Große Kammer), Urt. v. 09.03.2021 – C-580/19<br />

(R J/Stadt Offenbach a.M.)..................................395<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

bb) EuGH (Fünfte Kammer), Urt. v. 11.11.2021 – C-214/20<br />

(MG/Dublin City Council) ...................................396<br />

c) Mehrarbeit...................................................397<br />

d) Arbeitszeitkonten..............................................398<br />

e) Telearbeit ....................................................399<br />

2. Europarechtliche Vorgaben........................................401<br />

a) Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) im Lichte<br />

der EuGH-Rechtsprechung ......................................401<br />

b) Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) auf Beamte........402<br />

c) Verantwortlichkeit bei der Nichteinhaltung <strong>von</strong> Schutzvorschriften.....403<br />

VIII. GPS-Ortung <strong>von</strong> Streifenwagen.........................................404<br />

IX. Summary ...........................................................407<br />

9. Kapitel: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im öffentlich-rechtlichen<br />

Dienst- und Treueverhältnis.....................................408<br />

I. Teilnahme an sozialen Netzwerken durch Polizeibeamte....................408<br />

1. Nutzung für polizeiliche Zwecke....................................409<br />

2. Gefahren der Teilnahme an sozialen Netzwerken für Polizeibeamte......410<br />

a) Beamtenrechtlicher Pflichtenkreis................................410<br />

b) Einschränkung der Verwendungsbreite <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong>...........414<br />

3. Rassistische und rechtsextreme Äußerungen <strong>von</strong> Beamten.............415<br />

a) Rechtsextremistische Chatgruppen...............................416<br />

b) Meldepflicht an vorgesetzte Stellen...............................421<br />

II.<br />

Äußeres Erscheinungsbild uniformierter Polizeibeamter....................422<br />

1. Lagerfeld-Zopf ..................................................426<br />

2. Ohrschmuck ....................................................428<br />

3. Tätowierungen ..................................................429<br />

a) Tätowierungen als Einstellungshindernis ..........................431<br />

b) Tätowierungen als Dienstpflichtverletzung.........................437<br />

4. Accessoires mit religiösem oder politischem Inhalt....................442<br />

5. Piercings........................................................447<br />

6. (Neue) Regelungen zum Erscheinungsbild <strong>von</strong> Beamten................448<br />

a) Einschränkung und Untersagung bestimmter Formen<br />

des Erscheinungsbildes.........................................451<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

b) Einschränkung und Untersagung religiös oder<br />

weltanschaulich konnotierter Formen des Erscheinungsbildes.........452<br />

c) Verbot der Gesichtsverhüllung...................................454<br />

III. Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456<br />

1. Gefahren ohne Kennzeichnungspflicht...............................459<br />

2. Gefahren durch Kennzeichnungspflicht..............................462<br />

3. Eingriffscharakter................................................464<br />

4. Namensschilder vs. anonymisierte Kennzeichen ......................466<br />

a) Anknüpfung an die konkrete Tätigkeit der Beamten..................467<br />

b) Einsatz in geschlossenen Einheiten ...............................467<br />

5. Zulässigkeit einer Kennzeichnungspflicht aufgrund Gesetz..............468<br />

6. Rechtfertigung über Erlassregelungen...............................469<br />

7. Verpflichtung zur Einführung <strong>von</strong> Kennzeichnungspflichten.............471<br />

8. Verhältnismäßigkeit einer Kennzeichnungspflicht.....................471<br />

9. Ausweispflicht...................................................472<br />

IV. Äußerungen und Verhalten in der Öffentlichkeit ..........................473<br />

1. Politische Betätigung .............................................473<br />

2. Polizeibeamte im Kontext der Reichsbürgerbewegung .................479<br />

a) Pflicht zur Verfassungstreue.....................................480<br />

b) Reichsbürgerbewegung.........................................481<br />

aa) Ideologie.................................................482<br />

bb) Polizeiliches Einschreiten gegen „Reichsbürger“. . . . . . . . . . . . . . . . 482<br />

3. Religiöse Betätigung und Gewissensfreiheit..........................483<br />

a) Religiöse Betätigung ...........................................484<br />

b) Religiös motivierte Verhaltensweisen im Innenverhältnis<br />

(„Handschlag-Fall“) ............................................485<br />

c) Gewissensfreiheit .............................................488<br />

4. Flucht in die Öffentlichkeit ........................................490<br />

5. Schutz des Beamten vor der Öffentlichkeit ...........................491<br />

6. Beweislastverteilung durch Antidiskriminierungsgesetze...............492<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

V. Streikverbot ........................................................494<br />

VI.<br />

Mobbing, sexuelle Belästigung und Stalking..............................496<br />

1. Mobbing........................................................496<br />

2. Sexuelle Belästigung..............................................500<br />

3. Stalking. ........................................................503<br />

VII. Dienstfähigkeit und ärztliche Untersuchungen............................504<br />

1. Nachweis der Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung ...................505<br />

2. Anordnung polizeiärztlicher Untersuchung...........................506<br />

3. Polizeidienst(un)fähigkeit .........................................508<br />

VIII. Handlungspflichten <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong> .................................510<br />

1. Verfassungsrechtliche Erwägungen .................................512<br />

2. Polizeirechtliches Ermessen........................................513<br />

3. Beamtenrechtliche Pflichten.......................................514<br />

IX. Polizeiarbeit, Corona und Dienstunfallrecht ..............................517<br />

X. Summary ...........................................................522<br />

10. Kapitel: Rechtsschutz .................................................524<br />

I. Zivilrecht. ...........................................................524<br />

1. Gegenansprüche bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen................525<br />

a) Unterlassungsansprüche........................................526<br />

b) Gegendarstellung..............................................528<br />

c) Beseitigungsanspruch, Widerrufsanspruch.........................529<br />

d) Berichtigung..................................................530<br />

e) Schadensersatz................................................530<br />

f) Geldentschädigung („Schmerzensgeld“)...........................531<br />

g) Herausgabe ungerechtfertigter Bereicherung.......................534<br />

h) Auskunftsansprüche ...........................................535<br />

2. Gewaltschutzgesetz ..............................................535<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

II.<br />

Verwaltungsrecht, Rechtsschutz im Beamtenrecht.........................536<br />

1. Nichtförmliche Rechtsbehelfe......................................537<br />

a) Petition. .....................................................538<br />

b) Gegenvorstellung..............................................539<br />

c) Fachaufsichtsbeschwerde.......................................539<br />

d) Dienstaufsichtsbeschwerde .....................................540<br />

e) Verbindung <strong>von</strong> Beschwerden ...................................542<br />

f) Rechtsschutz..................................................542<br />

g) Personalrat...................................................542<br />

h) Schwerbehindertenvertretung...................................542<br />

i) Gleichstellungsbeauftragte......................................543<br />

j) Antidiskriminierungsstelle.......................................543<br />

k) Selbstreinigungsverfahren.......................................543<br />

l) Gnadengesuch................................................544<br />

2. Widerspruchsverfahren...........................................545<br />

3. Kontrolle durch die Rechtsprechung.................................545<br />

4. Vorläufiger Rechtsschutz..........................................546<br />

III. Datenschutzrecht ....................................................547<br />

IV. Summary ...........................................................549<br />

Literaturverzeichnis .......................................................551<br />

Stichwortverzeichnis. ......................................................563<br />

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<br />

1. Kapitel: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Wie ganz allgemein eine Staatsordnung, die nur spezielle Verhaltensweisen schützt, nicht<br />

menschenwürdekonform ist, gilt dies auch für die Dimension der Grundrechtsentfaltung.<br />

Es gehört zum unantastbaren, auf Art. 1 Abs. 1 GG rückführbaren Bereich des Art. 2 Abs. 1<br />

GG, dass dem Einzelnen eine möglichst umfassende Freiheit gewährleistet wird, er sich also<br />

grundsätzlich in jedem beliebigen Verhalten selbst verwirklichen kann. 1<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gehört zum Kanon der Grundrechte mit hoher Relevanz<br />

für die Praxis. 2 Es entwickelt(e) sich zudem zu einem zentralen Grundrecht der digitalen Welt,<br />

in der vor allem Informationen ausgetauscht werden und der Zugriff auf Individuen zunächst<br />

über Informationen erfolgt. 3<br />

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird vom deutschen Verfassungsrecht so interpretiert,<br />

dass die Bezüge <strong>von</strong> der freien Entfaltung der Persönlichkeit zur in Art. 1 Abs. 1<br />

Satz 1 GG garantierten und für unantastbar erklärten Würde des Menschen gerückt<br />

werden. Das Menschenbild des Grundgesetzes geht vom Einzelnen aus, der sich nach<br />

eigenen Plänen und eigenverantwortlich als Persönlichkeit frei entfaltet und sich dabei<br />

als soziales Wesen bindet und Gemeinschaften begründet. Dieses Recht steht jedem in<br />

gleichem Maße zu, die Ordnung, in der er wirkt, wird <strong>von</strong> ihm mit gleichem Recht wie <strong>von</strong><br />

jedem anderen mitgestaltet“. 4<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist unübersichtlich, weil es in der Rechtsprechung eine<br />

Vielzahl <strong>von</strong> Ausprägungen erfahren hat und zugleich in den Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG nur<br />

eine sehr knappe textliche Anbindung vorliegt. 5 Bevor auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

im Detail eingegangen wird, wird zunächst aus Gründen des Gesamtverständnisses ein<br />

Überblick über die „Grundrechtslehre“ gegeben.<br />

I. Allgemeine Grundrechtslehren<br />

Die allgemeinen Grundrechtslehren werden mitunter als abstrakte und womöglich aus<br />

diesem Grund auch als schwierigste Materie gesehen. Dennoch sind grundlegende Kenntnisse<br />

für das „Gesamtverständnis“ unabdingbar; nur so lässt sich tieferes Verständnis für die<br />

Grundrechte und ihre Bedeutung gewinnen.<br />

1 Schliesky/Hoffmann/Luch/Schulz/Borchers 2014, S. 96.<br />

2 Grundlegend Ehmann, JURA 2011, 437 ff.; Eifert, JURA2015, 1891 ff.<br />

3 Zur grundrechtlichen Wirkungsdimension im digitalen Raum Schliesky/Hoffmann/Luch/Schulz/Borchers 2014, S. 13 ff.<br />

4 Di Fabio 2016, S. 50.<br />

5 Eifert, JURA 2015, 1891.<br />

25


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

1. Begriff der Grundrechte, Grundrechtsarten<br />

Grundrechte sind einer Einzelperson zustehende Rechte, die – in einer Verfassung geregelt –<br />

Elementarrechte gegenüber dem Staat verbürgen. Sie beinhalten in erster Linie subjektive<br />

Rechte des Einzelnen, die die Staatsgewalt beschränken und gerichtlich durchsetzbar sind.<br />

Historisch bedingt waren die Grundrechte die wichtigste Antwort auf den Polizeistaat. Sie<br />

sind dem früheren Obrigkeitsstaat mühevoll abgetrotzt worden. 6 Auch im geltenden Recht<br />

steht der Abwehrcharakter der Grundrechte im Vordergrund. 7 Grundrechte sind in erster<br />

Linie Abwehrrechte gegen den Staat. In den Art. 1 bis 19 GG sind die Grundrechte des<br />

Grundgesetzes geregelt, an die gem. Art. 1 Abs. 3 GG die gesamte Staatsgewalt unmittelbar<br />

gebunden ist. Jedes einzelne Grundrecht ist in seinem Anwendungsbereich Kontrollmaßstab<br />

für das einschlägige einfache Recht, welches dem Verfassungsrecht im Rang nachgeht.<br />

Gerichtlich kann die Vereinbarkeit jeglichen staatlichen Handelns mit den Grundrechten<br />

im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)<br />

überprüft werden. 8<br />

Daneben existieren sog. grundrechtsgleiche Rechte, die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a) GG genannt<br />

sind (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103 und Art. 104 GG). Diese Rechte sind mit<br />

den Grundrechten in Art. 1–19 GG vergleichbar, da sie ebenfalls subjektive Rechte enthalten,<br />

den Schutz des Einzelnen gegen die Staatsmacht bezwecken und zum Gegenstand einer<br />

Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gemacht werden können.<br />

Auch in den Landesverfassungen sind Grundrechte gewährleistet, die die jeweilige Landesstaatsgewalt<br />

binden. Sollten Bundes- und Landesgrundrechte divergieren, kommt Art. 142<br />

GG (als „Sonderregelung“ zu Art. 31 GG) zur Anwendung.<br />

Es existieren zudem internationale Grundrechte, die in völkerrechtlichen Verträgen niederlegt<br />

sind, wie in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Diese Grundrechte haben in<br />

der deutschen Rechtsordnung (nur) den Rang <strong>von</strong> Bundesgesetzen, sodass später erlassene<br />

Bundesgesetze ihnen nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori („das jüngere<br />

Gesetz hebt das ältere Gesetz auf“) vorgehen können. 9<br />

Die Grundrechte sind aufgrund der Kürze ihrer Formulierung stark interpretationsbedürftig.<br />

Durch die Lehre der Grundrechtsfunktionen können die Rechtsfolgen <strong>von</strong> Grundrechten systematisiert<br />

und typisiert werden. Ein Grundrecht kann dabei mehrere Funktionen in sich vereinen.<br />

Eine grundsätzliche Differenzierung hat zwischen subjektiv-rechtlichen und objektivrechtlichen<br />

Inhalten der Grundrechte zu erfolgen. Als subjektive Rechte sind die Grundrechte<br />

Rechte des jeweiligen Grundrechtsträgers, z.B. Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Als<br />

objektive Prinzipien begründen die Grundrechte Pflichten zur Ausgestaltung der staatlichen<br />

Rechtsordnung, ohne dass aus diesen Pflichten eine individuelle Berechtigung folgt. 10 Die<br />

wichtigste Funktion der Grundrechte als subjektive Rechte des Einzelnen gegenüber dem<br />

Staat kann mit der sog. Statuslehre umschrieben werden. 11 Unterschieden wird dabei zwi-<br />

6 Fechner 2017, 4. Kapitel, Rn. 6.<br />

7 Pieroth/Schlink/Kniesel 2016, § 10, Rn. 5.<br />

8 Braun, PSP 1/2017, 31 (32).<br />

9 Braun, PSP 1/2017, 31 (32).<br />

10 Braun, PSP 1/2017, 31 (32).<br />

11 Jellinek 1919, S. 87, 94 ff.<br />

26


Funktionen der Grundrechte<br />

schen dem status negativus (gesichert durch Abwehrrechte), dem status positivus (gesichert<br />

durch Leistungsrechte) und den status activus (gesichert durch Mitwirkungsrechte).<br />

Nach ihrer (Haupt-)Schutzrichtung lassen sich die Grundrechte (bzw. grundrechtsgleichen<br />

Rechte) in Freiheits-, Gleichheits- und Justizgrundrechte einteilen. Die Freiheitsgrundrechte<br />

sichern dem Grundrechtsträger einen Freiraum vor staatlichen Maßnahmen zu und zielen<br />

auf ein staatliches Unterlassen ab, z.B. Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 GG.<br />

Die Gleichheitsrechte (z.B. Art. 3 GG) haben dagegen Nichtdiskriminierungsfunktion. Der<br />

Staat darf vergleichbare Sachverhalte nicht willkürlich ungleich und ungleiche Sachverhalte<br />

nicht willkürlich gleich behandeln. 12<br />

2. Funktionen der Grundrechte 13<br />

Die Grundrechte sind aufgrund der Kürze ihrer Formulierung stark interpretationsbedürftig.<br />

Durch die Lehre der Grundrechtsfunktionen können die Rechtsfolgen <strong>von</strong> Grundrechten<br />

systematisiert und typisiert werden. Ein Grundrecht kann dabei mehrere Funktionen in sich<br />

vereinen. Die wichtigste Funktion der Grundrechte als subjektive Rechte des Einzelnen gegenüber<br />

dem Staat kann mit der sog. Statuslehre umschrieben werden. Unterschieden wird<br />

dabei zwischen dem status negativus (gesichert durch Abwehrrechte), dem status positivus<br />

(gesichert durch Leistungsrechte) und den status activus (gesichert durch Mitwirkungsrechte).<br />

a) Status negativus<br />

Status negativus ist der Zustand, in dem der Einzelne Freiheit vom Staat hat. Ihm liegt die<br />

Idee eines liberalen Rechtsstaates zugrunde. Der Bürger kann sein gesellschaftliches Zusammenleben<br />

mit anderen ohne den Staat regeln. Die Grundrechte schützen diesen Zustand in<br />

Form <strong>von</strong> Abwehrrechten, die bestimmte Freiheiten, Rechte und Rechtsgüter gegen staatliche<br />

Eingriffe schützen. Diese haben die Funktion, die Staatsgewalt zu begrenzen, indem sie<br />

für den Staat Unterlassungspflichten aufgeben. 14 Da die Grundrechte in erster Linie Abwehrrecht<br />

des Bürgers gegen den Staat sind, können sich Organe des Staates nicht gegen andere<br />

Teile des Staates auf Grundrechte berufen.<br />

Beispiel: 15 Ein Minister, der vom Bundeskanzler angegriffen wird, er habe seine Ressortkompetenz<br />

überschritten, will sich vor der Presse gegenüber den „Angriffen“ verteidigen.<br />

Untersagt ihm der Bundeskanzler dies, so kann sich der Minister jedenfalls nicht auf das<br />

Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen.<br />

12 Braun, PSP 1/2017, 31 (34).<br />

13 Instruktiv Braun 2022, S. 48 ff. Zu den Grundrechtsfunktionen im Kontext einer „Internettauglichkeit“ Schliesky/Hoffmann/<br />

Luch/Schulz/Borchers 2014, S. 16 ff. und 42 ff.<br />

14 Braun, PSP 1/2017, 31 (32).<br />

15 Fechner 2017, 3. Kapitel, Rn. 10.<br />

27


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

b) Status positivus<br />

Status positivus ist der Zustand, in dem der Einzelne <strong>von</strong> seiner Freiheit nicht ohne den Staat<br />

Gebrauch machen kann, sondern für die Schaffung und Erhaltung seiner freien Existenz auf<br />

staatliche Hilfe angewiesen ist. Der status positivus ist im Grundgesetz schwächer angelegt.<br />

Diese Rechte gewähren Schutz durch den Staat. 16<br />

c) Status activus<br />

Status activus ist der Zustand, in dem der Einzelne seine Freiheit im und für den Staat betätigt.<br />

Der status activus wird durch Mitwirkungsrechte an der staatlichen Willensbildung und<br />

Betätigung gesichert. Hierzu gehören vor allem die sog. staatsbürgerlichen Rechte, wie das<br />

aktive und passive Wahlrecht, Art. 38 GG, oder das grundrechtsgleiche Recht auf Zugang zum<br />

öffentlichen Dienst nach Eignung und Befähigung, Art. 33 Abs. 2, 3 GG. 17<br />

3. Grundrechte als objektives Recht<br />

In den Grundrechten sind nicht nur subjektive Rechte, sondern auch objektive Wertentscheidungen<br />

verkörpert. 18 Das BVerfG spricht <strong>von</strong> den Grundrechten als einem Wertsystem das<br />

in alle Rechtsbereiche ausstrahlt. Objektivrechtliche Gehalte der Grundrechte sind insbesondere<br />

Vorgaben für die Anwendung und Auslegung des Privatrechts (sog. Drittwirkung <strong>von</strong><br />

Grundrechten), staatliche Schutzpflichten und Einrichtungsgarantien.<br />

a) Staatliche Schutzpflichten<br />

Die grundrechtsgebundene Staatsgewalt hat nach der abwehrrechtlichen Dimension der<br />

