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KEM Konstruktion 04.2020

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Trendthemen: Digitalisierung, Additive Manufacturing; KEM Porträt: Prof. Christoph Lütge, TU München; KEM Perspektiven: Digitalisierung im Leichtbau - Kein Ende der Diät

MASCHINENELEMENTE

MASCHINENELEMENTE DICHTUNGEN Ausfall von Dichtungen durch Spaltextrusion – Ursachen, Schadensbild und Präventionsmaßnahmen Der Dichtspalt als Feind der Dichtung Die Spaltextrusion stellt eine häufige und deshalb auch wohlbekannte Ausfallursache von Dichtungen dar. Dieses Schadensbild wird in der Literatur oft beschrieben; jedoch ist vielen Anwendern die Fülle an möglichen Ursachen unbekannt. Der folgende Fachbeitrag bringt Licht in den Spalt und schließt mit Präventionsmaßnahmen und Praxistipps. Bernhard Richter, Geschäftsführer, und Ulrich Blobner, Beratung/Consultant, O-Ring Prüflabor Richter GmbH, Großbottwar Abb. 1: Schadensbild einer Spalt - extrusion, entstanden bei 350 bar Druck und einem Spalt von 0,05 mm, untypisch stark ausgeprägt infolge eines scharfkantigen Nuteinstichs Gummi ist in seinem Verhalten wie eine inkompressible Flüssigkeit. Durch steigenden Druck passt sich eine Dichtung immer mehr ihrem Einbauraum an, bis sie schließlich in den druckabgewandten Spalt gepresst, also extrudiert wird. Der O-Ring bzw. die Hydraulikdichtung wird „abgeschält – oder wird durch das Atmen der Maschinenteile angeknabbert“ 1 . Durch den hohen Druck wird immer neues Material in den Spalt nachgeschoben, sodass mitunter lange Extrusionsfahnen entstehen. Das „Anknabbern“ entsteht dadurch, dass sich der Spalt schlagartig schließt und dass sich das in den Dichtspalt extrudierte Material nicht schnell genug zurückziehen kann. Druck als Schadensursache Der Systemdruck ist meist zu Beginn einer Entwicklung fest vorgegeben, sodass konstruktiv oder werkstofftechnisch Wege gefunden werden müssen, damit umzugehen. Bei typischen Werkstoffhärten von 70 ShA oder höher und bei den üblichen Spaltmaßen von maxi- mal 0,3 mm tritt der Schadensmechanismus der Spaltex - trusion nicht unter 50 bar Druck auf. Der Vorgang [der Spaltextrusion] wird dadurch gefördert, dass der Druck p die Zylinderrohre aufweitet, sodass der Spalt vergrößert wird. 2 Durch das viskoelastische Verhalten von Elastomeren ist der Widerstand des Materials gegen Verformung nicht nur abhängig vom Verformungsgrad, sondern auch von der Verformungsgeschwindigkeit (Druckanstiegs- geschwindigkeit) und der Temperatur. Das heißt, dass derselbe Druck, wenn er schneller ansteigt, auch höhere Linien- bzw. Flächenpressungen am Dichtspalt erzeugt. In der Hydraulik gibt es das Phänomen der Schlepp - strömung. Vor der Dichtung baut sich ein Schleppdruck auf, der um ein Vielfaches höher als der Systemdruck sein kann. Trotz intakter Dichtungen kann es zu Leckagen kommen. Bild: O-Ring Prüflabor Richter Mangelhafte konstruktive Randbedingungen Ein fehlerhaftes Spaltmaß ist die bekannteste Ursache von Spaltex - trusion, aber es gibt auch noch andere konstruktive Fehler. Zwischen einem Kolben und Zylinder sind in der Regel immer Spalte anzutreffen. Die Reduzierung des Spaltes ist vor allem eine Kostenfrage. Bei dynamischem Dichtungseinsatz ist sogar ein gewisser Gleitspalt notwendig. Dieser ist meist größer als der für die Dichtung ideale Wert. 3 In der Fluidtechnik liegt ein typischer Dichtspalt im Kolbendurchmesserbereich von 20 bis 100 mm bei 0,07 bis 0,13 mm, z. B. bei einer Auslegung nach ISO 3601-2 4 (H8/f7). Die Anfälligkeit für Spaltextrusion wird wesentlich durch die Kantenausführung der Nut beeinflusst. Prinzipiell gilt, dass ein Kantenra - dius von 0,05 bis 0,1 mm dem Idealfall entspricht. Bei hohem Druck und schneller Druckanstiegsgeschwindigkeit schädigen scharfe Kanten viel früher die Dichtung. Früher war die O-Ring-Schnurstärke auch ein Parameter bei der Auslegung von extrusionssicheren Dichtungen. Im Rahmen von inten - siven Untersuchungen 5 konnte aber kein signifikanter Einfluss der Schnurstärke auf die Extrusionsbeständigkeit nachgewiesen werden. 64 K|E|M Konstruktion 04 2020

