Aufrufe
vor 3 Jahren

NK 01_2021

RECHT 35

RECHT 35 INSOLVENZVERFAHREN VERKÜRZUNG VON SECHS AUF DREI JAHRE AdobeStock/© Photobank Nach drei statt nach sechs Jahren schuldenfrei: Dies sieht der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 1. Juli 2020 vor. Mit drei Monaten Vorlauf wurde die Gesetzesänderung angekündigt. Viele Verbraucher, Solo-Selbstständige und Einzelunternehmer stellten deshalb keinen Insolvenzantrag und warteten ab, dass das Gesetz in Kraft tritt. Doch entgegen der Ankündigung trat das Gesetz nicht zum 1. Oktober 2020 in Kraft. Bis heute warten viele darauf, dass die angekündigte Gesetzesänderung endlich umgesetzt wird. Für viele heißt es also, weiterhin abzuwarten. Wann die Gesetzesänderungen nun kommen, kann schwer vorhergesagt werden. Aber – lohnt sich das Warten überhaupt? Diese Frage wirkt auf den ersten Blick merkwürdig. Denn aus welchem Grund sollte man jetzt einen Insolvenzantrag stellen und ein sechs Jahre dauerndes Insolvenzverfahren durchlaufen, statt auf die angekündigte Verkürzung des Insolvenzverfahrens auf drei Jahre zu warten? Bei genauerer Betrachtung macht die Frage aber durchaus Sinn. Denn den wenigsten ist bekannt, dass die geplanten Gesetzesänderungen neben der Verkürzung auf drei Jahre auch nicht zu verkennende Nachteile mit sich bringen. Es ist also eine genaue Prüfung erforderlich, ob ein Antrag jetzt noch schnell zu den derzeit noch geltenden Regelungen gestellt wird oder abgewartet werden soll, bis das neue Gesetz verabschiedet und in Kraft getreten ist. Bereits jetzt hat ein Insolvenzschuldner in der zweiten Phase des Insolvenzverfahrens, der sogenannten Wohlverhaltensperiode oder auch Restschuldbefreiungsphase genannt, Obliegenheiten zu erfüllen. Obliegenheiten sind Verpflichtungen, die eingehalten werden sollen, aber nicht eingeklagt werden können. Ein Verstoß gegen Obliegenheiten kann jedoch dazu führen, dass die erstrebte Restschuldbefreiung nicht erteilt wird. Diese Obliegenheiten sollen – quasi als Preis für die Verkürzung des Insolvenzverfahrens – erweitert werden. Begründung unangemessener Schulden Als neue Obliegenheit soll die Begründung von unangemessenen Verbindlichkeiten zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen können. Was „unangemessene Ver bindlichkeiten“ sind, wird nicht näher bestimmt. Es ist daher damit zu rechnen, dass nach Inkrafttreten der Gesetzesänderungen zahl reiche Gläubiger einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung hierauf stützen werden. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte dann entscheiden. Entgegen weitverbreiteter Meinung ist es aktuell kein Grund für die Versagung der Restschuldbefreiung, wenn während des Insolvenzverfahrens neue Schulden auflaufen. Schenkungen und Gewinne Bislang ist in der Wohlverhaltensphase ausschließlich die Hälfte einer Erbschaft an die Insolvenzmasse abzugeben. Wird zum Bespiel ein Lottogewinn erzielt, verbleibt dieser beim Insolvenzschuldner. Auch dann, wenn durch den Lottogewinn die gesamten Schulden bezahlt werden könnten. Eine Pflicht, den Gewinn abzuführen, besteht nicht. Das Gleiche gilt für Geschenke. Auch diese dürfen vom Insolvenzschuldner behalten werden. Dies soll zukünftig anders werden. Neben der Herausgabepflicht des halben Erbes müssen dann Gewinne wie Lottogewinne in voller Höhe und Geschenke zur Hälfte herausgegeben werden. Versagungsantrag auch durch Insolvenzgericht Weiterhin setzt die Versagung der Restschuldbefreiung derzeit einen entsprechenden Antrag eines Gläubigers voraus. Wichtig ist hierbei zu wissen, dass derzeit ein entsprechender Antrag ausschließlich von einem Gläubiger gestellt werden kann, der seine Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet hat. Immer wieder stellen Gläubiger, die bei Insolvenzantragstellung „vergessen“ wurden, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung – nach derzeitiger Rechtslage erfolglos. Dies könnte sich nach Eintritt der Gesetzesänderungen ändern. Denn die Versagung der Restschuldbefreiung soll zukünftig auch ohne den Antrag eines Gläubigers, allein nach Prüfung durch das Insolvenzgericht erfolgen können. Es ist zu erwarten, dass insbesondere die „vergessenen“ Gläubiger sich an das Insolvenzgericht wenden werden mit der Aufforderung, die Restschuldbefreiung zu versagen. Längere Sperrfrist Es gibt Personen, die neben einem ersten Insolvenzverfahren nach mehreren Jahren auch noch ein zweites Insolvenzverfahren über ihr Vermögen durchführen lassen müssen. Bislang gilt die gesetzliche Regelung, dass unter bestimmten Voraussetzungen zwischen beiden Verfahren ein Zeitraum von mindestens zehn Jahren liegen muss. Liegt ein kürzerer Zeitraum dazwischen, kann im zweiten Verfahren keine Restschuldbefreiung erlangt werden. Dieser Zeitraum soll durch die Gesetzesänderung von zehn Jahren auf elf Jahre erhöht werden. Ein zweites Insolvenzverfahren soll dann übrigens nicht mehr drei, sondern fünf Jahre dauern. Tipp: Einzelfallprüfung ist sinnvoll Es empfiehlt sich in jedem Einzelfall, bestenfalls durch einen Fachanwalt für Insolvenzrecht, zu prüfen, ob das Warten auf die angekündigte Verkürzung von sechs auf drei Jahre oder ein Insolvenzverfahren nach den aktuell geltenden Regeln der bessere Weg ist. Wird der Insolvenzantrag jetzt gestellt, gelten die erweiterten Obliegenheiten nicht. Rechtsanwalt Ralf Bednarek, L. L. M., Fachanwalt Insolvenzrecht, www.schumacherundpartner.de AdobeStock/© Maurice Tricatelle

NETWORK-KARRIERE

Aktuelles