Grundrechte ungerechtfertigte Eingriffe in Grundrechte zu unterlassen. Darüber hinaus hat<br />

sie dem Grundrechtsinhaber aber auch gegen Eingriffe <strong>von</strong> dritter Seite Schutz zu gewähren.<br />

Nur selten fordern die Grundrechte den Staat ausdrücklich zum Schutz der Grundrechtsträger<br />

auf, wie in Art. 1 Abs. 1 Satz 2. Für andere Grundrechte kann sich eine Schutzpflicht durch<br />

Auslegung der Verfassung ergeben; so besteht z.B. eine Pflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2<br />

Satz 1, Leib und Leben seiner Bürger zu schützen.<br />

Beispiel: Bei einem Amoklauf in einer Schule, müssen die sich in Tatortnähe befindlichen<br />

<strong>Polizeibeamten</strong> einschreiten und den Bürgern unverzüglich zu Hilfe kommen (es darf z.B.<br />

nicht auf das Eintreffen <strong>von</strong> Spezialeinsatzkommandos gewartet werden). Das Einschreitermessen<br />

der Beamten ist hier aufgrund der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2<br />

GG auf Null reduziert. 19<br />

Bei der Frage, wie eine Schutzpflicht zu erfüllen ist, billigt das BVerfG dem Gesetzgeber und<br />

den sonstigen Staatsorganen eine beträchtliche Entscheidungsfreiheit zu; der Staat hat einen<br />

weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich, wie er seinem verfassungsrechtlichen<br />

Auftrag des Grundrechtsschutzes nachkommt. Denn es gibt regelmäßig eine Vielzahl<br />

<strong>von</strong> Möglichkeiten, den Schutz eines <strong>von</strong> der Verfassung vorgegebenen Ziels zu erreichen. 20<br />

16 Braun, PSP 1/2017, 31 (32).<br />

17 Braun, PSP 1/2017, 31 (33).<br />

18 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205): Lüth. Dazu Schmid, in: Albrecht 2018, Rn. 580 f.<br />

19 Weitergehend Pieper 2017, Rn. 189. Zur Entwicklung der Schutzpflichtenfunktion in der deutschen Grundrechtsdogmatik<br />

Stern, DÖV 2010, 241 ff.; speziell zur Übernahme <strong>von</strong> Lebensrisiken, Ebert, Die Polizei 2015, 360 ff.<br />

20 Braun, PSP 1/2017, 31 (33).<br />

28


Grundrechte als objektives Recht<br />

Beispiel: Bei einer Geisellage, besteht kein Anspruch des Bürgers, dass die Polizei auf die<br />

Forderungen des Geiselnehmers eingeht um das Leben der Geiseln zu retten. Die Einsatzleitung<br />

kann auch, wenn es die Lage hergibt, die gewaltsame Befreiung der Geiseln<br />

veranlassen.<br />

b) Drittwirkung<br />

Nach Art. 1 Abs. 3 GG verpflichten die Grundrechte die Staatsgewalt in allen ihren Erscheinungen,<br />

nicht aber Privatpersonen. 21 Allerdings besteht aufgrund des objektiv-rechtlichen<br />

Gehalts der Grundrechte eine mittelbare Drittwirkung: Die Grundrechte binden nicht nur<br />

den Privatrechtsgesetzgeber, sondern auch die Richter bei der Auslegung und Anwendung<br />

des Privatrechts. Als „Einbruchstellen“ der Grundrechte in das Privatrecht dienen dabei die<br />

zivilrechtlichen Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe (z.B. § 242 BGB „Treu und<br />

Glauben“, § 138 BGB „Gute Sitten“ usw.), bei deren Auslegung die Ausstrahlungswirkung der<br />

Grundrechte zur Geltung kommt. Alle Normen, auch die des Privatrechts, müssen im Geist<br />

der Grundrechte ausgelegt und angewandt werden. (grundrechtskonforme Auslegung). 22<br />

Beispiel: Eine Tierschutzorganisation ruft medienwirksam dazu auf, keine Hähnchen des<br />

Herstellers „Rasenhof“ zu kaufen. Verklagt dieser daraufhin die Tierschutzorganisation<br />

auf Unterlassung und Schadensersatz nach § 826 BGB, hat der entscheidende Richter bei<br />

der Prüfung des Tatbestandsmerkmals „Verstoß gegen die guten Sitten“ das Grundrecht<br />

auf Meinungsfreiheit der Tierschützer, Art. 5 Abs. 1 GG, zu berücksichtigen.<br />

c) Einrichtungsgarantien<br />

Einrichtungsgarantien schreiben Rechtsinstitute verfassungsrechtlich fest und schützen dadurch<br />

ihren Kernbestand vor einem Zugriff des einfachen Gesetzgebers. Bei den Einrichtungsgarantien<br />

wird zwischen institutionellen Garantien, die sich auf öffentlich-rechtliche<br />

Normkomplexe beziehen (z.B. das Berufsbeamtentum, Art. 33 Abs. 4, 5 GG) und Institutsgarantien,<br />

die sich auf privatrechtliche Normkomplexe beziehen (z.B. die freie Presse, Art. 5<br />

Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG) unterschieden. 23<br />

Beispiel: 24 Das Bundesland N beschließt ein Gesetz, nach dem aus Gründen der Kostenersparnis<br />

künftig Polizeibeamte nur noch als Angestellte im öffentlichen Dienst eingestellt<br />

werden sollen. Das Gesetz ist verfassungswidrig wegen eines Verstoßes gegen den<br />

Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4, 5 GG. Danach sind hoheitliche Kernaufgaben, wie<br />

die Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit und die Strafverfolgung, zwingend <strong>von</strong> Beamten<br />

wahrzunehmen (institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums).<br />

21 Einzige Ausnahme ist Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, der die Koalitionsfreiheit gewährleistet, d.h., das Recht der Arbeitnehmer und<br />

Arbeitgeber sich zwecks Vertretung ihrer jeweiligen konträren Interessen zusammenzuschließen. Diese grundrechtliche<br />

Gewährleistung kann nicht durch entgegenstehende zivilrechtliche Vereinbarungen ausgehebelt werden. Ein zivilrechtlicher<br />

Arbeitsvertrag z.B., der dem Arbeitnehmer die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft untersagt, ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz<br />

2 nichtig.<br />

22 Braun, PSP 1/2017, 31 (33); Fechner 2017, 3. Kapitel, Rn. 22.<br />

23 Braun, PSP 1/2017, 31 (33 f.).<br />

24 Braun, PSP 1/2017, 31 (34).<br />

29


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

4. Grundrechtsfähigkeit<br />

Grundrechtsfähigkeit oder (Grundrechtsberechtigung) ist die Fähigkeit, Träger <strong>von</strong> Grundrechten<br />

zu sein. Auf ein Grundrecht kann sich nur berufen, wer konkret grundrechtsfähig<br />

ist. Dabei ist zwischen Menschen- und Bürgerrechten zu unterscheiden sowie zwischen der<br />

Grundrechtsberechtigung <strong>von</strong> natürlichen und juristischen Personen.<br />

a) Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen<br />

Die Grundrechtsfähigkeit beginnt grundsätzlich mit Vollendung der Geburt und endet mit<br />

dem Tod (d.h., wenn die Hirnfunktionen irreversibel erloschen sind). Zu berücksichtigen sind<br />

folgenden Fallkonstellationen: 25<br />

– dem Nasciturus (also dem werdenden Leben) kommt der Schutz aus Art. 1 Abs. 1 und<br />

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bereits ab dem Zeitpunkt der Nidation zu (Einnistung der befruchteten<br />

Eizelle in die Gebärmutter).<br />

– das Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, gilt auch nach dem Tod<br />

fort, weil der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in seinem Achtungsanspruch<br />

nach seinem Tode nicht herabgewürdigt oder erniedrigt werden darf.<br />

So können sich Angehörige auch nach dem Tod des Grundrechtsträgers auf eine Verletzung<br />

<strong>von</strong> dessen <strong>Persönlichkeitsrechte</strong>n berufen (postmortaler Persönlichkeitsschutz).<br />

Die Grundrechte gelten aufgrund der umfassenden Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte<br />

(Art. 1 Abs. 3 GG) auch in sog. besonderen Gewaltverhältnissen (oder Sonderstatusverhältnissen).<br />

Das sind Rechtsverhältnisse, in denen der Einzelne in einer besonders engen<br />

Rechts- und Pflichtenbeziehung zum Staat steht, z.B. bei Beamten, Soldaten, Strafgefangenen<br />

oder Schülern.<br />

Die Grundrechtsfähigkeit steht in begrenztem Maß zur Disposition ihres Inhabers. Ein genereller<br />

Grundrechtsverzicht ist ausgeschlossen. Allerdings kann ein Grundrechtsträger in<br />

konkrete staatliche Eingriffe einwilligen, soweit<br />

– die konkrete Grundrechtsposition verzichtbar ist (dies ist bei der Menschenwürde,<br />

Art. 1 Abs. 1 GG, und dem Recht auf Leben, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, nicht der Fall, sehr<br />

wohl aber bei Art. 13 Abs. 1 GG)<br />

– die Einwilligung freiwillig erfolgt, d.h. nicht durch Täuschung oder Drohung erwirkt<br />

wird<br />

– und sich der Einwilligende der Tragweite seiner Willensbekundung bewusst ist. Damit<br />

hier<strong>von</strong> ausgegangen werden kann, ist stets eine ausdrückliche Einwilligung zu<br />

fordern. Das heißt, durch bloßes Schweigen bzw. stillschweigendes Dulden kann keine<br />

wirksame Einwilligung vorgenommen werden. Bei besonders schwerwiegenden<br />

Grundrechtseingriffen, etwa bei einer molekulargenetischen Untersuchung ist zudem<br />

eine schriftliche Einwilligung zu verlangen und eine vorherige Belehrung durch die Polizei<br />

(vgl. z.B. § 81f Abs. 1 StPO). 26<br />

25 Zitiert nach Braun, PSP 1/2017, 31 (35).<br />

26 Braun, PSP 1/2017, 31 (35).<br />

30


Grundrechtsfähigkeit<br />

b) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen<br />

Unterschieden wird zwischen juristischen Personen des Privatrechts und juristischen Personen<br />

des öffentlichen Rechts.<br />

aa) Juristische Personen des Privatrechts<br />

Juristische Personen des Privatrechts besitzen eine durch das einfache Recht verliehene eigene<br />

Rechtspersönlichkeit. Sie sind (voll-)rechtsfähig, wie z.B. die Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1<br />

AktG), die GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG), oder ein eingetragener Verein (§ 21 BGB). Daneben<br />

gibt es Personenmehrheiten, die nicht umfassend rechtsfähig, sondern teilrechtsfähig sind.<br />

Das bedeutet, dass deren Rechtsfähigkeit auf bestimmte Rechtsgebiete und Rechtsnormen<br />

beschränkt ist (z.B. OHG, KG). Art. 19 Abs. 3 GG erfasst sowohl voll- als auch teilrechtsfähige<br />

Personenmehrheiten. Die Grundrechte gelten aber nur für inländische juristische Personen<br />

(im o.g. Sinne). Das maßgebliche Kriterium dafür ist anhand der sog. Sitztheorie zu ermitteln.<br />

Danach kommt es auf den Sitz der juristischen Person an, der im Inland liegen muss.<br />

Entscheidend ist hierbei nicht der satzungsmäßige Sitz der Hauptverwaltung, sondern der<br />

tatsächliche Handlungsort der Organe der juristischen Person, das „selbstgewählte Aktionszentrum“.<br />

Auf die Staatsangehörigkeit der Mitglieder kommt es nicht an. 27<br />

Die Frage, ob juristische Personen des Privatrechts Grundrechtsträger sein können, kann<br />

letztlich mithilfe <strong>von</strong> Art. 19 Abs. 3 GG beantwortet werden. 28 In dogmatischer Hinsicht<br />

wird durch Art. 19 Abs. 3 GG die Grundrechtsfähigkeit, welche an sich natürlichen Personen<br />

zukommt, auch den inländischen juristischen Personen zugesprochen. 29 Art. 19 Abs. 3 GG<br />

erweitert den Kreis der Grundrechtsberechtigten über denjenigen der natürlichen Personen<br />

hinaus. Juristische Personen des Privatrechts besitzen eine durch das einfache Recht verliehene<br />

eigene Rechtspersönlichkeit. Sie sind (voll-)rechtsfähig, wie z.B. die Aktiengesellschaft<br />

(§ 1 Abs. 1 AktG), die GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG), oder ein eingetragener Verein (§ 21 BGB).<br />

Daneben gibt es Personenmehrheiten, die nicht umfassend rechtsfähig, sondern teilrechtsfähig<br />

sind. Das bedeutet, dass deren Rechtsfähigkeit auf bestimmte Rechtsgebiete und<br />

Rechtsnormen beschränkt ist (z.B. OHG, KG). 30<br />

Begründet wird eine eigene Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen und nicht nur die<br />

der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Person. 31 Welchen Umfang diese<br />

Erweiterung hat, ist allerdings nicht unumstritten. 32<br />

Die Grundrechte gelten aber nur für inländische juristische Personen. Das maßgebliche<br />

Kriterium dafür ist anhand der sog. Sitztheorie zu ermitteln. Danach kommt es auf den Sitz<br />

der juristischen Person an, der im Inland liegen muss. Entscheidend ist hierbei nicht der satzungsmäßige<br />

Sitz der Hauptverwaltung, sondern der tatsächliche Handlungsort der Organe<br />

der juristischen Person, das „selbstgewählte Aktionszentrum“. 33 Auf die Staatsangehörigkeit<br />

der Mitglieder kommt es nicht an. 34<br />

27 Braun, PSP 1/2017, 31 (35 f.).<br />

28 Beaucamp/Seifert, JA 2004, 539 (541).<br />

29 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 163.<br />

30 Braun, in: Sensburg 2014, S. 148.<br />

31 Eingehend Lenz/Gerhold, DVBl. 2021, 980 ff.; Müller-Terpitz, JZ 2020, 1080 ff.; Becker, JURA 2019, 496 ff.; Ludwigs/<br />

Friedmann, JA 2018, 807 ff.<br />

32 Krausnick, JuS 2008, 869.<br />

33 Bethge, 1985, S. 45, dort auch (ablehnend) zur sog. Anerkennungstheorie auf S. 45 f.<br />

34 Braun, in: Sensburg 2014, S. 149.<br />

31


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Unter inländische juristische Personen sind auch solche zu fassen, die ihren Sitz zwar nicht<br />

in Deutschland, aber in einem anderen Mitgliedstaat der EU haben. Eine andere Bewertung<br />

wäre mit dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV nicht vereinbar.<br />

Die geltend gemachten Grundrechte müssen zudem nach Art. 19 Abs. 3 GG auf die inländische<br />

juristische Person wesensmäßig anwendbar sein, wie etwa Art. 14 GG, Art. 5 Abs. 1<br />

und 3 GG oder Art. 13 Abs. 1 GG. Grundrechte, die an natürliche Qualitäten des Menschen<br />

anknüpfen (z.B. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 GG), kommen somit <strong>von</strong> vornherein<br />

nicht in Betracht. 35<br />

bb) Juristische Personen des öffentlichen Rechts<br />

Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist umstritten.<br />

Hinter den verschiedenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts steht die einheitliche<br />

Staatsgewalt, die nicht gleichzeitig grundrechtsverpflichtet (Art. 1 Abs. 3 GG) und grundrechtsberechtigt<br />

sein kann (sog. Konfusionsargument). 36<br />

Ausnahmen <strong>von</strong> diesem Grundsatz erkennt das BVerfG in den Fällen, in denen der Rechtsträger<br />

einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich unmittelbar zugeordnet ist und<br />

infolgedessen als eine staatsunabhängige oder zumindest staatsdistanzierte Einrichtung<br />

anzusehen ist. Das sind im Wesentlichen die Rundfunkanstalten, die Universitäten und deren<br />

Fakultäten, ferner die Kirchen. 37<br />

Die Justizgrundrechte in Art. 101 Abs. 1, 103 GG nehmen eine Sonderrolle ein. Sie gelten<br />

auch für ausländische juristische Personen des Privatrechts sowie umfassend für juristische<br />

Personen des öffentlichen Rechts. 38<br />

c) Grundrechtsmündigkeit<br />

Von der Grundrechtsfähigkeit ist die Frage der Grundrechtsmündigkeit zu unterscheiden.<br />

Hier geht es darum, ob die selbstständige Geltendmachung <strong>von</strong> Grundrechten im konkreten<br />

Fall an Altersgrenzen gebunden ist. 39 Die Grundrechtsmündigkeit betrifft die Fähigkeit einer<br />

Person, ein Grundrecht, dessen Träger sie ist, in möglichen Konfliktsituationen entsprechend<br />

ihrer Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit ausüben zu können. 40 Die Frage nach der<br />

Grundrechtsmündigkeit beantwortet, ob und unter welchen Voraussetzungen der nicht geschäftsfähige<br />

Grundrechtsträger seine Grundrechte selbstständig geltend machen kann. Für<br />

die Anwendung <strong>von</strong> Grundrechten, die elementare Rechte gewähren bzw. die menschliche<br />

Existenz sichern, besteht kein bestimmtes Alterserfordernis. 41<br />

Bei integritätsbezogenen Grundrechten (z.B. Leben, körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2<br />

GG) spielen Altersgrenzen keine Rolle. Die Grundrechtsmündigkeit eines Grundrechtsträgers<br />

ist deshalb nur bei tätigkeitsbezogenen Grundrechten zu prüfen. 42<br />

35 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 150 f.<br />

36 Braun, in: Sensburg 2014, S. 150.<br />

37 Braun, PSP 1/2017, 31 (36), m.w.N.<br />

38 Braun, in: Sensburg 2014, S. 150.<br />

39 Zur Grundrechtsmündigkeit bei Minderjährigen Braun 2022, S. 59 f.<br />

40 Instruktiv Braun 2022, S. 59 f.<br />

41 Herrmann/Lang/Schneider 2004, S. 26.<br />

42 Braun, in: Sensburg 2014, S. 151; Braun, PSP 1/2017, 31 (36).<br />

32


Schutzbereich<br />

5. Grundrechtsprüfung<br />

Bei der Prüfung <strong>von</strong> Freiheitsgrundrechten und Gleichheitsgrundrechten folgt die Prüfungsreihenfolge<br />

zwei Regeln. Freiheitsrechte sind vor Gleichheitsrechten zu prüfen und innerhalb<br />

dieser Gruppen die besonderen Rechte vor den allgemeinen. Insofern ergibt sich prüfungstechnisch<br />

folgende Reihenfolge: 43<br />

(1) Besondere Freiheitsrechte<br />

(2) Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG<br />

(3) Besondere Gleichheitsrechte<br />

(4) Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG<br />

Beispiel: Im Rahmen einer Versammlung beschlagnahmt die Polizei ein Plakat mit vermeintlich<br />

beleidigendem Inhalt. Spezifischer und damit vorrangig zu prüfen ist hier die<br />

Meinungs- bzw. Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 GG); demgegenüber<br />

nachrangig ist die mit der Beschlagnahme verbundene Beschränkung der Eigentumsfreiheit<br />

(Art. 14 Abs. 1 GG) des Betroffenen. 44<br />

6. Schutzbereich<br />

Der Schutzbereich eines Grundrechts bezeichnet den Bereich, den die Grundrechtsnorm aus<br />

der Lebenswirklichkeit als Schutzgegenstand herausschneidet und unter verfassungsrechtlichen<br />

Schutz stellt. 45 Im Rahmen des sachlichen Schutzbereichs („Was ist geschützt?) sind<br />

die durch das betreffende Grundrecht geschützten Verhaltensweisen (z.B. „versammeln“ in<br />