DICHTUNGEN MASCHINENELEMENTE Abb. 2: Typisches Schadensbild einer Spaltextrusion Bild: O-Ring Prüflabor Richter Ungeeigneter Dichtungswerkstoff Zwar wird in der Literatur meist nur die Dichtungshärte als wichtiger Parameter zur Schadensvermeidung beschrieben, jedoch greift diese Sichtweise in der Praxis oft zu kurz. Je steifer eine Dichtung ist, desto mehr Widerstand bringt sie gegen eine Spaltextrusion auf. Große Dichtungshersteller bieten für ihre Kunden Diagramme 6 an, mit deren Hilfe diese eine extrusionssichere Dichtung auslegen können. Mit Betriebsdruck und Werkstoffhärte erhält man so den maximal zulässigen Spalt. Da die Härte weit verbreitet und einfach zu messen ist, wird sie oft verwendet, um eine Aussage über die Steifheit eines Elastomerwerkstoffs zu geben. Jedoch sagt die Härte nur etwas über den Widerstand eines Werkstoffs gegen eine minimale Verformung aus. Problematisch ist auch das übliche große Härtetoleranzfenster von ±5 Härtepunkten (ShA bzw. IRHD, M). Die meisten Dichtungswerkstoffe rangieren im Mittelfeld der Extrusionsbeständigkeit. Besonders extrusionsanfällig sind Silikone (VMQ, FVMQ), besonders extrusionsbeständig sind harte TPUs. Durch eine Medienunverträglichkeit kann es zu unerwartet hohen Quellungen (>10 %) oder einem chemischen Angriff an der Dichtung kommen. Dadurch wird sie stark erweicht, wodurch der Widerstand gegen Spaltextrusion abnimmt. Gummiwerkstoffe verhalten sich viskoelastisch, d. h. ihre Belastungsgrenzen sind stark temperaturabhängig 7 , deswegen nimmt die Anfälligkeit für Spaltextrusion mit steigender Temperatur zu. Das Schadensbild der Spaltextrusion Die klassische Spaltextrusion ist eines der eindrücklichsten Schadensbilder von Elastomerdichtungen. Das Querschnittsbild eines fast vollständig abgerollten O-Ringes ist sehr einprägsam und auch von einem Laien leicht zu identifizieren (Abb. 1). Solche eindeutigen Schadens - bilder werden nur durch sehr scharfkantige Nuteinstiche in Verbindung mit dem entsprechenden Spalt und Druck ausgelöst. Typischer und häufiger anzutreffen ist hingegen das Schadensbild aus Abb. 2. Bild: O-Ring Prüflabor Richter Abb. 3: O-Ring nach Spaltextrusion wegen zu großem Spaltmaß: Der Bereich mit der geringsten verbliebenen Schnurstärke (oben im Bild) stellt den Beginn der Spaltextrusion dar und ist die Stelle am Umfang mit dem größten Spaltmaß zwischen Kolben und Zylinder Generell entstehen bei der Spaltextrusion an der druckabgewandten Seite des O-Rings Abschälungen, meist nur partiell am Umfang, die durch Einwanderung in den Dichtspalt entstanden sind. Das Abtrennen von Dichtungsmaterial auf der druckabgewandten Seite hat den Vorteil, dass am Anfang der Schädigung keine losgelösten Gummipartikel auf die Medienseite gelangen. Oftmals findet man dieses Schadensbild nur an einer Stelle des Umfangs, nämlich an der Stelle der größten Exzentrizität und damit des größten Dichtspaltes 8 (Abb. 3). Als Folgeschäden bei bewegten Abdichtungen treten übermäßiger Abtragverschleiß und Strömungserosion auf. Nachdem Dichtungswerkstoff durch das Extrudieren ausgebröckelt ist, wird durch den Betriebsdruck, der sich auch in der Dichtung fortpflanzt, neues Material in die entstandenen Hohlräume gepresst. Die resultierenden Zugkräfte überlagern sich mit Reibkräften und es kommt zum Verschleiß. Dadurch wiederum wird die Strömungserosion ermöglicht. 9 Schäden durch Spaltextrusion können mit folgenden Schadens - bildern verwechselt werden: Montagefehler (Abquetschung), Schädigung durch expandierende Luft und Nutüberfüllung. K|E|M Konstruktion 04 2020 65

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