Art. 8 GG) oder Rechtsgüter bzw. Schutzgegenstände (z.B. „Leben und körperliche Unversehrtheit“<br />

in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu ermitteln. Dabei sind im Grundgesetz enthaltene<br />

Schutzbereichsbeschränkungen – soweit vorhanden – bereits zu berücksichtigen (durch<br />

Art. 8 GG sind z.B. nur friedliche und waffenlose Versammlungen geschützt; dementsprechend<br />

erstreckt sich auch der Schutzbereich nur auf solche). 46<br />

Bei der Prüfung des personalen Schutzbereichs („Wer wird geschützt?“) sind die Personen<br />

zu ermitteln, die durch das betreffende Grundrecht geschützt werden (Grundrechtsträger).<br />

Hier kommt die Unterscheidung zwischen Deutschen- und Jedermann-Grundrechten zum<br />

Tragen (zum Begriff des Deutschen Art. 116 Abs. 1 GG), ferner die Frage nach der Grundrechtsberechtigung<br />

juristischer Personen (Art. 19 Abs. 3 GG). 47<br />

43 Braun, PSP 2/2017, 34.<br />

44 Weitergehend Braun/Kolpak, PSP 2/2016, 26.<br />

45 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 197.<br />

46 Braun, PSP 2/2017, 34.<br />

47 Weitergehend Enzensperger, VR 2016, 310 ff.<br />

33


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

7. Grundrechtseingriff<br />

Ist geklärt, dass der Schutzbereich des zu prüfenden Grundrechts eröffnet ist, ist zu untersuchen,<br />

ob die gerügte staatliche Maßnahme einen Eingriff darstellt; d.h. eine Beeinträchtigung<br />

des grundrechtlich geschützten Verhaltens oder des grundrechtlich geschützten<br />

Rechtsguts. 48<br />

a) Eingriff<br />

Das grundrechtliche Schutzgut wird durch ein Beeinträchtigungsverbot geschützt. Allerdings<br />

ist diese Formulierung unscharf. Unzulässige Einwirkungen auf das Schutzgut eines Grundrechts<br />

werden meist als „Eingriff“ bezeichnet. Der Eingriff löst den grundrechtlichen Abwehranspruch<br />

aus. Der Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts liegt somit in dem Verbot <strong>von</strong><br />

Eingriffen in das Schutzgut. Jedoch ist nicht jede beliebige Einwirkung auf das Schutzgut ein<br />

Eingriff. Dafür müssen vielmehr bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. 49<br />

Eingriff wird man definieren können als jedes positive hoheitliche Handeln, das den Grundrechtsträger<br />

unmittelbar oder mittelbar in seiner Grundrechtsposition mehr als nur unerheblich<br />

beeinträchtigt. 50 Dieser Eingriffsbegriff hat grundsätzlich auch beim Allgemeinen<br />

Persönlichkeitsrecht Gültigkeit. Nehmen Hoheitsträger Eingriffe vor, bedarf es nach dem<br />

Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. 51<br />

b) Klassischer Eingriffsbegriff<br />

Der klassische Eingriffsbegriff zeichnet sich durch Finalität (nicht bloß unbeabsichtigte Folge<br />

eines auf ganz andere Ziele gerichteten Staatshandelns), Unmittelbarkeit (nicht bloß zwar<br />

beabsichtigte, aber mittelbare Folge des Staatshandelns), Rechtsförmigkeit (rechtliche, nicht<br />

bloß tatsächliche/faktische Wirkung) und imperativen Gehalt (mit Befehl und Zwang angeordnet<br />

bzw. durchsetzbar) aus. 52<br />

Beispiel: Verpflichtung zur Duldung einer körperlichen Untersuchung<br />

(Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).<br />

c) Weiter Eingriffsbegriff<br />

Auch (nur) mittelbare oder faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen können Eingriffe darstellen.<br />

53<br />

Beispiel: Warnungen vor dem Genuss bestimmter Lebensmittel (Art. 12 Abs. 1 GG)<br />

oder vor Jugendsekten (Art. 4 Abs. 1 GG). Insoweit ist <strong>von</strong> einem weiten Eingriffsbegriff<br />

auszugehen.<br />

Eingriff ist danach jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den<br />

Schutzbereich eines Grundrechts fällt, (wesentlich) erschwert oder ganz oder teilweise unmöglich<br />

macht (weiter Eingriffsbegriff).<br />

48 Braun, PSP 2/2017, 34.<br />

49 Graf <strong>von</strong> Kielmansegg, JuS 2009, 19 (21).<br />

50 Herrmann, POLIZEI-heute 2000, 123 (125).<br />

51 Schütte/Braun/Keller 2016, Rn. 10.<br />

52 Braun, PSP 2/2017, 34 f.<br />

53 Braun, PSP 3/2017, 37.<br />

34


Verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

8. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

Könnte jeder Grundrechtsträger <strong>von</strong> seinen Grundrechten grenzen- und rücksichtslos Gebrauch<br />

machen, würde das zwangsläufig zu Konflikten mit den Interessen der Allgemeinheit<br />

und den Grundrechten anderer Grundrechtsträger führen. Die Grundrechte sind deshalb<br />

koordinierungs- und kompatibilisierungsbedürftig. 54 Dem Grundrechtsgebrauch müssen<br />

also Schranken gezogen werden.<br />

a) Schranken<br />

Die meisten Grundrechte enthalten einen Gesetzesvorbehalt („Schrankenvorbehalt“), wonach<br />

ein Grundrecht z.B. „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes“ beschränkt werden<br />

darf. Damit obliegt die angesprochene Ausgleichsaufgabe primär dem Gesetzgeber. Bei den<br />

Gesetzesvorbehalten werden zwei Erscheinungsformen unterschieden:<br />

– einfache Gesetzesvorbehalte erlauben Einschränkungen durch Gesetz oder aufgrund<br />

eines Gesetzes ohne nähere Qualifizierung (z.B. Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 8 Abs. 2, 12 Abs. 1<br />

Satz 2 GG);<br />

– qualifizierte Gesetzesvorbehalte lassen eine Beschränkung des Grundrechts nur unter<br />

bestimmten Voraussetzungen, bei bestimmten Situationen, zu bestimmten Zwecken<br />

oder durch bestimmte Mittel zu (z.B. Art. 5 Abs. 2, 11 Abs. 2, 13 Abs. 2 bis 7 GG).<br />

Aber auch normtextlich vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte (z.B. Art. 4 Abs. 1, 2, 5<br />

Abs. 3 GG) können beschränkt werden. Sie unterliegen aber einem erhöhten Rechtfertigungsniveau:<br />

„Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang<br />

ausgestattete Rechtsgüter sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die <strong>von</strong> ihr<br />

geschützte gesamte Wertordnung im Stande, „uneinschränkbare“ Grundrechte in einzelnen<br />

Beziehungen zu begrenzen“. 55 Grundlage muss ein Gesetz sein. Eine Grenzziehung durch<br />

Gesetz ist auch bei fehlendem Gesetzesvorbehalt nicht entbehrlich, sondern im Gegenteil<br />

wegen des hohen Ranges des vorbehaltslosen Grundrechts besonders wichtig und folgt im<br />

Übrigen bereits aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. 56<br />

b) Schranken-Schranken<br />

Dem das jeweilige Grundrecht beschränkenden Gesetzgeber sind wiederum Grenzen gesetzt.<br />

Er ist an die sog. Schranken-Schranken gebunden. Diese können sich direkt aus dem<br />

eingeschränkten Grundrecht ergeben, sowie aus Art. 19 Abs. 1, 2 GG und dem Übermaßverbot.<br />

Aber auch Verstöße gegen sonstiges Verfassungsrecht, z.B. das Rechtsstaatsprinzip,<br />

führen zu einer Grundrechtsverletzung. Infolge dessen ist das grundrechtsbeschränkende<br />

Gesetz umfassend in formeller (Kompetenz, Verfahren) und materieller Hinsicht (z.B. Rechtsstaatlichkeit,<br />

Sozialstaatlichkeit) auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. 57 Einschränkende<br />

Verfassungsprinzipien („Schranken-Schranken“) sind insbesondere<br />

54 Braun, PSP 2/2017, 34 (35).<br />

55 BVerfGE 28, 243 (261).<br />

56 Braun, PSP 2/2017, 34 (35); Pieroth/Schlink/Kniesel 2016, § 10, Rn. 10.<br />

57 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 1167 ff.; weitergehend Braun, PSP 2/2017, 34 (36 ff.).<br />

35


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

– Verbot <strong>von</strong> Einzelfallgesetzen (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG),<br />

– Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG),<br />

– Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) und die<br />

– Wechselwirkungslehre 58<br />

Das Zitiergebot gilt nur für Grundrechte, die „durch oder aufgrund eines Gesetzes“ beschränkt<br />

werden können, Nachdem z.B. der allgemeinen Handlungsfreiheit aber die Rechte<br />

anderer, die verfassungsmäßige Ordnung sowie das Sittengesetz Schranken setzen, gilt für<br />

sie das Zitiergebot nicht. 59<br />

II.<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Nach seinem Wortlaut gewährt Art. 2 Abs. 1 GG jedem die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“,<br />

soweit er nicht dabei gegen die Rechte anderer verstößt, das Sittengesetz oder die<br />

verfassungsmäßige Ordnung (Schrankentrias). Die „freie Entfaltung“ wurde zur allgemeinen<br />

Handlungsfreiheit oder auch Verhaltensfreiheit entwickelt. Der Begriff der Persönlichkeit ist<br />

dagegen in der Folge vom BVerfG unter Aufnahme des Anliegens der Persönlichkeitstheorie<br />

zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht weiterentwickelt worden.<br />

Während die allgemeine Handlungsfreiheit die Rechtssphäre des Einzelnen insgesamt umfassend<br />

schützen will 60 , geht es bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht darum, wichtige<br />

Elemente der Persönlichkeit des Menschen unter Bezug auch auf Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich<br />

zu schützen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird deshalb auch zitiert mit<br />

Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. 61<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist wie ein eigenständiges Grundrecht zu behandeln. Es<br />

ist im Verhältnis zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Art. 2 Abs. 1 GG das<br />

speziellere Grundrecht und daher vorrangig. 62<br />

1. Einführung<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ und<br />

wird entsprechend regelmäßig in Art. 2 Abs. 1 GG. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankert. 63 Das<br />

Grundrecht findet sich nicht im Verfassungstext <strong>von</strong> 1949; es ist vielmehr eine spätere<br />

Schöpfung der Rechtsprechung. Es wurde ausdrücklich entwickelt, um den grundrechtlichen<br />

Schutz neunen Entwicklungen anpassen zu können. 64<br />

58 BVerfGE 7, 198: Lüth.<br />

59 Braun, PSP 3/2017, 37 (38).<br />

60 LAG Düsseldorf, Beschl. v. 19.04.2016 − 14 TaBV 6/16: Generelles Rauchverbot außerhalb der Pausen ist kein Eingriff in<br />

Handlungsfreiheit der Arbeitnehmer. Speziell zur allgemeinen Handlungsfreiheit Braun, PSP 3/2017, 37 ff.<br />

61 Berning, Kriminalistik 2007, 579 ff. und 649 ff.<br />

62 Fechner 2017, 4. Kapitel, Rn. 7.<br />

63 Die Formulierung „In Verbindung mit“ ist eine oft benutzte Ausdrucksweise des BVerfG. Die Verbindung <strong>von</strong> Art. 2 Abs. 1<br />

GG mit Art. 1 Abs. 1 GG – das allgemeine Persönlichkeitsrecht – begleitet Studierende <strong>von</strong> den ersten Semestern an,<br />

Meinke, JA 2009, 6: Verbindungen mit Grundrechten in der Rechtsprechung des BVerfG.<br />

64 Beaucamp/Seifert, JA 204, 539.<br />

36


Einführung<br />

Dem Schutz der Persönlichkeit dienen neben sog. besonderen Rechten, die lediglich einzelne<br />

Facetten erfassen, auch allgemeine Rechte. Die übliche Bezeichnung „allgemeines<br />

Persönlichkeitsrecht“ ist gleichwohl kein gesetzlicher, insbesondere kein grundgesetzlicher<br />

Terminus. In Art. 2 Abs. 1 GG heißt es lediglich, dass jeder „das Recht auf freie Entfaltung<br />

seiner Persönlichkeit“ hat. Die Rechtsprechung leitet hieraus allerdings ein allgemeines<br />

Persönlichkeitsrecht ab, das sich in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde gem.<br />

Art. 1 Abs. 1 GG mittlerweile zu einem eigenen Grundrecht verselbstständigt hat. 65<br />

Art. 1 Abs. 1 GG<br />

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen<br />

ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. 66<br />

Durch Art. 1 GG steht ein Halte- und Orientierungspunkt bereit, der nicht nur ein ethisch-moralisches<br />

Angebot ist, das man annehmen oder auch ablehnen kann, sondern das vielmehr<br />

als Teil der Verfassung ein verbindliches normatives Prinzip darstellt. 67<br />

Die Menschenwürdegarantie ist ein verfassungsrechtliches Tabu. 68 Ein in letzter Zeit besonders<br />

umstrittener Fall des Absolutheitsanspruchs der Menschenwürdegarantie war die<br />

Frage nach der Zulässigkeit der „Rettungsfolter“ 69 , insbesondere bei tragischen Fällen <strong>von</strong><br />

„Würdekollisionen“. 70 Typische Fälle der Verletzung der Menschenwürde sind Sklaverei, unmenschliche<br />

oder erniedrigende Behandlungsweisen, vollständige Entrechtung oder Entzug<br />

<strong>von</strong> Privatheit/Intimsphäre. 71 Auch in der Erniedrigung oder Ächtung <strong>von</strong> Personen kann<br />

eine Beeinträchtigung liegen. 72 Inhaltlich bedeutet Menschenwürde die grundsätzliche Achtung<br />

vor dem Eigenwert der menschlichen Person. 73<br />

Versucht man die Rechtsprechung und Lehre zu systematisieren, so kristallisieren sich als<br />

Bezugspunkte heraus: 74<br />

– der Schutz der menschlichen Identität und des Eigenwerts jedes Menschen;<br />

– der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität;<br />

– der Schutz der Intimität;<br />

– der Schutz des Kernbereichs der menschlichen Selbstbestimmung;<br />

– der Schutz der Sozialbezogenheit;<br />

– der Schutz des Existenzminimums als materieller Basis menschlichen Daseins.<br />

65 Neuner, JuS 2015, 961.<br />

66 Nach allgemeiner Auffassung ist die Menschenwürde das Fundament des Rechts, bildet aber zugleich auch eine Grenze<br />

der Abwägbarkeit <strong>von</strong> Rechten; vertiefend Rothhaar 2015, S. 1 ff.<br />

67 Bockenförde, JZ 2003, 809 ff.<br />

68 Vertiefend: Wienbracke, Verwaltungsrundschau 2016, 181 ff.; Hoerster, JURA 2011, 241 ff.; Bautze, JURA 2011, 647 ff.;<br />

Hufen, JuS 2010, 1 ff.; Classen, DÖV 2009, 689 ff.; Poscher, JZ 2009, 269 ff.; Elsner, DVBl. 2007, 278 ff.; Poscher, JZ 2004,<br />

762 ff.<br />

69 Amelung, JR 2012, 18 ff.<br />

70 Hofmann, NVwZ 2010, 217 (218).<br />

71 Hildebrandt, in: Sensburg 2014, S. 172; instruktiv zur Menschenwürde Nettesheim, JZ 2019, 1 ff.; Hufen, JuS 2010, 1 ff.;<br />

Linke, JuS 2016, 888 ff.; Poscher, JZ 2009, 269 ff.; zur philosophischen Dimension Kipke/Gündüz, JURA 2017, 9 ff.<br />

72 Anroni, in: Hömig/Wolff 2016, Art. 1, Rn. 5.<br />

73 Zum wissenschaftlichen Hintergrund (Einzigartige „Persönlichkeit“) Thielmann/Weibler/Model 2020, S. 116 ff.<br />

74 Hufen, JuS 2010, 1 (2).<br />

37


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Die Würde des Menschen ist ein objektiver, unverfügbarer Wert, auf dessen Beachtung der<br />

einzelne nicht wirksam verzichten kann. 75 Ausgeschlossen ist demnach die Möglichkeit der<br />

Einwilligung des Betroffenen in die Verletzung seiner Würde, denn diese steht nicht zu seiner<br />

Disposition. 76<br />

Beispiel („Zwergenweitwurf“): 77 Die Veranstaltung eines sog. Zwergenweitwurfs verstößt<br />

gegen die guten Sitten, weil sie durch die Umstände ihres Ablaufs die Würde des<br />

Menschen verletzt.<br />

Beispiel („Zellengröße“): 78 Eine längerfristige Unterbringung eines Gefangenen in einem<br />

Haftraum <strong>von</strong> etwa 4,5 m² verstößt gegen dessen Menschenwürde.<br />

Eine Ausweitung des Schutzes der Menschenwürde auf einen „Schutz vor sich selbst“ 79 dürfte<br />

aber dem Ziel der Unantastbarkeit der Menschenwürde widersprechen und der Bedeutung<br />

der eigenen Empfindungen des Betroffenen für den Inhalt der Menschenwürde nicht<br />

gerecht werden. Ein Schutz gegen den Willen des Betroffenen ist regelmäßig nicht erforderlich.<br />

Nur wenn ernsthafte Zweifel an der Fähigkeit zu einer wirklich freien Entscheidungsfindung<br />

bestehen, kommt eine Schutzpflicht des Staates aus Art. 1 GG gegen den Willen des<br />

Grundrechtsträgers in Betracht. Darüber hinaus gehört zum Schutz der Menschenwürde in<br />

Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nach einhelliger Ansicht, dass der Mensch als ein Wesen geschützt<br />

werden soll, das kraft seines Geistes befähigt ist, sich seiner selbst bewusst zu werden, sich<br />

selbst zu bestimmen und sich und seine Umwelt zu gestalten. Es gibt also keine staatliche<br />

Verpflichtung des Menschen zum „richtigen“ Menschsein. 80 Menschenwürde ist vielmehr<br />

auch dann vorhanden, wenn der konkrete Mensch die Möglichkeit freier Selbstgestaltung<br />

zur Selbsterniedrigung missbraucht. Denn solch „unwürdiges“ Verhalten ist als Ausdruck<br />

der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet und staatlicherseits als<br />

erlaubt hinzunehmen, soweit dieses Verhalten nicht die Rechte anderer verletzt und nicht<br />

gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. 81<br />

Problematisch sind also die Fälle, in denen es wirklich im objektiven Sinne um eine Erniedrigung<br />

geht, in denen aber nicht selten der oder die Betroffene „mitspielt“. Geht man da<strong>von</strong><br />

aus, dass die Menschenwürde auch die Selbstbestimmung umfasst, dann kommen nur Extremfälle<br />

<strong>von</strong> nahezu masochistischer Qualität in Betracht, wenn es darum geht, die in freier<br />

Selbstbestimmung getroffene Entscheidung zu übergehen. Das ist bei den „Peep-Show“-<br />

Fällen zumindest fragwürdig.<br />

75 BVerwG, Urt. v. 15.12.1981 – 1 C 232/79, NJW 1982, 664: Sittenwidrigkeit <strong>von</strong> Peep-Shows; kritisch dazu v. Olshausen,<br />

NJW 1982, 2221 (2222): Die Ausführungen des BVerwG zur Menschenwürde und ihrer Unverzichtbarkeit verkennen die<br />

Garantiefunktion der Grundrechte als Freiheitsgewährleistungen des Grundgesetzes – sie sind unvereinbar mit den in<br />

der Lehre und der Rechtsprechung bisher vertretenen Auffassungen. Die Rechtsmeinung des BVerwG widerspricht insbesondere<br />

auch den einschlägigen Entscheidungen des BVerfG; das BVerwG ignoriert deren in § 31 BVerfGG normierte<br />

Bindungswirkung und verletzt damit nicht nur einfaches Recht (§ 31 BVerfGG), sondern verstößt damit zugleich gegen<br />

die in Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht.<br />

76 Hildebrandt, in: Sensburg 2014, S. 172; Braun, PSP 3/2017, 37 (40).<br />

77 VG Neustadt, Beschl. v. 21.05.1992 – 7 L 1271/92, NVwZ 1993, 98: Untersagung einer Veranstaltung („Zwergenweitwurf“).<br />

78 BVerfG, Beschl. v. 23.03.2016 – 2 BvR 566/15, NStZ 2017, 111: Verstoß gegen Menschenwürde durch Unterbringung in<br />

zu kleinem Haftraum.<br />

79 LG Mannheim, Urt. v. 18.05.1995 – (12) 3 Ns 21/95, NJW 1995, 3398: Peep-Show.<br />

80 Höfling, NJW 1983, 1582.<br />

81 VG Berlin, Urt. v. 1.12.2000 - 35 A 570/99, NJW 2001, 983: Widerruf der Gaststättenerlaubnis wegen Anbahnung der<br />

Prostitution.<br />

38


Einführung<br />

Das BVerwG hat in seiner ersten Peep-Show-Entscheidung vom 15.12.1981 sein Sittenwidrigkeitsurteil<br />

darauf gestützt, die spezifische technisch-räumliche Ausgestaltung des Vorgangs „vermittle den<br />

besonders krass hervortretenden Eindruck einer entpersonifizierenden Vermarktung der Frau. Darin<br />

liege zugleich eine Verletzung ihrer Würde“. 82 Diesem Ansatz folgend, wird problematisches Moralisieren<br />

ersetzt durch den Rückgriff auf Grundrechtspositionen. 83 Diese grundrechtsdogmatische<br />

Rekonstruktion ist indes kritisch zu reflektieren. Zu berücksichtigen ist, dass die Menschenwürde<br />

auch gegenüber (unterstellt) freier Entscheidung des Würdeträgers selbst geschützt wird, sodass das<br />

Grundrecht zu einer Grundpflicht, sich menschenwürdig zu verhalten, umgedeutet wird. 84 Dies ist<br />

nicht zu Unrecht als „pseudoobjektive Scheinlegitimation“ kritisiert worden. 85 Das BVerwG löste das<br />

Verdikt der Sittenwidrigkeit <strong>von</strong> der Frage der Menschenwürdekompatibilität. Es stellt zwar weiterhin<br />

auf die sozialethischen Wertvorstellungen ab, greift aber zur näheren Konkretisierung nicht mehr<br />

auf Art. 1 Abs. 1 GG, sondern auf die Mehrheitsüberzeugung innerhalb der Bevölkerung zurück. 86 In<br />

einem zweiten Schritt relativiert das BVerwG dann allerdings die Bedeutung der tatsächlichen Mehrheitsüberzeugung.<br />

Das Sittenwidrigkeitsurteil über die kommerzielle Ermöglichung und Ausnutzung<br />

bestimmter Darbietungen wird nunmehr vor dem Hintergrund des ethisch Gesollten gefällt. 87 Nunmehr<br />

werden die guten Sitten i.S. <strong>von</strong> § 33 Abs. 2 Nr. 2 GewO als diejenigen sozialethischen Wertvorstellungen<br />

interpretiert, die in der Rechtsgemeinschaft vertreten werden. 88<br />

Die Grenze zur unzulässigen Selbsterniedrigung ist aber beim Flatrate-Bordell überschritten.<br />

Hier wird zumindest suggeriert, dass die Freier nach Zahlung einer Pauschalgebühr ohne<br />

zeitliche und persönliche Grenzen über die „gekauften“ Frauen verfügen können. Es wird<br />

geradezu zugesichert, dass es auf die Selbstbestimmung über ihren Körper nicht mehr ankommt.<br />

Hier ist die Menschenwürde verletzt. 89<br />

Obwohl die Menschenwürde einen wesentlichen Teil der deutschen Verfassungsidentität<br />

ausmacht, sind selbst dogmatische Grundsatzfragen umstritten. 90 Bei der Definition des<br />

Schutzbereichs erweist sich die These vom „schwierigen“ Grundrecht in doppelter Weise<br />

als richtig: Ist der Schutzbereich der Menschenwürde eröffnet und greift eine Maßnahme<br />

in den Schutzbereich ein, dann steht wegen der Unantastbarkeit der Menschenwürde die<br />

Grundrechtsverletzung fest. 91<br />

Bei der Schutzbereichsbestimmung wird zurückgegriffen auf die klassische „Dürig’sche<br />

Objektformel“ 92 , wonach der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden<br />

darf. Die Objektformel hat zwar ihre Schwächen. Man hat sie als Leerformel kritisiert. 93 Aber<br />

eines kann man ihr bei allen offensichtlichen Schwächen nicht absprechen, dass sie nämlich<br />

gerade einen situationsunabhängigen Geltungsanspruch aller Menschen im Staat des<br />

Grundgesetzes zu beschreiben versucht. Die Objektformel schafft jedenfalls Klarheit, dass<br />

der Zweck, für den der Mensch als Objekt oder Instrument behandelt wird, nicht zählt; auch<br />

82 BVerwG, NJW 1982, 664.<br />

83 Höfling, JuS 2017, 617 (623).<br />

84 Höfling, NJW 1983, 1582.<br />

85 Höfling, JuS 2017, 617 (623); Hörster, JuS 1983, 95.<br />

86 BVerwG, NVwZ 1990, 668.<br />

87 BVerwG, NJW 1996, 1423.<br />

88 Höfling, JuS 2017, 617 (623).<br />

89 Hufen, JuS 2010, 1 (7).<br />

90 Zu dogmatischen Grundsatzfragen Linke, JuS 2016, 888 ff.<br />

91 Hufen, JuS 2010, 1 (2).<br />

92 Zurückgehend auf Dürig, AöR 81 (1956), 117 (127); dazu Braun 2022, S. 83 f.; Hildebrand, in: Sensburg 2014, S. 171;<br />

Möllers 2013, S. 43; Hufen, JuS 2010, 1 (6); Braun, PSP 3/2017, 37 (39 f.).<br />

93 Die Definition der Menschenwürde bereitet letztlich Schwierigkeiten, da Art. 1 Abs. 1 GG eine Bestimmung <strong>von</strong> „umfassender<br />

Allgemeinheit“ darstellt und sich nicht auf ein besonderes Verhalten des Grundrechtsträgers bezieht, zu<br />

unterschiedlichen Theorien Sodan/Ziekow 2008, § 26, Rn. 3; Hufen, JuS 2010, 1 (2).<br />

39


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

der beste oder höchste Zweck macht die Behandlung nicht menschenwürdeverträglich. Bei<br />

der Menschenwürde geht es also nicht um das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel, nicht<br />

um Abwägung und Verhältnismäßigkeit, sondern um das Verbot der Behandlung als Objekt<br />

oder Instrument schlechthin. 94<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird als das wichtigste und in der Praxis bedeutsamste<br />

Grundrechte überhaupt bezeichnet 95 und gewinnt aufgrund neuer Technologien, wissenschaftlicher<br />

Forschungsmöglichkeiten und einer zunehmend „explodierenden“ Mediengesellschaft<br />

immer mehr an Bedeutung. 96<br />

Art. 2 Abs. 1 GG<br />

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,<br />

soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen<br />

die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.<br />

Nach seinem Wortlaut gewährt Art. 2 Abs. 1 GG jedem die „freie Entfaltung der<br />

Persönlichkeit“ 97 , soweit er nicht dabei gegen die Rechte anderer, das Sittengesetz oder die<br />

verfassungsmäßige Ordnung (Schrankentrias) verstößt. 98 Ursprünglich wurde der Schutzbereich<br />

des Grundrechts <strong>von</strong> der sog. Persönlichkeitstheorie dahingehend verstanden, dass nur<br />

ein bestimmter Kernbereich des Persönlichen geschützt wird. Mit dem Elfes-Urteil hat das<br />

BVerfG 1957 99 dieser Theorie eine Absage erteilt. 100 Das BVerfG stellte vor allem darauf ab,<br />

was unter „freier Entfaltung“ zu verstehen ist. Die „freie Entfaltung“ wird sodann zur allgemeinen<br />

Handlungsfreiheit oder auch Verhaltensfreiheit entwickelt. 101 Dass die Ableitung der<br />

allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG durch das BVerfG richtig ist, bestätigt die<br />

Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, 102 da sich bereits im Herrenchiemseer-Entwurf<br />

(1948) die Formulierung findet, dass jeder die Freiheit hat, „ innerhalb der Schranken der<br />

Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet.“ 103<br />

Der heutigen Fassung <strong>von</strong> Art. 2 Abs. 1 GG geht die berühmt gewordene Formulierung nach Art. 2<br />

Abs. 2 des Entwurfs <strong>von</strong> Herrenchiemsee voraus: „Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken<br />

der Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet“. Einem anderen<br />

Wortlaut wurde sodann – auf den Vorschlag <strong>von</strong> Mangoldts hin – in den Beratungen des Parlamentarischen<br />

Rats vor allem deshalb der Vorzug gegeben, weil dieser dem Stil der übrigen Freiheitsgewährleistungen<br />

besser entsprach. Garantiert ist dem Einzelnen daher „das Recht auf die freie Entfaltung<br />

seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige<br />

Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. 104 Auf diesen entstehungsgeschichtlichen Befund<br />

94 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 392.<br />

95 Herrmann, POLIZEI-heute 2000, 123.<br />

96 Kläver, JR 2006, 229.<br />

97 Zur Entwicklung des Begriffs: Ehmann, JURA 2011, 437 ff.<br />

98 Mit einer Übersicht über die Rechtsprechung des BVerfG Keller, PSP 2/2012, 39 ff. und 3/2012, 41 ff.<br />

99 BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 - 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297: Elfes. Mit einer Falllösung Stender-Vorwachs 1993, S. 121<br />

(Fall 12: Die Person der Zeitgeschichte).<br />

100 Zur „Elfes-Konstruktion“ Kube, JuS 2003, 111 ff.<br />

101 Berning, Kriminalistik 2007, 579.<br />

102 Vertiefend: Hofmann, NJW 1989, 3177 ff.<br />

103 Berning, Kriminalistik 2007, 579.<br />

104 Kube, JuS 2003, 111.<br />

40


Einführung<br />

rekurriert die heute vorherrschende Auffassung zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, nach der das<br />

Grundrecht die allgemeine Handlungsfreiheit in einem weiten Sinne gewährleistet. 105<br />

Während die Persönlichkeitsentfaltung durch das eigene Verhalten mittels der ebenfalls<br />

in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt wird, hat das<br />

allgemeine Persönlichkeitsrecht die Voraussetzungen der Persönlichkeitsentfaltung zum<br />

Gegenstand. 106<br />

Art. 2 Abs. 1 GG ist Auffanggrundrecht gegenüber den speziellen Grundrechten („lückenschließende<br />

Auffangfunktion“ 107 ) und tritt hinter diesen zurück, soweit deren Schutzbereiche<br />

reichen. 108 Geschützt sind alle Verhaltensweisen, die nicht vom Schutzbereich<br />

eines speziellen Freiheitsrechts erfasst werden. Das Grundrecht schützt dabei nicht nur die<br />

Freiheit, sich (grundsätzlich) so zu verhalten, wie man will (Handlungsfreiheit), sondern auch<br />

die Integrität der Persönlichkeit selbst, d.h. das „Sein“ im Unterschied zum „Tun“. 109 Beispiele<br />

für die Handlungsfreiheit sind z.B. das Reiten im Wald 110 oder das Taubenfüttern im Park. 111<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde vom BVerfG in richterrechtlicher Rechtsfortbildung<br />

aus der allgemeinen Handlungsfreiheit in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie<br />

heraus als eigenständiges Grundrecht mit unterschiedlichen inhaltlichen Ausprägungen<br />

entwickelt. Während allerdings bei der allgemeinen Handlungsfreiheit das aktive Tun des<br />

Einzelnen im Fokus des Schutzes steht, dient das allgemeine Persönlichkeitsrecht eher dem<br />

Schutz der passiven Freiheit. 112<br />

Es wird definiert als Recht des Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit. 113<br />

Sowohl in der Praxis als auch im Studium spielt das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine<br />

wichtige Rolle, und zwar nicht nur im öffentlichen Recht, sondern auch im Zivilrecht. 114<br />

Neben dem Recht spielt die „Persönlichkeit“ im Führungsprozess eine entscheidende Rolle. Menschen<br />

glauben an ihre Einzigartigkeit. Sie sehen sich als unverwechselbar und gestehen dies in der<br />

Regel auch ihren Mitmenschen zu. Die Wahrnehmung dieser Einzigartigkeit hängt vor allem an den<br />

zuerkannten Eigenschaften, den erlebten Gefühlen und Emotionen, aber auch an den empfundenen<br />

oder zugeschriebenen Motiven <strong>von</strong> Handlungen. 115 Der Wunsch als einzigartiges Wesen, als Individuum<br />

gesehen zu werden, ist dem Menschen eigen – niemand möchte als eine gesichtslose Kreatur<br />

in einer Massen eingestuft werden. Genauso stark ist der Wunsch, dass andere diese Einzigartigkeit<br />

respektieren. Diese Bedürfnisse sind in der Arbeitswelt die gleichen wie in der Privatwelt, daher<br />

scheinen Hinweise aus der Führungslehre, den Mitarbeiter als Persönlichkeit wahrzunehmen und die<br />

spezifischen Eigenschaften, Emotionen und Motivlagen zu respektieren, nur logisch. 116<br />

105 BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 - 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297: Elfes.<br />

106 Eifert, JURA 2015, 1181.<br />

107 Antoni, in: Hömig/Wolff 2016, Art. 2, Rn. 3.<br />

108 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 404; Enzensperger, VR 2016310; dazu auch Herrmann, POLIZEI-heute 2000,<br />

123.<br />

109 Sachs/Murswiek 2017, Art. 2, Rn. 59.<br />

110 BVerfGE 80, 137.<br />

111 BVerfGE 54, 143.<br />

112 Hildebrandt, in: Sensburg 2014, S. 176.<br />

113 BGH, Urt. v. 25.05.1954 − I ZR 211/53 (BGHZ 13, 334), NJW 1954, 1404 = GRUR 1955, 197: Leserbrief.<br />

114 Zum deliktischen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingehend Staake/<strong>von</strong> Bressensdorf, JuS 2015, 683 ff.<br />

115 Thielmann/Weibler/Model 2020, S. 115.<br />

116 Thielmann/Weibler/Model 2020, S. 115 f.<br />

41


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Die Zivilrechtsprechung hat ein in Art. 1 GG und in Art. 2 Abs. 1 GG verwurzeltes allgemeines<br />

Persönlichkeitsrecht 20 Jahre früher anerkannt als das BVerfG. In seinem Leserbrief-Urteil<br />

führte der BGH 1954 aus, dass die Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG einen unmittelbar zwischen<br />

Privaten geltenden Verbotstatbestand beinhalten. 117 Wenig später nahm das Gericht <strong>von</strong><br />

dieser unmittelbaren Drittwirkung 118 Abstand und ordnete das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

als sonstiges Recht in § 823 Abs. 1 BGB ein. 119 Aufgrund der verfassungsrechtlichen<br />

Wertentscheidung ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Rechtsprechung des BGH<br />

seit dem Jahr 1954 als „sonstiges Recht“ i.S. des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. 120 Diese Rechtsfortbildung<br />

der Zivilgerichte hat das BVerfG 1973 im Soraya-Beschluss gebilligt. 121 Anders<br />

als der unmittelbare Eingriff in die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter<br />

indiziert der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings noch nicht die Rechtswidrigkeit.<br />

Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein sog. offener oder Rahmentatbestand.<br />

Aufgrund seiner „generalklauselartigen Weite und Unbestimmtheit“ liegt seine<br />

Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden<br />

grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die betroffenen Grundrechte<br />

und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend<br />

zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist grundsätzlich<br />

nur dann rechtswidrig und begründet nur dann Unterlassungs-, Beseitigungs- oder<br />

Schadensersatzansprüche, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen<br />

Belange der anderen Seite überwiegt. 122<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt sich – auch wenn im Grundgesetz explizit nicht so<br />

verankert – aus der Zusammenschau des Art. 2 Abs. 1 GG mit der Garantie der Menschenwürde<br />

des Art. 1 Abs. 1 GG herleiten. Das Grundgesetz kennt indes weder den Begriff der<br />

„Privatsphäre“ noch den der „Privatheit“. Privatheit lässt sich nicht unvermittelt als Schutzgegenstand<br />

der Grundrechte des Grundgesetzes erfassen. Sie erschließt sich insgesamt nicht<br />

als reiner Rechts-, sondern als ein <strong>von</strong> zahlreichen Disziplinen geprägter Schlüsselbegriff. 123<br />

Auch im Herrenchiemseer-Entwurf (1948) kommen die Begriffe nicht vor. Vielmehr wird das,<br />

was man umgangssprachlich als „Privatsphäre“ bezeichnen könnte, durch das Zusammenwirken<br />

mehrerer grundrechtlicher Normen geschützt, insbesondere durch das allgemeine<br />

Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. 124 Privatheit ist mithin ein<br />

Schlüsselbegriff, dessen Heterogenität und Vielschichtigkeit sich auch dem Recht vermitteln.<br />

Gegenwärtig verändern sich leitbildende Denkmuster infolge des sozialen und technischen<br />

Wandels. Grundrechtsbezogen lässt sich Privatheit breit als Fundament liberaler Freiheitsrechte,<br />

aber auch enger als Schutz räumlicher Sphären oder des Anspruchs auf Achtung der<br />

Privatsphäre verstehen. 125<br />

117 BGH, Urt. v. 25.05.1954 − I ZR 211/53 (BGHZ 13, 334), NJW 1954, 1404 = GRUR 1955, 197: Leserbrief.<br />

118 Zur Drittwirkung der Grundrechte Guckelberger, JuS 2003, 1151 ff.<br />

119 Beaucamp/Seifert, JA 2004, 539.<br />

120 BGH, Urt. v. 25.05.1954 − I ZR 211/53 (BGHZ 13, 334), NJW 1954, 1404 = GRUR 1955, 197: Leserbrief; weitergehend <strong>von</strong><br />

Pentz, AfP 2016, 101 ff.<br />

121 BVerfG, Beschl. v. 14.02.1973 − 1 BvR 112/65, NJW 1973: 1221 Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen<br />

Persönlichkeitsrechts.<br />

122 <strong>von</strong> Pentz, AfP 2016, 101.<br />

123 Albers, DVBl. 2010, 1061.<br />

124 Geminn/Roßnagel, JZ 2015, 703.<br />

125 Albers, DVBl. 2010, 1061.<br />

42


Einführung<br />

Die grundrechtliche Freiheit ist sehr stark abgesichert, wenn zur allgemeinen Handlungsfreiheit<br />

die Menschenwürde tritt. 126 Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt einen autonomen<br />

Bereich privater Lebensgestaltung, in dem der Einzelne seine Individualität entwickeln<br />

kann, 127 also die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ als solche und ihre Grundbedingungen.<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält die „Garantie bestimmter Freiräume im engsten<br />

persönlichen Lebensbereich“. 128<br />

Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob es sich bei Art. 1 Abs. 1 GG überhaupt<br />

um ein die drei Staatsgewalten unmittelbar bindendes und als solches schon aus sich<br />

selbst heraus – und nicht erst i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG – mit der Verfassungsbeschwerde nach<br />

Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG rügefähiges Grundrecht handelt. 129<br />

Zumindest der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG („die nachfolgenden Grundrechte“) lässt daran<br />

zweifeln. Systematisch gehört Art. 1 Abs. 1 GG, wie die Überschrift <strong>von</strong> Abschnitt 1 und<br />

Art. 142 GG zeigen, zu den Grundrechten. 130<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet dem Einzelnen die engere persönliche<br />

Lebenssphäre. Unter den zahlreichen aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelten (unbenannten)<br />

Freiheitsrechten (Innominatfreiheitsrechte) besitzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine<br />

herausgehobene Stellung aufgrund seiner besonderen dogmatischen Konturierung und<br />

Ausdifferenzierung einerseits sowie seines besonders engen Bezugs zur Menschenwürde<br />

(Art. 1 Abs. 1 GG) andererseits. 131<br />

Das aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. GG hergeleitete Recht auf Achtung der Privatsphäre<br />

ist Ausgangsbasis der Entwicklung grundrechtlicher Determinanten im Hinblick auf den<br />

staatlichen Umgang mit persönlichen Informationen und Daten. Ursprünglich umriss die<br />

„Privatsphäre“ eine abgeschottete Situation des Alleinseins oder der Interaktion weniger<br />

Beteiligter. Gesprächsinhalte oder Daten waren „privat“, wenn und weil sie die Privatheit<br />

ihres Entstehungskontexts teilten. Die engen Grenzen dieser Konzeption sind freilich mittlerweile<br />

überwunden. 132<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält verschiedene <strong>von</strong> der Rechtsprechung entwickelte<br />

Untergruppen. Soweit sie eine ausdrückliche gesetzliche Normierung erfahren haben,<br />

wird <strong>von</strong> besonderen <strong>Persönlichkeitsrechte</strong>n gesprochen, z.B. § 22 KunstUrhG, § 12 BGB,<br />

§§ 12 ff. UrhG). Liegt so eine gesetzliche Ausformung vor, ist diese als lex specialis zunächst<br />

zu prüfen, bevor auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden darf. 133<br />

Bei einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild sind somit grundsätzlich die spezielleren<br />

Vorschriften des KunstUrhG heranzuziehen, sodass ein Rückgriff auf allgemeine Vorschriften<br />

zum Schutz des APR nicht in Betracht kommt. 134 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist mithin<br />

„Quellrecht“ für weitere Schutzrechte. So stellt das in § 22 KunstUrhG einfachgesetzlich<br />

126 Vertiefend zum Grundrecht der Menschenwürde Wienbracke, Verwaltungsrundschau 2016, 181 ff.; Hufen, JuS 2010, 1 ff.<br />

127 BVerfGE 79, 256, 268: Freier Rundfunkmitarbeiter.<br />

128 Frenz, in: Terwiesche 2008, Kapitel 52 (Grundrechte und ihre Durchsetzung), Teil 5, Rn. 111.<br />

129 Wienbracke, Verwaltungsrundschau 2016, 181.<br />

130 Pieroth/Schlink/Kongreen/Poscher 2015, Rn. 375.<br />

131 Kahl/Ohlendorf, JuS 2008, 682.<br />

132 Albers, DVBl. 2010, 1061 (1065), m.w.N.<br />

133 Fechner 2017, 4. Kapitel, Rn. 17.<br />

134 Wiacek/Colussi, Kriminalistik 2015, 460 (463); Schoch, JURA 2013, 468 (476): Für das Recht am eigenen Bilde sind die<br />

§§ 22 ff. KunstUrhG im Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht leges speciales.<br />

43


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

ausgestaltete Recht am eigenen Bild eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

des Abgebildeten dar. 135<br />

Die „freie Entfaltung“ wurde zur allgemeinen Handlungsfreiheit oder auch Verhaltensfreiheit<br />

entwickelt. Der Begriff der Persönlichkeit ist dagegen in der Folge vom BVerfG unter Aufnahme<br />

des Anliegens der Persönlichkeitstheorie zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht weiterentwickelt<br />

worden. Während die allgemeine Handlungsfreiheit die Rechtssphäre des Einzelnen<br />

insgesamt umfassend schützen will, geht es bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht<br />

darum, Elemente der Persönlichkeit des Menschen unter Bezug auch auf Art. 1 Abs. 1 GG<br />

grundrechtlich zu schützen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird deshalb auch zitiert<br />

mit Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. 136 Während die freie Entfaltung der Persönlichkeit<br />

und der „Normalfall“ menschlicher Selbstbestimmung in Art. 2 Abs. 1 GG geregelt sind, gibt<br />

es einen Kern, der unter den Schutz der Menschenwürde fällt, z.B. die Selbstbestimmung<br />

über die eigene Sexualität oder über grundlegende personenbezogene Informationen. Hierunter<br />

fällt auch die Entscheidung darüber ob der Mensch etwas sagt und was er sagt.<br />

So ist eine Folter nicht nur ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und 104 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern<br />

immer auch ein Eingriff in die Menschenwürde, weil sie exakt auf den Kern der Selbstbestimmung<br />

zielt. 137 Hierzu hat das LG Frankfurt am 04.08.2011 (Az. 2-04 O 521/05) entschieden, dass das Land<br />

Hessen dem verurteilten Kindsmörder Magnus G. € 3.000 Schmerzensgeld für die Folterdrohung in<br />

einem Polizeiverhör zahlen muss. Gäfgen hatte 2002 den Bankierssohn Jakob <strong>von</strong> M. entführt und<br />

ermordet. Die Polizei hatte nach Gäfgens Festnahme mit ihrer Drohung im Verhör den entführten<br />

Bankierssohn noch retten wollen. Die Leiche des Kindes war dann allerdings wenig später aus einem<br />

Tümpel geborgen worden.<br />

Auch beim Einsatz eines sog. Lügendetektors steht das BVerfG auf dem Standpunkt, dass so<br />

eine „Begutachtung“ eine Verletzung der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts<br />

darstellt. 138 Insofern ist ein Polygraphietest auch im Disziplinarverfahren kein geeignetes<br />

Beweismittel. 139 Die forensische Psychophysiologie beschäftigt sich mit dem Aufspüren <strong>von</strong><br />

Lügen anhand körperlicher Reaktionen. Der Polygraph misst mit Sensoren und Elektroden<br />

körperliche Veränderungen; üblicherweise sind dies Atemfrequenz und -tiefe, Schweißabsonderungen,<br />

Blutdruck, Hautleitfähigkeit und Herzaktivität; seine Trefferquote wird insgesamt<br />

mit ca. 70 bis 90 % beziffert. 140<br />

In der Rechtsprechung des BVerfG kann das Zusammentreffen grundrechtlicher Bestimmungen<br />

zu deren Verbindung führen. Die Verbindung <strong>von</strong> Grundrechten untereinander wird<br />

auch als „partielle Verbundlösung“ <strong>von</strong> Konkurrenzproblemen durch das BVerfG beschrieben.<br />

Dagegen sind in Kollisionsfällen Verbindungen nicht möglich, „weil das BVerfG Verbindungen<br />

nur zwischen Grundrechten und anderen grundgesetzlichen Bestimmungen knüpft,<br />

die es in Bezug zu einem bestimmten Grundrechtsträger setzt“. 141<br />

135 Kompa, 2007, § 22, Rn. 1.<br />

136 Berning, Kriminalistik 2007, 579 ff. und 649 ff.<br />

137 Hufen, JuS 2010, 1 (4).<br />

138 BVerfG, Beschluss v. 07.04.1998 − 2 BvR 1827/97, Kriminalistik 1998, 594.<br />

139 BVerwG, Beschl. v. 31.07.2014 − 2 B 20/14, NVwZ-RR 2014, 887; dazu Keller 2020, S. 163 und 268.<br />

140 Hierzu auch Artkämper/Floren/Schilling 2021, S. 582 f.<br />

141 Meinke, JA 2009, 6 (7).<br />

44


Einführung<br />

– Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst verschiedene Ausprägungen der Selbstbestimmung,<br />

142 z.B.<br />

– die Darstellung in der Öffentlichkeit,<br />

– das Recht am eigenen Bild,<br />

– Recht am eigenen Namen, 143<br />

– Wahrung der eigenen Ehre,<br />

– Recht am eigenen Wort<br />

und das Recht, über die Preisgabe und Verwendung der eigenen Daten zu bestimmen (Recht<br />

auf informationelle Selbstbestimmung 144 ).<br />

Als das BVerfG im Jahr 1983 im Volkszählungs-Urteil mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht<br />

ein Abwehrrecht des Bürgers gegen die „unbegrenzte Erhebung, Speicherung,<br />

Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten“ schuf, 145 begründete es ein<br />

verfassungsrechtliches Schutzkonzept <strong>von</strong> schlichter und klarer Schönheit, das gleichwohl<br />

<strong>von</strong> Weitsicht geprägt war und sich als erstaunlich haltbar erwiesen hat. 146 Schon die in<br />

diesem Urteil entwickelten Anforderungen an den staatlichen Datenzugriff waren so präzise<br />

formuliert, dass sie umfängliche Umbauarbeiten insbesondere in den Polizei- und Sicherheitsgesetzen<br />

erforderlich machten. 147 Beim Volkszählungs-Urteil Anfang der 1980er-Jahre<br />

ging es noch darum, dass der Staat <strong>von</strong> Tür zu Tür ging, um Daten quasi <strong>von</strong> Hand abzufragen.<br />

Heute hinterlässt jeder Smartphone-Benutzer täglich eine – für damalige Verhältnisse<br />

– unvorstellbare Menge an Bewegungs- und Kommunikationsdaten. Doch der Unterschied<br />

liegt nicht nur in der größeren Quantität und Qualität der Daten oder einer veränderten Gefährdungslage<br />

für die Daten durch fortschreitende technische Möglichkeiten: Früher waren<br />

es fast ausschließlich staatliche Stellen, die Daten erhoben, sammelten und auf Lochkarten<br />

übertrugen. Heute sind es aber gerade auch private Firmen wie Facebook oder Google, die<br />

umfangreiche Datenberge anlegen. 148<br />

Seine „freie Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft“ kann der Einzelne nur<br />

wahrnehmen, soweit es ihm möglich ist, Informationen über seinesgleichen zu erfassen und<br />

zu verarbeiten. 149 Die freie Entfaltung der Persönlichkeit erfordert den Schutz des Menschen<br />

gegen eine unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen<br />

Daten. Es wäre mit der Verbürgung der Menschenwürde nicht zu vereinbaren,<br />

„wenn der Neugierde des Staates, dem Vordringen in den Bereich innerer Persönlichkeits-<br />

142 Frenz, in: Terwiesche 2008, Kapitel 52 (Grundrechte und ihre Durchsetzung), Teil 5, Rn. 115.<br />

143 Ein Unternehmen ist grundsätzlich nicht berechtigt, den Namen „Polizei“ – auch in Kombination mit anderen Begriffen – zu<br />

verwenden, OLG Hamm, Urt. v. 20.05.2016 12 U 126/15, Kriminalistik 2016, 700: Namensschutz für Polizei. Grundsätzlich<br />

ist der Name eines Menschen <strong>von</strong> dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst, BVerwG, Beschl. v. 01.12.2016 – 6 B<br />

32/16, NJW 2017, 747: Kein Anspruch auf Wiedergabe des Namens in Groß- und Kleinbuchstaben im Reisepass.<br />

144 Ladeur, DÖV 2009, 45.<br />

145 BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a., NJW 1984, 419: Verfassungsrechtliche Überprüfung des Volkszählungsgesetzes<br />

1983.<br />

146 Die an sich übliche und nicht sonderlich spektakuläre statistische Erfassung der Wohnbevölkerung löst in der Bundesrepublik<br />

Deutschland eine heftige öffentliche Debatte aus. Allerdings liegt die „Gefährdung“ nicht in der Volkszählung als<br />

solche, sondern in der Speicherung, Verarbeitung, Nutzung und Vernetzung der erhobenen Daten, di Fabio 2016, S. 44.<br />

147 Gurlit, NJW 2010, 1035.<br />

148 Leutheusser-Schnarrenberger, HFR 10/2012, 166 (167), zum Vorschlag zu einer EU-Datenschutzgrundverordnung im Lichte<br />

des Grundrechtsschutzes.<br />

149 Giesen, JZ 2007, 918 ff.<br />

45


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

entwicklung, kein angemessenes grundrechtliches Gegengewicht entgegengesetzt werden<br />

könnte“. 150<br />

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bildet eine zentrale Grundlage für den Datenschutz<br />

in Deutschland. 151 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat auch und<br />

gerade in sozialen Netzwerken eine hohe Bedeutung. Es entspricht der Verantwortung und<br />

dem geschäftsbedingten Interesse des Betreibers eines sozialen Netzwerks, sein Angebot so<br />

zu gestalten, dass die personenbezogenen Daten der Nutzer optimal geschützt werden und<br />

diese selbstbestimmt über ihre Daten verfügen können. 152<br />

Ausgangspunkt ist das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m.<br />

Art. 1 Abs. 1 GG. Im Kern geht es um eine Fortentwicklung des Rechts auf Achtung der<br />

Privatsphäre, wobei als Schutzgegenstand die Selbstbestimmung des Einzelnen und als Gefährdungslage<br />

der konkrete Verwendungszusammenhang <strong>von</strong> Daten ausgemacht wurde. 153<br />

Weil die sozialen Bezüge und Verwendungszusammenhänge aber nicht zum Gegenstand des<br />

Schutzbereichs erklärt, sondern bei den Schranken verortet werden, verselbstständigte sich<br />

das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ließ den grundrechtlichen Freiheitsvoraussetzungsschutz<br />

zum Inhalt eines Grundrechts werden. Nach der ständigen Rechtsprechung<br />

des BVerfG ist der Schutzbereich durch die Befugnis des Einzelnen gekennzeichnet,<br />

grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.<br />

Schutzgegenstand ist eine Datenverfügungsbefugnis, die zwar nicht unmittelbar<br />

das grundrechtliche Schutzgut abbildet und damit nicht um ihrer selbst willen geschützt ist,<br />

dessen abwehrrechtlicher Schutz dann aber schnell auf einen Mechanismus zur Sicherung<br />

anderer Freiheiten verkürzt wird. 154<br />

Über 65 Jahre nach Erscheinen des Romans „1984“ <strong>von</strong> George Orwell und ein Vierteljahrhundert<br />

nach 1984 lässt sich sagen, dass Orwells Roman nichts <strong>von</strong> seiner assoziativen Aura eingebüßt und<br />

seine Warnung vor einem totalen Überwachungs- und Willkürstaat <strong>von</strong> bleibender Aktualität ist.<br />

Der Roman zeichnet das Bild eines totalitären Staates in einem fortgeschrittenen Stadium, einem<br />

physischen und psychischen Gefängnis gleich, aus dem es kein Entkommen gibt. Aber ein solcher<br />

Überwachungs- und Willkürstaat ist nicht Ergebnis eines selbsttätigen, unaufhaltsamen politischen,<br />

sozialen und ökonomischen Prozesses. Das Werk ist als Warnung konzipiert, nicht als Prophezeiung.<br />

Das Wesen der Warnung im Unterschied zur Prophezeiung ist die Bedingtheit der Vorhersage. Orwell<br />

warnt mit „1984“ vor ideologischen Weltentwürfen, ihr unabwendbares Kommen prophezeite er<br />

indes nicht. Die Negativität der Welt in dem Roman ist im Kern eine aus der Analyse der zeitgenössischen<br />

Wirklichkeit gewonnenen Hypothese, aus der die Konsequenz präventiven Handelns gezogen<br />

werden muss. 155<br />

Der grundrechtliche Schutz informationeller Selbstbestimmung wurde durch die Rechtsprechung<br />

des BVerfG in der Vergangenheit immer schärfer konturiert. 156 Anlass waren immer<br />

wieder schwerwiegende Grundrechtseingriffe durch Sicherheitsgesetze, die insbesondere<br />

150 Martini, JA 2009, 839.<br />

151 Ausführlich: Keller, PSP 2/2012, 39 ff. und PSP 3/2012, 41 ff.<br />

152 Speziell zum Recht auf Informationelle Selbstbestimmung in sozialen Netzwerken Bender, K&R 2013, 218 ff.<br />

153 Franzius, ZJS-online 2015, 259.<br />

154 Franzius, ZJS-online 2015, 259.<br />

155 Uwer, NJW 2009, 723 (726): George Orwells „1984“ – Antiutopie und Totalitarismuswarnung zwischen 1949 und 2009.<br />

156 Gurlit, NJW 2010, 1035 ff.<br />

46


Historie<br />

der Terrorismusbekämpfung dienten. 157 Schwere Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung<br />

erfordern unter Proportionalitätsgesichtspunkten besondere Schutzmaßnahmen<br />

des Gesetzgebers. 158<br />

Neue Konkretisierungen der Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

schwerwiegender Grundrechtseingriffe ergeben sich dabei aus dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung.<br />

159 Die dort aus Art. 10 GG abgeleiteten Anforderungen an Informationsmaßnahmen<br />

des Staates sind nur am Rand den spezifischen Erfordernissen des Fernmeldegeheimnisses<br />

geschuldet. Überwiegend können sie auch bei Eingriffen Geltung beanspruchen,<br />

die mangels sachlichen Bezugs zum Fernmeldegeheimnis nicht an Art. 10 GG, sondern am<br />

allgemeinen, vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit umfassten, Grundrecht auf<br />

informationelle Selbstbestimmung zu messen sind. Im Vorratsdatenspeicherungsurteil wird<br />

ein Katalog strenger Kriterien zur Beurteilung <strong>von</strong> Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung<br />

formuliert. 160<br />

In das durch den Rückgriff auf die Menschenwürde verstärkt abgesicherte allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

kann nur eingegriffen werden, wenn dies zum Schutz öffentlicher Interessen<br />

unerlässlich ist. 161 So sind z.B. die Entnahme <strong>von</strong> Körperzellen und deren molekulargenetische<br />

Untersuchung zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren zur wirksamen<br />

Aufklärung künftiger Straftaten <strong>von</strong> erheblicher Bedeutung unabdingbar. 162<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht steht auch den Beamten zu. Es stellt sich wegen der<br />

öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als eigenständiges Grundrecht<br />

dar. 163<br />

2. Historie 164<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat eine „glänzende Karriere“ wie kaum ein anderes<br />

Recht des deutschen Privatrechts hinter sich. 165 Es wurde 1954 im Wege richterlicher<br />

Rechtsfortbildung aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG entwickelt und ist als „Sonstiges Recht“ i.S. <strong>von</strong><br />

§ 823 Abs. 1 BGB anerkannt. 166 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat seinen Ursprung im<br />

157 BVerfG, Beschl. v. 04.04.2006 – 1 BvR 518/02, NJW 2006, 1939: Rasterfahndung; BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07<br />

und 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822: Online-Durchsuchung; BVerfG, Urt. v. 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05, NJW 2008, 1505:<br />

Automatisierte Kennzeichenerfassung; BVerfG, Urt. v. 24.04.2013 – 1 BvR 1215/07, NVwZ 2013, 1335: Anti-Terror-Datei.<br />

Zum Stand nach dem Antiterrordatei-Urteil des BVerfG Frenz, JA 2013, 840 ff.<br />

158 Britz, JA 2011, 81.<br />

159 BVerfG, Urt. v. 02.03.2010 – BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833: Vorratsdatenspeicherung. Unter einer „Vorratsdatenspeicherung“<br />

versteht man die Verpflichtung der Anbieter <strong>von</strong> Telekommunikationsdiensten, elektronische Kommunikationsvorgänge<br />

ihrer Kunden zu registrieren und bestimmte Daten auf Vorrat zu speichern. Das vorsorgliche Speichern dieser<br />

Daten, unabhängig <strong>von</strong> einem strafrechtlichen Anfangsverdacht oder konkreten Hinweisen auf eine Gefahrenlage, soll die<br />

Bekämpfung und Verfolgung <strong>von</strong> schweren Straftaten erleichtern. Das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung fügt sich in eine<br />

mittlerweile bereits lange Reihe <strong>von</strong> Entscheidungen des BVerfG, in denen zwar formal die Vereinbarkeit eines deutschen<br />

Gesetzes mit dem Grundgesetz beurteilt wird, mittelbar jedoch auch die Rechtmäßigkeit europäischer Rechtsakte in den<br />

Blick genommen wird. Es ist seit Jahrzehnten kennzeichnend für das Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und<br />

Europäischem Gerichtshof, dass solche Konflikte nie bis zur konkreten Kollisionslage getrieben werden, Durner, JA 2010,<br />

391 (394).<br />

160 Britz, JA 2011, 81.<br />

161 BVerfGE 84, 239, 280: Zinsbesteuerung.<br />

162 BVerfGE 103, 21, 33: DNA-Analyse.<br />

163 Leuze, ZBR 1998, 187 (191).<br />

164 Zur geschichtlichen Entwicklung Neuner, JuS 2015, 961 ff.<br />

165 Lettmeier, JA 2008, 566.<br />

166 BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404: Leserbrief.<br />

47


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Zivilrecht. Seit der Leserbrief-Entscheidung des BGH im Jahr 1954 gehört es zum gesicherten<br />

Bestand zivilrechtlicher Dogmatik. 167<br />

In der Leserbrief-Entscheidung des BGH 168 hatte die „Welt am Sonntag“ sich in einem Artikel mit<br />

dem früheren Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht auseinandergesetzt. Dieser forderte über<br />

seinen Anwalt unter Berufung auf das Presserecht eine Berichtigung. Die Zeitung druckte indes das<br />

Schreiben des Rechtsanwalts (gekürzt) in der Rubrik „Leserbriefe“ ab. Hierdurch entstand der Eindruck,<br />

dass der Rechtsanwalt als Leser einen Diskussionsbeitrag an die Zeitung gerichtet hat. Nach<br />

Auffassung des BGH lag in dieser Vorgehensweise eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des<br />

Rechtsanwalts. Die „Welt am Sonntag“ wurde mithin verurteilt, in ihrer nächsten Ausgabe in der Rubrik<br />

„Leserbriefe“ die Behauptung zu widerrufen, der Rechtsanwalt habe einen Leserbrief eingesandt.<br />

In der Entscheidung führte der BGH aus, dass die Art. 1 und 2 Abs. 1 GG einen unmittelbar zwischen<br />

Privaten geltenden Verbotstatbestand beinhalteten. Später nahm das Gericht <strong>von</strong> dieser (unmittelbaren)<br />

Drittwirkung Abstand und ordnete das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „Sonstiges Recht“<br />

in § 823 Abs. 1 BGB ein. 169 Das BVerfG hat diese Rechtsfortbildung der Zivilgerichte 1973 gebilligt. 170<br />

Die Geschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begann aber bereits im Jahr 1898, als<br />

zwei Fotografen widerrechtlich in Friedrichsruh eindrangen und den Leichnam des gerade<br />

verstorbenen Otto <strong>von</strong> Bismarck ablichteten. 171 Im Streit um den postmortalen Schutz des<br />

Persönlichkeitsrechts unterlagen allerdings die auch als „Paparazzi der Jahrhundertwende“<br />

titulierten Fotografen. Bismarcks Sohn Herbert erreichte am 3.8.1898 die sofortige Beschlagnahme<br />

der Fotos. Am gleichen Tag erließ das AG Hamburg eine einstweilige Verfügung, die<br />

den beiden Fotografen die Verbreitung des Fotos untersagte. Die Fotografen wurden im<br />

Übrigen wegen Hausfriedensbruch zu fünf bzw. acht Monaten Gefängnis verurteilt. Das Foto<br />

des Leichnams ist erst 1953 veröffentlicht worden. 172<br />

3. Funktionen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht hat primär Abwehrcharakter. In Ausnahmefällen gewährt<br />

es dem Grundrechtsträger aber auch ein Teilhaberecht in Form eines Anspruchs<br />

auf verfahrensrechtliche Ausgestaltung seiner betroffenen Grundrechtsposition. Für einen<br />

speziellen Teilbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dem Recht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) kann dieser Aspekt besondere<br />

Bedeutung haben. 173<br />

Beispiel: Auskunftsansprüche aus Kriminalakten<br />

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt dem Einzelnen kein Recht i.S. einer<br />

absoluten und uneinschränkbaren Herrschaft über seine Daten. Das gilt insbesondere für<br />

Daten, die den verfassungsrechtlich legitimierten Aufgabenbereich der für den Verfassungsschutz<br />

zuständigen Behörden betreffen. Ein auf diese Daten zielender Auskunftsanspruch<br />

des Einzelnen wird im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bereits <strong>von</strong> Verfassungswegen<br />

durch ein staatliches Geheimhaltungsbedürfnis ausgeschlossen. 174<br />

167 Herrmann/Lang/Schneider 2004, S. 68.<br />

168 BGH, Urt. v. 25.05.1954 – I ZR 211/53 (BGHZ 13, 334), NJW 1954, 1404, Leserbrief.<br />

169 Beaucamp/Seifert, JA 2004, 539.<br />

170 BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221: Soraya-Beschluss.<br />

171 Wagenknecht/Tölle 2015, S. 8. Bismarck starb am 30.07.1898 in Friedrichsruh im Sachsenwald bei Hamburg.<br />

172 RGZ 45, 170 ff. Dazu auch Seifert, NJW 1999, 1889; Schulz/Jürgens, JuS 1999, 664.<br />

173 Herrmann/Lang/Schneider 2004, S. 69.<br />

174 BVerwG, Urt. v. 20.02.1990 − 1 C 42/83, NJW 1990, 2761: Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten.<br />

48


Persönlicher Schutzbereich<br />

4. Persönlicher Schutzbereich<br />

Bei der Prüfung des personalen Schutzbereichs („Wer wird geschützt?“) sind die Personen<br />

zu ermitteln, die durch das betreffende Grundrecht geschützt werden (Grundrechtsträger).<br />

a) Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen<br />

Träger des Persönlichkeitsrechts sind alle natürlichen Personen, einschließlich des nasciturus,<br />

mit Vollendung der Geburt. Auch Verbände und Personenmehrheiten sind vom Schutzbereich<br />

erfasst, soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht sinngemäß auf sie anwendbar<br />

ist. Dies ist etwa für den Schutz des sozialen Geltungsanspruchs eines Wirtschaftsunternehmens<br />

eindeutig zu bejahen. Dagegen scheidet ein Schutz der Intimsphäre eines Verbandes<br />

denknotwendig aus. 175<br />

Grundrechtsfähigkeit oder auch Grundrechtsträgerschaft bzw. Grundrechtssubjektivität ist<br />

die Fähigkeit einer natürlichen oder juristischen Person, Träger <strong>von</strong> Grundrechten zu sein. 176<br />

Auf ein Grundrecht kann sich nur berufen, wer konkret grundrechtsfähig ist. Dabei ist zwischen<br />

Menschen- und Bürgerrechten zu unterscheiden sowie zwischen der Grundrechtsberechtigung<br />

<strong>von</strong> natürlichen und juristischen Personen.<br />

Die Grundrechtsfähigkeit beginnt grundsätzlich mit Vollendung der Geburt und endet mit<br />

dem Tod (wenn die Hirnfunktionen irreversibel erloschen sind). Grundrechte können zum<br />

Teil aber auch schon vor der Geburt wirksam werden. So ist in Deutschland anerkannt, dass<br />

auch schon der Nasciturus (ungeborenes Leben im Mutterleib) das Recht auf Leben und körperliche<br />

Unversehrtheit hat. 177 Auch nach dem Tod können Grundrechte noch wirksam sein.<br />

Der Schutz der Persönlichkeit erlischt nicht mit dem Tod ihres Trägers. Anerkannt ist, dass<br />

das Persönlichkeitsrecht auch noch nach dem Tode Wirkungen entfaltet. Auch die ärztliche<br />

Schweigepflicht wirkt nach dem Tod des Betroffenen fort. 178 Bestehen keine Anhaltspunkte<br />

für die Äußerung eines Patienten zu Lebzeiten, dass der Arzt nach seinem Tod schweigen<br />

solle bzw. dass er Angaben machen dürfe, kommt es auf den mutmaßlichen Willen des<br />

Patienten an. 179 Die Mitteilung <strong>von</strong> Geheimnissen kann prinzipiell den Tatbestand des § 203<br />

StGB erfüllen. 180<br />

Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG kann aber nur einer lebenden Person zukommen, weil<br />

dieses auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit gerichtete Grundrecht die Existenz einer<br />

wenigstens potenziell oder zukünftig handlungsfähigen Person, also eines lebenden Menschen<br />

als unabdingbar voraussetzt. 181 Zwar endet mit dem Tod das Recht auf freie Entfaltung<br />

der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), da „Entfaltung“ schon begrifflich eine handlungsfähige<br />

Person, also einen lebenden Menschen, voraussetzt. Aus Art. 1 GG folgt jedoch, dass der<br />

Verstorbene auch posthum nicht in seiner Würde verletzt werden darf. 182 Seit der Mephisto-<br />

175 Lettmaier, JA 2008, 566; instruktiv Specht-Riemenschneider/Riemenscheider/Schneider, 2020, S. 142 ff.<br />

176 Herrmann/Lang/Schneider 2004, S. 21<br />

177 Demgegenüber beginnt die Rechtsfähigkeit mit der Vollendung der Geburt, § 1 BGB.<br />

178 Adamus, jurisPR-FamR 14/2016 Anm. 7; Spickhoff, NJW 2005, 1982 (1983).<br />

179 OLG Koblenz, Beschl. v. 23.10.2015, 12 W 538/15, jurisPR-FamR 14/2016 Anm. 7 (Adamus).<br />

180 Im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie ist eine Überschreitung der durch § 203 StGB strafbewehrten ärztlichen<br />

Schweigepflicht besonders heikel. Hat der Patient eine Durchbrechung der Schweigepflicht zu erwarten, führt dies zur<br />

Verschlossenheit und gefährdet die Therapie. Deshalb ist selbst das Führen der Zusatzbezeichnung „Psychotherapie“, z.B.<br />

auf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, schon als strafrechtlich bedenklich diskutiert worden, Spickhoff, NJW 2005,<br />

1982 (1983).<br />

181 Diederichsen, JURA 2008, 1 (7). Zum postmortalen Persönlichkeitsrecht verstorbener Straftäter Mitsch, NJW 2010, 3479 ff.<br />

182 BVerfG, Beschl. v. 25.08. 2000 – 1 BvR 2707/95: Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts (Willy Brandt).<br />

49


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1971 wird der postmortale Persönlichkeitsschutz<br />

auf Art. 1 Abs. 1 GG gestützt: 183 Das „Lebensbild“ eines Verstorbenen ist zumindest gegen<br />

grob ehrverletzende Entstellungen geschützt (Mephisto). 184 Die Schutzwirkungen des verfassungsrechtlichen<br />

postmortalen Persönlichkeitsrechts sind nicht identisch mit denen, die<br />

sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG für den Schutz lebender Personen ergeben.<br />

Der Schutzbereich des postmortalen Persönlichkeitsrechts bleibt deutlich hinter dem Schutz<br />

zurück, der Lebenden gegen fremde Äußerungen i.R. des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

zukommt. Ein Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen scheidet<br />

mangels schwerwiegender Entstellung seines Lebensbilds z.B. aus, wenn über – für Dritte<br />

wahrnehmbare – körperliche Gebrechen und gesundheitliche Zustände berichtet wird, insbesondere<br />

über eine Erkrankung, deren Folgen auch nach außen zutage treten und selbst für<br />

Nicht-Eingeweihte unschwer zu erkennen sind. 185<br />

Postmortal geschützt wird aber zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen<br />

kraft seines Personseins zusteht, zum anderen der sittliche, personale und soziale Geltungswert,<br />

den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. 186 Dieser Schutz<br />

bewahrt den Verstorbenen insbesondere davor, in einer die Menschenwürde verletzenden<br />

Art und Weise ausgegrenzt, verächtlich gemacht, verspottet oder auf sonstige Weise herabgewürdigt<br />

oder erniedrigt zu werden. 187<br />

Beispiel: 188 Die Veröffentlichung <strong>von</strong> Grabsteinfotografien mit dem Namen des Verstorbenen<br />

auf einem Internetportal mit Abfragefunktion verletzt nicht das postmortale<br />

Persönlichkeitsrecht. Insbesondere ist die Veröffentlichung auch datenschutzrechtlich<br />

zulässig. Auch liegt kein Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht einer bekannten<br />

Persönlichkeit vor, wenn die beanstandete Presseberichterstattung weder den allgemeinen<br />

Achtungsanspruch des Verstorbenen, noch dessen sittlichen, personalen und<br />

sozialen Geltungswert maßgeblich tangiert. 189<br />

Der Aspekt des postmortalen Persönlichkeitsschutzes ist z.B. <strong>von</strong> Bedeutung für Einsichtsrechte<br />

in die Stasi-Akten Verstorbener. Dies gilt einerseits für Akten, die <strong>von</strong> öffentlichem<br />

Interesse sind, aber keine Person der Zeitgeschichte betreffen, als auch für Akten zu betroffenen<br />

Personen der Zeitgeschichte. Das StUG (§§ 32 Abs. 1 Nr. 4, 32a) hat hierzu Regelungen<br />

getroffen, die indes eine Ausformung durch Literatur und Rechtsprechung benötigen. 190<br />

Auch das Recht am eigenen Bild wirkt postmortal fort (§ 22 Satz 3 KunstUrhG). Dagegen erlischt<br />

das in § 12 BGB als besonderes Persönlichkeitsrecht normierte Namensrecht mit dem<br />

Tod des Namensträgers: Nach Auffassung des BGH kann ein Toter nicht mehr Rechtssubjekt<br />

183 BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971 – 1 BvR 435/68, NJW 1971, 1645: Mephisto; dazu Fechner 2017, 4. Kapitel, Rn. 11.<br />

184 Vahle, DNP 1993, 247 (249).<br />

185 OLG Köln, Urt. v. 30.11.2017 – 15 U 67/17, ZD 2018, 489.<br />

186 BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 – 1 BvR 1533/07, NVwZ 2008, 549: Verhältnis <strong>von</strong> postmortalem Persönlichkeitsrecht und<br />

Kunstfreiheit – Theaterstück „Ehrensache“.<br />

187 OLG Köln, Urt. v. 12.07.2018, 15 U 151/17.<br />

188 AG Mettmann, Urt. v. 16.06.2015 − 25 C 384/14; kritisch dazu Koch/Nielsen, jurisPR-ITR 11/2016, Anm. 2: Fraglich ist,<br />

ob sich das AG Mettmann den Auswirkungen seiner Entscheidung vollumfänglich bewusst ist. Denn die Entscheidung<br />

legalisiert die bundesweite Einführung eines umfassenden Online-Totenregisters mit Grabsteinabfrage – geordnet nach<br />

Name, Bundesland und Postleitzahl.<br />

189 OLG Köln, Urt. v. 30.11.2017, 15 U 67/17.<br />

190 Roß, LKV 2015, 59 (68).<br />

50


Persönlicher Schutzbereich<br />

und daher nicht mehr Träger des Namensrechts sein. Das Namensrecht einer Person aus<br />

§ 12 BGB, das auch ihren Künstlernamen schützt, erlischt mit dem Tod des Namensträgers. 191<br />

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist <strong>von</strong> einem postmortalen Persönlichkeitsrecht auszugehen.<br />

192 Danach kommt dem Verstorbenen ein fortwirkender Menschenwürdeschutz<br />

zu, denn der Mensch, dem Würde kraft seines Personenseins zukommt, darf in seinem<br />

Achtungsanspruch auch nach seinem Tod nicht herabgewürdigt oder erniedrigt werden. 193<br />

Im StGB gibt es vor diesem Hintergrund den Straftatbestand des § 189 StGB (Verunglimpfung<br />

des Andenkens Verstorbener). 194<br />

Der postmortale Persönlichkeitsschutz unterliegt zeitlichen Grenzen. Die in § 22 Satz 3<br />

KunstUrhG für das Recht am eigenen Bild enthaltene Zehnjahresfrist ist für das allgemeine<br />

Persönlichkeitsrecht nicht unmittelbar einschlägig, und in der Rechtsprechung ist seit jeher<br />

anerkannt, dass der Schutz ideeller Persönlichkeitsinteressen die Zehnjahresfrist erheblich<br />

überschreiten kann. 195 Der postmortale ideelle Persönlichkeitsschutz ist nicht starr befristet,<br />

sondern schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst. 196<br />

Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind natürliche Personen ohne Ansehen ihres<br />

Alters oder ihrer Staatsangehörigkeit.<br />

b) Grundrechtsfähigkeit in Sonderstatusverhältnissen<br />

Grundrechte finden in allen Verhältnissen zwischen einem Bürger und staatlichen Stellen Anwendung.<br />

Dies gilt auch dann, wenn dieses Verhältnis durch ein besonderes Näheverhältnis<br />

des Bürgers zum Staat gekennzeichnet ist, wie z.B. beim Beamtenverhältnis. 197 Das Sonderstatusverhältnis<br />

zeichnet sich dadurch aus, dass Staatsbedienstete bzw. sämtliche Personen<br />

im staatsnahen und -geprägten Raum durchweg grundrechtsberechtigt sind. Die sich aus<br />

Art. 1 Abs. 3 GG ergebende staatliche Grundrechtsbindung kennt also keine Bereichsausnahme<br />

für Sonderstatusverhältnisse. Die Eingliederung in den öffentlichen Dienst schafft zwar<br />

besondere Pflichten, negiert jedoch nicht die Grundrechtsberechtigung.<br />

Aufgrund der (freiwillig gesuchten) Nähe zum Staat sind indes im Unterschied zum „staatsfernen“<br />

Bürger andere oder weiterreichende Grundrechtseingriffe möglich.<br />

Beispiel: 198 Ein Soldat darf verteidigungspolitische Fragen kritisch vor der Presse behandeln<br />

und sich dabei auch in Widerspruch zur Meinung seiner Vorgesetzten setzen. Dabei<br />

kann er sich auch auf die Zugehörigkeit zur Bundeswehr berufen. Gleichwohl unterliegt<br />

seine Meinungsfreiheit stärkeren Schranken als die der anderen Bundesbürger.<br />

Auswirkungen zeitigt das Sonderstatusverhältnis im Rahmen <strong>von</strong> Grundrechtseingriffen<br />

mithin erst auf der Ebene der Rechtfertigung. 199<br />

191 BGH, Urt. v. 05.10.2006 – I ZR 277/03, NJW 2007, 684: Klaus Kinski; Anm. Schack, JZ 2007, 364 (366 f.).<br />

192 BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 (30, 173), NJW 1971, 1645: Umfang der Kunstfreiheitsgarantie bei Ehrverletzungen<br />

– Mephisto. Seit der Mephisto-Entscheidung vertritt das BVerfG die Auffassung, dass der Schutz des Andenkens<br />

Verstorbener nicht über Art. 2 Abs. 1 GG, sondern über Art. 1 Abs. 1 GG zu gewährleisten ist; ausführlich Pabst, NJW<br />

2002, 999 ff.<br />

193 Würtenberger/Zippelius 2008, § 18, Rn. 62.<br />

194 Scheidler, apf 2012, 201 (203).<br />

195 Lettmaier, JA 2008, 566 (571). Zum Persönlichkeitsschutz nach dem Tode und Schadensersatz Frommeyer, JuS 2002, 13 ff.<br />

196 BGH, Urt. v. 08.06.1989 − I ZR 135/87, NJW 1990, 1986: Anspruch auf Beseitigung einer gefälschten Signatur auf einer<br />

Bildfälschung − Emil Nolde.<br />

197 Fechner 2017, 3. Kapitel, Rn. 20.<br />

198 BVerwGE 76, 267 (272).<br />

199 Weidemann, ZJS-online 2016, 286 (287).<br />

51


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Die Grundrechte gelten aufgrund der umfassenden Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte,<br />

Art. 1 Abs. 3 GG, auch umfassend in sog. besonderen Gewaltverhältnissen (oder<br />

Sonderstatusverhältnissen). Das sind Rechtsverhältnisse, in denen der Einzelne in einer besonders<br />

engen Rechts- und Pflichtenbeziehung zum Staat steht, z.B. bei Beamten, Soldaten,<br />

Strafgefangenen oder Schülern. 200 Im Sonderstatusverhältnis gibt es also keine schlechthin<br />

grundrechtsfreien Räume. 201 Im Rahmen der Gewaltunterworfenheit können der Grundrechtsausübung<br />

im Einzelfall Schranken auferlegt sein, allerdings nur, soweit die Verfassung<br />

dies ausdrücklich zulässt und entsprechende gesetzliche Regelungen getroffen wurden. Die<br />

Tatsache, dass jemand einem „besonderen Gewaltverhältnis“ unterliegt, genügt für sich genommen<br />

allein nicht, Grundrechtseingriffe vorzunehmen. Das besondere Gewaltverhältnis<br />

ist also kein Ersatz für die notwendige gesetzliche Regelung. Für das Beamtenverhältnis als<br />

besonderes Gewaltverhältnis stützen sich derartige Regelungen auf Art. 33 Abs. 5 GG sowie<br />

die Beamtengesetze des Bundes und der Länder. Insbesondere die „hergebrachten Grundsätze<br />

des Berufsbeamtentums“ können Einschränkungen der Grundrechte rechtfertigen –<br />

jedoch nur, wenn und soweit sich diese aus dem Wesen des Beamtenverhältnisses ergibt. 202<br />

Historisch betrachtet sind die hergebrachten Grundsätze Ausdruck des Republikprinzips,<br />

also der Emanzipation eines Beamtenkörpers, der sich aus der Abhängigkeit gegenüber<br />

dem Monarchen befreit und die vom Monarchen entkoppelte rechtsstaatliche Staatsidee<br />

gegen Nepotismus, Simonie und andere Formen personeller Korruption verteidigt. Die Ausgestaltung<br />

des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis,<br />

das Lebenszeitprinzip, die hauptberufliche Bindung des Beamten, das Laufbahnprinzip, das<br />

Leistungsprinzip, das Alimentationsprinzip, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die (wechselseitige)<br />

Treuepflicht des Beamten sowie das Neutralitätsprinzip sind durchwoben <strong>von</strong> der<br />

Leitidee einer persönlichen, ebenso materiellen wie inneren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit<br />

des gesamten Beamtenkörpers, die sich mit der strikten Gemeinwohlorientierung zu<br />

einer universellen demokratisch-republikanischen Staatsidee verbindet. 203<br />

Bestimmungen zum äußeren Erscheinungsbild <strong>von</strong> <strong>Polizeibeamten</strong> greifen in das Recht der<br />

betroffenen Beamten auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und<br />

bedürfen deshalb einer gesetzlichen Grundlage. 204<br />

Grundrechte gelten grundsätzlich auch im Beamtenverhältnis.<br />

Beispiel: Eine Regelung der obersten Dienstbehörde (hier: ein ministerieller Erlass), die<br />

uniformierten <strong>Polizeibeamten</strong> vorschreibt, die Haare in Hemdkragenlänge zu tragen,<br />

verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG. Der Erlass ist mit dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht<br />

der Beamten nicht vereinbar. 205<br />

Das öffentliche Interesse an einer angemessenen Repräsentation des Staates kann Vorgaben<br />

für das äußere Erscheinungsbild <strong>von</strong> Beamten rechtfertigen. Daher können Erscheinungsformen<br />

untersagt werden, die womöglich zu einer Minderung des Ansehens und der Akzeptanz<br />

200 Braun, in: Sensburg 2014, S. 148.<br />

201 Vgl. bereits Katz 1989, Rn. 654.<br />

202 Zu den „Hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ instruktiv Burmeister/Dohr 2022, S. 262 ff.<br />

203 Lorse, JZ 2018, 643 f.<br />

204 VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.10.2015, 4 S 1914/15.<br />

205 BVerwG, Urt. v. 02.03.2006 – 2 C 3/05, PersV 2007, 58: „Lagerfeldzopf“. Mit Fallbearbeitungen Baldarelli/Wölke 2007,<br />

S. 209 ff. und 212 ff.<br />

52


Persönlicher Schutzbereich<br />

des öffentlichen Dienstes führen. Dies gilt in besonderer Weise für uniformierte Polizeibeamte.<br />

So ist ein Verbot sichtbarer Tätowierungen nur aus dienstlichen Erfordernissen und<br />

nachvollziehbaren Gründen zulässig. 206 Wenn und soweit aber Tätowierungen in Bezug auf<br />

grundlegende Auffassungen des (künftigen) <strong>Polizeibeamten</strong> die Aussagekraft dahingehend<br />

zukommen sollte, dass er sich in einer die Vertrauenswürdigkeit der Polizei mindernden<br />

Weise mit gewaltverherrlichendem Gedankengut identifiziert bzw. die Tätowierungen eine<br />

gewaltverherrlichende Gesinnung des (künftigen) <strong>Polizeibeamten</strong> indizieren, kann ihnen<br />

Bedeutung im Hinblick auf seine charakterliche Eignung zukommen. 207<br />

Großflächige, nicht <strong>von</strong> der Sommeruniform verdeckte Tätowierungen berechtigen das<br />

Land Nordrhein-Westfalen, die Einstellung eines Bewerbers in den Polizeivollzugsdienst<br />

abzulehnen. 208<br />

c) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen<br />

Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen,<br />

soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. 209 Dem Wortlaut nach differenziert<br />

Art. 19 Abs. 3 GG nicht zwischen juristischen Personen des Privatrechts und juristischen<br />

Personen des öffentlichen Rechts. Anerkannt ist, dass juristischen Personen des öffentlichen<br />

Rechts grundsätzlich kein Grundrechtsschutz zukommt. 210 Dies gilt auch dann, wenn öffentliche<br />

Aufgaben durch juristische Personen des Privatrechts erfüllt werden, denn allein der<br />

Wandel der Rechtsform kann nicht dazu führen, dass der nunmehr in privater Rechtsform<br />

handelnde Staat grundrechtsfähig wird. 211<br />

Denn Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, nicht des Staates. Der<br />

Abwehr- und Ausgrenzungscharakter der Grundrechte (status negativus) ist auch heute noch<br />

ein besonders wichtiger Bestandteil der Menschenrechte. Die Funktion ist auf staatliche<br />

Unterlassung gerichtet. 212 Die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte ist ihr „Normalfall“.<br />

Die klassischen Grundrechtslehren sind in weiten Teilen mit Blick auf dieses Leitbild<br />

entwickelt worden. Als Abwehrrechte begründen die Grundrechte Beeinträchtigungsverbote.<br />

Allerdings sind sie in aller Regel nicht als Verbotsnormen, sondern als Gewährleistungsnormen<br />

formuliert, d.h., sie gewährleisten ein bestimmtes Gut des Grundrechtsträgers.<br />

Aus der Gewährleistung des Schutzguts folgt das Verbot, das Schutzgut zu beeinträchtigen.<br />

Schutzgut und Beeinträchtigungsverbot bilden gemeinsam den abwehrrechtlichen Gewährleistungsgehalt<br />

des Grundrechts. 213<br />

Letztlich ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Teilbereichen auch auf juristische Personen<br />

anwendbar. So gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung „im Interessen<br />

eines flexiblen und wertungsoffenen Grundrechtschutzes gem. Art. 19 Abs. 3 GG auch für<br />

206 VG Berlin, Beschl. v. 22.04.2015 – VG 36 L 83.15. Kleines Tattoo hindert Ausbildung zur Justizhauptwachtmeisterin nicht.<br />

207 VG Minden, Beschl. v. 28.08.2014, 4 L 481/14. Grundlegend zur persönlichen Eignung für den Polizeivollzugsdienst,<br />

Masuch, DÖV 2018, 697 ff.<br />

208 Beschl. v. 26.09.2014 – 6 B 1064/14, NWVBl. 2015, 33.<br />

209 Die h. M. geht aufgrund der Formulierung in Art. 19 Abs. 3 GG da<strong>von</strong> aus (Umkehrschluss), dass ausländische juristische<br />

Personen nicht nach Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützt sind; speziell dazu Tonikidis, JURA 2012, 517 (518).<br />

210 Scheidler, apf 2012, 201 (203).<br />

211 Würtenberger/Zippelius 2008, § 18, Rn. 46.<br />

212 Roos, Kriminalistik 2006, 716.<br />

213 Graf <strong>von</strong> Kielmansegg, JuS 2009, 19 (20).<br />

53


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

juristische Personen und wird weder <strong>von</strong> Art. 12 Abs. 1 GG noch <strong>von</strong> Art. 14 Abs. 1 GG<br />

verdrängt“. 214<br />

5. Sachlicher Schutzbereich<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält einen offenen Tatbestand. Die Schutzgewährleistungen<br />

sind infolgedessen nicht abschließend umschrieben. Sie sind vielmehr im Hinblick<br />

auf den konkreten Schutzbedarf anhand des zu entscheidenden Falls herauszuarbeiten. 215<br />

Der sachliche Schutzbereich umfasst vor allem die Abwehr <strong>von</strong> Beeinträchtigungen der engeren<br />

persönlichen Lebenssphäre, der Selbstbestimmung und der Grundbedingungen der<br />

Persönlichkeitsentfaltung. 216<br />

Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts lässt sich nicht exakt definieren<br />

oder gar auf eine subsumtionsfähige Formel bringen. Der weite Umfang des Schutzbereichs<br />

verdeutlicht die kaum noch zu überschauende Rechtsprechung. 217 Es handelt sich um einen<br />

„entwicklungsoffenen“ Tatbestand, welcher auf die mit der technischen und gesellschaftlichen<br />

Entwicklung einhergehenden, neuartigen Gefährdungen für die Persönlichkeit mit der<br />

Ausbildung immer neuer Schutzpositionen reagiert. 218<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sichert dem Einzelnen einen autonomen Bereich privater<br />

Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. 219<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst dabei verschiedene Ausprägungen der Selbstbestimmung.<br />

220 Rechtsprechung und Literatur haben im Laufe der Zeit etliche Fallgruppen<br />

herausgearbeitet, die eine Orientierung ermöglichen: 221<br />

– Darstellung in der Öffentlichkeit,<br />

– Recht auf Sprachenfreiheit, 222<br />

– Recht der Selbstdarstellung,<br />

– Recht der Selbstbewahrung,<br />

– Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung,<br />

– das Recht am eigenen Bild,<br />

– Recht am eigenen Namen,<br />

– Recht auf Gegendarstellung,<br />

– Wahrung der persönlichen Ehre,<br />

– Recht am eigenen Wort,<br />

214 Wilms/Roth, JuS 2004, 577 (580).<br />

215 BVerfGE 114, 339 (348): Stolpe; mit verfassungsrechtlichen Betrachtungen auch Zuck/Zuck, DVBl 2021, 973 ff.<br />

216 Roß, LKV 2015, 59 (60) instruktiv Specht-Riemenschneider/Riemenscheider/Schneider, 2020, S. 144 ff.<br />

217 Antoni, in: Hömig/Wolff 2016, Art. 2, Rn. 6.<br />

218 Lettmaier, JA 2008, 566 (567).<br />

219 BVerfG, Beschl. v. 26.04.1994 – 1 BvR 1299/89 und 1 BvL 6/90, NJW 1994, 2475: Ehelichkeitsanfechtung.<br />

220 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 409 ff.<br />

221 Ausführlich Brüggen/Towfigh, ZJS 2021, 436 ff., Beater, JZ 2018, 213 ff; Vahle, Kriminalistik 2003, 325; Vahle, DNP 1993,<br />

247.<br />

222 Kahl, JuS 2007, 201: Tradition hat das Grundrecht der Sprachenfreiheit vor allem in mehrsprachigen Staaten. So wurde<br />

die Sprachenfreiheit etwa in der Schweiz frühzeitig als ungeschriebenes Grundrecht des Bundesverfassungsrechts<br />

höchstrichterlich und durch das Schrifttum anerkannt.<br />

54


Sachlicher Schutzbereich<br />

– Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität,<br />

– informationstechnischer Systeme,<br />

– Recht auf informationelle Selbstbestimmung. 223<br />

Eine Person kann auch durch das Verbreiten <strong>von</strong> Zitaten rechtswidrig in ihrem allgemeinen<br />

Persönlichkeitsrecht verletzt sein, wenn sie sich nicht wie zitiert geäußert hat. Das durch<br />

Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht kann auch gegen<br />

das Unterschieben nicht getaner Äußerungen schützen. Dies ist der Fall, wenn zugleich<br />

ein anerkanntes Schutzgut des Persönlichkeitsrechts, etwa die Privatsphäre, verletzt wird,<br />

wie bei der Verbreitung eines erfundenen Interviews, welches das Privatleben des Verletzten<br />

betrifft. Sofern ein solches Schutzgut nicht beeinträchtigt ist, bedeutet es gleichfalls einen<br />

Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn jemandem Äußerungen in den Mund<br />

gelegt werden, die er nicht getan hat und die seinen <strong>von</strong> ihm selbst definierten sozialen<br />

Geltungsanspruch beeinträchtigen. 224<br />

Gerade Polizeibeamte werden nahezu täglich mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

„konfrontiert“. 225 So gehört zu den geschützten personenbezogenen Daten wegen<br />

der daran anknüpfenden Identifizierungsmöglichkeit auch das Kfz.-Kennzeichen (§ 45 Satz 2<br />

StVG). 226<br />

Seine „freie Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft“ kann der Einzelne nur<br />

wahrnehmen, soweit es ihm möglich ist, Informationen über seinesgleichen zu erfassen und<br />

zu verarbeiten. Eine Entfaltung der Persönlichkeit i.S. des Art. 2 Abs. 1 GG ohne Erkenntnisse<br />

über die soziale Umgebung stieße unmittelbar vor die Wand; jeder Dialog wäre unmöglich<br />

und disharmonisch, und jeder Austausch wäre wegen des fehlenden parallelen Informationsaustausches<br />

disproportional und damit zutiefst ungerecht. 227<br />

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit erfordert den Schutz des Menschen gegen eine unbegrenzte<br />

Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. Es<br />

wäre mit der Verbürgung der Menschenwürde nicht zu vereinbaren, „wenn der Neugierde<br />

des Staates, dem Vordringen in den Bereich innerer Persönlichkeitsentwicklung, kein angemessenes<br />

grundrechtliches Gegengewicht entgegengesetzt werden könnte“. 228<br />

223 Mit einer Übersicht über die Rechtsprechung Keller, PSP 2/2012, 39 ff. und 3/2012, 41 ff.<br />

224 LG Köln, Urt. v. 15.03.2017 – 28 O 324/16: Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch ein Falschzitat.<br />

225 Vertiefend: Frenz, DVBl. 2009, 333 ff.; Martini, JA 2009, 839 ff.; Ladeur, DÖV 2009, 45 ff.; Schoch, JURA 2008, 352 ff.<br />

226 Mit einer Fallbearbeitung Haurand, DVP 2007, 449 ff.<br />

227 Giesen, JZ 2007, 918.<br />

228 Martini, JA 2009, 839.<br />

55


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Übersicht: 229<br />

Allgemeines Persönlichkeitsrecht<br />

Schutzbereich Eingriff Verfassungsrechtliche<br />

Rechtfertigung<br />

Selbsbewahrung<br />

Vertraulichkeit<br />

persönlicher<br />

Unterlagen<br />

Tagebuch<br />

Krankenakte<br />

Vertraulichkeit<br />

und Integrität<br />

Informationstechnischer<br />

Systeme<br />

Selbstdarstellung<br />

Recht am<br />

eigenen Bild<br />

Recht am<br />

eigenen Wort<br />

Recht am<br />

eigenen Namen<br />

Recht auf<br />

Gegendarstellung<br />

Schweigerecht<br />

im Strafverfahren<br />

Selbstbestimmung<br />

Kenntnis der<br />

eigenen Abstammung<br />

Sexuelle<br />

Selbstbestimmung<br />

Informationelles<br />

Selbstbestimmungsrecht<br />

229 Zitiert: Martini, JA 2009, 839 (841).<br />

56


Grundrechtseingriff<br />

6. Grundrechtseingriff<br />

Im Rahmen der Prüfung, ob eine bestimmte Handlung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

eingreift, ist zwischen Eingriff in den Schutzbereich, positiver Feststellung der Rechtswidrigkeit<br />

des Eingriffs und Pflichtwidrigkeit bzw. Verschulden zu unterscheiden. 230<br />

a) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Im Gegensatz z.B. zu einer Körperverletzung folgt aus der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts<br />

nicht regelmäßig das (Un-)Werturteil der Rechtswidrigkeit. Die Grenzen des<br />

Persönlichkeitsrechts können nur <strong>von</strong> Fall zu Fall gezogen werden. Es bedarf daher nach<br />

dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung einer auf den Einzelfall bezogenen Wertung,<br />

ob ein konkreter Eingriff rechtmäßig ist oder nicht. Liegt ein Eingriff in das allgemeine<br />

Persönlichkeitsrecht vor, führt dies somit nicht ohne Weiteres zur Annahme eines rechtswidrigen<br />

Eingriffs mit der Folge eines Unterlassungsanspruchs aus §§ 823 Abs. 1, 1004<br />

Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, da wegen der Eigenart<br />

des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts seine Reichweite nicht absolut feststeht,<br />

sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange<br />

bestimmt werden muss, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die<br />

betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht<br />

ist aufgrund dessen nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die<br />

schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. 231<br />

Der Charakter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als dynamisches Rahmenrecht ohne<br />

feste Konturen schließt es mithin aus, dass ein Eingriff in den Schutzbereich zugleich die<br />

Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert. Erforderlich ist vielmehr eine positive Feststellung der<br />

Rechtswidrigkeit durch eine umfassende Abwägung der im konkreten Einzelfall betroffenen<br />

Güter und Interessen des Persönlichkeitsrechtsinhabers, des Eingreifenden und der Öffentlichkeit.<br />

232 Ein klassisches Konfliktfeld – zwischen Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit –<br />

liefert die Bildberichterstattung der Boulevardpresse mit ihrem Hang zur Beschäftigung mit<br />

dem Privatleben Prominenter. 233<br />

Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt, dass alle beeinträchtigenden staatlichen Maßnahmen<br />

als Eingriffe in Betracht kommen,<br />

Beispiel: Eingriff in das Recht auf die eigene Selbstdarstellung durch Uniformzwang für<br />

Polizeibeamte 234 oder Eingriffe bei <strong>Polizeibeamten</strong> durch eine Kennzeichnungspflicht. 235<br />

b) Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist konturlos, es ist dogmatisch nach dem<br />

Muster des klassischen Eingriffsabwehrrechts konstruiert, obwohl es keinen bestimmbaren<br />

Schutzbereich hat. 236 In der Fachliteratur wurde bereits vor dem Volkszählungsurteil<br />

230 Ausführlich: Lettmaier, JA 2008, 566 (567 ff.).<br />

231 BGH, Urt. v. 19.01.2016 – VI ZR 302/15; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.02.2021 – 16 W 87/20: Bezeichnung als „Antisemit“<br />

in einer Fernsehsendung.<br />

232 Lettmaier, JA 2008, 566 (567).<br />

233 Vertiefend: Kremer, JURA 2006, 459 ff.<br />

234 Hildebrandt, in: Sensburg 2014, S. 178<br />

235 Zu verfassungsrechtlichen Aspekten der Kennzeichnungspflicht Barczak, NVwZ 2011, 852 ff.<br />

236 Ladeur, DÖV 2009, 45: Juristische Fehlkonstruktion.<br />

57


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

des BVerfG ein informationelles Selbstbestimmungsrecht entwickelt, so erstmals in einem<br />

Gutachten aus dem Jahr 1971 zu den „Grundfragen des Datenschutzes“ im Auftrag des Bundesinnenministeriums.<br />

Durch das Volkszählungsurteil wurde das Recht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung dann aber quasi höchstrichterlich inthronisiert. Dieses Recht beinhaltet<br />

„die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher<br />

Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“. 237 Ein Eingriff in das Recht<br />

auf informationelle Selbstbestimmung ist gegeben, wenn der Staat oder ein anderer Hoheitsträger<br />

gezielt und rechtsförmlich die Preisgabe personenbezogener Daten anordnet. 238<br />

So bedarf bereits eine Befragung als relativ milde Form der Datenerhebung als Eingriff in das<br />

Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) einer<br />

gesetzlichen Ermächtigung. 239<br />

Unter Zugrundlegung eines weiten Eingriffsbegriffs, der nicht immer erkennen lässt, welcher<br />

Schritt der Datenerhebung und -verarbeitung als rechtsrelevante Aktion heraus zu kristallisieren<br />

und damit als Eingriff zu qualifizieren ist, kommt es entscheidend auf die verfassungsrechtliche<br />

Rechtfertigung an. Das BVerfG hat den Schrankenvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG<br />

für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung präzisiert:<br />

Maßgeblich sind die Grundsätze der Bestimmtheit und Normenklarheit.<br />

Der Gesetzgeber habe Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch,<br />

präzise und normenklar festzulegen. Bediene sich der Gesetzgeber unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe, dürfen verbleibende Ungewissheiten nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit<br />

und Justiziabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten staatlichen<br />

Stellen gefährdet sind. 240 Erst allmählich wird klar, dass hier ein Spannungsverhältnis besteht:<br />

Je bestimmter die Norm bereichsspezifisch zu fassen ist, desto weniger normenklar werden<br />

die Anforderungen des Datenschutzes für den Einzelnen. 241<br />

7. Schrankentrias<br />

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht unterliegt der in Art. 2 Abs. 1 GG enthaltenen Schrankentrias,<br />

also im Ergebnis einem einfachen Gesetzesvorbehalt. 242 Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

sehr unterschiedliche Grundrechte enthält, bestimmen sich auch die<br />

Schranken und die daraus resultierende Rechtfertigung <strong>von</strong> Eingriffen nicht pauschal für<br />

dieses Grundrecht, sondern sind vielmehr je nach Grundrecht zu untersuchen. Es gilt zwar<br />

grundsätzlich der einfache Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG. Wegen der Verbindung<br />

zur uneinschränkbaren Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) wird jedoch angenommen, dass<br />

dieser grundsätzlich in der Form eines Parlamentsvorbehalts besteht.<br />

Daneben gelten natürlich die verfassungsimmanenten Schranken, also Grundrechte Dritter<br />

und andere Werte mit Verfassungsrang. 243<br />

237 BVerfGE 65, 1 (42 f.).<br />

238 Weitergehend Schoch, JuS 2008, 352 (356).<br />

239 Keller, PSP 2/2012, 39 (41).<br />

240 BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822: Online-Durchsuchung.<br />

241 Franzius, ZJS-online 2015, 259 (260).<br />

242 Hildebrandt, in: Sensburg 2014, S. 179.<br />

243 Altevers 2015, Rn. 133.<br />

58


Schrankentrias<br />

a) Verfassungsmäßige Ordnung<br />

Von Bedeutung ist (allein) die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung, Es handelt sich<br />

um die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang<br />

stehen; 244 insofern handelt es sich um einen einfachen Gesetzesvorbehalt. 245<br />

Das Sittengesetz und die Rechte Anderer spielen demgegenüber in der Praxis im Prinzip<br />

keine Rolle. 246<br />

b) Rechte anderer<br />

Der Begriff umfasst unter Ausschluss bloßer Interessen alle subjektiven Rechte. Allerdings<br />

sind diese bereits in der verfassungsmäßigen Ordnung enthalten.<br />

c) Sittengesetz<br />

Die grundrechtliche Garantie als objektiv wertsetzende Norm kann die Auslegung einfachgesetzlicher<br />

Vorschriften – v.a. der Generalklauseln des bürgerlichen Rechts (§ 138 BGB:<br />

Sittenwidrigkeit; § 242 BGB: Treu und Glauben) beeinflussen und eine persönlichkeitsschutzfreundliche<br />

Anwendung gewährleisten. Indes kann der Bürger auf ihm zustehende Rechte<br />

verzichten und sogar in Körperverletzungen einwilligen. Diese Freiheiten bedürfen jedoch<br />

eines Korrektivs, um einen Missbrauch zu verhindern. Dieser Notwendigkeit trägt die Verfassungsordnung<br />

bereits dadurch Rechnung, dass sie die Ausübung der Freiheitsrechte unter<br />

den Vorbehalt der „guten Sitten“ oder, wie es in Art. 2 Abs. 1 GG heißt, des Sittengesetzes<br />

stellt. 247<br />

Die Schrankenmöglichkeit hat fast keine eigenständige Bedeutung. Nahezu jedes Verhalten,<br />

das die allgemeine Handlungsfreiheit beschneidet und damit verboten ist, ist in irgendeinem<br />

Gesetz normiert. Grammatikalisch versteht man unter dem Sittengesetz alle historisch überlieferten<br />

Moralvorstellungen, die sich eingebürgert haben, d.h. <strong>von</strong> der Rechtsgemeinschaft<br />

allgemein anerkannt sind. 248 Sittengesetze sind i.S. <strong>von</strong> „guten Sitten“ und „Treu und Glauben“<br />

zu verstehen. Vorstellbar ist, dass etwas vom Sittengesetz missbilligt wird, aber diese<br />

Missbilligung keinen Niederschlag ins staatliche Recht fand. 249<br />

244 BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 – 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297: Elfes.<br />

245 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2016, Rn. 427.<br />

246 Herrmann, POLIZEI-heute 2000, 123 (125).<br />

247 Vahle, Kriminalistik 2008, 404.<br />

248 Herrmann/Lang/Schneider 2004, S. 66.<br />

249 Döding/Webel 2013, Rn. 440.<br />

59


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

8. Sphärentheorie<br />

Das Wirken eines Menschen kann nicht uneingeschränkten Schutz vor fremden Einwirkungen<br />

genießen. Niemand führt ein „Robinsondasein“, sondern ist in vielfacher Hinsicht<br />

in soziale Beziehungen eingebunden. 250 Dies gilt z.B. für die „Abschirmung“ persönlicher<br />

Daten, an deren Kenntnisnahme und Nutzung andere ein durchaus berechtigtes Interesse<br />

haben können. Demgemäß stuft die Rechtsprechung den Persönlichkeitsschutz grob nach<br />

Sphären ab. 251 Dabei hat das BVerfG für die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des<br />

allgemeinen Persönlichkeitsrechts die sog. Sphärentheorie entwickelt, die je nach Schwere<br />

des betroffenen Individualbereichs die Rechtfertigungsanforderungen differenziert. 252 Das<br />

das allgemeine Persönlichkeitsrecht sich aus den Grundrechten der Art. 2 Abs. 1 und Art. 1<br />

Abs. 1 GG zusammensetzt, ergeben sich aus die Grundrechtsschranken entweder aus dem<br />

einen oder dem anderen Grundrecht. Das ist da<strong>von</strong> abhängig, ob die Intimsphäre oder die<br />

Privat- oder Sozialsphäre betroffen ist. 253 Je mehr sich jemand in der Öffentlichkeit bewegt<br />

und damit Dinge über sich preisgibt, umso mehr muss er sich – vereinfacht gesagt – die<br />

„Neugier“ Dritter (Presse) gefallen lassen. 254<br />

a) Individualsphäre<br />

Zum äußersten Bereich der (noch) geschützten Sphäre gehört die Individualsphäre (Sozialsphäre),<br />

das „Selbstbestimmungsrecht“; 255 es bewahrt die persönliche Eigenart des<br />

Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt, insbesondere in seinem öffentlichen und<br />

beruflichen Wirken. 256 Die Individual- oder Sozialsphäre beschreibt den Lebensbereich des<br />

Einzelnen, den dieser bewusst anderen bzw. der Öffentlichkeit zugänglich macht. 257 Es handelt<br />

sich um den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung mit der Umwelt vollzieht. 258<br />

Äußerungen, die lediglich den sozialen Geltungsbereich (Sozialsphäre) betreffen, dürfen<br />

nur im Fall einer schwerwiegenden Auswirkung auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen<br />

Sanktionen verknüpft werden, etwa wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder<br />

Prangerwirkung droht. 259 So kann die Veröffentlichung <strong>von</strong> bei einer internen Polizei-Abschlussfeier<br />

erstellten Bildnissen, die die dargestellten Personen in einen erkennbar sexualisierten<br />

Kontext stellen, auch dann die Zuerkennung einer Geldentschädigung rechtfertigen,<br />

wenn das zugrunde liegende Ereignis zur Sozialsphäre gehört. 260 Insbesondere im Bereich<br />

der beruflichen Sphäre muss sich derjenige, der am Wirtschaftsleben beteiligt ist, in gesteigertem<br />

Maß der öffentlichen Kritik stellen. 261<br />

250 Vahle, DNP 1993, 247.<br />

251 Enzensperger, VR 2016, 310 (314); kritisch Seitz, in: Nolte 2011, S. 37: In einer Art „Schubladendenken“ versucht man<br />

Lösungen über Kategorisierungen zu erreichen.<br />

252 Beaucamp/Seifert, JA 2004, 539 (543).<br />

253 Herrmann/Lang/Schneider 2004, S. 90.<br />

254 Vahle, Kriminalistik 2003, 325. Grundlegend zur Sphärentheorie Dietrich 2020, S. 139 ff.<br />

255 BAG, Urt. v. 04.04.1990 – 5 AZR 299/89, NJW 1990, 2272: Personalakteneinsicht durch Sparkassenrevision.<br />

256 Vahle, Kriminalistik 2003, 325.<br />

257 Zum Anonymitätsschutz in der Sozialsphäre eingehend Brost/Conrad, AfP 2017, 286 ff.<br />

258 Diederichsen, JURA 2008, 1 (2).<br />

259 OLG Köln, Urt. v. 06.04.2017 – 15 U 92/16: Bericht über Verhältnis zweier im öffentlichen Leben stehender Personen<br />

zulässig.<br />

260 OLG Dresden, Urt. v. 08.06.2021 – 4 U 2120/20.<br />

261 OLG Köln, Urt. v. 13.10.2016 – 15 U 189/15, ZD 2017, 96: Suchergebnisse zu Äußerungen über rechtsextreme Gesinnung<br />

eines Mitarbeiters.<br />

60


Sphärentheorie<br />

Beispiel: 262 Ein Arzt hat keinen Löschungsanspruch hinsichtlich der Veröffentlichung seiner<br />

persönlichen Daten auf einem Ärztebewertungsportal. Zwar können die Bewertungen<br />

nicht nur erhebliche Auswirkungen auf den sozialen und beruflichen Geltungsanspruch<br />

eines Arztes haben. Sie können vielmehr auch die Arztwahl behandlungsbedürftiger Personen<br />

beeinflussen, sich dadurch unmittelbar auf die Chancen des Arztes im Wettbewerb<br />

mit anderen Ärzten auswirken und damit im Fall <strong>von</strong> negativen Bewertungen sogar seine<br />

berufliche Existenz gefährden. Allerdings berühren die gespeicherten Informationen den<br />

Arzt nur in seiner Sozialsphäre, sodass der Arzt die Veröffentlichung hinzunehmen hat.<br />

Die Behauptung wahrer Tatsachen aus der Sozialsphäre muss grundsätzlich hingenommen<br />

werden. Das Persönlichkeitsrecht enthält kein Recht, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt<br />

zu werden, wie es dem Betroffenen genehm ist. Die Schwelle zur Persönlichkeitsverletzung<br />

wird bei einer Mitteilung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre regelmäßig erst überschritten,<br />

wenn sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zum<br />

Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. 263<br />

Zur Eingriffsrechtfertigung sind die allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsätze ausreichen.<br />

Das Selbstbestimmungsrecht bewahrt die persönliche Eigenart des Menschen in seinen<br />

Beziehungen zur Umwelt, insbesondere seinem öffentlichen und beruflichen Wirken. 264<br />

So ist die Mitteilung wahrer Tatsachen über Vorgänge aus der Sozialsphäre grundsätzlich<br />

hinzunehmen. Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird hier regelmäßig erst<br />

überschritten, wenn sie außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit<br />

steht. 265<br />

b) Privatsphäre 266<br />

Stärker geschützt als die Individualsphäre ist die Privatsphäre, die den engeren persönlichen<br />

Lebensbereich des Einzelnen umfasst, der grundsätzlich privat und der Öffentlichkeit entzogen<br />

sein soll, z.B. der häusliche Bereich oder die Familie. 267 Typischerweise werden Dinge<br />

als privat eingestuft, deren öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich<br />

gilt, deren Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der<br />

Umwelt auslöst und die jedenfalls nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. 268 Geschützter<br />

Lebensbereich eines Menschen, zu dem Außenstehende nach der sozialen Anschauung nur<br />

mit Zustimmung des Betroffenen Zugang haben, ist der häusliche Bereich. 269<br />

Die eigenen vier Wände bilden den klassischen Bereich der räumlich-gegenständlichen Privatsphäre.<br />

Der geschützte häusliche Bereich beschränkt sich aber nicht auf den Einblicken<br />

Dritter <strong>von</strong> vornherein verschlossenen inneren Teil der Wohnung, sondern umfasst alle<br />

Grundstücksteile, die den räumlich-gegenständlichen Lebensmittelpunkt einer Person insgesamt<br />

ausmachen, sofern und soweit diese Bereiche üblicherweise oder durch bauliche oder<br />

landschaftliche Gegebenheiten <strong>von</strong> der Einsichtnahme durch Dritte ausgeschlossen sind. 270<br />

262 LG Köln, Urt. v. 13.07.2016 – 28 O 7/16.<br />

263 BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 3487/14, ZD 2016, 530: Persönlichkeitsschutz bei Tatsachenbehauptung im Internet.<br />

264 Vahle, DVP 2006, 269.<br />

265 BVerfG , Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 3487/14, NJW 2016, 3362; Anm. Hufen, JuS 2017, 86 ff.<br />

266 Vertiefend: Geminn/Roßnagel, JZ 2015, 703 ff.<br />

267 Vahle, Kriminalistik 2003, 325 (326).<br />

268 OLG Köln, Urt. v. 12.01.2017 – 15 U 198/15: Verhalten einer Schauspielerin auf Deutschem Filmball nicht der Privatsphäre<br />

zuzurechnen.<br />

269 Diederichsen, JURA 2008, 1 (2).<br />

270 Vahle, DVP 2006, 269.<br />

61


Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

Der Schutzbereich der Privatsphäre ist aber nicht auf den häuslichen Bereich beschränkt.<br />

Vielmehr kann sich der Schutzbereich auch auf andere Örtlichkeiten erstrecken, die <strong>von</strong> der<br />

breiten Öffentlichkeit abgeschieden sind und in welcher der Betreffende den erkennbaren<br />

Wunsch hat, für sich allein zu sein. 271<br />

Beispiel: 272 Trauerfeierlichkeiten sind grundsätzlich als ein der Privatsphäre zugehöriger<br />

Vorgang anzusehen. Allerdings wiegt ein Eingriff in diesen Teil der Privatsphäre vergleichbar<br />

schwer, wie derjenige in die Intimsphäre. Sofern das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

bzw. das Recht am eigenen Bild ermöglichen soll, sich frei <strong>von</strong> öffentlicher Beobachtung<br />

und dadurch verursachter Selbstkontrolle verhalten zu können, ist dieser Aspekt gerade<br />

bei Trauerfeierlichkeiten <strong>von</strong> besonderem Gewicht. Während der Beerdigung eines nahen<br />

Angehörigen sind die Teilnehmer einem hohen emotionalen Druck ausgesetzt; die<br />

nach Art. 1 GG zu schützende Würde des Menschen gebietet <strong>von</strong> Rechts wegen einen<br />

besonderen Schutz gerade dieses Moments.<br />

Der Schutz der Privatsphäre umfasst grundsätzlich auch Angaben über den Gesundheitszustand<br />

eines Menschen. Der Betroffene kann sich aber nicht auf ein Recht zur Privatheit<br />

hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat. 273<br />

Beispiel (Michael Schumacher): 274 In der Abwägung überwiegt das Interesse des Klägers<br />

(M. Schumacher) am Schutz seiner Persönlichkeit das <strong>von</strong> den Beklagten verfolgte Informationsinteresse<br />

der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit. Da die Aussagen<br />

die Privatsphäre betreffen, war <strong>von</strong> entscheidender Bedeutung, ob sie sich durch ein<br />

berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lassen. Dies ist zu<br />

verneinen. 275<br />

Eingriffe sind zulässig unter strikter Beachtung der Verhältnismäßigkeit im überwiegenden<br />

Allgemeininteresse.<br />

Ein <strong>von</strong> einer natürlichen Person unterhaltenes elektronisches Postfach ist Teil der Privatsphäre.<br />

Automatisch generierte Bestätigungs-E-Mails, die sowohl eine Eingangsbestätigung<br />

in Bezug auf zuvor versandte Nachrichten als auch Werbung enthalten, stellen einen rechtswidrigen<br />

Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar, wenn dieser<br />

dem Erhalt <strong>von</strong> Werbung zuvor ausdrücklich widersprochen hat. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

ist vor Belästigungen schützen, die <strong>von</strong> einer unerwünschten Kontaktaufnahme<br />

ausgehen. 276<br />

c) Intimsphäre<br />

Wenn seit der Aufklärung der Kern der Menschenwürde in der Autonomie und der Selbstbestimmung<br />

des Menschen liegt, dann muss auch die Interpretation des Grundrechts diesen<br />

Kern wiedergeben. Während die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der „Normalfall“<br />

271 Vahle, DVP 2006, 269. Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme kann dort entfallen oder zumindest<br />

im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte,<br />

gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden; die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheiten<br />

oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt,<br />

muss situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden, BGH, Urt. v. 12.06.2018 − VI ZR 284/17.<br />

272 LG Frankfurt (Oder), Urt. v. 25.06.2013 – 16 S 251/12, NJW-RR 2014, 159: Geldentschädigung nach Rangelei wegen<br />

Pressefotos <strong>von</strong> einer Trauerfeier.<br />

273 BGH, Urt. v. 29.11.2016 – VI ZR 382/15, GRUR 2017, 304: Michael Schumacher.<br />

274 BGH, Urt. v. 29.11.2016 – VI ZR 382/15, GRUR 2017, 304.<br />

275 Vertiefend: Von Pentz, AfP 2017, 102 (108 f.).<br />

276 BGH, Urt. v. 15.12.2015, VI ZR 134/15.<br />

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